Fromme Industrie

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Unternehmensgeschichte als Religionsgeschichte

Diese Arbeit versteht sich nicht als klassische Unternehmensgeschichte. Sie verfolgt keine betriebswirtschaftlichen Ansätze und versucht nicht, Kapitalverwertungsprozesse historisch zu analysieren. Sie nimmt aber mehrfach Ansätze aus der neueren Unternehmensgeschichtsschreibung auf. Diese begann sich seit den frühen 1990er-Jahren gegenüber anderen Disziplinen zu öffnen und bietet mittlerweile zahlreiche methodische und argumentative Anknüpfungspunkte auch für Historiker aus anderen Forschungsfeldern. Im Folgenden sollen einige für diese Arbeit zentrale Argumente aufgenommen und diskutiert werden. Ausgangspunkt sind zwei stark rezipierte Forscher, die sich in der Vergangenheit mit Unternehmensgeschichte und Unternehmenstheorie befasst haben.

Hartmut Berghoff hat im Rahmen einer 1997 veröffentlichten Monografie zum deutschen Harmonikaproduzenten Hohner und in mehreren folgenden Aufsätzen seinen Ansatz der «Unternehmensgeschichte als Gesellschaftsgeschichte» entwickelt.21 Er geht aus von der allgemeinen Gesellschaftsgeschichte Hans-Ulrich Wehlers, die er zu «entnationalisieren» sucht und auf «kleinere soziale Systeme» wie Unternehmen überträgt. Die Multidimensionalität – Wirtschaft, Sozialstruktur, Politik, Kultur – des wehlerschen Ansatzes komme im begrenzten Raum eines Unternehmens besser zum Tragen als im nationalstaatlichen Rahmen, da dieser ein «hohes Mass an Konkretheit» und eine grössere Tiefenschärfe erlaube. Berghoff wendet sich gegen esoterische Formen der Unternehmensgeschichte, die sich auf innere Vorgänge und Organisationsprobleme konzentrieren, und sieht Unternehmen als eine Art offene Systeme. Die Isolierung der Betriebe von der Aussenwelt gelte es aufzubrechen, so Berghoff. Insbesondere die Wechselbeziehungen zwischen der Firma und ihrem lokalen Umfeld müssten stärker berücksichtigt werden. Darüber hinaus soll aber auch den überregionalen Faktoren, die das unternehmerische Handeln von aussen beeinflussen und strukturieren, grössere Beachtung zukommen: etwa kultureller und sozialer Wandel, technologische Entwicklungen oder sich verändernde Moden. Auch da sollen die Unternehmen als Akteure ernst genommen und nach ihren Instrumenten gefragt werden, mit denen sie die Gesellschaft und die Märkte aktiv prägen. Insgesamt, so lassen sich Berghoffs Überlegungen zusammenfassen, sollte die (deutsche) Unternehmensgeschichtsschreibung von ihrer lange Zeit betriebenen Esoterik wegkommen. Ein Unternehmen kann ein Ort sein, an dem, gleichsam wie durch eine Lupe, auch übergeordnete Fragen historischen Wandels beobachtet und untersucht werden können.22

Zwischen Unternehmen und Umwelt bestehen also fliessende Grenzen. Bereits Ende der 1970er-Jahre führte der Betriebsökonom R. Edward Freeman den Begriff «Stakeholder» ein, um Manager von Firmen dafür zu sensibilisieren, welchen Akteursgruppen – neben Mitarbeitern, Kunden, Aktionären – man besondere Aufmerksamkeit schenken müsse.23 Stakeholder waren für Freeman Gruppen oder Individuen, die in irgendeiner Form ein Interesse an den inneren Vorgängen, am Erfolg oder Misserfolg einer Firma haben.24 Klassische Stakeholder sind nach Freeman beispielsweise Gewerkschaften, Verbände oder die Standortgemeinde. Alle diese Akteure seien für die Entwicklung einer Firma relevant, weshalb es einen Minimalkonsens zwischen ihnen herzustellen gelte. Freeman machte damit auf die Notwendigkeit für eine Firma aufmerksam, ein soziales Gleichgewicht mit ihrer Umwelt herzustellen, und rückte gegenüber den firmeninternen Organisationsstrukturen allgemein soziale Faktoren in den Vordergrund. Der Stakeholder-Ansatz wurde in der ökonomischen Theorie und Praxis breit rezipiert. Einfluss hatte er insbesondere auf die Literatur in den Bereichen der Unternehmensstrategie. Er diente aber auch als theoretische Grundlage für die Behandlung von Fragen über die ethische und soziale Verantwortung von Unternehmen. Insgesamt ist der Stakeholder-Ansatz im Feld der «Koalitionstheorien» anzusiedeln, die ein Unternehmen als eine Koalition verschiedenster Interessengruppen auffassen. Koalitionstheorien fanden in den vergangenen beiden Jahrzehnten vermehrt auch Eingang in die unternehmenshistorische Forschung.25

Die beiden skizzierten Ansätze stammen aus unterschiedlichen Disziplinen. Sie haben allerdings mindestens zwei Punkte gemeinsam: Erstens legen sie den Fokus auf den Austausch eines Unternehmens mit seiner Umwelt, und zweitens interessieren sich beide für die an einem Unternehmen beteiligten Akteure und ihre Handlungsspielräume. Eine Unternehmensgeschichte, die von diesen Ansätzen ausgeht, interessiert sich also für Aushandlungsprozesse, die in einem sozialen Raum stattfinden, kurz: für die von den Unternehmern und mit einem Unternehmen verbundenen Gruppen betriebene «Mikropolitik».

Was bedeutet dies nun für unser Thema? Zunächst erscheint es mir wichtig, die Geschichte des Benziger Verlags aus verschiedenen Blickwinkeln und im Austausch mit seiner Umwelt zu untersuchen. Es ist beispielsweise kein Zufall, dass sich das Unternehmen gerade in Einsiedeln, einem religiösen Zentrum und Wallfahrtsort, entwickelte. Die Ausrichtung und die unternehmerische Strategie, ja überhaupt die Entwicklung des Unternehmens, waren stets eng mit dem Standort Einsiedeln verbunden. Die Wechselwirkungen zwischen Benziger und dem lokalen Umfeld gilt es deshalb ernst zu nehmen. Genauso lohnt es sich aber auch das Verhältnis des Unternehmens zu grösseren, sich international vollziehenden historischen Entwicklungen im Auge zu behalten. So prägten beispielsweise zahlreiche Innovationen im Bereich der Reproduktionstechnologie die Firma. Wann hat sie welche neuen Technologien übernommen? Hat sie allenfalls auch zu deren Weiterentwicklung aktiv beigetragen? Vor allem aber ist die Firmengeschichte im Kontext des allgemeinen religiösen Revivals im 19. Jahrhundert zu sehen. Der religiöse (Wieder-)Aufschwung – gerade auch des Katholizismus – hat erst den Nährboden für den Massenabsatz eines katholischen Medienunternehmens wie Benziger und zahlreicher weiterer in ganz Europa geschaffen. Dabei gilt es allerdings, die Handlungsspielräume der an dieser neuen Industrie beteiligten Akteure nicht zu vernachlässigen. Wie und entlang welcher Netzwerke wurde der Markt für katholische Waren geschaffen? Wie genau hat sich ein Unternehmen wie Benziger aktiv am religiösen Revival beteiligt?

Zweitens gilt es die Mehrfachidentitäten der Unternehmer als Unternehmer und Katholiken ernst zu nehmen. Es soll in dieser Arbeit nicht um die wirkmächtige These Max Webers beziehungsweise seiner Epigonen über die Unvereinbarkeit des Katholizismus mit dem Kapitalismus gehen, sondern vielmehr darum, zu untersuchen, was der Katholizismus, katholische Überzeugungen und nicht zuletzt das Verhalten von Kirchenvertretern konkret für die Verleger und ihr Unternehmen bedeuteten. Wie stellte sich das Unternehmen beispielsweise zur im 19. Jahrhundert zunehmend dominierenden ultramontanen Richtung? Ich gehe davon aus, dass die katholische Kirche beziehungsweise ihre Exponenten auf unterschiedlichen Stufen der Hierarchie ein Interesse am Erfolg eines katholischen Medienhauses wie Benziger hatten, sich also als Stakeholder des Unternehmens verstehen lassen. Es stellt sich somit die Frage, welche katholischen Individuen und Gruppen in welcher Form an der Firma beteiligt waren, wie sich das Verhältnis über die Zeit entwickelte und wo es allenfalls auch Zielkonflikte gab. Gerade die Frage nach den Zielkonflikten erscheint mir ergiebig, zumal ein katholisches Verlagshaus in stärkerem Masse als etwa ein in der Textil- oder Maschinenindustrie tätiges Unternehmen ideologisch diffizile Produkte – Gebetbücher, Zeitschriften und religiöse Bilder – herstellte, deren Inhalte von verschiedenen Interessengruppen begleitet und allenfalls auch kritisiert wurden. Die Geschichte des Benziger Verlags lässt sich also in Anlehnung an Berghoff als eine «Unternehmensgeschichte als Religionsgeschichte» erzählen oder genauer: als eine Geschichte des Katholizismus in der Moderne.

Quellen und Literatur zum Benziger Verlag
Quellen

Die Arbeit stützt sich hauptsächlich auf das umfangreiche und bislang noch kaum bearbeitete Material im Nachlassarchiv des Verlags in Einsiedeln. Das Nachlassarchiv wurde nach der Übernahme des Benziger Verlags durch die Patmos Verlagsgruppe 1994 und der Schliessung der grafischen Betriebe in Einsiedeln 2003 in die Stiftung Kulturerbe Einsiedeln überführt und ist seit 2010 öffentlich zugänglich.26 Es umfasst rund 500 Laufmeter mit Buch- und Bildpublikationen des Verlags vom frühen 19. bis ins späte 20. Jahrhundert, zahlreiche Druckplatten, Lithographiesteine, Klischee-, Farb- und Musterbücher sowie rund 200 Laufmeter Akten und weitere Materialien zur Firmengeschichte, darunter Kataloge, Rechnungsbücher, Verwaltungsratsprotokolle und Hunderte von Kopierbüchern mit Korrespondenz zwischen dem Mutterhaus in Einsiedeln und den Filialen, zwischen dem Verlag und Lieferanten, Kunden, Autoren, Künstlern und weiteren Personen. Seit den späten 1990er-Jahren wurde das Archiv zudem mit Material zur Geschichte der Verlegerfamilie Benziger und weiteren am Verlag beteiligten Familien geäufnet, das sich noch bei den Nachkommen befand und auch einen stärker sozialhistorisch orientierten Blick auf die Verlagsgeschichte ermöglicht.

Der Archivbestand ist weitgehend erschlossen, wenn auch auf einer sehr summarischen Ebene. Für diese Arbeit wurden die Bestände für den Zeitraum bis etwa 1920 systematisch gesichtet und daraus ein vielfältiger Quellenkorpus zusammengestellt. Besondere Berücksichtigung fanden die zahlreichen überlieferten Kataloge (ab 1800), die einen guten Überblick über die Produktion geben, die Korrespondenz mit Künstlern und Autoren (ab dem Generationenwechsel 1860 zunehmend systematisch), die Kopierbücher mit der ausgehenden Korrespondenz in die amerikanischen Filialen (1862–1897) sowie die Protokolle des Verwaltungsrats (ab 1897). Es hat sich gezeigt, dass die Zeit bis etwa 1850 nur sehr lückenhaft dokumentiert ist. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts steigt die Materialdichte – analog zur Expansion des Unternehmens – sprunghaft an, was insbesondere mit der Modernisierung und der Professionalisierung der firmeninternen Verwaltungsstrukturen zusammenhängen dürfte. Die Darstellung der Zeit nach 1920 stützt sich weitestgehend auf Sekundärliteratur, Zeitungsartikel sowie Fest- und Jubiläumsschriften; für diesen Zeitraum wurde Material aus dem Nachlassarchiv nur punktuell hinzugezogen.

 

Das Material aus dem Nachlassarchiv wurde ergänzt mit Quellen aus weiteren Archiven: so etwa dem Klosterarchiv Einsiedeln und dem Bezirksarchiv Einsiedeln. Im Staatsarchiv Schwyz wurde unter anderem der Nachlass von Direktor Oskar Bettschart (1882–1960) konsultiert, in dem sich vereinzelt auch Quellenmaterial aus der Zeit vor 1850 befindet; im Staatsarchiv Nidwalden die Briefsammlung von Kunstmaler Melchior Paul von Deschwanden (1811–1881); in der Sondersammlung der Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern ein Briefnachlass von Nikolaus Benziger (1830–1908); im Literaturarchiv in Bern ein Teilnachlass des Verlags für die Zeit ab 1948.27 Insgesamt wenig ergiebig waren die Recherchen im Vatikanischen Geheimarchiv, wo sich nur vereinzelte, für unser Thema wenig gehaltvolle Quellen finden liessen.28 Hinzugezogen wurden indes zahlreiche Nekrologe von Mitgliedern der Verlegerfamilie Benziger, die zwischen 1864 und 1972 in verschiedenen Zeitungen erschienen.29

Literatur

Es gibt bislang keine umfangreichere Untersuchung zum Benziger Verlag, die wissenschaftlichen Kriterien entspricht und mehr als einen einzelnen Aspekt der Verlagsgeschichte im Blick hat. In der religions- und kirchenhistorischen, der volkskundlichen Literatur sowie in der Buchgeschichte fristete der Benziger Verlag bislang eine Art Fussnotenexistenz. Man hat, sich in der Regel auf ältere Jubiläumsschriften beziehend, immer wieder auf den Verlag und seine Bedeutung verwiesen, ohne allerdings länger bei seiner Geschichte zu verweilen.30 In der lokal- und regionalhistorischen Forschung ist der Benziger Verlag etwas ausführlicher thematisiert worden. Bereits Odilo Ringholz verfasste für seine 1896 erschienene Einsiedler Wallfahrtsgeschichte einen kurzen Abriss der Firmengeschichte.31 Auch in der jüngeren Vergangenheit wurde die ehemalige wirtschaftliche, soziale und kulturelle Bedeutung des Verlags in mehreren Publikationen hervorgehoben, beispielsweise in verschiedenen Beiträgen der Schwyzer Kantonsgeschichte von 2012;32 2010 war die Verlagsgeschichte auch Thema einer Ausstellung in Einsiedeln zum populären Zeitgeschmack um 1900, die vor allem die Produktion religiösen «Kitschs» thematisierte;33 2003 erschienen in der Reihe «Die Kunstdenkmäler der Schweiz» zwei Bände über das Kloster und das Dorf Einsiedeln, in denen die beiden Autoren Werner Oechslin und Anja Buschow der Firma Benziger viel Raum zugestehen. Neben dem Einfluss von Benziger auf die bauliche Entwicklung Einsiedelns thematisieren sie in anregender Weise auch kulturhistorische Aspekte der Verlagsgeschichte, die weit über das Lokale hinausreichen.34

Daneben bestehen einige Untersuchungen zu einzelnen Aspekten der Verlagsgeschichte: Ursula Brunold-Bigler widmete in einer 1982 erschienenen Studie über religiöse Volkskalender in der Schweiz dem «Einsiedler Kalender» von Benziger mehrere Seiten; Elisabeth Joris thematisiert in ihrer 2011 erschienenen Doppelbiografie von Josephine Stadlin und Emilie Paravicini-Blumer auf einigen Seiten die Schulpolitik, welche die Gebrüder Benziger in den 1840er-Jahren in Einsiedeln betrieben;35 Matthias Christen gibt in einem 2010 erschienenen Buch über fotografische Totengedenken in der Zentralschweiz einige Hinweise auf die Produktion von Totenbildern bei Benziger, wobei er sich teils auf Quellenmaterial aus dem Nachlassarchiv stützt;36 2001 verfasste Dominik Feusi eine Lizenziatsarbeit zur Konfessionalisierung im Kanton Schwyz am Beispiel der politischen Tätigkeit von Josef Karl B.-Meyer (1799–1873); Daniel Meienberg schrieb 2009 eine sozialhistorisch orientierte Lizenziatsarbeit zum Arbeiterstreik bei Benziger im Jahr 1900; 1999 und 2004 erschienen in Chicago zwei kunsthistorisch orientierte Aufsätze von Rachel Bean beziehungsweise Saul Zalesch zur von Benziger um 1900 in den USA produzierten und vertriebenen religiösen Kunst.37

Den narrativen Rahmen bezüglich der allgemeinen Verlagsgeschichte bilden in den genannten Arbeiten in der Regel ältere Jubiläumsschriften sowie Familiengeschichten. Vor allem zu nennen ist eine 1923 von Carl Josef B.-Berling (1877–1951) für die noch deutsch lesende Verwandtschaft in den USA verfasste Familiengeschichte, die umfangreiche Porträts und eine insgesamt ziemlich ausgewogene Darstellung der Verlagsgeschichte für die Zeit bis etwa 1900 enthält. Diese Arbeit ist bis heute die wichtigste Referenz zur Verlagsgeschichte des 19. Jahrhunderts geblieben. Carl Josef B.-Berling, Sohn des letzten Verlagsdirektors aus der Gründerfamilie, Historiker und während Jahrzehnten in der eidgenössischen Diplomatie tätig, verfasste zuvor bereits ein Werk über die Geschichte des Buchgewerbes im Kloster Einsiedeln, worin er auch auf die Anfänge des Benziger Verlags zu sprechen kommt. 1971 erschien das Buch «Beiträge zur Geschichte der Benziger von Einsiedeln und der ersten Buchdruckereien im Dorfe» von Bruno Lienhardt-Schnyder, der mit der Familie Benziger verwandtschaftlich verbunden war. Das Buch stützt sich teils auf die Familiengeschichte von 1923, teils auf eigenes Quellenstudium.38 Zu Adelrich Benziger (1864–1942), dem späteren Erzbischof Alois Maria Benziger in Indien, gibt es zwei Biografien aus den Jahren 1944 und 1977;39 zu seinem Bruder August Benziger (1867–1955), einem erfolgreichen Porträtmaler, erschienen 1922 und 1958 ebenfalls zwei Biografien.40 Die Biografien der beiden Brüder enthalten, in der Regel anekdotisch gehaltene, Informationen über das familiäre und geschäftliche Milieu, in das sie hineingeboren wurden. Zu erwähnen sind insbesondere auch mehrere Schriften anlässlich von Firmenjubiläen.41 Auch erschienen zu den Direktoren Oskar Bettschart-Spörri (1882–1960), seinem Sohn Oscar Bettschart-Fahrländer (1921–1990) sowie Gustav Keckeis-Barth (1884–1967), welche die Geschicke des Verlags im 20. Jahrhundert massgeblich prägten, zwischen 1951 und 1990 mehrere, teilweise gehaltvolle Festschriften und Nachrufe.

Zusammen mit weiteren kleineren Schriften, familienhistorischen und familieninternen Arbeiten ergibt sich das Bild einer insgesamt äusserst disparaten, aber auch reichhaltigen Literatur zum Thema. Alle Texte zusammengenommen bilden ein vielstimmiges und differenziertes Mosaik der Verlagsgeschichte von seinen Anfängen bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese Arbeit stützt sich auf die genannte familien- und unternehmensnahe Literatur, geht in vielerlei Hinsicht aber darüber hinaus. Revisionsbedürftig ist insbesondere das eindimensionale Fortschrittsnarrativ, das in diesen Texten konstruiert wird. Es ist – insbesondere für das 19. Jahrhundert – weitestgehend die Erzählung von Generationen von «grossen Männern», und ganz am Rande auch von deren Frauen und Töchtern: Im abgeschiedenen Hochtal von Einsiedeln bauen sie durch schiere Tatkraft und gestützt durch ihren unerschütterlichen Glauben ein Unternehmen auf, das sie wie durch Vorsehung steuern und auch durch harte Arbeit von Generation zu Generation weiter ausdehnen. Die Umwelt des Unternehmens und der grössere historische Kontext werden dabei weitgehend ausgeblendet. Es ist indes nicht mein Anspruch, mit dieser Arbeit ältere Erzählungen der Verlagsgeschichte aufzuheben oder zu ersetzen. Doch soll der Blick auf das Thema geweitet, einige Lücken geschlossen, neue Schwerpunkte gesetzt und Fragen gestellt, die Verlagsgeschichte in gewisser Weise also vergegenwärtigt werden.

Gliederung und Vorbemerkungen

Das Buch ist in sechs thematische Hauptkapitel gegliedert, die sich nach einer groben Chronologie richten. Das Kapitel «Wallfahrt und Wirtschaft» fragt nach der Entstehung des Unternehmens im 18. Jahrhundert, seiner weiteren Entwicklung im 19. Jahrhundert und nach den Wechselbeziehungen zum lokalen Umfeld in Einsiedeln bis etwa 1900. Das Kapitel «Expansion» fragt nach der internationalen Umwelt der Firma und nach den Bedingungen und Konsequenzen der Errichtung überseeischer Filialen. Das Kapitel «Ware für den katholischen Markt» gibt nach einer generellen Einführung zur Funktion religiöser Medien in der Moderne eine Übersicht über die wichtigsten Medientypen des Verlags im 19. Jahrhundert – Gebetbücher, Andachtsbilder, Periodika und Belletristik – und fragt nach den Produktions- und Distributionsprozessen dieser Medien sowie den daran beteiligten Akteuren. Das Kapitel «Filialen der Kanzel?» stellt die Firma Benziger in einen internationalen Kontext, wagt eine Topografie des katholischen Verlagswesens in der Schweiz, in Deutschland, Frankreich und Belgien und schlägt eine grobe Periodisierung des katholischen Verlagswesens im 19. Jahrhundert vor. Das Kapitel «Innenansichten» versucht eine soziale und politische Verortung der Verlegerfamilie und fragt nach der firmenspezifischen Unternehmenskultur. Das Kapitel «Kontinuitäten und Zäsuren im 20. Jahrhundert» schliesslich behandelt in summarischer Weise die Verlagsgeschichte von rund 1920 bis etwa 1970 und thematisiert in der gebotenen Kürze auch das eigentlich ausserhalb der gewählten Untersuchungsperiode liegende Ende des Benziger Verlags als eigenständiges Unternehmen in den 1980er- und 1990er-Jahren.

Hinzu kommen zwei kommentierte Bildstrecken: Die Erste beinhaltet Beispiele aus der Verlagswerbung und der Produktion; sie stammen hauptsächlich aus der Zeit zwischen 1850 und 1920. Die zweite Bildstrecke enthält Fotografien aus der Verlagsgeschichte zwischen 1860 und 1989. Eine Auswahl von Tabellen und Kurzbiografien von für die Verlagsgeschichte massgeblichen Personen – Verleger, Direktoren, Verwaltungsräte, Autoren, Künstler, Experten – befindet sich im Anhang. Die Namen der Mitglieder der Familie Benziger werden in dieser Arbeit, um Verwechslungen zu vermeiden, mit doppeltem Nachnamen angeführt, wobei der Name «Benziger» abgekürzt wird (z.B. Adelrich B.-Koch). Das Unternehmen wird wahlweise als «Firma Benziger» oder «Benziger Verlag» bezeichnet. Eine Auflistung der juristisch korrekten und ab 1883 auch im Handelsamtsblatt eingetragenen Firmennamen findet sich im Anhang (Tab. 2, S. 371). Ebenfalls im Anhang zu finden, ist eine gesonderte Bibliografie mit der zusammengetragenen Literatur zu katholischen Verlagen und Verlegern.