Tatort Nordsee

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Nach langem Überlegen ohne endgültige Lösung gingen August und Henrike zu Bett. Während Henrike schnell in süße Träume fiel, lag August noch lange wach und wälzte sich von einer Seite auf die andere. Mal schlief er ein, mal schlug er die Augen wieder auf. Einmal, im Halbschlaf, war es ihm, als habe er einen Knall gehört – dann hörte er aber doch nur den Wind in den blattlosen Baumkronen rauschen. Endlich übermannte ihn der Schlaf, und erst der Wecker holte ihn wieder in den anbrechenden, neuen Tag zurück.

8

Am nächsten Tag wollte sich August früh auf den Weg nach Norden machen. Er hatte den Getreidehänger noch abends hinter den 120er-Schlepper gehängt, Freerk hatte ihm dabei geholfen, was die Sache erheblich erleichtert hatte. Die Getreidepreise waren im Moment ganz passabel, sodass August sich entschlossen hatte, eines der Silos möglichst bald zu leeren. Besser wurde die Qualität des Korns bei längerer Lagerung schließlich nicht. Henrike hatte ihm noch allerlei Aufträge mitgegeben, die von zwei Kisten Wasser bis hin zu einigen Besorgungen im Supermarkt und schließlich zehn Brötchen beim Bäcker am Neuen Weg reichten.

»Hast du den Knall heut Nacht gehört? Hörte sich fast an wie ein Schuss …«, fragte August Henrike beiläufig, bevor er losfahren wollte.

»Ich habe geschlafen wie eine Bärin«, verneinte Henrike indirekt und fuhr fort: »Vergiss Tee und Kluntje nicht.«

»Nee, vergess ich nicht.« August entschied, dass er wohl geträumt haben musste.

Er hatte sich entschlossen, Peter Kümmel, der bei der Bezugs- und Absatzgenossenschaft arbeitete und den er sicher bei der Ablieferung und Auswiegung des Getreides dort treffen würde, nach dessen Schwager zu fragen, der seit vielen Jahren beim Amt für Küstenschutz tätig war. War das nicht der Redenius, von dem Wiard erzählt hatte? Der so sauer auf Wiard gewesen war, als dieser besoffen über den Deich gefaselt hatte? Klar, das musste ein und derselbe sein. Der wusste sicher etwas vom Deichbau, der Fast-Pleite des Konsortiums und den damit zusammenhängenden Geschichten und Gerüchten. Vielleicht hatte er deshalb auch so reagiert, da es sein Amt nicht im besten Licht erscheinen ließ. Da war die Reaktion erklärbar, nach viel Alkohol ohnehin, wenn August auch Gewalt in jeder Form ablehnte. Schließlich war das Amt in die Planung und Ausführung direkt eingebunden und hatte Aufsichtspflichten. Vielleicht hatten Peter oder dessen Schwager wenigstens einen Tipp, der Licht in die Sache brachte.

August setzte sich in die Kabine, startete den Motor, legte den ersten Straßengang ein und fuhr an. Doch sofort merkte er, dass etwas nicht stimmte. »Düfel!«, ging es ihm durch den Kopf, und er fühlte, was es war. Er stoppte sofort, stieg aus der Fahrerkabine aus und sah, was er schon vermutet hatte: Ein Reifen war platt. Einer der mächtigen Hinterreifen – wie konnte das sein?

»Bullshit!«, rief August (das hatte er von Freerk). Aber es war weit und breit niemand da, der ihn hätte hören können. Die Reifen waren doch so gut wie neu. Beim näheren Hinsehen begriff er schnell. Da war ein Loch, fast kreisrund. Angesichts des dicken Gummis war ein Schaden in dieser Form so gut wie unmöglich – da steckte eine gewaltige Kraft dahinter. Kleinkaliber, Jagdgewehr. »Scheiße, Scheiße, Scheiße!« Wer machte denn so etwas?! Und plötzlich fror es ihn ein wenig, ein kalter Schauer lief über seinen Rücken. Der Steinwurf durch Wiards Fenster, der zerschossene Reifen, der Knall in der Nacht. Von wegen Traum.

Die Fahrt nach Norden hatte sich einstweilen erledigt – hoffentlich blieben die Getreidepreise so, wie sie waren, wenigstens für ein paar Tage. Doch dann gingen Augusts Gedanken wieder in eine andere Richtung. Er starrte auf den Reifen (Was das kostet!), und der grauenvolle Gedanke schoss ihm in den Kopf, auch ihn könne demnächst ein Stein am Kopf treffen, oder, schlimmer, irgendetwas träfe Henrike oder eines der Kinder … Plötzlich wurde ihm schwindelig.

Oder war alles doch Zufall? Nein, hier hatte sich jemand an seinem Reifen zu schaffen gemacht, das war sonnenklar. Was war nur plötzlich hier los? August ließ den Trecker mit vollem Getreidehänger stehen, wo er war, und ging ins Haus. Er hatte die Schuhe noch nicht ausgezogen, als das Telefon klingelte. Er nahm ab, meldete sich mit Namen. Die hohe Stimme am anderen Ende der Leitung näselte nur:

»Dein Freund Wiard und du, ihr sollt mit dem Schnüffeln aufhören. Ist doch schade um den Reifen?« Klack. Aufgelegt.

August wurde kreidebleich im Gesicht, und Schweiß brach ihm aus. Er starrte auf das Telefon. Da stand es, stumm und schweigend, und hatte ihm doch gerade einen schweren Schlag versetzt. War das der Steinewerfer gewesen? Der Reifenschießer? August raffte sich auf, taumelte ins Wohnzimmer, setzte sich aufs Sofa und wusste nicht, was er denken oder tun sollte.

9

August hatte den Reifen ganz stiekum ersetzt.

»Dicker Hufeisennagel drin – nichts zu machen«, hatte er Henrike angelogen. Sie wusste zwar schon einiges, er wollte die Sache aber nicht auf seinen Hof kommen lassen, um zu verhindern, dass Henrike Panik bekam. Und doch musste er jetzt schleunigst etwas unternehmen. Wohin? Direkt zur Polizei? Der Reifen stand in der Scheune. Er würde ihn vielleicht erst Holger Janssen, dem Dorfpolizisten, zeigen müssen. Mal sehen, was der dazu meinte. Oder erst mit Wiard sprechen? Oder doch Henrike aufklären? Die würde glatt mitsamt der Kinder und Großeltern den Hof verlassen, bis geklärt war, wer hier nachts umging – das durfte doch nicht sein!

Was auch immer geschehen würde – er musste erst einmal mit Wiard sprechen, dem fiel immer etwas ein. Außerdem musste das Getreide aus den Silos raus, besser würde die Qualität mit dem Alter schließlich nicht (war ja kein schottischer Whisky, der hier lagerte). Mit neuem Reifen hatte er vor, nach Norden zu fahren, um dort bei der Raiffeisengenossenschaft seine Ladung abzuliefern und den Lohn für seine Erntearbeit einzustreichen. Kurze Zeit vergaß er den Ärger und die Furcht, die sich seiner bemächtigt hatten. Die Kabine war warm, der Sitz gut gefedert, die Elektronik in Ordnung und die Schalldämpfung erstaunlich. Es war ohne Weiteres möglich, in Ruhe Radio zu hören, stereo. Er liebte es, samstags nachmittags zu pflügen, da er dabei ungestört die Berichterstattung zur Fußball-Bundesliga hören konnte, von der Anfangsphase bis zur Schlusskonferenz. Und wenn dann noch der ›HSV‹ gewann … Konnte das Leben schöner sein? Aber da war er sich nicht einig mit Freerk, der stand auf ›Werder Bremen‹. Dann fielen ihm Wiards Fenster, der kaputt geschossene Reifen, der Deich und alles andere wieder ein, und seine Miene verfinsterte sich.

Der Trecker surrte ruhig dahin, und die Fahrt ging fast zu schnell vorbei, denn August dachte angestrengt nach. Er würde die Polizei einschalten müssen.

Er parkte gleich vorne, da offenbar auch andere auf die Idee gekommen waren, heute Getreide zu liefern. Es war eine Menge Betrieb. Schneller, als er erwartet hatte, lief ihm Peter Kümmel über den Weg.

»Moin, August, sag bloß, du hast immer noch Korn in deinen Silos?«, fragte dieser, als er August entdeckte.

»Sicher, und ich verkauf nur, wenn die Preise hoch sind.«

»Hast du doch gar nicht nötig bei den Subventionen, die ihr aus Brüssel kriegt«. Das Gesicht, das Kümmel bei dieser Aussage machte, verriet, dass er gespannt war, wie August auf diese Flanke reagieren würde.

August konterte: »Subventionen, lachhaft, und wenn, dann absolut notwendig, da nun mal der ganze Markt völlig aus dem Ruder gelaufen ist. Die Preise werden hier künstlich hochgehalten, dort künstlich gedrückt. Kann ich was dafür? Wir verdienen doch nichts mehr …«

»Schon gut, schon gut, reg dich nicht auf, August, weiß ich ja alles, aber übertreiben brauchst du nun auch nicht, denn dein Trecker sieht nicht so aus, als würdet ihr am Hungertuch nagen. Was soll’s, irgendwann wird sich das ändern müssen, kann ja nicht immer so weitergehen mit der verdrehten Politik … Aber unser neuer Landwirtschaftsminister ist wohl auch nicht so ’ne große Leuchte. Ach, manchmal kann einem schlecht werden … Heute ist viel los hier, wirst wohl ein bisschen warten müssen. Ich würde dir glatt eine Tasse Tee aus meiner Thermoskanne abgeben, aber nur, weil du es bist«, bot Kümmel an.

»Das ist nett, aber vielen Dank. Henrike hat mir so viele Erledigungen mit auf den Weg gegeben, dass die Zeit kaum reichen wird. Ich wollte mal eben in den Supermarkt, Kluntje und Tee sind alle«, lehnte August höflich ab.

»Oh, das ist schlimm, Kluntje und Tee alle …«, murmelte Peter ein wenig geistesabwesend, und man merkte ihm an, dass er das ›schlimm‹ ernst meinte.

»Kann ich den Schlepper hier stehen lassen?«, August zeigte zu seinem Deutz und machte sich schon auf den Weg Richtung Supermarkt.

»Ja, den lass da mal stehen, das geht wohl, stört nicht weiter. Lass doch den Schlüssel hier. Falls eine Lücke entsteht, fahr ich ihn schon mal auf die Waage.«

»Um dann gleich ein paar Zentner abzuziehen, oder wie?«, grinste August. »Nee, gute Idee, hier ist der Schlüssel. Ach, da fällt mir noch ein, dein Schwager, der ist doch beim Bauamt beschäftigt?«

»Beim Amt für Küstenschutz, das ist was anderes. Die einen passen auf, dass die Deiche halten, die anderen, dass keiner einen Schuppen in seinem Garten baut, der nicht genehmigt ist. Warum fragst du?«

»Hat er was mit dem Deichbau bei uns im Polder zu tun gehabt, im Sommer?«

»Ja, sicher. Er sagte immer, der Bau dieses Deichabschnittes, das sei Sache seines Chefs. Er selbst zählt sich auch zu den Führungskräften, aber hier verweist er gerne auf seinen Vorgesetzten. Im September war er da, sollte irgendetwas prüfen, er hat es mal erwähnt, aber nichts Näheres dazu gesagt. Irgendjemand hatte behauptet, dass der Deich an einigen Stellen nicht dicht sei, oder so. Georg meinte jedenfalls, dass alles in Ordnung wäre.«

 

»Wie heißt er noch mit Nachnamen?«

»Redenius, Georg Redenius.« Kümmel rief einem anderen Schlepperfahrer zu, er solle weiter nach links fahren.

»Kannst du mir seine Nummer geben?«

»Sicher, was willst du von ihm?«

»Hm, nur so. Mich interessiert der Deich natürlich, schließlich sitzen wir direkt dahinter, er schützt unseren Polder, da will ich nur nach ein paar Einzelheiten fragen, mehr nicht. Auch Zuständigkeiten und so. Du weißt ja, heutzutage darf man den Deich nicht mehr betreten, wegen Naturschutzbestimmungen. Da wollte ich mal fragen, ob es Ausnahmen für diejenigen gibt, die direkt dahinter wohnen.« August war froh, diese Begründung gefunden zu haben, und hoffte, dass sie ausreichend sein würde.

»Kannste getrost vergessen«, wehrte Peter Kümmel ab, »die Vorschriften sind so scharf, dass du da auch nicht draufkämst, wenn du direkt am Deichfuß leben würdest und jeden Morgen über den Deich zur Arbeit laufen müsstest. Das hat mir Schorsch, also der Georg, schon öfter verklickert. Wenn du bei schönem Wetter mit ’nem Paddelboot über die Bucht fährst und auf ’ner Sandbank aussteigst, darfst du gleich blechen, wenn sie dich erwischen. So ist das jetzt auch auf dem Deich, jedenfalls in dem Abschnitt bei euch. Mensch Junge, die Staatskassen sind leer, da muss man neue Einnahmequellen schaffen. Ist doch eine gute Idee, Geld fürs Spazierengehen und Bootfahren zu kassieren. Lass man, unsere Politiker sind gar nicht so unkreativ, wie manche sagen. Demnächst kommt die Kneipenbesuchssteuer oder die Kartenspielsteuer. Verlass dich drauf!«

»Mach wohl sein. Ist doch alles nix, holl mi up. Aber an der Ostkrümmung, da muss das nun wirklich nicht sein«, rutschte August heraus.

»Richtig, von der Ostkrümmung sprach er«, pflichtete Peter ihm bei, ohne zu merken, dass August mehr gesagt hatte, als er eigentlich wollte. Der Betrieb nahm zu.

»Du, ich muss hier mal wieder ein bisschen meiner Tätigkeit nachgehen«, meinte Peter Kümmel.

»Ich muss auch los, ein Wagen ist schon wieder durch. Bis gleich«, rief er noch und machte sich auf den Weg, Kluntje zu kaufen. Indes ging das Wiegen der Getreidehänger weiter, August wusste seinen Wagen bei Peter Kümmel in guten Händen, und wenn die Schlange im Supermarkt nicht allzu lang wäre, würde er rechtzeitig zurück sein.

10

August wählte die Nummer, die er von Peter Kümmel erhalten hatte, noch am selben Abend. Am anderen Ende der Leitung meldetet sich eine Stimme: »Redenius«.

»Moin, August Saathoff hier, ich habe Ihre Nummer von Ihrem Schwager Peter, den ich gut kenne«, stellte sich August vor.

»Ja, Moin, Ihren Namen kenne ich auch«, antwortete Redenius. »Peter hat mir schon öfter von Ihnen und Ihrem Hof erzählt.«

»Ich habe ein paar Fragen zum Deich.«

»Zum Deich?«, kam es zurück, und August meinte, plötzlich aufkommende Unsicherheit auf der anderen Seite zu verspüren.

»Ja, zum Deich, dem neuen Deich, der neulich erst fertiggestellt wurde.«

»Nun?«

»Ja«, fing August an und bemerkte in diesem Augenblick, dass er zwar viel über die Sache nachgedacht, aber sich keine guten Fragen zurechtgelegt hatte. Das war ausgesprochen dumm gewesen. Nun war es zu spät, jetzt musste er etwas sagen, wollte aber auch nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen.

»Ja, also, wie ist das mit dem Begehens-, nee, Betretungsverbot, ich meine, wegen der Naturschutzbestimmungen, an wen muss ich mich da wenden? Ich dachte, Sie wissen das vielleicht?« August ging durch den Kopf, wenn er das Gespräch so einleitete, würde es zumindest mit dem übereinstimmen, was er Peter Kümmel erzählt hatte.

»Ach so, das Begehensverbot«, kam es aus dem Hörer zurück, und jetzt hatte August den Eindruck, bei seinem Gesprächspartner ein wenig Erleichterung zu verspüren. »Also, das ist absolut zu sehen. Keine Begehung des Deiches, für niemanden. Sehen Sie, Ausnahmen können wir nun mal nicht machen. Dann kommen die Leute, die nicht dürfen, und wollen auch.«

Ganz der Amtmann, dachte August.

»Auch nicht für uns hier, die Einwohner, sozusagen?«

»Leider auch nicht für die«, Redenius hielt sich weiter kurz.

»Aber es muss doch Ausnahmen geben, zumindest zeitweise, zum Beispiel im Herbst oder Winter.«

»Nein, die gibt es nicht. Die Strafen, die gezahlt werden müssen, wenn man den Deich oder gar die Salzwiesen im Deichvorland betritt, jedenfalls an den gesperrten Stellen, sind sogar ziemlich saftig«, meinte Redenius und fügte hinzu: »Ich würde es auf jeden Fall sein lassen. Es gibt eine neue Verordnung, wahrscheinlich blödsinnig, viel zu scharf, aber was soll man tun …«

»Aber Sie sind nicht der Zuständige für diese Fragen?«

»Nein, nicht direkt. Aber ich weiß Bescheid. Zuständig ist die Koordinierungsstelle im Bauamt, die mit allen Naturschutzfragen zu tun hat. Aber eigentlich kriegen die ihre Order auch nur von oben, ich denke, von der Nationalparkverwaltung, ja, und die unterstehen dem Umweltministerium.« Redenius gab sich jetzt sehr sicher.

»Uuh«, entfuhr es August, »das geht ja schnell nach oben.«

»Ja, so ist das mit unserer Bürokratie. Irgendeiner unten macht etwas, dann gibt es darüber einen, der das prüft und genehmigt, und darüber wieder einen, der die Genehmigung erneut prüft, und so weiter«, führte Redenius nicht ohne Selbstironie aus, denn er war einer, der oft genug das Geprüfte zu prüfen hatte.

»Ja, sicher, so ist das wohl …« August überlegte fieberhaft, wie er zu dem Thema überleiten könnte, das ihn eigentlich interessierte.

»Sagen Sie, Herr Redenius«, begann er unvermittelt, »ich habe gehört, während des Deichbaus habe es Unregelmäßigkeiten gegeben?« Es entstand eine kurze Pause.

»Ja, ja, da gab es mal ein Gerücht«, ging Redenius bereitwillig auf den Einwurf ein, »aber das hat sich schnell erledigt. Wir waren damals vor Ort, hatten aber eigentlich nicht viel zu melden, eine Sonderkommission hat das geprüft, und dann hat sich herausgestellt, dass alles in Ordnung war. Ein entsprechendes Gutachten ist erstellt und genehmigt worden – da sehen Sie, dass es immer etwas zu genehmigen gibt und daher all die Stellen notwendig sind.« Redenius entfuhr ein kurzer Lacher, der aber eher gequält klang. Irgendetwas anderes war mitgeschwungen, mit seinem Lachen, schoss es August durch den Kopf, aber er konnte nicht zuordnen, was es war.

»Und woher kam diese Sonderkommission?«

»Das hat ein Büro organisiert. Wie hieß das noch – etwas Englisches, muss ja alles auf Englisch sein heutzutage. ›Water Engineering Consult and …‹ irgend so etwas Englisches, hab’s im Moment vergessen. Die Sonderkommission ist irgendwie zusammengesetzt worden, ich weiß nicht, nach welchen Kriterien, so fünf, sechs Mann waren das, halt, eine Frau war auch dabei, die hieß Weiß. Ich habe mir das gemerkt, weil sie auch immer helle Sachen trug, was bei schlechtem Wetter am Deich nicht unbedingt eine gute Idee ist.« Redenius lachte wieder, aber wie vorhin ein wenig verkrampft. Außerdem hatte August den Eindruck, dass Redenius sehr wohl wusste, wie dieses Büro hieß.

»Und was waren das für Unregelmäßigkeiten?«

»Ach, an einer Stelle war der Baufirma wohl tatsächlich ein Fehler unterlaufen, da hatten sie die Kleischicht zu dünn gemacht. Hier und da Kleinigkeiten. Na ja, zu wenig Klei – zu viel Durchfeuchtung – ist ja klar, aber das war an einer Stelle, wie gesagt, an einer Stelle nur.« Redenius machte eine Pause, als müsse er nachdenken, was er sagen sollte. Dann fuhr er fort: »Hier und da noch ein paar Schlampigkeiten – wohl etwas schnell gearbeitet und dabei nicht immer an Qualität gedacht. Das hat irgendjemand gemeldet, dann hat das seinen ordnungsgemäßen Lauf genommen. Die Kommission hat, soweit ich mich erinnere, Auflagen gemacht, das Gutachten wurde abgesegnet, so schlimm war das alles nicht. Da wollte sich wohl jemand wichtig machen. Danach ist alles ganz normal weitergelaufen.«

»War das zu der Zeit, als die Pressemitteilungen über den drohenden Konkurs der Baufirma durch die Zeitungen gingen?«

»Ja, sicher, das war etwa gleichzeitig.« Wieder machte Redenius so eine kleine Pause, die August an dieser Stelle als seltsam empfand. Er meinte beinahe zu spüren, wie sein Gesprächspartner sich verspannte.

»Ach, Herr Saathoff«, jetzt klang Redenius so, als wolle er sichtlich Positives vermitteln, »da war auch viel Tamtam um nix. Vielleicht wollte da noch jemand einen draufsetzen, Sie wissen ja, wie die Medien heutzutage sich auf alles stürzen, was irgendwie ein bisschen nach Sensation oder Skandal riecht.«

»Haben Sie denn selbst gesehen, dass etwas mit dem Deich nicht stimmte?«

»Warum wollen Sie das alles so genau wissen?«, kam es etwas genervt zurück. »Sind Sie Deichrichter, oder was?«

August war ob der plötzlichen Gereiztheit verblüfft. »Schließlich wohne ich hier, der Deich schützt alles, was ich habe«, antwortete er und überlegte, ob das etwas zu pathetisch geklungen hatte.

»Hm«, kam als Antwort, dann eine kleine Pause. »Also, ja, doch, diese eine Stelle, die wir gesehen haben, die war wirklich schlecht gemacht. Die hätte bei einer ordentlichen Sturmflut schnell aufweichen können. Da waren wohl Leute am Werk, die das erste Mal im Leben einen Deich bauten. Die Baustelle war in Abschnitte unterteilt, das Konsortium war groß und hatte den Kuchen sozusagen je nach Beteiligung zugeschnitten. Ganz so glücklich ist das alles nicht gelaufen. Aber das wurde schnell entdeckt, und ich betone nochmals – diese eine Stelle, sonst nichts. Wir haben das ordnungsgemäß abgenommen, hat alles seine Richtigkeit, das kann ich Ihnen versichern«.

August bekam erneut den Eindruck, dass Redenius nicht alles sagte, was er wusste. »Na hoffentlich ist es auch richtig repariert worden.«

»Das denke ich doch, schließlich haben wir es – Herr Saathoff, ich sagte es doch schon – abgenommen.« Kleine Pause, dann setzte Redenius hinzu, als liege ihm besonders daran: »Dafür war ich aber eigentlich gar nicht verantwortlich. Das war mein Vorgesetzter.«

»Nicht, dass es noch mehr von diesen Stellen gibt.«

»Nein, nein, die Kommission hat sicher sorgfältig gearbeitet, die haben genau hingeguckt. Ich war vor Ort, aber, wie gesagt, nicht direkt dabei, also, mehr am Rande, verstehen Sie?«

»Ja, sicher. Aber – was schon unter Gras ist, sieht man nicht mehr. Wenn nun die Kommission Interesse daran gehabt hätte, dass der Deich nicht weiter untersucht wird, oder so, dass nichts Weiteres dabei ans Licht kommt?« August ärgerte sich über sich selbst, er ging vielleicht zu weit.

»Nein, also, das glaube ich nicht«, beeilte sich Georg Redenius zu versichern. »Es war auch einer von der übergeordneten Behörde vor Ort, der Dezernatsleiter … Nein, die Deichqualität ist die Aufgabe unseres Arbeitsgebietes hier in unserer Behörde. Uns obliegt die Qualitätsprüfung, wie bei Lidl oder Aldi«, wieder lachte er gequält, »aber der Dezernatsleiter, nee, der hätte das nie und nimmer mitgemacht.«

Meint der das ernst?, dachte August und stimmte dennoch zu: »Nein, wohl nicht.«

»Ja, das ist jetzt alles hundertprozentig, seien Sie ganz beruhigt«, fuhr Redenius fort, ohne dass August das erwartet hätte, »übrigens muss ich gleich weg, ich habe jetzt keine Zeit mehr, muss ich Ihnen leider sagen.«

»Natürlich, klar, ich will Sie auch nicht weiter aufhalten«, zögerte August nicht zu sagen, »ich wollte in erster Linie etwas zum Betretungsverbot wissen, aber, doch noch eine Frage. Der Dezernatsleiter, der in der Kommission war und und das von Seiten des Amtes abgenommen hat, kennen Sie den?«

»Na, Herr Saathoff, so groß ist unsere Behörde nun auch nicht. Selbstverständlich kenne ich ihn, er ist mein Chef.«

»Ach«, August lachte ebenso verkrampft wie sonst am anderen Ende der Leitung Redenius, und er ärgerte sich über seine dumme Frage. »Den werden sie dann wohl kennen, sie arbeiten direkt für ihn, also, ich sag mal, unter ihm, Sie wissen, wie ich das meine?«

»Noch, ja.«

»Wieso noch?«

»Mein Chef wird nächstes Jahr pensioniert.«

»Dann kommt ein neuer?«

»Es sieht so aus, dass ich dann seinen Stuhl übernehmen werde«, sagte Redenius, und diesmal, aber nur dieses eine Mal, schwang so etwas wie Genugtuung in seiner Stimme mit.