Fromme Industrie

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Wallfahrt und Wallfahrtsindustrie

Die Wallfahrten nach Einsiedeln war in den Jahrzehnten um 1800 merklich zurückgegangen: teils der politisch unsicheren Zeiten wegen, teils weil weltliche und auch geistliche Obrigkeiten sie als Zeitverschwendung und voraufklärerisches Relikt aktiv bekämpften. Zudem machten sich in breiteren Bevölkerungsschichten Tendenzen der Säkularisierung bemerkbar, die auch die religiöse Praxis beeinflussten.84

Ab dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts und verstärkt in den 1860er-Jahren ist jedoch wieder ein Aufschwung der Wallfahrt festzustellen. Dies lässt sich mit moderneren Transportsystemen – besseres Strassennetz, Dampfschiff, Eisenbahn – erklären, welche die Reisezeit für die Pilger massiv verkürzten. Der Aufschwung ist aber auch im Kontext der katholischen Revitalisierungsprozesse zu situieren, die international zu beobachten waren. Die Wallfahrt war ein integraler Bestandteil einer katholischen Massenbewegung, die sich im 19. Jahrhundert gegen den als negativ empfundenen modernen Zeitgeist formierte.85

In der Zeit zwischen 1860 und Erstem Weltkrieg zählte Einsiedeln durchschnittlich rund 170 000 Pilger pro Jahr. Wenn wir die Pilgerzahlen jedoch für einen längeren Zeitraum von etwa 1700 bis 1900 betrachten, zeigt sich, dass sie ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zwar etwas ansteigen, insgesamt aber erstaunlich konstant bleiben.86 Der Aufschwung der Wallfahrt ist indes nicht nur als quantitatives Phänomen zu verstehen. Sie erhielt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch eine neue Qualität. Neben den traditionellen Landes- und Pfarreiwallfahrten kamen moderne Pilgerzüge auf, die Laien aus privatem Antrieb organisierten, sowie katholische Versammlungen und Grossveranstaltungen, die im Wallfahrtsort stattfanden und ebenfalls eine neue Spielform der traditionellen Wallfahrt darstellten. Einsiedeln entwickelte sich in dieser Zeit zu einer Schaubühne des internationalen Katholizismus.87

Während in anderen Orten der Innerschweiz der Tourismus für wirtschaftliche Impulse sorgte,88 war es in Einsiedeln die Wallfahrt. Vor allem die Wirte der zahlreichen Gasthäuser profitierten von ihr. Die Steuerregister von 1848 führten unter den zwölf vermögendsten Einsiedlern nicht weniger als sieben Wirte.89 Zahlreiche Wirte hatten im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts wieder ins Gastgewerbe investiert, nachdem die Branche während der französischen Besetzung völlig zusammengebrochen war. Gerold Meyer von Knonau zählte 1835 in seiner Darstellung «Der Kanton Schwyz» bereits wieder 55 Wirtshäuser und 20 «Pintenschenken», also etwa gleich viele Betriebe wie zu Spitzenzeiten im 18. Jahrhundert.90 Die Zahl der Gastbetriebe nahm in den folgenden Jahrzehnten weiter zu. In den 1870er-Jahren wurden in Einsiedeln 25 «Pinten» und rund 70 Wirtshäuser gezählt.91

Weltliche Aspekte waren schon in der Vormoderne ein fester Bestandteil der Wallfahrt gewesen, und auch im 19. Jahrhundert blieb die Wallfahrt für viele Gläubige nicht nur eine religiöse Reise, sondern auch eine «Lustreise».92 Der Wirtshausbesuch, der Spaziergang in der näheren Umgebung und Souvenirs gehörten einfach dazu. Nun aber vermischten sich ältere Formen der Wallfahrt mit neuen Formen des touristischen Reisens. Peter Hersche sieht gar einen direkten Weg von der vormodernen Wallfahrt in die «Freizeit- und Erlebniskultur» unserer Tage.93

Zur selben Zeit entwickelten sich die verschiedenen der Wallfahrt zudienenden Gewerbe in Einsiedeln zu einer regelrechten Industrie. Der Historiker und Mönch Odilo Ringholz bezeichnete die Wallfahrtsindustrie als eine «nothwendige Folge» der Wallfahrt.94 Dazu zählte er neben dem Gastgewerbe alle Geschäfte, die wie der Benziger Verlag Gebetbücher, Bilder und Devotionalien industriell herstellten. 1908 soll es in Einsiedeln 68 Devotionalienunternehmungen gegeben haben. Für den lokalen Marktleader «Devotionalien Rickenbach» sollen damals achtzig Heimarbeiterinnen tätig gewesen sein.95 Auch Künstler und Kunsthandwerker zählte Ringholz zur Wallfahrtsindustrie. Kaum mehr bekannt sind jene Künstlerbiografien, vor allem im Bereich des Wachsbossierens, die ab dem 18. Jahrhundert aus dem Umfeld der Einsiedler Wallfahrtsindustrie hervorgingen.96

Heute ebenfalls weitgehend vergessen ist, dass Einsiedeln am Ende des 19. Jahrhunderts ein schweizweites Zentrum der Herstellung und Verbreitung religiöser Statuen war. In der Firma Lienhardt, einem der grösseren Unternehmen dieser Art am Platz, produzierten und verkauften um 1880 zwölf Angestellte religiöse Statuen. Das Unternehmen, das der ehemalige Klosterbuchdrucker Matthäus Lienhardt 1798 gegründet hatte, war spezialisiert auf Einsiedler- und Lourdes-Madonnen, Herz-Jesu- und Herz-Mariä-Statuen. Es belieferte sowohl Geschäfte im Dorf als auch auswärtige Kunden.97

Genaue Angaben zur Zahl der Personen zu machen, die einer direkt von der Wallfahrt abhängigen Arbeit nachgingen, ist freilich kaum möglich. Wo soll man den Bauern einordnen, der über den Winter in Heimarbeit Devotionalien herstellte? Wo seine Frau, die in Heimarbeit Seide wob oder Rosenkränze kettelte?98 Der Rechenschaftsbericht des Regierungsrats von 1882 nannte für Einsiedeln die Zahl von 976 Personen, die mit der Produktion von Andachtsartikeln beschäftigt waren. Demgegenüber stand die Zahl von 630 Seidenweberinnen und Seidenwebern.99 Etwa ab der Jahrhundertmitte, so darf man annehmen, überflügelte die Wallfahrts- die Textilindustrie, was die Zahl der Beschäftigten betraf, und wurde nach der Landwirtschaft zum wichtigsten Wirtschaftszweig der Region. Vermutlich wandten sich nicht wenige Heimarbeiterinnen und Heimarbeiter, die infolge der Mechanisierung des Spinnprozesses in den 1820er- und 1830er-Jahren ihren Verdienst verloren, einer neuen Tätigkeit in der Wallfahrtsindustrie zu. Bis zu einem gewissen Grad dürften sich die beiden Industrien auch ergänzt haben, zumal die Pilger vor allem im Sommerhalbjahr nach Einsiedeln kamen und im Winterhalbjahr Zeit blieb, einer anderen Tätigkeit wie dem Seidenweben nachzugehen.

Halten wir an dieser Stelle einige zentrale Punkte fest: In Einsiedeln entwickelte sich im 19. Jahrhundert auf der Grundlage der Wallfahrt eine Industrie, die Bücher, Bilder, religiöse Statuen, Rosenkränze, Kerzen und Devotionalien hervorbrachte sowie weitere Dienstleistungen für die Pilger erbrachte. Der Benziger Verlag und weitere Einsiedler Druckerei- und Verlagsunternehmen haben sich aus dieser Wallfahrtsindustrie heraus entwickelt.

Die Nähe zu Zürich spielte bei dieser Entwicklung, vor allem in der Textilindustrie, sicherlich eine grosse Rolle. Wichtiger waren aber Impulse durch die Wallfahrt sowie die Stellung des Klosters als traditionelles Gewerbezentrum. Die Wallfahrer stammten ohnehin nicht aus dem protestantischen Zürich und nicht nur aus den umliegenden katholischen Kantonen. Das Einzugsgebiet umfasste sämtliche katholischen Orte der Schweiz sowie das umliegende Ausland. Schon im 18. Jahrhundert stammten die Pilger zu einem Drittel bis zur Hälfte aus dem Ausland.100 Die Wallfahrt brachte Verdienst ins Dorf und brachte einigen Familien das notwendige Kapital für weitere geschäftliche Investitionen.

Es wäre lohnenswert, Einsiedeln in einem internationalen Kontext mit anderen Wallfahrtsorten in Europa zu vergleichen. Bildeten sich dort ähnliche Industrien heraus? Solches ist zumindest zu vermuten. Im bayerischen Wallfahrtsort Altötting beispielsweise blühte im 19. Jahrhundert der Devotionalienhandel, in Kevelaer an der deutsch-niederländischen Grenze entwickelte sich ebenfalls eine bemerkenswerte Verlagsbranche, und Lourdes und Paray-le-Monial in Frankreich waren im ausgehenden 19. Jahrhundert Zentren der Produktion von religiösen Statuen. Die Liste liesse sich fortsetzen.

Entstehung und Entwicklung der Firma Benziger (1750–1897)

Der Benziger Verlag entwickelte sich aus mehreren Strängen. Ein erster Strang ist der Devotionalienhandel. Die Familie Benziger gehörte zwar nicht zu den traditionellen Buchhändlerfamilien Einsiedelns, das Devotionaliengeschäft hingegen hatte in der Familie Tradition.101 Eine wichtige Figur in der Frühphase der Unternehmensgeschichte war Johann Baptist Karl B.-Schädler, der in jungen Jahren den Beruf des Metzgers ergriff. Nach einigen Wanderjahren, während derer er sich länger in Solothurn und offenbar vorübergehend auch in Österreich und Ungarn aufhielt, eröffnete er um die Jahrhundertmitte einen Devotionalienladen in Einsiedeln.102 Da das Kloster das Gewerbe einschränkte und im Handel mit Devotionalien ein Monopol beanspruchte, sah sich Johann Baptist Karl gezwungen, seine Waren ausserhalb des Einflussbereichs des Klosters abzusetzen. Als Kolporteur zog er durch die katholischen Kantone der Schweiz. Seinen grössten Absatz fand er allerdings im umliegenden Ausland, vor allem im Elsass.103

Johann Baptist Karl betrieb seinen Handel bald als Familiengeschäft zusammen mit seiner Frau Katharina Barbara Schädler und seinen vier Söhnen. Alle vier Söhne begleiteten ihren Vater schon früh auf Handelsreisen. Der älteste Sohn Adelrich (1751–1834) diente in jungen Jahren in der Schweizergarde in Paris und war anschliessend ein Leben lang im väterlichen Geschäft tätig. Der zweite Sohn Joseph Ignaz (1756–1792) lernte zunächst das Handwerk der Schuhmacherei, verheiratete sich um 1780 mit einer Elsässerin und war bis zu seinem Tod ebenfalls im Devotionalienhandel tätig. Eine wichtigere Rolle für die weitere Entwicklung des Unternehmens spielten der dritte Sohn Jakob Franz Sales (1758–1837), der während 15 Jahren das Amt des Leiters («Faktors») in der Klosterdruckerei bekleidete und später an der Gründung der ersten Druckerei im Dorf beteiligt war, und Joseph Karl (1762–1841), der das Geschäft seines Vaters übernahm und weiterführte.

 

Die Familie scheint das Geschäft mit einem gewissen Erfolg betrieben zu haben. Immerhin konnte sie bald einige Hilfskräfte, insbesondere Träger für die Hausiererreisen, beschäftigen. Auch betrieb sie im 18. Jahrhundert eine kleine Produktion von Rosenkränzen, die Familienmitglieder, Verwandte und vielleicht auch weitere Personen in Einsiedeln in Heimarbeit herstellten und per Hausiererhandel verkauft wurden. Offenbar waren die Klöster im Elsass gute Abnehmer für die Rosenkränze aus der Fabrikation Benziger. Von diesen Klöstern bezog man im Gegenzug wahrscheinlich andere religiöse Waren wie Statuen oder Kruzifixe zum Weiterverkauf. Ob das Familienunternehmen in dieser Zeit weitere Waren bereits selbst produzierte und welche Produkte es sonst noch verkaufte, lässt sich nicht mehr genau eruieren.

Das Geschäft etablierte sich in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts und konnte vom Kloster nicht länger ignoriert werden. Im Februar 1792 schlossen Johann Baptist Karl B.-Schädler und zwei seiner Söhne einen Assoziationsvertrag mit dem für den Handel mit Wallfahrtsartikeln zuständigen Bruder («Wechselbruder») des Stifts und führten ihr Geschäft mit jenem des Klosters zusammen. Die gemeinsam zu vertreibenden Waren beschränkten sich auf Devotionalien. Die Buchdruckerei, der Buch- und der Wachshandel waren vom Vertrag nicht betroffen.104

Das Kloster war in dieser Geschäftsverbindung mit dreissig Prozent am Gewinn beteiligt, agierte aber in erster Linie als Kapitalgeber. Die Verbindung kann zum einen als eine Geste des Wohlwollens des Klosters gegenüber der Familie Benziger interpretiert werden, vor allem wenn man sich vor Augen führt, wie strikt es andere Konkurrenten im Dorf bekämpfte, die seine wirtschaftlichen Monopole infrage stellten. Wohl haben auch familiäre Beziehungen, welche die Familie Benziger mit dem Kloster verbanden, die geschäftlichen Beziehungen begünstigt. Adam Rupert Schädler, der Schwiegervater von Johann Baptist Karl, war ehemaliger Faktor der Klosterdruckerei, sein Schwager Franz Sales Schädler Mönch im Kloster und ehemaliger Direktor der Druckerei.105

Letztlich waren es aber auch spekulative Interessen, die das Kloster zu diesem Schritt bewogen: Die Familie Benziger verfügte über ein gutes Handelsnetzwerk und hatte sicherlich Quellen für den direkten Einkauf von religiösen Waren ausfindig gemacht, die das Kloster für sich selbst gewinnbringend zu nutzen hoffte. Die Verbindung war allerdings von kurzer Dauer und wurde vom Kloster bereits 1796 wieder aufgelöst.106

Im August 1799 emigrierte die Familie Benziger für beinahe ein Jahr nach Feldkirch. Französische Truppen besetzten damals erneut Einsiedeln, nachdem sie im Frühling 1799 von österreichischen Truppen aus der Innerschweiz verdrängt worden waren. In dieser Zeit musste die Familie ihr Geschäft wohl vorübergehend aufgeben. Eine tiefere Zäsur scheint es aber nicht gegeben zu haben. Nach dem Tod von Johann Baptist Karl B.-Schädler im Jahr 1802 übernahm sein Sohn Joseph Karl B.-Fuchs das Geschäft als alleiniger Besitzer und erweiterte es kontinuierlich.

Aus den Jahren 1810 bis 1812 haben sich Warenlisten erhalten, die einen Einblick in das damalige Devotionaliengeschäft ermöglichen. Aufgelistet werden zunächst Rosenkränze aus gefärbtem Kokosholz, gefärbten Glasperlen oder Meerschaum-Stein, die in mehreren Dutzend verschiedenen Variationen – etwa mit kreuz- oder herzförmigem Anhänger – feilgeboten wurden und von denen mehrere Tausend Stück an Lager waren. Dann bemalt oder unbemalt vorrätige Holz-, Metall- und Messingkreuze in verschiedenen Grössen und Ausarbeitungen. Zum Angebot gehörten weiter verschiedene Medaillen mit Heiligenabbildungen, vergoldete oder versilberte Ringe und Schlüssel, Michaels- und Benediktuspfennige sowie gipserne Heiligenfiguren. Einen vergleichsweise geringen Stellenwert hatte zu dieser Zeit der Bilderhandel, wenn auch Kupferstiche und kleinere religiöse Gemälde zum Sortiment gehörten. Josef Karl B.-Fuchs bezeichnete sich stolz als einziger Verleger Einsiedelns, der von «allen Gattungen geistlicher Waaren» etwas anzubieten habe.107

Ein zweiter Strang zur Entstehung des Verlagunternehmens führt über die Druckerei, die seit 1664 im Kloster betrieben wurde. Die ehemaligen Angestellten der Klosterdruckerei hatten ihre Beschäftigung verloren, als das Kloster 1798 aufgehoben wurde. Sie gelangten mit der Bitte an die helvetische Regierung, ihnen die Bücher aus dem Klosterverlag zu überlassen, um damit ein Einkommen finden zu können. Noch im selben Jahr entstand ein fünfköpfiges Konsortium, dem Franz Sales B.-Fuchs, der ehemalige Klosterfaktor, und sein Bruder Joseph Karl B.-Fuchs, der Devotionalienhändler, sowie ein Buchsetzer und zwei Buchbinder aus der ehemaligen Klosterdruckerei angehörten. Das Konsortium verkaufte die Bücher aus dem ehemaligen Klosterverlag. Zudem erhielt das Geschäft eine Druckerpresse aus der Klosterdruckerei zugesprochen, die zuvor an den Aargauer Buchdrucker Remigius Sauerländer verkauft worden war. Verlag und Druckerei des Klosters wurden sozusagen «privatisiert» und gingen in die Hände von Dorfbewohnern über, die ihre Chance wahrnahmen, selbst unternehmerisch tätig zu werden.

Ihr Geschäft beschränkte sich zunächst auf den Nachdruck und den Verkauf der Bücher aus dem Klosterverlag. Ein achtseitiger Bücherkatalog aus dem Jahr 1800 zählte 42 verschiedene Titel auf Deutsch, die alle aus dem Klosterverlag stammten. Neben der populären Einsiedler Chronik, der Benediktsregel und einer lateinischen Grammatik enthielt der Katalog vor allem Gebet-, Pilger- und Andachtsbücher. Einige der Titel, etwa der «Grosse Baumgarten», der «Goldene Himmelsschlüssel» oder das «Himmlische Palmgärtlein», waren sehr populär und wurden noch Jahrzehnte, teilweise bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts nachgedruckt.108 Hinzu kamen in den ersten Jahren einige Druckaufträge der helvetischen Verwaltungskammer sowie der Gemeinden in Einsiedeln und Schwyz.109

Die ersten beiden Jahrzehnte prägten wechselnde Geschäftsverbindungen das Unternehmen. 1818 übernahm Franz Sales B.-Fuchs die Buchdruckerei als alleiniger Besitzer. Der ehemalige Partner Johann Baptist Eberle gründete im selben Jahr eine zweite Druckerei in Einsiedeln, die bis 1832 bestand. Joseph Karl B.-Fuchs übernahm 1818 den Buchverlag, den er mit seinem Devotionaliengeschäft zusammenführte, das er bislang unabhängig vom Buchverlag betrieben hatte. Druckaufträge liess Joseph Karl weiterhin von seinem Bruder Sales und später von dessen Sohn Marianus ausführen. 1833 richteten seine Nachfolger, Josef Karl B.-Meyer und Nikolaus B.-Benziger (1808–1864), erstmals eine eigene Druckerei ein. Mit dem Generationenwechsel um 1830 setzte auch der Aufschwung ein. Das Druckereigeschäft von Franz Sales B.-Fuchs bestand daneben weiter, erlebte aber nie eine grössere Ausdehnung.

Für diese frühe Phase der Entwicklung des Geschäfts erscheint es besonders wichtig, dass die Familie Benziger im ausgehenden 18. Jahrhundert offensichtlich über gute Kontakte ins Kloster verfügte. Aus den revolutionsartigen Aufständen gegen das Kloster, die vor allem in den 1760er-Jahren verschiedentlich vorkamen, wusste man sich herauszuhalten.110 Wie andere Gewerbetreibende litten die Benziger zwar unter der Monopolstellung des Klosters, schafften es aber, sich gewerbliche Freiräume zu schaffen und schliesslich gar eine geschäftliche Verbindung mit dem Kloster einzugehen. Verschiedentlich unterstützte das Kloster die unternehmerischen Tätigkeiten von Mitgliedern der Familie Benziger auch mit grösseren Krediten.111

Eine blühende Industrie – die Firma Benziger 1833–1897

Josef Karl B.-Fuchs und seine Söhne und Nachfolger im Verlagsgeschäft, Josef Karl B.-Meyer und Nikolaus B.-Benziger, betrieben, wie schon die Generationen vor ihnen, mehrere Erwerbszweige nebeneinander. Josef Karl B.-Fuchs gründete 1821 in Einsiedeln zusammen mit Heinrich Wyss die mechanische Baumwollspinnerei «Schöngarn», an der vorübergehend auch seine Söhne beteiligt waren. In den 1830er-Jahren zogen sich die Benzigers aus diesem Geschäft zurück. Josef Karl B.-Meyer betrieb bis in die 1850er-Jahre eine Tabakstampfe bei Einsiedeln sowie ein Wirtshaus in seinem Wohnhaus «Hirschen» am Klosterplatz. Den «Hirschen» wandelte Josef Karl 1853 in ein Geschäftshaus für den Verlag um. Sein Bruder Nikolaus unterrichtete in den 1830er-Jahren Zeichnen und Buchhaltung an der Schule im Dorf, bevor er sich ausschliesslich auf die Tätigkeit im Verlag konzentrierte.112

In der ersten Phase ihrer Geschäftstätigkeit im 19. Jahrhundert konzentrierte sich die Verlegerfamilie Benziger also zunehmend auf das Kerngeschäft: den Buchverlag und den Devotionalienhandel, zu denen sich ab den 1830er-Jahren die Druckerei und der Bilderverlag gesellten. In einer zweiten, sich mit der ersten überschneidenden Phase diversifizierten sie innerhalb des Kerngeschäfts stark. Zum Gebetbuchhandel kamen Schulbücher, Zeitschriften und Kalender, der Bilderhandel, später die Belletristik sowie der Handel mit Paramenten und Kirchenornamenten.

Die Entwicklung der Verlags- und Fabrikgebäude, der technischen Innovationen sowie der Zahl und Herkunft der Angestellten verschafft uns im Folgenden einen Überblick über das Verlagsgeschäft zwischen dem Generationenwechsel von 1833 und dem Jahr 1897, als der Verlag in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde. Die drei Indikatoren sollen uns verschiedene Blickwinkel auf die Unternehmensgeschichte ermöglichen und verschiedene Phasen und Konjunkturen sichtbar machen.

Geschäftsgebäude sind das «Gesicht eines Unternehmens» und haben repräsentative Zwecke. Als erster Indikator dient uns deshalb die Entwicklung der Verlags- und Fabrikgebäude. Der Benziger Verlag zeigte in den eigenen Verlagsprodukten regelmässig Ansichten seiner Industrie- und Geschäftsanlagen. Ab 1821 (Ankauf Haus Hirschen) hatte das Unternehmen seinen Sitz in einem repräsentativen Wohnhaus direkt am Klosterplatz. 1834 (Adler) und 1846 (Ochsen) wurden weitere Häuser am Klosterplatz hinzugekauft. Bis in die Jahrhundertmitte war die Firma, inklusive der Druckerei, in diesen Wohnhäusern untergebracht und verfügte nur über bescheidene Platzverhältnisse. 1853/54 bezogen die Buchbinderei, die Setzerei und die Druckerei ein barockes Wohnhaus (Wildmann) in unmittelbarer Nähe des Klosterplatzes, das zu einem Fabrikgebäude umfunktioniert worden war. Im Nekrolog von Nikolaus B.-Benziger I (1808–1864) heisst es zu diesem Fabrikgebäude: «Mit Staunen sieht das Auge an der Stelle des frühern Hauses zum ‹wilden Mann›, einer alten zerfallenen Barake, ein stattliches weitläufiges Fabrikgebäude, das allabendlich wie ein Feenpalast illuminirt ist und aus dessen Innern das schnurrende Geräusch von kunstvollen Werken tönt, die täglich, getrieben von der allmächtigen Kraft des Dampfes, tausend und tausend Druckbogen produziren.»113

In den folgenden Jahrzehnten wurden weitere Gebäude hinzugekauft (St. Anton, Einsiedlerhof) oder erstellt (Wildfrau, Arche Noah, Phönix, Delphin). Der Verlag errichtete einen kompakten Industriekomplex inmitten des Dorfs und in unmittelbarer Nähe des Klosterplatzes und der dortigen Verkaufs- und Geschäftshäuser. Den Ausbau der Fabrikanlagen übernahmen teilweise renommierte Architekten wie etwa der Zürcher Johann Kaspar Wolff (1818–1891). Konfessionelle Gräben spielten dabei keine Rolle.114

Die Rückseite eines Verlagskatalogs von 1879 zeigt die Geschäfts- und Fabrikgebäude in einer repräsentativen Ansicht. Zu sehen sind die Buch-, Devotionalien- und Kunsthandlung direkt am Klosterplatz, ein eigenes Gebäude für die Lithographie und für die Kupferdruckerei, Buchbindereien in Einsiedeln, Euthal und Gross sowie im Zentrum die auf mehrere Gebäude verteilte Buchdruckerei mit vorgelagertem Springbrunnen. Geschmückt ist die Ansicht mit vier Medaillen, zwei sind Papst Pius IX. (1846–1878) und dem österreichischen Kaiser Franz Josef gewidmet, die zwei anderen zeigen die allegorischen Darstellungen «Fortschritt» und «Verdienst» (Abb. I.8, S. 193).115 Bis 1892 kamen ein Bilderlager, einige kleinere Ökonomiegebäude an der damaligen Peripherie des Orts sowie ein etwas ausserhalb des Dorfs gelegenes «Kosthaus für junge Angestellte» hinzu.116

Eine lithographische Postkarte, die der Benziger Verlag um 1900 herstellte, veranschaulicht das Zusammenspiel von industrieller Tätigkeit und Wallfahrt in Einsiedeln (Abb. I.4, S. 189). Der Betrachter der Postkarte blickt von Süden auf den weitläufigen Klosterplatz, auf dem einige Pilger zu sehen sind. Rechts begrenzt die barocke Klosterfassade den Platz, links eine städtisch anmutende Häuserzeile. Zahlreiche Souvenir- und Devotionalienstände flankieren den Platz: Manchmal sind es kaum mehr als einfache Bretterbuden, in denen Händler Bücher, Andachtsbilder, Postkarten, Kerzen, Rosenkränze und weitere Gegenstände anbieten.

 

Hinter der Häuserzeile ragt ein Fabrikkamin in den Himmel, der in seiner Höhe beinahe mit den Klostertürmen zu konkurrieren scheint. Hier befanden sich die Produktionsstätten des Benziger Verlags. Der Kamin, den die Firma Benziger 1894 von der Winterthurer Firma Sulzer errichten liess, war, wie sich anhand zeitgenössischer Fotografien feststellen lässt, in Wahrheit weit weniger hoch und dominierte das Dorfbild weniger stark als auf der Postkarte. Der Kamin, aus dem sich auf der Postkarte Rauch emporschlängelt, ist auf der Karte überhöht dargestellt und sollte auf die fortschrittliche Produktionsweise der Firma Benziger verweisen.

Ab den 1850er-Jahren verfügte die Firma Benziger neben grossen Verkaufsflächen am Klosterplatz und Büro- und Geschäftsräumlichkeiten an bester Lage auch über moderne Fabrikanlagen. Die eher kleinräumigen Verhältnisse und die Aufteilung der Geschäftszweige auf verschiedene Häuser hemmten allerdings die Fabrikation und verhinderten eine weitere Ausdehnung der technischen Betriebe. Gerade die dampfbetriebenen Schnellpressen brauchten viel Platz, der bald nicht mehr zur Verfügung stand.117 Zu einem grosszügigen Neubau in der Peripherie, wie ihn viele andere Verlags- und Druckereiunternehmen im ausgehenden 19. Jahrhundert errichteten, konnte sich die Firma Benziger nicht entschliessen.118 Erstaunlich lange beliess der Verlag seine Fabrikation in der zwischen 1850 und 1870 errichteten Industrieanlage; einige der genutzten Gebäude stammten gar aus dem 18. Jahrhundert. Erst 1970 bezog man einen Neubau am Dorfrand von Einsiedeln.

Als zweiten Indikator betrachten wir, wie das Unternehmen über die Zeit technische Innovationen implementierte. Während Jahrhunderten hatte sich in der Druckerbranche in technischer Hinsicht wenig bewegt. Noch 1820 waren in den kontinentaleuropäischen Druckereien hölzerne Handpressen die Regel. Mit der Industrialisierung lösten eiserne Pressen die hölzernen ab. Bald folgten dampfbetriebene Schnellpressen, die eine höhere Auflage zu weit tieferen Preisen ermöglichten.

Mit dem technischen Wandel veränderte sich auch die Druckerei- und Verlagstopografie. Einige der traditionellen Buchdruckereizentren wie Nürnberg und Augsburg verloren im 19. Jahrhundert an Bedeutung. Gleichzeitig entstanden zahlreiche neue Druckereiunternehmen.119 Karl Faulmanns «Illustrirte Geschichte der Buchdruckerkunst» von 1882 bietet für Deutschland ein Verzeichnis von 440 Orten, in denen bis zum Jahr 1800 Druckereien gegründet worden waren. Ein «Adressbuch der Buchdruckerkunst» listete 1854 bereits 1400 Buchdruckereien in etwa 780 Orten in Deutschland auf. Bis 1883 verdoppelte sich die Zahl der Buchdruckereien in Deutschland auf rund 2800. Hinzu kamen 1300 Steindruckereien und 750 Betriebe, die sowohl Buch- wie Steindruck ausübten.120 In der Schweiz verlief die Entwicklung ähnlich. Hier verdreifachte sich die Zahl der Buchdruckereibetriebe zwischen 1835 und 1883 von 105 auf über 300.121

Wollten diese Druckereiunternehmen dauerhaft bestehen, durften sie sich dem technischen Wandel nicht entziehen. Verschiedene neue Reproduktionsverfahren wurden entwi ckelt und für die industrielle Massenproduktion nutzbar gemacht. Anhand der Geschichte der Firma Benziger lässt sich diese Entwicklung gut nachzeichnen.

Im Jahr 1833 übernahmen Josef Karl B.-Meyer und Nikolaus B.-Benziger I gemeinsam das väterliche Geschäft. Die Söhne waren damals 34 und 25 Jahre alt und hatten bereits seit ihrer Jugend im Geschäft mitgearbeitet. Der Betrieb, den sie übernahmen, bestand aus dem Gebetbuchverlag, einer Devotionalienhandlung und einer bescheidenen Produktionsstätte für Rosenkränze. Josef Karl und Nikolaus dehnten in den folgenden Jahrzehnten das Geschäftsfeld sukzessive aus. Noch im Jahr 1833 richteten sie eine eigene Druckerei ein. Zuvor hatten sie Druckaufträge in den Druckereien ihrer Cousins Marianus und Sales Benziger ausführen lassen.122 In der Mitte der 1830er-Jahre begannen sie mit dem Aufbau eines Andachtsbilderverlags und richteten dazu eine eigene lithographische Anstalt ein. 1856 folgte eine Stahl- und Kupferdruckerei. Bereits in den 1840er-Jahren eröffneten sie eine fabrikmässig betriebene Buchbindereianstalt.

1844 führte man das Verfahren der Stereotypie ein, das hohe Auflagen bei reduzierten Produktionskosten ermöglichte.123 Das erste Buch, das in Einsiedeln stereotypiert und in dieser Technik gedruckt wurde, war die 31. Auflage des Gebetbuchbestsellers «Freuden des Christen in Gott und Religion» des Franziskanerpaters Aloys Adalbert Waibel (1787–1852). 1845 wurden die ersten dampfbetriebenen Schnellpressen installiert. Benziger kaufte die Pressen von der 1817 gegründeten Firma Koenig & Bauer, die ihre Fabrik im 1803 aufgehobenen Kloster Oberzell bei Würzburg betrieb.

Im Jahr 1847 hatte das Unternehmen bereits eine beträchtliche Ausdehnung erfahren. Ein Bilderkatalog warb in diesem Jahr: «Haben neben Bildern und Kunst auch folgende Geschäftszweige: Lithographie, Buchdruckerei, Stereotypie, Verlagsund Sortimentsbuchhandlung, Buchbinderei, Buchbindermaterialien- und Devotionalien (oder geistlicher Waaren) Handlung. Wir liefern gut und billigst: lithographische Arbeiten jeder Art […] beliebige Buchdruckerarbeiten, gebundene und ungebundene Andachtsbücher eigenen Verlags […] und Werke aus allen Wissenschaften […] Rosenkränze aller Gattungen […].»124 Als Josef Karl und Nikolaus das Geschäft im April 1860 an ihre Söhne übergaben, standen vier Schnellpressen für den Buchdruck (Hochdruck), einige Handpressen sowie mehrere Satinier-, Präge- und Vergolddampfpressen zur Verfügung. Daneben zwanzig Lithographiepressen und fünf Kupferdruckpressen für Stahlstich.125

Die folgende Generation investierte weiter in die technische Infrastruktur. Vor allem Adelrich B.-Koch (1833–1896), der Sohn von Nikolaus B.-Benziger I, bemühte sich um den Ausbau der technischen Betriebe. Unter seiner Leitung wurde 1863 die Zinkographie, der Druck ab Zinkplatten, eingeführt. 1866 folgte die Xylographie (Holzdruck), die vor allem in der Herstellung von Illustrationen in Zeitschriften Verwendung fand. Ab 1889 tauchten fotografische Reproduktionen als Illustrationen in den hauseigenen Zeitschriften auf.126

Ein Bücherkatalog aus dem Jahr 1894 zählt eine unübersichtliche Fülle an Reproduktionsverfahren auf, die der Benziger Verlag in Einsiedeln betrieb: Neben der Kupfer- und Stahlstecherei, einem xylographischen, lithographischen, chromographischen sowie photographischen Atelier betrieb man auch die Zinkographie, die Phototypie, Autophototypie, Chromotypographie, Photolithographie, den Lichtdruck, die Photogravure und Heliogravure.127

Für die Beteiligten bedeutete es einen enormen Aufwand, überall auf dem neuesten Stand zu bleiben. «Die Sache wird jährlich complizirter», schrieb Adelrich B.-Koch im Sommer 1870 in einem Brief, den er aus Lyon nach Hause schickte.128 Um mit der technologischen Entwicklung Schritt zu halten, besuchten Mitglieder der Verlagsleitung regelmässig die einschlägigen Industriemessen, wo die neuesten Entwicklungen im Bereich der Reproduktionstechnologien vorgestellt wurden. Adelrich B.-Koch amtierte an mehreren Industrieausstellungen im In- und Ausland, darunter an der Weltausstellung 1889 in Paris, auch als Juror.129