Vernehmungen

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

2.4Handlungsempfehlungen, Opferfürsorge und Anhörungen

164Handlungsempfehlungen, Opferfürsorge und Anhörungen spielen im polizeilichen Alltag durchaus eine Rolle; sie sind allerdings nicht von dem Ziel der Informationsgewinnung in einem Strafverfahren geprägt und sollen daher hier nicht näher erläutert werden.

2.5Informatorische Befragungen

165Zu einem Zeitpunkt, an dem noch nicht geklärt ist, ob überhaupt ein strafrechtlich relevantes Geschehen infrage kommt und ob eine der anwesenden befragten Personen als Beteiligter dieser Straftat vernommen werden soll, sind sogenannte informatorische Befragungen anerkannt. Zu diesem Zeitpunkt besteht noch kein Beschuldigtenstatus.18

§ 9 Abs. 2 PolG NRW (Befragung, Auskunftspflicht, allgemeine Regeln der Datenerhebung)

(2) Die Polizei kann jede Person befragen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie sachdienliche Angaben machen kann, die für die Erfüllung einer bestimmten polizeilichen Aufgabe erforderlich sind. Für die Dauer der Befragung kann die Person angehalten werden.

Entsprechende Regelungen finden sich auch in den Polizeigesetzen der anderen Länder.

Beispiel:

166Befragt etwa ein Polizeibeamter am „Tatort“ oder in dessen Umgebung Personen danach, ob sie ein bestimmtes Geschehen beobachtet haben, liegt darin selbst dann keine Vernehmung, wenn die Befragung von der Hoffnung getragen ist, dass es gelingt, einen Täter zu ermitteln.19

167Sicherlich gibt es viele Fälle, in denen Polizeibeamte zu einem Unfall gerufen werden und aufgrund einer Massenkarambolage eine strafrechtlich relevante Zuordnung in keiner Weise möglich ist. Genau diese – aber auch allein diese – Fälle sind diejenigen, die unbestritten außerhalb einer Belehrungspflicht liegen und informatorische Befragungen ermöglichen.

2.6Sondierungsfragen

168Nach Weihmann/Schuch20 gibt es neben bzw. in der informatorischen Befragung auch sogenannte Sondierungsfragen. Die Autoren bezeichnen damit solche Fragen, die der Befragte aufgrund einer rechtlichen oder gesetzlichen Pflicht beantworten muss; sie benennen dafür

–§ 111 OWiG (Frage nach den Personalien),

–§ 4 Abs. 2 FeV (Frage nach dem Führerschein) und

–§ 48 StPO (Frage, ob jemand als Zeuge in Betracht kommt)

als Beispiele.


Praxistipp:
169 Die Anerkennung derartiger Sondierungsfragen als spezielle Kategorie scheint nicht erforderlich. Informatorische Befragungen reichen aus und die Frage nach dem Führerschein kann vorweg eine Belehrung erfordern, wenn etwa der Polizeibeamte weiß, dass dem Fahrzeugführer die Fahrerlaubnis (vorläufig) entzogen worden ist.

2.7(Zufälliges) Mithören von Äußerungen

170In manchen Situationen treffen Polizeibeamte nach der Einsatzvergabe an einem frei zugänglichen Tatort ein und werden Zeugen von Äußerungen des Beschuldigten oder von Zeugen, bevor diese Personen die Polizeibeamten überhaupt wahrgenommen haben.

Beispiele:

171Bei einem Einsatz wegen häuslicher Gewalt steht die Hauseingangstür ebenso wie die Wohnungstür offen. Nachdem die Polizeibeamten die Wohnung betreten haben, hören sie vom Eingangsflur aus, wie der Beschuldigte

–sich mit dem Opfer unterhält, die Tat einräumt und/oder sich dafür entschuldigt,

–mit einem Dritten telefoniert und Angaben über das vorangegangene Geschehen macht,

–sich in einem Selbstgespräch versunken mit seiner Lebenssituation und dem Tatgeschehen auseinandersetzt oder

–seinem Hund die Tat „beichtet“.

172In sämtlichen Konstellationen liegt keine Vernehmung – verbunden mit einer Belehrungspflicht – vor; die Beamten sind nicht von sich aus auf den Beschuldigten zugegangen, sodass eine repressiven Zwecken dienende gezielte Befragung ausscheidet. Die Äußerungen sind verwertbar und können durch die Vernehmung des Polizeibeamten in die Hauptverhandlung eingeführt werden.


Praxistipp:
173 Es besteht keine Handlungspflicht des Polizeibeamten in derartigen Sachverhaltskonstellationen, dem Beschuldigten offen gegenüberzutreten, ihn zu unterbrechen und/oder zu belehren. Das „Gehörte“ sollte möglichst wortgetreu mitgeschrieben und später in der Akte dokumentiert werden.

2.8Spontanäußerungen

174Spontanäußerungen sind sowohl bei Beschuldigten als auch bei Zeugen denkbar; hier stellt sich dann regelmäßig das Problem der Verwertbarkeit derartiger Äußerungen.


Praxistipp:
175 Spontanäußerungen liegen nur vor, wenn die Auskunftsperson jenseits einer staatlichen Befragungsaktion ungefragt – spontan – und aus freien Stücken Angaben macht.21

2.8.1Spontanäußerungen von Beschuldigten

176Spontanäußerungen oder Spontangeständnisse versteht der Bundesgerichtshof als „Äußerung, die ein Beschuldigter ohne Zutun des Polizeibeamten von sich aus vor der Belehrung“22 macht. Der Begriff als solcher ist recht unscharf und eröffnet naturgemäß die Möglichkeit einer rechtsstaatlich nicht hinnehmbaren Manipulationsmöglichkeit durch das willkürliche Aufschieben der Belehrung und damit einer dem Wortsinn zuwiderlaufenden Verlängerung der Spontaneität.

177Zwar ist es durchaus umstritten, ob den Polizeibeamten eine Pflicht trifft, den sich spontan Äußernden zu unterbrechen. Teilweise wird hier vertreten, dass eine Spontanäußerung bis zur ersten Frage andauern darf. Der Vernehmende sei nicht gehalten, die Äußerung zu unterbrechen; selbst von ihm gestellte Verständnisfragen sollen den „Charakter der Spontaneität“ nicht unterbrechen und daher unschädlich sein.23


Praxistipp:
178 Eine derartige Vorgehensweise erscheint rechtlich und taktisch bedenklich, zumal eine ordnungsgemäße Belehrung in einem frühen Stadium spätere Nachfragen jedenfalls zulässigerweise ermöglicht. Nicht hinzunehmen sind die Fälle, in denen Polizeibeamte nach Eintreffen am Tatort bis zu sieben Seiten Spontanäußerung dokumentieren, ohne es für nötig zu erachten, den Beschuldigten, der bereits im ersten Satz eine Straftat geschildert hat, über seine Rechte zu belehren.

Beispiel:

179Räumt etwa der Beschuldigte bei einem Besuch auf der Polizeiinspektion ein, dass er gerade seinen Vater umgebracht habe, so ist – wenn er nicht als querulatorischer angeblicher Massenmörder dort bekannt ist – an dieser Stelle und damit möglichst frühzeitig eine Belehrung anzubringen.

180Die bestehende, aber als gering einzuschätzende Gefahr, dass eine frühzeitige Belehrung den Beschuldigten von einer weiteren Aussage abhält, ist hinzunehmen und einem rechtsstaatlichen Vorgehen immanent.

181Anderenfalls kann hier eine fehlende oder zu spät erfolgte Belehrung durchaus gravierende Folgen haben, da insbesondere unter Anerkennung der Notwendigkeit einer qualifizierten Belehrung weitere Folgevernehmungen unverwertbar sein könnten; darauf wird an späterer Stelle einzugehen sein.24

182Auch wenn der BGH Mitte 2009 eine Entscheidung mit dem amtlichen Leitsatz „Zur Belehrungspflicht bei sogenannten Spontanäußerungen eines Verdächtigen“ überschrieben hat,25 gibt die Entscheidung selbst für den Begriff der Spontanäußerung nichts her.

Beispiel:

 

183Der A suchte mit seiner Ehefrau eine Polizeiwache auf, um sich zu stellen und gab ein Tötungsdelikt zu. Er wurde vorläufig festgenommen und dann mit einem Pkw zu einer anderen Dienststelle gebracht. Auf der Fahrt schilderte er weitere Einzelheiten des Tatgeschehens. Nach seiner Ankunft an der anderen Dienststelle und ärztlicher Feststellung seiner Vernehmungsfähigkeit wurde er nun erstmalig nach den §§ 163a, 136 StPO belehrt. Er erwiderte, dass er doch schon alles gesagt habe und einen Anwalt sprechen wolle; erst auf den Vorhalt, dass eine mögliche Aussage auch seiner Entlastung dienen könne, machte der Beschuldigte erneut umfangreiche Angaben.

184Der 4. Senat führt lediglich aus, dass die tatsächlich erfolgte Belehrung verspätet war; der Angeklagte hätte „schon zu einem früheren Zeitpunkt gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO belehrt werden müssen“26.

185Er wiederholt, dass eine gezielte Umgehung der Belehrungspflichten unzulässig ist, wenn sie nur dazu dient, den Betroffenen zu einer Selbstbelastung zu verleiten. Weiter: „Dieses (scil.: die Verwertung der Angaben) erschiene jedoch zumindest dann bedenklich, wenn sich … Polizeibeamte von einem Tatverdächtigen nach pauschalem Geständnis einer schweren Straftat und der unmittelbar darauf erfolgten Festnahme über eine beträchtliche Zeitspanne Einzelheiten der Tat berichten ließen, ohne den von ihnen ersichtlich als Beschuldigten behandelten Täter auf sein Aussageverweigerungsrecht hinzuweisen. Ein solches Verhalten käme einer gezielten Umgehung zumindest äußerst nahe.“

186Welchen Zeitpunkt für eine ordnungsgemäße Belehrung der Senat damit letztendlich genau meint, bleibt allerdings offen; dadurch bestätigt sich die hier vertretene Auffassung, dass eine möglichst frühzeitige Belehrung erforderlich ist.

187Das OLG Zweibrücken hat unlängst klargestellt, dass nicht jeder unbestimmte und vage Tatverdacht einen Beschuldigtenstatus zu begründen vermag, sondern eine Verdichtung der Verdachtsumstände erforderlich ist.27

Beispiel:

188Der Betroffene wollte einen Bekannten bei der Polizei abholen; dabei hatten die Beamten den Eindruck, er stehe unter (illegalem) Drogeneinfluss und fragten daher nach, wie er von seinem Wohnort zur Polizeidienststelle gelangt sei. Die wahrheitsgemäße Antwort „mit dem Pkw“ wurde später in einem Gerichtsverfahren zu seinem Nachteil verwertet.

189Ähnlich hatte zuvor das KG Berlin zu recht eine Belehrungspflicht im Rahmen einer allgemeinen, verdachtsunabhängigen Verkehrskontrolle verneint.28

Beispiel:

190Der angehaltene Fahrzeugführer, bei dem keine Auffälligkeiten festgestellt werden, wird nach seinem Alkohol- und/oder illegalem Drogenkonsum gefragt. Die Frage wird quasi ins Blaue hinein gestellt.

191Das Kammergericht hat hier ausgeführt, dass eine derartige Befragung noch keine Belehrungspflicht im Sinne der §§ 136, 163a StPO, 46 Abs. 1 OWiG begründet.

2.8.2Selbstgespräche von Beschuldigten

192Im Rahmen von Ermittlungen oder durch ungewolltes Mithören kann die Polizei an Aussagen eines Beschuldigten gelangen, die dieser durch ein Selbstgespräch wiedergegeben hat. Solche Äußerungen des Beschuldigten können weder den Spontanäußerungen noch einer Vernehmung zugeordnet werden. Vielmehr handelt es sich um einen Kernbereich der persönlichen Lebensführung. Ein altes deutsches Volkslied beschreibt dies mit folgenden Worten: „Die Gedanken sind frei …“ Dieses Gedankengut des Beschuldigten, das er mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht für die Außenwelt, sondern nur für ein Zwiegespräch mit sich selbst offenbart hat, unterliegt dem Verwertungsverbot, das vom BGH so festgestellt wurde.29

Beispiel:

193Im Rahmen einer Innenraumsprachüberwachung in einem Fahrzeug, die durch den Ermittlungsrichter angeordnet war (§ 100f StPO i. V. m. §§ 100b Abs. 1, 100d Abs. 2 StPO), machte der Beschuldigte umfassende Ausführungen im Rahmen eines Selbstgesprächs hinsichtlich eines von ihm durchgeführten Tötungsdeliktes zum Nachteil seiner Ehefrau.

194Der BGH begründet seine Entscheidung damit, dass es für den Menschen möglich sein muss, einen letzten Rückzugsraum zu haben, in dem er sich mit seinem eigenen Ich befassen kann und nicht von staatlichen Stellen überwacht werden darf. Dieser Kernbereich der Persönlichkeitsentfaltung beinhaltet einen absoluten Schutz vor staatlichen Ermittlungsmaßnahmen.30

2.8.3Spontanäußerungen von Zeugen

195Spontanäußerungen von Zeugen sind im Hinblick auf ihre Verwertbarkeit besonders problematisch, wenn es sich um zeugnisverweigerungsberechtigte Zeugen handelt, die sich später im Rahmen der Hauptverhandlung berechtigterweise auf dieses Recht berufen.

Beispiele:

196Der Notruf des Kindes bei der Einsatzleitstelle beginnt mit den Worten: „Der Papa hat mir gerade da unten so weh getan!“

Nachdem die Beamten, die durch die auffällige Fahrweise auf ein Fahrzeug aufmerksam geworden sind und den Halter festgestellt haben, an dessen Wohnort eingetroffen sind, bezichtigt die Ehefrau ungefragt ihren Mann einer gerade durchgeführten Trunkenheitsfahrt: „Der ist gerade mit dem Auto nach Hause gekommen!“

197In beiden Fällen liegen Spontanäußerungen vor, die nach herrschender Meinung auch später reproduzierbar bleiben31 und daher zu einer Verurteilung beitragen (können).32


Praxistipp:
198 Derartige Spontanäußerungen werden durch die Vernehmung des Polizeibeamten in die Hauptverhandlung eingeführt. Das Gericht ist daher auf sein Erinnerungsbild angewiesen, das durch entsprechende Aktenvermerke, die unbedingt gefertigt werden müssen, unterstützt wird.

Einen Grenzfall betrifft folgender Sachverhalt:33

Beispiel:

199Eine Ehefrau meldet sich per Notruf und teilt mit, dass „sich der Ehemann an der Tochter vergangen hat“. Den am Tatort eintreffenden Beamten erzählt sie auf die Frage „Was ist los?“ nähere Einzelheiten.

200Der BGH hat die Verwertung dieser Einzelheiten als Spontanäußerung zugelassen. Die Frage „Was ist los?“ habe noch keine Vernehmung, auch keine Vernehmung formloser (informatorischer) Art eingeleitet; sie „sollte der Ehefrau des Angeklagten vielmehr Gelegenheit geben, in Ergänzung ihres telefonischen Notrufes zu sagen, warum sie polizeiliche Hilfe benötigte“34.

2.9Vorgespräche

201Der Begriff des Vorgesprächs weist durchaus unterschiedliche Konnotationen auf: In der Vernehmungsliteratur wird teilweise ein allgemeines „Vorgeplänkel“ – die Einhaltung zwischenmenschlicher Umgangsformen, der Versuch, einen Zugang zu dem zu Vernehmenden zu schaffen – von dem Einstieg in die eigentliche Vernehmungsmaterie und der sich damit einstellenden Vernehmungsatmosphäre unterschieden. Ersteres soll mangels Sachbezug in keinem Fall eine Vernehmung oder ein Vorgespräch darstellen. Dies ist zweifelhaft und gefährlich.


Praxistipp:
202 Der Beschuldigte ist in keiner Weise verpflichtet, irgendwelche Angaben zu machen; dieses Einlassungsverweigerungsrecht bezieht sich auch auf solche Umstände, die in keinerlei Zusammenhang mit der Vernehmungsmaterie stehen. Er darf umfassend schweigen.

203An dieser Stelle soll auch ausdrücklich auf die Gefahren hingewiesen werden, die aus den häufig geführten Vorgesprächen oder Vorbesprechungen resultieren. Es ist jedermann, der selbst Vernehmungen führt, bekannt, dass derartige Vorgespräche nötig sind und stattfinden. Sie sollen dazu dienen, eine entspannte Gesprächsatmosphäre und dem Vernehmenden Zugang zu dem Beschuldigten zu schaffen. Dabei weisen sie regelmäßig Bezüge zur Tat auf, derentwegen die Vernehmung erfolgen soll. Auch wenn Vorgespräche aus der Rechtsrealität nicht wegzudiskutieren sind, sind sie bei genauer Betrachtung bereits Teil der Vernehmung.

Beispiel:

204Hat ein Polizeibeamter einen Beschuldigten für einen bestimmten Zeitpunkt in sein Dienstzimmer geladen, klopft jemand zu diesem Zeitpunkt an die Tür und die dort eintretende Person ist identisch mit jener Person, die auf einem dreiteiligen Lichtbild abgebildet ist, das auf dem Schreibtisch des Polizeibeamten liegt, ist für eine wohlgemeinte Konversation eigentlich kein Raum. Andererseits würde eine sofortige Konfrontation des den Raum betretenden Beschuldigten mit seinen Rechten ein sinnvolles Gespräch mehr oder minder unmöglich machen.

205Wichtig ist, dass sich aus den geführten Vorgesprächen oftmals Vermengungen mit der eigentlichen Vernehmung ergeben. Der rechtsstaatlich gebotene Weg ist hier eindeutig: Auch den vernehmungstaktisch gebotenen Vorgesprächen ist eine Belehrung voranzustellen, zumal ansonsten die Beschuldigtenrechte ausgehebelt werden könnten. Wurde eine Belehrung versehentlich vergessen, so kann die Verwertbarkeit der nachfolgenden Vernehmung nur dadurch sichergestellt werden, dass der Beschuldigte vor Beginn der eigentlichen Vernehmung darauf hingewiesen wird, dass die von ihm im Vorgespräch getätigten Äußerungen nicht verwertbar sind.

2.10Anzeigeerstattungen

206Die Entgegennahme von Strafanzeigen nimmt im alltäglichen Geschäftsbetrieb einen breiten Raum ein:35 Bürger erscheinen unaufgefordert auf der Polizeidienststelle oder sprechen einen Beamten während des Dienstes an, um einen strafrechtlich relevanten Sachverhalt zu schildern.

2.10.1Rechtsnatur der Anzeigeaufnahme

207Der wesentliche Unterschied zwischen einer Vernehmung und einer Anzeigeaufnahme besteht darin, dass die Initiative zur Sachverhaltserforschung nicht von den Strafverfolgungsorganen, sondern von einer Privatperson ausgeht. Nach der o. g. Definition ist daher die Anzeigeaufnahme zunächst keine Vernehmung im eigentlichen Sinne.

208Die Strafanzeige ist die Mitteilung eines Sachverhalts, der nach Meinung des Anzeigenden Anlass für eine Strafverfolgung bietet. Sie ist eine bloße Anregung des Anzeigenden …, es möge geprüft werden, ob Anlass zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens besteht.“36

209Die rechtlichen Regelungen, die im Rahmen einer Vernehmung Geltung beanspruchen, sind daher nicht direkt anwendbar. Allerdings wohnt einer Anzeigeaufnahme oftmals eine Dynamik inne, da der Übergang zwischen Anzeigeerstattung und dadurch bedingter zeugenschaftlicher Vernehmung fließend ist. Es kann daher – auch wenn gesetzlich nicht vorgeschrieben – keinesfalls schaden, wenn die Belehrungsvorschriften, die für Zeugenvernehmungen gelten, auch hier berücksichtigt werden.

2.10.2Spielregeln für den Anzeigeaufnehmenden

210§ 158 Abs. 1 StPO regelt die Strafanzeige und damit die Möglichkeit des Betroffenen oder eines unbeteiligten Dritten, den Strafverfolgungsbehörden einen Sachverhalt zu offenbaren, der aus seiner Sicht einen Straftatbestand verwirklicht und eine Straf(tat)verfolgung erfordert.

 

§ 158 StPO Strafanzeige; Strafantrag

(1) Die Anzeige einer Straftat und der Strafantrag können bei der Staatsanwaltschaft, den Behörden und Beamten des Polizeidienstes und den Amtsgerichten mündlich oder schriftlich angebracht werden. Die mündliche Anzeige ist zu beurkunden.

211Formvorschriften existieren nicht; bei einer telefonischen oder persönlichen Anzeigeerstattung wird der wesentliche Inhalt schriftlich niedergelegt.


Praxistipp:
212 Bei der Anzeigeaufnahme muss deutlich werden, dass die Privatperson freiwillig und von sich aus („aus eigener Veranlassung“) erschienen ist. Sodann sollten die Personalien festgestellt und der Anzeigeinhalt dokumentiert werden.

213Auch wenn keine Vernehmung vorliegt, gelten gewisse Aufklärungspflichten; so muss der Anzeigende auf

–eine mögliche Strafbarkeit nach den §§ 164, 145d StGB und

–die – in der Praxis selten zur Anwendung kommende – Kostentragungspflicht nach § 469 StPO bei vorsätzlich oder leichtfertig erstatteter unwahrer Anzeige

hingewiesen werden.

214Weitergehende Belehrungspflichten, etwa über das Zeugnis- und/oder Auskunftsverweigerungsrecht, bestehen im Gegensatz zu einer Vernehmung hier nicht;37 eine Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht muss selbst dann nicht erfolgen, wenn der Vernehmende das Bestehen eines ausreichenden Verwandtschaftsverhältnisses erkennt.38

215Allerdings steht die fehlende Belehrungspflicht einer Belehrung nicht entgegen; angesichts der Dynamik einer Anzeigeerstattung ist daher eine Belehrung zu empfehlen39 beziehungsweise sollte erfolgen; verboten ist sie jedenfalls nicht.