Geist Gottes - Quelle des Lebens

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Z serii: Edition IGW #5
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1.Der trinitarische Geist Gottes – sein Wesen und seine Personalität

Heute denke ich daran mit einem gewissen Schmunzeln. „Und nun singen wir das schöne Lied ‚O komm, du Geist der Wahrheit, und kehre bei uns ein!‘“ Freudestrahlend lädt der Pastor die Gemeinde dazu ein, dieses bekannte Pfingstlied anzustimmen. In der anschließenden Predigt nimmt er Bezug auf die Ausgießung des Heiligen Geistes und betont, dass wir als Gläubige diesen Geist empfangen haben. Die ungläubige Welt jedoch verstehe nichts von alledem, betont der engagierte Prediger. Er fährt fort: „Der Geist Gottes ist den Nichtchristen ja noch nicht geschenkt. Sie leben in Verblendung der Sünde. Wohl gibt es auch unter Christen Verwirrung, wenn sie sich zu sehr auf den Geist konzentrieren und dabei Jesus aus dem Blick verlieren.“ Auch die Anbetung des Geistes Gottes ist nach Ansicht des Predigers unangemessen. „Wir beten Gott den Vater an durch unseren Herrn Jesus Christus. Das tun wir zwar in der Kraft des Heiligen Geistes, aber wir beten nicht zum Geist Gottes!“ Der Pastor war sehr überzeugt von dem, was er da sprach. Hier und da sehe ich ein betont zustimmendes Nicken in dieser evangelikal-pietistisch geprägten Versammlung. Doch dann kommt die eigentliche intellektuelle Aufgabe für die Zuhörerschaft – so empfinde ich es jedenfalls nachträglich. Die Gemeinde wird nämlich nun aufgefordert als „Antwort auf die Verkündigung“ den Pfingstchoral „Nun bitten wir den Heiligen Geist um den rechten Glauben allermeist“ anzustimmen. „Irgendetwas passt hier nicht zusammen“, denke ich! Darf man nun zum Heiligen Geist beten oder nicht?

Die Lehre über den Heiligen Geist hat gerade in evangelikalen Kreisen allzu häufig eine theologische Schlagseite, die verheerende Auswirkungen haben kann. Die vielfach vertretene Auffassung, dass der Geist Gottes ja nur in der Kirche und im Herzen eines durch den Heiligen Geist neu geborenen Gotteskindes wirken würde, macht nach wie vor die Runde. Die Devise lautet: „Diese Welt ist versumpft in ihrer Sünde und der Verstand des unerlösten Menschen ist verfinstert. Da kann mir dann nichts Gutes begegnen.“ Mit einer solchen Einstellung ging ich ins Studium und merkte, wie groß deshalb anfänglich die inneren Barrieren waren, mich den Aussagen der Humanwissenschaften (Psychologie, Pädagogik) zu stellen. Wie sollte jemand, der den Geist Gottes nicht empfangen hatte, überhaupt zu tragfähigen Aussagen über Gottes Schöpfung, über den Menschen kommen? Es mag anmaßend klingen und es war und ist sicher auch vermessen, so zu denken und zu argumentieren. Aber so war meine Prägung, die ich jahrelang in mich aufgenommen hatte: Die Welt ist böse, die Kirche ist gut. Wir sind als Botschafter in diese Welt gesandt. Wenn hier jemand umdenken musste, dann waren es immer die anderen. Das ist natürlich keine gute Grundlage zu Beginn eines Studiums! Es ist auch keine gute Grundlage für einen missionalen Lebensstil.

Heute hat sich – Gott sei es gedankt – meine Wahrnehmung verändert. Und das hängt sehr stark mit meiner Sicht zusammen, die ich vom Wesen und von der Personalität des Heiligen Geist gewonnen habe.

1.1Das Wirken des Geistes in der Geschichte

Der Geist Gottes tritt nicht erst mit dem Pfingstereignis auf den Plan. Die Bibel bezeugt uns sein Wirken durch die gesamte Geschichte hindurch.

a.Der Schöpfergeist

Der Geist Gottes ist der Geist des Lebens. Dies ist der Geist, der bei der Schöpfung dieser Welt gestaltend war und bleibt. Als Gott Himmel und Erde schuf, schwebte der Geist Gottes (hebr. ruach elohim) über dem Wasser (1Mo 1,2).40 Die Weisheitsliteratur des AT bezeugt, dass jeder Mensch sein Leben durch den Geist Gottes eingehaucht bekommen hat (Hiob 33,4; Ps 104,30; Weish 1,7). Nicht nur das menschliche Leben ist von Gottes Ruach durchhaucht, sondern die ganze Schöpfung, der gesamte Kosmos trägt in sich den Atem Gottes.41 Keine Pflanze, kein Tier, kein Stein und kein Sandkorn ist ohne den Geist Gottes denkbar. Die Schöpfung ist ein trinitarischer Akt und sie ist nicht nur Gott dem Vater zuzuordnen oder bestenfalls noch auf Christus hin zu deuten (vgl. Kol 1,15f). Der Geist Gottes ist ebenso der Schöpfer.42

Diese Erkenntnis führt allerdings zu einer der zentralen Fragen der Pneumatologie: In welchem Verhältnis stehen Schöpfung und Erlösung? Ohne Zweifel ist auch heute noch die Tendenz erkennbar, die viele Jahrhunderte die Theologie und Frömmigkeit geprägt hat: Der Heilige Geist wird allein als ein Geist der Erlösung verstanden, der dann folgerichtig seinen Ort auch lediglich unter den Erlösten, sprich in der Kirche, haben kann. Ein solches Verständnis vom Geist entfremdet die Christen von einer Welt, die scheinbar ohne Gott ist. Es isoliert die „Heiligen“ von den „Unerlösten“, es trennt Kirche und Welt und führt zu einer „Kommunikationsunfähigkeit der Kirche in ihrer Erfahrung des Geistes gegenüber der Welt“.43 Wird hingegen der Schöpfergeist und der Erlösergeist in einer Einheit gesehen, so bietet sich eine neue Kommunikationsebene und eine Grundlage für ein missionales Verständnis. Die hartnäckige Tendenz der Trennung von Schöpfergeist und Erlösergeist ist vor allem in der anhaltenden Platonisierung des Christentums begründet, die eine leib- und naturfeindliche Weltabgeschiedenheit propagiert. Auch die begrenzte Wahrnehmung, den Geist Gottes nur noch als Geist Christi und nicht auch als Geist des Vaters wahrzunehmen, hat hier ihre Folgen gehabt.44

Heute steht nicht allein der Mensch im Mittelpunkt der Fragestellung. Vielmehr wird nach der „immanenten Transzendenz“ (J. Moltmann)45 in der gesamten Schöpfung gefragt. Die Kontinuitätsfrage beschränkt sich nicht auf die Anthropologie, sondern betrifft den gesamten Kosmos. Geisterfahrung ist nicht nur Selbsterfahrung, sondern ein konstitutives Element in der Gemeinschafts- und Naturerfahrung. Je mehr ein Mensch vom Geist Gottes ergriffen und geprägt ist, umso mehr wird er das Wirken des Geistes in der Schöpfung und in allem Leben wahrnehmen und auch ehren. Albert Schweitzer hat daraus seine Ethik des Lebens entwickelt, die er treffend „Ehrfurcht vor dem Leben“ nannte.46

Dennoch bleibt die Frage, wie sich die Sünde auf die Wahrnehmung und auf die Wirksamkeit des Geistes im Leben eines Menschen und in diesem gesamten Kosmos auswirkt. Die Sündenrealität verdunkelt, sie vernebelt und sie hemmt das freie Heilswirken des Geistes Gottes. Die Wahrnehmung in einer von Sünde geprägten Welt ist zu vergleichen mit einem Glas trüben Wassers. Hier sehen wir nicht nur die Elemente, die das Wasser trübe machen, sondern wir sollten auch erkennen, dass da nach wie vor Wasser ist. Sünde, Tod und Niedrigkeit führen allerdings nicht dazu, dass der Geist Gottes seine klare Kreativität und Wahrheit nicht weiter entwickeln kann. Aber die Bibel bezeugt, dass der Geist Gottes auch da erfahrbar ist, wo die Folgen der Sünde das Leben prägen, wo Schwachheit, Krankheit und Tod Einzug halten. Er wirkt auch in all den Tiefen und Finsternissen des Lebens. L. Dabney zeigt auf, dass die Kenosis des Geistes (= die sich selbst entäußernde Kraft) durchgängig im Leben Jesu wirksam war, auch in dem Moment, als er ausrief: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“47 In den Zerbrochenheiten und Rissen des Lebens ist der Geist Gottes ebenso wirksam und wahrnehmbar wie in den Heilungen und in der Überwindung aller Todesrealität.

Die Erkenntnis, dass der Erlösergeist, der Geist von Pfingsten, kein anderer Geist ist als der Schöpfergeist, dass der Erlösergott kein anderer Gott ist als der Schöpfergott, führt zu einer neuen Sicht und Spiritualität im Leben eines vom Geist Gottes erfüllten Menschen. Er kann tiefgehende Geisterfahrungen nicht nur machen, indem er sich spirituellen Übungen und kontemplativen Erfahrungen hingibt, sondern mitten im Alltag des natürlichen Lebens. Alles Natürliche wird für den vom Geist Gottes erfüllten Menschen heilig, sprich: gott-zugehörig. Er bringt es in Verbindung mit Gott. Alles Heilige trägt auch den befreienden Charakter des Natürlichen. Die neueren Ansätze zu einer ökologischen Theologie, zu einer kosmischen Christologie oder einer ökumenischen Ekklesiologie setzen die Identität des erlösenden und schöpferischen Geistes voraus. Zusammenfassend betont Jürgen Moltmann die Notwendigkeit einer solchen ganzheitlichen Sicht der Pneumatologie:

„Die Gemeinschaft des Geistes führt die Christenheit notwendig über sich selbst hinaus in die größere Gemeinschaft aller Geschöpfe Gottes. Auch die Schöpfungsgemeinschaft, in der alle Geschöpfe miteinander, füreinander und ineinander existieren, ist Gemeinschaft des Heiligen Geistes. Beide Erfahrungen des Geistes stellen die Kirche Christi heute in Solidarität mit dem tödlich bedrohten Kosmos. Angesichts des Endes der Natur werden die Kirchen die kosmische Bedeutung Christi und des Geistes entdecken oder sie werden an der Vernichtung der irdischen Schöpfung Gottes mitschuldig. Was in früheren Zeiten als Lebensverachtung, Leibfeindlichkeit und Weltabgeschiedenheit nur eine innere Einstellung war, ist heute alltägliche Wirklichkeit im Zynismus der fortschreitenden Naturzerstörung. Die Entdeckung der kosmischen Weite des Geistes führt dagegen zum Respekt der Würde aller Geschöpfe, in denen Gott durch seinen Geist anwesend ist. In der gegenwärtigen Situation ist diese Entdeckung nicht romantische Poesie oder spekulative Vision, sondern die notwendige Voraussetzung für das Überleben der Menschheit auf Gottes einmaliger Erde.“48

 

Nicht nur der Respekt und die Ehrfurcht vor dem Leben sind die Folge einer solchen ganzheitlichen pneumatologischen Sicht, sondern auch ein umsichtiges Wahrnehmen des Geisteswirkens bei Menschen in anderen Kulturen und Religionen. Bereits im AT finden wir Ansätze für ein Verständnis, welches das Geisteswirken auch bei nichtjüdischen Menschen oder Völkern erkennt und erwartet. Der Perserkönig Kyros, der die Exilierten aus Babel wieder heimziehen lässt, wird als Werkzeug Jahwes gesehen, als ein vom Geist Gottes Gesalbter (Jer 27,4–11; Jes 4,5). Herausragend ist ebenso die Aussage im Prophetenbuch Maleachi. Dort wird nicht nur gesagt, dass die Völker eschatologisch zu Jahwe umkehren werden, sondern dass jetzt schon in allen Völkern, in anderen Religionen und Kulturen Jahwe unbewusst verehrt wird. „Auf der ganzen Welt werde ich verehrt, an allen Orten bringen mir die Menschen Opfergaben dar, die mir gefallen, und lassen den Rauch zu mir aufsteigen. Ja, alle Völker ehren mich, den allmächtigen Gott“ (Mal 1,11).49 Vielleicht hatte Paulus diese Aussagen vor Augen, als er vor den Athenern von dem allumfassenden Urgrund sprach und den „unbekannten Gott“ verkündete, durch den allein wir leben und handeln (Apg 17,28). Die Schlussfolgerungen im 1. Johannesbrief können in ähnlicher Weise verstanden werden: Gott ist die Agape-Liebe (1Joh 4,8.16) und alle menschliche Agape-Liebe stammt aus Gott (1Joh 4,7). Folglich ist jeder, der liebt und Gerechtigkeit tut, aus Gott gezeugt (1Joh 2,29). Missionale Pneumatologie spürt das Wirken des Geistes Gottes auch in anderen Kulturen und Religionen auf, um Menschen auf die Quelle dieser Liebe in Jesus Christus hinzuweisen. Zudem ist bei allem Bemühen um eine komparative und dialogische Religionswissenschaft daran festzuhalten, dass in Jesus Christus die Liebe Gottes erschienen ist und er der Weg zum Vater ist.

Das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) formulierte hierzu Folgendes: Alles, „was sich an Gutem und Wahrem bei ihnen (den anderen Religionen und Kulturen) findet“, ist „Gabe dessen, der jeden Menschen erleuchtet“ (LG 16). Damit vertritt Vatikanum II religionstheologisch einen Inklusivismus, der davon ausgeht, dass die volle und endgültige Offenbarung in Christus erfolgt ist, aber andere Religionen und Kulturen auch Wahres und Heiliges enthalten können.50 Missionale Pneumatologie spürt diese Werte des Wahren und Heiligen in anderen Religionen und Kulturen auf und weist zugleich auf den Ursprung und die Quelle des Heils in Christus hin.51 Christen sind überzeugt, dass das Wort Gottes in Jesus Christus die tiefste und vollkommene Offenbarung ist. Ohne Orientierung an Jesus, der von dem Geist der Liebe, der Güte und Gerechtigkeit geprägt ist, können wir nicht erkennen, ob irgendwo der Geist Gottes sich manifestiert. Wenn etwas der Botschaft von Jesus widerspricht, dann kann es nicht vom Geist Gottes stammen. Der notwendige interreligiöse Dialog und der Dialog der Weltanschauungen wird bereichert durch eine komparative Theologie, die auch spirituelle Erfahrungen mit einbezieht und sich nicht nur auf doktrinärer bzw. wissenschaftlicher Ebene bewegt.52 Die Pneumatologie eröffnet somit neue Zugänge zum notwendigen interreligiösen Dialog.

b.Der Geist Gottes in alttestamentlicher Zeit

Gottes Geist wirkt nicht nur in der Schöpfung, sondern sein Wirken wird auch im Leben des alten Bundesvolkes bezeugt. Der Geist Gottes wirkte in der Väterzeit. Von Joseph wird berichtet, dass er durch den Geist Gottes Träume und die Fähigkeit der Traumdeutung bekam (1Mo 41,38). Erst in der Richterzeit begegnet jedoch ein gezielter Gebrauch des Begriffs der Ruach Gottes.53 Hier werden Menschen durch den Geist Gottes mit Kraft zugerüstet, die ihnen geradezu Unmögliches ermöglicht (Ri 3,10; 6,34; 11,29; 14,6; 16,10; 1Sam 11,6). Der Geist Gottes kommt über die erwählten Personen und erfüllt sie mit großer Energie und Weisheit. Dabei verschweigt das biblische Zeugnis nicht, dass es sich hierbei um fehlerhafte Menschen handelt. M. Welker konstatiert über diese charismatischen Führungspersonen der frühen Zeit: „Nicht nur unvollkommene, endliche, sterbliche Menschen, sondern auch Außenseiter, Zweifler, Misstrauische, Machtbewusste, die auch vor Bedrohung und Erpressung ihrer Mitmenschen nicht zurückschrecken – so werden die „frühen Charismatiker“ von den biblischen Texten gekennzeichnet.“54

Diese ersten Zeugnisse vom Wirken des Geistes Gottes berichten von einem unerwarteten Eingreifen Jahwes und von der Erneuerung der Einmütigkeit des Volkes. In all diesen frühen Bezeugungen der Erfahrung des Geistes Gottes geht es primär um die Wiederherstellung von Ordnung, Einheit und Solidarität. Er befähigt einzelne Frauen und Männer im Volk Israel, Leitung zu übernehmen. Als Mose 70 Männer ausgewählt hatte, die ihn in der Leitung unterstützen sollten, wurde ihnen der Geist Gottes verheißen (4Mo 2,16f). Josua, der Nachfolger von Mose, wurde ebenfalls mit Gottes Ruach erfüllt (1Mo 27,18–23; 5Mo 34,9). In der folgenden Königszeit wird von David berichtet, dass der Geist Gottes auf ihn kam, als Samuel ihn salbte (1Sam 16,13). Die Psalmgebete bezeugen das Bewusstsein der Wirkung des Geistes Gottes in der individuellen Spiritualität (Ps 51,13; 143,10).

Das Wirken des Geistes ist allerdings nicht nur auf einzelne Führungspersonen beschränkt – das ganze Volk Israel sollte mit der Ruach Gottes im Einklang leben. In Notzeiten erinnerte sich das Volk an die Wirksamkeit des Geistes, um darin Trost zu finden: „Der Geist Gottes führte das Volk und brachte sie schließlich ins Land Kanaan. Hier durften sie sich niederlassen wie eine Herde, die von den Berghängen hinunter in ein grünes Tal kommt. So hast du, o Gott, dein Volk damals geführt, damit dein herrlicher Name geehrt wird“ (Jes 63,14). Nach der Rückkehr aus dem Exil in Babylon spricht der Prophet Haggai die Verheißung des bleibenden Geistes über dem Volk aus. „Ich halte, was ich euren Vorfahren versprochen habe, als sie aus Ägypten zogen. Mein Geist bleibt bei euch. Habt also keine Angst!“ (Hag 2,5). Serubabel erhält den Zuspruch, dass nicht „Heer oder Kraft“, sondern die Ruach Gottes die ersehnte Befreiung wirken wird (Sach 4,6; LU).

Unmissverständlich wird das vielfältig bezeugte prophetische Wort im Alten Bund als eine Wirkung des Geistes Gottes gedeutet. Propheten erhielten auf unterschiedliche Weise eine Offenbarung von Gott, die ihr natürliches Denk-, Vorstel-lungs- und Sprachvermögen übersteigen. Ebenso vermittelte der Geist Gottes ihnen den Mut und die Autorität, diese Offenbarungen weiterzugeben und zu verkündigen. Dabei finden wir ein geradezu Ekstase auslösendes Wirken, wobei der Prophet eine Erfahrung mit der transzendenten Wirklichkeit Gottes macht.55 Der Geist Gottes kommt auf eine Person und gibt Inspiration (vgl. u. a. 4Mo 11,25; 1Sam 10,6.10; 1Kön 18,22; 2Kön 1,15; Jes 1,8; Hes 1,3; 3,12; 37,1). Die alttestamentlichen Propheten werden als Menschen des Geistes beschrieben (Hos 9,7; Mi 3,8).

Die frühen biblischen Zeugnisse berichten nicht nur von dem Geist Gottes, der aus Not rettet und der Orientierung und Geschlossenheit im Volk Gottes vermittelt. Gott kann auch einen „bösen Geist“ oder einen „Geist der Verirrung“ senden (Ri 9,23; Jes 19,2f; 1Sam 16,14ff). Es bedarf der prophetischen Einsicht und Offenbarung, um einen Lügengeist vom Geist Gottes unterscheiden zu können. Das Problem bei der Unterscheidung der Geister wird eindrucksvoll in der Vision Michas, des Sohnes Jimlas, zum Ausdruck gebracht (1Kön 22; 2Chr 18). Micha stellt sich mit seiner prophetischen Offenbarung und Deutung gegen ein Heer von über 400 Lügenpropheten. Allgemeine Prüfkriterien, wie sie etwa M. Welker herausstellt und auf die heutigen Erfahrungszusammenhänge zu übertragen versucht, sind hier nur sehr zurückhaltend zu hören, zumal die neutestamentliche Prophetie sich wesensmäßig von der alttestamentlichen unterscheidet.56 Die Propheten klagen darüber, dass Israel dem Geist Gottes Widerstand leiste. Allerdings sehen sie einen Tag kommen, an welchem die Ruach Jahwes eine neue Zeit einführen wird. Die zerfallene Hütte Davids (Am 9,11) wird wieder aufgebaut werden. Das wird durch einen Nachkommen Davids geschehen, auf dem der Geist Gottes ruht. „Der Geist des Herrn wird auf ihm ruhen, ein Geist der Weisheit und der Einsicht, ein Geist des Rates und der Kraft, ein Geist der Erkenntnis und der Ehrfurcht vor dem Herrn“ (Jes 11,2). Diese Verheißung fand in Jesus Christus ihre Erfüllung (Joh 1,32; 3,34). Wenn vom Nachkommen Davids, vom Sohn Davids, die Rede ist, wird damit die königliche Seite des vom Geist Gottes Gesalbten hervorgehoben. Daneben gibt es die Verheißungen vom leidenden Gottesknecht. Hier wird ebenso bezeugt, dass auf diesem Gottesknecht der Geist des Herrn ruht (Jes 42,1; 61,1f). Der erwartete messianische Geistträger verband die Erfahrung der Gerechtigkeit Gottes mit der umgesetzten Gerechtigkeit der Thora (Gesetz), konkret in der Kombination von Recht, Erbarmen und Gotteserkenntnis.57

Jesus verband in seiner Person die beiden Seiten dieser verheißenen Messiasgestalt: Er war der angekündigte Spross aus Davids Stamm und der leidende Gottesknecht. In der Messiaserwartung der spätjüdischen Zeit dominierte die Vorstellung vom königlichen und mächtigen Messias, der jedoch nicht mit Leiden und Schmerzen behaftet sei. Zudem war mit der Messiaserwartung auch die Erwartung einer umfassenden Ausgießung des Heiligen Geistes verknüpft, die nicht nur einzelne Führungspersonen, sondern das ganze Volk, ja das ganze Land, ergreifen würde (Jes 32,15; 44,3; Hes 36,25–27). Die Ruach Gottes wird in der messianischen Zeit nicht nur für Israel, sondern für die gesamte Schöpfung erwartet. Der Geist Gottes würde eine neue prophetische Zeit einleiten, in der eine breite prophetische Salbung über alle Menschen ausgegossen würde. „In späterer Zeit will ich, der Herr, alle Menschen mit meinem Geist erfüllen. Eure Söhne und Töchter werden aus göttlicher Eingebung reden, die alten Männer werden bedeutungsvolle Träume haben und die jungen Männer Visionen; ja, sogar euren Sklaven und Sklavinnen gebe ich in jenen Tagen meinen Geist“ (Joel 3,1f). Petrus zitiert dieses Joelwort in seiner Pfingstpredigt (Apg 2,17) und bestätigt damit den Anbruch der neuen pneumatologisch geprägten Zeit. Aus der Wirkung des Geistes geht ein neues Gottesvolk hervor, ein Volk, das vom Geist Gottes geleitet ist und in einer prophetischen Existenz lebt. Die Zeit, in welcher der Geist Gottes nur auf einzelne Führungspersonen beschränkt sein würde, hat mit dem Pfingstereignis ein Ende gefunden.

Schon in den vorchristlich geprägten prophetischen Äußerungen wird die Wirksamkeit des Geistes deutlich, welcher diese mächtige Ausgießung an den Geisttäufer knüpfen würde (Lk 1,15.44.67; 2,25). Alle vier Evangelien berichten von der Wirksamkeit Johannes des Täufers, der als der größte unter den Menschen in der vorchristlichen Zeit gesehen wird (Lk 7,28). „Das Große an Johannes war sein einzigartiges Vorrecht, den Weg für den Christus vorzubereiten; kein anderer Prophet hatte je einen solch hohen Auftrag erhalten. Er konnte jedoch nur bis zur ‚Schwelle des Himmelreiches‘, welches mit Jesus anbrach, treten. Jesu Nachfolger sind noch bevorzugter (größer); sie waren Zeugen vom Anbruch des Gottesreiches durch Jesus Christus. Von denen aber, die zum Zeitalter der Verheißung gehörten, war Johannes der Größte; die, welche zum Zeitalter der Erfüllung gehörten, sind noch bevorzugter.“58