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Friedrich tat noch einen Blick in dies ihm durch die letzten Wochen schon gewohnt gewordne Bild einer russischen Stadt und öffnete dann den Brief des Vaters.

Danzig, den 13. November 1905.
Mein lieber Sohn!

Du wirst erstaunt über meine Bitte gewesen sein, Dich nach Woronesch zu begeben, wo geschäftliche Verbindungen für uns nicht bestehen und auch nicht anzuknüpfen sind, noch erstaunter vielleicht über meine Depesche. Und am meisten überrascht bist Du vielleicht, wenn Du hörst, daß Dein Vater Dir einmal mit vollem Bewußtsein die Unwahrheit gesagt hat. Es war kein Zufall und kein hingeworfenes Wort, als ich auf Deine Frage nach Rostow erwiderte: von Rostow weiß ich nichts. Es war vielmehr eine wohlüberlegte Unwahrheit (ich wiederhole es).

Nun aber sehe ich, daß ich von Rostow etwas wissen muß, daß jenes geheimnisvolle Band, das mich einmal mit dieser Stadt verknüpfte, noch nicht zerrissen und verbrannt ist, wie ich es viele Jahre hindurch geglaubt habe. Und ich werde der Schickung nicht ausweichen, die Dich, mein jüngstes Kind, an denselben Platz geführt hat, an dem ich vor zwanzig Jahren gesessen habe.

Vor zwanzig Jahren war ich, wie Du leicht ausrechnen kannst, fünfunddreißig, Deine geliebte Mutter war drei Jahre lang tot. Ich hatte ihren Verlust nicht verwunden, auch nicht verwinden wollen. Damals erfüllten mich die Reisen, zu denen unser Geschäft mich nötigte, geradezu mit einem Grauen, entfernten sie mich doch von dem einzigen Segen, der mir geblieben war, von Euch Kindern. Als ein einsamer Mann, in dem immer wieder alle Wunden aufbrachen, fuhr ich damals Jahr um Jahr tief nach Rußland hinein, mit der Bahn so weit es ging, dann oft auf dem Schlitten oder der Telega bis tief in Gegenden, die ein deutscher Kaufmann damals selten betrat.

Im Jahre 1885 (ich erinnere mich alles dessen so deutlich, als ob es heute wäre) hatte Südrußland einen Oktober von unerhörter Schönheit. Noch nie hatte ich so oft diese Gegend mit Italien vergleichen müssen, wie damals. Am 23. Oktober unsres Stils besuchte ich eine Fabrik im Taurischen Gouvernement, die einem belgischen Konsortium gehörte. Die Firma interessiert Dich nicht, sie ist wohl inzwischen eingegangen. Die Fabrik lag fünf Stunden von der nächsten Bahnstation, jeder Besucher mußte in dem Gebäude der Direktion wohnen und nächtigen. Ich wurde sehr gut aufgenommen, erzielte geschäftlich alles, was ich wünschte, und war diesen einen Abend etwas leichter gestimmt als sonst in jenen Tagen. Wir, die beiden Direktoren und ich, hatten im Garten geplaudert, als der Diener uns zur Tafel rief, überrascht trat ich in dem großen Speisesaal einem Kreis eleganter Frauen entgegen, die mir als die Gattinnen der beiden Herren und als die beiden Schwestern der einen Frau genannt wurden. Das Gespräch bei Tisch ging gut und leicht von statten, auch mir floß das Wort in der französischen Sprache, die ich damals sehr gerne brauchte (ich muß mich einer zweiten Unwahrheit schuldig bekennen: ich habe vor Dir jede nähere Kenntnis des Französischen geleugnet und Du hast nie ein französisches Wort über meine Lippen gehen hören), schneller vom Munde als seit langem. Die Damen betrachteten jeden Fremden, der zu ihrem entlegenen Hause kam, als willkommenen Gast aus ihrer alten Welt.

Als wir nach dem Essen auf dem Balkon saßen, von dem man in die weite Ebene hinaussah, sagte der erste Direktor:

»Herr Neugebaur, wir möchten Sie bitten, meiner Schwägerin Elisa morgen Ihren Schutz angedeihen zu lassen. Sie muß unbedingt nach Rostow fahren, wo sie abgeholt wird, und ich kann sie nicht, wie ich beabsichtigte, begleiten, da ich anderen, wichtigen Besuch erwarte.« – —

Ich habe die Feder hinlegen müssen und bin wohl eine Stunde im Zimmer auf und ab gegangen. Seit mir Deine Depesche den Namen, den ich so lange in mir verschlossen hatte, wieder vor Augen brachte, habʼ ich ihn wohl hundertmal ausgesprochen, und niemals ohne ein Beben. Aber ich muß weiterschreiben, damit Du meiner Nachricht nicht gar zu lange harren mußt.

Das Fräulein sah mich an, während ich mich selbstverständlich bereit erklärte, ihr nach Kräften zu dienen. Sie hatte die tiefsten, dunklen Augen, die ich jemals gesehen habe, Augen, die der Oberfläche eines jener kleinen, scheinbar unergründlichen Waldseen unserer Heimat verwandt waren.

Am Morgen bestiegen wir zusammen die Kutsche ihres Schwagers und fuhren zur Bahn. Beim Abschied fiel mir auf, daß sie mit ihrer Schwester nicht einmal die üblichen Wangenküsse französischer Höflichkeit tauschte, sondern mit einem kalten Blick von ihr schied, der sich, als der Wagen schon anzog, in ein Flehen, wie voller Angst, verwandelte.

Der Reiz des abendlichen Gesprächs war verflogen. Ich saß wieder in schweren, dunklen Gedanken, und so war es mir nur recht und fiel mir nicht auf, daß auch meine Begleiterin kaum ein Wort sprach, sondern in ihre Ecke gelehnt sich mit offenbarer Willenlosigkeit dem Ziele unserer Fahrt zutragen ließ.

Dann aber allmählich merkte ich, daß ich unbewußt begonnen hatte, das schöne Mädchen näher zu betrachten. Wahrlich, das schöne Mädchen! Hatten mir am Tage vorher nur die Augen Eindruck gemacht, so bot sich mir jetzt in der Klarheit des hellen Herbsttages das ganze Gesicht in seinem Ebenmaße dar, das doch nichts glatt Gewöhnliches hatte, sondern durchaus zu dem besondern Ausdruck dieser Augen als einzig passende Umrahmung erschien.

In dem Augenblick, da ich mir das sagte, empfand ich ein Gefühl, wie einen elektrischen Schlag, und gleichzeitig öffnete Elisa den Mund und sprach die ersten Worte, die sich mir unauslöschlich einprägten, weil in ihnen alles Folgende lag und weil sie dem Dritten vielleicht zuerst wie eine halb naive, halb zudringliche, weder besonders geistreiche, noch besonders feinfühlige Einleitung eines Gesprächs unter Fremden erscheinen mochten. Für mich waren sie wie etwas längst Erwartetes, über das mich zu wundern mir keinen Augenblick einfiel.

Elisa also sagte:

»Auch Sie sind unglücklich, mein Herr.«

Du, Friedrich, kennst mich als einen ziemlich wortkargen Menschen, der selbst seine Nächsten nicht gern in sich hineinblicken läßt.

Ich hatte seit dem Tode Deiner Mutter, der gegenüber ich solche Schranken nicht kannte, noch mit keinem Menschen von meinem Schmerz gesprochen. Diesen Augen und dieser Frage gegenüber sagte ich alles heraus, ich weiß nicht mehr, in was für Worten, was auf mir lag. Ich hätte mir keinen bessern Hörer wünschen können. Denn wortlos lauschte sie mir. In ihren Augen aber las ich, wie sie mit mir lebte, und ich war ihr dankbar, daß, als ich fertig war, kein Ausruf des Bedauerns von ihr kam, daß mir nur wieder die Augen sagten: ich habe dich verstanden.

Und ganz unvermittelt sprach sie dann von sich. Sie ging von der Schwester, die so arm gewesen war, wie sie selbst, fort, um sich zu verheiraten. Der Mann, den man ihr ausgesucht hatte, war ihr nicht nur so gut wie fremd, sondern durchaus zuwider, aber um sich nicht schutzlos der ganzen Familie gegenüber zu sehen, das Los ihrer Geschwister, die von dem reichen Schwager abhingen, nicht zu verschlimmern, mußte sie in die verhaßte Verbindung willigen.

Eine gewöhnliche Geschichte, wie sie tausendmal vorkommt und tausendmal ohne Herzbrechen und ohne Tragik abgeht, wirst Du vielleicht sagen, – doch nein, Du sagst es nicht, weil Du fühlst, daß ich hier mit meinem Herzblut schreibe.

Und auch ich empfand nichts derartiges. Ist es doch ohnehin etwas ganz anderes, ob uns solche Leiden von Fernstehenden noch einmal in Bausch und Bogen nacherzählt werden, oder ob wir sie aus dem Munde des Unglücklichen selbst schlicht vernehmen.

Elisa war nun auf dem Wege nach Rostow, wo die Mutter des ihr bestimmten Gatten sie erwartete. Er selbst war in Geschäften noch abwesend. Alsbald nach seiner Rückkehr sollte die Hochzeit stattfinden, gleichfalls in Rostow, um der Familie des Bräutigams die weite Reise zur Fabrik zu ersparen.

Es geschieht oft, daß sich ein lange währendes Stillschweigen über Menschen breitet, die sich eben ausgesprochen haben, und geschieht um so öfter, je mehr von seinem Innersten jeder preisgegeben hat. Solches Schweigen aber ist nicht stumm. Und so fuhren wir dahin in der klaren Luft des späten Herbsttages, und um uns lag, um uns lebte alles, was wir uns gesagt hatten; und das war nicht mehr und nicht weniger, als unser ganzes Geschick. Aber in mir wenigstens war nichts von dem Gefühl der Beschämung, der Entblößung, die uns befällt, wenn wir den Schleier gehoben haben von Tiefen, die wir nicht jedem Auge zu zeigen gewohnt sind. Nicht einen Augenblick hatte ich die Empfindung, getan zu haben, was ich nicht dieser Frau gegenüber in jedem Augenblicke wieder tun würde.

Sie aber lächelte nach einer ganzen Weile, ein schmerzliches, holdes Lächeln, und wir konnten wirklich, bis wir zur Bahnstation kamen, ein gleichgültiges Gespräch über dies und jenes führen, – schwebte doch hinter dem allen das gemeinsame Erlebnis dieser Offenbarungen, die uns (das fühlten wir) aneinander banden.

Wir konnten auf der Station den Zug nach Rostow sofort besteigen. Je näher wir dem Reiseziel kamen, um so schwerer ward uns ums Herz, das ließen die vielen Stockungen in unserer nun wieder persönlicher gewordenen Unterhaltung merken. Kurz vor der Ankunft zog ich die Uhr und sagte:

»Nun nur noch zehn Minuten.«

Und als ich diese Worte ausgesprochen hatte, da wußte ich, was mir diese Fahrt bedeutet hatte, und sie wußte es auch, denn im nächsten Augenblick gaben wir uns die Hand und was wir damals sprachen – es steht Wort für Wort in meinem Gedächtnis, aber ich schreibe es Dir so wenig wie es je ein anderer Mensch erfahren hat, – das war ein Gelöbnis, das zwei geprüfte, reife Herzen fesseln sollte, fesseln mußte für das Leben und darüber hinaus.

Es wurden keine Beschlüsse gefaßt, keine Versprechungen gegeben, und nur im Augenblick der Einfahrt in die Bahnhofshalle, wo eine alte, elegante Russin Elisa erwartete, verabredeten wir, daß ich sie in ihrem Quartier in Rostow am nächsten Tage gegen Abend aufsuchen sollte.

 

Ich fuhr ins Grand-Hotel, wo ich dann also das Zimmer Nummer zwölf bewohnte, in dem Du zwanzig Jahre nachher abgestiegen bist.

Am andern Tage sprach ich Elisa. Mein Besuch konnte nicht auffallen, da sie mich der Dame noch am Bahnhof vorgestellt und unsre gemeinsame Reise erklärt hatte. So sahen wir uns an diesem Tage und an jedem folgenden, fanden auch immer Gelegenheit, uns allein zu sprechen und nun auch die Frage zu erörtern, was aus uns werden sollte.

Mir stand es von vornherein fest, daß Elisa das Verlöbnis lösen und meine Frau werden müßte. Auch sie hatte im Überschwang des ersten Glücks nichts anderes angenommen und war auf diese Lösung des unseligen Verhältnisses, in dem sie sich befand, als ganz selbstverständlich eingegangen.

Je öfter ich aber wiederkam, je öfter ich in sie drang, mir zu offener Aussprache gegenüber ihrer Familie und der des Bräutigams das Recht zu geben, desto unruhiger und desto zaghafter wurde sie, ohne daß ich ihr den Grund ihrer Zögerung abringen konnte.

Endlich erfuhr ich ihn.

Sie und ihre verheiratete Schwester, ja ihre ganze Familie, war schon früher den künftigen Verwandten für materielle Hilfe so viel Dank schuldig geworden, daß sie es nicht übers Herz brachte, sich nun der Abtragung dieser Dankesschuld zu entziehen, wenn sie sich auch voll bewußt war, daß sie damit vielleicht, jetzt, da wir uns kennen gelernt hatten, gewiß, ihr ganzes Lebensglück zum Opfer brachte. War doch – das sah sie klar – jene Unterstützung nur gewährt worden im Hinblick auf ihren künftigen Besitz.

Ich mußte in trübe Familienverhältnisse hineinblicken, aus denen das Bild von Elisas Eltern mit nicht eben reinen Zügen hervorging.

Auf meine leise Andeutung, ob denn jene materiellen Verpflichtungen nicht ablösbar wären, mochte sie nicht eingehen. Sie empfand in ihrer feinen Seele neben jener tatsächlichen Hilfe noch mehr, noch etwas wie eine Rettung von Schlimmerem, für die mit der Rückzahlung von Geld nichts getan gewesen wäre. Und dazu empfand sie deutlich, daß ihr Bräutigam sie liebte.