Wir denken an....

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Z serii: Wir denken an .... #3
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Dazu allerdings bedurfte es neuer Jahrhunderte und bedurfte es der Meisterschaft eines Bach, eines Beethoven oder eines Bruckner.

Caspar David Friedrich

Über Caspar David Friedrich sprechen, heißt die Frage nach dem Sinn aller Landschaftsmalerei stellen- und damit die Frage nach ihrem Rang. Denn bis zu seiner Zeit wurde in Europa höchster Wert nur dem Abbilden der Menschengestalt zuerkannt. Erst in weitem Abstand folgten Himmel und Erde, Wasser und Wolke, Pflanze und Tier. Für alle die allerdings, denen Farben allein um der Farben, Linien allein um der Linie willen da sind, erscheint solche Fragestellung sinnlos, kommt es heute doch nicht mehr darauf an, was dargestellt wird, sondern einzig, w i e es geschieht. Ist doch seit dem Sieg der Impressionisten auch ein Menschengesicht nicht mehr als eine Häufung von Farbflecken – nicht wesenhafter als ein Stilleben, eine Wohnungseinrichtung oder ein Ornament. „Alles Malbare ist Oberfläche, alle Oberfläche lässt sich malen “. Im Gegensatz dazu war es älteren Meistern nicht um Flächen, sondern um Inhalte – oft heilige Inhalte – zu tun. Zuerst sind es Tiere, die solche verkörpern. In Stein gehauen, mit dem zeitlosen Blick der Überirdischen, stehen sie an den Tempelpforten von Theben und Memphis.

Später – noch immer in Stein und zum ersten Mal in Hellas – tritt des Menschen in seiner Vollendung als göttlich empfundener Körper an die Stelle des tierischen. Noch später – und ganz erst mit dem Überwiegen der Malerei – sein Antlitz: die Madonnen der Italiener sind der erste Versuch, die Zartheit Gottes in menschliche Züge zu bannen. Ihr Gott ist intimer, inniger, als der in Tier- und Menschenleiber begriffene. Ein flüchtiger Schein um Wimpern und Lider, ein letzter Schatten um Mund und Wangen bedeutet mehr wie Millionen von Sternen. Und doch war ein Schritt noch zu tun: erschien den Madonnenmalern des Menschen Auge als gottähnlichstes Gebilde der irdischen Schöpfung – sie malten es doch nur von außen wie die blinkenden Fenster einer Fassade. Und konnten sein Inneres nicht sehen und nicht darstellen: seine Ausblicke nicht und nicht seine Gesichte. War Gottes Gesicht mit Farbe und Pinsel glaubhaft zu machen allen Malens letztes, allerletztes Ziel, so bedurfte es nur dieses Schrittes. Der aber bedeutete völlige Umkehr; nicht die Augen der Madonnen waren wiederzugeben, sondern ihre Visionen. Seit jeher hatten sich mystisch veranlagte Menschen zur Versinnbildlichung ihrer Wahrnehmungen zweier Arten von Gleichnissen bedient: erotischer, für das was sie empfunden, landschaftlicher für das was sie gesehen. Der Ausdruck „selige Landschaft“ kehrt immer wieder, entsprach die irdische Schau weiträumiger Einsamkeit doch noch am ehesten den in Worten nicht fassbaren Eindrücken übersinnlicher Erfahrung.

Der Gedanke, das Zarteste und daher Göttlichste auf Erden: Blick und Anblick menschlicher Augen durch Abbildungen dessen zu ersetzen, was sich vor und in diesen Augen abspielt, dieser Gedanke blieb – trotz manchen Anklingens bei Dürer und Leonardo, Rembrandt und Raffael – ungedacht bis Caspar David Friedrich. Wir finden Menschen auf seinen Bildern, den Rücken gegen uns, den Blick in unbestimmte Fernen gerichtet. Wir sehen (über sie hinweg), was s i e sehen und mit i h r e n Augen. Als wären sie kein „Du“ mehr für uns, sondern „wir“. Und was sich vor den unseren ausbreitet, ist die innere, die „unendliche“ Landschaft. Der sie malte, war ein ernster, schweigsamer Mann, ein „Stiller im Lande“, der bald vergessen wurde und den erst die letzten Jahrzehnte wieder hervorgezogen haben.

Friedrichs Geburtsort Greifswald lag im damals noch schwedischen Vorpommern. Seine Vorfahren waren ihres Glaubens wegen aus Schlesien vertrieben worden.

Seine Kindheit verdüstert der von ihm schuldlos verursachte Tod eines jüngeren Bruders, der Caspar David hatte retten wollen, als er eines Tages auf der Ostsee Schlittschuhlaufend, durch die dünne Eisdecke brach, und der dabei selbst ums Leben kam.

Als das geschah, schrieb man das Jahr 1787. Caspar David war damals dreizehn; der Vorfall machte den nachdenklichen Knaben noch ernster und ließ ihn die immerwährende Nähe des Todes nie mehr vergessen. Nach ersten Lebensjahren daheim, nach vielen Wanderungen durch die norddeutsche Landschaft und einem mehrjährigen Aufenthalt an der Kopenhagener Akademie hatte er sich schließlich um 1798 in Dresden niedergelassen.

Wohl zog es ihn immer wieder zurück nach der Ebene, nach den weißen Felsen von Rügen und nach der Weite des Meeres, aber nicht weniger liebte er später das Wandern auf sonnigen Höhen und seine reifsten Werke entstammen dem Erlebnis der schlesischen und deutsch-böhmischen Berge. Dresden war in jener Zeit Mittelpunkt der deutschen Romantik. Schelling und Tieck, Novalis und Schlegel trafen sich hier. Und einer von Friedrichs engsten Freunden war Heinrich von Kleist. Weiteren Kreisen bekannt wurde Friedrich erst 1808, damals durch ein aufsehenerregendes Altarbild. Dieser auf fremden Wunsch angefertigte sogenannte „Teschener Altar“ zeigt einen pyramidenförmig in die Bildmitte aufragenden Berggipfel.

Darauf im Gegenlicht eine Gruppe von Fichten. Auf dem höchsten Punkt, von der jenseits untergehenden Sonne beleuchtet, ein steil in die Abendröte ragendes Kreuz.

Gedanke und Aufbau des Bildes wiedersprachen allen herkömmlichen Regeln. Auch war dieses „Kreuz im Gebirge“ der bisher einzige Fall eines zu kirchlichen Zwecken entworfenen Landschaftsgemäldes. (Und ist es bis heute geblieben, denn immer noch hat Gottes übermächtige Schöpfung die fromme Umfriedung einer bloßen Menschenkirche gesprengt).

Im Jahre 1810 stellte Friedrich erstmalig in Berlin aus. Seine Bilder heißen „Mensch und Meer“ und „Klosterfriedhof im Schnee“. Auch sie widersprachen allem Herkommen; das erste befremdete durch eine noch niemals gewagte Monotonie: eine braune, im Wind wehende Kutte zwischen Unendlichkeiten von Sand und Wasser. Das beherrschende Motiv des zweiten waren Ruinen. An sich keine Neuheit, nur ihr Stil im Gegensatz zur herrschenden klassizistischen Tradition gotisch und ihr Hintergrund Winter. Entsprechend war, wie nicht anders zu erwarten, die Kritik. Wer sich glücklicherweise um sie und ihre gelehrte Meinung nicht kümmerte, war der junge Kronprinz von Preußen.

Er erwarb beide Bilder zum Preis von 450 Talern und die Berliner Akademie sah sich sehr zu ihrem Missvergnügen genötigt, den fremden Neuerer zu ihrem auswärtigen Mitglied zu wählen. So konnte Friedrich im Herbst 1812 neuerdings in Berlin ausstellen und wieder sprengte sein Bild den Rahmen des Üblichen. Auch das sogenannte „Kreuz im Riesengebirge“ ist dem Mönch am Meer insofern ähnlich, nichts als Weite und Horizont, Ausblick von einsamer Höhe auf hingebreitetes Land.

Kein Vordergrund. Im Hintergrund unzählige, von feinen Nebenstreifen unterbrochene Hügelkulissen. Im Mittelgrund Fels. Darauf wieder – wie beim Teschener Altar – ein hochragendes Kreuz. Davor, gerade noch erkennbar, in lichte Gewänder gehüllt eine Frauengestalt, die eine dunklere männliche die letzte Stufe zum Kreuz emporzieht.

Das Ganze: Sinnbild von der Einheit alles Grenzenlosen; Welt, Gott, Du, Ich – „Wo du auch hingehst, du bist nirgends allein“.

Dieses Bild bezeichnet den Beginn von Friedrichs „unendlicher Landschaft“. Was es beherrscht wie den „Mönch am Meer“, ist die Übermacht des Chaotischen. Nur: jener Mönch erscheint wie ein Fragezeichen am Rande des Chaos. Die beiden Gestalten am Kreuz sind dem Chaos entronnen.

Immerhin, ihre Gebärde ist Flucht aus der Grenzenlosigkeit, Flucht vor der unermesslichen Ferne, die hier noch drohend erscheint, indem sie alles menschliche Maß übersteigt.

Doch schon in Friedrichs nächsten Werken vollzieht sich die Wandlung. Die Ferne wird zum Gegenstand nicht mehr der Abwehr, sondern der Hinneigung, und beider Spiel und Widerspiel, das jener Ferne mit den an ihren Standort gefesselten Wesen im Vordergrund wird zur Vorahnung von der einstigen Erlösung.

Erwartung unwissbar ferner Dinge umweht in den „Lebensstufen“ die hauchzarten Silhouetten abendlicher Segelschiffe; berührt im „Mondaufgang am Meer“ die graziösen Umrisse zweier in wortloses Schauen versunkener Frauen; beseelt in der fast chinesisch

einfachen zweiten „Riesengebirgslandschaft“ das blattlose Geäst eines einsam in öde Verlassenheit ragenden Baums.

Immer in diesen Werken wird das Unfassbare an seinem Gegensatz fassbar, das Unbegrenzte begriffen durch seinen Widerschein im Begrenzten.

Immer klingt durch alle Spannung, Sehnsucht, Unerlöstheit – am stärksten im „Mondaufgang“ – etwas wie ein Versprechen durch, „alles Getrennte fände sich wieder“. Das Getrennte aber – von der großen Einheit Getrennte – ist die Gestalt im Vordergrund: Baum, Mensch, Tier, Segel …

Plötzlich, in einem seiner letzten großen Gemälde – der „böhmischen Landschaft“ – steht der Betrachter allein. Kein Baum mehr im Vordergrund, keine Menschengestalt. Nur ein einsamer Weg führt noch hin zu fernen taubeglänzten Wiesen, Bergen, Wäldern.

Jene Wiesen, Berge und Wälder aber gleichen in ihren lichten Zartheit Melodien aus Schuberts späten Werken, und jener Weg ist wie ein Hineingleiten in Musik.

Folgt noch letztes, allerletztes Bild: Kein Weg mehr, weit, unsagbar weit dehnt sich Sommer, Bäume und Büsche stehen trunken von Licht. Im Mittelpunkt ein Menschenpaar in seliger Umarmung. Nah und Fern sind Eins. Die Zeit ist stehen geblieben, die Welt am Ziel.

Danach und bald nach den Befreiungskriegen, die Friedrich miterlebt wie nur irgendein Deutscher seiner Zeit, ist auch sein Leben nicht mehr bedeutsam. Er wird wunderlich und seine letzten fünfzehn Jahre gleichen einem langsamen Verdämmern.

 

Er stirbt am 4. Mai 1840, lange, nachdem sein Geist in Umnachtung verfiel. Er hatte der Welt die „unendliche Landschaft“ geschenkt. Was sollte er weiter auf ihr?

Arnold Böcklin:

Maler des Mittelmeeres

als eines mythischen Wesens

Dass er – ein Sohn des Nordens, der den Süden liebte – diesen Süden jedoch nur mit nordischen Augen sah, das war das Geheimnis seines deutschen Erfolges, malte er doch ihren Süden, den Süden der Nordländer. Nicht den bekannten und billigen der Reisenden aus Licht und Leichtigkeit, und nicht den schwermutvollen, sonnverbrannten der Einheimischen, sondern jenen fahlen, föhnigen Süden, der hinter dämmrigen Schatten alle versunkenen Götter der Heiden an die Oberfläche beschwört.

Nie hätte ein Italiener die „Toteninsel“ gemalt, nie ein moderner Grieche das „Spiel der Najaden“.

„Wo man nur irgend kann, soll man die Darstellung klaren Sonnenscheins in Bildern vermeiden“, schreibt Böcklin. Das ist ganz nordisch, ganz mit den überempfindlichen, leicht geblendeten Augen des Deutschen gesehen. Die Sonne verjagt alle Geheimnisse einer feinabgetönten Schattenwelt. Sie zerstört jenes niederländische Helldunkel, das Böcklin als fix und fertiges Vorbild nach Italien mitbringt.

Denn nur die kennen alle Weite des Lichts, denen es sparsam zu Teil wird. Zuviel Sonne blendet und erhellt nicht die feineren Unterschiede, sondern verdunkelt sie.

„Diese Florentiner“ sagt Böcklin zu Floerke, „wenn man von den Niederländern kommt – Nacht wirds. Beobachtungen machen gibt’s nicht. Nie haben sie etwas zu erzählen, nie etwas mitzuteilen: die Niederländer (hingegen) sind bis in die Fingerspitzen voll. Kinder sind die Florentiner in der Kunst, ärmliche hohle Gesellen, diese Botticelli und so weiter. Dagegen so ein van Eyck-Schüler – durchempfunden bis ins kleinste… oder ….dieser Rogier von Weyden zum Beispiel. Bis ins letzte hinein belebt. Daneben nun die besten Italiener: Gleich hörts auf. Und nun gar an Stellen, wo sie sich unbeobachtet meinen….“

Auch die Venezianer: „Rücksichtslose Schmierer von wenig edlem Geschmack.“ Tizian: „Leichtfertig und liederlich“ und „an der Lebensfülle des Rubens gemessen – ein Nachtwächter“. Dagegen Rembrandt: „Auf Farbstimmungen hat er sich zwar nie eingelassen“, aber „das stärkte Licht auf kleinstem Raum konzentriert, durch große breite Schattenmassen unterstützt …. Das hat er verstanden!“

„Ja, wenn diese Flamen und Holländer mehr in Italien gewesen wären! Das malen, was die Italiener gemalt haben, aber so malen, wie sie selber es konnten!“

Böcklin war dreiunddreißig, als er nach Rom kam. Im Wagen. Durch die Porta Salaria. Er kam und blieb sieben Jahre. Was früher gewesen war, wurde unbedeutsam: Basel, das ihn geboren hatte, dann Düsseldorf, Antwerpen, Brüssel, Paris…

Alles war anders hier. Rinder weideten über sonnenüberglühten Ruinen und die Ruinen waren ohne Zeit. Auch die vielen Brunnen waren es und auch die Öde vor den Toren – die Campagna.

Manche unter seinesgleichen ist diese Stadt ohne Uhr und Stunde zum Verhängnis geworden. Die Urwüchsigkeit Böcklins blieb ihr gewachsen. Er lernte das Schauen in ihr, und die Frucht dieses Schauens waren weiträumige, lichtgebadete Landschaften von einem bezaubernden Wohlklang der Formen – noch ein bisschen „Claude Lorrain“ in mancher Hinsicht, aber doch schon sehr „Böcklin“; und für manche der Höhepunkt seiner Kunst überhaupt. Denn nicht die Unberufensten bezeichnen seine späteren, bekannteren Entwürfe in der Art des „Heiligen Hains“ oder der „Villa am Meer“ bereits als Denkmale eines bedauerlichen Verfalls.

Woran Böcklin vorbeiging in Rom, war alles, was die Zeit dort geschaffen hatte und, unter ihrem Szepter, Päpste wie Cäsaren. Und was er schließlich mitnahm, war weder das geistige oder sinnliche Bild des alten Imperium Romanum, noch das der Renaissance oder das des Barock – sondern etwas aus Luft und Landschaft, das um Rom ist und südlich von Rom, und das erst in der kälteren Luft Deutschlands frei wurde für sein Werk wie der Tau erst frei wird in der Kühle des Morgens.

Dort treten mit einem Mal an Stelle der bisherigen flimmernden Fernen und der im silbrigen Mittagslicht träumenden Baumgruppen die dunkel leuchtenden Gemälde einer versunken Götterwelt.

Nun, da er nicht mehr in Rom ist, malt er aus den Gesichtern seiner römischen Zeit. Aber er malt nicht was er in Wirklichkeit sah, denn es sei ganz verkehrt, die Natur nachahmen zu wollen. Da ziehe jeder Maler den Kürzeren. „Wir haben kein Sonnenlicht auf der Palette…. wir müssen die Farben beim Malen übersetzen und durch Kontraste ihre Wirkung sichern….“

„Die Farbe ist im Bilde zu einem ganz anderen Zweck da, als in der umgebenden Natur. Unsere Bildtafel ist eine Fläche. Um diese Fläche räumlich zu gestalten, muss ich ihren Charakter als Fläche aufheben und dazu hat der Künstler nur die Farben. Also muss ich die Farben nach ihrer optischen Wirkung, so wie sie für unser Auge vor- und zurückspringen, verwerten.

Aber man malt nicht wegen der Farben, diese sind lediglich Mittel und Zweck, zum Erzählen. Die Farbe macht das Erzählen deutlich und ich brauche nur so viel Farbe, als dazu gerade notwendig ist…. Kolorismus – das heißt Farbe als Selbstzweck – ist Unsinn.“

Das „Erzählte“ – klarer kann es Böcklin nicht sagen – er ist nicht zuerst Maler, sondern Erzähler, Dichter. „Wenn man solche Kerle malt“ meint Böcklin zu Lasius, „muss man sich auch seelisch in sie hineinleben. Ein Pferdeleib mit menschlichem Oberkörper ist noch lange kein Kentaur!“

Auch frühere Künstler waren in erster Linie Dichter gewesen, vielleicht alle frühen Künstler. Auch ihnen war nicht das Zuschaustellen von Linien und Farben letztes Ziel ihres Malens gewesen, sondern das Wiederbringen von etwas, das schon vor ihrem Bild da war, und immer war dieses im buchstäblichen Sinn. „Wieder-zu-gebende“ – (der Engel, oder die biblische Szene oder der Held oder der Heilige) – das Entscheidende ihrer künstlerischen Absicht gewesen – und niemals hätten diese einfachen Menschen verstanden, dass sich spätere Jahrhunderte mehr für ihren Stil und ihre Technik interessieren würden, als für das, was sie selbst als das Wichtigste ihres Werkes ansahen – das Erinnern an etwas, das wert ist, erinnert zu werden.

Zu denken, dass zufällige Art und Weise der Abbildung wichtiger sein könnte als das Abzubildende selbst – das zu denken, wäre ihnen nur widersinnig erschienen und die Bezeichnung „Vorwand“ für den Gegenstand ihres Bemühens gleichbedeutend mit einer Verkehrung der natürlichen Ordnung der Dinge.

Und wie die Künstler dachten, dachten ihre Auftraggeber: auch sie wollten eine Madonna und nicht einen Stil, eine Landschaft und nicht eine Manier, ein Portrait und nicht einen „Ismus“. So zu empfinden allerdings war eines Tages unzeitgemäß geworden. Und wollte einer – entgegen der nunmehr üblichen Entwertung der Dinge durch die Virtuosität ihrer Wiedergabe – an der alten Rangordnung festhalten, so musste er, um überhaupt beachtet zu werden, der Neugier seines Publikums unerwartete Tore auftun. Und das tat Böcklin. Aus dem Aufbäumen seines schöpferischen Willens gegen die Zeichen der Zeit, entsprang das Herausfordernde seiner Kunst.

Indessen die Impressionisten den banalsten Alltag in der Zufallsschönheit einzelner flüchtiger Farbaugenblicke verklärten, malte Böcklin ganz altmodisch Götter und Ungeheuer vergangener Jahrtausende. Diese aber in verblüffender Leibhaftigkeit. Das war seine der impressionistischen entgegengesetzte Kunst.

Und was noch befremdlicher war, er malte auswendig und hatte dank unermüdlicher Studien, einen derart umfangreichen Vorrat naturgetreuer Vorstellungen fertig im Gedächtnis, dass er der Nachhilfe ihrer Gegenwart nicht mehr bedurfte. Nur ausnahmsweise verließ er in späteren Jahren sein Atelier, um sich eines vorübergehend verlorengegangenen Eindrucks von neuem zu versichern. So reiste er einmal in ununterbrochener Fahrt von Zürich nach Neapel, setzte sich dort an den Strand und prägte sich die vergessenen Formen der sich in wilder Brandung überschlagenden Wellen neuerdings ein.

Und wie damals Stunden, war er in früheren Jahren Tage hindurch zwischen den Felsen gehockt und war der hochaufspritzenden Gischt mit dem Pinsel ins Wasser gefolgt, um ihre flüchtigen Muster aus Sonne und Schaum aus nächster Nähe zu fassen.

Und so – mit allen Zeichnungen ihrer Oberfläche und allen Tönungen ihrer Tiefe – hat denn auch kein Abendländer vor Böcklin die salzige Flut in Bilder gebannt.

Andere hatten das Meer als Hintergrund und Begrenzung, als Teil einer Landschaft oder Sinnbild des Sturmes, als Staffage einer Seeschlacht oder als Inbegriff schillernder Farbflecke dargestellt – aber nie von so nahe – nie mit demselben Zauber eines nicht nur sichtbaren, sondern auch hör- und fühlbaren Elements.

Böcklin erst gab den Menschen des Nordens das lockende, heidnische Südmeer als das zurück, was es den Gefährten des Odysseus gewesen war – als ein gewaltiges, sich jeden Augenblick erneuerndes mythisches Wesen.

Bezeichnend, welch entscheide Rolle das Musikalische in seinem Schafften gespielt hat! Der Strich einer Geige konnte ihn ebenso heftig erregen wie das Leuchten einer Farbe – und schon in seiner Jugend pflegte er seine Arbeiten ständig mit Flötenspiel, später mit Phantasien auf dem Klavier und Harmonium, zu unterbrechen.

Bestrebt, die Wirkung seiner Bilder, bis zur Illusion eines gleichzeitigen Eindrucks von Gesicht, Gehör und Tastsinn zu steigern, hat Böcklin die Kraft seiner Farben immer wieder an Klangeffekten gemessen und versucht, eine bestimmte, mit Worten nicht näher zu erläuternde Übereinstimmung zwischen den beiden Sinneseindrücken hervorzubringen.

Er hat daher auch, eher unbewusst wohl als mit Absicht, die Darstellung solcher Naturerscheinungen bevorzugt, deren Betrachtung unwillkürlich Geräuschvorstellungen erweckt – wie der Anblick flötender Hirtenknaben, die Bewegung windgebeugter Zypressen oder das Aufleuchten an Felsklippen und Uferhöhlen zerschellender Wellenkämme. Trotzdem kannte er wie keiner die Grenzen der Malerei – und als ihm Wagner vorschlug, die Dekoration seiner Musikdramen zu übernehmen, lehnte er ab. Und auch später, als die beiden Männer einander in Neapel von neuem begegneten, kamen sie sich nicht näher.

Und doch waren sie – beide gleich versessen auf die Wiederbelebung versunkener Welten – Zwillinge derselben Idee, das in dichterischer Eingebung Geschaute durch die sinnliche Gewalt von Klang und Farbe in die Gegenwart zurückbeschwören.