Spiegel

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Harald Winter

Spiegel

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

Impressum neobooks

Kapitel 1

„Stelle Spiegel gegenüberliegend auf. Du kannst zwei davon nehmen, aber besser wären vier. Vor, hinter und jeweils rechts und links von dir. Dann setze dich dazwischen auf den Boden und sieh dir an, was geschieht.“ Warum nicht? Spiegel hatte ich genug, um die Idee in der größten Ausbaustufe zu verwirklichen. Wie wir auf das Thema zu sprechen gekommen sind, weiß ich nicht mehr. Es hatte wohl etwas mit unheimlichen Phänomenen zu tun. Im Grunde weiß jeder, dass gegenüberliegende Spiegel eine Art unendliches Spiegelbild erzeugen. Etwas das sich immer und immer wieder in sich selbst wiederholt. Bis zur Unendlichkeit. Aber nicht jeder probiert es auch tatsächlich aus und sieht sich den Effekt selbst an. Mir war danach, also tat ich es. Vier Spiegel von ihrem angestammten Platz zu entfernen stellte mich vor keine allzu große Herausforderung. Rasch fand ich mich, auf dem Boden sitzend zwischen vier dieser Objekte wieder. Der spannende Teil der Übung konnte beginnen. Ich konzentrierte mich auf den ersten Spiegel und obwohl mir vollkommen klar war, was ich sehen würde, faszinierte es mich dennoch. Ich sah mich. Und mich. Und wieder mich. Eine unendliche Reihe von mir. Kleiner und kleiner werdend, bis nur noch ein Punkt übrig blieb. Begrenzt wurden meine Ichs von etwas, das wie ein sich verengender Tunnel aussah. Je nachdem, wie ich mich bewegte, verschoben sich die Spiegelbilder meiner selbst, oder auch der ganze Tunnel.

Ich verbrachte einige Zeit damit, die Perspektive zu ändern und reihum in jeden einzelnen Spiegel zu sehen. Als ich davon genug hatte, blieb ich still sitzen und starrte konzentriert auf einen der Tunnel. Zuerst zählte ich noch die Wiederholungen der Szene, aber irgendwann verloren sich die Zahlen in der Leere, die meinen Kopf auszufüllen begann. Ich sah nur noch mich, wie ich mich anstarrte und Versionen von mir, die mich und andere Ichs anstarrten. Die Zeit verging. Langsam wurde es dunkler im Raum und der Tunnel im Spiegel wurde düsterer. Ich konnte mich nicht davon lösen. Wie ein hypnotisiertes Kaninchen verharrte ich in absoluter Starre. Bis ich mich mit einem Mal unwohl fühlte. Ich glaubte etwas gesehen zu haben, das nicht ins Bild passte. Das nicht dorthin gehörte. Die Leere in meinem Kopf füllte sich mit der Suche nach der Ursache.

Ich konzentrierte mich wieder auf das was ich sah, statt es einfach nur aufzunehmen. Da sah ich es wieder. Eine Bewegung, weit hinten im Tunnel. Dort wo die Dinge klein waren. Aber egal die wievielte Wiederholung der Szene es war; wenn ich mich nicht bewegte, durfte sich auch dort nichts bewegen. Ich war allein. Nicht mal eine Fliege war im Raum. Also sollte alles was die Spiegel immer wieder zurückwarfen statisch sein. Ich beugte mich vor und alle anderen Ichs, die den Tunnel ausfüllten, taten es mir gleich. Natürlich half es nicht, näher heran zu gehen. Das winzige Abbild der Spiegelung, mit der etwas nicht stimmte, wurde kaum größer. Nur meine Reflexion im Rahmen nahm etwas mehr Raum ein. Dort hinten im Tunnel wurde als der dunkle Punkt etwas größer. Dann bewegte er sich. Aber ich bewegte mich nicht. Ich war sicher, dass ich mich getäuscht hatte. Vielleicht hatten mir auch meine Augen einen Streich gespielt, nachdem ich zu lange angestrengt auf einen Punkt gestarrt hatte. Ich blinzelte, schloss mehrmals die Augen und lehnte mich ein Stück weit zurück.

Nach einer kurzen Pause fixierte ich wieder den verdächtigen Bereich der verschachtelten Spiegelbilder. Wieder bewegte sich dort etwas. Dieses Mal konnte ich sehen, dass das Abbild von mir, das sich nicht an die Regeln hielt, sich auch in meine Richtung bewegte. Der Punkt war in den nächsten Rahmen übergetreten. Ungläubig beobachtete ich, wie sich die Bewegung in regelmäßigen Abständen wiederholte. Jedes Mal in einem Spiegelbild, das weiter vorne im Tunnel lag. Etwas kam auf mich zu. Völlig absurd und unmöglich, aber es geschah. Instinktiv rückte ich ein Stück weit von dem Spiegel mir gegenüber ab, aber das änderte nicht das Geringste an der Situation. Der Tunnel in den ich starrte, verschob sich ein wenig. Das war alles. Der Punkt der auf mich zukam hatte sich mittlerweile in ein klar erkennbares, wenn auch kleines Abbild von mir selbst verwandelt. Ich kroch auf mich zu. Meine Verblüffung verwandelte sich in Angst und schließlich in Panik. Wie von der Tarantel gestochen, sprang ich auf und stürmte aus dem Raum. Die Tür schloss ich hinter mir und vergewisserte mich mehrmals, dass sie auch wirklich zu war. Die Logik sagte mir zwar, dass wenn ich mich nicht mehr zwischen den Spiegeln befand, ich auch nicht mehr auf mich selbst zukommen konnte, aber an Logik glaubte ich im Moment nicht mehr. Die Stimme der Vernunft flüsterte mir zu, dass ich dort drinnen einer seltsamen Halluzination erlegen war, aber der Gedanke beruhigte mich nicht im Geringsten. Wie ein Fremder im eigenen Haus schlich ich ins Schlafzimmer. Auch dort schloss ich die Tür hinter mir und drehte einem Impuls folgend zwei Mal den Schlüssel herum.

Ich ließ mich aufs Bett fallen und schloss die Augen. Gleich darauf riss ich sie wieder auf. Die Angst vor etwas Imaginärem, das sich in das Zimmer schleichen mochte, während ich nicht hinsah, war einfach zu groß. Ich stellte mich auf eine schlaflose Nacht ein und fürchtete mich vor dem Moment, in dem ich zur Toilette musste. Ich fühlte mich in die Kindheit zurück versetzt. Egal wie sehr ich mir selbst einredete, dass ich ein erwachsener Mann war. Ich starrte an die Decke und dachte nach. Lautlos diskutierte ich mit mir selbst. Die Vernunft stritt mit dem Instinkt. So lange, bis ich bereit war, aufzustehen und zu den Spiegeln zurückzukehren. Nur um zu beweisen, dass es dort nichts Gefährliches gab. Nur meine eigene übersteigerte Phantasie. Ich schwang die Beine aus dem Bett, atmete tief durch und hievte mich hoch. Nachdem ich ein paar Mal tief durchgeatmet hatte, war ich bereit. Ohne zu zögern schloss ich die Tür auf und trat auf den Gang hinaus.

Nichts erwartete mich. Keine bösartige Kreatur sprang mich plötzlich an und verschlang mich mit Haut und Haaren. Wie war ich bloß auf all diese kindischen Gedanken gekommen? Dinge, die aus einem Spiegelbild verschwanden, um in der realen Welt aufzutauchen. Völliger Unsinn. Ohne zu zögern machte ich mich auf den Weg zu dem Raum, den ich für mein Experiment benutzt hatte. Eigentlich nur eine etwas größere Abstellkammer, für die ich nie eine dauerhafte Verwendung gefunden hatte. All das Zeug, von dem ich das meiste längst vergessen hatte sammelte sich im Keller. Hier oben, über der Erde, bewahrte ich nur das Notwendigste auf. Nachdem ich die Treppe überwunden hatte, musste ich nur noch wenige Schritte zurücklegen. Mein Haus war nicht groß, schließlich war ich kein Schauspieler oder Rockstar, aber mir genügte es vollkommen. Immerhin hatte ich genügend Platz, um nächtliche Experimente mit Spiegeln durchzuführen, ohne dabei Möbelstücke verrücken zu müssen. Ich blieb stehen und legte die Hand auf den Türgriff. Einen Moment lang lauschte ich auf verdächtige Geräusche, hörte nichts und schalt mich einen Narren. Dann drückte ich die Klinke hinunter und schob die Tür auf. Ich konnte nicht verhindern, dass ein kalter Schauer meinen Rücken hinab rann, aber ich hatte mich wieder im Griff, bevor ich zusammen zucken konnte. Als ich eintrat, war ich wieder vollkommen ruhig.

Ich betrat einfach nur einen Raum, der sich durch nichts von all den anderen im Haus unterschied. Das redete ich mir ein. Erfolgreich. Draußen war es immer noch dunkel, also tastete ich nach dem Lichtschalter. Die einsame, uralte Glühbirne, die an offen liegenden Kabeln von der Decke hing, erwachte zum Leben und tauchte den Raum in warmes, aber schwaches Licht. Gerade stark genug, um die Konturen aller Gegenstände hervorzuheben und den Rest in einer Art von Zwielicht verschwimmen zu lassen. Die richtige Atmosphäre für das, was ich hier getan hatte. Séancen, Gläserrücken. Was immer sie wollen. Hier ist der Ort dafür. Ich grinste. Vielleicht sollte ich den Raum an Spinner aus der Nachbarschaft vermieten, die an dieses Zeug glaubten. Die Spiegel standen noch genau so, wie ich sie für meine eigene kleine Verrücktheit aufgebaut hatte. Auch sonst hatte sich nichts verändert und hier drinnen gab es auch keine Verstecke in denen sich Monster oder anderes Gesindel verbergen konnten. Eigentlich war das alles, was ich hatte überprüfen wollen. Nur um sicher zu gehen.

Ich wandte mich zum Gehen, aber die Neugierde hielt mich zurück. Einmal noch zwischen die Spiegel setzen. Noch einmal hinein starren. Nachsehen, ob die Halluzination, oder was immer aus auch war, erneut einsetzte. Ich trat zwischen die Spiegel und ließ mich auf den Boden sinken. Sofort war der Tunnel aus immer gleichen Welten, die kleiner und kleiner wurden, wieder da. Ich konzentrierte mich und suchte nach dem Abbild der Realität, in dem ein Detail fehlte. Zu meinem Leidwesen fand ich es schneller, als ich es mir gewünscht hatte. Erschrocken fuhr ich zurück. Es war keines der weit entfernten, stark verkleinerten Spiegelbilder, in denen etwas fehlte. Mein Ebenbild war nicht dort verschwunden, wo ich zuerst gesucht hatte. “Scheisse” entfuhr es mir. In jedem der unendlich vielen Bilder sah ich mich selbst. Nur nicht am Anfang des Tunnels in den ich starrte. Das erste Spiegelbild, das größte von allen, zeigte mir einen leeren Raum. Ich hob die Hand und winkte. Unzählige folgten mir. Im vordersten Bild änderte sich nicht das Geringste. Was ich da sah war vollkommen unmöglich, aber es widerstand meinem krampfhaften Blinzeln. Ich rieb mir die Augen. Schüttelte den Kopf. Nichts. Mein Ebenbild war einfach nicht da, wo es hätte sein sollen. Ich hielt es keine Sekunde mehr in meiner sitzenden Haltung aus und sprang auf die Beine. Mit mir erhoben sich unendlich viele andere. Dennoch war es einer zu wenig. Was zum Teufel stimmt hier nicht? Meine Gedanken rasten, aber sie fanden kein Ziel. Es gab keine Erklärung. Zumindest keine, die mir gefiel. Vielleicht hatte ich den Verstand verloren. Vielleicht war auch etwas mit meinen Augen nicht in Ordnung. Und dann war da noch die Möglichkeit, dass sich eines meiner Ebenbilder aus der Spiegelwelt davongestohlen hatte. Wohin? Nervös drehte ich mich langsam um die eigene Achse und ließ den Blick durch den Raum wandern. Obwohl es hier kaum einen Ort gab, an dem sich jemand hätte verstecken können, erwartete ich doch, jeden Moment eine verdächtige Bewegung zu sehen.

 

Nichts. Ich war allein. Jedenfalls hier drinnen. Die Stimme der Vernunft flüsterte mir beständig zu, dass das auch im Rest des Hauses nicht anders war, aber sie wurde leiser. Ich dachte darüber nach, mich in diesem Raum einzuschließen und abzuwarten. Natürlich war das keine endgültige Lösung, wenn ich nicht vor hatte lieber an Hunger und Durst zu sterben, statt mich draussen wer weiß was zu stellen. Aber es würde reichen, die Zeit zu überbrücken, bis es wieder hell wurde. Bis zum Sonnenaufgang waren es nur noch knapp zwei Stunden und bei Licht sah alles weniger bedrohlich aus. Mit schnellen Schritten ging ich zur Tür hinüber und streckte die Hand nach dem Schlüssel aus, der zu meinem Glück auf dieser Seite steckte. Zitternd drehte ich ihn herum. Das metallene Klicken beruhigte mich ein Wenig. Könnte es nicht sein, dass etwas, das aus einem Spiegel entkommen kann, auch einfach… Ich brachte die Stimme in meinem Kopf zum Schweigen und schob den Gedanken beiseite. Alles würde nur noch schlimmer werden, wenn ich mich vollends verrückt machen ließ. Rückwärts gehend, die Tür immer im Blick, zog ich mich auf die andere Seite des Raums zurück und atmete mehrere Male tief ein und aus. Als meine Hände aufhörten auf zu zittern, ließ ich mich langsam an der Wand entlang zu Boden sinken.

Hier wollte ich sitzen und die Tür nicht aus den Augen lassen, bis die Sonne aufging. Erst dann würde ich nach draussen gehen und jeden Winkel des Hauses durchstöbern. Bis ich sicher war, dass nirgendwo etwas lauerte, das dort nicht hin gehörte. Die Zeit verging langsam. Zäh wie Sirup. Immer wieder sah ich auf die Uhr, deren Zeiger sich kaum zu bewegen schienen. Ich hatte ja schon einige Nächte erlebt, die einfach nicht enden wollten, aber diese verdiente sich einen Platz ganz weit oben in der Liste. Leider konnte ich absolut gar nichts tun, um mich abzulenken. Gefangen in einem beinahe leeren Raum, dessen Tür ich nicht aus den Augen lassen wollte, schrumpften die Optionen zum Zeitvertreib auf ein Minimum zusammen. Also konnte ich nur hier sitzen und meinen Gedanken nachhängen, bis es hell wurde. Leider blieb es nicht dabei.

Ich hörte ein Geräusch. Draussen hinter der Tür. Schritte. Ich fuhr hoch und presste den Rücken gegen die Wand. Nur zu gerne wäre ich darin verschwunden. Ich legte den Kopf schief und lauschte. Die Schritte kamen nicht näher, wie ich befürchtet hatte. Wer immer in meinem Haus herumschlich entfernte sich von mir. Die Geräusche wurden leiser und schon nach kurzer Zeit konnte ich nichts mehr hören. Außer meinen eignen, hektischen Atemzügen. Mein Herz raste, als wollte es meinen Brustkorb sprengen und meine Hände hatten zu schwitzen begonnen. Ich hatte keine Haustiere und auch keinen Untermieter, also sollte sich in diesem Haus absolut nichts bewegen. Ausser mir. So leise, wie es mir möglich war, schlich ich zur Tür hinüber und legte das Ohr an das harte Holz. Nichts. Nur das Rauschen meines eigenen Blutes. Hatte ich mir die Schritte nur eingebildet? Oder war der, der sie verursacht hatte nach oben gegangen, wo ich ihn nicht mehr hören konnte? Vorsichtig ließ ich mich zu Boden sinken. Es war vollkommen egal, wo ich saß und an diesem Platz würde ich wenigstens unmittelbar mitbekommen, wenn jemand versuchte zu mir zu gelangen. Ich ballte die Hände zu Fäusten und kämpfte gegen das Zittern an. Wärst du mutiger, dann würdest du jetzt da hinaus gehen. Aber ich war nicht mutig. War ich nie gewesen. Ich schätzte die Sicherheit einer modernen, westlichen Gesellschaft. Die Meisten mussten niemals im Leben echten Mut beweisend wenn sie es nicht wollten. Zu genau jenen hatte ich mich immer gerne gezählt. Leider war es damit nun vorbei. Wenn ich nicht verrückt geworden war und mir meine Einbildung eine ganze Reihe von absurden Streichen spielte, dann schlich ein Eindringling durch mein Haus, den es nicht geben durfte. Jemand aus einer Welt hinter den Spiegeln. Ein Abbild von mir selbst.

Ich stützte den Kopf in die Hände und seufzte. Ich bekam Kopfschmerzen, wenn ich darüber nachdachte. Minuten vergingen, die endlich zu Stunden wurden. Schließlich wich die Dunkelheit vor dem kleinen Fenster dem Zwielicht des frühen Morgens, in dem nur verschiedene Grau-Töne zu existieren schienen. Ich stand schwerfällig auf, ging zum Fenster hinüber und sah hinaus auf die Bäume hinter meinem Haus. Zum ersten Mal in meinem Leben bereute ich die Entscheidung, mich in einer Gegend niedergelassen zu haben, in der kaum etwas den nächtlichen Frieden störte. Die nächste Straßenlaterne war weit genug entfernt und hinter ausreichend Blattwerk verborgen, so dass kaum etwas von ihrem Licht bis hierher vordrang. Natürlich hatte ich Nachbarn. Nicht einmal wenige in der unmittelbaren Umgebung, aber hier draussen lebten die meisten Leute noch so wie früher. Wenn es Dunkel wurde, dann zogen sie sich in ihre Häuser zurück. Als wäre die Nacht immer noch voller Gefahren, die man erst bemerkte, wenn es zu spät war. Am Anfang hatte ich das seltsam und ein klein Wenig charmant gefunden. Dann hatte ich mich daran gewöhnt. Jetzt wo ich hier in diesem Raum festsaß, weil ich mich vor dem fürchtete, was in meinem eigenen Haus geschah, verstand ich es plötzlich. Die Dunkelheit war kein Freund. Meistens war sie neutral und kümmerte sich nicht um die Menschen, aber sie konnte ein Feind werden. Ein Mantel unter dem sich böse Dinge verbergen konnten. Ich stand am Fenster und wartete darauf, dass die Farben in die Welt zurückkehrten. Schließlich geschah es. Das gelbe, warme Licht der aufgehenden Sonne strich wie ein Pinsel über die Landschaft und vertrieb das allgegenwärtige Grau. Ich öffnete das Fenster und nahm einen tiefen Atemzug. Die klare, kühle Morgenluft strömte in meine Lungen und verlieh mir neuen Mut. Noch einen Moment lang sah ich gedankenverloren hinaus. Dann wandte ich mich um und ging mit raschen Schritten zu der Tür hinüber, die mir trügerischen Schutz vor dem geboten hatte, was dahinter auf mich warten mochte.

Ich hatte das Haus durchsucht. Von oben bis unten. Jeden einzelnen Raum. Jeden Winkel. Nichts. Nur das, was schon immer da gewesen war. Keine Geräusche, keine Schritte, keine finstere Gestalt, die sich versteckte, um urplötzlich über mich herzufallen. Immer mehr war ich geneigt zu glauben, dass ich mir alles nur eingebildet hatte. Nicht dass das nicht auch ein Grund war, mir Sorgen zu machen. Dennoch fühlte ich mich leichter; von einem gewaltigen Gewicht befreit. Alles war in Ordnung. Es gab keinen Eindringling in meinem Haus. So wie es sein sollte. Ich ließ mich für einen Moment auf der Treppe, die zum oberen Geschoss führte nieder und stützten den Kopf auf die Hände. Hatte ich mir alles nur eingebildet, oder versuchte ich mir das nun einzureden, weil ich keinen Beweis dafür gefunden hatte, dass etwas ganz und gar nicht stimmte? Das Einzige, was ich tun konnte, war mich wieder zwischen die Spiegel zu setzen und nachzusehen. Aber was würde das beweisen? Wenn irgendetwas mit meiner Wahrnehmung nicht stimmte, oder ich zumindest zum Teil verrückt geworden war, dann würde ich wieder all das sehen, was ich gesehen hatte, ohne dass wirklich jemand oder etwas aus der Spiegelwelt entkam.

Ich rieb mir die Augen. Jedenfalls sollte ich einen Termin beim Arzt vereinbaren. Nur um sicher zu gehen, dass ich keinen Gehirntumor hatte. Ich machte eine geistige Notiz, stand auf und ging nach oben, ins Badezimmer. Ich trat vor das Waschbecken, beugte mich hinab und gab dem dringenden Bedürfnis nach, mir kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen. Vielleicht half es dabei, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Als ich fertig war, richtete ich mich wieder auf und sah in den Spiegel, der über dem Becken hing. In meinem Kopf schien etwas zu explodieren. Ich zuckte zusammen und fuhr herum. Ich hatte nicht nur mich gesehen. Da war jemand hinter mir gewesen. Jemand der genauso aussah wie ich. Meine abwehrbereit erhobenen Arme sanken wieder hinunter. Da war niemand. Das Bad war leer. Weiße, nicht ganz saubere Fliesen. Eine verglaste Duschkabine und ein schmaler Schrank. Sonst nichts. Mich gab es hier drinnen nur einmal. Ich schloss die Augen, atmete einige Male tief durch und drehte mich wieder um. Erst als die Drehung vollendet war, öffnete ich die Lider und wünschte mir sofort, es nicht getan zu haben. Da war er wieder, der Andere, der aussah wie ich. Ich musste alle Reste meiner Selbstbeherrschung zusammenkratzen, um nicht erneut herumzufahren. Stattdessen starrte ich das Gesicht des Mannes an, der wenn man dem Spiegel glaubte, nicht mehr als eine Armeslänge entfernt schräg hinter mir stand. Seine Züge waren völlig ausdruckslos, aber es waren unverkennbar meine eigenen.

Nach kurzer Zeit begann ich am ganzen Körper zu zittern. Immer mehr musste ich gegen den Impuls ankämpfen, mich herumzudrehen. Aber dann würde ich den Anderen nicht mehr sehen. Und ich wollte ihn nicht aus den Augen lassen. Also starrte ich ihn weiter an. Sein Gesicht, das bar jeder Mimik zu sein schien und seine Augen, die vollkommen leer waren. Dann, plötzlich, verzogen sich seine Lippen zu einem schiefen Lächeln, das keinerlei Freundlichkeit vermittelte. Das Lächeln blieb auf die Lippen begrenzt. Das war zu viel. Ich hielt es nicht mehr aus, fuhr herum und stürmte aus dem Raum. Hinter mir krachte die Tür, die ich mit ganzer Kraft zugeworfen hatte ins Schloss. Sie ließ sich nur von Innen verriegeln, also musste ich auf diesen Akt der zusätzlichen, trügerischen Sicherheit verzichten. Schwer atmend stand ich in dem kurzen Gang, der die Räume im oberen Geschoss verband. Was verdammt nochmal soll ich jetzt tun? Ich begriff nicht, was hier in meinem eigenen Haus vor sich ging. Wenn ich jede Vernunft außer Acht ließ, dann hatte sich mein Spiegelbild befreit, schlich bei Nacht umher und zog sich bei Tag zurück, um in anderen Spiegeln aufzutauchen. Mit einer Prise Realismus vermengt, löste sich alles auf und nur ein psychisches Problem blieb als Erklärung übrig. Was es auch war, ich musste es in den Griff bekommen. Sonst blieb jeder Raum, in dem ein Spiegel hing tabu und bei Nacht musste ich mich einschließen, um nicht auf etwas zu treffen, an das ich nicht glauben wollte.

Noch immer bibbernd, als wäre es eisig kalt, ging ich nach unten, nahm den Autoschlüssel aus der Schale neben der Eingangstür und verließ das Haus. In dem selben Klamotten, die ich seit gestern trug, unrasiert und verschwitzt. Abe das spielte keine Rolle. Als ich draußen war und die frische Luft des noch jungen Tages atmete, beruhigte ich mich ein Wenig. Der Wahnsinn war im Haus zurückgeblieben. Langsam ging ich über den Kiesweg, der meinen kleinen Garten durchschnitt. Eine saubere Linie, die durch das Dickicht aus Bäumen, Büschen und hohem Gras führte. Ich hatte es natürlich haben wollen und es war mir gelungen. Es machte auch weniger Arbeit, den Nachbarn keinen englischen Rasen und in seltsame Formen geschnittene Gewächse präsentieren zu müssen. Nach ein paar Schritten erreichte ich die Straße, wo mein in die Jahre gekommener Ford parkte. Ich öffnete die Tür, ließ mich in den Sitz fallen und steckte den Schlüssel ins Zündschloss. Dann sah ich in Rückspiegel, wie immer, bevor ich losfuhr. Meine Hände verkrampften sich. Ich hielt das Lenkrad so fest umklammert, dass die Knöchel weiß hervortraten. Auf der Rückbank saß… ich. Es war mein eigenes Gesicht, das mich aus dem Rückspiegel kalt anlächelte. Ich fuhr herum, obwohl ich wusste, was dann geschehen würde. Und ich hatte recht. Dort hinten im Fond war niemand. Langsam wandte ich mich wieder um. Die Augen hatte ich geschlossen. Ich wartete einen Moment und atmete tief durch, bevor ich sie wieder öffnete, um erneut in den Rückspiegel zu sehen. Diesmal war da genau das, was dort auch sein sollte. Nichts. Ich schüttelte den Kopf und startete den Wagen. Mit quietschenden Reifen fuhr ich los.

 
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