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Starke und schwache Beziehungen

Pluralisierung bedeutet, dass nicht mehr von der einen gemeinsamen Grundlage ausgegangen werden kann, von der traditionelle Gemeinschaften lebten und der alles andere untergeordnet wird, seien es die Familienbande, die politische Überzeugung oder die religiöse Orientierung.

Die Menschen leben heute in einer Vielzahl unterschiedlicher Gemeinschaften, die alle das Leben mitprägen, vom Sportverein, dem Kegelklub oder auch dem Literaturkreis über die Schulgemeinschaften der Kinder mit ihren jeweiligen Sommer- oder Weihnachtsfesten bis hin zu Nachbarschaftskreisen, Bürgerinitiativen oder eben auch der Kirchengemeinde. Diese Vielzahl von Gemeinschaften bildet das Netzwerk, in dem wir leben. Wie zentral diese Pluralisierung für die sozialen Unterstützungsleistungen des Einzelnen heute ist, zeigt eine faszinierende Untersuchung des amerikanischen Soziologen Mark Granovetter, die ich hier vorstellen möchte.

Granovetter unterscheidet „starke“ und „schwache“ Beziehungen und weist ihnen jeweils unterschiedliche Funktionen zu. Starke Beziehungen sind die Beziehungen in den Intimgruppen, die traditionell am deutlichsten mit dem Begriff „Gemeinschaft“ verbunden waren. Sie vermitteln vorrangig tiefere Gefühle wie Liebe und Geborgenheit, sie verlangen viel Zeit und sind geprägt durch einen hohen Grad von Verbindlichkeit.

Schwache Beziehungen sind im Gegensatz zu starken Beziehungen weniger zeitaufwendig und mit weniger emotionalem Engagement verbunden. Ihre größte Stärke liegt darin, dass sie eher am Rande eines persönlichen Netzwerks angesiedelt sind und deshalb eine Art Brückenfunktion zu anderen Gemeinschaftskontexten erfüllen können. Über schwache Beziehungen entstehen Einstiegsmöglichkeiten in andere soziale Milieus.

Pluralisierung bedeutet nicht Abbruch von Gemeinschaft

Die schwächstmögliche Form der sozialen Beziehung – das kann über Granovetter hinaus zur Erläuterung gesagt werden – ist heute die „Gefällt mir“-Taste bei Facebook. Wenn Sie sich – sofern Sie bei Facebook registriert sind – heute bei einem Ihrer Facebook-Freunde mit dem minimalstmöglichen Zeitaufwand in Erinnerung bringen wollen, drücken Sie die „Gefällt mir“-Taste bei einem dort eingestellten Bild oder irgendeiner Aussage Ihres Freundes. Mit einem einzigen Click sagen Sie: Es gibt mich noch und es ist mir wichtig, dass du mich nicht vergisst. Und wenn es Gründe gibt, die entsprechende soziale Beziehung wieder neu zu aktivieren, gibt es jedenfalls eine kommunikative Basis dafür.

Das kann insofern ganz handfeste Dimensionen haben, als die Untersuchung von Mark Granovetter auch gezeigt hat, dass die schwachen Beziehungen von besonderer Bedeutung sind, wenn es um soziale Unterstützungsleistungen im Alltag geht: In einer Studie über Menschen, die ihren Arbeitsplatz wechselten, stellte sich heraus, dass die meisten von ihnen den neuen Job nicht über Freunde, sondern über lockere Bekannte gefunden hatten.

Losere Netzwerke scheinen also für die sozialen Unterstützungsleistungen im Alltag eine größere Rolle zu spielen, als auf den ersten Blick zu vermuten ist. Die durch schwache Beziehungen ermöglichte Pluralisierung eröffnet Zugang zu zahlreichen anderen Gemeinschaften, die ansonsten verschlossen gebliebene Horizonte eröffnen. All diese Überlegungen zeigen: Pluralisierung bedeutet nicht Abbruch von Gemeinschaft, sondern zunächst nur Veränderung von Gemeinschaft. Für die Kirche ist es von zentraler Bedeutung, dass sie auch die schwachen Netzwerksbeziehungen als Formen von Gemeinschaft würdigt und sich mit ihren Angeboten darauf einstellt.

Bewusste Entscheidung

Der zweite Aspekt, den ich nennen möchte, ist die Individualisierung. Sie bedeutet keineswegs, wie manchmal angenommen, automatisch selbstzentrierten Individualismus. Vielmehr heißt Individualisierung zunächst nur, dass die Menschen heute im Prinzip die Freiheit haben, ihr Leben selbst so zu gestalten, wie sie es wollen, anstatt vorgegebenen Rollen und Lebenswegen zu folgen. Das Wort von der „Bastelbiografie“, erfunden von dem Soziologen Ronald Hitzler, ist fast schon in den allgemeinen Sprachschatz übergegangen und bezeichnet den mit Chancen wie Risiken verbundenen Versuch, sein Leben soweit wie möglich selbst zu gestalten.

Das Engagement zahlloser Ehrenamtlicher in Parteien, Kirchen und Vereinen zeigt, dass solche Individualisierung keineswegs in Egoismus und Vereinzelung führen muss. Der in solchem Engagement zum Ausdruck kommende solidarische Gebrauch der Freiheit ist ein lebendiges Zeugnis dafür, dass Individualisierung und Gemeinschaft nicht in Gegensatz zueinander stehen müssen. Wer sich heute in der Kirche engagiert, tut das aus einer bewussten Entscheidung heraus und nicht, weil er oder sie im Grunde kaum eine andere Wahl hätte.

Und auch Kirchenaustritte erscheinen in einem neuen Licht, wenn sie auch als Ausdruck einer zu bejahenden Individualisierung gesehen werden. So schmerzlich Kirchenaustritte als Konsequenz von bewussten Entscheidungen sind, so gewichtig und auch erfreulich ist gleichzeitig die Tatsache, dass eine erstaunlich hohe Zahl von Menschen unter den Bedingungen von Individualisierung offensichtlich nach wie vor der Kirche die Treue hält!

Ehrenamtliche wollen mitreden

Als Drittes zeichnet sich ein Charakteristikum ab, das ich Gegenseitigkeitsorientierung nenne. Der Gesichtspunkt der Gegenseitigkeit tritt als Grundlage für das Engagement in der Gemeinschaft mehr und mehr an die Stelle des Opfergedankens. Auch hier ist Vorsicht angebracht: Gegenseitigkeitsorientierung heißt keineswegs automatisch, dass die Leute heute, ganz am ökonomischen Denken orientiert, nur noch eine Leistung erbringen wollen, wenn sie auch eine vergleichbare Gegenleistung bekommen. Es heißt vielmehr, dass die Menschen sich für andere engagieren, dies aber nicht mit dem Gefühl tun, sich aufzuopfern und selbst zu verleugnen, sondern mit dem Gefühl und der Erwartung, auch selbst davon zu profitieren.

Ehrenamtliche wollen sich heute nicht mehr ausbeuten lassen. Sie wollen sich selbst ernst nehmen, sie wollen mitreden, sie wollen sich fortbilden in dem, was sie ehrenamtlich tun. Sie wollen als eigenständige Persönlichkeiten geachtet werden und nicht als Hilfsarmee für noch so noble Zwecke missbraucht werden.

Auch für die Gegenseitigkeitsorientierung gilt: Sie lässt bestimmte Faktoren der Bindung an die Gemeinschaft, wie etwa die Bereitschaft zur Aufopferung, zurücktreten. Das, was sie aber an die Stelle solcher traditionellen Bindungskräfte setzt, enthält jedenfalls das Potenzial für eine gelingende Gemeinschaftsbeziehung unter den Bedingungen der Moderne, die ein Ernstnehmen des Individuums mit dem Engagement für die Gemeinschaft verbindet.

Liberalisierung mit Chancen und Risiken

Als Ergebnis meiner Beschreibung der Veränderung von Gemeinschaft in der modernen Gesellschaft halte ich fest: Wenn der Begriff der Gemeinschaft nicht auf eine von starken Beziehungen und einem klaren gemeinsamen Nenner geprägte Kleingruppe reduziert wird, sondern mithilfe des sozialen Netzwerkgedankens erweitert wird, dann erweist sich die Diagnose vom Verlust der Gemeinschaft in der modernen Gesellschaft als unzulässige Vereinfachung. Vielmehr muss von Liberalisierung von Gemeinschaft gesprochen werden, die Risiken, aber auch Chancen enthält.

Für die Kirche der Zukunft – so meine These – ist die konstruktive Gestaltung dieser Liberalisierung von Gemeinschaft von entscheidender Bedeutung. Dazu hilft es nicht, alten Zeiten nachzutrauern und den Verlust einer kirchlichen Prägekraft zu beklagen, die allzu oft auf einer unhinterfragten, mehr auf staatliche Privilegien als auf innerer Überzeugungskraft beruhenden gesellschaftlichen Dominanz gründete.

Die Kirche hat vielmehr allen Grund, Individualisierung, Pluralisierung und Gegenseitigkeitsorientierung zu bejahen und das Evangelium im Lichte der damit beschriebenen gesellschaftlichen Entwicklungen neu zur Geltung zu bringen. Es wird sich zeigen – das ist meine feste Überzeugung –, dass die Kirche damit etwas in die moderne Zivilgesellschaft einbringen kann, was dieser Zivilgesellschaft nicht nur nicht fremd ist, sondern was ihr geradezu zum Lebenselixier werden kann.

Die kulturelle Kraft des Christentums und der Kirche liegt nicht in der Anpassung an die Verhältnisse, sondern in ihrer Rolle als öffentliche Kirche in der Zivilgesellschaft. Am Ende sind es nicht strategische Überlegungen zur Mitgliederbindung, Public-Relation-Programme oder ein effektiver Apparat, die über die Zukunft der Kirche entscheiden, so sehr das alles seinen guten Sinn hat. Am Ende ist es die Authentizität der Kirche, die den entscheidenden Unterschied bedeutet.

Eine solche authentische Kirche, eine Kirche, die ausstrahlt, wovon sie spricht, kann dieses kraftvolle Bild tatsächlich neu wahr werden lassen, das Jesus uns mit auf den Weg gegeben hat und das – das ist vielleicht das Wichtigste – er uns zuspricht und das er uns zutraut: Ihr seid das Salz der Erde, ihr seid das Licht der Welt!

Braucht die Zivilgesellschaft die Kirche?

Über die Bedeutung religiöser Orientierung

„Braucht die Zivilgesellschaft die Kirche?“ – so lautet die Frage, die mir heute gestellt ist. Es ist wenig überraschend, wenn ich diese Frage mit einem klaren Ja beantworte.

Doch ist diese Antwort keineswegs selbstverständlich. Denn der Begriff „Zivilgesellschaft“ hat sich als Programmbegriff für ein demokratisches Gemeinwesen entwickelt, in dem religiöse Einflüsse und insbesondere die althergebrachte Vormachtstellung der Kirche gerade keine handlungsleitende Bedeutung mehr haben sollten. Er steht für die Überwindung eines Bündnisses zwischen Thron und Altar, das die Demokratie nicht ermutigte, sondern lange Zeit bekämpfte.

 

Die Zivilgesellschaft oder, wie sie zuweilen auch genannt wird, die „Bürgergesellschaft“ wurde als Ort verstanden, an dem aufgeklärte Bürger durch den Austausch guter Argumente nach den besten Lösungen suchen und manchmal eben auch um sie streiten. Auf höhere Einsichten, die nicht mit guten Argumenten zu erläutern sind, sondern an die man eben glauben muss, kann man sich dabei dann nicht berufen, jedenfalls dann nicht, wenn man ernst nimmt, dass wir heute in einer pluralistischen Gesellschaft leben, in der nicht mehr bestimmte religiöse Glaubensinhalte für alle verbindlich gemacht werden können.

Man kann auf dieser Basis durchaus zu dem Schluss kommen, dass Religion und Kirche zwar ihren guten Sinn für die haben mögen, die daraus persönliche Kraft schöpfen, dass sie aber strikt als Privatsache zu behandeln seien. Die Zivilgesellschaft braucht dann gerade keine Religion. Im Gegenteil: Religion steht der Zivilgesellschaft in dieser Perspektive sogar eher im Wege, weil sie den argumentativen Wettstreit aufgeklärter Bürger in einer Demokratie eher behindert als befördert.

Blanke Spekulation

Dieser Gedanke hat lange Zeit die Gesellschaftsdiagnosen der Soziologie und Philosophen geprägt. Im Hintergrund standen die soziologischen Klassiker wie etwa Max Weber, deren Theorien ein Bild von Kirche zugrunde lag, das tatsächlich wenig Potenzial für einen konstruktiven Beitrag zu den Debatten der Zivilgesellschaft versprach. Wie sehr sich das in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geändert hat, ist erst spät ins Bewusstsein dieser Gesellschaftsdiagnostiker getreten.

Inzwischen ist aber klar: Die Kirchen haben nicht nur längst ihre skeptische Haltung gegenüber der Demokratie überwunden, sondern sie sind zu treibenden Kräften einer beständigen Fortentwicklung von Demokratie und Zivilgesellschaft geworden. Sie mischen sich in die öffentlichen Debatten ein und melden sich zu den öffentlich diskutierten Themen zu Wort, hinter denen in ihren Tiefendimensionen Fragen ethischer Grundorientierung stehen.

Nachfrage nach ethischer Grundorientierung besteht gegenwärtig zur Genüge. Wie kann es sein – so fragen nicht nur altgediente Kapitalismuskritiker, sondern ebenso Unternehmer und Politiker –, dass wir bei den Finanzmärkten lange Zeit ein System hingenommen haben, das nicht auf der Schaffung von Werten beruht, sondern auf blanker Spekulation und dessen Motivation nicht aus guten Ideen und der Kompetenz bestand, daraus ein gutes Produkt zu machen, sondern aus der Gier nach immer mehr Geld und der Bereitschaft, dafür Risiken einzugehen, die sonst nur im Spielcasino üblich sind?

Besonderer Beitrag

Weil sich solche Fragen gerade jetzt mit großem Nachdruck stellen, ist die Frage, wo eigentlich die damit verbundenen Grundorientierungen reflektiert und vermittelt werden, von ganz neuer Bedeutung. Von den Kirchen als Institutionen, die gerade die ethische Verantwortung der Wirtschaft seit langer Zeit immer wieder öffentlich zum Thema gemacht haben, wird daher gerade jetzt ein besonderer Beitrag erwartet.

In einem in seinem selbstkritischen Tenor ausgesprochen bemerkenswerten Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 18. Juli 2009 hat der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück das zu diesem Zeitpunkt gerade erschienene Wort des Rats der EKD zur Wirtschafts- und Finanzmarktkrise und die kurz danach erschienene Sozialenzyklika des Papstes gewürdigt: „Für mich“ – so Steinbrück – „ist es gerade in diesen Zeiten sehr ermutigend, dass sich die großen christlichen Kirchen vergangene Woche beinahe zeitgleich sehr eindeutig positioniert haben … Ich hoffe, dass mit den klaren Einlassungen der Kirchen in unserer Gesellschaft der Konsens darüber wächst, dass dieselbe Ideologie, die uns in die Krise geführt hat, uns nicht wieder aus der Krise herausführen kann … Wir brauchen deshalb eine Wertgemeinschaft in unserem Land, die den Menschen und das Gemeinwohl ins Zentrum ihres Denkens und Handelns stellt … “

Steinbrücks Worte stehen für viele, die in den Kirchen einen Ort gesehen haben, von dem her die Zivilgesellschaft Neuorientierung erwarten darf.

Grundorientierung kombiniert mit Sachkompetenz

Seit etwa 50 Jahren meldet sich die evangelische Kirche mit Denkschriften öffentlich zu Wort. Seit der ersten Denkschrift „Eigentumsbildung in sozialer Verantwortung“ (1962) hat sie sich immer wieder in zivilgesellschaftliche Debatten eingemischt mit Themen, die von der Bedeutung der betrieblichen Mitbestimmung über die Versöhnung mit den östlichen Nachbarländern, die soziale Sicherung, die neuen Kommunikationsmedien, die Landwirtschaft und die inhaltliche Weiterentwicklung der Demokratie bis hin zur Überwindung der Armut, den Wegen zu einem gerechten Frieden, der Herausforderung der Klimakatastrophe, der ethischen Verantwortung unternehmerischen Handelns und jetzt ganz neu der ethischen Reflexion unseres Gesundheitssystems reichten.

In all diesen Stellungnahmen wird der Versuch unternommen, biblisch gegründete Grundorientierungen mit möglichst umfassender Sachkompetenz so zu verbinden, dass eine Form von Orientierung gegeben wird, die nicht über die Niederungen praktischer Politik hinweggeht, sondern auch für die, die tatsächlich politische Verantwortung tragen, hilfreich zu sein vermag. Biblische Orientierungen werden so eingebracht, dass sie für alle Menschen jenseits religiöser oder weltanschaulicher Überzeugungen nachvollziehbar sind.

Ein Zitat aus dem gemeinsamen Wort der beiden großen Kirchen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland von 1997 mag das illustrieren:

„Die im vorausgegangenen Abschnitt aus biblischer Botschaft und christlichem Glauben entwickelten ethischen Perspektiven sind die Grundlage für den Beitrag der Kirchen zur Fortentwicklung einer menschenwürdigen, freien, gerechten und solidarischen Ordnung von Gesellschaft und Staat. Diese Perspektiven und Maßstäbe sind nicht wirklichkeitsferne Postulate, sondern Ausdruck einer langfristig denkenden Vernunft, die sich nicht durch vermeintliche Sachzwänge oder durch kurzfristige Interessen irremachen lässt. Sie können in der christlich geprägten europäischen Kultur auch von Nichtchristen akzeptiert werden und tragen damit zur Wiedergewinnung des ethischen Grundkonsenses bei, auf den Politik, Wirtschaft und Gesellschaft angewiesen sind“ (Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland, Hannover 1997, Ziffer 126).

Ethischer Grundkonsens

Das Stichwort vom ethischen Grundkonsens, auf den Politik, Wirtschaft und Gesellschaft angewiesen sind, markiert einen wichtigen Grund dafür, dass die Frage, ob die Zivilgesellschaft die Kirche braucht, mit einem klaren Ja zu beantworten ist. In einer Gesellschaft jedenfalls, in der nach wie vor zwei Drittel der Menschen Mitglieder der Kirchen sind, kann sich ein solcher Grundkonsens nicht bilden, ohne dass die sozialethischen Orientierungen der christlichen Überlieferung mit einbezogen werden.

Das ist nicht nur eine quantitative Frage. Es ist auch eine Frage nach der Nachhaltigkeit der Einwanderung der ethischen Grundorientierungen in die Herzen der Menschen. Ethische Orientierung ist nicht allein, vielleicht noch nicht einmal vorrangig eine Frage des Wissens. Sie ist eine Frage der existenziellen Aneignung. Und dabei entwickelt Religion nach wie vor eine besondere Kraft.

Ich behaupte, dass es keinen kraftvolleren Weg zur Vermittlung eines ethischen Grundkonsenses in der Gesellschaft gibt als das für die christliche Tradition so zentrale Doppelgebot der Liebe. „Du sollst den Herrn deinen Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller deiner Kraft und deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“

Und zur Bekräftigung der zentralen Bedeutung dieses Gebots fügt der Evangelist Matthäus hinzu: „Das ist das Gesetz und die Propheten“ (Matthäus 22,37 - 40).

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