BGB-Schuldrecht Allgemeiner Teil

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c) Konkretisierung (§ 243 Abs. 2)
aa) Zweck

187

Wie wir gesehen haben, ist gerade die Beschaffungspflicht eine potenziell erhebliche Belastung des Schuldners. § 243 Abs. 2 bietet ihm die Möglichkeit, seine Risiken erheblich zu minimieren: Nach dieser Norm beschränkt sich das Schuldverhältnis auf diese (eine) Sache, wenn der Schuldner das seinerseits Erforderliche zur Leistung einer Sache aus der Gattung getan hat. Diese Beschränkung bezeichnet man als Konkretisierung – eben, weil sich das Schuldverhältnis jetzt auf einen konkreten Leistungsgegenstand beschränkt. § 243 Abs. 2 bewirkt, dass die Gattungsschuld zur Stückschuld wird.[19] Das ist vor allem deshalb wichtig, weil die – für den Schuldner günstigeren – Regelungen zur Leistungsgefahr bei Stückschulden eingreifen: Wenn die nach Konkretisierung allein geschuldete Sache untergeht (vgl § 275 Abs. 1), muss der Schuldner keine andere Sache aus der ursprünglich vereinbarten Gattung mehr leisten.

bb) Voraussetzungen

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Der Schuldner muss das seinerseits Erforderliche getan haben. Was das konkret bedeutet, hängt vor allem von der Parteivereinbarung ab. Die Wirkungen des § 243 Abs. 2 können auch allein durch Parteivereinbarung herbeigeführt werden[20] bzw dadurch, dass der Gläubiger eine nicht § 243 Abs. 1 genügende Sache als Leistung anerkennt[21]. Im letzteren Fall dürfte freilich meist Erfüllung iSd § 362 Abs. 1 vorliegen; dann werden die Rechtsfolgen des § 243 Abs. 2 bedeutungslos.

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Wenn eine Bringschuld vorliegt, hat der Schuldner das seinerseits Erforderliche getan, wenn er die Sache zum Gläubiger gebracht und in einer den Annahmeverzug (§§ 293 ff) auslösenden Weise angeboten hat.[22] Der Gläubiger muss also unmittelbar auf den Leistungsgegenstand zugreifen können, nur dann ist die von § 243 Abs. 2 bewirkte Entlastung des Schuldners gerechtfertigt. Dabei gelten die Regeln über den Annahmeverzug entsprechend.[23] Im Fall des wörtlichen Angebots gem. § 295[24] muss allerdings klar werden, auf welchen Leistungsgegenstand sich die Konkretisierung erstrecken soll. Daher muss der Schuldner die Sache nicht nur wörtlich anbieten, sondern auch den Leistungsgegenstand aussondern.[25]

In Fall 17 haben A und K ausdrücklich eine Bringschuld vereinbart. A hätte also die Reifen zu K bringen und sie ihm dort anbieten müssen, um Konkretisierung gem. § 243 Abs. 2 zu erreichen. Dadurch, dass sie diesen Schritt nicht gegangen ist, kann sie sich trotz des Umgangs der Mitarbeiterin mit den Reifen nicht auf Unmöglichkeit iSv § 275 Abs. 1 berufen.

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Wenn eine Schickschuld vorliegt, muss der Schuldner die Sache dem zuständigen Transporteur übergeben, die Sache also lediglich auf den Weg zum Schuldner bringen. Dann hat er das „seinerseits Erforderliche“ getan, so dass § 243 Abs. 2 eingreift.

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Bei Holschulden muss der Schuldner lediglich den Leistungsgegenstand aussondern, ihn bereitstellen und gegebenenfalls den Gläubiger von der Aussonderung benachrichtigen bzw ihn zum Abholen auffordern.[26] Die Benachrichtigung bzw Aufforderung ist nicht erforderlich, wenn ein Termin für die Abholung vereinbart ist. Wenn der Schuldner dem Gläubiger eine Frist zur Abnahme gesetzt hat, tritt die Konkretisierung erst mit dem Ablauf dieser Frist ein.[27] Das ist dann nicht sachgerecht, wenn der Gläubiger ohnehin erklärt, die Leistung nicht abnehmen zu wollen: Dann tritt die Konkretisierung schon mit dem Zugang dieser Erklärung ein.

cc) Rechtsfolgen des § 243 Abs. 2

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§ 243 Abs. 2 bewirkt vor allem, dass die Leistungsgefahr auf den Gläubiger übergeht. Das ist die entscheidende Konsequenz dessen, dass die Gattungsschuld zur Stückschuld wird. Geht die Sache – auf die das Schuldverhältnis dann „konkretisiert“ ist – unter, wird der Schuldner von seiner Leistungspflicht gem. § 275 Abs. 1 frei. Die Gegenleistungsgefahr (Preisgefahr) – also die Gefahr, trotz Unmöglichkeit der Leistung noch die Gegenleistung (in entgeltlichen Verträgen also den „Preis“) erbringen zu müssen, richtet sich nach § 326 bzw. den besonderen Gefahrtragungsregeln (wie §§ 446 f und 644 f).

dd) Rückgängigmachung der Konkretisierung (Rekonkretisierung)

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Ein Klausurklassiker ist die Frage, ob der Schuldner die Konkretisierung auch einseitig wieder rückgängig machen kann. Man nennt dies auch Rekonkretisierung. Um diese Konstellation geht es in Fall 16. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass die Rekonkretisierung den Interessen des Schuldners zuwiderläuft, da die Konkretisierung ja vor allem für den Schuldner Vorteile bei der Leistungsgefahr bietet. Manchmal ist der Schuldner an diesen Vorteilen aber gar nicht interessiert. So kann er sich etwa schlicht den Anspruch auf die Gegenleistung sichern wollen, der im Regelfall ja gem. § 326 Abs. 1 S. 1 entfallen wird, wenn seine Leistungspflicht nach § 275 nicht besteht. Denkbar ist auch, dass der Schuldner bei einer Schickschuld die Ware noch während des Transports an einen anderen Gläubiger umleiten möchte: In dieser Situation ist die Konkretisierung bereits eingetreten. Denn bei einer Schickschuld hat der Schuldner das seinerseits Erforderliche iSd § 243 Abs. 2 ja schon getan, wenn er die Ware der Transportperson übergeben hat. § 243 Abs. 2 schweigt über die Frage, ob die Konkretisierung rückgängig gemacht werden kann. Die besseren Gründe – vor allem teleologische Argumente – sprechen dafür, die Frage zu bejahen:[28] § 243 Abs. 2 dient gerade dem Schuldnerinteresse. Soweit der Schuldner die Konkretisierung durch einseitige Akte herbeiführen kann, muss ihm daher auch zugestanden werden, sie durch einseitige Akte wieder rückgängig zu machen. Anders liegt es nur in den Fällen, in denen die Konkretisierung auf eine beiderseitige Parteivereinbarung zurückzuführen ist: Dann hat der Gläubiger ein schutzwürdiges Interesse daran, dass die Konkretisierungswirkung nicht durch bloß einseitigen Schuldnerakt aufgehoben wird.[29] Wenn sich der Gläubiger mit der Aussonderung oder der Absendung ausdrücklich oder stillschweigend einverstanden erklärt, liegt eine Parteivereinbarung in diesem Sinne nahe, ebenso, wenn der Gläubiger bei der Auswahl des Gegenstands mitgewirkt hat.

d) Lösung Fall 16

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S könnte gegen V einen Anspruch auf Lieferung von vier Reifen aus § 433 Abs. 1 S. 1 haben.

I. Ein wirksamer Kaufvertrag zwischen V und S liegt vor, so dass der Anspruch entstanden ist.

II. Der Anspruch könnte gem. §§ 243 Abs. 2, 275 Abs. 1 erloschen sein.

1. V hat das ihrerseits Erforderliche getan – bei einer Schickschuld also die Übergabe an den zuständigen Transporteur –, so dass Konkretisierung gem. § 243 Abs. 2 eingetreten ist. Die Gattungsschuld wurde somit zur Stückschuld, so dass sich der Anspruch des S auf die vier ursprünglich bestellten Reifen konkretisiert hat. Durch das Umleiten der Reifen an F würde die Leistung der V daher unmöglich gem. § 275 Abs. 1, wenn F nicht bereit ist, die Reifen herauszugeben.

2. Die Konkretisierung nach § 243 Abs. 2 ist allerdings möglicher Weise dadurch entfallen, dass V die Reifen an F weitergeleitet hat (Rekonkretisierung). Dann ist V weiterhin gem. § 243 Abs. 1 dazu verpflichtet, S vier Reifen mittlerer Art und Güte zu beschaffen.

a) Einige Stimmen wollen die Rekonkretisierung bei der Gattungsschuld nicht zulassen. Der Gläubiger sei nicht ausreichend geschützt, wenn der Schuldner auf dessen Kosten spekuliere und der Gläubiger vielleicht sogar vor Erfüllung Dispositionen getroffen habe – wie hier die Vermietung des Mietwagens.

 

b) Die besseren Argumente sprechen aber dafür, die einseitige Rekonkretisierung grundsätzlich zuzulassen: § 243 Abs. 2 dient vorrangig dem Schutz des Schuldners. Der Schuldner kann die Konkretisierung einseitig herbeiführen, also sollte er sie grundsätzlich auch einseitig nachträglich aufheben können. Der Gläubiger ist seinerseits ausreichend geschützt, da er den Primärleistungsanspruch auf Leistung einer Sache mittlerer Art und Güte gem. § 243 Abs. 1 ja behält. Eine Ausnahme gilt nur, wenn die Konkretisierungswirkungen durch Parteivereinbarung herbeigeführt wurden: Dann wurde ja auch die Konkretisierung nicht einseitig herbeigeführt. Diese Ausnahme greift hier nicht ein, weil die Konkretisierung auf einem einseitigen Akt der V beruht.

c) Die Wirkungen des § 243 Abs. 2 sind damit entfallen. Es bleibt bei der Beschaffungspflicht der V aus § 243 Abs. 1.

Ergebnis: S hat gegen V einen Anspruch auf Lieferung von vier Reifen aus § 433 Abs. 1 S. 1.

Teil II Der Inhalt von Schuldverhältnissen › § 5 Schuldarten › II. Geldschuld und Zinsen (§§ 244-248)

II. Geldschuld und Zinsen (§§ 244-248)

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Fall 18 (nach BGH NJW 2017, 1596):

V ist Eigentümerin einer Wohnung in Münster. Seit nunmehr knapp einem Jahr vermietet sie die Wohnung an M. Das Mietverhältnis verläuft reibungslos, bis V bemerkt, dass die letzte Mietzahlung der M erst am fünften Werktag des laufenden Monats auf ihrem Konto eingegangen ist. Verärgert muss V auch in den zwei darauffolgenden Monaten feststellen, dass eine Gutschrift der von M zu entrichtenden Miete erst am fünften Werktag des jeweils laufenden Monats auf ihrem Konto verbucht wurde. V verlangt von M empört, die Miete von nun an so frühzeitig zu überweisen, dass sie spätestens am dritten Werktag eines jeden Monats auf ihrem Konto eingeht. So sehe es schließlich auch das Gesetz vor. M hingegen ist verwundert über die Aufforderung der V und erwidert, es sei vollkommen ausreichend, dass sie ihrer Bank den Überweisungsauftrag bis zum dritten Werktag des laufenden Monats erteile. Daran habe sie sich – was zutrifft – auch immer gehalten. Hat M die Miete rechtzeitig iSd § 556b Abs. 1 gezahlt? Lösung Rn 206 und 221

Abwandlung:

Sachverhalt wie in Fall 18, allerdings ist V Eigentümerin mehrerer Wohnungen und verwendet deshalb für alle Mietverhältnisse einen standardmäßig vorformulierten Vertrag, der die folgende Klausel enthält: „Die Gesamtmiete iHv 1.000 Euro ist monatlich im Voraus, spätestens am dritten Werktag des Monats an den Vermieter auf das Konto mit der Nr 1234567890 bei der Münster-Bank zu zahlen. Für die Rechtzeitigkeit der Zahlung kommt es nicht auf die Absendung, sondern auf den Eingang des Geldes an. Eine mehrfach verspätete Mietzahlung kann ein Grund für eine Kündigung des Mietverhältnisses sein.“ Hat M die Miete rechtzeitig gezahlt? Lösung Rn 222

Zusatzfrage: Ändert sich am Ergebnis etwas, wenn V und M Unternehmerinnen sind und Geschäftsräume vermietet werden? Lösung Rn 223

1. Grundlagen

a) Überblick über gesetzliche Regelungen zu Geld und Geldschuld

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Geld ist für unsere Wirtschaftsordnung von höchster Bedeutung. Im Schuldrecht ist es nur an wenigen Stellen geregelt, obwohl Geld besonders häufig Gegenstand von Schuldverhältnissen ist. §§ 244 und 245 befassen sich mit Fremdwährungsschulden und der (seltenen) Geldsortenschuld. §§ 269 Abs. 3 und 270 regeln den Zahlungsort, das Verspätungsrisiko und das Leistungsrisiko bei Geldschulden. Im Besonderen Schuldrecht gibt es Regeln über den Darlehensvertrag (§§ 488 ff) und über den bargeldlosen Zahlungsverkehr (§§ 675c ff). Begriff und Besonderheiten der Geldschuld als Schuldinhalt sind im BGB jedoch nicht geregelt.

b) Funktionen des Geldes; Bargeld, Buchgeld, gesetzliche Zahlungsmittel

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Geld dient seiner Funktion nach als Tauschmittel, zur Wertaufbewahrung, als Wertausdrucksmittel und als staatliches Instrument der Ordnungspolitik.[30] Bargeld sind Münzen und Banknoten, Buchgeld dagegen Forderungen gegen Kreditinstitute. Gesetzliches Zahlungsmittel sind in Deutschland seit 2002 nur auf Euro lautende Banknoten (Art. 106 Abs. 1 S. 3 EGV, Art. 10 S. 2 EuroVO II sowie § 14 Abs. 1 S. 2 BBankG). Für Euro-Münzen besteht gem. Art. 11 S. 3 EuroVO II nur eine beschränkte Annahmeobliegenheit: Niemand muss mehr als 50 auf Euro oder Cent lautende Münzen bei einer einzelnen Zahlung annehmen.

c) Geldschulden als Wertverschaffungsschulden

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Wer Geld schuldet, schuldet aber nicht die Übergabe oder Übereignung bestimmter Banknoten oder Münzen als solche. Vielmehr schuldet er dem Gläubiger die Verschaffung eines bestimmten Betrags an abstrakter Vermögensmacht.[31] Die konkrete Verkörperung dieser Vermögensmacht ist nicht entscheidend – es sei denn, die Parteien vereinbaren etwas anderes. Geldschulden sind also Wertverschaffungsschulden. Im Wirtschaftsleben stehen nichtkörperliche Formen (Buchgeld) zumindest gleichbedeutend neben körperlichen Formen (Bargeld). In welcher Form Geldschulden erfüllt werden können, hängt entscheidend von der Parteivereinbarung ab. Fehlt eine Vereinbarung, kann der Schuldner wegen der wirtschaftlichen Bedeutung von Buchgeld regelmäßig und im Zweifel auch bargeldlos erfüllen, beispielsweise dadurch, dass er den geschuldeten Betrag überweist.[32]

199

Als Wertverschaffungsschulden sind Geldschulden keine Sachschulden, insbesondere auch keine Gattungsschulden.[33] Auf sie kann jedoch § 300 Abs. 2 analog angewendet werden:[34] Der Übergang der Leistungsgefahr beim Annahmeverzug ist im BGB für Geldschulden nirgends geregelt. Die Interessenlage ist insoweit aber mit der bei Gattungsschulden vergleichbar, so dass die Voraussetzungen für die Analogie vorliegen.

200

Im Einzelfall kann es aber nicht um die Verschaffung abstrakter Vermögensmacht, sondern um ganz bestimmte Münzen oder Scheine gehen. Auch das können die Parteien natürlich vereinbaren – in Sammlerkreisen sind Kaufverträge über ganz bestimmte Münzen gang und gäbe. In solchen Fällen – wenn der Schuldner also verpflichtet ist, bestimmte Geldzeichen wie etwa konkrete Münzen zu verschaffen –, liegt konsequenter Weise gar keine Geldschuld vor, sondern eine gewöhnliche Sachschuld (Stück- oder Gattungsschuld).

d) Der maßgebliche Bestimmungszeitpunkt bei Geldschulden

201

Wenn jemand ein Auto für 10.000 Euro kauft, schuldet der Käufer einen von Anfang an klar definierten Betrag – eben 10.000 Euro. In solchen Fällen, wenn also von Anfang an ein konkreter Betrag feststeht, liegt eine Geldsummenschuld vor.[35] Manchmal wird der konkret geschuldete Betrag aber erst zu einem späteren Zeitpunkt bestimmt: Wenn jemand eine andere Person fahrlässig in ihrer Gesundheit verletzt, ist er gem. § 823 Abs. 1 zum Schadensersatz verpflichtet. Aber der konkret geschuldete Betrag steht im Moment der Gesundheitsverletzung noch gar nicht fest: Bevor sich die beschädigte Person behandeln lässt, sind die konkreten Beträge ja auch nicht bekannt. Bei solchen Ansprüchen – neben Schadensersatzansprüchen beispielsweise auch Unterhaltsansprüche – spricht man von Geldwertschulden. Solche Schulden werden erst dann zu einer Geldsummenschuld, wenn der Leistungstermin feststeht.[36]

2. Geldschulden, § 275 und der Topos „Geld hat man zu haben“

202

Ein in Klausuren und Lehrbüchern zum Schuldrecht gerne verwendeter Topos ist der Satz „Geld hat man zu haben“. Damit wird unter anderem zum Ausdruck gebracht, dass § 275 keine Anwendung auf die Geldschuld finden soll. Diese wohl hM[37] lässt sich allerdings nicht überzeugend begründen. Der Gesetzeswortlaut des § 275 spricht für die Anwendbarkeit der Norm auf Geldschulden. Gleiches gilt für die systematische Stellung der Norm im Allgemeinen Schuldrecht. Der Topos „Geld hat man zu haben“ ist keine Rechtsnorm des positiven Rechts, die einen Ausschluss einzelner Bestimmungen begründen könnte. Auch die historische Auslegung spricht für die Anwendbarkeit des § 275: Im Diskussionsentwurf zur Schuldrechtsreform 2002 (DiskE)[38] war eine explizite Ausnahme der Geldschuld vom Unmöglichkeitsrecht vorgesehen. Sie wurde allerdings nicht in den Gesetzestext aufgenommen. Das spricht dagegen, diese Ausnahme ohne gesetzliche Grundlage anzunehmen.[39] § 275 ist also auf Geldschulden grundsätzlich anwendbar. Allerdings ist der Tatbestand der Unmöglichkeit in der Regel aus faktischen Gründen nicht erfüllt: Objektive Unmöglichkeit[40] ist kaum vorstellbar, weil dazu überhaupt niemand mehr Geld haben müsste. Auch subjektive Unmöglichkeit wird sehr selten zu bejahen sein: Selbst wer krank, arm und ohne Erbschaftsaussicht ist, kann durch Schenkung oder Lottogewinn zu Geld gelangen.

3. Das Inflationsrisiko im Kontext der Geldschuld

203

Der wirtschaftliche Wert des Geldes hängt von seiner konkreten Kaufkraft ab, die erheblichen Schwankungen unterliegen kann. Daher ist von hoher Bedeutung, wer das Inflationsrisiko trägt. Das ist für wichtige Teilbereiche in gesetzlichen Bestimmungen geregelt. Bei Geldwertschulden etwa trägt das Inflationsrisiko der Schuldner, denn erst zum Leistungszeitpunkt wird der konkret erforderliche Betrag fixiert. Weitere Sonderregeln finden sich etwa für Löhne oder Gehälter.

204

Auch die Vertragsparteien können das Inflationsrisiko vertraglich regeln. Das geschieht in der Praxis durch Wertsicherungsklauseln, die Geldschulden wertbeständig machen sollen. Das ist vor allem bei auf lange Zeit angelegten Verträgen (in der Regel also: bei Dauerschuldverhältnissen) wichtig. Häufig nehmen Wertsicherungsklauseln auf bestimmte Preisindizes Bezug. Auch kann vereinbart werden, dass Geldschulden unter bestimmten Voraussetzungen angepasst werden sollen. Wertsicherungsklauseln sind nur innerhalb der gesetzlichen Grenzen zulässig.

205

Für den praktisch wichtigen Bereich der Wohnraummiete beinhaltet § 557b eine Sondervorschrift. Neben weiteren Sondergesetzen werden die Grenzen vor allem durch das Preisklauselgesetz (PrKG) vorgegeben. § 1 Abs. 1 PrKG beinhaltet ein grundsätzliches Verbot von Wertsicherungsklauseln für Geldschulden. Allerdings sieht das Gesetz in § 1 Abs. 2 und den §§ 2 ff zahlreiche Ausnahmen von diesem Verbot vor. Nach dem PrKG unwirksame Vereinbarungen sind nicht ex tunc unwirksam, sondern erst vom Zeitpunkt des rechtskräftig festgestellten Verstoßes an. Wenn Wertsicherungsklauseln zugleich AGB sind, gelten zusätzlich die §§ 305 ff.

 

206

Nicht immer ist das Risiko von Geldwertschwankungen gesetzlich oder vertraglich geregelt. Dann gilt der Grundsatz des (geldschuldrechtlichen) Nominalismus[41], den man schlagwortartig mit „Euro gleich Euro“ umschreiben kann. Der Grundsatz des Nominalismus besagt, dass der Euro als Währungseinheit grundsätzlich unabhängig von seiner Kaufmacht definiert wird und nominell gleichbleibt – trotz möglicher Geldwertschwankungen. Wenn im November 2019 eine Geldschuld in Höhe von 100 Euro begründet wurde, ist sie auch im Jahre 2029 in Höhe von 100 Euro zu erfüllen, und zwar auch dann, wenn 100 Euro im Jahre 2029 eine ganz andere Kaufkraft haben, als sie es 2019 hatten. Damit wird dem Geldgläubiger das Inflationsrisiko zugewiesen. Kommt es zur Inflation, profitiert der Schuldner; er trägt aber auch die Risiken der Deflation. Der Grundsatz des Nominalismus ist zwar nirgends explizit geregelt. Er wird aber von den gesetzlichen Bestimmungen über den Ausgleich von Inflationsrisiken und vor allem den im PrKG enthaltenen Grenzen für Wertsicherungsklauseln stillschweigend vorausgesetzt.[42] In eng begrenzten Ausnahmefällen kann der Grundsatz des Nominalismus eingeschränkt sein. Insbesondere kann im Einzelfall bei schwerer Äquivalenzstörung § 313 eingreifen.[43]

Im oben geschilderten Fall 18 kann V deshalb von M nicht etwa jeweils die Zahlung des Geldbetrags verlangen, dessen Kaufkraft mit dem bei Vertragsschluss vereinbarten Mietzins übereinstimmt. Die Parteien haben auch nicht nach Maßgabe der §§ 557 ff eine Erhöhung oder Anpassung der Miete vereinbart.

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