Als die Oper mit Bier gelöscht wurde

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Kaiser, Kurfürsten und Hofnarren

1168 München-Gründer Heinrich der Löwe, 39, heiratet 12-jährige Engländerin

Man stelle sich vor: Ein 39-jähriger Spitzenpolitiker lässt sich scheiden, um ein 12-jähriges Mädchen zu heiraten. Für den München-Gründer Heinrich den Löwen war dies ganz normal: Zehn Jahre, nachdem der Welfenherzog München gegründet hatte, gab er seiner Clementia von Zähringen den Laufpass und ging mit der 12-jährigen Mathilde von England, Tochter des englischen Königs Heinrichs II., ins Bett. Im Dom zu Minden bekam er 1168 den kirchlichen Segen dazu.

Um 1129 wurde Heinrich am Bodensee als Welfenherzog geboren und schon als 13-jährigem wurde ihm 1142 Sachsen überschrieben, Bayern folgte 1156 und zur Zeit der München-Gründung war er neben dem Kaiser der mächtigste Mann im Deutschen Reich.

Auf Druck Kaiser Barbarossas trennte er sich von seiner Frau, um die 12-jährige Mathilde von England zu ehelichen: Damit verbanden sich die Welfen mit der Großmacht England. Machtpolitik durchs Ehebett war damals für die Männer ganz selbstverständlich und Barbarossa hielt durch diese Freundlichkeit lange Zeit seine schützende Hand über ihn und seine Eroberungspolitik, vor allem in Sachsen.

Erst als Heinrich 1176 dem Kaiser die Gefolgschaft in dessen Italienfeldzug versagte – aus Angst, in seiner Abwesenheit könnte man gegen ihn in Bayern putschen –, wurde über ihn die Reichsacht verhängt und ihm Sachsen und Bayern aberkannt. Jetzt war der Weg frei für die Wittelsbacher, denen Bayern zugesprochen wurde und die von nun an bis 1918 regierten. Heinrich der Löwe ging nach England ins Exil und kehrte erst 1194 nach Braunschweig zurück, wo er im Jahr darauf am 6. August 1195 starb und im dortigen Dom seine letzte Ruhestätte fand.


Der 39-jährige Heinrich der Löwe heiratet im Dom zu Minden die 12-jährige Mathilde von England

1261 Wurde Kaiser Ludwig von einem Affen entführt?

Eine der drei Stellen, von denen aus München vermutlich zuerst besiedelt wurde, ist das Gelände des Alten Hofs. Ausgrabungen ergaben, dass sich hier schon im 12. Jahrhundert Burganlagen befunden haben, die nach 1255 von Herzog Ludwig II. zur »Alten Veste«, der ersten Residenz der Wittelsbacher, ausgebaut wurde. Sein Sohn Kaiser Ludwig erweiterte sie und machte den Alten Hof zur ersten Kaiserresidenz in Deutschland, in der auch die Reichskleinodien aufbewahrt wurden.

Mit Kaiser Ludwig und dem Alten Hof untrennbar verbunden ist eine der lustigsten Legenden aus dem alten München, die bei jeder Fremdenführung mit Begeisterung erzählt wird: Sein Vater Herzog Ludwig hielt sich einen zahmen Affen, der im ganzen Hofstaat beliebt war und seine Späße treiben durfte. Wie er hieß, ist leider nicht überliefert, mündlich überliefert ist allerdings, dass er eines Tages den etwa 3-jährigen Ludwig aus seinem Bettchen holte, mit ihm aus dem Fenster kletterte und von dort auf den gotischen Erker am Burgstock stieg, der heute frisch renoviert jedem entgegenleuchtet.


Kaiser Ludwig, Kaisergrab in der Frauenkirche


Alter Hof mit Erker am Burgstock

Der Hofstaat war natürlich in heller Aufregung und warf sämtliche Betten und Matratzen aus den Fenstern und baute unterm Erker ein Auffanglager für den Fall, dass der spätere Kaiser herunterplumpst. Der Affe war aber nicht so dumm ihn fallen zu lassen, sondern kletterte mit seinem Spielkameraden wieder ins Haus zurück und war von nun an der Star in der Burg, so wie vor wenigen Jahren unser »Knut« oder »Flocke«.

Diese herrliche Viecherei hat nur einen Haken: Sicher ist, dass der Affe mit dem Kind irgendeinen Scherz getrieben haben muss, aber dass er den Erker mit dem Kleinen auf dem Arm hinaufgeklettert sein soll ... da widerspricht leider die historische Realität: Der Erker wurde nämlich erst 120 Jahre nach dem Tod des kleinen Ludwig erbaut!

1615 200 Frauen als Hexen lebendig verbrannt

»Ich rufe auf Befehl Gottes und so laut ich kann: Lasset die Hexen nicht leben! Mit Feuer und Schwert ist diese schlimmste menschliche Pest zu vertilgen!«, predigte der Jesuit Drexel 1615 von der Kanzel der gerade eingeweihten Michaelskirche. Dass durch Hexenprozesse auch Unschuldige bestraft werden könnten, ließ er ebenso wenig gelten wie den Einwand, dass trotz Jahrzehnten der Hexenverfolgung sich die Anzahl der Hexen nicht verringert hätte. Vielmehr war für ihn die Tatsache, dass die Obrigkeit »so viel tausend dieses höllischen Pöbels« hatte verbrennen lassen Beweis genug, »dass Hexen und Unholde tatsächlich existierten«. Der erste große Hexenprozess in München lief schon ein paar Jahre vorher, anno 1590: Unter Vorsitz des Stadtoberrichters Christoph Riemhofer wurden »vier Weibspersonen wegen Hexerei zum Feuertod« verurteilt: Anna und Brigitta Anbacher, Regina Lutz und Regina Pollinger. Sie hatten Geschlechtsverkehr mit dem Teufel und fuhren nachts durch die Lüfte über die Felder vor München aus und verwüsteten sie. Alle vier wurden gleichzeitig lebendig verbrannt. Um Hexen in München ausfindig zu machen, wurde Jörg Abriel, ein Henker und Hexenspezialist aus Schongau, eigens nach München geholt. Hexen erkannte man an ihren »Hexenmalen«, Muttermale, Leberflecke oder Hautabschürfungen. Wenn sie beim Hineinstechen mit einer Nadel nicht bluteten, war dies ein sicheres Zeichen für eine Hexe. Münchens große Hinrichtungsstätte lag genau an der Stelle des heutigen Bus-Bahnhofes Hackerbrücke. In der Regel wurden die Frauen an einen senkrechten Baumstamm gebunden und bei lebendigem Leibe verbrannt. Waren sie gebrechlich oder schon in hohem Alter, verkürzte der Henker die Hinrichtung, indem er sie am Baumstamm mit einer Zwinge vorher erdrosselte. Jungen Mädchen wurde als Gnadenerweis manchmal ein Säckchen Schwarzpulver an den Hals gebunden, das beim Höhersteigen der Flammen explodierte und den Hals zerriss, bevor der Körper verbrannte. Die zum Feuertod verurteilten Frauen und Mädchen mussten die Kosten für ihre Verbrennung selbst bezahlen: Der Henker bekam 40 Gulden, die nötigen fünf Klafter Holz kosteten 7 Gulden 30 Kreuzer, zwei Schober Stroh 4 Gulden und die 15 Pechkränze zum Anzünden je 30 Kreuzer. Nur wenn die »Hexe« mittellos war und keine Verwandtschaft dafür aufkommen konnte, bezahlte den Scheiterhaufen die Stadtkasse. Das letzte Hexenfeuer brannte in München 1721 für die Hofstallknechtstochter Dellinger, die erst erdrosselt und dann verbrannt wurde.


Nicht nur an die 200 Hexen wurden an der Münchner Hinrichtungsstätte lebendig verbrannt. Auf diesem Stich von 1670 wird ein Dieb verbrannt, der in einer Münchner Kirche einen Opferstock ausgeräumt hatte.


Der Jesuit Jeremias Drexel fordert auf den Befehl Gottes von der Kanzel der Michaelskirche die gnadenlose Jagd und Verbrennung aller Hexen in München.


Ankunft des Schwedenkönigs beim heutigen Gasteig

1632 Schwedenkönig wollte die Residenz nach Stockholm rollen

Seit seiner Ankunft in Deutschland am 6. Juli 1630 war der Schwedenkönig Gustav Adolf II. ungeschlagen auf dem Vormarsch: Am 15. April 1632 besiegte er das bayerische Heer bei Rain am Lech, wobei Graf Tilly tödlich verwundet wurde, einer der beiden Feldherren, nach denen die Feldherrnhalle am Odeonsplatz benannt ist und der als grimmiges Denkmal auf der Residenz-Seite steht. Am 16. Mai waren die ersten Truppen in München, am Tag darauf zog der Eroberer selbst durchs Isartor ein.

München fiel dem Schwedenkönig kampflos in die Hände, da schwedische Unterhändler schon in Freising einen Deal mit der Residenzstadt ausgehandelt hatten: München sollte sich für 300.000 Reichsthaler freikaufen, um dadurch von der Brandschatzung verschont zu werden. Ein Betrag, der so hoch war wie das Steueraufkommen Schwedens in einem halben Jahr.

In seiner Begleitung befand sich auch eine der schillerndsten Figuren des Dreißigjährigen Krieges, der »Winterkönig« Friedrich V., der dem Schwedenkönig den Floh ins Ohr setzen wollte, die Residenz seines ungeliebten Verwandten Maximilian doch in die Luft zu jagen. Aber Gustaf Adolf war so begeistert von diesem Bau, dass er sie am liebsten »auf Rädern nach Stockholm gerollt« hätte, wie er sagte. Die Legende machte daraus den schönen aber falschen und unausrottbaren Spruch, der Schwedenkönig hätte am liebsten »ganz München nach Schweden gerollt, wenn die Stadt Räder gehabt hätte« – aber er meinte wirklich nur die Residenz, und zwar nicht die heutige Residenz neben dem Nationaltheater, sondern den »Alten Hof«, die erste Residenz der Wittelsbacher, die auf dem Bild rechts oben gut zu sehen ist.

Ganz so glimpflich ging der Schwedenbesuch aber doch nicht ab, denn München konnte die hohe Summe nicht sofort aufbringen und daher nahm Gustav Adolf bis zur vollständigen Bezahlung 42 hochrangige Personen als Geiseln mit, nach denen heute im Stadtteil Laim rund um die Agricola- und Valpichlerstraße jedem von ihnen eine Straße gewidmet ist.

 

1789 Vom Militärpark zum Englischen Garten

Kurfürst Max III. Joseph von Bayern starb ohne männlichen Erben, so dass 1777 die altbayerische Linie der Wittelsbacher ausgestorben war. Noch zu Lebzeiten bestimmte er aber, dass die Pfälzer Linie die Erbfolge antreten soll. Nun kam also Kurfürst Karl Theodor aus Mannheim nach München, widerwilligst und erst nachdem sein Plan gescheitert war, Bayern an Österreich zu verschachern und gegen die reicheren Niederlande einzuhandeln. Ausgerechnet ein Preuße, Friedrich der Große, rettete Bayern vor diesem Pfälzer Kuhhandel. Karl Theodor zog also ins ungeliebte Bayern.


Die Nackerten-Wiese war ursprünglich der Militärgarten, der Teil über dem Bach wurde den Münchnern zum Spazierengehen freigegeben.

Dort führte der bei den Münchnern nicht beliebte Kurfürst 1784 mit seinem Generalmajor Benjamin Thompson und dessen Erfahrungen aus dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg eine große Heeresreform durch, zu der auch die Anlage großer Militärgärten gehörte. Sie sollten zur »soldatischen Freizeitertüchtigung« dienen, aber ebenso für Obst- und Gemüseanbau genutzt werden. Auf großen Grünflächen sollten die Soldaten auch Platz für Spaziergänge haben.

Ein solcher Militärgarten entstand in München zwischen dem Schwabinger Bach und der heutigen Prinzregentenstraße. Um auch den Münchnern Gelegenheit zum Spazierengehen zu geben und den Magistrat zu besänftigen, erließ der Kurfürst am 13. August 1789 die Verfügung, »den hiesigen Hirsch-Anger zur allgemeinen Ergözung für dero Residenzstadt München herstellen zu lassen und diese schöne Anlage der Natur dem Publikum in ihren Erholungs-Stunden nicht länger vorzuenthalten.« Der erste Anlauf einer neuen Militär-Parkanlage war nämlich zur Wut der Bevölkerung erbärmlich gescheitert, weil die von ihm angekauften Grundstücke nicht für den Park verwendet wurden, sondern unter der Hand wieder teuer weiterverkauft wurden.

Mit Unterstützung des Schwetzinger Hofgärtners Friedrich Ludwig Sckell entstand nun unter der Regie von Thompson der erste großflächig angelegte Park nach Vorbild der Landschaftsgärten in England, der natürlich nach Kurfürst Karl-Theodor »Theodorspark« heißen musste. Aber genauso wie der Name Karlsplatz dem Stachus gewichen ist, verwandelte sich auch der Name »Theodorspark« schnell in »Englischer Garten«. Die Münchner ließen sich aber das Spazierengehen in der neuen Wiese vom Kurfürsten nicht befehlen, im Gegenteil: Neuanpflanzungen wurden oft mutwillig zerstört, Bäumchen herausgerissen und überhaupt: Warum sollten jetzt alle plötzlich »Spazierengehen«? Das war doch auch eine der Marotten dieses ungeliebten Pfälzers, und erst mit den Jahren gewöhnten sich die Münchner an ihren »Englischen Garten«.

1797 Warum der Karlsplatz Stachus heißt

München platzte zu dieser Zeit aus allen Nähten: 37.840 Einwohner zählte die Stadt 1781 und innerhalb der Stadtmauern konnte nur noch durch Aufstocken alter Häuser Platz gewonnen werden. Wohlhabende Familien bauten schon außerhalb des Mauerrings ihre Villen. 1790 befahl Karl Theodor den Mauerring einzureißen, das Neuhauser Tor aber stehen zu lassen und Architekt Franz Thun baute links und rechts davon das für den Platz so typische Rondell. Der Platz und das Tor wurden auch gleich auf den Namen seines Gönners »Karl« getauft und er würde auch heute noch so heißen, wenn dieser Kurfürst bei den Münchnern nicht so verhasst gewesen wäre!

Als die Stadtväter 1791 gegen den despotischen Pfälzer aufbegehrten, mussten sie sich vor seinem Öl-Portrait niederknien und ihn um Verzeihung bitten. Und als die Wut der Bevölkerung noch mehr anwuchs, entzog Karl-Theodor den Stadtvätern die bürgerlichen Ehrenrechte. Aber die Münchner rächten sich: Lieber bissen sie sich die Zunge ab, als mit diesem Platz auch seinen Namen auszusprechen. Wenn jemand dorthin musste, dann ging er nicht zum Karlsplatz, sondern zum Stachus. Das war die Kurzform des »Stachusgartens«, einem Wirtshaus, das seit 1755 an der Stelle des heutigen Kaufhofs stand und seinen Namen vom ersten Wirt, dem Eustachius Föderl hatte. Der Amtsschimmel tut sich bis heute schwer mit diesem Platz: Auf offiziellen Schildern und Bezeichnungen darf der Name »Stachus« nur in Klammern erscheinen. Kurfürst Karl Theodor is watching you!


Luftaufnahme Karlsplatz (Stachus)

1799 Wer war denn dieser Graf Montgelas?

Das silberne Riesendenkmal auf dem Promenadeplatz kennt jeder, aber wer war denn dieser Graf Montgelas, war er wirklich eine solche Größe, dass er so gewaltig und strahlend mitten in der Stadt stehen muss?

Maximilian Josef Graf von Montgelas – geboren 1759 in München – wurde 1799 von Kurfürst Max IV. Joseph, dem späteren König Max I. Joseph, zum Minister ernannt. In den folgenden Jahren entwickelte er sich zum größten Reformer Bayerns im 19. Jahrhundert. Geprägt von der Französischen Revolution und vom Geist der Aufklärung war er ein rein rational denkender Politiker. Durch ein äußerst geschicktes und geheim ausgehandeltes Bündnis mit Napoleon war er es, der 1805 Bayern vom Kurfürstentum ins Königreich führte.

Mit drastischen Methoden setzte er die Säkularisation und Enteignung zahlreicher Klöster durch, reformierte die gesamte Staatsverwaltung und brachte eine große Justizreform in Gang.


Montgelas-Denkmal, Promenadeplatz


Maximilian Josef Graf von Montgelas (1759–1838)

Montgelas vereinheitlichte die bisher verschiedenen Gewichte, Maße und Währungen im Land und hob alle Zollbeschränkungen innerhalb Bayerns auf. Er entwarf eine völlig neue Steuergesetzgebung und ließ Bayern komplett neu vermessen, was endlich einheitliche Flurkarten zur Folge hatte. Auch die Einführung der Schulpflicht und der Wehrpflicht geht auf sein Konto, nicht zu vergessen die Pockenschutzimpfung. Ein modernes Beamtenrecht, die Witwenrente, staatliche Pensionen und die Gleichstellung von Katholiken und Protestanten sind ebenfalls sein Verdienst. Natürlich trägt auch die Bayerische Verfassung seine Handschrift sowie ein neues Strafgesetzbuch, in dem 1813 die Folter abgeschafft wurde.

Mit solchen gewaltigen Umwälzungen schafft man sich natürlich nicht nur Freunde. Einer, der es gar nicht mit ihm konnte, war der Sohn von Kurfürst Max Joseph, König Ludwig I. Er wollte ihn schon lange loswerden und nach Missernten und Hungersnöten im Land nahm er diese Katastrophen zum Anlass, Montgelas als Minister zu entlassen. Montgelas starb 1838 in München und ist in der Familiengruft in Niederbayern begraben.

1800 Münchens letzter Hofnarr Prangerl

»Kinder und Narren sagen die Wahrheit« ist eine uralte Weisheit und auch der Grund, warum seit dem Mittelalter Narren an den Herrscherhöfen einen besonderen Platz hatten. In den abgeschotteten Zirkeln der Macht verlor man damals wie heute schnell das Gespür für das, was draußen in der Bevölkerung vorging und gedacht wurde. Wahrheiten aber, wie sie Hofbeamte und Minister sich nie auszusprechen getrauten, konnte ein Sonderling, der sowieso nur Närrisches daherredet, meist mit Witzen und Späßen garniert ungestraft und zur Erheiterung der höchsten Herrschaften aussprechen. Natürlich erfuhr dabei der Regent auch, was seine allernächste Umgebung wirklich über ihn dachte. Der letzte Hofnarr in der Münchner Residenz war Georg Prangerl (1745–1820), von allen nur »der Prangerl« genannt, was auf seine kleine Gestalt hindeutet. Er war Musikant, konnte mehrere Instrumente spielen und unterhielt die Münchner in der »Cafféschänke« des Giovanni Pedro Sardi, dem heutigen Tambosi am Hofgarten. Seine Witze waren oft unter der Gürtellinie, zotig, derb und schonungslos. Er ging nie ohne Stock aus, mit dem er manchmal wahllos auf Passanten und sogar auf Kinder einschlug. Dass so ein ungehobelter, g’scherter Narr hoffähig wurde, lag an seinem Beschützer, dem beim Volk beliebten Kurfürst Max Joseph, seit 1806 König Max I. von Bayern: selbst weit entfernt von einer fürstlichen Erscheinung, von Zeitgenossen als »grober verdrießlicher Fuhrknecht« beschrieben und alles andere als ein Intellektueller. Im Hoftheater konnten für ihn die Stücke gar nicht seicht genug sein. Mit Max und dem Prangerl hatten sich eben zwei auf gleicher Wellenlänge gefunden. Aber auch beim Prangerl galt »Hochmut kommt vor dem Fall«, in seinen letzten Jahren war seine Gaudi nicht mehr »hoffähig«, er fiel in Ungnade und damit aus der Residenz. Heute laufen täglich Zigtausende unter ihm vorbei, denn sein kleines Denkmal befindet sich im Inneren des Karlstor-Durchgangs.


Hofnarr Prangerl im Karlstor

»Die Münchner sind große Säufer«

München und sein Bier

1447 Herzog Albrecht schrieb ab: Das »Reinheitsgebot« von 1487 erfanden die Münchner schon 40 Jahre früher!

Am 30. November 1487 unterschrieb Herzog Albrecht IV. eine Verordnung über das Brauwesen, die später als das »Bayerische Reinheitsgebot« in die Geschichte einging: Jeder Brauer musste unter Eid versichern, »das er zu einem yeden Bier allein Gersten, Hopfen und Wasser nehmen und brauen, auch das nach Nothdurft sieden, und nichts anderes darein tun, noch durch yemand andern verfügen oder sunst gestatten wölle.«

Diesem Gesetz vorausgegangen war ein Dauerstreit, wer was wie brauen darf und was alles in den Sud hineingeschüttet werden kann. 1420 setzte der Magistrat (Stadtrat) erstmals Bierkontrolleure ein, die darüber wachten, dass kein Wasser aus den Stadtbächen zum Sieden verwendet wurde, sondern nur Wasser aus tiefen Brunnen. Diesen sogenannten »Kiesern« war es auch erlaubt, bei der »Piergschau« einen schlechten Sud zu vernichten. Da Bier in München als »flüssiges Brot« ein Lebensmittel ist, suchte der Magistrat die Kontrolle darüber zu bekommen und beschloss schon 1447 ein eigenes Reinheitsgesetz, in dem der wichtigste Satz fast wörtlich im herzoglichen Reinheitsgebot 40 Jahre später übernommen wurde: »Item sollen auch pier und greussing nur allein von gersten / hopffen und wasser und sunst nichts darunter tun noch sieden / oder man straf es für falsch«.


Herzog Albrecht (1447–1508)


Biersieder, Holzschnitt um 1450

Der erste große Bierbrauer Münchens war Herzog Ludwig II., der »nechst der Veste beim Torazbach (Pfisterbach) ain prewstatt« errichtet hatte. Er erlaubte allen Münchnern, seine Brauerei auch zum Brauen eines eigenen Haustrunkes mit zu benützen. Für sich selbst braute er süffiges Weißbier, was er aber allen anderen verbot, denn Weißbiergenuss sei »gesundheitsschädlich«, wie er verkündete. Der wahre Grund aber war der dauernde Weizenmangel, der bei Missernten sofort zu Hungersnöten führte. Das Weißbier-Brauverbot wurde erst 1789 von Kurfürst Karl Theodor aufgehoben.

In den Epochen davor findet man Bier nur in den Klöstern, wo es allerdings nicht öffentlich ausgeschenkt, sondern von den Mönchen selbst getrunken wurde. Alkoholische Getränke waren zur Zeit der Gründung Münchens um 1158 der süße Honigwein »Met« oder saurer Wein aus den Weingärten an den Isarhängen bei Harlaching, Bogenhausen, Wolfratshausen und Schäftlarn, wo alte Straßennamen noch an den einstigen Weinbau erinnern.

1810 232 Hektoliter Bier beim ersten Oktoberfest

Mit der schrecklichsten Oktoberfest-Legende hat der ehemalige Stadtarchivdirektor Richard Bauer schon vor Jahren aufgeräumt, trotzdem geistert in gedruckter Form immer wieder die fürchterliche Mär herum, es hätte auf dem ersten Oktoberfest gar kein Bier gegeben! Die hier abgebildete Radierung von Wilhelm von Kobell zeigt auf dem ersten Oktoberfest 1810 klar und deutlich drei Bierzelte, die zwar nicht so hießen, aber in denen Bier ausgeschenkt wurde zusammen mit Wein und Brotzeiten jeder Art. Es waren die Zelte der »Traiteurs«, den Partygastronomen der Biedermeierzeit, denen ausdrücklich der Ausschank von Wein und Bier erlaubt war. Das zweite Märchen, dass die Münchner damals hauptsächlich Wein getrunken hätten anstatt Bier widerlegen städtische Akten: Beim Weiterfeiern auf dem Marienplatz, der Neuhausergasse und auf dem Promenadeplatz wurden 232 Hektoliter Bier ausgeschenkt und nur 4 Hektoliter österreichischer Weißwein. Dies muss an erster Stelle gesagt sein, denn das große Münchner Volksfest zu Ehren der Hochzeit von Kronprinz Ludwig und Therese von Sachsen-Hildburghausen am 12. Oktober 1810 ohne eine Maß Bier – unvorstellbar! Hauptereignis war natürlich das große Pferderennen, das Unteroffizier Baumgartner zu Ehren des Brautpaares am 2. Oktober im Innenministerium vorgeschlagen hatte. Schon am 4. Oktober wurden dafür gedruckte Einladungen verschickt – unglaublich, wie schnell Ministerien damals entschieden – oder lag eine solche Volksbelustigung als Nationalfest schon in der königlichen Luft? »Volksfeste freuen mich besonders. Sie sprechen den Nationalcharakter aus, der sich auf Kinder und Kindes-Kinder vererbt«, sagte Kronprinz Ludwig bei der Eröffnung des ersten Oktoberfestes, wohlwissend, wie sehr ein solches Volksfest die Leute vereint.

 

Das erste Oktoberfest 1810 mit deutlich sichtbaren ersten Bierzelten rechts oben, Radierung von Wilhelm von Kobell

1818 Münchens erste Bierkönige

Die heutigen Münchner Großbrauereien entstanden alle zu Beginn des 19. Jahrhunderts und oft nach dem gleichen Muster: Armer Brauerlehrling heiratet reiche Brauerstochter.

PAULANERBRÄU: Franz Xaver Zacherl (1772–1849)

Zacherl lernte als Koch, heiratete 1796 die reiche Bauerstochter Elisabeth Schmeder und kaufte mit deren Mitgift 1797 die Hallerbrauerei. 1806 konnte er das von Graf Montgelas im Zuge der Säkularisation aufgelöste Paulanerkloster pachten, in dem immer noch Bier vom ehemaligen Klosterbruder Peter Ludwig gesotten wurde, der das Handwerk vom legendären Bruder Barnabas gelernt hatte. 1813 hatte er mit seinem Paulanerbräu so viel verdient, dass er das ganze Anwesen kaufen konnte.

PSCHORRBRÄU: Joseph Pschorr (1770–1841)

Joseph Pschorr kam als 16-jähriger von Kleinhadern nach München und lernte beim Oberkandlerbräu das Biersieden. 1793 heiratete er die Brauerstochter Therese Hacker vom Hackerbräu. Als 1806 mit den Montgelas-Reformen die Exportbeschränkungen des Münchner Bieres aufgehoben wurden, war Pschorr der erste, der Bier in großem Umfang auch außerhalb Münchens verkaufte und damit den Grundstein zur Großbrauerei legte.

SPATENBRÄU: Gabriel Sedlmayr (1772–1839)

Gabriel Sedlmayr war Brauerssohn aus Maisach. Nach einer Lehre im Münchner Hofbräu kaufte er 1807 die kleinste der 52 Münchner Brauereien, den schäbigen »Oberspaten«. Mit einem Darlehen seines Vaters vervierfachte er in einem einzigen Jahr den Bierausstoß und knallhart rechnend baute er seine Kleinbrauerei mit ständig neuen Krediten zur Großbrauerei aus.


v.l.n.r.: Gabriel Seldmayr (Spatenbräu), Maria Theresia Wagner (Augustinerbräu), Franz Xaver Zacherl (Paulanerbräu), Joseph Pschorr (Pschorrbräu), Georg Brey (Löwenbräu)

LÖWENBRÄU: Georg Brey (1784–1885)

Georg Brey stammte aus Murnau und lernte Bierbrauen beim Wagnerbräu. 1810 wurde er Braumeister beim Grafen Törring in Seefeld am Pilsensee und heiratete die reiche Brauerstochter Anna Rapolt aus Inning. 1818 kauften sie mit ihren Ersparnissen eine kleine Brauerei in der Löwengrube und bauten sie in den nächsten 30 Jahren zu einer der größten Münchner Brauereien aus.

AUGUSTINER: Maria Theresia Wagner (1794–1858)

Die Müllerstochter Maria Theresia Brunner heiratete 1818 Anton Wagner, mit dem sie die Hasüber-Brauerei in Freising kaufte. 1829 übernahmen sie in München das durch die Säkularisation frei gewordene Brauhaus der Augustiner-Mönche. Nach dem frühen Tod ihres Mannes vergrößerte sie die Brauerei und konnte 1857 das heutige Brauereigelände in der Landsberger Straße kaufen.

1823 Großbrand im Nationaltheater mit Hofbräu-Bier gelöscht

Der Januar 1823 war einer der kältesten Wintermonate im 19. Jahrhundert und alle Löschteiche in München waren zugefroren. Da brach während einer Aufführung der komischen Oper »Die beiden Füchse« von Étienne-Nicolas Méhul hinter der Bühne ein Feuer aus, das rasch um sich griff, wodurch das erst 1818 erbaute Nationaltheater fast völlig zerstört wurde. »Während das Parterre noch nicht ganz geleert war, loderten schon große Feuermassen aus den obersten Fenstern des Gebäudes zum Himmel empor. In kürzester Zeit ergriff der Brand das ganze Haus, weithin war die Gegend beleuchtet«, schrieb der Chronist in das Jahrbuch der Stadt.

König Max I. beklagte sich später, dass die Münchner nur gaffend herumstanden und keine Anstalten machten, beim Löschen mitzuhelfen, aber womit denn auch? Sogar die Berieselungsanlage des Ingenieurs Georg von Reichenbach war eingefroren. Allerdings war bei den Schaulustigen eine heimliche Freude über das Feuer verbunden, denn viele sahen den Brand als gerechte Strafe von oben für den Abriss eines Franziskanerklosters, das auf Befehl von Graf Montgelas dem Erdboden gleich gemacht wurde und auf dessen Gelände nun das neue Opernhaus Platz hatte. Schon 1817 war der Dachstuhl in Flammen aufgegangen und es kursierten anonyme Flugblätter mit den Worten »Brand oder Brot« – doch eine Brandstiftung konnte niemandem nachgewiesen werden.


Brand des Nationaltheaters in einer zeitgenössischen Darstellung

In der Brandnacht 1823 standen in der Residenz König Max I., Kronprinz Ludwig und Baumeister Leo von Klenze am Fenster und hier soll den dreien die Idee gekommen sein, die Bierfässer vom nahegelegenen Hofbräuhaus zu beschlagnahmen und damit zu löschen! Ob auf Befehl oder freiwillig: Das Hofbräubier rollte an, »indem die Bierbrauer ihr auf der Kühle liegendes Bier zum Brande führten«, wie ein Bericht der Brauerinnung vermerkt. Genützt hat’s nicht viel und die Oper brannte zur Hälfte nieder. Auch beim Wiederaufbau spielte Bier eine Rolle: Um ihn zu finanzieren, wurde ab März 1823 auf jede Maß Bier ein »Bierpfennig« erhoben und Leo von Klenze konnte das Theater wieder in alter Pracht errichten, so dass es am 2. Januar 1825 zum zweiten Mal eröffnet wurde.

1837 Wie Äquator zum Starkbier wurde

Paulaner-Gründer Franz Xaver Zacherl hatte als erster die Idee, zur Fastenzeit ein Starkbier auszuschenken, allerdings zum Ärger der übrigen Münchner Brauereien, die ihn mit Anzeigen und Drohungen wegen seines »Sonderbieres« einzuschüchtern versuchten. Zermürbt von den Anfeindungen schrieb er 1836 in seiner Verzweiflung direkt an König Ludwig I., der ihm am 25. März 1837 die königliche Erlaubnis zum Ausschank seines bei den Münchnern so beliebten Starkbiers erteilte: »Auf so lange ich nicht anders verfüge, soll die Kreisregierung ermächtigt werden, jährlich zum Ausschanke des Salvator-Bieres Erlaubnis zu ertheilen.«

Woher aber kommt der Name Salvator? Im Lateinischen heißt Salvator »Heiland, Retter«, die Paulaner-Mönche nannten es erst nur »Herrenbier«, wahrscheinlich als Gegensatz zum dünnen Bier für Normalsterbliche. Der Herr da unten wurde schnell der Herr da oben und schon war es zum »Heilig-Vater-Bier«, lateinisch »Salvator-Bier« geworden, und während eines Schankstreites 1835 hat Brauer Zacherl erstmals das Wort »Salvator-Bier« in einem Dokument genannt.

Ab 1870 begann der Boom mit dem Starkbier und jede Münchner Brauerei brachte ihren eigenen »Salvator« auf den Markt, in Schwabing wurde sogar eine Salvator-Brauerei gegründet. Erst 1894 hatte die Paulaner-Brauerei durch alle gerichtlichen Instanzen gesiegt und der Name Salvator mit dem Paulaner-Mönch war endgültig geschützt. Nicht zu schützen aber war die Endung »-ator«, was zu den kuriosesten Namensgebungen führte: Operator, Schwibator, Suffikator, Jubilator, Münchator, Kolossator, Birator und sogar ein Äquator wurden als Doppelböcke ausgeschenkt.


Salvator-Bier vom Löwenbräu, 1890

1848 Blutige Kämpfe um den Bierpreis

Wer regt sich heute noch auf, wenn die Maß auf der Wiesn jedes Jahr mehr kostet? Von Bürgerprotest keine Spur. Es gab aber Zeiten mit blutigen Auseinandersetzungen ums teure Bier, aber es waren auch ganz andere Zeiten als heute. Bierkrawalle waren immer ein Zeichen von Unmut über die miserable soziale Lage der Bevölkerung und ein Ventil, nachdem sich schon alles verteuert hatte. Der größte Bierkrawall entlud sich im Revolutionsjahr 1848.

In Frankreich war der Bürgerkönig Louis Philippe gestürzt, die revolutionäre Stimmung griff auch auf Bayern über und Ludwig I. demonstrierte in München militärische Präsenz. Die Münchner antworteten mit der Erstürmung des Zeughauses, des heutigen Stadtmuseums, und nur durch Ankündigung von Reformen konnte der König die Stimmung besänftigen. Die Stimmung schlug aber schnell wieder um, als das Gerücht aufkam, Lola Montez wäre wieder zum König zurückgekehrt und Ludwig I. blieb schließlich nur noch die Abdankung, die Krone übergab er seinem Sohn Max.

To koniec darmowego fragmentu. Czy chcesz czytać dalej?