Wir denken an....

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Z serii: Wir denken an .... #3
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Van Gogh

Maler des 19. Jahrhunderts hat das 20. so stark beschäftigt wie Van Gogh. Dieses außergewöhnliche Interesse ließe sich allein durch die ungewöhnliche Ausdruckskraft seiner Bilder erklären, suchte nicht eine tiefere Teilnahme hinter diesen Bildern immer wieder den Menschen, der derartige Werke hervorgebracht hat und der – halb Weiser, halb Narr – durch unsere Zeit gewandelt ist wie ein moderner Parsifal durch eine heillose Welt.

Vincent Van Gogh wurde am 30. März 1853 in einem kleinen Dorfe in Nordbrabant geboren. Sein Vater war Pastor und Van Gogh verlebte seine Kindheit in der wohlgeordneten Ruhe eines niederländischen Pfarrhauses. Schon der Knabe war ein Grübler, und seine Neigung, den Dingen auf eigentümlichen Wegen bis auf den Grund zu folgen, trennt ihn von Anbeginn von der problemlosen Heiterkeit seiner Geschwister.

Wahrscheinlich schreckten sie oft genug vor der Fremdartigkeit des großen Bruders zurück. Denn der Drang, sich mitzuteilen, hat die Fesseln seiner schwerblütigen Natur zuweilen jäh unterbrochen und nach einer Unmittelbarkeit des Ausdruckes gesucht, der die kleinen Gemüter fassungslos gegenüberstanden.

Dieses Streben, das Tiefliegende bloßzulegen, das Echte von jeder verfälschenden Hülle zu befreien und das Wesentliche an Menschen und Dingen ganz unmittelbar werden zu lassen, durchzieht das Ganze, sonst so widerspruchsvolle Leben Van Goghs bis an sein tragisches Ende.

Mit 16 Jahren tritt der kaum der Schule entwachsene in das Geschäft seines Oheims ein. Der Onkel ist Kunsthändler und Teilhaber einer über zahlreiche Hauptstädte Europas verzweigten Unternehmung. Sieben Jahre lang arbeitet Van Gogh in deren verschiedenen Niederlassungen im Haag, in London und in Paris, dann muss er erkennen, dass ihn dieser Beruf niemals befriedigen kann.

Kunstwerke sind wehrlos. Die Händler aber werden nicht aufhören, diese Wehrlosigkeit zu nützen und die Geschöpfe einer göttlichen Eingebung an den jeweils Meistbietenden zu verschachern. Kunsthandel ist angewandte Demokratie. Ihm gilt ein Dollar so viel wie der andere ….

Wahrscheinlich hat selten ein Künstler so unmittelbar begreifen gelernt, dass Geld den Geist tötet. Und als Fanatiker der Wahrheit hat Van Gogh keinen Augenblick länger gezögert, aus dieser Erkenntnis die Folgerungen zu ziehen.

Mit 23 Jahren kehrt er allen Aussichten auf leichten Gelderwerb für immer den Rücken – reist von Paris nach England zurück und wird Hilfslehrer auf dem Land in der Nähe von London.

Doch dieselbe Gewissenhaftigkeit, die ihn vom Kunsthandel weggetrieben hat, vertreibt ihn von neuem. Er erkennt, dass ihm alle Voraussetzungen fehlen, um sich einer so verantwortungsvollen Aufgabe wie der Erziehung von Kindern zu widmen.

Wieder gibt er die Stelle auf, verlässt England und studiert Theologie. Endlich meint er, sein Ziel gefunden zu haben, aber auch die Bücher befriedigen ihn nicht lang. Je mehr er sich in ihre Gelehrsamkeit vertieft, je mehr weicht ihr tieferer Sinn vor seinen Augen zurück und je stärker treibt es ihn, sein Christentum in Werken greifbarer Nächstenliebe zu erproben. So wenig wie das Geld, so wenig – weiß er nun – können Wissenschaft und Buchstabe den Menschen Erlösung bringen. Und nach wenigen Semestern verlässt Van Gogh die Universität und sucht einen neuen Weg.

Im Jahre 1879 taucht in den Kohlengruben der Borinage in Belgien ein gänzlich unbekannter junger Geistlicher auf und beginnt den in Armut und Not völlig abgestumpften Arbeitern das Evangelium zu predigen.

Sie lehnen ihn zuerst ab, wie sie noch jeden abgelehnt haben, der zu ihnen gekommen war, um sie mit Worten abzuspeisen. Als sich der eigentümliche Prediger jedoch ganz unter ihnen niederlässt, um als einer der Ihren mit ihnen zu leben und alle Armseligkeiten ihres freudlosen Daseins mit ihnen zu teilen, ändern sie allmählich ihr bisheriges Verhalten und schenken dem einsamen, immer hilfreichen Mann ihr Vertrauen.

Bald jedoch muss Van Gogh begreifen, dass dieses Vertrauen immer nur ihm persönlich zugestanden bleibt, – und dass es ihm inmitten solchen Elends niemals gelingen wird, diese persönlichen Zugeständnisse in einen allgemeinen Glauben an das Gute und an die göttliche Berufung des Menschen zu verwandeln. Zu sehr wird - was immer er ihnen zu sagen hat – durch die Tatsachen ihrer Umwelt widerlegt.

Und schließlich muss Van Gogh, trotz der Zuneigung, die ihn umgibt, an seiner Gabe verzweifeln, den Menschen durch das Wort und die Religion eine wirksame Hilfe zu bringen. Krank und erschüttert kehrt er in sein Elternhaus zurück. Diese Rückkehr ist ein völliger Zusammenbruch und doch bezeichnet sie die entscheidende Wendung seines Lebens.

Bereits in der Borinage hatte Van Gogh zu zeichnen begonnen. Und es war ihm mehr und mehr zur Gewohnheit geworden, sich über das, was er sah und was er erlebte, mit Stift und Kohle Rechenschaft zu geben.

Vielleicht lag schon damals auf dem unbewussten Grunde solchen Tuns der leidenschaftliche Wunsch, der Welt in Bildern wiederzugeben, was sie in Worten zurückgewiesen hatte. Vielleicht wollte er irgendetwas von seinen Misserfolgen in den Bergwerken mitbringen, das blieb und das sich nicht wieder verflüchtigte, wie die Wirkung seiner Predigten – etwas, woran er anknüpfen könnte, wenn er ein weiteres Mal ausziehen sollte, den Menschen in ihrer Bedrängnis beizustehen. Was immer auch die Beweggründe gewesen sein mögen – das Erlebnis der Kohlengruben brachte die Wandlung. Und der Mann, der kein Priester mehr sein wollte, weil ihm die Gnade, zu lehren, versagt worden war, kam zurück, um nur noch als Maler zu leben.

Er ist kaum 28 Jahre alt und ein blutiger Dilettant… Das Missverhältnis zwischen Wollen und Können ist ungeheuer. Und es scheint nichts vorhanden, ihm den Weg zu seinem neugewählten Ziel zu erleichtern.

Keine Spur von dem, was man gemeinhin Talent nennt, keine Leichtigkeit, kein Ausdruck! Nur Ernst, Schwere und Ungeschicklichkeit. Und das Ergebnis der ersten Studienjahre ist Banalität und Kitsch.

Schließlich erhielt Van Gogh von seinem Bruder Theodor die Mittel, sich im Haag ein kleines Atelier zu mieten. Dort ist er mit sich und den großen Holländern des 17. Jahrhunderts allein. Und es scheint, als hätten die alten stummen Vorbilder dem jungen Landsmann schließlich den Schlüssel in die Hand gegeben, sein eigenes Wesen zu offenbaren. Und nun entstehen Bilder, die in ihrer Ausdruckskraft nahezu Meisterwerke sind. Die besten von ihnen sind Stillleben. Zwar sind sie von betonter Sachlichkeit und entbehren fast gänzlich der Farbe.

Oft bedeckten nur ein paar schmutzig-braune Kartoffeln die Leinwand. Aber diese gewöhnlichen, hässlichen Kartoffeln sprechen eine viel eindringlichere Sprache, als so manches berühmte menschliche Porträt von der Hand gefeierter Modemaler. Genauer gesagt: sie sprechen die Sprache der Borinage. Ihre befremdliche Ausdruckskraft bestätigt den Daseinsanspruch aller Armseligen, Missachteten und Enterbten.

Trotzdem, eine derart ausschließliche auf düstere Armut gegründete Malweise kann auf die Dauer weder ihn noch andere befriedigen. Eines Tages muss die Sucht nach äußerster Beschränkung der Ausdrucksmittel in ein ebenso heftiges Verlangen nach Überfluss, ja Verschwendung umschlagen – eines Tages muss Van Gogh auch die bisher so stark empfundene soziale Motivierung seiner Einseitigkeit fragwürdig erscheinen: Hilft es den Armen und Verfolgten irgendwo in der Welt, wenn man ihnen die graue Armseligkeit ihrer täglichen Umgebung nochmals in schmutzig-getönten Bildern entgegenhält? Müssten nicht eher Kaskaden von Licht ihre verloschenen Erinnerungen an die Schönheiten der Welt zurückrufen?

Schließlich, im Jahre 1885, flieht Van Gogh aus der Wirrnis solcher Fragen nach Paris. Und von da an wird seine Malerei zu einer einzigen Verherrlichung der Farbe.

Aber wieder dauert es Jahre. Wieder muss der schon so oft im Leben Gestrandete von vorn beginnen. Was er bis jetzt erkämpft hat, ist zu verschieden von dem, was er nunmehr erstrebt, um daran auch nur anzuknüpfen.

Er begreift: ohne Auseinandersetzung mit der modernen französischen Malerei gibt es kein Weiterkommen. Er stürzt sich mit der gleichen verbissenen Gründlichkeit in das Studium der neuen, vom Impressionismus geschaffene Malkultur, mit der er sich zwei oder drei Jahre zuvor auf die alten Meister gestürzt hat.

Dann allerdings vermag ihn die technische Überlegenheit seiner Pariser Kollegen nicht mehr zu blenden, im Gegenteil: ihr ewiggleiches Weiß-Grau-Licht beginnt ihn zu langweilen. Ihre Helle erscheint ihm eines Tages als seichter, hässlicher Atelierston. Ihre ganze Art als zu flach, zu geistreich und zu städtisch, und viel zu viel Technik, um der reinen Technik willen.

Van Gogh will nicht nur „Technik“. Er will tiefer als all diese glänzenden Franzosen. Er will auf den Grund der Malerei, um die reinen, unvermischten Farben aus dem Schlamm der Jahrhunderte an die Oberfläche zu tragen: s i e sind die Offenbarung, die er sucht. Etwas Letztes und Unmittelbares… Er spricht mit ihnen wie mit Göttern. Und die Dialoge, die er zwischen ihnen entzündet, werden zum Eigentlichen und Unaussprechlichen seiner letzten und reifsten Bilder. Van Gogh hasst die Großstadt und verabscheut Paris mit der Inbrunst eines ganz und gar auf das Einfache und Wesentliche gestimmte Menschen. Und wie der unbändige Gauguin nach den Inseln der Südsee, so flieht Van Gogh in das fast afrikanisch anmutende Frankreich der westlichen Provence – in die heiße, farbensatte, vom Mistral überwehte Ebene von Arles. Zwei Jahre lang hat er in Paris gelernt. Jetzt endlich fühlt er sich reif genug, um ganz aus sich selbst zu schaffen. Und er malt mit einer sich qualvoll überstürzenden Fruchtbarkeit, als wüsste er, dass ihm nur mehr drei Jahre vergönnt sein werden, um sein Werk zu vollenden.

 

Endlich bedarf es keiner Vorbilder, keiner Lehrer und keiner Technik mehr, endlich ist er frei. Und er kümmert sich wenig darum, ob seine Bilder Anklang finden werden oder nicht. „Ich verfolge kein System beim Malen, ich haue auf die Leinwand mit regellosen Strichen und lasse sie stehen. Pastositäten – unbedeckte Stellen hie und da – ganz unfertige Ecken – Übermalungen – Brutalitäten, und das Resultat ist zu beunruhigend und zu verstimmend, als dass Leute, die auf Technik sehen, daran Gefallen finden können.“

So schreibt er selbst und er denkt keinen Augenblick mehr daran, seine Bilder, diese unheimlichen, ausdrucksvollen Porträts, diese flammenden Stillleben und diese furchtbar lebendigen, von einer glühenden Sonne durchrasten Landschaften zu verkaufen. Er schenkt sie denen, die sich ihnen verwandt fühlen, und lebt lieber selbst in größter Armut, als sie für Geld zu verschleudern.

Der Öffentlichkeit bleibt er verborgen. Niemals dringt eine Nachricht über ihn in die Presse. Kein Kunsthändler, außer einem Pariser Freund, dem alten Tanguy, kennt seinen Namen. Nein, die Welt schweigt von dem verrückten Holländer in Arles, und er ist schon zehn Jahre lang tot, als seine Bilder allmählich hervorgeholt und von einigen wenigen Kennern in Frankreich und Deutschland bestaunt und gewürdigt werden.

Und auch das ist beinahe ein Zufall. Und nur der Verdienst einer einzigen Zeitschrift, des „Mercure de France“. Erst später bemächtigen sich seiner die unvermeidlichen Snobs aus dem internationalen Kunstmarkt und verbreiten seinen Namen in weitere Kreise.

Am 28. Juli 1890 hat Van Gogh in seiner Heilanstalt in Auvers-sur-Oise bei Val-mondois sein von zunehmender Geisteskrankheit bedrohtes Leben freiwillig ausgelöscht. Als ihn sein Arzt mit der Kugel im Leib auffindet und ihm die überflüssige Frage nach dem Sinn seiner Tat vorlegt, zuckt der Sterbende stumm die Achseln. Er mag wohl gewusst haben, dass er gehen musste – schnell und ohne viel Aufsehen, wenn er vermeiden wollte, den Menschen zur Last zu fallen, denen er sein Leben lang unentwegt – und ohne jemals nach Dank zu fragen – gedient hatte.

Franz Defregger

Es gibt Begnadete, deren Kunst ihren Beschauern Welten eröffnen. So Rembrandt und so Leonardo. Und es gibt andere, die – minder unumschränkt – solchen Welten gegenüber wie Ausschnitte scheinen: Van Gogh etwa oder Grunewald oder Botticelli.

Noch ist ihr Werk in sich unbegrenzt. Noch steht irgendwo das Tor zu einem unsichtbaren Paradies (oder zu einer unsichtbaren Hölle, wie bei Picasso); noch ist der Engel fühlbar, der dem Künstler insgeheim den Pinsel geführt hat und ihm mehr sagen ließ, als er selbst wusste.

Die Chinesen (und auch Walt Whitman) sagen, dass das Tao auch in einem Grashalm verkörpert sei, und Meister Ekkehard sagt, ein Stein wäre so nahe zu Gott wie ein Mensch, nur - der Stein wüsste es nicht.

Und wer sich japanischer Tuschzeichnungen erinnert, etwa einer Bambusstaude im Wind – nichts als ein Zweig und ein paar Dutzend Blätter – weiß, was gemeint ist. In diesen paar Blättern ist der Atem dessen, der alles geschaffen hat. Und in manchem Kolossalgemälde ist er nicht. Das ist der Unterschied.

Und er scheidet alle Kunst in zwei Hälften. „Rückverbunden“ oder „nicht rückverbunden“ nennt sie Othmar Spann. „Flach“ oder „tief“ Oswald Spengler; mit oder ohne „metaphysischen Hintergrund“ lautet eine andere Bezeichnung. Indessen, ihre Grenzen zu ziehen, wird niemand gelingen. Der Unterschied liegt tief im Beschauer. Kindern und Naiven winkt das Ewige zuweilen aus Gemälden, die Kennern gegenüber verstummen. Ungezählten Geschlechtern sprach das Göttliche nur aus Götterbildern, das Heilige nur aus Heiligendarstellungen. Und erst späteren Zeitaltern eröffnete sich das Unsagbare jenseits aller menschlichen Gebärde – im einfachen Stein oder Grashalm. Nebstbei aber gab es seit je eine Kunst – oder besser: ein „Können“ – , das ohne Anspruch auf „Ewigkeit“ in der vollendetsten Wiedergabe irgendeines Diesseitigen, Zufälligen, Individuellen, Zeitlichen, Einmaligen (es gibt viele Namen dafür), ihr Genügen fand.

Ich möchte die Kunst zum Unterschied von der vorgenannten als „aktuelle“ bezeichnen. „Aktuell“, weil sie ihr Ziel, im Augenblick zu fesseln, mit raschem Veraltern bezahlt und weil das Interesse, das sie in kommenden Zeiten noch findet, vor allem ein kunsthistorisches ist und kein künstlerisches.

Bei der sogenannten „Historienmalerei“ des 19. Jahrhunderts wird dieses einmalig-aktuelle noch durch die Absicht des Künstlers verstärkt, Geschichte selbst zur Darstellung zu bringen. So wirkt Pilotys ziemlich bekanntes Gemälde: „Seni an der Leiche Wallensteins“ unmittelbar nur auf diejenigen, denen die dazugehörige Legende aus dem Geschichtsunterricht bekannt ist. Vermag ihn das Historisch-Individuelle an Wallenstein zu erschüttern, so erschüttert ihn möglicherweise auch dieses Bild. Andernfalls lässt es ihn kalt.

So einem Gemälde haftet nichts Allgemeingültiges an, wie einem Akt oder einer Landschaft. Was es sonst noch bedeutet, ist Technik oder Routine. So interessiert es in doppelter Hinsicht einzig den Fachmann; den Historiker nämlich und den Maler. Piloty war das Haupt einer um 1860 herum in München blühenden Schule und einer seiner bedeutendsten Schüler war Defregger. War Pilotys Reich die Weltgeschichte von Alexander bis auf unsere Zeit, so war Defreggers Anteil nur dessen kleinste Provinz: Tirol und seine Geschichte oder vielmehr – das Leben der Bauern Tirols und ihre Erhebung im Jahre 1809. Defregger malte, was seine Welt war: dieses Land mit seinen Leuten und die Erzählungen der Ältesten aus seiner Heldenzeit. Er malte das und eigentlich nichts sonst als das. Und diese ihm völlig natürliche Beschränkung auf mehr oder minder ein Thema war letztlich die Ursache seines raschen und im Grunde wohlverdienten Erfolgs. Die Kinder des alten Österreich begegneten dem Abdrucke seines Meisterwerkes „Das letzte Aufgebot“ in allen Geschichtsbüchern, und die unerbittlichen Gestalten der alten Tiroler Bauern, die mit Morgensternen und Sensen auszogen, um sich ihren französischen Bedrückern und der Weltmacht Kaiser Napoleons entgegenzustellen, machten ihnen frühzeitig klar, dass nur derjenige in Freiheit leben kann und in Freiheit zu leben verdient, der gegebenen Falles auch bereit ist, für diese Freiheit das äußerste Opfer zu bringen.

Vielleicht verstanden es nicht alle und nicht alle ganz, aber auf diesem Bild stand es klar zu lesen: Auf dieser Erde wird nichts geschenkt und auf die Dauer auch nicht erhandelt, am wenigsten Frieden und Freiheit.

Und heute, da jeder Schuss aus Tiroler Stutzen von dichtbebrillten Filmzensoren mit einem übereifrigen Jungendverbot bedacht wird, um die heranwachsenden Knaben früh genug unserem idyllisch gewaltlosen Atombombenzeitalter anzubequemen – heute könnten die Enkel jener altösterreichischen Schulkinder statt der unzeitgemäß kriegerischen, den zeitgemäß-friedlichen Volksszenen desselben Defregger in ihren Büchern begegnen, denn kein Künstler hat das volkstümlich-alpenländische in einer so harmlosen, weitläufigen Weise darzustellen gewusst wie er.

Franz Defregger ist am 30. April 1835 auf einem einsamen Berghof im Pustertal – dem Ederhof bei Stronach in der Pfarrgemeinde Dölsach – geboren. Als einziger Sohn des Bauern neben vielen Schwestern, von denen alle starben bis auf eine. Als Franz sechs Jahre alt war, starb auch die Mutter.

Seine Jugend verläuft ziemlich ereignislos. Seine frühesten Erinnerungen betreffen schon die ersten Bekundungen seines Darstellungstriebs.

Er formte sich Tiere und Figuren aus Krapfenteig, schnitt sich Rüben und Kartoffel zurecht und verfügte darin schon über allerlei Erfahrung, als er zum ersten Mal einen Bleistift erblickte. Dieser erste Bleistift und die Weiteren, die ihm sein erstaunter Vater bald darauf schenkte, eröffneten seinem Betätigungsdrang unerwartete Möglichkeiten. Nun konnte er seinen Figuren auch Gesichter zeichnen. Und das tat er unermüdlich, denn er hatte sonst nichts zu tun, als das Vieh zu hüten. Und aus den Träumen der Hirten und Viehhüter sind schon mehr große Dinge hervorgegangen als aus den schnellatmigen Überlegungen anderer arbeitsüberladener Berufe – nicht nur Reiche, wie die des Cyrus und des Dschingis-Khan, auch Religionen, Weltbekenntnisse, Heldengedichte.

Immer war da Zeit, in Gedanken vorzubereiten, was man einmal tun würde – in Gedanken oder in emsigen Strichen auf allen Papieren, deren er habhaft werden konnte und an allen Wänden, die sich bekritzeln ließen, bis der halbwüchsige Defregger eines Tages der Wette eines Nachbarn zuliebe eine 50-Guldennote ganz arglos, aber doch so täuschend nachahmte, dass sein Vater, der zu dieser Zeit gerade Gemeindevorsteher war, alle Mühe hatte, Franz vor einer gerichtlichen Ahndung seines übelvermerkten Streiches zu bewahren. Dieses Erlebnis verleidete Defregger seine Lieblingsbeschäftigung für lange Zeit gründlich.

Dazu kam, dass Franz alsbald der Sitte gemäß vom Hirten zum Knecht seines Vaters aufrückte und sieben Jahre später – als sein Vater plötzlich starb – zum Herrn über das ganze, ziemlich gewaltige Anwesen. Damals schien es, als wäre sein einstiges Können in Arbeit erstickt und für immer vergessen. Doch erwies es sich bald, dass der junge Bauer, unfähig bei Kauf und Verkauf in der gehörigen Weise den eigenen Vorteil zu wahren, in all seinen Unternehmungen fehlschlug und statt zu gewinnen, immer nur zusetzte, so dass der Hof unter seiner Leitung zwar allmählich, aber doch sichtbar zurückging. Zwei Jahre lebte er so – zurückgezogen und verträumt – obgleich er, reich, kräftig und gerade gewachsen, wie er war, mehr dazu angetan gewesen wäre, unter den Jungen des Dorfes den Ton anzugeben – als ein plötzlich ausgebrochenes Auswanderungsfieber auch ihn befiel und er kurzer Hand sein Erbe verkaufte. Als dies geschehen war, ließen sich die anderen zum Bleiben beschwatzen, und Defregger, der nun zwischen zwei Stühlen saß, wagte es nicht, allein über das große Wasser zu fahren. Da kam ihm, wie in Erinnerung an seine einstigen Fertigkeiten, der Gedanke Bildhauer zu werden. Heiligenstatuen für die Kirchen wollte er schnitzen und ähnliches. Durch Vermittlung des Pfarrers kam er nach Innsbruck auf die Gewerbeschule. Der Professor dort erkannte bald sein Talent und riet ihm zur Malerei. Und brachte ihn weiter nach München, wo es mehr zu sehen und zu lernen gab als in Innsbruck – am meisten aber im Atelier Pilotys.

Dort stand der junge Tiroler in Joppe und Lederhose vor dessen gewaltigen Nerobild und wusste, dass das nun auf Lebenszeit sein Weg sein würde: malen!

Er bleibt nicht lange in München. Schon im nächsten Jahr ist Defregger in Paris und 15 Monate lang bildet ihn, ohne dass er es selbst weiß, der Geist und der Formensinn dieser Stadt, sodass er, auf einen Sommer in die Tiroler Berge zurückgekehrt, diese nun anders sieht – mit den Augen und der Maßsicherheit des an der Pariser Atmosphäre Geformten.

Zugleich begeistert ihn die Heimat zu seiner ersten größeren Komposition „Der vom Wilderer angeschossene Förster“. Es war sein erster großer Wurf. Und nun findet er auch Gnade vor Piloty und wird auf fünf Jahre sein Schüler, - neben Markart und Lenbach und Leibl und Anderen. Als er die Schule verlässt, ist sein Ruf fest begründet. In langsam bedächtiger Folge entsteht Bild auf Bild jener Art, wie das Jahrhundert sie liebte.

Das bäurisch-knorrige oder tiefsinnig- vergrübelte – wie manchmal etwa bei seinem Landsmann Egger-Lienz – sucht man vergebens bei ihm. Eher haftet seinen Darstellungen etwas still Beglückendes an. (Man denke an seine „Erste Pfeife“ oder „Der erste Unterricht“).

Manchmal wieder sind sie voll leisen Humors wie das, nicht ohne eine gewisse Ironie des Schicksals, ausgerechnet in die Berliner Nationalgalerie gelangte Gemälde der „Salontiroler“.

Es sind Volkszenen – meist größere Gruppen von einem guten Dutzend Personen – die Defregger neben seinen historischen Darstellungen bei seinen Zeitgenossen bekannt und beliebt gemacht haben. Trotzdem – und trotz seiner unzweifelhaften Könnerschaft auf dem Gebiete der Gruppendarstellung – will es uns scheinen, als habe Defregger sein Größtes nicht hier erreicht (und überhaupt nicht in der Wiedergabe der menschlichen Gestalt) – sondern in einem weniger volkstümlichen und auch weniger auffallenden Bereich, in welchem er seine Meister und Lehrer Piloty weithin übertraf.

Es scheint, dass der kindhaft fromme Defregger seinen Gott am liebsten in einsamer Kammer suchte, und ihn dort zuweilen die große Andacht befiel, die ehrfürchtig jeden Lichtstrahl umfängt, der – Gleichnis einer innigeren und tieferen Welt – die armseligen Gegenstände einer im Halbdunkel verdämmernden Knechtstube umspielt.

 

Manchmal – so in dieser „Ölstudie“ – war auch Defregger ein Maler des Stillen und als solcher – ausnahmsweise – auch ein Großer und Begnadeter.