Aufstand in Berlin

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Der Mann war wie ein Fels. Ein hochgewachsener schwerer Mann. Übergewichtig, optimistisch und selbstbewusst. Meistens wirkte er unerschütterlich. Eine Eigenschaft, die für einen Aufsichtsratsvorsitzenden sehr wichtig war. Obwohl sein Kinn angriffslustig hervorstach, wusste Singer nur zu gut, dass es ein Glaskinn war. Er hatte ihn schon öfter zögerlich und schwach erlebt. Schweißperlen glitzerten dann auf seiner Stirn, sein Atem ging schwer, er lief rot an und seine Stimme lag einige Tonlagen höher. Aber auf den ersten Blick wirkte Manitu wie ein Mann, der jedes Schiff sicher in den Hafen bringen konnte. Er strahlte Kraft aus und die Aktionäre fühlten sich sicherer, seit er dabei war. Die gefurchte hohe Stirn suggerierte Gedankentiefe. Ein italienisches Gesicht, fand Singer. Helen hatte es mit Mussolini verglichen.

„Schön, dass wir uns mal außer der Reihe sehen können“, fing er an, nachdem die Sekretärin den Kaffee vor ihn auf den Tisch gestellt und das Zimmer verlassen hatte. Breitbeinig in dem Sessel sitzend, mit gefalteten Händen vor dem Bauch, schweifte sein Blick durch das Büro.

„Schön haben Sie es hier. Ich wollte, unsere Zentrale säße nicht in Frankfurt, sondern auch an so einem schönen Platz wie dem Gendarmenmarkt.“

„Ja. Den Singers gehörten hier schon vor dem Krieg etliche Grundstücke. Nach der Wende haben wir natürlich sofort unsere Ansprüche geltend gemacht.“

„Es ist ein riesiger Schatz, wenn man auf eine alte Tradition zurückgreifen kann. Der Name Singer ist so wertvoll wie die Namen Krupp, Siemens, Bosch und Mercedes. Ikonen deutschen Unternehmertums. Umso bedauerlicher die Entwicklung der letzten Zeit.“

„Wir hatten schon öfter mal Schwächephasen und sind dann noch stärker daraus hervorgegangen.“

„Wie geht es der Frau Gemahlin?“, fragte der Aufsichtsratsvorsitzende, ohne auf Eugen Singers Einwand einzugehen. Er lächelte dabei, was Anteilnahme ausdrücken konnte. Die Augen jedoch blieben kalt.

Auf dem deutschen Presseball hatte Manitu mehrmals mit Helen getanzt. Keine andere Frau war so oft von ihm aufgefordert worden. Singer fand damals, dass sie ein wenig zu eng miteinander tanzten. Helen hatte auf seine Bemerkung hin geantwortet, dass sie auch nichts dafür könne, dass der gute Breitschmidt so ein „Ranschmeißer“ wäre. Aber er war nicht eifersüchtig gewesen. Nicht wirklich. Schließlich war es nicht schlecht, wenn der Große Manitu ein wenig scharf auf seine Frau war.

„Sie können sich denken, wieso ich zu Ihnen gekommen bin!“, kam Manitu auf den eigentlichen Grund seines Besuches zu sprechen. Das Lächeln war verschwunden, und die Stimme wurde hart und kalt. Singer nickte gelassen und lächelte freundlich, und der Aufsichtsrat lief rot an.

„So geht das wirklich nicht mehr weiter, Singer!“ polterte er nun los. Die Hände vor dem Bauch hatten sich gelöst und die Rechte fiel schwer auf den Tisch.

„Am Ende des Jahres droht ein Desaster. Dauernd melden sich die Aktionäre bei der Bank und fragen, ob sie die Aktien noch halten sollen und Philadelphia Steel nutzt dies kräftig aus. Wenn die so weitermachen, schlucken die eines Tages die Singerwerke und das zu einem Spottpreis.“

Er starrte Singer anklagend an.

„Wir kommen da wieder raus. In diesem Quartal könnte es schon wieder besser aussehen“, erwiderte Singer ruhig. Es klang nicht einmal nach einer Entschuldigung.

„Sie machen sich etwas vor, Singer! Es ist kein Konjunkturproblem. Das habe ich Ihnen schon letztes Jahr nach der Bilanzpressekonferenz gesagt.“

Breitschmidt stand auf, ging ans Fenster und sah hinunter auf den Gendarmenmarkt. Aber Singer wusste, dass Manitu nicht dessen Schönheit bewunderte. Es war die Ruhe vor dem Sturm. Eine dramatische Pause, um ihm Angst einzujagen.

Der Aufsichtsratsvorsitzende drehte sich langsam um und musterte Singer finster.

„Sie haben Fehler gemacht. Sie haben versäumt, Restrukturierungsmaßnahmen einzuleiten.“

„Sie meinen, ich sollte Entlassungen vornehmen“, übersetzte Singer dessen Worte.

„Jawohl. Alle tun es. Alle specken ab und verlegen die Produktionsstandorte nach Übersee. Wenn wir Deutschland wieder voranbringen wollen, dann sind solche Maßnahmen unumgänglich. Natürlich ist es betrüblich für die Menschen. Keine Frage. Aber sagen wir es deutlich: Deutschland ist nur noch als Ingenieurs– und Konstruktionsbüro wettbewerbsfähig. Die Globalisierung verlangt von uns, dass wir uns weltweit etablieren und da produzieren, wo wir dies zu wettbewerbsfähigen Preisen können.“

Da war es wieder. Globalisierung. Die Lieblingsentschuldigung ratloser Industrieführer. Und als einzige Medizin fiel ihnen ein mitzuspielen und die Produktionsstandorte nach Thailand, Indien oder China zu verlegen, Arbeitsplätze also dorthin zu verschieben, wo man den Profit maximieren konnte.

„Es wird ernst, sehr ernst, Singer. Forsten Sie den Laden durch, schmeißen Sie die raus, die nicht spuren und die zu alt sind. Machen Sie die Singerwerke jung und schlank und kümmern Sie sich um strategische Partnerschaften im Ausland oder, noch besser, um Produktionsstandorte in Lohnniedrig–preisländern. Wir sind uns im Aufsichtsrat einig, dass nun gehandelt werden muss!“

Soweit waren sie also schon, dachte Singer. Es geht um meinen Kopf. Bei früheren, viel geringfügigeren Vorwürfen war er nervös geworden. Heute war er so gelassen, als erzählte ihm Breitschmidt seine Krankheitsgeschichte.

„Michael Singer, unser Hauptaktionär, stimmt mit mir überein, dass wir den Produktionsstandort Deutschland erhalten wollen. Wir sind ein deutsches Unternehmen mit Schwerpunkt in diesem Land. Und wir sind stolz darauf, dass wir nie entlassen haben, selbst wenn es einmal kriselte.“

„Ach, Singer, kapieren Sie es doch endlich! Es geht ums Eingemachte. Wenn die Aktie nicht steigt, übernimmt uns Philadelphia Steel für ’n Appel und ‘n Ei.“

„Noch haben die Singers die Aktienmehrheit. Wir werden nicht verkaufen.“

„Da seien Sie sich mal nicht so sicher. Thomas Singer war bei mir und wollte meinen Rat. Er überlegt schon nicht mehr, ob er verkauft, sondern nur noch wann er verkauft. Ich habe ihn beruhigt, dass er dies erst einmal zurückstellen soll.“

„Bis die Aktie gestiegen ist?“

„Natürlich. Man gibt ein Juwel wie die Singerwerke nicht für einen Bettel weg.“

Breitschmidt ging es nicht um den Erhalt der Singerwerke, sondern nur darum, dass vor allem seine Bank, die ein gehöriges Aktienpaket hielt, ein besseres Geschäft machte. So einfach war das.

„Wir haben unser Personal bereits durch natürlichen Abgang reduziert. Wir kommen auch in Deutschland durch. Ich bin nicht dazu bereit, das Lebenswerk von Generationen wegzuwerfen, nur weil die Aktionäre die Nerven verlieren.“

„Mann, Singer, alle tun es.“

„Ich bin nicht bereit das zu tun, was meine verantwortungslosen Kollegen in anderen Unternehmen tun. Es ist natürlich der einfachste Weg, nur noch in Billiglohnländern zu produzieren. Wir Singers denken nicht an einen kurzfristigen Vorteil. Es gibt genug Beispiele, dass es auch anders geht. Was soll aus diesem Land werden, wenn wir es so herunterwirtschaften, dass keine Arbeitsplätze mehr da sind. Unsere Menschen können nicht alle Konstrukteure, Ingenieure oder Wissenschaftler werden. Wir brauchen die Basis. Mit dieser Wirtschaftspolitik nehmen wir, für einen kurzfristigen Vorteil, unseren Kindern die Zukunft.“

„Hat man so etwas schon gehört? Mann, Singer, so einen Scheiß hört man nur von linken Sozis!“

Erregt ging Breitschmidt vor seinem Schreibtisch auf und ab. Er schüttelte dabei den Kopf und schnaufte, als bekäme er keine Luft.

„Ich sollte Sie auf der Stelle abberufen. Weiß Ihr Schwiegervater eigentlich, wie Sie denken? Was glauben Sie, was der sagen würde, wenn er Sie eben gehört hätte.“

„Wahrscheinlich hätte er das Gleiche gesagt wie Sie.“

„Na also! Alle entlassen, schneiden das überflüssige Fett ab. Wir haben nicht mehr die Wirtschaftswunderjahre, nicht einmal die Neunziger. Nur wenn wir …“

„Wenn wir uns dem ungehemmten Kapitalismus hingeben, werden wir die Gewinne maximieren können. Dabei waren die Gewinne der Industrieunternehmen nie höher.“

Breitschmidt blieb mit offenem Mund stehen.

„Aber nicht bei uns. Da gab es schon bessere Zeiten. Sagen Sie mal, ist mit Ihnen etwas passiert? Vielleicht sollten Sie mal eine Kur nehmen. Ungehemmter Kapitalismus, so etwas habe ich bisher nur von den Schmierfinken im Spiegel gelesen. Haben Sie den Unfug daher?“

„Es gibt noch ein paar Blätter, die sich trauen ihre Meinung zu sagen. Zugegeben, es werden immer weniger. Wer schwimmt schon gern gegen den Strom?“

„Mit Ihnen ist nicht zu reden. Also, Klartext: Sie legen mir bis Ende November einen Restrukturierungsplan vor oder ich werde Ihren Rücktritt erzwingen. Und hören Sie auf, so unqualifiziert daher zu reden. Ich werde über unser Gespräch Stillschweigen bewahren. Denn wenn der Inhalt publik würde, Ihre Tirade über ungebremsten Kapitalismus und Zukunft der Kinder, verlieren Sie Ihre letzte Reputation und die Aktienkurse stürzen ins Bodenlose.“

„Sie werden mich nicht so ohne weiteres los! Ich werde kämpfen!“, trotzte Singer, obwohl er nicht einmal sicher war, ob er dies wirklich noch wollte.

„Sie glauben, dass Michael Singer Sie weiterhin unterstützen wird? Dass Sie sich da mal nicht täuschen. Wenn ich Ihre Entlassung zur Bedingung mache, weil sonst der gesamte Aufsichtsrat zurücktritt, möchte ich mal sehen, ob er nicht weich wird. Aber, Sie können es sich ja noch überlegen. Noch haben Sie Zeit, das Steuer herumzureißen.“

Er trat an den Schreibtisch und setzte sich wieder und breitete die Arme aus und fuhr in versöhnlichem Ton fort: „Mann, Singer, verpfuschen Sie sich nicht Ihre Karriere. Schließlich waren Sie vor fünf Jahren einmal Wirtschaftsführer des Jahres. Ich mag Sie. Ich habe mich immer für Sie stark gemacht. Was soll dieser sozialistische Quatsch? Noch nie habe ich in einer Vorstandsetage derartiges gehört. Nehmen Sie doch Vernunft an. Die besten Namen in Deutschland handeln so.“

 

„Aber nicht alle. BMW zum Beispiel, um nur einen Namen herauszugreifen, entlässt keine Leute.“

„Aber produziert auch schon in den USA. Auch die werden hier noch abspecken. Das ist nur eine Frage der Zeit. Niemand tut das gern. Aber es muss sein, und Sie werden es auch tun, wenn Sie vernünftig sind. Es ehrt Sie, dass Sie

Skrupel haben, aber als Unternehmensführer wird man dafür bezahlt, und gut bezahlt, wie ich weiß, dass man Gewinne macht. Das allein zählt.“

„Das allein zählt nicht. Wir müssen auch an die Zukunft denken, an die Erhaltung des betrieblichen Friedens, an das Wohl der Mitarbeiter, an die Zukunft der Kinder. Auch sie sollen Arbeitsplätze hier in Deutschland vorfinden. Wo arbeiten eigentlich Ihre Söhne?“

„Was tut das zur Sache?“

„Wo arbeiten sie?“

„In London“, gab Breitschmidt unwillig zu und lief wieder rot an. „Genug mit dem Gerede! Sie legen mir bis November vor, wie viele Sie entlassen können und welche Pläne die Singerwerke in Übersee haben …..“ Er schwieg, schnaufte und starrte ihn wütend an.

Er glaubt wirklich, dass ich nachgeben werde, dachte Singer. Nun, Mühe hat er sich gegeben, mich unter Druck zu setzen. Es ist gar nicht so lange her, da hätte ich jetzt kapituliert. Ihm wurde in diesem Augenblick, in der Konfrontation mit Breitschmidt, bewusst, was aus ihm geworden war. Obwohl zur Unzeit, erinnerte er sich wieder an die Demonstration vor dem Schöneberger Rathaus, als ihn der Wasserwerfer traf. Damals glaubten sie wirklich, die Guten zu sein und selbst später, als ihm klar wurde, wie sehr sie manipuliert worden waren, blieb die Überzeugung, dass die Achtundsechziger Deutschland zum Positiven verändert hatten. Ihn schauderte, wenn er an die muffige Atmosphäre Ende der Fünfziger dachte, an das immer noch wirkende Gift der braunen Epoche in den Köpfen der Menschen. Aber den Kompass hatte er nach dem Studium aus den Augen verloren und Karriere gemacht, was mit seinem Namen und Hintergrund nicht schwer gewesen war. Verdammt leicht hast du es gehabt und nun bist du zum ersten Mal mit der Wirklichkeit konfrontiert und musst dich entscheiden, dachte er und stellte fest, dass er ihr nicht ausweichen konnte.

„Sie haben mich also verstanden? Fünfzigtausend sollten es wenigstens sein, die Sie freistellen. Und Sie werden sehen, wie die Aktie in die Höhe schießt!“, hörte er Manitu schwer atmend sagen.

Singer fürchtete, Entscheidendes verpasst zu haben und ärgerte sich über sich selbst. Auch diese Unkonzentriertheit wäre ihm früher nie passiert.

„Übrigens, kann Ihnen Ihr Schwiegervater nicht bei der Suche nach den richtigen Produktionsstandorten helfen?“

Manitu beugte sich über Singers Schreibtisch und seine Stimme wurde nun beschwörend und kollegial.

„Der Konsul. Er hat doch Beziehungen in der ganzen Welt. Damals, bei dem Riesenauftrag der amerikanischen Automobilindustrie, hat er Ihnen doch auch geholfen. Ich mag Sie, Singer. Sie und Ihre liebe Frau. Ich erinnere mich noch gern an unser letztes Beisammensein. Es war ein zauberhafter Abend. Sollten wir mal bei mir wiederholen. Ich würde es menschlich sehr bedauern, wenn wir zueinander in Konfrontation stünden.“

Nun versucht er es auf die sanfte Tour, dachte Singer. Was ist er doch für ein Scheißkerl und du bist auf dem besten Weg so zu werden wie er.

„Ich glaube nicht, dass er mir helfen wird.“

Manitus Gesicht zeigte Betroffenheit. „Warum nicht?“

Singer hatte nicht vor ihm zu erzählen, wie demütigend es war, auf die Unterstützung von Helens Vater angewiesen zu sein, und dass dies ein Streitpunkt zwischen ihm und Helen war. Deshalb erzählte er Breitschmidt, dass er in letzter Zeit nicht sehr gut mit seinem Schwiegervater zurechtkäme, und das war ja auch nicht so falsch.

„Singer, mit einem Mann wie dem Konsul verdirbt man es sich doch nicht!“ rief Breitschmidt erschrocken. „Ihr Schwiegervater ist wichtig für Sie, für die Singerwerke, für uns alle!“

Die Art und Weise, wie er reagierte, ließ erkennen, dass er fest damit gerechnet hatte, dass sein Schwiegervater ihn letztendlich überzeugen würde. Er muss selbst ganz schön unter Druck stehen, wenn er jede Unterstützung einkalkuliert, überlegte Singer. Ich habe Manitu im Nacken und Manitu seinen Bankenaufsichtsrat, der sich mit besseren Kursen der Singerwerke ein gutes Geschäft erhofft. So funktionierte das System.

„Nun, es ist Ihr Problem, wenn Sie Ihre Beziehungen nicht nutzen!“, sagte Breitschmidt kalt. „Aber Sie werden mir den Restrukturierungsplan präsentieren. Wenigstens Fünfzig–tausend, daran werde ich Sie messen.“

„Nein!“, entgegnete Singer und richtete sich auf.

Manitu war einen Augenblick lang verblüfft. Die Faust auf dem Schreibtisch öffnete sich und schloss sich wie unter Krämpfen. „Was soll das heißen? Was sagen Sie da?“

„Nein. So lange ich Vorsitzender bin, wird sich die Mitarbeiterzahl der Singerwerke nur durch natürliche Abgänge verringern.“

Einen Augenblick war es still. Im Nebenzimmer waren die Schritte seiner Sekretärin zu hören. Durch das offene Fenster kamen die Geräusche der vorbeifahrenden Lastwagen und Busse. Es war die Zeit, wo die Wirte die Schirme aufspannten und die Stühle vor ihre Lokale stellten.

Manitu keuchte asthmatisch. „Ich habe mich wohl verhört? Es geht um Ihren Kopf, Singer!“

„Ich werde nicht durch hektische Entlassungen wertvolles Wissen, Erfahrung und Können wegwerfen, nur damit die Kurse wieder in die Höhe gehen.“

„Sie sind undankbar!“, änderte Manitu seine Taktik. „Ich habe Sie vor den Angriffen im Aufsichtsrat immer in Schutz genommen. Ich habe denen immer wieder gesagt, dass ein Singer mit dem Konsul im Hintergrund über Kontakte verfügt wie kaum ein anderer Vorstandsvorsitzender. Deswegen haben Sie noch einmal eine Chance bekommen und Ihnen wird nicht gleich der Stuhl vor die Tür gestellt. Sie verhalten sich unkooperativ.“

„Sie werden mich nicht los, so lange die Aktienmehrheit mich schützt“, unterbrach ihn Singer lächelnd.

Das Gespräch war gekippt. Beide wussten dies. Singer war nun im Vorteil, weil er sich durch Manitus schärfste Waffe, nämlich ihn zu feuern, nicht hatte einschüchtern lassen.

„Singer, Singer!“, brummte Manitu bitter. „Sie machen es mir wirklich schwer. Es scheint Sie geradezu kalt zu lassen, dass Sie Ihren Sessel verlieren.“

„Noch sind wir nicht soweit. Aber es stimmt. Es geht mir nicht darum, ihn um jeden Preis zu halten. Ich mache mir nicht die Hände schmutzig.“

Singer war selbst verwundert, zu welchem Ergebnis das Gespräch geführt hatte und Breitschmidts Reaktion ließ erkennen, dass auch er darüber unglücklich war.

„Es tut mir leid um Sie, um Ihre Frau!“ sagte der Aufsichtsratsvorsitzende zögernd, als überlege er, wie er Singer doch noch beikommen könne und was er falsch gemacht hatte, dass Singer so gänzlich die Spielregeln missachtete. Fast klagend fuhr er fort: „Alle tun es. Nennen Sie mir einen großen Konzern, der heute nicht abspecken muss. So etwas wie Sie habe ich noch nicht erlebt!“

Nach diesem Ausruf stutzte Breitschmidt und in seine Augen trat ein ungläubiger fast ängstlicher Ausdruck.

„Sie wollen wohl, dass wir auf Sie verzichten? Natürlich, Sie haben ein anderes Angebot, nicht wahr? Das ist nicht ehrlich, Singer. Das habe ich nicht verdient. Wo wir uns so gut kennen. Auch von Haus zu Haus. Hat Ihr Schwiegervater vor, Sie in seinem Konzern an die Spitze zu stellen? Es wird ja schon seit geraumer Zeit gemunkelt, dass er sein Haus bestellen will.“

Natürlich musste der Aufsichtsratsvorsitzende so denken. Nur bei einem besseren Angebot war Singers Verhalten für ihn verständlich.

„Nein!“, widersprach Singer ruhig.

„Nein? Was heißt das?“

„Ein Singer verlässt den Singerkonzern nicht ohne weiteres. Sie müssen mich schon aus dem Sessel kippen.“

Singer fand selbst, dass dies ein wenig zu theatralisch klang, zumal er festgestellt hatte, dass die Drohungen ihn nicht ängstigten, dass der Verlust des Chefsessels der Singerwerke keine Panik bei ihm auslöste. Was ist nur los mit mir, fragte er sich. Erlebst du gerade das, was die Medien ein „Burn–out–Syndrom“ nennen. Ist diese Gleichgültigkeit in dir, weil du ausgebrannt bist?

Breitschmidt stand wieder schnaufend auf. Erregt fuhr er mit der Hand durch die Luft.

„Ach was, Sie sollten mal vierzehn Tage ausspannen. Auf jeden Fall bleibt es dabei. Ende November werden wir im Aufsichtsrat Ihre Vorschläge diskutieren. Überlegen Sie sich alles noch einmal in Ruhe. Sprechen Sie mit Ihrem Schwiegervater. Wenn Sie doch noch zur Vernunft kommen, werde ich das heutige Gespräch vergessen. Mehr kann ich nicht für Sie tun. Und ich tue es nur, weil ich Ihre Frau, Ihren Schwiegervater sehr schätze. Verpfuschen Sie nicht Ihr Leben. Sie benehmen sich ja wie ein Narr!“

Singer war ebenfalls aufgestanden. Breitschmidt nickte ihm noch einmal zu und stürmte aus dem Büro.

Die Kugler kam herein und ihre braunen Augen musterten ihn neugierig. „Was war denn los? Manitu war auf Hundertachtzig, als er rauslief.“

Mit einer automatischen Geste strich sie sich dabei das Haar zurück. Singer drückte ihr einige Akten in die Hand und ließ sich in den Ledersessel zurückfallen.

„Sie könnten vielleicht bald einen neuen Chef bekommen.“

„So schlimm?“, fragte sie ruhig. Sehr erstaunt schien sie nicht zu sein.

„Wir sollen abspecken!“, sagte er und schilderte ihr das Gespräch.

„Und Sie wollen sich dem wirklich verweigern?“

Ihre Augen verengten sich ungläubig. Sie griff in ihre Kostümjacke und holte ein Päckchen Zigaretten heraus. Singer gab ihr Feuer.

„Ja. Wir kommen auch ohne solche Radikalmaßnahmen durch. Natürlich werden die Aktienkurse eine Zeitlang im Keller bleiben.“

„Manitu wird dies nicht zulassen“, sagte sie und stieß den Rauch aus, wobei sie aufmerksam ihre Fingernägel betrachtete. „Ich weiß nicht, ob es so klug ist, den Michael Kohlhaas zu spielen.“

„Nein. Klug vielleicht nicht. Aber ich kann dann wenigstens noch gut schlafen.“

„Ich wusste immer, dass Sie kein Mann für harte Maßnahmen sind“, sagte sie offen und sah an ihm vorbei.

Das geht ja schnell, dachte Singer. Orientiert sie sich jetzt schon neu?

„Sie sind einfach ein zu netter Mann“, setzte sie schnell hinzu.

„Kein tolles Kompliment für einen Vorstand.“

„Nein“, gab sie zu. „Es ist auch kein Kompliment.“

„Na, dann wünsche ich Ihnen mit dem Mann für harte Maßnahmen viel Vergnügen, sollte er denn kommen.“

„Es wird kein Vergnügen sein. In meiner Position erwartet man das auch nicht. Ich werde auch mit einem Mann der Fakten zurechtkommen. Es wird schon gehen.“

„Sie werden prima zurechtkommen“, sagte er höhnisch, verletzt durch ihre offenen Worte.

„Oh ja. Vielleicht nicht prima, aber ich werde zurechtkommen.“

Auf ihren Wangen zeichneten sich rote Flecken ab.

„Passen Sie gut auf sich auf!“, warnte Singer.

„Ich habe sehr gern mit Ihnen zusammengearbeitet. Es gab einmal eine Zeit, da war ich sogar …“ Sie brach ab und sah ihn mit einem Blick an, wie er ihn von ihr nicht kannte, als erinnerte sie sich an etwas, was für sie eine Hoffnung gewesen war. „Ja. Sie haben es nicht einmal bemerkt. Es gab eine Zeit, da war ich sehr verliebt in Sie.“

Sie drückte die Zigarette in dem Aschenbecher aus, strich sich den Rock glatt und wollte hinauslaufen.

„Ich mag Sie doch auch. Habe ich das nicht immer erkennen lassen?“

„Ja. Sie mögen mich. Aber das ist auch alles“, sagte sie bitter und war wieder im Vorzimmer.

Singer brauchte einige Zeit, um dieses Geständnis zu verarbeiten. Er hatte nicht gewusst, wie ernst es ihr war, damals auf dem Betriebsfest. Er hatte geglaubt, dass er in beiderseitigem Interesse handelte, wenn er mit Schweigen darüber hinweg ging. Es ist immer ein Fehler, wenn man sich mit dem Personal einlässt. Das wusstest du, machte er sich Vorwürfe. Er war froh, dass er nicht mit ihr ins Bett gegangen war. Das wenigstens nicht. Aber andererseits schmerzte ihn ihre Enttäuschung. Aber nun konnte er sich nicht damit aufhalten. Er musste handeln.

 

„Können Sie mich mit meinem Onkel verbinden?“, sagte er in die Sprechanlage.

„Sofort!“, antwortete sie. Ihre Stimme klang kühl und professionell wie immer.

„Na, mein Junge, wo drückt der Schuh?“, hörte er die Stimme des alten Mannes. Für ihn würde er wohl immer ein Junge bleiben. Für einen fast Hundertjährigen waren alle unter siebzig junge Spunde.

„Weißt du es schon?“

„Was soll ich wissen? Ich weiß nur, wenn du am Montagmorgen noch vor dem Mittagessen anrufst, dann muss es bei dir brennen.“

Singer erzählte ihm von dem Gespräch und auch von Breitschmidts Andeutungen, dass Michael Singers Stiefsohn eventuell seine Aktien abstoßen wolle. Er hörte den alten Mann seufzen.

„Ja, mein Thomas. Was für eine Enttäuschung! Er hat mir gegenüber einmal so etwas angedeutet. Bei einer Übernahme durch Philadelphia Steel hofft er durch einen Aktientausch einen dicken Fisch zu fangen. Ich hatte geglaubt, dass ich ihm das ausgeredet habe. Die Kinder entwickeln sich nicht immer so wie man hofft. Ich werde aber noch einmal mit ihm reden. Die Singerwerke dürfen nicht verschwinden, und darauf läuft es hinaus, wenn wir von den Amerikanern übernommen werden.“

„Habe ich richtig gehandelt, als ich abschlug, Entlassungen vorzunehmen? Fünfzigtausend, das ist eine Kleinstadt, die ich freisetzen soll.“

„Natürlich hast du nicht richtig gehandelt …, aber in meinem Sinne. Als ich die Geschäfte von meinem Bruder übernahm, der, wie du weißt, mit den Nazis gekungelt hat, nahm ich mir vor, einiges gut zu machen. Unsere Politik war nach dem Krieg davon geprägt, unseren Mitarbeitern einen guten und sicheren Arbeitsplatz zu geben und wir haben ihre Schufterei an den Hochöfen gut bezahlt. Nein, du hast in meinem Sinn gehandelt. Aber ich weiß nicht, ob wir gewinnen werden. Thomas ist ein unsicherer Kandidat.“

„Ich werde nicht nachgeben.“

„Das ist gut. Sorge dich nicht. Mein Testament weist dich als meinen Haupterben aus.“

„Ich sorge mich nicht deswegen. Ich sorge mich, ob ich es schaffe, unsere Mitarbeiter vor den Hyänen zu schützen.“

„Du musst kämpfen“, hörte er den alten Mann sagen. Aber wie er es sagte, schien er von seinen kämpferischen Eigenschaften nicht viel zu halten.

„Ich werde mir Mühe geben“, versicherte Singer.

„Du wirst dir sehr viel Mühe geben müssen. Du hast es hier mit Menschen zu tun, die verdorben sind und denen nicht einmal bewusst ist, was sie tun.“

„Ich werde kämpfen!“, versicherte er noch einmal.

Als der Alte aufgelegt hatte, starrte Singer lange das Telefon an. Was für ein Tag, dachte er. Alles verändert sich.