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Mein erster Ausgang war in den Garten meines Wirtes. Und hier trat mir jene Frauengestalt entgegen, die ich damals im Erlengebüsch hatte sprechen hören und deren Stimmklang ich durch die einförmigen Wochen hindurch im Ohr behalten hatte. Es war ein junges Mädchen, Anfang der Zwanzig, sehr lebhaft, sehr französisch, ohne Hehl ihres Hasses gegen uns. Aber wir waren in dem sonnigen Garten dieser späten Septembertage ganz auf uns angewiesen. Ihre Mutter war tot, ihr Vater meist abwesend und des Deutschenhasses seiner Tochter so sicher, daß er von dem höflich geduldeten, aber doch überlästigen Fremdling keine Gefahr befürchten zu müssen glaubte.

Es waren Tage, wie für schwere Entscheidungen bestimmt. In den Weingärten hingen ungeerntet die vollen, farbigen Trauben. Überall blühten noch späte Rosen in hundert Farben, ein paar Orangen, die Helene sich zog, durchdufteten die Luft mit ihrem süßen, weichen Geruch. Ich konnte nun schon wieder gehen, langsam am Stock ein paar Schritte durch die Gänge machen, lernte meine Kräfte wieder fühlen und gebrauchen. Ganz von fern hallten dann und wann Trommelschlag und Trompetensignal zu uns herüber. Ganz von fern klang aus den französischen Zeitungen der weiterschreitende Krieg in unsere Stille. Wir schienen wie in anderm Luftbereich zu leben, es kam etwas über uns wie das Bewußtsein, das zwei Menschen haben müssen, die aus einer vergessenen Insel in einem Meer des Südens, vom Leben der andern beurlaubt, nur sich leben dürfen.

Und noch einmal, wir waren beide jung und empfanden, je schwächer der Hall des Feldzugs zu uns kam, desto stärker, daß wir beide Menschen waren, nicht mehr Deutscher und Französin.

Wir brauchten uns nicht erst zu sagen, daß wir uns liebten, als ich mich, jetzt ganz gesundet, aus dem Traum emporriß und zu meinem Regiment zurückreiste. Hier erwartete mich das Eiserne Kreuz, in Deutschland die gewohnte Arbeit. Helene und ich schrieben einander, immer in dem Gedanken, daß ich sie nach dem zweiten Examen nach Deutschland, zu mir holen sollte.

Sie haben mich damals in Naumburg gekannt und werden, wie die andern, in mir einen Sonderling gesehen haben, der sich von allem, insbesondere von den Geselligkeiten der jungen Kollegen zurückzog. Ich war kein Sonderling, ich ging nur umher wie in einem Gewölk, wie in dem Mantel einer Leidenschaft, die mich gleich einer Lohe gegen alles sonst abschloß. Meine Liebe wuchs wie die ihre immer wärmer empor.

Dann hatte ich die Prüfung bestanden und fuhr nach Frankreich hinüber. Als ein armer Mann, als ein Beraubter kehrte ich zurück. Der Vater hatte dem Deutschen die Tochter nicht geweigert, aber auf den Boden des feindlichen Landes wollte er sie nicht hingehen lassen, und nun stand in uns beiden auf, was so lange geschlafen hatte, das Bewußtsein unserer Nation. Ich war ohne Besinnen entschieden, nicht, auch Helene zuliebe nicht, nach Frankreich zu gehen, ich schien mir in neu emporschlagendem Volksgefühl wie ein Verräter, wenn ichʼs hätte tun wollen; und an meinem Widerstand erwuchs der ihre, jetzt war sie ganz die Französin, als die ich sie ganz zuerst, im Beginn jener Schmerzenstage hatte kennen lernen, jetzt verlangte sie von mir, daß ich wählen sollte zwischen meinem Vaterlande und dem ihren, mit dem sie sich eins fühlte.

Es war zu Ende und war doch nicht zu Ende. Ich bin in den zwei Jahren meines Amtsrichtertums in der kleinen Stadt am Harz wohl ein sonderbarer Richter gewesen. Sie nicken. Ich sehe also, auch Sie wissenʼs noch, habenʼs wohl von Bekannten gehört. Es riß unablässig in mir, und nichts brachte mich über den Zwiespalt hinweg, der nun einmal in mir aufgegangen war.

Fünf Jahre nach dem Kriege hatte ich als Leutnant eine Übung bei einem Metzer Regiment zu machen. Es waren wieder warme, farbige Septembertage. Eine Felddienstübung im Regiment führte uns bis an die Grenze bei Pagny. Ich erhielt eine Offizierspatrouille, die dem äußersten linken Flügel voraus das Gelände erkunden sollte. In einer kleinen Schlucht hatte ich mich von den mir mitgegebenen Mannschaften getrennt, wir mußten ganz nahe am Gegner sein, den ein andres Bataillon stellte, und ich kroch vorsichtig auf allen Vieren einen von dichtem Gebüsch besetzten Hang empor. Wie ich den Kopf über den Rand der Schlucht hob, sah ich kaum hundert Schritt vor mir die Tafeln in den deutschen und französischen Farben die Grenze bezeichnen. Dicht jenseits lag ein Hügel, und auf ihm erblickte ich eine kleine Gesellschaft von Damen und Herren. Die Bewegungen der einen Dame fielen mir irgendwie auf, ich hob den Krimstecher und erkannte im ersten Augenblick Helene. Was da mit mir vorging, habe ich nie beschreiben können, es riß mich empor, jeder Vorsicht vergessend, rannte ich der Grenze zu, an dem französischen Pfahl vorbei, auf jene Gesellschaft los, die erschreckt aufsprang, und stand Helene gegenüber, die mir an die Brust flog.

In der nächsten Minute tauchten die kappenbedeckten Helme des Gegners auf, ein Unteroffizier machte den Führer auf mich aufmerksam, es war ein Bekannter, auch ein Reserveoffizier, der winkte, ich gab keine Antwort und schritt mit Helene weiter hügelabwärts ins Land.

Sie werden wissen, daß ich wegen Fahnenflucht, abwesend, verurteilt wurde, daß man mir auch das Amt nahm – mit Recht. Was Sie nicht wissen können, ist, wie es mir seitdem gegangen ist. Nach dem ersten Rausch kam ein gräßliches Erwachen, eine Erschütterung ohnegleichen. Der Zerbrochene konnte kein Weib an sich fesseln, ich irrte in Frankreich, in halb Europa umher, immer wieder fand ich mich nach langen Fahrten an der deutschen Grenze. Helene hat den Trost gefunden, den ihre Kirche ihr gewährt, ich warte auf das Ende. Aber als ich mich vor dem jungen Mann neben Ihnen entdecken sollte, hat mich ein letzter Rest von, nennen Sie es Scham, zurückgehalten. Freilich, ich kenne noch das deutsche Recht, Sie müssen nach dem Gesetz handeln, so ist mir nur eine Galgenfrist geblieben. Immerhin: ich habe mich einmal aussprechen können. Tun Sie mit mir, was Sie wollen.«

Das alles hatte geklungen wie ein Spiel auf einem einst von einem Meister geschaffenen, nun aber verstimmten und schadhaft gewordenen Instrument. Grell, dann wieder stumpf, oft versagten alle Töne; und dazwischen Laute wie aus einer andern Welt, volle Akkorde, Ahnungen einstiger Schönheit.

Amtsrichter Sonntag saß ganz still. Die Narben des alten Burschenschafters glühten in dem bleich gewordenen Gesicht. Dann sagte er:

»Ich werde Sie morgen als »Unbekannt« wegen Umherstreichens ohne Papiere zu einer Geldstrafe verurteilen. Man hat Ihnen ja einige Taler abgenommen. Aber dann?«

Eduard Cornelius hatte den Kopf gesenkt und sah stumm vor sich hin.

Sonntag fuhr fort:

»Ich habe Verwandte in Hamburg. Fahren Sie dorthin, ich will dafür sorgen, daß Sie nach Amerika gehen können.«

Ein Röcheln ließ ihn emporblicken. Cornelius rang nach Luft, es rasselte in ihm. Es ging vorüber. Dann sagte er mit dem feinen Lächeln, das sein Gesicht in der abgebrochenen Gerichtsverhandlung überflogen hatte:

»Sie sehen, es tut nicht mehr not. Aber haben Sie Dank. Denken Sie von morgen ab an mich als an einen Toten, auch wenn Sie nie eine Anzeige meines Endes erhalten werden. Denn wenn ich sterbe, wird ja niemand wissen, wer ich war. Aber lassen Sie mich doch das eine wissen: ich habe alles, meine Familie, meinen Beruf, mein Portepee verloren. Werden Sie dennoch an mich denken als an einen, der dem deutschen Namen keine Ehre gemacht hat, aber der ihn schließlich doch nicht ganz verraten hat?«

Es klopfte an der Tür. Amtsrichter Sonntag stand auf, um zu öffnen. Vorher aber ging er zu dem nun aufgestandenen Manne heran, streckte ihm die Hand entgegen, und indem jener mit zuckenden Fingern die dargebotene ergriff, sagte der Richter tief erschüttert:

»Ja!«