Sprachen lernen in der Pubertät

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Ausgewählte Literaturhinweise

BIG-Kreis (2007). Standards für die Lehrerbildung: Empfehlungen des BIG-Kreises in der Stiftung LERNEN. In: Fremdsprachenunterricht in der Grundschule. München: Domino Verlag.

Shell Jugendstudie (2015). www.shell.de/ueber-uns/die-shell-jugendstudie.html.

2.2 Kommunikation im Jugendalter

Bist du‘n Alpha-Kevin oder doch mega bambus? Einwegtussi oder Tinderella? Omni oder Swaggetarier? Egal – du wirst dieses Wörterbuch der Jugendsprache krass feiern. Hier gibt‘s nämlich Enterbrainment, bei dem auch die Fliegenficker steil gehen. (Vogt 2016: 3)

Mit diesem für die meisten wohl zumindest in Teilen kryptischen Text, abgefasst, wie anzunehmen steht, in einer Jugendsprache, wirbt der Langenscheidt-Verlag für sein „Buch zum Jugendwort des Jahres“ (vgl. Vogt & Langenscheidt 2016).

Im Rahmen der Initiative zur Identifizierung des Jugendworts des Jahres werden Menschen – Zielgruppe sind wohl vor allem junge Menschen (man soll sein Alter angeben, wenn man ein Wort vorschlägt) – dazu aufgefordert, Wörter und Wendungen einzureichen, die gerade en vogue sind (www.jugendwort.de). In der Sprache des Werbekurzfilms für die Aktion wird die Aufgabenstellung wie folgt präzisiert: „Hau dein Wort rein, das bei dir und deiner crowd gerade awesome tight ist. […] Hauptsache, es ist gediegen. […] Also, mach die Socken scharf.“ (ebd.). Auf der Homepage der Initiative können Stimmen für die gelisteten Vorschläge abgegeben werden. Daraus geht eine Top Ten-Liste hervor, die dann noch rechtzeitig, bevor das Jahr zu Ende ist, einer Jury zugetragen wird (dem Werbekurzfilm zufolge werden sogar „die 15 fettesten Wörter […] einer Expertenjury hingebrettert“, ebd.). Diese Jury nimmt unter Anwendung von vier Kriterien (sprachliche KreativitätKreativität, Originalität, Verbreitungsgrad sowie ein möglicher Bezug zu gesellschaftlichen und kulturellen Ereignissen) die abschließende Auswahl vor und bestimmt die fünf ersten Plätze. Und so steht jeweils „am Ende des Jahres der Checker der Wörter fest“ (ebd.). Das war 2016 „fly sein“, ein wenig verbreiteter, jedoch nach Ansicht der Jury aufstrebender Ausdruck aus der Hip-Hop-Sprache mit der Bedeutung „besonders abgehen“. 2015 schaffte es „Smombie“ auf Platz 1, was sich wie folgt definiert: „… jemand, der wie gebannt auf sein Smartphone schaut und dadurch wie ein Zombie durch die Gegend läuft“ (ebd.). 2014 lautete das Jugendwort des Jahres „Läuft bei dir“, 2013 „Babo“ („Boss, King, der Beste, der Ranghöchste“, ebd.) und 2012 wurde das Akronym „Yolo/yolo“, das für you only live once steht, auf Platz 1 gesetzt. Das Jugendwort des Jahres ist ein Beispiel dafür, wie Jugendliche Sprache in Besitz nehmen, ihr Bedeutung geben und sie formen – oftmals auf kreative Weise. Kommunikation im Jugendalter bedeutet, in vielen Kontexten die Art selbst zu bestimmen, wie kommuniziert wird, mitunter nämlich in einer Jugendsprache, und sich die Gesprächspartner, mehr als in früherer Kindheit, selbst auszuwählen (vgl. 2.1).

Jugendsprachen sind kein auf Deutschland begrenztes Phänomen, sondern existieren auch in anderen Ländern, vielfach mit vergleichbaren Merkmalen. Jugendsprachen zeichnen sich durch verschiedene Modifikationen, auch jenseits der Wortebene, aus. Einige ursprünglich jugendsprachliche Sprechweisen finden den Weg in die Umgangssprache, was einerseits die Innovationskraft der jungen Generation sichtbar macht, andererseits die Jugend aber auch dazu veranlasst, ihre Sprache, durch die eine „Art Generationsidentität“ (Marossek 2016: 42) hergestellt und zum Ausdruck gebracht werden soll, nach relativ kurzer Zeit schon wieder sprachlichen Renovierungs- und Innovationsmaßnahmen zu unterziehen. Largo/Czernin (2011: 110) sprechen von einem schnellen Wandel und weisen darauf hin, dass von jeder Generation die Jugendsprache „neu geschaffen und emotional aufgeladen werde“. „Keine andere Sprechergruppe hat einen so markanten und zugleich wandlungsfähigen Stil wie die Jugendlichen“ (Marossek 2016: 39). Im Folgenden werden der Zweck und einige Merkmale von Jugendsprachen, die sich übrigens als gruppenspezifische Sprechweisen definieren, dargestellt.

2.2.1 Funktionen und Merkmale von Jugendsprache(n)Jugendsprache(n)

Die Tatsache, dass Jugendliche Sprache nicht nur übernehmen, sondern sie aktiv verändern und zum Teil neu gestalten, zeugt von ihrer KreativitätKreativität (vgl. 3.6), Explorationsfreude, Identitätssuche, sprachlichen Sensibilität und Emotionalität (vgl. 3.3). Jugendsprache dient dazu, sich einerseits abzugrenzen – nicht nur von den Erwachsenen, sondern auch von anderen Sprechergruppen (es gibt nicht die eine Jugendsprache, sondern verschiedene zur selben Zeit) – und andererseits, wie schon angedeutet, Zugehörigkeit zu pflegen und zu zeigen. „Zum Wesen der Jugendsprache gehört es, zu entfremden, zu zitieren und zu verbildlichen“ (Marossek 2016: 39) und in der Tat ist die Wahl der Lexik ein wichtiges Merkmal.1 Neben Wortschöpfungen und Entlehnungen aus anderen Sprachen (zum Englischen vgl. 2.1.3) – in diesem Zusammenhang wird mitunter auch auf KiezdeutschKiezdeutsch, einen neuen deutschen Dialekt (vgl. Wiese 2012: 10),2 als eine Form von Jugendsprache hingewiesen – sind auf Wortebene auch Reduktionen oder Erweiterungen der Bedeutung zu beobachten: „‚Fett‘ heißt dann so viel wie richtig toll, und ‚cremig‘ steht für locker und entspannt“ (Marossek 2016: 40). Für einiges gibt es außerdem auffallend viele synonyme Bezeichnungen, z.B. für Idiot (voll der Honk oder Hunk, Lauch, Alpaka, Hasenhirn, Lappen, Vollzonk, Bodenturner, Alpha-Kevin sowie Opfer, Horst, Schwachmat, Spacko, Spast, Vollspast oder Spasti etc.).3 Des Weiteren zählen die Verwendung von Umschreibungen und bildhaften Ausdrücken zu den Merkmalen von Jugendsprache, ebenso das Übertragen eines Wortes in eine andere Wortart, z.B. kann das Substantiv „Müll“ zu einem Verb, nämlich müllen, konvertiert werden. Der Name von Kanzlerin Merkel wurde zu merkeln (nichts tun, nicht reagieren, keine Entscheidung treffen) und hatte recht gute Chancen, zum Jugendwort des Jahres 2015 gewählt zu werden.4

Ein weiteres Merkmal von Jugendsprache betrifft außer- und übersprachliche Zeichen, d.h. Ausdrucksformen jenseits der Wort- und Satzebene, die einen großen Beitrag zur Kommunikation leisten. Gestische und mimische Mittel nehmen z.B. in den „teilweise ausgefeilten Begrüßungs- und Verabschiedungsritualen“ (Marossek 2016: 41) von Jugendlichen eine bedeutende Rolle ein, begleitet von Begrüßungsformeln, wie z.B. „Hey Kackspast!“, „[Name], du Spast, Alter!“ oder „Heeeyy, lassma gleich Späti gehen. Kommst du?“ als direkte Einladung, sich einer Unternehmung anzuschließen. Einige der Beispiele zeigen, dass auch bestimmte Stilmittel, z.B. Provokation, eine Rolle spielen: „‚Erzählen‘ unter Jugendlichen heißt u.a. sich das Rederecht zu erkämpfen und in einem ‚krassen‘ Beitrag Gruppenstimmung zu machen. Dazu bedarf es sozialer und rhetorischer Strategien, u.a. der Provokation“ (Steckbauer et al. 2014: 148).

2.2.2 Rituelle BeschimpfungRituelle Beschimpfung und KurzdeutschKurzdeutsch

In den Kontext von Provokationen und Erzeugung von Aufmerksamkeit fügt sich auch das schon seit mehreren Generationen in der einen oder anderen Form zu beobachtende Phänomen der rituellen BeschimpfungRituelle Beschimpfung ein.

Respekt, Anerkennung und Dominanz werden aggressiv eingefordert. […] Letztlich dient (…) [die rituelle BeschimpfungRituelle Beschimpfung aber auch] dazu, sich gegenseitig Respekt zu bekunden. […] Rituelle Beschimpfungen stellen einen Gegenentwurf zu den gültigen Regeln der Höflichkeit in der Erwachsenenwelt dar, und letztlich geht es Jugendlichen genau um diese identitätsstiftende Abgrenzung. (Marossek 2016: 64, 65, 77)

Nicht alles, was in den Ohren von Erwachsenen wie eine Beschimpfung klingt, ist tatsächlich so gemeint.1 Offenbar kommt es – auch hier sind wieder Mittel jenseits der Wort- und Satzebene von Relevanz – sehr auf die Art an, wie die rituelle Beleidigung ausgesprochen wird. Manchmal soll allein die Länge eines einzelnen Vokals entscheidend dafür sein, ob z.B. Opferknecht tatsächlich beleidigend oder anerkennend gemeint ist (vgl. Marossek 2016: 71).2

Die rituelle BeschimpfungRituelle Beschimpfung ist, zusammenfassend betrachtet, ein sehr anschauliches, greifbares Merkmal des Kurzdeutschs. Diejenigen, die sie praktizieren, zeigen in der Regel auch eine besondere Affinität zu den anderen Eigenheiten des Kurzdeutschs und umgekehrt. (Marossek 2016: 77)

Hier wird von Marossek ein weiteres bemerkenswertes Phänomen erwähnt: das KurzdeutschKurzdeutsch. Largo/Czernin (2011: 113) weisen auf die Prägnanz von Jugendsprache und die Häufigkeit von Abkürzungen hin, was sich nicht auf die lexikalische Ebene beschränkt, sondern auch in syntaktischen Merkmalen niederschlägt. Die Tendenz zur Auslassung von Präpositionen und zur Tilgung von Artikeln sind Schlüsselmerkmale von Kurzdeutsch (Lassma Aldi gehen; Was? Gestern war ich Schule!). Bestimmte Ausprägungen von Jugendsprache bilden sozusagen die Keimzelle des Kurzdeutschs, inzwischen finden sich aber auch in der Sprache anderer Bevölkerungsgruppen Spuren von Kurzdeutsch, was ein konkretes Beispiel dafür ist – ob man es in diesem Fall nun schön findet oder nicht –, dass die sprachlichen Innovationen der jungen Generation die Grenzen des eigenen Soziolekts tatsächlich verlassen können. „Mit steigender Verbreitung unter den Erwachsenen verliert das Element oder gar der ganze Stil irgendwann endgültig den Status Jugendsprache und ist nun Bestandteil der ganz normalen Umgangssprache“ (Marossek 2016: 48).

 

Die Verbreitung von KurzdeutschKurzdeutsch sei vor allem auf Formate der Selbstinszenierung im Internet, wie Posts in sozialen Netzwerken und Filme bei YouTube, zurückzuführen (vgl. Marossek 2016: 80f.). Auf diese Weise habe die Jugendkultur, gemeint ist in diesem Fall vor allem die multikulturelle Jugendkultur, denn diese soll maßgeblich an der Ausprägung von Kurzdeutsch beteiligt sein, selbst dazu beigetragen, dass Merkmale ihrer Jugendsprache Einzug in die Umgangssprache gefunden haben.

Jugendsprachen zeigen vielfach Einflüsse von fremden Sprachen, z.B. des Türkischen oder Arabischen sowie weiterhin des Englischen, von Netzjargon, auch SMS-Kürzel (vgl. yolo) und vereinzelt aus der Musik, z.B. soll Babo, das oben erwähnte Jugendwort 2013, durch ein Lied des deutsch-kurdischen Rappers Haftbefehl Verbreitung gefunden und Deichkind der Jugendsprache im Jahr 2012 „leider geil“ beschert haben.

Die Merkmale jugendsprachlicher Narrationen, einer bedeutenden Form jugendsprachlicher InteraktionInteraktion, lassen sich auf folgende vier Punkte verdichten:

„Selbst- und fremdbezogene Befindlichkeiten werden sehr spontan und empathisch mitgeteilt durch Interjektionen […], [a]ufmerksamkeitsfordernde Partikel[ ] wie ey, alter […] prosodisch inszenierte direkte Rede, Intensivierer ([…] krass u.a.)“ (Steckbauer 2014: 155).

„Grammatische Korrektheit wird vernachlässigt“ (ebd.).

„Sondervokabular: […] abziehen („jmd berauben“), standard […]“ (ebd.).

Einsatz sogenannter Attention Getters, „multifunktionaler und -kategorialer, höchst frequenter Gebrauch des verbalen Joker so“: Die „Einleitung der „direkten Rede“ durch so ist besonders jugendsprachlich“ (Steckbauer 2014: 156).

2.2.3 Parasoziale InteraktionenParasoziale Interaktionen

Das auf Horton/Wohl (1956; vgl. Spreckels 2014) zurückgehende Konzept der parasozialen InteraktionParasoziale Interaktionen ist für die Betrachtung von Kommunikation im Jugendalter und Jugendsprachen insbesondere im Hinblick auf kommunikatives Verhalten in Verbindung mit MedienrezeptionMedien, -rezeption, -nutzung von Bedeutung. Als parasozial werden InteraktionenInteraktion bezeichnet, „die einseitig und nicht reziprok sind“ (Spreckels 2014: 168), also z.B. dann stattfinden, wenn Fernsehzuschauerinnen und -zuschauer „TV-Akteurinnen direkt ansprechen […], diese aber natürlich nicht darauf reagieren“ (ebd.). Mit Freundinnen und Freunden eine Sendung zu schauen, dabei das Geschehen auf dem Bildschirm zu kommentieren und als Anlass für sprachliche Interaktion zu nutzen, stellt ein in der Alltagswelt etabliertes Phänomen dar, wobei es sich zwar um eine „asymmetrische Interaktionsform handelt“, aber dennoch um „aktives (soziales) Handeln seitens der Rezipienten“ (Spreckels 2014: 169). In der Alltagsgestaltung Jugendlicher spielt das Fernsehen „weiterhin eine zentrale Rolle“ (mpfs 2015: 11).1 Zumindest jeder zweite Jugendliche misst dem Fernsehen nach wie vor eine hohe Bedeutung bei (vgl. mpfs 2015: 14), wobei übrigens Sitcoms und Comedy ganz oben auf der Beliebtheitsskala stehen (vgl. mpfs 2015: 24f.). In vielen Fällen befassen sich Jugendliche beim Fernsehschauen zeitgleich mit anderem, nämlich mit ihrem Smartphone (59 %, vgl. mpfs 2015: 27) oder sie machen Hausaufgaben (knapp ein Fünftel der Befragten, vgl. mpfs 2015: 27f.), was wegen der Unteilbarkeit der AufmerksamkeitAufmerksamkeit (vgl. 3.1) wohl die Qualität mancher Hausaufgaben erklärt. Außerdem werden Sendungen als Kommunikationsauslöser genutzt.

Spreckels hat über einen Zeitraum von circa zwei Jahren Sprachdaten von fünf befreundeten fünfzehn- bzw. sechszehnjährigen Mädchen aufgezeichnet und ausgewählte Sequenzen analysiert (teilnehmende Beobachtung, Auswertung ethnographisch, gesprächsanalytisch, vgl. Spreckels 2014: 165).2 Die Daten basieren auf Audioaufnahmen von Gesprächen der Freundinnen bei unterschiedlichen Freizeitaktivitäten, darunter auch das gemeinsame Schauen von TV-Castingshows. In diesen Fällen handelt es sich bei den Gesprächsdaten um aus parasozialen InteraktionenParasoziale Interaktionen gewonnene Daten. Gemeinschaftlicher Medienkonsum führt oft zu „medial ausgelöste[n] Kommunikationsereignisse[n]“ (Spreckels 2014: 180), bei denen Prozesse der Vergemeinschaftung der Zuschauerinnen und Zuschauer vonstattengehen: „Die Analyse der parasozialen InteraktionenInteraktion hat gezeigt, dass die Mädchen den Mediendiskurs nutzen, um geteilte Werte und Normen […] zum Ausdruck zu bringen“ (Spreckels 2014: 180). Häufig werde bewertet, was auf dem Bildschirm zu sehen sei, auch Lästersequenzen seien keine Seltenheit, was auf das „Fehlen der Reziprozität“ (Spreckels 2014: 181) der Kommunikation zurückgeführt wird, wodurch die oder der Beurteilende im sicheren Raum agiert, keine Gegenrede oder sonstige Retoure des Beurteilten befürchten muss. Es wird angenommen, dass junge Menschen auf diese Weise ihre kommunikativen Fertigkeiten und insbesondere ihre Schlagfertigkeit im geschützten Feld der Mediendiskussion trainieren.

Mediendiskurse fallen, besonders bei Jugendlichen, oft humorvoll, parodistisch und ironisch aus (Spreckels 2014: 183), sie aktivieren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die damit die Rolle des rezeptiven und eher passiven Publikums verlassen. Mediendiskurse werden in der Regel kooperativ gestaltet. Dabei gehe es um Spaß, Unterhaltung, außerdem um Einfallsreichtum (vgl. 3.6 zu KreativitätKreativität) und sprachliche Gewandtheit sowie zugleich darum, einander mit Kommentaren zu übertreffen, von den peers bemerkt zu werden und die Gruppenidentität zu bestätigen: „Empirische Studien zur MedienrezeptionMedien, -rezeption, -nutzung […] zeigen eindeutig, dass (jugendliche) Zuschauerinnen keine passiven Wesen sind […], weshalb Medienrezeptionsgruppen auch als Interaktionsgemeinschaften bezeichnet werden“ (Spreckels 2014: 184).

Offenbar können durch gemeinsame MedienrezeptionMedien, -rezeption, -nutzung, z.B. das Schauen eines Films oder einer Show, kommunikative InteraktionInteraktionsanlässe gegeben werden, die, je nach Zuschauerkonstellation und geltenden Regeln bei der Rezeption, starke Anreize zum Sprechen und zum Teilen von Meinungen geben können. Eine direkte Übertragung der Ergebnisse o.g. Studie zur medienbasierten parasozialen sprachlichen Interaktion, z.B. auf das Schauen eines Films im Englischunterricht, scheint zwar nicht möglich, dennoch können die herausgearbeiteten Beobachtungen Anstöße für ein Überdenken der Gestaltung mancher Rezeptionssituation, auch im schulischen Kontext, geben.3

Mit dem Blick auf InteraktionenInteraktion im Rahmen von Medienrezeptionssituationen rückt auch die Frage nach der MediennutzungMedien, -rezeption, -nutzung im Jugendalter in den Fokus. Dazu werden im Folgenden einige wichtige Befunde zusammengestellt und zwar unter besonderer Berücksichtigung der Rolle von Medien bei der Kommunikation.

2.2.4 Kommunikation und MediennutzungMedien, -rezeption, -nutzung

Seit 1998 veröffentlicht der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest (mpfs) die Ergebnisse einer in jährlichem Turnus stattfindenden Erhebung zur MediennutzungMedien, -rezeption, -nutzung von Jugendlichen im Alter von zwölf bis 19 Jahren. Die sogenannte JIM-Studie (Jugend, Information, (Multi-) Media) ermöglicht es, auf der Basis neuester Daten das Mediennutzungsverhalten von Jugendlichen einzuschätzen und durch Vergleich mit den Studien aus den Vorjahren auch Trends und EntwicklungenEntwicklung sichtbar zu machen. Die aktuelle JIM-Studie stützt sich auf Befragungsdaten, die bei einer Stichprobe von N = 1200 im Frühsommer 2015 generiert wurden.

Hinsichtlich der Ausstattung mit MedienMedien, -rezeption, -nutzung zeigt sich – und zwar ohne nennenswerte Unterschiede im Hinblick auf den Bildungshintergrund (vgl. mpfs 2015: 8) –, dass in fast allen Familien ein Handy verfügbar ist (99 %), genauer noch, 98 % der Zwölf- bis 19-Jährigen besitzen ihr eigenes Handy (vgl. mpfs 2015: 6f.) und dass „neun von zehn Jugendlichen […] vom eigenen Zimmer aus […] ins Internet gehen“ können (mpfs 2015: 7). In der täglichen Nutzung steht das Handy an oberster Stelle, „neun von zehn Jugendlichen nutzen ihr Mobiltelefon täglich“ (mpfs 2015: 11). Die subjektiv dem Handy beigemessene Wichtigkeit nimmt über das Jugendalter hinweg zu (vgl. mpfs 2015: 15). Eine Zunahme zeichnet sich auch im Hinblick auf die Zeit ab, die Jugendliche online sind: 80 % sind täglich online (vgl. mpfs 2015: 29), „die Zwölf- bis 13-Jährigen im Schnitt 156 Minuten“, die „18- bis 19-Jährigen […] 260 Minuten“ (mpfs 2015: 30).

Es kann also festgehalten werden, dass Jugendliche sehr gut mit MedienMedien, -rezeption, -nutzung ausgestattet sind, meistens ganz bequem, d.h. übers eigene Smartphone oder den Internetzugang zu Hause, oftmals mit Anschluss im eigenen Zimmer, die Möglichkeit zur medialen Kommunikation, sowohl zur interpersonalen Kommunikation als auch zur Massenkommunikation, haben. Die Studie von Calmbach et al. stellt sogar einen „Sättigungseffekt“ (2016: 465) bei Jugendlichen fest, was die Medienausstattung betrifft. Zu welchem Zweck aber nutzen Jugendliche die gute Medienausstattung, tatsächlich vorrangig zur Kommunikation?

Die JIM-Studie von 2015 bestätigt eine Entwicklung, die sich bereits in den Vorjahren zeigte: Ein „Großteil der Online-Zeit [entfällt] auf Kommunikation (40 %)“ (mpfs 2015: 56, vgl. auch 31), wobei sich hier ein gewisser Geschlechterunterschied zeigt: „Mädchen [widmen] etwa die Hälfte, Jungen […] ein Drittel ihrer Online-Nutzungungszeiten der Kommunikation“ (mpfs 2015: 31).1 Bei der Kommunikation im Internet ist übrigens WhatsApp aktuell für die Mehrheit (täglich 85 %, mehrmals pro Woche sogar 89 %) das Mittel der Wahl, gefolgt in deutlichem Abstand von Online-Communities und Facebook (vgl. mpfs 2015: 32). 44 % der Jugendlichen verschicken mehrmals pro Woche E-Mails, „ein Fünftel kommuniziert regelmäßig per Skype (21 %) […], nur jeder Zehnte wählt Twitter (10 %)“ (ebd.).

Die Prozentangaben illustrieren, dass Jugendliche nicht nur mündlich kommunizieren, sondern dass das Schriftliche ebenfalls Bedeutung für die Alltagskommunikation besitzt. Oftmals werden Schriftnachrichten knapp gehalten. Bei Belangen, die längerer Ausführungen bedürfen, weichen Jugendliche gerne auf Sprachnachrichten aus. Bemerkenswert, wenn auch nicht überraschend, ist die Tatsache, dass Jugendliche das Smartphone nicht vorrangig zum Telefonieren benutzen. Telefonieren nimmt Rang vier bei den Nutzungshäufigkeiten ein, davor platzieren sich das Surfen im Internet (Rang drei), das Abspielen von Musik (Rang zwei) und auf Rang eins das Verschicken und Empfangen von Nachrichten (vgl. mpfs 2015: 47).

MedienMedien, -rezeption, -nutzung verhindern und ersetzen nicht unbedingt zwischenmenschliche Kommunikation, sondern können diese auch auslösen und, im Falle von mediengestützter Kommunikation, ermöglichen, obschon das Moment der persönlichen Begegnung dann nicht mehr unbedingt gegeben ist. Die JIM-Studie belegt in diesem Zusammenhang aber auch, dass sich Jugendliche, genau genommen 78 %, weiterhin regelmäßig täglich oder zumindest mehrmals pro Woche mit Freundinnen und Freunden treffen (vgl. mpfs 2015: 9). Das Verabreden erfolgt oftmals auf dem Weg mediengestützter Kommunikation, was zeigt, dass „digitale Teilnahme […] Voraussetzung für soziale Teilhabe in der Peergroup“ ist (Calmbach et al. 2016: 465). Die Medienfaszination der Jugendlichen früherer Jahre gehört offenbar der Vergangenheit an (vgl. Calmbach et al. 2016: 476), Mediennutzung wird als Selbstverständlichkeit betrachtet. Unter Jugendlichen zeichnet sich sogar der Wunsch „nach Entschleunigung der technologischen Dynamik“ ab sowie Sorge darüber, dass „Kinder heute immer weniger kindgerechte analoge Erfahrungen machen“ (Calmbach et al. 2016: 476, 466).

Ob MediennutzungMedien, -rezeption, -nutzung schadet bzw. wann und in welchem Ausmaß sowie möglicherweise in Zusammenspiel mit welchen Persönlichkeitsvariablen, ist ein viel, kontrovers und vor allem medienwirksam diskutiertes Thema (vgl. u.a. Spitzer 2012, 2015). Jones/Schmidt (2014: 39) sprechen in Zusammenhang mit digitalen Spielen von „competent game use“ und führen die Diskussion, die auch bezogen auf sonstige Mediennutzung keineswegs unzutreffend erscheint, auf folgenden Punkt zusammen:

Digital games should be seen as tools that, like any other tool, allow for both proper as well as improper use. When used properly, they can promote (language and cultural) learning and skills necessary for life in the 21st century. If used improperly, they can promote asocial and addictive behavior. (ebd.)

 

Überlegungen und konkrete Anregungen zur Nutzung von MedienMedien, -rezeption, -nutzung und zu deren „Potenzial für interaktives und kommunikatives Fremdsprachenlernen“ (Uhl 2016: 194) finden sich in zahlreichen aktuellen Publikationen, u.a. bei Jones/Schmidt (2014), Grimm et al. (2015), Uhl (2016) und Oesterreicher (2016).