Sprachen lernen in der Pubertät

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3.1.2 Sprach- und MusikverarbeitungMusikverarbeitung, -analyse im Gehirn

Dem renommierten Schweizer Neuropsychologen Jäncke (2008: 387) zufolge werden Sprache und Musik in „stark überlappenden Nervenzellnetzwerken“ verarbeitet. Die Annahme, Sprache sei links-, Musik hingegen rechtshemisphärisch verortet, trifft nicht in der Weise zu, wie es insbesondere populärwissenschaftliche Publikationen oftmals nahelegen. Es liegt jedoch erst eine begrenzte Zahl an komparativen Studien zur Sprach- und MusikverarbeitungMusikverarbeitung, -analyse vor (vgl. Patel 2009: 214), sodass der Wissensstand noch nicht umfassend ist, die bereits gesicherten Befunde jedoch wie folgt zusammengefasst werden können:

Zur Verarbeitung von gehörter Sprache tragen unterschiedliche Zentren im Gehirn bei, nämlich Sprachareale, Hörzentren und Teile des limbischen Systems. MusikanalyseMusikverarbeitung, -analyse erfolgt in Netzwerken unter Beteiligung des auditiven Kortex‘, des Kleinhirns bei der automatisierten Analyse einfacher und schon bekannter Musikstücke sowie frontaler Regionen bei komplexen Musikstücken. Der Hörkortex, einer der Hauptakteure auch beim Verstehen von Sprache, ist beidseitig aktiv: Links werden in der Regel Zeitaspekte von Musik, rechts Frequenzaspekte, Tonhöhe, Tonmuster sowie Klangfarbe verarbeitet. Studien mit bildgebenden Verfahren (fMRT) weisen auf eine Beteiligung des Broca-ArealsAreale, also eines der wichtigsten Sprachareale, an der Verarbeitung der Harmoniestruktur von Musik hin (vgl. Patel 2009: 213). Musikverarbeitung scheint ebenenweise zu erfolgen, d.h. das Gehirn analysiert die verschiedenen Merkmale von Musik, offenbar beginnend mit den Tonhöhen (rechter Hörkortex). Interessanterweise werden auf allen Verarbeitungsebenen Verbindungen zu motorischen Arealen hergestellt. Auch das semantische Gedächtnis und, wie schon gezeigt, die emotionsverarbeitenden Zentren werden aktiviert (vgl. Jäncke 2008: 279ff.). Die genannten Areale bzw. Netzwerke sind auch an der SprachverarbeitungSprachverarbeitung und am Sprachenlernen beteiligt (vgl. Koelsch, Gunter et al. 2002). An der Produktion von Sprache und Musik sind übrigens zum Teil dieselben Zentren und Netzwerke beteiligt wie an der Rezeption, zum Teil aber auch andere.

Es gibt also Schnittmengen hinsichtlich der Sprach- und MusikverarbeitungMusikverarbeitung, -analyse, z.B. der jeweiligen melodischen Merkmale, was jedoch nicht grundsätzlich bedeutet, dass die Verarbeitung identisch verlaufe. Die Konstituenten von Sprache und Musik sind nicht dieselben, auch die Syntax von Sprache und Musik ist unterschiedlich, z.B. gibt es in der Musik keine grammatischen Kategorien (vgl. Patel 2009: 212). Bildgebende Verfahren zur Verarbeitung musikalischer und sprachlicher Syntax im Gehirn liefern vor allem Hinweise auf eine Überlappung der beteiligten Netzwerke, während neuropsychologische Studien auch auf Unterschiede bei der Verarbeitung schließen lassen (vgl. Patel 2009: 213).

Man geht davon aus, dass es im Gehirn einen Mechanismus gibt, der über den auditiven Kanal eingehende Informationen zunächst der Kategorie Sprache oder Musik zuordnet, um dann das für Sprache bzw. Musik geeignete Analyseverfahren anzustoßen (vgl. Sommer 2016: 313). Dabei soll Sprache zu mehr Aktivität in der linksseitigen Hörrinde führen, während das, was vom Gehirn als Musik klassifiziert wird, „auffälligere Aktivität im auditiven Cortex der rechten Seite“ erzeugt (Carter et al. 2009: 91).

Trotz einiger Ausdifferenzierung bleiben Schnittmengen zwischen Sprache und Musik im Gehirn, sodass sich die Frage stellt, ob die sprachliche EntwicklungEntwicklung von der musikalischen profitieren kann – vielleicht durch die Möglichkeit, Musik auf struktureller Ebene als Unterstützer von Lernprozessen oder auch als Auslöser positiver EmotionenEmotionen einzusetzen, nicht zuletzt im Teenageralter.

3.1.3 TransfereffekteTransfereffekte auf sprachliche Leistungen

Aktives Musizieren verändert die Gehirnarchitektur, und etwa jeder vierte Jugendliche in Deutschland macht, das legen die Zahlen der aktuellen JIM-Studie nahe (2015: 9), selbst Musik. Wenn intensiv geübt wird, führt dies „zu unterschiedlichen kurz- und langfristigen plastischen Anpassungen des zentralen Nervensystems“ (Altenmüller 2007: 47). Dabei kommt es zu einer nutzungsbedingten Verdichtung neuronaler Strukturen (zu Plastizität vgl. Kap. 1 und Sambanis 2013: 14ff.). Durch die angestoßenen Wachstumsprozesse wird das Gehirn leistungsfähiger in Bezug auf die trainierten Abläufe und Aufgaben. Am Musikergehirn kann mit bildgebenden Verfahren sehr gut gezeigt werden, wie sich Lernen auf neuronaler Ebene niederschlägt.

In Anbetracht der Tatsache, dass an der Musik- und SprachverarbeitungSprachverarbeitung überlappende Netzwerke beteiligt sind, stellt sich die Frage, ob das Sprachenlernen durch musikalische Aktivität und die korrespondierenden Wachstumsprozesse im Gehirn, durch Singen oder vielleicht sogar durch das Hören von Musik profitieren kann. Es gibt zwar keine garantierten TransfereffekteTransfereffekte, d.h. die sprachlichen Leistungen müssen nicht in jedem Fall von musikalischen profitieren, aber aus der Forschung liegen Hinweise dazu vor, dass bestimmte sprachliche Leistungen durch Musizieren und mitunter bis zu einem gewissen Grad auch durch Musikhören tatsächlich profitieren können. Art, Intensität und Ausmaß der musikalischen Tätigkeit beeinflussen jedoch die Tragweite der Transfereffekte.

Versuchsteilnehmer, die bessere Leistungen bei Ton-, Klang-, Rhythmus- und Melodieaufgaben vollbrachten, erzielten auch in phonologischen Aspekten von Fremdsprachen bessere Leistungen. Sie verstehen Fremdsprachen besser und sie sind bei deren AusspracheAussprache überlegen. (Jäncke 208: 388)

Das ist zunächst ein für die Fremdsprachendidaktik interessanter Befund, der für das Singen im Fremdsprachenunterricht sprechen könnte. Es bleibt aber zu bedenken, dass in Studien zu TransfereffektenTransfereffekte oftmals ein kompaktes und intensives oder ein sich über Jahre erstreckendes Training der musikalischen Fähigkeiten stattgefunden hat – also intensives bzw. extensives Üben, d.h. in beiden Fällen viele Impulse verarbeitet wurden, die im Gehirn zu Wachstumsprozessen führen konnten –, bevor Transfereffekte auf sprachliche Leistungen gemessen wurden. Sommer (2016: 314) stellt daher zu Recht die Frage, ob das Singen im Fremdsprachenunterricht „in dem Umfang und der Häufigkeit, die im unterrichtlichen Alltag möglich“ ist, Transfereffekte, z.B. auf die Wahrnehmung von Sprache, in dem Ausmaß anstoßen kann, wie diese erhofft werden. Die Erwartungen, die an den Musikeinsatz bzw. das Singen im Fremdsprachenunterricht gestellt werden, sollten realistisch sein: Weder ist von Wunderwirkungen auf die Sprachwahrnehmung und AusspracheAussprache oder andere sprachliche Bereiche auszugehen, noch ist es Aufgabe des Fremdsprachenunterrichts, musikalische Bildung und Stimmbildung zu betreiben, obschon es in der Musikdidaktik interessante Publikationen gibt, die teilweise auch für Musik im Fremdsprachenunterricht nicht unbedeutend erscheinen. Beispielsweise sollte eine Lehrkraft, die mit den Kindern singt, über den für die Stimme des Kindes bzw. Heranwachsenden geeigneten Tonumfang Bescheid wissen. Der für Kinderstimmen zuträgliche und nicht belastende Tonbereich liegt bei Sechs- bis Zehnjährigen etwa zwischen c1 und e2 (vgl. Mohr 2008).

[Bei] Heranwachsenden spielt die Mutation eine große Rolle, natürlich vor allem bei den Jungs. In dieser Phase wird ein Abwägen zwischen Schonung und Forderung empfohlen. Nach der Mutation erweitert sich der Stimmumfang allmählich sowohl nach unten als auch nach oben. (Weyrauch 2016)1

In welcher Hinsicht kindliche MusikerlebnisseMusikerleben, -erlebnisse auf die Sprachentwicklung rückwirken oder ob z.B. „die phonologische Wahrnehmungsfähigkeit, welche sich durch das Erlernen der L1 entwickelt, eher die EntwicklungEntwicklung der musikalischen Wahrnehmungsfähigkeiten begünstigt“ (Sommer 2016: 315), kann noch nicht mit Gewissheit gesagt werden. Denkbar wäre auch eine Wechselwirkung zwischen sprachlicher und musikalischer Entwicklung. Neben den bereits erwähnten möglichen Wechselwirkungen oder TransfereffektenTransfereffekte von Musik auf die AusspracheAussprache sowie auf das Sprachverstehen, ist eine indirekte Unterstützung der Lesefertigkeit nicht auszuschließen, was zumeist auf das durch Musik trainierte phonologische Bewusstsein zurückgeführt wird.

Genießen Kinder eine musikalische Ausbildung, die auch die Befassung mit der Notenschrift einschließt, kann dies zu einer Sensibilisierung für symbolische Schriftebenen führen, was letztlich auch das Lesen von sprachlichen Texten erleichtern könnte. Weitere mögliche TransfereffekteTransfereffekte von musikalischer Aktivität, die sich, das ist im Hinblick auf den Inklusionsauftrag der Schule interessant, teilweise besonders deutlich bei Lernern mit Förderbedarf zeigen (vgl. Hallam/Mac Donald 2009: 474), betreffen motivationale Aspekte sowie die Erinnerungsleistung, z.B. bei Unterrichtsaktivitäten, die auf Geschichten basieren (Storytelling, Storyline, bestimmte Dramaaktivitäten usw.). Weitere positive Effekte, die zwar nicht direkt den Spracherwerb stützen, jedoch die EntwicklungEntwicklung von Kompetenzen, die für sprachliche InteraktionenInteraktion bedeutungsvoll sind, betreffen die sogenannten social skills: Musikunterricht – denkbar wäre, dass auch das Einbinden musikalischer Aktivitäten in den Fremdsprachenunterricht gewisse Effekte zeigen könnte – begünstigt die Entwicklung angemessenen Sozialverhaltens. Auch diese Effekte waren besonders ausgeprägt „in low ability, disaffected pupils“ (Hallam/Mac Donald 2009: 474). Andere Forschungsarbeiten weisen übrigens darauf hin, dass sich musikalische Angebote für „adolescents with mental health disorders“ (Hallam/Mac Donald 2009: 473) förderlich auf deren kognitive Funktionen auswirken.

 

3.1.4 Effekte von Musik auf die IntelligenzIntelligenz

Studien nach intensiviertem Musikunterricht haben neben möglichen TransfereffektenTransfereffekte auch Hinweise auf positive Wirkungen auf das Sozialverhalten, die MotivationMotivation sowie auf AufmerksamkeitAufmerksamkeit und Ausdauer erbracht. Die Ergebnisse wurden jedoch vielfach überdimensioniert und, besonders in der Presse, verzerrt dargestellt (z.B. die sogenannte Bastian-Studie, BMBF 2006: 46ff.). Tendenzen wurden zu signifikanten Ergebnissen uminterpretiert, widersprüchliche Befunde blieben ausgeblendet und Schwächen in manchen Studiendesigns unberücksichtigt: So überrascht es beispielsweise nicht, dass Kinder mit zusätzlichem Musikunterricht Entwicklungsfortschritte zeigen, die sich bei Kindern, die überhaupt kein Zusatzangebot erhalten, nicht in derselben Weise abzeichnen. Auf dieser methodischen Schräglage basieren die Ergebnisse mancher Studien. Die Behauptung, Musik mache auf jeden Fall schlau, klingt zwar verlockend, kann aber nicht in jeder Hinsicht als gesichert betrachtet werden.

Verschiedene verlässliche Studien zu Musikinterventionen belegen Intelligenzzuwächse für gewisse Bereiche (vgl. Schellenberg 2004, analog bei Neville 2009), wobei sich die Frage stellt, ob die Ergebnisse auf die musikalische Aktivität als solche zurückzuführen sind oder darauf, dass musikalische Aktivität in der Regel zu einer Fokussierung der AufmerksamkeitAufmerksamkeit führt und letztlich wie ein Aufmerksamkeitstraining wirkt. Die Studie von Neville et al., die die Effekte verschiedener Interventionen, u.a. Musikunterricht oder Aufmerksamkeitstraining, miteinander verglich, zeigt jedenfalls ähnliche Effekte:

Ces résultats sont compatibles avec l’hypothèse selon laquelle l’effet bénéfique de la pratique musicale sur les aptitudes cognitives serait en partie dû au fait que la musique sollicite et développe des fonctions attentionnelles. (Neville 2009: 286)

Besonders große Faszination und entsprechende Beachtung in der Öffentlichkeit löste in den 1990er-Jahren der sogenannte Mozart-EffektMozart-Effekt aus, und auch heute noch hallt er nach. Zurückzuführen ist er auf eine Studie aus dem Jahr 1993 (Rauscher et al.), die nachwies, dass Probanden nach dem Hören anregender Musik bessere Leistungen in bestimmten Tests erbrachten. Dies war eine wirklich interessante Entdeckung, die jedoch überdimensioniert dargestellt, medienwirksam ausgenutzt und rasch als sogenannter Mozart-Effekt bekannt wurde. Dieser besagt, dass sich durch das Anhören einer Mozart-Sonate, vorzugsweise KV 448,

schon nach zehn Minuten eine intelligenzfördernde Wirkung einstelle. Empirisch gewonnene Hinweise auf mögliche Effekte betrafen allerdings lediglich die räumliche IntelligenzIntelligenz (Sambanis 2013: 83),

nachgewiesen durch eine Aufgabe, bei der die Probandinnen und Probanden Papier falten mussten. Wie sich weiter herausstellte, ist der Mozart-EffektMozart-Effekt gar nicht im Speziellen an Mozart-Musik gebunden. Er kann auch durch andere Musik ausgelöst werden, so lange sie nicht einschläfert, sondern für Anregung sorgt. Auch nicht-musikalische Reize – erforscht z.B. für das Hören einer Geschichte von Stephen King – können ebenfalls zum Mozart-Effekt führen. Durch die ursprüngliche Studie wurde auch, obschon vielfach behauptet, keine allgemeine intelligenzfördernde Wirkung nachgewiesen, sondern lediglich ein Nachhall-EffektNachhall-Effekt, der max. 20 Minuten lang anhält und sich besonders auf die räumliche IntelligenzIntelligenz auswirkt. Daneben zeigten sich auch Effekte im Bereich der sprachlichen Intelligenz, was für die Fremdsprachendidaktik ein bemerkenswerter Befund ist. Allerdings ist „dieser Effekt […] weniger stark ausgeprägt“ als der auf räumliche Leistungen (Altenmüller 2007: 41) und hält ebenfalls nur einige Minuten lang an. Für den Fremdsprachenunterricht ist dies trotzdem interessant, denn er stützt die Idee des Einsatzes von Musik in psychohygienischer Funktion (Musikhören zur Entspannung oder Anregung, vgl. 3.1.5), was dann wiederum, im Unterricht vor kognitive Phasen geschaltet, lernförderliche Wirkungen haben könnte.

Allerdings zeigt sich dieser wünschenswerte Nachhall-EffektNachhall-Effekt nur bei persönlich als anregend wahrgenommener Musik, und das stellt die Lehrkraft vor ein gewisses Problem, denn das, was auf angenehme Weise als anregend empfunden wird, ist interindividuell unterschiedlich. Es gibt keine Garantie dafür, dass die Schülerinnen und Schüler Musik, die die Lehrkraft zu diesem Zweck auswählt, tatsächlich als anregend empfinden. Es besteht auch die Möglichkeit, dass sie diese ablehnen und eher negative EmotionenEmotionen (Ärger, Gereiztheit, Langeweile usw.) zeigen. Gerade TeenagerTeenager reagieren dann mitunter heftig, sodass zu überlegen wäre, ob die Lehrkraft, wenn sie den Nachhall-Effekt nutzen möchte, das zeitlich begrenzte individuelle Hören der jeweiligen Lieblingsmusik über Smartphone und Kopfhörer erlauben möchte. Technisch wäre dies, da die meisten Teenager über ein Smartphone oder einen iPod verfügen, in vielen Fällen möglich, aber der Zweck der Smartphonenutzung müsste vorher klar dargelegt, und es müsste den Lernenden verdeutlicht werden, warum das in vielen Schulordnungen verankerte Handyverbot dann temporär zweckgebunden außer Kraft gesetzt wird.

Klassik- und Barockmusik wird teilweise unterstellt, dass sie bei allen Menschen ähnliche Reaktionen hervorriefe. Auf diese Annahme stützt sich z.B. das suggestopädische Verfahren (vgl. Lozanov 1978, Schiffler 1989), ein in der Fremdsprachendidaktik relativ bekannter Ansatz, der auf Musikinterventionen baut, bei denen insbesondere Barockmusik zum Einsatz kommt. Diese soll, so die Annahme von Vertretern dieses Ansatzes, ungeachtet der Unterschiede bei der Musikerfahrung und -präferenz, bei allen Schülerinnen und Schülern die intendierten, verarbeitungs- und behaltensförderlichen Reaktionen hervorrufen.

Die SuggestopädieSuggestopädie ist als ein multisensorischer Ansatz zu beschreiben, der auf die simultane Nutzung verschiedener Stimuli setzt und die Absicht verfolgt, durch expressive Musik die Präsentation neuer Inhalte besonders eindrucksvoll zu gestalten. Außerdem soll Musik zur Entspannung genutzt werden, was ein plausibler Gedanke ist, solange nicht Entspannung und aktives Einspeichern zusammenfallen sollen. Es spricht mehr dafür, fokussiert zu lernen und dazwischen regelmäßig zu entspannen, als auf ein Lernen en passant im Entspannungszustand zu setzen.

Entspannungsphasen sollten dem Leerlauf Raum geben, der für das Gehirn wichtig ist, denn im sogenannten Default-ModeDefault-Mode ist das Gehirn keineswegs untätig. Es befindet sich nicht in einem Ruhemodus, sondern in einer Zwischenphase, die dazu dient, eingegangene Impulse und Inhalte zu sortieren (vgl. Maier 2013: 24). Das Gehirn kommuniziert zu diesem Zweck intensiv mit sich selbst, befindet sich sozusagen in einem Selbstgespräch und reagiert deshalb kaum bzw. nicht unmittelbar auf Reize von außen. Phasen, in denen das Gehirn nach intensiver Verarbeitung von Reizen bzw. Befassung mit Inhalten in den Default-Mode wechseln kann, sind wertvoll, da sie die Nachbereitung (Konsolidierung) anbahnen und als entspannend erlebt werden, weil kurzzeitig kaum Neues verarbeitet wird. Beruhigende, nicht zu sehr anregende Musik kann diesen Vorgang begleiten, ein Koppeln von Entspannung und Einspeicherung von Inhalten hingegen steht streng genommen in Widerspruch zu den Vorgängen im Gehirn, nämlich Aufmerksamkeitsfokussierung bei der EnkodierungEnkodierung, Re-Enkodierung einerseits und, komplementär dazu, Entspannung, Default-Mode und Konsolidierung andererseits – beides gleichermaßen wichtige Säulen von Lernvorgängen.

Frühe Studien zum suggestopädischen Fremdsprachenlernen, die nicht zuletzt auf das Wirken der Musik als ein „Katalysator für die Langzeitspeicherung von Wissen“ (Jäncke 2008: 203) zurückgeführt wurden, berichteten von unglaublichen Lernerfolgen. Diese konnten jedoch durch Folgestudien nicht bestätigt werden (vgl. Lukesch 2000):

Die von der SuggestopädieSuggestopädie und verwandten Methoden propagierte Wirkung von passivem Musikhören auf das Lernen (vielfältiger Inhalte) hält keiner ernsten wissenschaftlichen Überprüfung stand. (Jäncke 2008: 233)

Auch im Rahmen von suggestopädischen Verfahren erweist sich Musikhören nicht als Wundermittel, um sprachliche Ziele zu erreichen oder die sprachliche IntelligenzIntelligenz zu erhöhen. Erneut muss in diesem Zusammenhang vor überhöhten Erwartungen gewarnt werden, um nicht aufgrund von enttäuschten Erwartungen Euphorie in Ablehnung zu verkehren. Denn Musik besitzt ein Potenzial, das, planvoll und sensibel eingesetzt, sowohl die Unterrichtsatmosphäre als auch den Lernertrag günstig beeinflussen kann. Im Folgenden werden einige Möglichkeiten des Musikeinsatzes im Fremdsprachenunterricht mit TeenagernTeenager dargestellt, auf eine Systematisierung der Funktionen von Musik im Fremdsprachenunterricht hingewiesen und schließlich das Thema mit der Frage abgeschlossen, ob HintergrundmusikHintergrundmusik eigentlich eher förderlich oder hinderlich ist.

3.1.5 Musik im Fremdsprachenunterricht

Für viele Lehrkräfte ist Musik ein Bestandteil des Fremdsprachenunterrichts, besonders in der Grundschule und zu Beginn der Sekundarstufe bei noch jüngeren Lernern. Das gemeinsame Singen von Liedern bzw. das z.B. durch eine CD gestützte Mitsingen ist dort eine willkommene Abwechslung, dient als Begrüßungs- oder Verabschiedungsritual oder rückt auch direkt ins Zentrum des Unterrichts. Lernen Kinder ein neues Lied in der Fremdsprache, befassen sie sich dabei natürlich mit dem Text. Sie lernen neue Wörter kennen, begegnen bereits bekannten Wörtern und Wendungen bzw. entdecken sie in neuen Zusammenhängen wieder. Beim Mitsingen trainieren sie ihre Sprechwerkzeuge (vgl. 3.2) und ihr sprachliches Gedächtnis. Meistens werden Lieder im Unterricht mehrfach gesungen, sodass durch das Wiederholen ein Memorieren von Textbausteinen erreicht wird. Von Wiederholungen und rhythmisierter Sprache profitieren auch Lernende mit bestimmten Förderbedarfen:

Using rhyme, rhythm and repetition has been shown to facilitate the learning of vocabulary […] particularly in remedial learners. (Hallam/MacDonald 2009: 473f.)

Lehrkräfte, die TeenagerTeenager unterrichten, wissen jedoch, dass die Heranwachsenden auf das gemeinsame Singen zuweilen mit Unbehagen reagieren. Viele Jugendliche wissen nicht genau, wie sie mit der Situation umgehen sollen: Für manche fühlt es sich an, als wären sie exponiert, anstatt das Singen in der Klasse als Gemeinschaftserlebnis wahrzunehmen. Andere möchten unter Beweis stellen, dass sie mit kindlichen Routinen gebrochen haben, und das Mitsingen von Liedern erscheint ihnen kindisch, folglich müssen sie sich dagegen sperren. Wieder anderen entgleist die Stimme während des Stimmbruchs, was in der Tat zu merkwürdigen tonalen Ereignissen führen kann, die von den Klassenkameraden möglicherweise belacht werden. In gewisser Weise hat auch die Sorge, selbst bei leisem Mitsingen aufzufallen, etwas damit zu tun, dass Jugendliche, besonders in der frühen AdoleszenzAdoleszenz, selbstzentriert sind und in dem GefühlGefühle leben, die Umwelt wäre in gleicher Weise auf sie fokussiert wie sie es sind. Sie fühlen sich, als stünden sie permanent auf einer Bühne, würden beobachtet und beurteilt. In der Psychologie spricht man in diesem Zusammenhang vom Imaginary-Audience-KonzeptImaginary-Audience-Konzept (vgl. Elkind 1990).

Bedenkt man, welche tiefgreifenden Entwicklungsprozesse und Umschwünge sich während der Identitätsfindung in der PubertätPubertät vollziehen, müssen viele der aus Erwachsenensicht befremdlichen Reaktionen von Heranwachsenden eigentlich nicht verwundern. Es ist wichtig, solche Reaktionen der Schülerinnen und Schüler als Lehrkraft weder ins Lächerliche zu ziehen noch sie überzubewerten und bestimmte, für ein gutes Klassen- und Arbeitsklima unverzichtbare Verhaltensregeln nicht infrage stellen zu lassen, sondern freundlich und beharrlich einzufordern. Es schont Nerven und Ressourcen, wenn nicht allzu viele Regeln aufgestellt werden und wenn den Jugendlichen offenlegt wird, warum diese Regeln wichtig für alle sind. Dazu gehört auch, dass man, wenn jemand etwas zum Unterricht beiträgt, zumindest die Höflichkeit besitzt, es anzuhören. Das funktioniert erstaunlich gut, wenn die Jugendlichen erleben, dass ihnen im Unterricht dann auch Raum zur Meinungsäußerung und Diskussion gegeben wird. Wenn dies auch beim Einsatz von Musik berücksichtigt wird, dann finden sich selbst für Pubertierende verträgliche Zugänge zu musikalischen Unterrichtsangeboten und Vorgehensweisen, die nicht einfach eine Fortsetzung dessen sind, was in früheren Lernjahren einmal funktioniert hat. Beispielsweise können Text und Thematik eines Liedes, dessen „Form und Instrumentalisierung, kurzum dessen Wortsprache und die Sprache der Musik […]“ besonders gut ab dem Teenageralter „als Auslöser und Gegenstand fremdsprachlichen Lernens“ (Sambanis 2015: 7) genutzt werden. Aus Erfahrung kann berichtet werden, dass sich gerade Jugendliche recht aufgeschlossen zeigen, wenn sie verstehen, welchen Zweck und konkreten Nutzen eine bestimmte Unterrichtsaktivität für sie haben soll. Damit erhöhen sich die Chancen, dass die eingehenden Impulse den emotionalen Eingangscheck im Gehirn passieren (vgl. 3.1.1) und Partizipationsbereitschaft aufgebaut wird.

 

Gründe für den Einsatz von Musik im Fremdsprachenunterricht lassen sich aus den oben referierten Befunden herleiten, ergänzend sei auf Thalers „A-Dekalog der MotivationMotivation“ (2015: 11) hingewiesen, mit dem er „eine erste Antwort liefert“ auf die Frage, warum man Musik nicht ausklammern sollte – auch nicht jenseits der Grundschule. Die jeweils mit dem Buchstaben A beginnenden Gründe lassen sich als Zehn Gebote ausformulieren:

Du sollst Musik einsetzen, um …

1 Abwechslung in den Unterricht zu bringen.

2 die Attraktivität unterrichtlicher Angebote zu erhöhen.

3 der Allgegenwärtigkeit von Musik Rechnung zu tragen.

4 für Authentizität zu sorgen.

5 Aktualität zu erreichen.

6 adressatenorientierte Unterrichtsangebote zu machen.

7 für Anwendbarkeit des Gelernten zu sorgen.

8 Affektivität Raum zu geben.

9 Material anzubieten, das sich durch Auslegbarkeit auszeichnet.

10 die Lernenden zu aktivieren.

Thalers A-Dekalog bzw. die Zehn Gebote des Einsatzes von Musik im Fremdsprachenunterricht machen deutlich, dass es aus fremdsprachendidaktischer Sicht viele weitere Gründe gibt als die reine Sprachvermittlung bzw. die häufig beim Singen bzw. der Thematisierung von Liedern vorrangig intendierten Lernziele im Bereich von AusspracheAussprache, Wortschatz und Grammatik. Durch das Phänomen der Videoclips und die ständige Verfügbarkeit korrespondierender Quellen hat sich der Einfluss der popular culture, die für die meisten TeenagerTeenager eine wichtige Rolle spielt, in den letzten Jahren verstärkt, was auch für den Einsatz von Musik, insbesondere im Englischunterricht, neue Dimensionen und Handlungsfelder eröffnet hat (vgl. Thaler 2012: 65). Musik ist in der kombinierten Ton- und Bildform von Videoclips besonders geeignet, um zum Austausch über Soziales, Kulturelles und Interkulturelles anzuregen und bietet Material, das zur Befassung mit Intermedialität sowie mitunter auch medienkritischen Gesichtspunkten einlädt. Dies sind Aspekte, die erst mit zunehmender persönlicher und sprachlicher Reife vertiefend bearbeitet werden können. Sie bilden daher einen Ansatzpunkt für den Musikeinsatz im Fremdsprachenunterricht bei Teenagern, der in der Grundschule noch nicht bzw. nicht in vergleichbarer Weise tragfähig wäre.

Musik stellt, wenn sie auf jeweils angemessene Art im Unterricht eingesetzt wird, unabhängig vom Lerneralter eine wertvolle pädagogische Ressource dar. Musikbasierte Rituale können Struktur und Sicherheit geben. Musikalische Hinweise können auf den Beginn oder das Ende von Aktivitäten hinweisen, Orientierung geben und zu einem geschmeidigen Ablauf des Unterrichts beitragen. Musik kann Bewegungsimpulse setzen, und Bewegung ist für die Gesundheit der Schülerinnen und Schüler wichtig. Musik kann lernunterstützend wirken (vgl. Sambanis 2013: 89ff.) und zur Gemeinschaftsbildung beitragen. Musik kann, wenn sie an Inhalte gekoppelt wird, ähnlich wie Bewegung oder in Kombination mit Bewegung das multimodale Enkodieren von Inhalten unterstützen. In diesem Sinne liefert Musik „additional cues for remembering“ (Hallam/MacDonald 2009: 477).

Um die Vielfalt der Einsatzmöglichkeiten überschaubar zu machen, werden im Folgenden die im Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik (Surkamp 2010: 228) angeführten Funktionen von Musik im Fremdsprachenunterricht aufgeführt, jeweils durch einen Umsetzungshinweis ergänzt:

 Psychohygienische und emotionale Funktionen:

 z.B. den Verlauf eines Musikstückes durch Linien darzustellen, hilft dabei, zur Ruhe zu kommen und trainiert zugleich die Sequenzialisierungsfähigkeit, die u.a. beim Erzählen von Geschichten unverzichtbar ist.

 Sozialpsychologische Funktionen:

 gemeinsame MusikerlebnisseMusikerleben, -erlebnisse als verbindendes Element und zur Affirmation des Zugehörigkeitsgefühls (vgl. 3.1.1),

 z.B. stellt die Lehrkraft eine kleine Auswahl an beruhigender Musik vor und holt ein Schülervotum dazu ein. Die beiden Musikstücke bzw. Lieder, die die Rangliste anführen, werden im Unterricht als Hinweisreiz oder für kurze Entspannungspausen genutzt.

 Förderung des unbewussten Lernens:

 Rhythmisierte Sprache, aber auch Lieder mit Tanzbewegungen, z.B. Square Dance, können das unbewusste Lernen stützen.

 Förderung kognitiver Prozesse:

 Lieder können zur Auseinandersetzung mit dem Text und zum Nachdenken und Austausch über Inhalte und Hintergründe anregen.

 Auslöser von fremdsprachlichen Kommunikationsprozessen sowie interkulturelles Lernen:

 z.B. Kulturspuren in Musik und Videoclips entdecken, über Fundstellen berichten, sich über Beobachtungen austauschen

Die Aufschlüsselung der verschiedenen Funktionen von Musik im Fremdsprachenunterricht verdeutlicht zum einen, wie viele unterschiedliche und wichtige Beiträge musikbasierte Unterrichtsaktivitäten leisten können. Darauf sollte, wie gesagt, auch bzw. gerade bei der Arbeit mit Jugendlichen nicht verzichtet werden. Zum anderen stellt sie eine Systematisierung dar, die für die Planung und Umsetzung des Einsatzes von Musik im Fremdsprachenunterricht wertvoll erscheint.

Vor einigen Jahren konnte ein gewisser Trend zum Einsatz von Entspannungsmusik als Hintergrundkulisse z.B. bei Einzel- oder Stationenarbeit im Fremdsprachenunterricht beobachtet werden.1 Mittlerweile ist dieser Trend rückläufig, ganz im Gegensatz zur Stabilität des Phänomens, dass sich Jugendliche gerne beim Lernen, besonders beim Hausaufgabenmachen, durch HintergrundmusikHintergrundmusik, und zwar nicht immer der dezentesten Art, beschallen lassen. Dies veranlasst zu der Frage nach möglichen Risiken und Nebenwirkungen des diffusen Hörens bei gleichzeitig geforderter kognitiver Aktivität.

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