Wir denken an....

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Z serii: Wir denken an .... #3
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Tizian

Am Rand er Dolomiten, nahe der Grenzen Tirols, liegt, inmitten himmelstarrender Berge die kleine Landschaft Cadore. Dort wählten die freien Männer im Jahre 1321 einen gewissen Guecello, Sohn des Tommaso von Possale zum Oberhaupt. Seither tauchten die Guecelli oder Vecelli, wie sie später genannt wurden, immer wieder in den Chroniken der Gegend auf, und die Cadoriner sind längst Untertanen des Löwen von San Marco, als Gregorio Vecelli im Jahre 1486 seine beiden Söhne Francesco und Tiziano zu einem Oheim nach Venedig bringt. Die beiden Knaben sind 12 und 9 Jahre alt. Die neuartige Welt, die mit einem Schlag über sie hereinbricht, ist das Gegenteil ihrer bisherigen Umgebung. Venedig ist damals die reichste und glänzendste unter den Städten des Abendlandes und selbst weitgereiste und weltbewanderte Männer verfallen dem Zauber ihrer orientalisch anmutenden Prachtentfaltung. Zu solcher Einschätzung allerdings fehlt den beiden Bergkindern der Vergleich zu anderen Städten. Umso unbefangener bestaunen sie ihr, sich in ständig wechselnden Spiegelungen wandelndes Antlitz und verfallen so allmählich dem eigentümlich malerischen Zauber Venedigs, das der Plastik toskanischen Bauens – wie mit Absicht – das Bezwingende einer ganz und gar zum Gemälde gewordenen Architektur gegenüberstellt. Vielleicht aber verwundert sich der kleine Tiziano mehr noch als über alle schillernde Mannigfaltigkeit des venezianischen Stadtbildes über den überraschenden Anblick seiner Umgebung: Das war keine Landschaft mehr, der mit der Zeichnung klarer einfacher Umrisse beizukommen war, wie den Bergen seiner Heimat. Hier, in dieser verwirrenden Flachheit der Lagunen, an deren unfassbaren Horizonten sich Wolken zu Wasser und Wasser in Wolken verwandelten – hier verlor sich alle Wirklichkeit in den Sinnestäuschungen einer nur mehr in Lichtwerten zu begreifender Atmosphäre. Noch ahnte der neunjährige Tizian nichts davon, dass er eines Tages berufen sein sollte, diese beiden frühen Erlebnisse – das venezianische und das der Lagunen, selbst zu Ende zu denken: der Malerei die Farbe und der Landschaft die Atmosphäre zu erobern. Wir hören nicht viel von Tizians Lehrjahren. Er ist zuerst seinem Meister Bellini gefolgt, dann schloss er sich zeitweilig seinen gleichaltrigen Mitschülern Giorgione und Palma Vecchio an. Frühreifer als er, eilten sie ihm zunächst weit voraus. Sein eigener Stil entfaltet sich spät und im Gegensatz zu Giorgione war er nicht der Mann, die Welt in jungen Jahren in Erstaunen zu setzen. Erst allmählich, und im Gefolge einer von Jahr zu Jahr ständig zunehmenden Erfahrung wuchs er in seine spätere Größe hinein. Und er wuchs mit einer für alle eifersüchtigen Nebenbuhler beängstigenden Stetigkeit. Denn, während Geschlecht um Geschlecht immer neue Generationen ins Grab sinken, arbeitet der längst zur legendären Gestalt gewordene Tizian unermüdlich weiter, das einmal begonnene zu vollenden. Bei solch gleichmäßiger Entwicklung lässt sich ein einzelner Zeitpunkt als Beginn eines Aufstieges nicht festsetzen. Immerhin ist im Jahre 1513 sein Ruf schon so weit verbreitert, dass er von Rom aus die Aufforderung erhält, in päpstliche Dienste zu treten. Diese Einladung spielt er so geschickt gegen die venezianischen Stadträte aus, dass sie ihn nicht nur gleichberechtigt neben Bellini mit der Ausschmückung des Dogen-Palastes betrauen, sondern darüber hinaus noch die Einkünfte eines Sensals am Kaufhof der Deutschen – dem sogenannten fondaco dei tedeschi – überlassen. Nach Rom geht er nicht, doch folgt er in den nächsten Jahren wiederholten Einladungen der Herzöge von Ferrara, Mantua und Urbino.

Dann bringt der Winter des Jahres 1532 die erste Begegnung mit Karl V. und Vasari. Tizians zeitgenössischer Biograph berichtet, der Kaiser habe, nachdem er Tizian in Bologna kennengelernt, keinem anderen Künstler mehr gesessen. Sein Lohn jedenfalls entsprach der Gebärde eines Weltherrschers. Denn nach Spanien zurückgekehrt, ernannte er Tizian zum Pfalzgrafen, mit allen aus dieser Würde entspringenden Vorrechten und erhob seine Kinder zu Edelleuten des Reiches.

Und das geschah trotz jenes berühmten Kolossalgemäldes, das Tizian zur Verherrlichung eines venezianischen Sieges über die Kaiserlichen angefertigt und der Stadt Venedig übergeben hatte. Und beweist, wie wenig ein Mann wie Karl V. Kunst mit Politik vermengte und wie weit insofern er von den kleinlichen Ressentiments späterer Jahrhunderte entfernt war. Und Tizian brauchte den Verlust der kaiserlichen Gnade auch dann nicht zu befürchten, als er die Aufforderung des Kaisers, dessen tunesischen Feldzug zu begleiten, ebenso ablehnt, wie seine wiederholten Einladungen nach Spanien. Dass Tizian Gründe zu solcher Ablehnung gehabt hat, geht aus den unzähligen Verpflichtungen hervor, mit deren Erfüllung er sich oft Jahre und selbst Jahrzehnte in Rückstand befand. Nicht nur die Herzöge von Ferrara und Mantua beklagten sich oft bitter über seine Säumigkeit, sondern auch die Stadt Venedig sah sich eines Tages veranlasst, Tizian in einem sehr ernst gehaltenen Schreiben den Verlust seiner staatlichen Einkünfte anzudrohen, falls er die vor einundzwanzig Jahren übernommene Ausschmückung des großen Ratsaales im Dogenpalast nicht endlich zum Abschluss zu bringen gedächte. Erst im Jahre 1545 folgte Tizian den so oft schon erneuerten Einladungen des päpstlichen Hofes nach Rom. Mit der typischen Großzügigkeit jener Zeiten hatte der Herzog von Urbino die Kosten der Reise übernommen und dem Künstler ein berittenes Geleit bis an das Ziel seiner Fahrt zur Verfügung gestellt.

Tizian hat später bedauert, diese Reise nicht zwanzig Jahre zuvor unternommen zu haben, so stark war der Eindruck sowohl der antiken Stadt wie auch jener der dort angetroffenen zeitgenössischen Kunst.

In Michelangelo und Tizian trafen sich damals die Häupter der beiden führenden Richtungen – die rein malerische Venedigs und die mit Plastik und Architektur innig verschwisterte der Römer und Florentiner. Bezeichnend für ihren Gegensatz ist das Urteil, das Michelangelo damals über den so ganz anders gearteten Tizian gefällt hat: Es sei schade, meinte er zu Vasari, dass man in Venedig nicht zuerst ordentlich zeichnen lerne und, dass die dortigen Maler nicht gründlicher im Studium wären. Hätte dieser Mann so viel künstlerisches Wissen und so viel Formsicherheit wie natürliche Begabung, würde niemand mehr und besseres erreichen als er.

Man könnte gegen diese Auffassung einwenden, dass sie am wesentlichen der venezianischen Kunst vorbeigesehen habe. Zweifellos war es dem großen Florentiner nicht gegeben, eine Entwicklung zu würdigen, die immer ausschließlicher nur von der Farbe bestimmt wurde. Bisher hatten Gestalt und Form den Gehalt eines Bildes getragen, indem den ausfüllenden Farben eine bloße Nebenrolle zufiel. Aber schon der jüngere Tizian hatte das zeichnerische Element immer stärker hinter das malerische zurücktreten lassen und in steigendem Maße den Eigenwert der einzelnen Farben und die von aller Zeichnung unabhängige Gesetzmäßigkeit farbiger Wirkungen entwickelt.

Dann allerdings – und zwar ziemlich unvermittelt, beschritt der ältere Tizian einen neuen, noch gänzlich unbetretenen Weg: mit einem Mal dämpfte er den leuchtenden Reichtum seiner Farben zu Gunsten einer neuartigen Geschlossenheit.

Nicht Farbe und nicht Zeichnung sind die Träger seiner späteren Werke, sondern Licht selbst, jenes körperlose und unfassbare Licht, das aller Sichtbarkeit irdischer Dinge zu Grunde liegt – ihrer Farbe sowohl wie ihrer Gestalt.

Diese neuartige Betrachtungsweise, die die einzelne Farbe ihrer individuellen Daseinsberechtigung entkleidet, um sie einem größeren, das ganze Bild beherrschenden Zusammenhang einzufügen, hat den noch im 15. Jahrhundert geborenen Tizian über die Grenzen seines eigenen 16., hinausgetragen und in die unmittelbare Nähe der großen holländischen Vollender unserer klassischen Malerei gebracht.

Darüber hinaus hat seine Entdeckung des an sich körperlosen Lichts als des einzig wesenhaften Gegenstandes malerischer Darstellung, der Welt eine weitere, noch kaum erschlossene Provinz erobert – nämlich den Begriff der Atmosphäre und ihr damit den Durchbruch zur Landschaftsmalerei als einer gleichwertigen Kunstübung neben Akt und Porträt gewonnen.

Vielleicht war es ein Rest kindlicher Sehnsucht nach heimatlichen Bergen, der Tizian schon in seinen frühesten Versuchen dazu verführt hat, seine Kompositionen immer wieder ins Freie zu verlegen. Sicher ist, dass er gerade in der gleichwertigen Vereinigung landschaftlicher und menschlicher Motive das volle Maß seiner dichterischen Kunst erreicht hat und nicht mit Unrecht ist er – und nicht allein in Italien als der Vater der abendländischen Landschaftsmalerei bezeichnet worden.

Tizians römische Reise ist nicht seine letzte gewesen. Noch als Siebzigjähriger ist er Einladungen Karls V. zu den Augsburger Reichstagen gefolgt und hat den beschwerlichen Weg über die Alpen zweimal – davon einmal mitten im Winter – angetreten. Erst dann blieb er endgültig in Venedig und überließ seinen Söhnen die Regelung auswärtiger Angelegenheiten. Seine Schaffenskraft jedoch blieb unverändert wie sein Ansehen und seine unverwüstliche Gesundheit.

Als die Pest im Jahre 1575 über die europäischen Länder hereinbrach, erfasste sie im folgenden Sommer auch ihn. Am 28. August ist Tiziano Vecelli, nachdem er bis zum letzten Tage gearbeitet hatte, im 99. Lebensjahr der furchtbaren Seuche erlegen.

Antonio Correggio

Er hieß eigentlich Antonio Allegri. Corregio ist der Name seines Geburtsortes in der Provinz Emilia.

Dass dieser Name ihm blieb, ist nicht ohne tiefere Bedeutung, denn mit Correggio wird auch seine heimatliche Landschaft zur Heimstätte der großen Malerei, und Parma, die Stätte seines Wirkens, tritt gleichberechtigt neben Venedig, Florenz und Perugia.

 

Correggio hat, ähnlich Raffael, zu verschiedenen Zeiten verschiedene Bewertung erfahren. Das Seicento vergötterte ihn und hielt die Ausmalung der Domkuppel zu Parma für den Gipfel der Renaissancekunst, und noch den Sammlern des 18. Jahrhunderts war Correggio der meistbegehrte Meister.

Dann ließen neue Gesichtspunkte der Kunstbetrachtung seine Bedeutung zurücktreten und auch die Gegenwart vermag ihn im Allgemeinen wohl zu bewundern, aber kaum wirklich zu lieben. Seine Kunst erscheint ihr zu leicht und zu spielend; wie bei Joseph Haydn will sie den Ernst hinter so viel lächelnder Schwerelosigkeit nicht erkennen. Andererseits wieder erscheint ihr Correggio zu bewegt, um wie Raffael als wohltuender Gegensatz zur eigenen Unruhe empfunden zu werden.

Man vergisst, dass selbst dessen Ruhe nur die Ruhe des Kunstwerks dartut und allenfalls noch die Ruhe des Künstlers, nicht aber die Ruhe der Zeit; und dass jenes heute kaum mehr begriffene: „Ernst ist das Leben, heiter die Kunst“ früheren Zeiten selbstverständlich war. Und dass es keinem Künstler beigefallen wäre, seine Mitmenschen mit ungefälligen Problemen zu bedrängen; nur deshalb, weil diese Probleme seine eigenen waren.

Auch Correggio trat seinem Werk entgegen wie einem Fest, und ließ alles Persönliche weit hinter sich, wenn er den Pinsel ergriff. Alle alte Kunst, die der Italiener zumindest, schon weniger die der Holländer und Flamen, war diskret.

Wir wissen nichts von häuslichen Streitigkeiten des Antonio Allegri, nichts von seinen politischen Anschauungen, nicht einmal etwas von seinen amourösen Neigungen. Umso mehr wurde in sein Leben hineingeheimnist, was niemand wirklich wissen konnte und was wahrscheinlich niemals zutraf: Verarmung, Not, eheliches Unglück und kaltherzige Ausbeutung durch eigensüchtige Auftraggeber.

Indessen erfahren wir aus verlässlichen Dokumenten, dass Antonio Allegri der Sohn zwar einfacher, aber nicht unvermögender Eltern war, und dass er für seine Arbeiten durchaus angemessene Bezahlungen erhielt. Er war einer jener stillen Arbeiter, die ohne viel Worte die Last des Lebens auf sich nehmen und ziemlich ungestört von der Meinung der anderen ihr vorgenommenes Werk zu Ende führen.

Er ist um das Jahr 1494 geboren, also etwa 40 Jahre nach Leonardo, etwa 20 nach Michelangelo und Tizian und etwa 12 nach Raffael. Sein Aufstieg vollzog sich im Schatten zweier Frauen, der Veronica Gambara, Herrin von Correggio und der Isabella von Este, Gemahlin Francesco Gonzagas, des Fürsten von Mantua.

Auch die Kultur der Renaissance beruhte, wie jede höfische Kultur, auf dem Vorhandensein von Frauen, die sie trugen, und der sie durch ihr bloßes Dasein Erde, Luft und Licht bedeuteten. Und die dabei ebenso namenlos blieben, wie Erde, Luft und Licht namenlos sind und ebenso unersetzlich für alles Gedeihen rund um sie wie diese. Nur ausnahmsweise wurde die Namenlosigkeit der Geschichte gegenüber durchbrochen. Dann wurde eine Frau zum geistigen Mittelpunkt einer Stadt oder eines Fürstentums, Künstler und Gelehrte suchten ihr Urteil und gehorchten ihrem Wink.

Manche der kleinen Höfe Italiens trachteten damals durch Geist zu ersetzen, was ihnen an Reichtum und Gewalt der Waffen gebrach. Was heute Wunschtraum ist und allenfalls noch – und von niemandem ernstgenommen – in den Tischreden von Staatsmännern eine untergeordnete Rolle spielt, war damals Wirklichkeit. Schönheit war Macht.

Denn kannten die Fürsten jeder Tage auch kein anderes Gebot als ihre eigene Lust und die Erhöhung ihres eigenen Ich, so fürchteten sie doch den Fluch, für bildungsfeindlich zu gelten und beugten sich willig vor allem den Gesetzen des Schönen.

Der Sage nach soll Antonio Allegri im Jahre 1511, also mit 16 Jahren vor der Pest von Correggio nach Mantua geflohen sein. Dort stieß er nicht nur auf einen der glänzendsten Höfe Italiens, sondern dank der schöngeistigen Isabella auch auf die letzten und erlesensten Werke der zeitgenössischen Kunst. Nach Mantua war auch der angesehene Ferrarese Lorenzo Costa nach dem Sturze der Bentivogli geflüchtet, und in Mantua hat bis zu seinem Tode der Hofmaler der Gonzaga gelebt, Andrea Mantegna.

Größer jedoch als der Einfluss dieser beiden Maler, insbesondere Mantegnas meisterhafte Bewältigung der Perspektive, war der Einfluss Leonardos. Wir finden diese Feststellung in so ziemlich allen Betrachtungen über die Entwicklung Correggios, obgleich keinesfalls feststeht, wann und wo er die Werke Leonardos erblickt haben kann.

Allerdings gehen manche Autoren so weit, allein auf Grund seiner Malweise, von einem Aufenthalt Correggios in Mailand zu sprechen, als wäre ein solcher erwiesen. Später berichteten die Autoren mit derselben Gewissheit von einer Romreise Correggios, doch nur, weil nach ihrer Ansicht die Ausmalung des Doms zu Parma ohne Kenntnis der „Disputa“ Raffaels überhaupt nicht zu denken ist.

Es kann hier nicht untersucht werden, ob Gleichheit der Einfälle in jedem Falle Nachahmung oder Abhängigkeit bedeutet. Denn wir wissen aus der Geschichte der Technik, dass gleiche Erfindungen oft gleichzeitig und nachweisbar unabhängig voneinander gemacht worden sind und kennen keine andere Erklärung dafür, als die bekannte, die betreffenden Erfindungen hätten zu jener Zeit eben in der Luft gelegen.

Gleiches gilt unzweifelhaft in der Kunst. Gewisse Entwicklungen liegen auch hier vor. Wohl gibt es unwiderlegliche Abhängigkeiten. Jedes Verhältnis Meister – Schüler bedeutet eine solche und niemand wird den Reiz übersehen, allen verborgenen Beziehungen von Künstler zu Künstler Schritt für Schritt nachzugehen. Doch besteht da und dort die fühlbare Tendenz, Werk und Individualität jedes Künstlers in ein Gespinst von angeblichen Einflüssen aufzulösen. Auch Correggio war zeitweilig ein Schulbeispiel dafür: „D a s an seinen Werken sei Mantegna und d a s Leonardo und d a s Raffael!“ Und eigentlich nichts war Correggio.

Zugegeben, sein Werk war weniger ausgeprägt als das der anderen. Gleiches gilt von manch anderen Großen, auch in der Musik. Nur der Eingeweihte erkennt Schumann oder Mendelssohn bereits nach den ersten Takten, der Laie vermag das allerdings nur bei Beethoven oder bei Tschaikowski.

Vasari schreibt, Correggio sei „zum Schaden seines Könnens“ nie in Florenz gewesen. Doch Vasari war einseitig in seiner Vorliebe für die zeichnerische Überlegenheit der Florentiner, er hätte gleiches von Correggio und Venedig schreiben können. Denn auch die Farbigkeit der Venezianer hat Correggio nie vollends erreicht.

Doch bezeichnen weder Farbe noch Zeichnung sein eigentliches Können, sondern Beherrschung des Lichts. Daher seine Verwandtschaft mit Leonardo. Auch mit dem älteren Tizian. Prüfstein dafür: die photographische Wiedergabe mit ihrer Beschränkung auf eine einzige Farbskala: schwarz-weiß. Sie lässt die meisterhafte Verteilung von Hell und Dunkel in Correggios Werken noch augenfälliger hervortreten.

Gleiches gilt nahezu allgemein: je vollendeter ein Gemälde bei vorübergehendem Verzicht auf Farbe, desto vollendeter, wie im Falle Correggios, die Behandlung des Lichts. Wir bewundern sie bereits an seinen früheren Werken, etwa an seiner „Vermählung der heiligen Katherina“ oder seiner „Ruhe auf der Rückkehr aus Ägypten“.

Doch tritt schon hier ein anderes hinzu. Und wer das Wesen Correggios erschöpfend umschreiben will, muss es zu mindestens mit zwei Worten tun: Licht und Bewegung.

Vielleicht ist die ungewöhnliche Bewegtheit seiner Bilder noch kennzeichnender als ihr Schwelgen im Licht. Sie scheint zuweilen alle malerischen Formen zu überwinden und mutet an wie Musik. So wirken gerade seine bedeutendsten Werke – die Domkuppel in Parma – wie lichtgewordene symphonische Stücke: Nichts ist in Ruhe, alles türmt sich in phantastischen Verkürzungen nach oben und löst sich über den Wolken in ein himmlisches Rondo.

Alles das ist vorausgeahntes Barock. Correggio war ein Musikant der Farbe. Doch war die Zeit noch nicht reif, den Pinsel wegzulegen und den Dirigentenstab zu ergreifen. Auch seine weltlichen Stücke sind in all ihrer heidnischen Beschwingtheit gemalte Scherzos, sind gemalte Kammermusik. Correggio galt seinerzeit als unbestrittener Meister in der Darstellung mythologischer Szenen.

Seine erste Auftraggeberin dieser Art war eine Äbtissin – merkwürdig vielleicht für unsere Zeit, nicht für die damalige. Besondere Vorliebe des Correggio: der olympische Zeus, die Töchter der Erde.

Es gibt keine dezentere Darstellung der von einer Wolke umarmten Jo und keine anmutigere der von Schwänen umgarnten Leda als die des Correggio.

Mit ihr stand Correggio auf der Höhe seiner Kunst. Mit 45 Jahren starb er am Fieber. Ein echtes Kind der Renaissance und ihr stillvergnügter Zuseher, ein Begnadeter, dem alles Sinnlich-Schöne heiter und unschuldig und alles Fromme und Unschuldsvolle sinnlich fassbar und heiter erschien. So wie seine Heiligen, die sich von Griechengöttern nur ein wenig durch die Kleidung und vielleicht auch etwas durch die rasch zusammengerafften Mienen unterschieden, sonst aber ihnen gleich waren nach Haltung und Art und Gebärde.

Rembrandt

Rembrandt van Rijn ist am 8. Oktober 1669 völlig vereinsamt und gemieden von seinen Mitbürgern in seinem Amsterdamer Atelier gestorben. Seine ganze Verlassenschaft bestand aus ein paar zerschlissenen Gewändern, etwas Leinwand zum Malen, einigen Pinseln und Farben.

Das war das Ende des größten niederländischen Malers, und vielleicht bezeichnet nichts besser den seitherigen Wechsel seiner Einschätzung als die Veröffentlichung eines Buchs, das in den 1890-iger Jahren in Deutschland berechtigtes Aufsehen erregt hat:

Es hieß „Rembrandt als Erzieher“ und sank wie manches ähnlich zeitgebundene Werk bald in Vergessenheit, nur Sinn und Name blieben bedeutsam, denn nie bisher noch war das Vermächtnis eines bildenden Künstlers (statt wie üblich das eines Dichters oder Denkers) zum Ausgangspunkt einer Weltbetrachtung gemacht worden.

Dass das 19. Jahrhundert einen solchen Versuch unternahm und die Gestalt eines zu Lebzeiten Vergessenen und Geächteten zum Sinnbild seiner eigenen Zukunftshoffnungen erhob, beleuchtet die außergewöhnlichen Spannungen, denen das Leben dieses phantastischen Einzelgängers unterworfen gewesen war.

Sie begann, als sich der junge, in einer Windmühle aufgewachsene Rembrandt endgültig als freier, unabhängiger Künstler in Amsterdam niederlies. Hören wir Verhaerens Beschreibung des Rembrandt´schen Amsterdam:

„…. Der Anblick ist der einer satten Wohlhabenheit. Frauen mit gesteiften Halskrausen schauen stundenlang hinter den Fensterscheiben auf die gegenüberliegenden Fassaden, die doch ganz so sind, wie die ihren. Es gibt wenig Lärm, alles ist gleichmäßig, geregelt und vorausgesehen, denn die Bürger von Amsterdam sind Puritaner; sie haben die Reformation mit ihrem Blut erkämpft und nun befürchten sie nichts mehr, als die mögliche Unterbrechung ihrer abgezirkelten Existenz.

Und da sie die Freiheit des Gedankens gerade noch dulden, beschränken sie die des Benehmens. Sie haben die Ideen frei gemacht, aber die Taten gebunden.“

Und Rembrandt? Er war der Unbändigste der Unbändigen in jenen flachen Ländern am unteren Rhein und ist es geblieben – bis zuletzt, in seinen Tugenden, wie seinen Fehlern.

Er trank das Dasein hinunter wie ein durstiger Zecher – ganz, und in einem Zug. Und alle Höhen und alle Tiefen, die es zu bieten vermochte, sind ihm gewährt worden – und mitgegeben mit ihrer Lust und ihrem Schmerz der unbezähmbare Drang, ihre Flüchtigkeit einzufangen und festzuhalten für ewig.

Man umarmt nicht das Leben, um es immer wieder zu entlassen. Klang und Duft und Geschmack und alle Sensationen des Tastsinns sind vergänglich, Farbe und Form aber lassen sich fesseln, lassen die ganze Welt in einer phantastischen, zweiten Dimension von Tusche- und Kohlenstrichen, Öl- und Wasserfarben, geritzten Metallplatten und geschnitzten Holzbrettern wiederholen. Und so eindringlich wiederholen, dass sie sich erst so und zum ersten Mal (und wie in einem großen Staunen) ihrer selbst bewusst werden. Natur und Kunst sind wie Eva und ihr Spiegel: So also bin ich? So bin ich wirklich? Ein oft bezaubernder, oft entsetzlicher Anblick - ein flüchtig unbefangenes Stück des Lebens – fest gebannt und fest gefroren zu ewiger Dauer. „Ich will dieses Leben halten wie eine Geliebte und nimmer von mir lassen.“ So denkend kam der junge Rembrandt nach Amsterdam und sein Denken fiel in diese Stadt der Konventionen und Vorurteile, wie ein glühender Meteor in feuchtkalten Nebel.

 

Alsbald heiratete er, der unbekannte Müllersohn und Plebejer, eine lebensprühende, blutjunge, und heidnisch-leichtfertige Patrizierin, Saskia von Uylenburg. Und alsbald wurden die beiden, so wie sie waren und so wie sie lebten, dem steifhochmütigen, puritanischen Amsterdam ein ständiger Anlass zu ständigem Ärgernis. Aber was kümmert das Rembrandt? Seinen leicht entflammbaren Sinnen genügt Saskias strahlender Teint, genügt der kleine, fein geschwungene Mund und das frische, übermütige Lachen über blitzenden Zähnen. Was zählt daneben ganz Amsterdam? Was seine totlangweiligen Verwandten? Ist sich von zarten Händen überwinden, Tag für Tag neu überwinden zu lassen, nicht das Köstlichste im Menschenleben? Ein Bild der Dresdner Galerie zeigt beide bei Schmaus und Schwelgerei. Der ungeschlachte, riesige Rembrandt hält seine feine, zierliche Frau auf den Knien und schwingt einen gewaltigen Becher schäumenden Weins. Was kümmert´s ihn auch, ob solch übermütiges Sichbrüsten als geschmackvoll empfunden wird oder nicht, und keinerlei Angst, unvornehm oder herausfordern zu wirken, wird seine breitspurige Männlichkeit je daran hindern, ein anderes Maß anzuerkennen, als das seiner eigenen Kraft und seiner eigenen Leidenschaften. Und ob er Saskia – nackt und entschleiert – in der klassischen Umrahmung griechischer Göttinnen malen wird oder im überladenen Prunk jüdischer Bräute oder orientalischer Königinnen – immer wird s i e „Rembrandts ewiger, Körper gewordener Traum“ bleiben. Da Saskia keine Bedenken kennt, ihrem Mann gleichzeitig Gattin und Geliebte zu sein und seinen Träumen mit kapriziösen Launen und phantastischen Wünschen immer von neuem Nahrung zu geben, baut Rembrandt einen Palast rund um sie und schafft alles heran, was Amerika und Indien über den Ozean senden, um sie und sein Haus mit einer Welt von Sonderbarkeiten zu schmücken.

Bald allerdings beschuldigt ihn seine Verwandtschaft, Erbteil und Mitgift zu vergeuden. Rembrandt führt Prozess und verliert. Und von da an überwacht eine peinliche und krämerhafte Kontrolle sein Haus und vereitelt jeden Versuch, in das unbekümmerte Dasein der ersten Jahre zurückzufallen.

Plötzlich, am 19. Juni 1642, stirbt Saskia und zerreißt die buntfärbigen Schleier seines einstigen, glanzvollen Lebens. Mit unbarmherziger Hand wirft die verachtete Wirklichkeit den übermütigen Träumer zu Boden und entlässt ihn als Bettler. Nun aber, in der entscheidenden Wende seines Lebens, wandelt Rembrandt seinen Schmerz genauso zu Traum wie einst seine Freude und schafft sich aus Trümmern ein neues unangreifbares Reich. Von Saskia blieb ein Kind und dank der Aufopferung einer Magd – Henrikje Stoffels – der Schein eines Haushalts. Und das genügt, dem Gezänk aller Gläubiger und Gerichtsvollzieher zum Trotz, das eigene Werk zu vollenden.

Hätten jene gekonnt, sie hätten den größten Maler Europas an den Rand des Selbstmords getrieben. Aber Rembrandts unverwüstliche Bärennatur war stärker als sie und seine Phantasie zäher als Gold.

Nun er nichts mehr hat, als Titus, Henrikje und sich, umkleidet er ihre und die eigene lumpige Armut mit dem Gold und der Seide seiner Erinnerung, und verzaubert Sohn und Magd zu Pagen und Prinzessinnen sagenhafter Vergangenheiten, nicht ohne zuletzt in Stolz und Trotz, Freude und Trauer doch wieder sich und sich allein vor den Spiegel zu stellen, in knabenhafter Selbstliebe die eigenen Züge nachzubilden und die eigenen Gebärden nachzugestalten.

Denn stets bleiben er und die Seinen seiner naiven, barbarischen Natur die einzig wirklichen Menschen, die einzigen Träger einer großen, vielfärbigen Illusion, die stärker ist als alles Schicksal, stärker sogar als alle Erinnerungen, genügt es doch, dass sie sich einer einfachen Magd wie Henrikje bemächtigt, und selbst Saskia, die vergötterte Saskia, wird in der Einsamkeit einer elenden Kammer vergessen.

Und doch ist diesem Phantasten und Träumer das Bild der Wirklichkeit heilig. Und je selbstherrlicher der Privatmann Rembrandt alle Peinlichkeiten des öffentlichen Lebens beiseiteschiebt, mit umso größerer Sorgfalt zeichnet der Künstler die der Natur, umso unbestechlicher wird sein Pinsel, umso schonungsloser gegen die ihn umdrängenden Unvollkommenheiten von Menschengesichtern und Menschengestalten.

Und malt er mit Vorliebe das Hässliche, um es der leuchtenden Pracht seiner Farben entgegenzuhalten, so liegt darin mehr als ein nur malerisches Gefühl für Kontraste. Die Suche nach einer tieferen Wahrhaftigkeit, als eine bloß gefällige Kunst sie je darbieten kann, erlaubt ihm als begnadeten Zauberer, alle Schwächen der irdischen Menschennatur in Wundern von Licht aufzulösen.

So sind denn auch keine von Rembrandts Frauengestalten und nur wenige seiner Männer und Greise im üblichen – apollinischen – Sinne des Wortes als schön zu bezeichnen – und nur in seinen Landschaften gesellt sich die natürliche Schönheit der gemalten Natur der übernatürlichen seiner eigenen Schau. Gerade jene anderen aber, gerade seine Menschenbilder überwältigen die Beschauer durch die aus Maß und Gebärde, aus Farbe und Schatten auf sie eindringende Wucht ihres Anrufs: „Seht her, so sind wir! Nackt und ungeschminkt! Weist uns ab, wenn ihr könnt!“.

Und niemand vermag es! Auch die Krämer und Wucherer von Amsterdam mit ihren von Geiz und Selbstgerechtigkeit zerfressenen Seelen können es nicht. Und ob sie den Künstler auch verabscheuen und verfolgen, seine Werke wägen sie mit Gold.

So kann es geschehen, dass Rembrandt, völlig unbekümmert, was da gegen ihn vorgebracht wird, sich vor dem Schuldgericht in aller Ruhe damit vergnügt, die Züge seiner Widersacher zu zeichnen. Und dabei auf unerwartet eindringliche Weise das übergeschichtlich Ewige und hoffnungslos Erdverhaftete dieser verknöcherten Menschengesichter erfährt und – weil er anders den Sinn ihres trostlosen Erdendaseins nicht zu begreifen vermag – IHN in ihre Mitte stellt: „Christus, die Kranken heilend“.

Das Blatt ging ab für hundert Gulden. Das Genie begann seinen Tribut einzufordern und es forderte ihn frech von denen, die es unverhohlen verhöhnte. Denn die seines Geistes waren und die zu ihm hielten, die Zecher in den Schenken und Hafenspelunken, die hatten weder Truhen, sich Bilder zu stapeln noch Wände, sie aufzuhängen. Rembrandt war nie über die Grenzen seiner Heimat hinausgelangt. Er hat nie inmitten adeliger, rassiger Menschen gelebt wie seine italienischen Vorgänger. Und der einfache Weg auf die Straße – genug, um in Florenz oder Venedig einem Überfluss an menschlicher Anmut zu begegnen – war ihm, dem Holländer verwehrt.

Als er die ersten Bilder der Saskia malte, war seine Palette noch reich und prunkvoll. Dann beginnt sich die blühende Pracht seiner Farben zu dämpfen und während er immer mehr und immer bewusster die alleinige Herrschaft des Lichts über Farbe und Umriss verkündet, gelangt auch er – wie einst Tizian – in letzter Stunde an den äußersten Rand seines Könnens.

Was sich hier im armseligen Atelier eines einzelnen Mannes abspielte, war mehr als ein persönliches Drama. Es war das Ringen der abendländischen, faustischen Seele um die letzten, unübersteigbaren Grenzen der Malerei.

Und nicht umsonst ist dieser abschließende Kampf nicht im freien Feld der alten klassischen Farben, sondern im entlegenen Bereich jenes sprichwörtlich Rembrandt´schen Braun ausgefochten worden.

„Dieses, früheren Jahrhunderten vollkommen fremde, Braun“ nennt Oswald Spengler „die letzte, die unwirklichste Farbe, die es gibt. Es ist die einzige, die dem Regenbogen fehlt; es gibt weißes, gelbes, blaues, grünes, rotes Licht in vollkommenster Reinheit. Aber ein nur braunes Licht liegt außerhalb der Möglichkeiten unserer Natur. Alle jene silbrigen, feuchtbraunen, tiefgoldenen Töne, die schon bei Giorgione in prachtvollen Spielarten erscheinen, entkleiden den Raum seiner greifbaren Wirklichkeit und lösen seine sinnlichen Beziehungen in einer Welt reinster Innerlichkeit auf“, bis schließlich in den späten Gemälden Rembrandts jene äußerste Schwelle erreicht war, die mit malerischen Mitteln nicht mehr überschritten und über die hinaus nur mehr in Noten zu Ende geschrieben werden konnte, was hier in Lichtern und Schatten starr auf Leinwand festgebannt lag.