Sagenbuch der Stadt Erfurt

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II. Zeitsagen.







1. Von großer Wasserfluth.



Von den Erfurter Sagen ist sie vielleicht eine die ältesten deutschen Sagen. Diese gedenkt der Zeit, in welcher noch alles Flachland unter Wasser stand und noch nicht an die Urwälder Germaniens zu denken war. Als die Riesen den Felsendamm an der Schmücke durchstachen, verlief sich das Gewässer und das Land wurde trocken. Die Stelle aber, wo den Wassermassen der Abzug möglich gemacht wurde, ist unter der nachherigen Sachsenburg zu finden.



Auch der Inselsberg soll seinen Namen aus jener Zeit erhalten haben, weil er wie eine Insel aus dem Gewässer hervorragte. Die Namen der Orte Weißensee, Gebesee und Schwansee sprechen für das Vorhandensein von größeren Wassermassen und das Schloß Beichlingen hat noch am Thor einen Eisenring, an welchem – der Sage nach – die Schiffer ihre Fahrzeuge anlegten, aufzuweisen. Und lange noch zeigte man im Peterskloster zu Erfurt als eine Merkwürdigkeit zwei uralte Laternen, die man von einem Thurme herab allen Schiffern zum Wahrzeichen leuchten ließ, denn es gab in der Gegend viel Gewässer.



Nach einer vielverbreitenden Volkssage ist das Innere eines hohen Berges bei Ohrdruf, der Sperrhügel genannt, voll Wasser und eine alte Weissagung spricht davon, daß einstmals der Berg bersten und die Stadt Erfurt und alles Land darum mit einer zweiten furchtbaren Überschwemmung heimsuchen werde. Zur Abwehr dieses Uebels hatten die Mönche von St. Peter gar fleißig gebetet und waren für ihren frommen Sinn mit einem Stücke Wald bei Dietharz und Ohrdruf belohnt worden.





Nach Bechstein und Döring.







2. Von der Entstehung der Stadt Erfurt.



Im Dunkel der Sage verliert sich der Ursprung der Stadt Erfurt. Spangenberg und andere Chronisten sagen vom Anfange der Stadt Folgendes: Der Frankenkönig Merwig erbaute im vierten Jahrhundert an dem Orte, wo jetzt das Dorf Möbisburg liegt eine Burg und nannte sie nach seinem Namen Merwigsburg. Auf einem nordöstlich davon liegenden Berge, dem jetzigen Petersberge, an dessen Fuße damals östlich das Dorf Schilderode lag, baute er einen Saal und legte dadurch den Grund zur Stadt Erfurt.



Anders berichtet Becherer in seiner thüringischen Chronik, wenn er sagt: Anno 430 ist Pharamundus, der erste König in Frankreich gestorben, und sein Sohn Clodius nach ihm König geworden. Dieser hatte einen Sohn, Merowig, den machten die Thüringer zum König. Er verbesserte das thüringische Königreich mit vielen Gebäuden. Zu seiner Zeit war an der Gera, wo jetzt Erfurt liegt, im Brühl ein Müller Namens Erf oder vielmehr Erfried, von dem wurde die Furt über die Gera genannt Erfsfurt.



Noch andere Chronisten behaupten, Erfurt sei durch die Verbindung folgender drei Orte entstanden: S c h i l d e r o d a im Norden, in der Gegend der heutigen Andreaskirche, S c h m i d t s t e d t, gegen Osten, wovon noch das Schmidtstedter-Thor seinen Namen haben mag und von dem auf dem Petersberge belegenen Schlosse Merwigs (Dr. K. Arnolds, Erfurt).



Von der Furt des Müllers Erf ist noch zu bemerken, daß Einige glauben, sie hätte im Brühl gelegen, während doch die Mühle zwischen der Michaeliskirche und dem Komthurhofe noch heutigen Tages Furtmühle heißt und wohl der Ort der ersten Furt hier zu suchen sein dürfte.



In der Hogelschen Chronik ist von einem namhaften Kriegsmann und Edlen am Hofe des Königs zu Burgscheidungen als dem Erbauer der Stadt die Rede. Dieser hieß Erpo oder Erf. Derselbe ließ sich in dieser Gegend nieder und baute im Brühl eine Mühle (weshalb man ihn einen Müller genannt hat) und spätere Ansiedlungen an der dabei durch die Gera gegrabenen Furt, die man nach jenem die Erpes- oder Erfsfurt nannte, erhielten den Namen Erfurt. Das geschah unter König Hojers Regierung.



Da über Anlage und Ausbau der Stadt gar spärliche Nachrichten auf uns gekommen sind, sollen hier Vermuthungen und sagenhafte Anklänge über einige Straßenbenennungen angeschlossen werden.



Das alte Wort Brühl bedeutet einen sumpfigen, morastigen Ort, welcher ringsum mit Gebüsch bewachsen ist. In alten Chroniken liest man aber, daß das Brühl und Hirschbrühl seinen Namen daher erhalten haben soll, daß in selbiger Gegend, in welcher noch Wald war, Hirsche und andere Thiere brüllten. Andere wollen das Wort vom Brausen und Brüllen des Wassers ableiten. Zwischen den beiden Hauptarmen der Gera zog sich ein breiter mit Gras bewachsener Anger hin, der nach und nach zu einer Straße sich umbildete, die den Namen Anger fortführte. – Gegenüber dem Dorfe Schilderoda, das schon vor Ankunft der Thüringer bestanden haben soll und an der Stelle lag, wo jetzt die Andreaskirche steht, erhob sich ein bewaldeter Hügel, welcher der Hügel- und Waldengasse den Namen gab. Nicht weit davon sollen Weidenbäume und mit Kohl bepflanzte Felder der Weidengasse und Kohlgrube zu ihrem Namen verholfen haben, wie Hogel in seiner Chronik schreibt.



Als unter Karl dem Großen, der Erfurt zu einer Stapelstadt machte, Legat Miam Oberaufseher war, ließen sich daselbst Krämer, Handelsleute, Schilderer, Waffenschmiede u. a. nieder und von diesen erhielt eine Gasse unter dem Petersberge den Namen

„unter den Schilderern“,

 von den Krämern die Krämerbrücke, von den Kramführern die Krämpferstraße nebst Thor den Namen. Der alte kleine Markt wurde der Wenigemarkt benannt und die Kirche des hl. Georg die Kaufmannskirche, weil in ihrer Nähe viele Kaufleute wohnten.



Die Eimergasse, die vor nicht allzu langer Zeit noch Meimergasse hieß, soll ihren Namen von dem vorher erwähnten Miam, der vielleicht in dortiger Gegend wohnte, bekommen haben. Die Kürschner-, Müllers-, Weber-, Hüter-, Pergamentergasse wurden nach den dort wohnenden Handwerkern und eben so die Löberstraße und das gleichnamige Thor von den Löbern oder Lohgerbern so benannt. Das 939 erbaute Löwenthor wurde von dem Löwen im Wappen des Grafen von Gleichen, dem es gehörte, benannt. Derselbe hatte auch seinen geschoßfreien Erbsitz im Hause zum Steinsee, von welchem aus ein Gang in die dabei belegene Bartholomäuskirche führte. Sein Gesinde wohnte in der nach ihm benannten Grafengasse, während seine Hofjunker Häuser auf dem Anger, bei St. Lorenz, in der Johannis- und in der Futterstraße hatten, unter welchen sich besonders der Rebstock, der sogar Gefängnisse erhielt, auszeichnete.



Das H e i d e n t h o r mag da gestanden haben, wo jetzt Neuestraße und Predigerstraße sich vereinigen. Es rührte aus sehr alten Zeiten her, wo es noch Heiden gab, die abgesondert von den Christen wohnten. Später mußten die Juden das von den Heiden bewohnte Viertel beziehen und es begriff den Töpfermarkt, die Milchgasse, Judenschule, den Mühlhof, die Häuser unter der Krämerbrücke, Krautgasse und Theile der Michaelisstraße bis zur Lehmannsbrücke in sich. Zu der Judenschule führten Stufen. Unter diesen lag auf dem Mühlhofe das Judenspital und an der Lehmannsbrücke war der Judenzoll.



Nach Hogel.





3. Deodatus oder Adeodat.



Beim fränkischen Könige Dagbrecht III. meldete sich im Jahre 708 ein frommer Mann, Namens Deodatus, mit dem Begehren, man möchte ihm einen Ort anweisen, woselbst er einsam leben könne. Der König wies ihn zum Bischof Wigbrecht von Mainz und dieser schickte in nach Erfurt. Daselbst war dem hl. Blasius auf dem Marienberge eine Capelle geweiht, in welcher sich Deodatus als Einsiedler niederließ. Als er aber sah, daß die wenigen Priester der Stadt Eheweiber hatten und auf ihren Reisen Waffen trugen, wollte er sich von ihnen das hl. Abendmahl nicht reichenlassen und bat den König, daß noch Einer aus seinem Kloster ihm zugeschickt werden möchte. Der König schickte ihm den Benediktiner-Mönch Drutmann (oder wie etliche alte Schriften lasen: Trincundum) von Salzburg. Der predigte in Erfurt und bekehrte allda viel Heiden. Gar Manche begaben sich in seinen Orden und auch viele Jungfrauen nahmen klösterliche Gelübde an. Der König aber hatte sein Wohlgefallen an der Kapelle und erweiterte sie und baute das Nonnenkloster St. Pauli daran und so ward der Anfang der nachmaligen St. Severikirche gemacht.





Nach Hogels Chronik.





Ein hl. Deodat kommt auch in der Legende des Elsaß vor. Jener kam aus Frankreich nach dem Elsaß und lebte mit der hl. Huna und deren Gemahl in inniger Freundschaft. Die hl. Huna aber war eine reiche Edeldame aus der Gegend von Rappoltsweiler, welche sich in ihrer Demuth herabließ, den Armen und Kranken selbst die Hemden zu waschen. Ein heiliger Quell, der in früherer Zeit selbst Wein gegeben haben soll, ist ihr geweiht.





Nach D. Schwebel.







4. St. Bonifacius



Als Bonifacius auf seiner Reise durch Thüringen nach Erfurt kam, fand er daselbst noch manches ungläubige Volk und Heiden, die auf der Wagede ihren Abgotte (Wage) dienten. Bonifacius begann nun Christum zu predigen und forderte die Leute auf, mit ihm in den Wald zu ziehen. Dort sollten sie die Götterbilder zerstören und die vom Volke verehrten Eichen niederhauen. Da zogen Viele mit ihm hinaus. Als sie aber in die Gegend des heutigen Löberthores kamen, erhob sich ein gräulicher Sturmwind vom Walde her. Alle standen still und befürchteten, der Gott Wage würde ihren Frevel strafen. Aber Bonifacius ermuthigte sie und sie folgten ihm hinauf zum Berg. Dort ließ er die Eichen umhauen und als die Zaghaften den Fall ihrer Götterbilder und der heiligen Bäume sahen, weigerten sie sich nicht länger, sich taufen zu lassen.





(Nach Hogels Chronik)





Nach Binhart hatte Bonifacius, um die Thüringer zum christlichen Glauben zu bekehren ein Heer gesammelt und rückte mit demselben über die Grenze. Da flohen die Thüringer und bargen sich in der Drottenburg an der Unstrut. Doch Bonifacius rückte bescheiden daher, forderte die Vornehmsten des Volkes auf, zu einer Besprechung zu ihm zu kommen und drang dann in sie, das Christenthum anzunehmen, indem er von den großen Thaten Gottes sprach. Als sie das hörten, verlangten sie von Bonifacius, daß er es bei dem geborenen Gotte dahin bringen solle, daß sie des Zehnten, den sie dem König von Ungarn geben mußten, ledig würden. Geschehe das, so wollten sie glauben und sich willig taufen lassen.

 



Da kam Gottes Stimme in der Nacht zu Bonifacius, getröstete ihn und befahl ihm, bei den Thüringern zu bleiben. Bonifacius hatte damals sein Lager an einem Bruch an der Unstrut, da später das Kloster Nägelstedt gebauet wurde. Als aber die Ungarn vernahmen, daß die Thüringer den Zehnten zu geben sich weigerten, zogen sie mit großer Heereskraft heran, trafen des Bonifacius Heer an dem Bruch und eilten so gewaltig, daß sie die Vorderen in die Unstrut trieben. Bonifacius aber rief den lieben Gott um Hilfe an, welche ihm auch reichlich zu Theil wurde. Sein Heer tödtete so viele Ungarn, daß die Unstrut in Blut verwandelt ward und es erfocht einen vollständigen Sieg über seine Bedränger. Da die Thüringer das sahen, glaubten sie und ließen sich taufen bei zehn Tausend.



Der schöne Eichenforst südlich der Stadt auf wellig gehobenem Muschelkalkboden zählte noch 1636 gegen 10.400 Stämme. Sein Name Wa gd hängt mit dem Gott Wage (waga, wage = Bewegung) zusammen und bedeutet vielleicht die ewige Bewegung seines grünen Heiligthums. Nachdem St. Bonifacius den Wage-Cultus zerstört, fühlte man den Gott noch im Hain wandeln und ließ dem Walde den Namen Wagweide (Wages Wohnung), bis in neuester Zeit der Namen Steiger ihn verdrängte.





Vergl. Kirchhoffs Weisthümer.







5. Das Trommeln auf Walpurgis.



Bekannt ist die alte Sage, daß auf Walpurgis große Hexen-Versammlungen und Bälle auf dem Brocken veranstaltet werden, wozu die sämmtlichen Mitglieder der Hexengilde auf Besen und Ofengabeln mit großem Geschrei, gleich dem wilden Heere, durch die Luft reisen und dort in Gesellschaft des lustigen Steppchens und Konsorten sich eine Nacht belustigen, bis sie dann beim Hahnenschrei am Morgen wieder auf dieser Gabel- und Besenpost in ihre Wohnungen zurückkehren. Da man diese Kavalkade nicht hindern konnte, war man geschäftig, doch wenigstens zu verhüten, daß die galopirenden Hexen nicht etwa ermüdet hier und da sich niederlassen möchten, um Schaden zu thun und so blieb in dieser Nacht Jedermann wach; man trommelte, lärmte, schoß in der Folge und that alles nur mögliche, um die bösen Gäste zu verscheuchen. Der Gebrauch, die Thüren der Wohnhäuser und Ställe mit drei Kreuzen zu versehen, findet sich noch heute. Das Trommeln übertrug man, als beim Sinken des Aberglaubens der Eifer nachließ, Leuten, die für Geld mit Trommeln, Pfeifen und lärmendem Getöse in der Gegend umherschwärmten, um die Hexen zu verscheuchen. So übertrug man in Erfurt vor langen Jahren dieses Geschäft denen, die die Trommeln schlugen und gönnte, indeß hier der Aberglaube längst ausgetrommelt worden ist, den 29 Tambours und 8 Querpfeifern der Bürgerkompagnien mit ihrem Regimentstambour lange noch an diesem Tage den Gewinn, vor den Häusern der wohlhabenden Einwohner durch militärische Musik sich eine Vergütigung zu holen.





(Thüringische Vaterlandskunde 1802. Nr. 21.)







6. S. Severus



Neben dem Dom in der schönen Hallenkirche werden die urkundlich als echt beglaubigten Gebeine eines heiligen Mannes aufbewahrt, der unter dem Namen des hl. Severus bekannt und nach dem das Gotteshaus benannt worden ist. S. Severus lebte im 4. Jahrhundert und war ein Weber oder Tuchmacher. Wegen seiner großen Befähigung und musterhaften Frömmigkeit wurde er zum Bischofe von Ravenna erwählt und wirkte als solcher viel Gutes. Noch waren in damaliger Zeit die Priester beweibt und Severus’ Frau, Vincentia, und seine Tochter Inocentia erfreuten sich gleichfalls des Rufes großer Heiligkeit. Beide waren bereits gestorben, als auch an den Bischof Severus der Tod herantrat. Er ging im Bewußtsein baldiger Auflösung in das Grabgewölbe seiner Familie und bat die ihm im Tode Vorangegangenen, ihm eine Ruhestatt zu gönnen. Da sollen die beiden Särge sich geregt und ihm in der Mitte einen freien Raum gemacht haben, auf welchem er unter Gebet sich gebettet und seinen Geist aufgegeben haben soll. Auf einer Reise durch Italien kam 830 der Erzbischof Ottgar von Mainz nach Pavia und erfuhr, daß in dieser Stadt die Gebeine des hl. Severus ruhten. Er wußte sich in den Besitz derselben zu setzen und nahm sie mit sich nach Mainz, woselbst sie in der S. Albankirche beigesetzt wurden. Von da wurden sie im feierlichen Zuge nach Thüringen gebracht, um dem hohen Münster auf dem Marienberg zu Erfurt Glanz und Ansehen zu verschaffen. Als der Zug sich dem Weichbild der Stadt näherte, strömten den Heiligthümern viele fromme Leute entgegen. Unter diesen waren nach der Legende vier Schwestern, von welchen die jüngste vom Teufel besessen war, der sie unablässig quälte und nimmer in Ruhe ließ. Mit tiefer Ehrfurcht naheten sie sich den Ueberresten der berühmten Heiligen und baten Gott, daß er der geplagten Jungfrau helfen möchte. Und siehe, der Teufel verließ die jüngste von den vier Schwestern; aber bald war die nächstfolgende ältere Schwester von ihm besessen und gepeinigt. Inbrünstiges Gebet vermochte wohl den bösen Geist aus ihr zu vertreiben, aber er zog nun bei der dritten und dann eben so bei der vierten ein. Das war aber alles nur geschehen, um die vier Schwestern im Glauben und Vertrauen zu prüfen. Bei der Ankunft der Heilthümer in Erfurt war der böse Feind von den vier Jungfrauen für immer gewichen.



Man setzte die Gebeine in der S. Paulskirche, die nun den Namen S. Severi-Kirche erhielt, nieder und erbaute darin später einen kostbaren Sarkophag, an dessen drei Seitenwänden die Legende des hl. Severus in kunstvollen Reliefbildern dargestellt wurde, während die vierte Seite eine Huldigung der hl. drei Könige zur Anschauung brachte. Wahrscheinlich lag obenauf die Steinplatte, die jetzt den S. Severusaltar schmückt, und aus deren kunstvoll gehauenen statuarischen Bildern S. Severus sammt den hl. Frauen mit dem milden Blicke der Anmuth auf den Beschauer herabschauen. An der schöngegliederten Balustrade eines schwebenden Ganges über genanntem Altare wollen Viele die grausige Teufelsfratze mit ausgestreckter Zunge und feurigen Augen erkennen. Es ist aber ein Wappenschild der Familie Legaten und die Erinnerung an die erzählte Legende hat wohl nur in dem Teufelskopfe ein Wahrzeichen erhalten, welcher sich – von unten kaum zu erkennen – an den mittelsten der drei wunderlichen, sich kratzenden und wüthig grinsenden Hunden, die gleich Wasserspeiern an der Galerie angebracht sind, sich unmittelbar anschließt. Der Kopf ist so angelegt, daß der Schwanz der besagten Bestie zugleich die Nase des Gesichts, die Hinterläufe der Schnurrbart in demselben bilden. Die Steinhauerarbeit dürfte dem letzten Drittel des 14. Jahrhunderts angehören.





7. Von einer großen Armbrust.



Als die Stadt Erfurt im Jahre 954 sich immer mehr erweiterte und man genöthigt war, die alte beengende Stadtmauer weiter hinaus zu verlegen, sollte auch der Galgen aus der Stadt geschafft werden. Die Bürgerschaft bat sich aus, ihn so weit von der Stadt entfernen zu dürfen, als man mit einer riesigen Armbrust, die nur sechs Männer zu spannen vermochten, schießen würde. Die Armbrust wurde nach der Mitte der Stadt, dem langen Stege, geschafft, an den Ort, wo gegenwärtig die Schlösserbrücke steht. Von da aus schoß man einen großen eisernen Pfeil gen Osten ab und siehe da, er fiel auf dem Stollberge, _ Stunden weit von dem genannten Orte nieder. Dort baute man den Galgen.





Nach Falkenstein.





An dem Orte, wo einst dieser Pfeil abgeschossen wurde, und den der Volksglaube als die Mitte der Stadt annimmt war noch bis zum Abbruch des mit drei ziemlich schiefen Giebeln versehenen Hauses an der Schlösserbrücke, hart am Wasser (neben dem Obstverkaufsladen der Frau Opel) ein großer Sandstein aufgerichtet, der auf der einen Seite ein Rad, auf der andern eine in Mönchsschrift ausgeführte Inschrift zeigte.*) Die Letztere war Vielen ein unlösbares Räthsel und es wurde geglaubt, die Schrift lautete also:





„Die Müller sind die beschützer des Wasserlaufes.“





Die Schrift war indessen nur aus dem von Eingeweihten sehr wohl zu entziffernden Minuskeln ausgeführt und enthielt eine Nachricht über die Zeit, in welcher die Steinbrücke erbaut war und die Namen der Baumeister, die sie einstens ausgeführt hatten. Nach Abbruch der obengenannten Häuser wurde der erwähnte Stein nach dem Rathhaushofe geschafft, wo er viele Jahre, an die Wand der Kämmerei gelehnt, gestanden hat.



Die große Armbrust hatte aber bis zum Jahre 1830 den großen Saal des alten Rathhauses geschmückt und ist nach dessen Abbruch in das evangelische Waisenhaus gekommen, woselbst sie – vom Brande unversehrt – noch als das interessanteste Geschoß des Mittelalters in der Waffenkammer aufbewahrt wurde; jetzt ist sie im Archiv des neuen Rathhauses.





8. Wunderbare Kinderphantasie.



Im Jahre 1212 kam eine wunderbare Phantasie unter die Kinder. Ein Knabe zog durch Städte und Dörfer in Sachsen und Thüringen und sang ein Lied vom Kreuze Christi, welches von den Saracenen genommen und vom König Saladin festgehalten wurde. Und er verlockte die unschuldigen Kinder, es wieder zu erstreiten und sollte es, wenn sie mit ihm zögen, wieder den Christen zu eigen werden. Da erfasste die Knaben, die den Fremdling hörten, eine wunderbare Begeisterung. Sie rotteten sich zusammen und wollten gen Syrien ziehen und Jerusalem mit sammt dem heiligen Kreuze den Saracenen entreißen. In großen Schaaren brachen sie auf und konnten weder gute Worte, noch Schläge, noch Banden sie von ihrer gefaßten Idee abwendig machen. Sie wanderten nach Italien und wollten von da übers Meer. Aber schon unterwegs starben die meisten vor Frost und Hunger, denn es nahm sich Niemand ihrer an. Und die Wenigen, die noch aufs Meer gekommen, wurden von dem Ungestüm der Wellen hingerissen und kamen kläglich um.





Nach Falkenst. Chron. v. Erf. P. 75.





Im Jahre 1237 am 15. Juli versammelten sich zu Erfurt tausend Kinder, die zogen tanzend und spielend über die Waget und immer weiter, bis sie nach Arnstadt kamen. Dort blieben sie über Nacht und wars großes Wunder, daß sie den ganzen Weg keinem Menschen begegnet waren. Als aber die Eltern ihre Kinder vermißten, erhob sich großes Klagen und Jammern, bis sie erfuhren, daß sie in Arnstadt angekommen waren. Da richteten sie Wagen und Karren zu, sie wieder heim zu holen, denn gar viele jener Kinder waren sehr klein und des Wanderns ungewohnt. Niemand aber wußte zu sagen, was die Kinder zu solchem Treiben veranlaßt hatte. Ihrer Viele blieben auch nachher bleich und krank und waren hinfällig ihr lebelang.





Nach Linhards: Neue vollkommne thür. Chronik u. Bechstein.





Von einer ähnlichen Phantasie der Kinder, wie auch vieler Jünglinge und Jungfrauen erzählt die Stolle’sche Chronik also:

„Anno 1415 begab sich eine


wunderbare Geschichte im Thüringer Lande, Franken, Meißen und Hessen, nämlich daß Knaben und Mädchen vom achten bis zum zwanzigsten Jahre zu dem heiligen Blute nach Wilsnack liefen. Ohne Wissen und Wollen ihrer Eltern liefen sie davon und waren zu solch langer Reise weder mit Geld, noch mit Nahrungsmitteln ausgerüstet. Wenn man sie von ihrer Idee abbringen wollte und sie einsperrte, wurden sie unsinnig. Und wenn der wunderbare Drang des Wanderns sie ankam, begannen die Kinder zu weinen und beruhigten sich nicht eher, als bis sie aus ihren Häusern kamen und sich den sich stets zeigenden Wallfahrern anschließen durften. Dabei war es ihnen gleich, ob sie bekleidet oder halbnackt einher gingen. Viele der Kinder waren so klein, daß man sich nicht getraute, eine Meile Weges mit ihnen zu gehen, dennoch gingen sie, einige sogar Tag und Nacht und bei dem schlechtesten Wetter. Aus allen Städten und Dörfern liefen die Kinder und ihre Zahl wurde täglich größer. Da besorgte sich der Rath der Stadt Erfurt über solches Laufen und erließ ein Gebot, daß Niemand ohne Erlaubnis seines Pfarrherrn und ohne Beichte zum Wunderblute gehen sollte. Als aber auch diese Maßregel noch nicht helfen wollte, befahl er den Thorwächtern von Stunde an, fremden Wallern den Durchgang durch die Stadt zu verbieten.“

 



Auch im vorigen Jahrhundert kam eine seltsame Vereinigung von Kindern vor, die durch keine Macht der Eltern abgewendet werden konnte. Es war im Jahre 1708, während der Religionstractate zwischen den Kaiserlichen und Schweden abgeschlossen wurden, als in Schlesien die Kinder, Knaben wie Mädchen, in mehreren Städten und Dörfern sich täglich dreimal zur Andacht versammelten. Sie bildeten einen großen Kreis, legten sich auf ein Zeichen ihres Vorbeters, den sie sich selbst gewählt hatten und der in der Mitte der Rundung stand, auf das Angesicht und beteten leise das Vaterunser. Dann standen sie wieder auf, sangen geistliche Lieder und beteten dann auf die Zeitverhältnisse passende Gebete. Dieser Kindereifer wurde e