Wir denken an....

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Z serii: Wir denken an .... #3
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Raffael Santi

Er kam in jenem glücklichen Jahrhundert zur Welt, da sich die Sonne noch um die Erde bewegte, das Himmelreich noch knapp und fast greifbar nahe über den Köpfen der Menschen schwebte, und Italien noch Mittelpunkt der Welt war.

Heute beinahe vergessen – damals unter dem kunstsinnigen Grafen von Montefel-tro einer der glänzendsten Höfe und dichterischer Schauplatz des „Cortegiano“ von Castiglione, des meistgelesenen Buches seiner Zeit – lag Urbino, von Wäldern umgeben, an einem der vielen Wege, die von Norden her nach dem ewigen Rom führen.

Dort, im Schatten dieses Hofes wurde Raffael Santi am Karfreitag des Jahres 1483 geboren. Sein Vater war als Goldschmied, Maler, selbst als Dichter bekannt. Von seiner Mutter wissen wir, dass sie als Mädchen den Namen Magia Ciarla geführt hat. Beide Eltern starben früh und mit elf Jahren stand Raffael allein und verwaist in der Welt.

Mit 16 kam er nach Perugia, in die Werkstätte des Perugino. Da entstand auch sein bekanntestes Jugendwerk, „Lo sposalizio“, die Vermählung Marias. Äußerlich ganz im Stil der umbrischen Schule, zeigt es in hundert feinen Merkmalen doch seinen „künftigen“ Weg.

Alles an diesem Bild ist schon irgendwie Raffael und vieles schon nicht mehr Perugino: die blumenhafte Anmut der Farben und Maße, das beseelte Spiel der Hände, der auffallend weiträumige, zu etwas Grenzenlosem wegstrebende Hintergrund.

Der Eindruck wird bei längerem Hinsehen so stark, dass alles Vordergründige wie im Zeitlosen spielend erscheint und der rückwärts aufragende Tempel wie hingestellt, um durch ein Tor und zwischen hochragenden Säulen nach unsagbaren Ewigkeiten zu blicken.

Es hieße zu viel behaupten, wollte man sagen, dass Raffael diese Wirkung beabsichtigt hat. Wenn irgendeine Kunst im tiefsten Sinn absichtslos ist, dann seine, und wenn eine gerade darum bedeutungsvoll ist, dann wiederum seine. Denn nur das Ungewollte verkündigt sich uneingeschränkt, und erst da, wo keine Absicht mehr dazwischen spricht, beginnt das Göttliche zu sprechen.

Nun Meister Perugino ihm nichts mehr zu sagen hatte, wandte sich Raffael mit 21 Jahren nach Florenz.

Er kam mit guten Empfehlungen dahin und sein Talent sowohl wie sein gefälliges und anspruchsloses Benehmen, öffneten ihm rasch die Häuser der Großen und machten ihn bald zum Liebling der gebildeten und vornehmen Gesellschaft.

So oder ähnlich lesen wir in volkstümlichen Lebensbeschreibungen den Beginn seines Aufstiegs.

„Mehr als sonst wo“ – schrieb Vasari – „gelangten die Menschen hier in Florenz zur vollkommenen Beherrschung aller Kunstzweige, denn sie wurden ununterbrochen von drei Kräften angespornt und getrieben: von der Kritik, vom Handelsgeist und von der Ruhmsucht“.

Vasari überging bei dieser Aufzahlung das offenbar Wichtigste: die unmittelbare Gegenwart unzähliger Vorbilder.

Ihre damalige Bedeutung können wir heute kaum noch ermessen. Denn während sich in unseren Tagen die Kenntnis jeden einzelnen Kunstwerks in tausendfältigen Abbildungen über die ganze Welt hin verbreitet, war ihr Erlebnis damals der lebendigen Anschauung eines einzigen Urbildes vorbehalten. Und dahin, zu diesen Urbildern, führen tage-oft wochenlange Wege zu Fuß und im Sattel.

Kunst wollte in jenen Tagen erfahren, im buchstäblichen Sinne des Wortes „erfahren“ werden und wir können heute nur ahnen, was Raffael empfand, als er zum ersten Mal und ohne sie anders als dem Namen nach gekannt zu haben, den Kunstschätzen der Stadt Florenz gegenüberstand.

Er mag lange vor den Farbgluten des Fra Bartolomeo, lange vor den sanften Verträumtheiten des Botticelli und des Filippo Lippi verweilt haben. Er wird die alten wuchtigen Fresken des Masaccio und Castagno bewundert haben und nach ihnen die jüngeren und weltlicheren des Benozzo Gozzoli und Ghirlandaio. Er wird vor den Bronzetüren des Ghiberti und den herben Gestalten des Donatello stehen geblieben und vor dem David des Michelangelo verharrt sein, wie vor dem befremdenden Anruf einer heraufkommenden Zeit. Von der „Gioconda“ des Leonardo aber mag sich der 21-jährige, mutterlose junge Mann nachdenklich zurückgewendet haben zu den Madonnen – denen Botticellis, Lippis und den eigenen, um schließlich zum größten Madonnenmaler aller Zeiten zu werden. Einige seiner bekanntesten – auch die „Madonna im Grünen“ sind Werke jener frühen Florentiner Jahre.

Ihren Ausklang bezeichnet ein Auftrag der Atalanta Baglioni aus Perugia, eine Grablegung Christi.

Schon seine ungewöhnliche Bewegtheit verleiht dem Bild eine Sonderstellung unter den Schöpfungen Raffaels, kaum ist es trotz seines Inhalts ein Bild der Trauer zu nennen, Anmut und Kraft der handelnden Gestalten übertönen den Eindruck des Schmerzes und die feinen, birkenzweigdünnen Silhouetten des verlassenen Kalvarienberges, die lichten Bäume daneben und die erwartungsvolle Weite des Tales – sie alle sind ein einziger Ruf nach Auferstehung.

Raffael ist kein Bildner des Schmerzes wie Michelangelo, kein Maler der Gewalt und kein Maler des Rausches, sondern ein Künstler des stillen, vom Himmel leuchtenden Glücks.

Kinder und Madonnen vor in silbernen Fernen verklingende Landschaften gesellen sich diesem Glück wie ein Stück Sehnsucht oder Heimweh. Diese finden sich gerade in seinen innigsten, unserem deutschen Empfinden verwandtesten Bildern, wie der „Madonna im Grünen“, der „Madonna mit dem Stieglitz“ oder der „mit dem Johannesknaben“.

Nicht lange blieb Raffael in Florenz. Im Herbst 1507, ziemlich zur selben Zeit, da Michelangelo in der Sistina zu malen begann, rief ihn Papst Julius II. nach Rom.

Diesen Ruf verdankte Raffael seinem Landsmann und entfernten Verwandten Bramante, dem neuen Baumeister des Vatikans und Architekten der Peterskirche.

Raffael sollte die Ausmalung der Stanza della Segnatura übernehmen, der Kanzel, von welcher die päpstlichen Rundschreiben ihren Weg um die Erde nehmen. Er war kaum 25 Jahre, aber Geist und Können zählten in Rom jener Tage mehr als Geld oder Geburt oder Alter.

Schon die Vollendung des ersten Gemäldes, der sogenannten „Disputa“ veranlasste Julius, Raffael nicht einen einzigen Saal, sondern eine ganze Flucht von Gemächern zur Ausmalung zu übergeben.

Mit der „Disputa“ war Raffael zur vollen Beherrschung seiner Ausdrucksmittel gelangt. Alles, Komposition, Farbe und Zeichnung verrieten die gleiche, uneingeschränkte Meisterschaft.

Man hat die „Disputa“ mit der Rem- brandt´schen „Nachtwache“ verglichen. Auch diese bezeichnet den Durchbruch des Genies zu voll entfaltetem Können. Das ist ihre Verwandtschaft. In allen anderen Beziehungen klaffen sie weit, fast unvergleichbar weit auseinander und man könnte sie eher als die entferntest denkbaren Gegensätze klassischen Malens bezeichnen. Alles aus jenen Jahrhunderten liegt irgendwie zwischen ihnen – zwischen Raffael und Rembrandt als äußerst möglichen Polen. Denn, während dort noch das Banalste in einem jenseitshaften Licht verklärt wird und jede Frage nach „schön“ und „hässlich“ (im apollinischen Verstand) sinnlos erscheint, erglühen bei Raffael selbst die vom Himmel herabschwebenden Engel und Heiligen in sinnlicher Schönheit und die Anmut ihrer Gebärden verraten uns in jeder Bewegung die Hand, die sie nackt nach dem Ebenbild heidnischer Götter gezeichnet und dann erst mit wallenden Gewändern umhüllt hat.

Göttliches so zu sehen und so zu zeichnen und anders nicht denken zu können als mit den Abzeichen irdischen Ebenmaßes und in diesem Ebenmaß wiederum ein Abbild des Göttlichen zu erblicken – das war: Renaissance.

Das Helldunkel der „Nachtwache“ hingegen trägt in seiner herben Innerlichkeit das Gesicht einer anderen Bewegung der im Norden heranreifenden Reformation.

Zwischen Raffael und Rembrandt liegt die Entfernung von Sternen.

Anders, unmittelbarer, aber auch unbefriedigender ist das Verhältnis zu einem gewaltigen Nebenbuhler, Michelangelo. Sie arbeiteten beinahe Schulter an Schulter, zur gleichen Zeit, unter den gleichen Herren und im gleichen Palast. Und auch heute trennen ihre Werke nur Schritte.

Raffael war der Schützling Bramantes und Bramante Michelangelos Feind. Das genügte, die beiden nie zueinander finden zu lassen. Sie waren auch sonst verschieden genug und das sprichwörtliche Glück Raffaels und Unglück Michelangelos nur Spiegelbilder ihrer entgegengesetzten Veranlagung. Wo sich jener mühelos Freunde gewann, schuf sich Michelangelo Gegner über Gegner. Und während dem einen scheinbar alles wie von selbst zufiel, verrieb sich der andere titanische Geist immer von neuem an selbstgeschaffenen Widerständen.

Auch Raffael verzehrte sich in seiner Arbeit, stiller bloß, gleichmäßiger wie eine klar und ohne Flackern zum Boden herabbrennende Kerze. Auch sein Wirken war nicht Hingebung allein, sondern ebenso sehr unermüdlicher, niemals erlahmender Fleiß. Und nicht nur die Leichtigkeit seines Schaffens, sondern auch seine unfassbare Menge ein Ergebnis äußerster Selbstzucht. Klarheit und Ziele und Liebenswürdigkeiten im Umgang mit Menschen sicherten seinen Erfolg. Denn Leo X. übergab ihm nach dem Tode Bramantes nicht nur den Bau der Peterskirche, sondern überdies noch die Vermessung aller altrömischen Kunstdenkmäler und die Leitung ihrer Ausgrabung.

In seinen letzten Jahren war er darum von einer stets wachsenden Zahl von Schülern umgeben und sein Gefolge glich dem eines Fürsten.

Spätere Zeiten haben Raffael und Michelangelo immer wieder zueinander in Beziehung gesetzt, um sodann, je nach wechselndem Zeitgeschmack, dem Einen oder dem Anderen den Vorzug zu geben.

Ein scheinbarer Mangel an Tragik im Leben Raffaels schien vielen gleich einem Mangel an innerem Gewicht, doch wissen wir über sein intimeres Leben zu wenig, um seinen geheimen Verzicht zu kennen.

 

Er war Waise mit 11 Jahren. Sein Leben – ein stiller Anstieg und sein Ende – schon mit 37 Jahren – kam schnell und leicht.

Wir suchen heute auch in Werken vergangener Meister das trotzige Aufbegehrende und Eigenwillige unserer Zeit.

Wir wollen das Zerrissene, Unreife, Unzulängliche, das wir im Gesamtstil vergangener Zeiten vermissen, wenigstes im Leben ihrer Einzelnen wiederfinden. Und glauben uns einem Michelangelo, Rembrandt, Beethoven näher, weil wir noch hinter ihrer Stärke geheime Anklänge unserer eigenen Schwäche vermuten. Wir wollen das Menschliche, Nur-Menschliche, auch an den Großen und misstrauen als verschworene Demokraten den Göttern.

Raffael hingegen schuf wie „von Gottes Gnaden“, unmittelbar aus sich selbst heraus und ohne Reflexion.

Die Alten hätten gesagt, ein Gott habe das gemalt und er nur den Pinsel geliehen.

In einer deutschen Lebensbeschreibung Raffaels heißt es: „Rose ist Rose, Nachtigallengesang – Nachtigallengesang.“ Man kann sie hinnehmen, man kann sie genießen, man kann sich vor ihnen verneigen. Sie sind vollkommen, schon so, wie sie sind und lassen sich tiefer nicht mehr ergründen.

Michelangelo Buonarotti

„Kunst ist eine Sache der Edlen und nicht der Plebejer.“ Und darum – und weil nur der Edle sich stets überfordert – in jedem Fall Torso; Eingeständnis einer Niederlage und so Sinnbild eines Menschentums, das zwar das Tier überwand, aber Gott nicht erreichte.

In Florenz steht, in Marmor gehauen, die Gestalt eines streitbaren Jünglings. „Er hält sein Knie auf dem Rücken des Gegners, doch schweift sein Blick unentschlossen über ihn weg in die Ferne und sein zum Schlag erhobener Arm scheint gegen die Schulter zurückzufallen. Er heißt ‚der Sieger‘, aber er will keinen Sieg mehr. Er ekelt ihn, er hat ‚gesiegt‘ und ist doch selbst der Besiegte.“

Mit dieser Interpretation einer weltbekannten Statue eröffnet Romain Rolland seine Studie über das Leben Michelangelos. Jenes Bildwerk war als einziges bis zuletzt im Atelier des Meisters verblieben. Mit ihm hat Michelangelo seinen Katafalk schmücken wollen. Der an seiner Tat verzweifelnde Held, der Adler mit den gebrochenen Flügeln bedeutet ihn selbst – ist Inbegriff seines Lebens.

Er ist mit den Frühlingswinden geboren, am 6. März 1475 in Caprese – inmitten der Felsen des Apennin und getragen vom Stolz eines alten Geschlechts. „Ich bin nicht der Bildhauer Michelangelo, ich bin Michelangelo Buonarotti“ - schleudert er später den Römern entgegen. Keiner kann mehr werden – auch nicht durch sein Werk – als von Anfang in ihm war – und kein Baum seine Krone höher gegen den Himmel tragen, als sein Same Wurzeln in die Tiefe gesenkt hat. Und Michelangelo Buonarotti hing an seinen Wurzeln und seinem Stamm desto zäher, je älter er wurde – „Dass nur unsere Sippe, unsere Rasse erhalten bleibt, dass nur sie nicht stirbt!“ Fortleben in Kindern und Kindeskindern (die er niemals haben würde – sein nächster Nachkomme war ein Neffe) ist ihm wichtiger als Fortleben im Werk. Das ist da, dem Leben zu dienen, nicht umgekehrt, einem hochgemuten, gesteigerten Leben, über allen Niederungen der Gewohnheit und der Gewöhnlichkeit.

Als Michelangelo mit kaum 13 Jahren gegen den Widerstand aller Verwandten seinen Willen durchsetzte, Künstler zu werden, geschah es einzig mit der bereits zitierten Begründung, dass „die Übung der Kunst eine Sache der Edlen sei und nicht der Plebejer...“ – und eine Sache derer, denen das Bewusstsein der eigenen Unzulänglichkeit zum unaufhörlichen Antrieb wird, das Äußerste zu vollbringen. Das Unzulängliche Michelangelos ist offenkundig: seine äußere Erscheinung war nahezu abstoßend, seine unbändige Kraftentfaltung geschlagen mit einer Hässlichkeit, die sich in Sehnsucht nach Schönheit verzehrte und der – ganz hellenisch (ganz wie den Richtern der Phryne) – jede greifbare, mit Händen und Augen tastbare Wohlgestalt als unmittelbarer Ausdruck göttlicher Begnadung erschien.

Und doch war dieser Florentiner so ungriechisch wie Shakespeare etwa oder wie Beethoven. Und neben dem zeushaft überlegenen Leonardo und dem apollinisch zarten Raffael gemahnt seine vulkanisch eruptive Natur bloß an die Düsternis des unterirdischen, von Aphrodite immer von neuem betrogenen Hephaistos. Darum erscheint sein Leben als eine ununterbrochene Kette von Gewaltleistungen, gefolgt von Zusammenbrüchen. Doch immer schnitten diese tiefer in sein Wesen, als die vorangegangenen Aufschwünge. Und immer mehr wurde sein Weg, trotz wachsenden Ruhms und zunehmender Anerkennung, ein Weg in die Vereinsamung. So war Michelangelo der an inneren Spannungen reichste, aber auch der unglücklichste und zerrissenste unter den großen Männern der zu Ende gehenden italienischen Renaissance. Und im Schatten seines leicht verletzlichen Stolzes gediehen Misstrauen, Ränkesucht und Gewalttätigkeit. Er übergoss den um Jahrzehnte älteren Leonardo auf offener Straße mit bitterem Hohn, bloß weil ihm dessen weltmännische Selbstsicherheit zuinnerst zuwider war. Und Torrigiano zerbrach ihm das Nasenbein, weil es den beiden nicht möglich war, in Frieden nebeneinander zu arbeiten. Michelangelo duldete niemanden neben sich, außer einigen Handlangern, und manche gerade seiner kühnsten Entwürfe scheiterten, weil er alles selbst und allein machen wollte – vom Lösen der Blöcke in den Steinbrüchen bis zu den letzten Handgriffen am vollendeten Werk. – Als gäbe es eine Zeugung aus Stein, als ließe sich in wahnwitziger Kraft aus der Härte des Marmors herausschlagen, was ihm, dem Missgestalteten, an Süße des Lebens verlorenging. Doch war dies nur ein auswegloser Kampf mit sich und mit allen Menschen, dem Material und der zyklopenhaften Größe der gewählten Projekte. Der gewaltige Block carrarischen Marmors, an dem sich 40 Jahre hindurch keines Menschen Hand mehr gewagt hatte und aus dem unter dem Hammer Michelangelos sodann die sieghafte Gestalt des David hervorwuchs, war nur der Anfang. Ihm folgte der gigantische Entwurf zum Grabmal Julius II. Acht Monate lang wühlte Michelangelo allein in den Brüchen. Dann türmte sich ein Gebirge unbehauenen Steins vor den Fenstern des Vatikans. Doch ehe das Titanenwerk Wirklichkeit ward, spielten die Intrigen Bramantes, spielten die Pläne zur neuen Peterskirche, und eines Tages ist das Grabmal vergessen und verworfen und Michelangelo steht vor verschlossenen Türen. Zornerfüllt lässt er den Papst wissen, dass er auf weitere Gastfreundschaft verzichte, gibt Auftrag, den Marmor, so wie er ist, einem Juden zu verkaufen und reitet nach Norden. Umsonst jagt Julius fünf seiner bestberittenen Kavaliere hinter ihm her. Umsonst alle diplomatischen Vorstellungen der Signoria, die ihrem großen Mitbürger wohl zu jeder gewünschten Genugtuung verhelfen, aber doch um seinetwillen keinen Krieg führen will.

Erst als Julius Bologna belagert und Stadt und Staat von Florenz damit von zwei Seiten umklammert, wird es Zeit, Künstler und Papst um jeden Preis einander zu nähern und zwei Jahre später ist Michelangelo wieder in Rom. Vom Grabmal ist allerdings nicht mehr die Rede. Julius II. beauftragte ihn mit der Ausmalung der sixtinischen Kapelle.

Michelangelo vermutet dahinter – misstrauisch wie immer – einen Schachzug Bramantes, der ihn vor aller Welt bloßstellen und damit erledigen soll – und verweigert die Ausführung. Die Malerei sei nicht sein Handwerk und die Deckenmalerei am allerwenigsten. Schließlich geht er so weit, Raffael, seinen schärfsten Nebenbuhler, für die Ausmalung der Sixtina vorzuschlagen, vergebens. Der Papst bleibt unerbittlich und erreicht, worauf es ihm ankommt: Michelangelo begeistert sich schließlich für die verheißene Aufgabe und verbeißt sich in sie.

Er schließt sich völlig ab von der Welt. Ist Monate lang für niemanden zu sprechen, findet kaum mehr Zeit, einen Bissen zu sich zu nehmen und schläft (obgleich nebenan Paläste für ihn bereitstehen), auf einer Bank unter den Gerüsten. Er malt liegend, mit nach rückwärts verrenktem Kopf und kann sich vor Schmerzen kaum noch bewegen, wenn er herabsteigt. Aber eines Tages, nach wiederholtem Drängen, steht er vor Julius II. wie Herkules vor seinem König: das Unerhörte ist gelungen und die Sixtina des verrückten Michelangelo überschattet die Stanzen des glückhaften Raffael.

Dann stirbt Julius II. Nun will Michelangelo dessen Grabmal vollenden, doch liegt seinem Nachfolger, einem Mediceer, mehr am Ruhm des eigenen Hauses, als an dem seines Vorgängers und Michelangelo erhält Weisung zum Bau der Fassade von San Lorenzo in Florenz. Und mit der gleichen Rastlosigkeit, mit der er eben vier Jahre lang an der Sixtina gearbeitet hat, stürzt er sich jetzt in die neue Aufgabe.

Unterdessen bezichtigen ihn seine Feinde der Bestechlichkeit, weil er statt der staatseigenen Brüche von Pietrasanta die ausländischen von Carrara bevorzugt und nötigen ihn, die gewählten Blöcke liegen zu lassen und in Pietrasanta von vorne zu beginnen. Nun aber stecken sich die Steinbrecher von Carrara hinter die Genuesen und sämtliche Schiffer verweigern den Abtransport. Daraufhin müssen die Steine mit ungeschulten Kräften und auf mühevoll gebahnten Wegen auf dem Landweg nach Florenz gebracht werden – und als sie schließlich dort anlangen, sind drei Jahre nutzlos verstrichen, von sechs großen Monolithsäulen vier auf dem Wege zerborsten, die Geduld der Auftraggeber erschöpft und der Auftrag zurückgenommen. Die Fassade von San Lorenzo wurde niemals errichtet.

Damit schwand – die vielen kleineren ungerechnet – die zweite große Hoffnung des Bildhauers Michelangelo. Seit er vor 15 Jahren in den Dienst der Päpste getreten war, hatte er Gebirge von Marmor in ihrem Auftrag in Bewegung gesetzt, aber nur den 20. Teil davon hat sein Meißel jemals berührt. Die besten Werke waren Entwurf und Torso geblieben und die besten Jahre vorbei.

Zwar traute der nächste in der Reihe der Päpste, Giulio da Medici oder Clemens VII. seinen Händen ein drittes gewaltiges Werk an: Die Grabkapelle der Mediceer – aber die erlittenen Enttäuschungen sitzen zu tief. Und als im Jahre 1527 in Florenz der Aufstand ausbricht, steht Michelangelo auf Seiten der Aufständischen und leitet als verantwortlicher Baumeister die Ausgestaltung der Verteidigungswerke der Stadt. Zwar zwingen ihn Intrigen des Condottiere Malatesta Baglioni vorübergehend zur Flucht nach Venedig. Zurückberufen durchbricht er jedoch bald ein zweites Mal den Ring der Belagerer und kämpft weiter in den Reihen der Florentiner, bis der Verrat Baglionis den verhassten Mediceern die Stadt in die Hände spielt.

Michelangelo verschmäht es anfangs zu fliehen und erwartet trotzig seine Verurteilung. Der Papst indessen hält seine Hand über ihn – und zwingt ihn so erneut in den Dienst seines Hauses. Doch wagt es Michelangelo fortan ohne seinen Schutz nicht mehr, in der Stadt seiner Väter zu leben und, als Clemens VII. stirbt, bleibt auch der vierte große Entwurf, das Grabmal der Medici, unvollendet.

Er ist nun 60 Jahre alt und die 20, die ihm noch zu leben bleiben und die er in Rom verbringen wird, sind – trotz unbestrittenen Ruhms, trotz neuer rastloser Arbeit – Jahre des Verzichts. Alles, wonach er gestrebt, war Bruchstück geblieben. Die, an denen er gehangen, waren tot, die Heimat verschlossen, Italien in Händen der Spanier oder Franzosen. Selbst seine Feinde hatten ihn längst im Stich gelassen: Leonardo war tot, Raffael und Bramante….. und Rom schien darauf zu warten, einzig von seinen Händen vollendet zu werden.

Und zugleich waren es Jahre letzter, oft verhängnisvoll stürmischer Leidenschaften. So seine überschwenglichen Neigungen zu Febo di Poggio, zu Cecchino dei Bracci und Tommaso dei Cavalieri oder die wilde, quälerische Hassliebe zu einer gleichzeitig verachteten und begehrten Unbekannten – daneben die zart ausgeglichene von gemeinsamer religiöser Schwärmerei getragene Freundschaft zu Vittoria Colonna. Als auch sie starb, umgab ihn die Einsamkeit fortan wie eine einzige, nicht mehr unterbrochene Stille. Nun stand er über den Menschen. Auch über sich und seinen Enttäuschungen. Auch über den Trümmern seines Werks, das sich steil über das all der anderen erhob, wie die Kuppel von St. Peter über den Dom Bramantes.

Nun war er der „Sieger“, der den irdischen Sieg nicht mehr wollte.