BGB-Schuldrecht Allgemeiner Teil

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4. Geldschulden als qualifizierte Schickschulden (§§ 270 Abs. 1 und 4, 269)

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Geldschulden sind im deutschen Recht in den §§ 270 Abs. 1, Abs. 4 und 269 als qualifizierte Schickschulden ausgestaltet, nicht etwa als Bringschulden.[44] Insofern unterscheidet sich das deutsche Recht signifikant von den wohl meisten anderen Rechtsordnungen und auch etwa von Art. 7 der Principles of European Contract Law[45] und § 57 des Wiener Kaufrechts[46]. §§ 269 und 270 führen zur Ausgestaltung der Geldschuld als Schickschuld mit einer gewichtigen Einschränkung: Der Schuldner trägt gem. § 270 Abs. 1 das Verlustrisiko. Geldschulden sind daher eine eigentümliche Kombination aus Schickschuld und Bringschuld: Wie bei der Bringschuld trägt der Schuldner das Verlustrisiko. Das Verzögerungsrisiko liegt jedoch wie bei Schickschulden beim Gläubiger.[47] Wenn A 1.000 Euro schuldet, die Zahlung Ende November fällig ist und der Schuldner A zehn 100 Euro-Banknoten per Post an den Gläubiger B schickt, wird A nicht von seiner Zahlungspflicht frei, wenn der Brief nie bei B ankommt. Wenn die Zustellung des Briefs jedoch verzögert wird, so dass B ihn erst am 6. Dezember erhält, gerät A nicht in Verzug.

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An der Qualifikation der Geldschuld als qualifizierte Schickschuld ändert auch die Zahlungsverzugsrichtlinie nichts[48] – entgegen mancher Stimmen in der Literatur.[49] Im Anwendungsbereich der Zahlungsverzugsrichtlinie[50] endet der Verzug bzw wird der Verzug nur ausgeschlossen, wenn die geschuldete Summe innerhalb des Fälligkeitszeitraums beim Gläubiger eingeht. Die Zahlungsverzugsrichtlinie gilt jedoch zunächst ohnehin nur im unternehmerischen Geschäftsverkehr. Sie greift also nicht ein, wenn Verbraucher an der Transaktion beteiligt sind. Und auch im Anwendungsbereich der Richtlinie lässt sich ein richtlinienkonformes Ergebnis innerhalb der Anwendung der Verzugsregeln erreichen: Eine verzögerte Leistung iSd § 286 Abs. 1 wird vermutet, so lange der Zahlungsbetrag für den Gläubiger nicht verfügbar ist. Der Gläubiger kann also Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung verlangen, außer der Schuldner kann nachweisen, dass er für die Verzögerung nicht verantwortlich ist (vgl § 286 Abs. 4). Um ein richtlinienkonformes Ergebnis zu erreichen, müssen die §§ 269, 270 also nicht missachtet werden.[51] Dieses Ergebnis – und die Qualifizierung der Geldschuld als qualifizierte Schickschuld – entspricht auch der Rechtsprechung des BGH. Der BGH hatte 2017 in einem Mietrechtsfall darüber zu entscheiden, ob Verzug mit der Mietzinszahlung vorlag.[52] Dafür war die Rechtsnatur der Geldschuld entscheidend. Der Schuldner hatte die Überweisung rechtzeitig aufgegeben, der Gläubiger allerdings die Miete erst nach Fälligkeit erhalten. Dem BGH zufolge sind Geldschulden qualifizierte Schickschulden, bei denen der Gläubiger das Verzögerungsrisiko trägt. Zudem war nach dem BGH eine anderslautende AGB-Klausel, die das Verzögerungsrisiko dem Schuldner zuwies, gem. § 307 Abs. 1 unwirksam.

5. Fremdwährungsschuld (§ 244)

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Manchmal ist nicht die Verschaffung von Vermögensmacht in Euro geschuldet, sondern in einer anderen Währung. Solche Geldschulden heißen Fremdwährungsschulden; sie können vertraglich grundsätzlich vereinbart werden. Denkbar ist, dass die Geldschuld zwar in fremder Währung bezeichnet, aber gleichwohl in Euro tilgbar ist. Solche Geldschulden nennt man „unechte Fremdwährungsschulden“.[53] Der von § 244 Abs. 1 ins Auge gefasste Regelfall ist die unechte Fremdwährungsschuld. § 244 Abs. 1 stellt insoweit eine gesetzliche Ersetzungsbefugnis dar. Möglich ist aber auch, dass die Schuld unbedingt und ausschließlich in der fremden Währung gezahlt werden soll (beispielsweise in britischen Pfund). Solche Schulden nennt man „echte Fremdwährungsschulden“ oder auch „effektive Fremdwährungsschulden“.[54] Welche Art der Fremdwährungsschuld vorliegt, ist durch Auslegung (des Vertrages bzw des Gesetzes bei gesetzlichen Ansprüchen) zu ermitteln.

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§ 244 Abs. 1 bezweckt zum einen, dass der Schuldner mangels abweichender Vereinbarung auch in seiner Heimatwährung erfüllen kann; er dient also dem Schuldnerschutz. Zum anderen liegt in § 244 Abs. 1 auch eine ordnungspolitisch motivierte Bevorzugung des Euros als Zahlungsmittel.[55]

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Praktisch wichtig ist vor allem § 244 Abs. 2, der für unechte Fremdwährungsschulden die Umrechnung betrifft und damit letztlich das Risiko von Kursschwankungen zwischen Vertragsschluss und Zahlungszeitpunkt zwischen den Parteien verteilt. Wenn nichts anderes vereinbart ist, gilt der Kurs zum Zeitpunkt der Zahlung.[56]

6. Geldsortenschuld (§ 245)

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§ 245 spielt in der Praxis kaum eine Rolle. Die Norm regelt die sog unechte Geldsortenschuld. Sie setzt die Vereinbarung einer bestimmten Münzsorte voraus, die im Zahlungszeitpunkt nicht mehr im Umlauf ist. Zweck der Norm ist der Ausschluss des § 275: Der Schuldner bleibt zur Leistung verpflichtet, kann aber mit Bargeld oder Buchgeld erfüllen. § 245 ist dispositiv; die Parteien können auch vereinbaren, dass ausschließlich eine bestimmte Münzsorte geschuldet ist. Dann liegt eine echte Geldsortenschuld vor, bei der Erfüllung in anderer Form ausgeschlossen ist. Wenn die geschuldete Geldsorte untergegangen ist, greift § 275 Abs. 1 ein.

7. Ansprüche auf Zinszahlung (§§ 246-248)

a) Begründung durch Rechtsgeschäft oder Gesetz

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In der Praxis spielen Ansprüche auf Zinszahlung eine große Rolle: Auf Zinsen beruht das Geschäftsmodell fast aller Banken. Ansprüche auf Zinszahlung können rechtsgeschäftlich begründet sein, so insbesondere beim Darlehensvertrag (vgl § 488 Abs. 1 S. 2). Sie können aber auch gesetzlich begründet sein, wie beispielsweise durch § 288 beim Schuldnerverzug. Im Zinsrecht des Allgemeinen Schuldrechts (§§ 246-248) sind nur wenige Einzelheiten geregelt: der gesetzliche Zinssatz, der Basiszins und das Zinseszinsverbot.

b) Zinsbegriff

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Was Zinsen im Rechtssinn sind, definiert das Gesetz in den §§ 246-248 nicht. Im Wesentlichen gilt ein funktionales Verständnis: Zinsen sind die gewinn- und umsatzunabhängige, laufzeitabhängige, in Geld oder anderen vertretbaren Sachen zu entrichtende Vergütung für eine Kapitalgebrauchsmöglichkeit.[57] Oft werden Zinsen monatlich oder wöchentlich gezahlt, aber das ist keineswegs zwingend. Ebenso wenig müssen Zinsen ausdrücklich als Prozentsatz des Kapitals bemessen werden – auch wenn sich das mathematisch wohl immer so darstellen lässt. Nicht wichtig ist auch, ob der Schuldner das Kapital auch tatsächlich benutzt hat. Das ist vielmehr seine Sache. Zinsen liegen jedenfalls schon dann vor, wenn er überhaupt nur die Möglichkeit erhalten hat, das Kapital zu nutzen.[58] Wenn aber nicht die Kapitalnutzungsmöglichkeit vergütet wird, sondern etwas anderes – etwa Aufwand für die Beschaffung des Kredits –, liegen keine Zinsen vor.[59]

c) Akzessorietät

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Zinsen sind mit Blick auf ihre Entstehung akzessorisch. Das bedeutet, dass sie nur entstehen können, wenn es auch tatsächlich eine Kapitalschuld gibt – auf die sich die Zinsen beziehen.[60] Wenn dieser Anspruch gar nicht entstanden ist – etwa, weil ein Darlehensvertrag von Anfang an nichtig ist – kann auch kein Anspruch auf Zinszahlung entstehen. Auch endet die Verzinsungspflicht grundsätzlich, wenn der Hauptanspruch erlischt (Ausnahme: § 803). Ist der Zinsanspruch aber erst einmal entstanden, kann er selbständig abgetreten und eingeklagt werden.

 

d) Zinssatz – Grundregel, Sonderregeln und Basiszinssatz

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Welcher Zinssatz verlangt werden kann, hängt vom jeweiligen Anspruch ab. § 246 beinhaltet eine Grundregel zur Höhe des Zinssatzes: Er beträgt danach grundsätzlich vier Prozent. In der Praxis wird § 246 allerdings durch zahlreiche speziellere Normen für spezifische Ansprüche auf Zinszahlung verdrängt. Dazu gehören insbesondere §§ 286, 288, 291 BGB und § 352 HGB. Vor allem die praktisch wichtigen Verzugszinsen und Prozesszinsen orientieren sich also am Basiszinssatz: Der Schuldner im Verzug hat gem. § 288 Abs. 1 S. 2 grundsätzlich 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz (§ 247) zu zahlen. Wenn kein Verbraucher beteiligt ist, gelten gem. § 288 Abs. 2 sogar 9 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Das Gesetz spricht treffend nicht von „Prozent“, sondern „Prozentpunkten“: Es geht also nicht um eine relative Bemessung, vielmehr wird zum Basiszinssatz schlicht die angegebene absolute Zahl addiert. Durch die Verweisung in § 291 S. 2 gelten diese Zinssätze auch für die Prozesszinsen.

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Der in der Praxis wichtige Basiszinssatz ist in § 247 geregelt, der eine flexible Orientierung der Zinshöhe am Kreditmarkt ermöglicht. Der Basiszinssatz verändert sich halbjährlich nach § 247 Abs. 1 S. 2 und 3. Die jeweils geltenden Basiszinssätze können auf der Homepage der Deutschen Bundesbank eingesehen werden (www.bundesbank.de).

8. Verbot des Zinseszinses (§§ 248, 289 S. 1)

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§ 248 untersagt in Anlehnung an ältere Vorbilder des BGB die vorherige Vereinbarung einer Zahlung von Zinsen auf Zinsen (Zinseszinsen).[61] § 248 wird durch §§ 289 S. 1 und 291 S. 2 ergänzt. Die Norm hat eine doppelte Schutzrichtung: Sie schützt den Schuldner, der die effektiv entstehende Zinsbelastung bei Zinseszinsen vielleicht nur schwer vorhersehen und der durch den Zinseszinsmechanismus besonders belastet sein kann.[62] Die Norm dient also der Rechtsklarheit.[63] Mittelbar bewahrt § 248 Abs. 1 den Schuldner aber auch vor unzumutbar hohen Belastungen. Rechtsfolge des § 248 ist die Nichtigkeit der Abrede, ohne dass § 134 bemüht werden müsste.

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Tatbestandlich sind nur Vereinbarungen „im Voraus“ – also vor Fälligkeit der Zinsforderung – erfasst. Auf Zinsen, die schon fällig sind (sog. „rückständige“ Zinsen) können dagegen Zinsen vereinbart werden. § 248 verlangt außerdem, dass der Zinsbegriff doppelt erfüllt ist, denn es müssen „Zinsen“ auf „Zinsen“ vereinbart sein. Außergewöhnlich hohe Bearbeitungsgebühren können im Voraus vereinbarte Zinseszinsen sein, wenn sie sich auf eine Gesamtkreditsumme beziehen, zu der Zinsen gehören.[64]

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§ 248 gilt in mehreren Fällen nicht. Beispielsweise können gem. § 248 Abs. 2 S. 1 Kreditinstitute Zinseszinsen im Voraus versprechen. Dahinter steht der Gedanke, dass der Schutzzweck der Norm bei Zinseszinsvereinbarungen zu Lasten von Kreditinstituten im Einlagengeschäft nicht eingreift. Auch können Zinseszinsen grundsätzlich gem. § 289 S. 2 als Verzugsschadensersatz (§§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286) verlangt werden.

9. Lösung Fall 18

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Gem. § 556b Abs. 1 ist die Miete spätestens bis zum dritten Werktag der einzelnen Zeitabschnitte zu entrichten, nach denen sie bemessen ist. Das ist der dritte Werktag eines jeden Monats. Fraglich ist, ob für die Rechtzeitigkeit der Zahlung die Erteilung des Überweisungsauftrags an das Kreditinstitut ausreicht oder vielmehr die Gutschrift auf dem Gläubigerkonto den maßgeblichen Zeitpunkt darstellt. Das hängt von der Rechtsnatur der Mietschuld ab. Sie ist Geldschuld und damit gem. §§ 270 Abs. 1, Abs. 4, 269 eine qualifizierte Schickschuld: Die Handlungspflicht des Schuldners beschränkt sich auf das Abschicken des Geldes, allerdings – und im Unterschied zur einfachen Schickschuld – trägt der Schuldner das Verlustrisiko (§ 270 Abs. 1). Daher ist die Erteilung des Überweisungsauftrags an das Kreditinstitut bis zum dritten Werktag eines jeden Monats ausreichend und maßgeblich für die Fristwahrung. Daran ändert sich auch durch die Auslegung der Zahlungsverzug-RL durch den EuGH nichts: Für die Zwecke der Zahlungsverzug-RL ist die Gutschrift auf dem Empfängerkonto der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit einer Zahlung.[65] Die rechtzeitige Erteilung des Überweisungsauftrags ist dagegen ungenügend. Deshalb wird die Geldschuld teilweise nicht mehr als qualifizierte Schickschuld, sondern als (modifizierte) Bringschuld eingeordnet. Das überzeugt aber nicht. Die Zahlungsverzug-RL ist nur im unternehmerischen Rechtsverkehr anwendbar. Man mag einwenden, dass die Rechtzeitigkeit einheitlich beurteilt werden sollte, weil Unterschiede, die vom Verbraucher- bzw Unternehmerstatus des Schuldners abhängen, Rechtsunsicherheit bewirken können.[66] Das überzeugt aber schon deshalb nicht, weil sich ein richtlinienkonformes Ergebnis auch durch die Anwendung der Verzugsregeln erreichen lässt. Die Geldschuld ist deshalb weiterhin qualifizierte Schickschuld. Der Leistungsort ist somit der Wohnsitz des Schuldners. Daher genügt die rechtzeitige Erteilung des Überweisungsauftrags für die Rechtzeitigkeit der Mietzahlung. Für die verzögerte Übermittlung des Geldes muss der Schuldner nicht einstehen.[67] M hat die Miete stets rechtzeitig iSv § 556b Abs. 1 gezahlt. Sie befand sich zu keinem Zeitpunkt im Schuldnerverzug nach § 286 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr 1.

10. Lösung Abwandlung zu Fall 18: Ausgangsfrage

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In Abgrenzung zum Ausgangsfall enthält nun der Mietvertrag (MV) selbst eine vom Gesetz (also § 556b Abs. 1) abweichende Regelung, die für die Rechtzeitigkeit der Mietzahlung den Zeitpunkt des Zahlungseingangs auf dem Konto der V bestimmt. Danach würde M – die Wirksamkeit der Klausel unterstellt – jeweils mit Ablauf des dritten Werktages eines Monats in Schuldnerverzug gem. § 286 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr 1 geraten. Dieser würde erst durch die Gutschrift auf Vʼs Konto beendet. Die Klausel könnte allerdings gem. § 307 Abs. 1 unwirksam sind.

Die Klausel ist eine für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung, die V als Verwenderin der M stellt und damit eine AGB iSd § 305 Abs. 1 S. 1. Der BGH sieht in der Klausel eine unangemessene Benachteiligung iSd § 307 Abs. 1. Nach der gebotenen kundenfeindlichsten Auslegung kann die Klausel so verstanden werden, dass der Mieter trotz rechtzeitiger Erteilung des Zahlungsauftrages seine Pflichten verletzt, wenn sich der Zahlungsvorgang auf Grund eines Verschuldens des Zahlungsdienstleisters verzögert. Da die Klausel eine solche, nicht vom Mieter zu verantwortende Zahlungsverzögerung zudem als möglichen Kündigungsgrund einordnet, benachteiligt sie den Mieter unangemessen.[68] Denn die drohenden existenziellen Folgen eines Verlustes der Wohnung sind deutlich schwerwiegender als das Interesse des Vermieters, den Mieter für Zahlungsverzögerungen verantwortlich zu machen.[69] Der Mietvertrag zwischen M und V bleibt trotz der insofern unzulässigen Klausel gem. § 306 Abs. 1 im Übrigen wirksam. An die Stelle der unwirksamen Klausel tritt gem. § 306 Abs. 2 das dispositive Recht, so dass sich die Beurteilung der Rechtzeitigkeit – wie im Ausgangsfall – nach den Bestimmungen der §§ 556b Abs. 1, 270 Abs. 1, Abs. 4, 269 richtet. M entrichtete wiederum die Miete stets rechtzeitig iSv § 556b Abs. 1 und befand sich zu keinem Zeitpunkt im Schuldnerverzug (§ 286 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr 1).

11. Lösung Abwandlung zu Fall 18: Zusatzfrage

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I. Im unternehmerischen Geschäftsverkehr sind Rechtzeitigkeitsklauseln höchstrichterlich anerkannt, da sie gemessen an den Bedürfnissen des modernen Zahlungsverkehrs weder unangemessen noch überraschend sind.[70] Da im unternehmerischen Rechtsverkehr auf Grund der Zahlungsverzug-RL wie oben dargestellt ohnehin der Zeitpunkt der Gutschrift maßgeblich für die Rechtzeitigkeit der Leistungshandlung ist, sind solche Klauseln jedoch nunmehr ohne Bedeutung.[71] Die Klausel ist also grundsätzlich wirksam.

II. Etwas anderes kann sich allenfalls aus dem Umstand ergeben, dass nach der Zahlungsverzug-RL (Art. 3 Abs. 1 lit. b RL 2011/7/EU) kein Verzug begründet wird, wenn der Schuldner die Verzögerung nicht zu vertreten hat. Ihm können somit auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr unvorhersehbare Verzögerungen der Zahlungsdienstleister nicht angelastet werden.[72] Daraus folgt jedoch keine unangemessene Benachteiligung der Klausel iSd § 307 Abs. 1.[73] Andernfalls wäre die Eigenverantwortlichkeit im unternehmerischen Geschäftsverkehr zu stark beschränkt (aA vertretbar).

Teil II Der Inhalt von Schuldverhältnissen › § 5 Schuldarten › III. Wahlschuld (§§ 262-265) und Ersetzungsbefugnis

III. Wahlschuld (§§ 262-265) und Ersetzungsbefugnis

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Fall 19:

K, die seit einigen Tagen in Berlin wohnt, möchte sich ein Fahrrad zulegen. Da der Umzug sehr kostspielig war, möchte sie gerne ein gebrauchtes Fahrrad kaufen. Nach einiger Recherche findet sie den Anbieter V, der ihr telefonisch anbietet, dass sie eines der drei Fahrräder, die V noch übrig hat, für 50 Euro kaufen kann. Welches von den dreien K haben möchte, könne sie sich vor Ort aussuchen. K guckt sich die drei verschiedenen Fahrräder im Internet an und erklärt sich einverstanden. Als K am nächsten Tag bei V vorbeischaut, erklärt ihr V, dass er eines der Fahrräder gestern bereits verkauft und übereignet hat. Somit habe K nur noch die Wahl zwischen den anderen beiden Fahrrädern. K ist empört, da ihr genau das Fahrrad, welches der V verkauft hat, besonders gefiel. Sie möchte daher nichts mehr vom Vertrag wissen. V dagegen verlangt Kaufpreiszahlung. Zu Recht? Lösung Rn 236

 
1. Wahlschuld (§§ 262-265)

a) Voraussetzungen

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Eine Wahlschuld liegt vor, wenn mehrere verschiedene Leistungen geschuldet sind, von denen der Schuldner nur die eine oder eine andere erbringen muss und die – in Abgrenzung zur Gattungsschuld nach § 243 – nicht einer Gattung angehören. Eine Wahlschuld kann durch Rechtsgeschäft oder durch Gesetz begründet werden. Ein Beispiel für eine rechtsgeschäftliche Wahlschuld bietet etwa ein Mittagsmenü in zwei Variationen (vegetarisch oder Fisch): Wenn Gast G und Restaurantinhaberin R vereinbaren, dass R den Gast mit einem Mittagsmenü ihrer Wahl bedienen soll, kann R wählen, ob sie das vegetarische Menü oder das Menü mit Fisch auftischt. Ein Beispiel für eine gesetzliche Wahlschuld bietet § 2154 (Wahlvermächtnis): Der Erblasser kann anordnen, dass der Bedachte als Vermächtnis einen von mehreren Gegenständen erhalten soll (beispielsweise ein Gemälde aus seiner Sammlung).

b) Wahlrecht

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Wenn eine Wahlschuld vorliegt, stellen sich vor allem Fragen, die auf das Wahlrecht bezogen sind: Wem steht das Wahlrecht zu? Welche Konsequenzen hat seine Ausübung? Letztere Frage ist in § 263 Abs. 2 beantwortet: Mit Ausübung der Wahl gilt die gewählte Leistung als die von Anfang an allein geschuldete. Die erste Frage (nach der Inhaberschaft des Wahlrechts) ist in § 262 geregelt. Die Norm beinhaltet eine Auslegungsregel, wonach im Zweifel der Schuldner Inhaber des Wahlrechts ist. Die Regel gilt aber nur im Zweifel. Vorrangig ist – wie stets bei Auslegungsregeln – die Parteivereinbarung. Dabei sind die konkreten Fallumstände und vor allem auch der Vertragszweck zu berücksichtigen. Die Auslegung des Vertrages unter Berücksichtigung des Vertragszwecks (§§ 133, 157) wird häufig dazu führen, dass entgegen der Zweifelregel aus § 262 dem Gläubiger das Wahlrecht zusteht. Das Gläubigerwahlrecht wird oft interessengerechter sein. So liegt eine konkludente Vereinbarung zu Gunsten des Gläubigers etwa in dem Mittagsmenü-Beispiel nahe, auch wenn nichts Ausdrückliches vereinbart ist. Regelmäßig entspricht es den beiderseitigen Interessen am besten, wenn der Gast das konkret zu servierende Mittagsmenü auswählen darf.

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Das Wahlrecht ist als Gestaltungsrecht ausgestaltet, wie sich aus § 263 Abs. 1 ergibt. Es ist also eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, die mit Zugang beim Erklärungsempfänger wirksam wird (§ 130 Abs. 1).

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§ 264 Abs. 1 und 2 befassen sich mit Verzögerungen bei der Ausübung des Wahlrechts. Die Regelung unterscheidet zwischen den Fällen, in denen der Gläubiger Wahlrechtsinhaber ist, und den Fällen, in denen der Schuldner Wahlrechtsinhaber ist.

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Wenn der Gläubiger Wahlrechtsinhaber ist, kann ihm der Schuldner bei Verzug mit der Ausübung des Wahlrechts eine angemessene Frist zur Vornahme der Wahl setzen. Dadurch kann der Schuldner erreichen, dass das Wahlrecht auf ihn übergeht: Denn ebendies ordnet § 264 Abs. 2 S. 1 für den Fall an, dass der Gläubiger die Wahl nicht rechtzeitig vornimmt. Wenn dagegen der Schuldner Wahlrechtsinhaber ist, sieht das Gesetz einen solchen Übergang nicht vor. Der Schuldner bleibt also Wahlrechtsinhaber. Wenn er vom Gläubiger auf Vornahme der Leistung verklagt wird, wird der Schuldner zur Leistung des einen oder des anderen Gegenstands nach seiner (des Schuldners!) Wahl verurteilt. § 264 Abs. 1 setzt an diese Situation an und bevorzugt den Gläubiger bei der Zwangsvollstreckung: Der Gläubiger kann, wenn der Schuldner die Wahl nicht vor Beginn der Zwangsvollstreckung vornimmt, gem. § 264 Abs. 1 1. HS die Zwangsvollstreckung nach seiner Wahl auf die eine oder auf die andere Leistung richten. Das Wahlrecht des Schuldners wirkt sich aber auch in dieser Situation noch zu Gunsten des Schuldners aus. Auch während der laufenden Zwangsvollstreckung kann sich der Schuldner, solange der Gläubiger die gewählte Leistung noch nicht empfangen hat, durch eine der übrigen Leistungen von seiner Verbindlichkeit befreien.

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