Geist Gottes - Quelle des Lebens

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Z serii: Edition IGW #5
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c.Der Messias als Träger des Geistes

Über die künftige Wirksamkeit des Geistes tauchen in den alttestamentlichen Verheißungen zwei kooperierende Aussagen auf. Zum einen wird die Ausgießung des Geistes aus der Höhe durch den Übermittler, den Messias (Geistträger) betont. Zum anderen wird dieser Geist ausgegossen auf alles Fleisch, in die Herzen der Menschen (Joel 3,1f; Hes 36,25–27). Erwartet wird eine Geistausgießung, die sich nicht nur auf einzelne Menschen, nicht nur auf einzelne Gruppen beschränkt, sondern die sozial überschreitend ist. Der Geistträger wird zum Geisttäufer. Im Zeugnis des NT laufen diese beiden Verheißungslinien zusammen in der Person von Jesus von Nazareth. Er wird als der Messias, der Geistträger und auch der Geisttäufer bezeugt.59 Jesus wurde nicht nur vom Geist Gottes gezeugt, eingesetzt und in seiner Verkündigung und seinem Wirken als ein vom Geist Gottes Bevollmächtigter gesehen. Er ist es auch, der die Verheißung der Ausgießung des Geistes erst ermöglicht. „Die Macht Gottes, Gott als Stifter des Lebens, Geist als die größte Macht, das alles bleibt jetzt nicht mehr ‚hinter‘ den Dingen, bleibt nicht transzendent und nur erahnbar, sondern diese Macht tritt sozusagen an diesem einen Punkt in den Vordergrund, in Jesus Christus.“60

Matthäus und Lukas bezeugen, dass Joseph die Mutter Jesu vor der Geburt nicht „erkannte“, also keine menschliche Zeugung stattfand (Mt 1,18; Lk 1,34f). Maria erfährt vom göttlichen Boten: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft Gottes wird sich an dir zeigen. Darum wird dieses Kind auch heilig sein und Sohn Gottes genannt werden“ (Lk 1,35). Matthäus bezeugt, dass Maria „schwanger war von dem Heiligen Geist“ (Mt 1,18; LU). Die Evangelisten begründen nicht, warum Jesus in dieser Weise empfangen werden sollte. Es entspricht aber der im AT mehrfach getroffenen Aussage, dass Gott schon „im Mutterleib“ handelt (Jes 44,24ff; 49,1ff; Jer 1,5; Hiob 31,15). Die Zeugung Jesu ist etwas Einmaliges. Die Tatsache, dass nur zwei Evangelisten die jungfräuliche Zeugung Jesu erwähnen, sollte uns nicht zu der Annahme führen, dass es sich hierbei um eine eigenwillige Interpretation handle. Vielmehr ist diese Art der Zeugung ein erstes Indiz für die himmlische Heimat des Messias. Es betont die Wahrheit, dass Jesus von Gott ausgegangen ist; die Geburt Jesu geschah nicht, weil zwei Menschen auf dieser Erde es wollten, sondern weil es Gottes Wille war und die Zeit Gottes erfüllt war. Die Empfängnis Jesu durch den Geist bezeugt den Anbruch einer neuen Wirklichkeit. Der Geist Gottes ist hier der Initiator.

Das ganze Leben Jesu, sein Tod und seine Auferstehung geschahen in der Kraft des Geistes. Das Geschehen am Kreuz Jesu ist nur in der Kraft des Geistes möglich gewesen. „Erfüllt von Gottes ewigem Geist, hat er sich selbst für uns als fehlerloses Opfer Gott dargebracht“ (Hebr 9,14). Durch den Geist wurde er als Sohn Gottes in der Auferstehung bestätigt (griech. orizo = bestimmen, bestellen zu etwas). „Durch die Kraft des Heiligen Geistes wurde er von den Toten auferweckt, und so bestätigte Gott ihn als seinen Sohn“ (Röm 1,4). In der Taufe stellt sich Jesus solidarisch unter die Sündenlast der Welt, die er trägt (Joh 1,29). Dass seine Taufe von Gott angenommen wurde, wird bezeugt durch das wahrnehmbare Herabkommen des Geistes auf Jesus. Alle drei Synoptiker berichten, dass sich bei der Taufe Jesu „der Himmel öffnete“ (Mt 2,16; Mk 1,10; Lk 3,21).61 Als der Geist Gottes wie in Gestalt einer Taube herabkam (evtl. als Symbol der Sanftheit und des Friedens oder auch der Unscheinbarkeit des natürlichen Lebens) und auf Jesus blieb, geschah die göttliche Anrede: „Dies ist mein geliebter Sohn, der meine ganze Freude ist“ (Mt 3,17). Die Salbung mit dem Geist bei der Taufe befähigte Jesus, seine messianische Sendung auszuführen (Lk 4,18f). Jesus wurde nach dem Zeugnis des Johannesevangeliums durch diesen erkennbaren Geistempfang bei seiner Taufe von dem Täufer Johannes als der zukünftige Geisttäufer identifiziert. „Und Johannes berichtete weiter: ‚Ich sah den Geist Gottes wie eine Taube vom Himmel herabkommen und bei ihm bleiben. Wer er ist, wusste ich vorher noch nicht‘, wiederholte Johannes, ‚aber Gott, der mir den Auftrag gab, mit Wasser zu taufen, sagte zu mir: ‚Du wirst sehen, wie der Geist auf einen Menschen herabkommt und bei ihm bleibt. Dann weißt du, dass er es ist, der mit dem Heiligen Geist tauft‘“ (Joh 1,32f).

Weiterhin bezeugen die Schriften des NT die Präsenz und Initiation des Gottesgeistes in der Versuchung, die Jesus erfährt. Alle drei Synoptiker betonen, dass Jesus durch den Geist in die Wüste geführt wurde. Lukas fügt noch hinzu, dass Jesus selber „erfüllt mit dem Heiligen Geist“ war (Lk 4,1). Nach dieser massiven Versuchung wartete Satan auf andere Gelegenheiten (Lk 4,13), um Jesus von seinem messianischen Weg abzubringen. Jesus tat aber in der Vollmacht und Salbung des Geistes seinen messianischen Dienst und verkündigte den Anbruch des neuen Zeitalters, den Anbruch des Königreiches Gottes (Lk 4,18). Er verkündigte nicht nur durch Worte, sondern tat auch viele Wunder; er heilte Menschen und trieb Dämonen aus. Hierin erweist er sich als der angekündigte Messias (Jes 61,1f). Die Dämonenaustreibungen geschehen durch den Geist Gottes. Jesus sagt: „Wenn ich aber die Dämonen durch den Geist Gottes austreibe, so beginnt Gottes neue Welt jetzt – mitten unter euch!“ (Mt 12,28). Jesus erweist sich als der Stärkere, der „den Starken“ bindet und ihm seine Beute nimmt (vgl. Mk 3,27). Der messianische Geistträger ging entschlossen seinen Weg, bis nach Gethsemane, bis Golgatha. Der Geist Gottes stärkte Jesus und teilte mit ihm die Todesstunde und kraft des Geistes wurde er zu neuem Leben auferweckt (Hebr 9,14; Röm 1,4).

Der Tod und die Auferstehung Jesu machten es nun möglich, dass der Geist Gottes auch auf seine Jünger und Nachfolger ausgegossen wurde. Immer wieder hatte Jesus auf die Bedeutung des Geistes hingewiesen, wenn er die neue angebrochene Wirklichkeit des Reiches Gottes erklärte. Dem fragenden Nikodemus bezeugt er, dass ein Mensch nur durch eine neue Geburt durch „Wasser und Geist“ in das Reich Gottes eingehen kann (Joh 3,5). Im Gespräch mit der Frau am Jakobsbrunnen erklärt er: „Es kommt die Zeit – ja, sie ist schon da –, in der die Menschen den Vater überall anbeten werden, weil sie von seinem Geist und seiner Wahrheit erfüllt sind. Von diesen Menschen will der Vater angebetet werden. Denn Gott ist Geist. Und wer Gott anbeten will, muss von seinem Geist erfüllt sein und in seiner Wahrheit leben“ (Joh 4,23f). Einem Menschen, der den Heiligen Geist empfangen hat, wird verheißen, dass die Kraft des Geistes gleich wie „Ströme lebendigen Wassers“ von dessen Leib fließen werden (Joh 7,37–39; LU). Nach Lk 11,13 verspricht Jesus denen, die darum bitten, den göttlichen Geist. Auch in Verfolgungszeiten würde der Geist Gottes den Jüngern beistehen (Mk 13,10f). Am deutlichsten finden wir die Verheißung der bevorstehenden Ausgießung des Geistes bei dem Evangelisten Johannes. In seinen Abschiedsreden (Joh 13–15) zeigt Jesus auf, dass seine Autorität und Vollmacht für den messianischen Dienst in seiner Abhängigkeit von Gott dem Vater begründet ist (vgl. Joh 5,19). So soll auch die Einheit der Jünger Jesu mit ihrem Herrn nach seinem Tod, der Auferstehung und der Erhöhung durch den Geist Gottes möglich werden. Viermal wird der Heilige Geist im Johannesevangelium „Parakletos“ genannt. Der Paraklet ist der Fürsprecher, der Beistand. Man kann hier auch die Assoziation eines Helfers, Freundes, Beraters oder Verteidigers sehen. Dieser Paraklet wird die Jünger lehren, trösten und erinnern. Er wird Jesus verherrlichen und sie zur Liebe befähigen.

„Wenn ihr mich liebt, werdet ihr so leben, wie ich es euch gesagt habe. Dann werde ich den Vater bitten, dass er euch an meiner Stelle einen Helfer gibt, der für immer bei euch bleibt. Dies ist der Geist der Wahrheit. Die Welt kann ihn nicht aufnehmen, denn sie ist blind für ihn und erkennt ihn deshalb nicht. Aber ihr kennt ihn, denn er wird bei euch bleiben und in euch leben. Nein, ich lasse euch nicht allein zurück. Ich komme wieder zu euch. Schon bald werde ich nicht mehr auf dieser Welt sein, und niemand wird mich mehr sehen. Nur ihr, ihr werdet mich sehen. Und weil ich lebe, werdet auch ihr leben. Dann werdet ihr erkennen, dass ich eins bin mit meinem Vater und dass ihr in mir seid und ich in euch bin“ (Joh 14,15–20).

Dieser Geist Gottes wird nicht nur an der Seite der Gläubigen sein, sondern er wird in ihnen sein. Er wird sie belehren (Joh 14,26). Der Geist wird sie in alle Wahrheit führen. Er wird keine neuen Wahrheiten offenbaren, die der Lehre Jesu widersprechen. Der Geist wird Jesus in den Gläubigen bezeugen (Joh 16,13; 15,26). Durch den Empfang der Gabe des Heiligen Geistes werden die Jünger befähigt, Zeugen für Jesus zu sein und das Reich Gottes im Geiste und in der Kraft Jesu weiterzuführen. „Ihr werdet den Heiligen Geist empfangen und durch seine Kraft meine Zeugen sein in Jerusalem und Judäa, in Samarien und auf der ganzen Erde“ (Apg 1,8). Nur im Johannesevangelium wird berichtet, dass am Abend des Auferstehungstages Jesus seinen Jüngern begegnete und dass er sie dabei anhauchte und sagte: „Empfangt den Heiligen Geist!“ (Joh 20,22).

Es gibt manche Spekulationen darüber, wie dieser Bericht zuzuordnen ist. Wie soll dieser Geistempfang mit dem verheißenden Geistempfang zu Pfingsten vereinbar sein? Handelte es sich hier nur um eine symbolische Anrührung, die den Glauben der Jünger stärken, ihre Erwartung aufrecht erhalten und ihnen die Kraft geben sollte, zu warten? Es handelt sich hier meines Erachtens tatsächlich um zwei selbständige Ereignisse. Johannes berichtet, was am späten Osterabend geschah, Lukas berichtet vom Pfingsttag. Die Umstände der Begegnung sind unterschiedlich. Am Osterabend wird der Empfang der Gabe des Geistes mit der Vollmacht, Sünden zu erlassen, verbunden. Am Pfingsttag wird die Geistausgießung mit dem umfassenden Zeugendienst verbunden. Am Ostertag werden nur die Jünger angerührt, am Pfingsttag kommt der Geist auf alle, die versammelt waren.

 

Hier bleiben Fragen offen, die auch durch eine sorgfältige Exegese nicht geklärt werden können. Mir scheint die Deutung sinnvoll, dass Jesus seinen Jüngern durch die Vermittlung des Geistes schon eine erste Salbung des Geistes zukommen ließ, um in dieser Zwischenzeit von Auferstehung bis Pfingsten mit ihm verbunden zu sein. Die angekündigte Ausgießung des Geistes „auf alles Fleisch“ geschah jedoch erst am Pfingsttag. Der Empfang des Geistes am Osterabend war nicht universal, sondern er galt einzelnen Personen. Die Pfingsterfahrung hingegen korrespondiert mit der schon im Alten Bund verheißenen universalen, totalen, bleibenden und unmittelbaren Ausgießung des Geistes.62

d.Die Ausgießung des Geistes zu Pfingsten

Das Wochenfest der Juden (hebr. Shabuoth) findet fünfzig Tage nach dem Passahfest statt. Es ist eines der großen Feste im Judentum, die Getreideernte ist eingefahren und die ersten Brote werden Gott als Erstlingsfrucht geweiht (3Mo 23,17; 4Mo 28,26). Es ist ein Fest der Freude und Dankbarkeit (5Mo16,10ff), an dem Geschenke verteilt werden. Das Wochenfest ist auch ein Gedenktag an das große Geschenk der Thora, der Gesetzgebung am Sinai. Die Ausgießung des Geistes am Pfingsttag ist ebenfalls wie die Gesetzgebung am Sinai von Manifestationen der Kraft Gottes (lautes Brausen, Feuer) begleitet (vgl. 2Mo 19).

Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen. Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache? Parther und Meder und Elamiter und die wir wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien, Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Einwanderer aus Rom, Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie in unsern Sprachen von den großen Taten Gottes reden. Sie entsetzten sich aber alle und wurden ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein.

Da trat Petrus auf mit den Elf, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: Ihr Juden, liebe Männer, und alle, die ihr in Jerusalem wohnt, das sei euch kundgetan, und lasst meine Worte zu euren Ohren eingehen! Denn diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, ist es doch erst die dritte Stunde am Tage; sondern das ist‘s, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist (Joel 3,1–5): „Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben; und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie sollen weissagen. Und ich will Wunder tun oben am Himmel und Zeichen unten auf Erden, Blut und Feuer und Rauchdampf; die Sonne soll in Finsternis und der Mond in Blut verwandelt werden, ehe der große Tag der Offenbarung des Herrn kommt. Und es soll geschehen: wer den Namen des Herrn anrufen wird, der soll gerettet werden“ (Apg 2,1–21; LU).

Das machtvolle Wirken des Geistes, das Charakteristische dieser „Durchsetzungskraft“,63 wird markiert durch die Begrifflichkeit der „Ausgießung“ des Geistes und durch die Wahrnehmungen des „Brausens“, der „Feuerzungen“ und des Verständigungswunders. Die „Ausgießung“ (Apg 2,17.33) besagt, dass der Heilige Geist nicht nur plötzlich über Einzelne kommt, sondern dass er sich überraschend ausbreitet, gleich einem Fluidum. Er fließt, er strömt. In diesem Sinn ist auch die Redeweise vom „Taufen mit dem Geist“ zu verstehen (Mt 3,11; Joh 1,33; Apg 1,5; 11,16). Es bezeichnet ein dauerhaftes Eintauchen in die Kraft Gottes. Die so vom Geist Gottes ergriffenen Menschen wissen sich in ein Kraftfeld hineingenommen. Nicht nur sie werden von dieser Kraft ergriffen, sondern sie fließt geradezu weiter. Jesus wies bereits darauf hin, dass vom Leibe eines vom Geist Gottes Ergriffenen „Ströme lebendigen Wassers“ fließen werden (Joh 7,39; LU). Dieses Fließen des Geistes, der „Quelle des Lebens“ (Ps 36,10), charakterisiert ebenso wie die Bezeichnung des Geistes als Hauch oder Wind (hebr. ruach, griech. pneuma) die Beweglichkeit göttlicher Energie und göttlicher Personalität.64 Die Wassermethapher weist zudem auf die überfließende Gnade Gottes hin. Das Wasser des Lebens wird „umsonst“ gegeben und es ist für alle Durstigen da (Jes 55,1ff; Offb 21,6).

Die Redeweise vom „Brausen des Windes“ (Apg 2,2) erinnert an die hörbare Gegenwart Gottes (1Mo 3,8; 2Mo 33,20ff). Gott offenbarte sich im Wind (1Kön 19,11; Hiob 38,1). Mit dem Bild vom Wind wird die ursprüngliche Bedeutung der Ruach Jahwes aufgenommen, die als Lebensatem Gottes aller Kreatur das Leben einhaucht. Die Ruach Jahwes bläst neues Leben in die Totengebeine, die der Prophet Hesekiel in seiner Vision wahrnimmt (Hes 37). Jesus spricht ebenfalls vom Geist, der wie der Wind weht, wo er will (Joh 3,8). Das Brausen und Wehen des Geistes ist wohl überraschend, es ist mitreißend und bewegend; aber es ist nicht willkürlich. Es stellt den Menschen in die Dynamik göttlichen Handelns.

Ähnlich verhält es sich mit der Feuermethapher. Auch hier ist von einem „Hineintauchen“, der Taufe mit Feuer, die Rede (Mt 3,11; Lk 3,16. Vgl. Mal 3,2–3). Die Feuererfahrung begleitet im AT oft die übernatürlichen Visionen von der Herrlichkeit Gottes. Das Licht Gottes wirkt wie ein loderndes Feuer auf Menschen. Es ist jedoch kein verzehrendes, Leben vernichtendes Brennen, sondern ein reinigendes und offenbarendes (vgl. 2Mo 3,2; Joel 3,3). Gott zog des Nachts in der Feuersäule vor dem Volk Israel her (4Mo 9,15). Gottes Wesen ist gleichsam wie ein brennendes Feuer, denn er ist ein Gott voller Leidenschaft (5Mo 4,24; Ps 18,9; 79,5; Zef 1,18). Wird das Feuer als ein „verzehrendes Feuer“ bezeichnet, so kennzeichnet es zum einen seinen Zorn, seine zurückgestoßene Liebe,65 und zum anderen auch seine reinigende Heiligkeit. Dieses reinigende und gleichsam umschmelzende Feuer wird individuell, persönlich erfahren; der Geist „setzt sich auf einen jeden von ihnen“ (Apg 2,3; LU). Es durchbricht die Barrieren und führt in die Gemeinschaft mit Gott und untereinander.

Darauf weist auch das Verständigungswunder hin. Die bei dem Pfingstereignis anwesenden Sprachgruppen repräsentieren exemplarisch alle Völker.66 Zum einen wird es als Sprachwunder erfahren, denn die Anwesenden reden in Sprachen, die sie offenbar nicht gelernt hatten (Apg 2,4); zum anderen wird es als Hörwunder wahrgenommen, denn die Anwesenden „hören sie … von den großen Taten Gottes reden“ (Apg 2,11). Es handelt sich bei dieser Form der Glossolalie (= Sprachenrede) offenbar um lebende Sprachen der damaligen Zeit. Dieses Sprachgeschehen führt zum Erstaunen und Entsetzen, aber es bringt zugleich eine neue universale Verständigung hervor. Dabei werden die eigenen Prägungen, Sprachen und Identitäten nicht aufgehoben, aber in eine neue differenzierte Einheit geführt.

Die anwesenden repräsentativen Volksgruppen, Juden und Heiden, Frauen und Männer, Junge und Alte, Mägde und Knechte, sollen gemeinsam als Empfänger des Geistes und Zeugen Gottes verstanden werden. Das Sprachwunder in der Erfahrung der Glossolalie eröffnet eine neue Kommunikation mit Gott und auch eine neue Kommunikation unter den Menschen. Die Sprachbarriere (1Mo 11) wird überwunden; eine neue Gemeinschaft wird möglich, in der die Identität des Einzelnen nicht aufgehoben wird, aber in eine neue Identität der Kinder Gottes eingeführt wird.

In der Apostelgeschichte wird gerade dieser Akzent deutlich herausgestellt (vgl. Apg 10,46; 19,6). Das Sprachenreden, welches Paulus in 1Kor 12–14 erläutert, kennt nicht nur diesen zeichenhaften, verkündigenden Charakter der Glossolalie (1Kor14, 21f), sondern auch das Moment der Anbetung und Weissagung (Apg 19,6). „Denn wer in Zungen redet, der redet nicht für Menschen, sondern für Gott; denn niemand versteht ihn, vielmehr redet er im Geist von Geheimnissen“ (1Kor 14,2; LU). Es handelt sich offenbar um unterschiedliche Ausprägungen der Glossolalie; sie kann allgemein verständlich sein, aber sie kann auch eine für Menschen nicht erkenntliche Rede sein, die der Auslegung und Deutung bedarf (1Kor 14,9).

Die neue Kommunikation zu Gott und unter Menschen markiert das neue Zeitalter einer geistgewirkten Sprache nach der Ausgießung des Heiligen Geistes zu Pfingsten. Es ist eine Kommunikation, die nicht durch den Verstand kontrolliert ist (1Kor 14,14), sondern die durch den Geist Gottes inspiriert wird. Anders verhält es sich mit der Weissagung. Sie geschieht in verständlicher Form, wenngleich der Offenbarungsempfang durch Visionen oder Träume geschehen kann. Darauf weist der Apostel durch das Joel-Zitat hin.

Das eigentliche Wunder des Pfingstereignisses wird hierdurch nicht durch den Hinweis auf das Schwer- oder Unverständliche gedeutet, sondern in einer vom Geist Gottes kraftvoll gewirkten neuen Verständlichkeit. „Durch die Ausgießung des Geistes wirkt Gott das weltumspannende vielsprachige, polyindividuelle Zeugnis von sich, bezeugt sich Gott selbst in einem die Menschen – auf sie verwundernde und erschreckende Weise – vereinigenden Geschehen.“67 Der Hinweis auf die Joelverheißung (Joel 3,1–5) zeigt jedoch auf, dass dieses Pfingstgeschehen nicht nur die Menschen betrifft, sondern kosmische Auswirkungen hat. Sonne und Mond sind einbezogen und werden den Fortgang des neu angebrochenen Zeitalters der Gottesherrschaft durch die Veränderung anzeigen. Zudem wird darin die Universalität des Heilswirkens Gottes bezeugt, denn „wer, den Namen des Herrn anrufen wird, der soll gerettet werden“ (Joel 3,5; Apg 2,11; LU). Das Heil ist nicht nur auf einzelne Personen und auch nicht nur auf das Volk der Juden beschränkt, sondern darf von jedem erfahren werden, der den Namen des Herrn anruft. Die Ausgießung des Geistes Gottes ist nicht mehr an bestimmte religiöse Systeme, nicht mehr an Rituale gebunden, sondern ist für den einzelnen Beter zugänglich.

Das Kernereignis von Pfingsten, der Empfang der Gabe des Geistes, muss jedoch nicht auf diesen einen Tag beschränkt bleiben. Die Gabe des Geistes ist für jeden bußfertigen und glaubenden Menschen gegeben. Die Botschaft der Predigt des Apostels Petrus bewegte die große Gemeinschaft, die bei dem ersten Pfingstfest zugegen war. Sie fragten den Apostel, was denn zu tun sei. „Tut Buße und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, so werdet ihr empfangen die Gabe des Heiligen Geistes. Denn euch und euren Kindern gilt diese Verheißung und allen, die fern sind, so viele der Herr, unser Gott, herzurufen wird“ (Apg 2,38–39). Daraufhin lassen sich etwa 3000 Menschen taufen.

Die erste neutestamentliche Gemeinde war entstanden und die Mission des Geistes setzte sich weiter fort. Das Pfingstwunder kann man nicht wiederholen, aber die Gabe des Geistes kann jeder empfangen, der sein Vertrauen auf Jesus Christus setzt.