Himmel

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„Köstlich! Köstlich!“ sagte eine vertraute Stimme. „Ich sehe immer wieder gern dabei zu. Könnte den ganzen Tag lang nichts anderes machen.“ Bin ich... Jonathan begriff, dass er entgegen jeder Logik noch am Leben war. Und nur wenige Schritte von ihm entfernt stand dieser verdammte Kerl, dessen Füße knapp über dem Boden schwebten. Er ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass er etwas Besonderes war. Wenigstens wirst du nicht von einem Durchschnittstypen verspottet. Jonathan sah sich selbst, die Hände fest um den Hals des fetten Kerls gekrümmt, dem langsam die Luft ausging. Eine durchaus verlockende Vorstellung, die sich aber nicht in die Tat umsetzen ließ. Zumindest so lange er geschwächt war. Danach aber... „Wenn du dich stark genug fühlst darfst du es gerne versuchen“ sagte der Glatzkopf dessen Gesichtsausdruck sich von einem Moment auf den anderen drastisch verändert hatte. Er sah plötzlich beinahe bedrohlich aus und in seinen Augen blitzte etwas das Jonathan schaudern ließ. Erst jetzt begriff er, dass er es möglicherweise nicht mit einem etwas verschrobenen harmlosen Mann zu tun hatte. Vielleicht war er nicht einmal ein Mann. In einer Umgebung, die wahrscheinlich seiner eigenen Fantasie entsprang war schließlich alles möglich. Er fragte sich, ob ihm irgend etwas hier wirklich gefährlich werden konnte? Was, wenn er hier starb? Warum endete jeder Traum vom Fallen vor dem Aufprall? Was verbarg sich hinter diesem Moment? Endete das Leben, wenn der Traum jäh mit dem Aufprall abbrach? Jonathan setzte sich auf und wartete darauf, dass der Schock seines Absturzes nachließ und der Schmerz durch seine Glieder schoss. Aber es geschah nichts. Er richtete sich auf wie tausende Male zuvor und saß. Nichts weiter. Aufmerksam sah er an sich herab und ließ den Blick über den eigenen Körper schweifen, als hätte er ihn noch nie zuvor gesehen. Die Kleidung sah nicht anders aus als vor dem Absturz und seine Haut war unversehrt. Manche Menschen sahen schlimmer aus, nachdem sie einfach nur aus dem Bett gefallen waren. Vielleicht war er gar nicht... nein, die Felswände die zu beiden Seiten, nur ein paar Dutzend Meter von ihm entfernt aufragten belehrten ihn eines Besseren. Er saß am Grund der Schlucht. Und er hatte sich den Fall nicht einfach nur eingebildet. Jetzt frage ich mich schon ernsthaft, ob ich mir innerhalb meiner Einbildung etwas nur einbilde. Absurd. Jonathan konnte nicht anders. Seine Mundwinkel hoben sich und ein Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. Absurd war genau das richtige Wort, das alles was in den letzten Stunden; oder waren es schon Tage?; ereignet hatte beschrieb, ohne zu untertreiben. Und scheinbar wurde es noch schlimmer. Jonathan fragte sich, ob er in der realen Welt langsam immer tiefer ins Delirium abglitt. Ob sie schon darüber nachdenken, wer in Frage kommt um das Formular für das Abschalten der Maschinen zu unterschreiben? Der fette Kerl wartete mit einem verkniffenen Ausdruck im Gesicht, aber mit stoischer Ruhe darauf, dass sich Jonathan wieder bewusst wurde, dass er nicht alleine war. Für ihn war es unerheblich, wie lange etwas dauerte. Zeit spielte für ihn keine Rolle. Jonathan löste den Blick von den glatten, senkrechten Felswänden, die seine Welt im Moment begrenzten und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem seltsamen Mann zu, der aus irgend einem Grund den Weg in seine Fantasie gefunden hatte. Er konnte sich nicht erinnern jemals jemanden gekannt zu haben, der so aussah. Vielleicht war es auch nur eine Figur aus einem Film, den er irgendwann einmal gesehen hatte. Warum sein Unterbewusstsein kein angenehmeres Bild heraufbeschwören wollte verstand er nicht, aber er konnte auch nichts daran ändern. Woran er auch dachte, der Kerl verschwand nicht. Er saß einfach nur da und starrte ihn mit gerunzelter Stirn und zusammengekniffenen Augen an. Er sah aus wie jemand der eine Katze beobachtete und fest damit rechnete, dass sie etwas Verbotenes tun würde. Aber Jonathan hatte nichts dergleichen vor. Das bedrohliche Glitzern in den Augen seines Gegenübers machte ihm mehr Angst als er sich eingestehen wollte. Dieser fette unscheinbare Mann konnte... schweben. Etwas das Jonathan nicht von sich behaupten konnte. Er hatte nicht die geringste Ahnung was der Kerl noch alles können mochte und er wollte es eigentlich auch gar nicht wissen. Jedenfalls würde er nun vorsichtiger sein. Und er hoffte, dass es ihm gelingen würde seine Gedanken im Zaum zu halten, die der andere scheinbar, zumindest zum Teil, lesen konnte. „Was willst du von mir?“ fragte Jonathan er mit schwacher Stimme, ohne wirklich mit einer sinnvollen Antwort zu rechnen, aber er musste einfach irgend etwas sagen, um das unheilvolle Schweigen zu brechen. Er hielt es einfach nicht mehr aus, dass der fette Kerl ihn mit diesen unheimlichen Augen unverwandt anstarrte. Er kam sich langsam vor wie die Fliege, die hilflos im Netz einer Spinne gefangen war, die sie mit unverhohlener Gier musterte während sie sich ihrem Opfer langsam näherte. „Ich? Ich will überhaupt nichts von dir. Ich bin nur hier um aufzupassen, dass du keinen Unfug anstellst.“ Jonathan sah überrascht auf und suchte im Gesicht seines Gegenübers nach Anzeichen, dass der sich über ihn lustig machte. Nichts. Immer noch war da nur diese kaum verhohlene Drohung. Was soll das heißen, auf mich aufpassen? Wer hat dich hergeschickt? Diese Fragen stellte er nicht. „Warum?“ war alles was er zustande brachte. Es fiel ihm unheimlich schwer die Worte die in seinem Kopf hin und her schwirrten wie Motten um das Licht, zu artikulieren. Seine Lippen schienen nicht mehr mit seinem Gehirn verbunden zu sein. „Weil er es will“. Jonathan riss die Augen auf und sah den fetten Kerl mit neu erwachtem Interesse an. Endlich hatte er eine Antwort erhalten, mit der er etwas anfangen konnte. Er. Wer war er? War er das etwa selbst? Ein Teil von ihm, der unbewusst den Traum steuerte, damit er sich nicht in eine falsche Richtung entwickelte? Als ob er das nicht schon längst getan hätte. Sein Gegenüber hob den schwabbligen Arm und ließ ihn seinen bereits geöffneten Mund wieder schließen. „Bevor du mich fragst, wer er ist, lass mich dir zuerst sagen, dass das hier kein Traum ist. Du liegst nicht in irgend einem Krankenhaus und fantasierst dir irgend einen Mist zusammen. Auch wenn das mit Sicherheit besser für dich wäre.“ „Und was ist das dann?“ Jonathan breitete die Arme in einer allumfassenden Geste aus. „Was zum Teufel soll das sonst sein? Ich meine … du schwebst verdammt nochmal. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich von einem Berg...“ Der fette Kerl streckte Jonathan abwehrend die Handflächen entgegen. „Pssst. Beruhige dich! Ganz ruhig. Er will ohnehin dass du erfährst wo du bist. Will er eigentlich immer; früher oder später.“ „Wer...“ „Wer er ist? Er ist alles. Und nichts, denn ohne ihn würde nichts existieren.“ Jonathan verdrehte die Augen. Er verspürte keine Lust irgendwelche Rätsel zu lösen. Aber das musste er auch nicht. Sein Gegenüber war noch nicht fertig gewesen. „Du bezeichnest ihn als Gott“ sagte der fette Kerl mit ernster Stimme und ohne das Gesicht zu verziehen. Jonathan verschluckte sich und hustete krampfhaft. Er wusste nicht wie er auf das Gesagte reagieren sollte. Seine Überzeugung, dass er nach einem Unfall auf einer Intensivstation im Koma lag und für alle anderen unmerklich den Verstand verlor verstärkte sich. Vielleicht saß er auch in irgend einer Gummizelle und flüchtete vor der Realität in diese seltsame Scheinwelt. „Gott“ murmelte er abschätzig und schüttelte kaum merklich den Kopf. „Die meisten reagieren wie du“ sagte der fette, schwebende Mann. „Sogar die, die von sich behaupten zu glauben. Egal woran. Am schwersten zu überzeugen sind aber Typen wie du, die an gar nichts glauben, außer an das was sie mit eigenen Augen sehen können und das was sie in schlauen Büchern lesen. Es dauert lange, bis sie begreifen, dass sie sich geirrt haben.“ Der Dicke lachte keckernd. Seine kleine Ansprache brachte Jonathan nicht dazu, auch nur ein bisschen mehr daran zu glauben, dass er sich nicht in einem Traum, sondern... ja wo eigentlich? … im Himmel?... in der Hölle? befand. Seine Mutter hatte versucht ihn so zu erziehen, dass er zu einem Kirchgänger wurde, war aber an den Bemühungen seines Vaters gescheitert, dagegen anzugehen. Dieser Einfluss hatte ihn zu dem gemacht, was er heute war; viel mehr als ein Skeptiker. In seinem Verstand war kein Platz für etwas so absurdes wie Gott oder ein Leben nach dem Tod. Hingegen hatte er kein Problem damit an Sauerstoffmangel oder eine Gehirnverletzung zu glauben. Der fette Kerl beobachtete ihn aufmerksam, mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen. Aber die Augen beteiligten sich nicht daran; waren kühl und ohne eine Regung. Wie ein Forscher, der ein Insekt studierte, von dem er sicher war, wie es sich verhalten würde. Ohne großes Interesse, nur der Pflicht folgend. Jonathan fragte sich zum wiederholten mal, wie es dazu kam, dass er sich diesen Mann einbildete, oder was immer dieses Wesen auch war. Noch immer konnte er sich an nichts erinnern, das die Ursache dafür sein mochte. Kein Buch, keinen Film und keine Person, die er gekannt hatte. Es schien fast so, als wäre der Kerl da, um seine schöne Theorie vom Traum, in dem er gefangen war zum wanken zu bringen. Nicht nur mit Worten, sonder mit seiner bloßen Anwesenheit. Es musste versuchen mehr über den Mann in Erfahrung zu bringen. Und das ging nur, wenn er mit ihm redete. „Du willst mit also einreden, dass du von... Gott geschickt worden bist? Sind wie hier vielleicht... im... Himmel?“ Die Worte kamen nur stockend, als wollte seine Zunge sich weigern ihn dabei zu unterstützen, sie zu formulieren. Himmel. Gott. Was für ein Schwachsinn! „Du bist nicht zufällig Jesus?“ fragte er mit einer Stimme die vor Sarkasmus triefte. Ihm war plötzlich nach kindischem Kichern zumute. Er glaubte nicht mehr an Gott seit er zehn Jahre alt gewesen war. Damals hatte er verstanden, dass das alles nur eine Geschichte war. Eine Geschichte für Erwachsene, die über den fehlenden Sinn in ihrem Leben hinwegtäuschen sollte. Na gut. Den zweiten Teil hatte er erst mit 16 verstanden. Damals, als das Leben plötzlich meistens beschissen war und er sich immer wieder aus irgendwelchen völlig nichtigen Gründen gewünscht hatte tot zu sein. Ein Zustand, den die meisten Jugendlichen irgendwann durchmachten. Wozu auch immer das gut war. Was hatte die Natur davon, wenn sich alle Kinder irgendwann in tickende Zeitbomben verwandelten, die irgendwann zu einigermaßen zurechnungsfähigen Erwachsenen wurden wenn sie die Wirren der Pubertät überlebten und sich zwischen 18 und 30 nicht tot soffen, oder sonst etwas Bescheuertes taten. Und jetzt nachdem er endlich ein solcher Erwachsener geworden war wollte ihm jemand einreden, dass Gott jeden seiner Schritte in einer Welt, die problemlos einem LSD-Traum entsprungen sein konnte überwachte. „Man könnte durchaus sagen, dass das hier der Himmel ist“ sagte der fette Kerl und riss Jonathan jäh aus seinen Gedanken. „Ah“ sagte Jonathan wenig geistreich. Was sollte man auch erwidern, wenn einem jemand mitteilte, dass man sich am Ziel aller Wünsche von Millionen von Gläubigen befand? Er fragte sich langsam ernsthaft warum er sich all diese Dinge in seinem Koma-Traum oder was immer es auch war einbildete. Warum plötzlich diese Religionsgeschichte? Er ging nicht in die Kirche, las keine Bücher in denen der Glaube irgend eine besondere Rolle spielte; verdammt er befasste sich überhaupt nie mit dem Thema. Wieder einmal meldete sich die leise Stimme, die ihn davon überzeugen wollte, dass er nicht träumte, sondern sich in einer, wenn auch merkwürdigen Realität befand. Langsam begann sie ihm lästig zu werden. „Zerbrich dir nicht den Kopf“ sagte der dicke Mann. „Du wirst schon noch begreifen, glaub mir.“ Jonathan wusste nicht, was er darauf sagen sollte, ohne sein Gegenüber zu bitten sich seine weisen Worte sonst wohin zu stecken. Und er wollte es nicht riskieren den seltsamen Typen noch einmal zu verärgern; auch wenn er nur eine Traumgestalt war. Er wollte diesen unheimlichen, durchdringenden Blick nicht mehr auf sich spüren. „Was kommt als nächstes?“ fragte er stattdessen und bemühte sich seiner Stimme einen möglichst gelangweilten Ton zu verleihen. Dann wurde ihm bewusst wie lächerlich das doch war, angesichts dessen, dass der Andere seine Gedanken lesen konnte. „Das hängt ganz von dir ab“. Anhand der Mine des fetten Kerls war nicht zu erkennen, ob ihn die kindischen Versuche ihn zu täuschen belustigten oder verärgerten. „Wenn du einsiehst, dass du dich nicht mehr in deiner Welt aufhältst wird er dir den Weg zeigen. Wenn nicht... nun; dann musst du ihn wohl selbst finden.“ Der fette Kerl kicherte hämisch. Er hörte sich an wie eine dieser hoffnungslosen alte Frauen, die sich auch über das Unglück freuten, weil es Abwechslung in ihre trostlosen, leeren Tage brachte. Jonathan achtete kaum darauf. Er dachte über seine Optionen nach und kam zu dem Schluss, dass er den Weg, wohin auch immer der führte, wohl selbst würde finden müssen. Er konnte nicht plötzlich damit anfangen an etwas zu glauben, nur weil das jemand von ihm verlangte; schon gar nicht, wenn sich dahinter etwas verbarg das er insgeheim verachtete, so wie den Glauben an eine höhere Macht, die sich um die Menschen kümmerte, wie ein Schuljunge um seine Ameisenfarm. Mit dem Unterschied, dass der Gott von dem in der Bibel die Rede war eine gehörige Portion Sadismus in sein Wohlwollen gegenüber seinen Schäfchen mischte. „Nur ein Traum“ murmelte er. Das breite Grinsen im Gesicht des fetten Kerls verschwand und machte einem beinahe traurigen Ausdruck Platz. Er schien nicht verärgert darüber zu sein, dass Jonathan ihn für eine Ausgeburt seiner eigenen Fantasie hielt. Er schwebte ein Stück höher und breitete theatralisch die Arme aus. „Warum fällt es euch nur so schwer zu glauben? Natürlich kann es immer nur ein Traum sein. Oder eine Form von Wahn. Eine andere Möglichkeit kommt euch nicht in den Sinn. Es verwundert mich nicht im Geringsten, dass er damit aufgehört hat euch zu behandeln wie Kinder, denen man einfach nicht böse sein kann. Ihr verleumdet ihn fortwährend; fühlt euch sicher in eurer Welt voll von Maschinen und... Dingen. Dabei vergesst ihr, dass ihr diese Welt eines Tages verlassen müsst.“ Der fette Mann kicherte so heftig, dass er sich beinahe verschluckt hätte. Es klang wie das ins Absurde beschleunigte Kreischen einer Katze und hatte kaum etwas menschliches an sich. Jonathan wich unwillkürlich ein Stück zurück und versuchte krampfhaft das Zittern zu unterdrücken, das in Wellen durch seinen Körper raste und dabei eine ausgeprägte Gänsehaut zurückließ. Seit er ein Kind gewesen war hatte er keinen so realistischen Traum mehr geträumt. Alles wirkte so verdammt echt, dass es ihm mehr Angst machte als ihm lieb war. Er wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Konnte er den fetten Kerl einfach ignorieren und weiter nach Linda suchen, ohne mit Konsequenzen zu rechnen? Oder war er dem Scheusal hilflos ausgeliefert? Da er das kichernde Ungeheuer nicht einfach fragen konnte blieb ihm wohl nichts anderes übrig als es einfach zu versuchen. Was dann geschah würde er dann schon sehen. Er konnte auch einfach hier bleiben und warten, bis sein Gegenüber ihm verriet, wie es weitergehen sollte, aber etwas in ihm sträubte sich dagegen. Wahrscheinlich war es einfach nur der Wunsch nicht mehr Zeit als nötig in der Gegenwart des fetten Kerls zu verbringen. Sich in der fremden Umgebung hoffnungslos zu verirren schien ihm immer noch besser, als noch eine einzige Sekunde länger hierzubleiben und sich das Gerede eines Mannes anzuhören, von dem er nicht viel mehr wusste, als dass er in der Lage war zu schweben. Vielleicht wusste er aber gerade damit auch schon zu viel. Einen Mann der die Fähigkeit besaß zu schweben konnte es nicht geben. Nicht in einer rationalen Welt, in der die Dinge sich an gewisse Gesetze hielten und nicht einfach beschlossen sich völlig anders zu verhalten. Jonathan wandte sich von seinem seltsamen Gegenüber ab und machte einen Schritt in jene Richtung, in die auch die Fußspuren verliefen. Die Fußspuren. Jonathan war ziemlich sicher, dass die Spuren bis vor wenigen Augenblicken noch nicht da gewesen waren. Es war als wären sie erst aufgetaucht, als er sich entschieden hatte ihnen weiter zu folgen. Was solls. Er machte noch einen vorsichtigen Schritt und blieb wieder stehen. Er wartete darauf, dass der fette Kerl etwas sagte, oder sonst irgend etwas unternahm, um ihn aufzuhalten. Den stärker werdenden Impuls sich umzudrehen unterdrückte er. Er wollte nicht in das grinsende Gesicht mit den kalten Augen sehen, unter deren Blick alle Kraft die er gesammelt hatte gefror. Noch ein Schritt. Stehen bleiben; kürzer diesmal; dann gleich zwei Schritte hintereinander; nur noch ein kurzes Innehalten. Dann war die Grenze überwunden. Sein Kopf hörte auf sich ständig drehen zu wollen und blieb starr nach vorne gerichtet. Seine Augen suchten nach den Fußspuren die ihm den Weg wiesen. Der schwebende Mann ließ ihn gehen; sicher nicht ohne eine Absicht damit zu verfolgen, die Jonathan nicht erkannte. Obwohl es dein eigener Traum ist. Ist das nicht irgendwie seltsam? Wie lange dauert so ein verdammtes Koma eigentlich; oder die Narkose der ich sicher nicht zugestimmt habe? Jonathan hatte das Gefühl, dass er nun schon eine Ewigkeit lang in diesem Traum gefangen war. Sicherlich mehr als nur ein paar Stunden; eher Tage. Das Wort Wachkoma hallte immer wieder durch die tieferen Schichten seiner Gedanken und machte ihn dabei von Mal zu Mal ein klein wenig nervöser. Er wollte... konnte sich nicht vorstellen, dass das hier niemals mehr endete und er in dieser Fantasiewelt gefangen war, bis er seinen letzten Atemzug tat. Niemand der seinen regungslosen Körper sah, würde erkennen was hinter der ewig gleichen Maske eines Gesichts, in dem sich kein Muskel bewegte vorging. Keiner würde wissen, dass er in einem Gefängnis umherirrte, das sein eigener Geist geschaffen hatte, auf der Suche nach einem anderen Menschen, den er natürlich niemals wirklich finden konnte. Für einen Moment war er versucht einfach nur lauthals zu schreien, bis ihn seine Stimme im Stich ließ. Aber wer würde ihn schon hören? Links und rechts ragten Felswände bis in schwindelnde Höhen auf und hinter ihm war irgendwo der fette Kerl. Was vor ihm lag wusste er nicht, aber vermutlich konnte er auch dort nicht mit einem interessierten Zuhörer rechnen. Wut verlor ihre Macht, wenn es nichts gab, an dem sie sich entladen konnte. Jonathan straffte die Schultern und ging weiter. Es gab ohnehin nichts anderes, was er hätte tun können. Die einzige Alternative war, zu dem fetten Monstrum zurückzukehren, das ihn mit kalten Augen anstarren würde, während es ihm einen Vortrag über den Glauben hielt. Danach verspürte Jonathan nicht das geringste Bedürfnis.

 

Jonathan atmete auf, als die Felswände, die den Weg bisher gesäumt hatten endlich zurückwichen und das Gefühl erdrückt zu werden in gleichem Maße nachließ. Mit jedem Schritt den er zurücklegte wurde der Abstand zwischen den Wänden größer. Es war als würde er einen Trichter in der falschen Richtung durchqueren. Der Winkel in dem die Wände auseinander strebten wurde immer größer, bis sich vor Jonathan eine unübersehbar große Ebene ausbreitete, die bis zum Horizont und darüber hinaus erstreckte. Aber das war es nicht, was ihn dazu brachte erstaunt innezuhalten. „Was zum...“ murmelte er und bemerkte nicht, dass sein Mund offen stehen blieb. Er wandte den Kopf hin und her, aber egal wohin er den Blick richtete zeigte sich doch überall das gleiche Bild. Grabsteine, Kreuze und Hügel aus frisch aufgeschütteter Erde. Das da vor ihm war nichts anderes als ein gigantischer Friedhof. Der größte den er jemals gesehen hatte; jemals sehen würde. So etwas konnte nicht wirklich existieren. Niemand würde auf die verrückte Idee kommen einen Totenacker anzulegen, der die Fläche eines kleinen Landes einnahm. Das war ziemlich abgedreht, selbst für einen Traum. Jonathan rieb sich die Augen, blinzelte und stellte seufzend fest, dass er immer noch auf den größten Friedhof aller Zeiten starrte. Er sah kurz nach unten und vergewisserte sich, dass die Fußspuren, denen er folgte auch wirklich dort hinaus, in das Meer aus kleinen Hügeln und religiösen Symbolen eines Totenkults wiesen. Sie taten es. Wenn die Spur nicht irgendwo unerwartet die Richtung, dann würde er ihr mitten durch die Ruhestätte der unzähligen Begrabenen folgen müssen. Er hatte sich nie vor Friedhöfen gefürchtet; warum auch?; aber jetzt konnte er das unangenehme Gefühl, das langsam aus seinem Magen empor kroch nicht vertreiben. Ach komm schon. Gib einfach zu, dass du die Hosen schon jetzt voll hast. Das war angesichts dessen, dass er sich nicht in der realen Welt aufhielt keine Schande. Hier konnte wer weiß was passieren. Vielleicht erhoben sich die Toten aus ihren Gräbern und zerrten ihn mit hinab in die feuchte Dunkelheit oder taten etwas anderes, kaum weniger Unerfreuliches. Wie hieß es doch immer in den Geschichten? Stirbst du im Traum, dann stirbst du auch in der wirklichen Welt. Vielleicht nicht genau in diesen Worten, aber es traf den Kern der Sache. Hatte wahrscheinlich etwas mit der Angst und dem Stress den sie auslöste zu tun. Jonathan erinnerte sich daran, dass er das mit der Angst mal in irgend einem Magazin über Psychologie gelesen hatte. Linda kaufte diese Magazine manchmal, wenn sie das Bedürfnis hatte etwas für ihre Bildung zu tun. Für gewöhnlich las sie ein oder zwei Artikel und warf die Zeitschrift dann auf einen Stapel, der in irgend einer Ecke verstaubte. Manchmal warf er auch mal einen Blick hinein und las die Titel der Artikel; vielleicht auch mal die ersten Sätze, aber kaum jemals mehr. Hin und wieder blieb dann auch etwas hängen, mit dem er wenn er Glück hatte irgendwann angeben konnte. In der Situation in der er sich befand wäre es ihm lieber gewesen, er hätte den ganzen Stapel durchgearbeitet und würde wirklich etwas von der menschlichen Psyche, am Besten seiner eigenen, verstehen. Vielleicht hätte er dann gewusst wie groß die Gefahr war, dass ihm wirklich etwas zustieß. Vielleicht hätte er dann auch einen Weg gefunden, der aus dieser Traumwelt herausführte. Jonathan schloss ergeben die Augen und atmete einige Male tief durch. Im Augenblick gab es nur einen einzigen Weg für ihn und der führte ihn weiter in den wirren Traum hinein. Zuerst ging er nur zögerlich weiter während sein Blick unstet umher irrte und nach verdächtigen Bewegungen suchte. Jeder Grabstein und jedes Kreuz erschienen ihm bedrohlich und düster. Als nach einiger Zeit noch immer nichts geschehen war gab er seine Vorsicht auf und beschleunigte seine Schritte. Um ihn herum gab es nichts mehr anderes als Gräber. So viele, als wären alle Menschen die jemals gestorben waren hier begraben. Und dann begriff er. Vielleicht war es das. Er bildete sich ein, an dem Ort zu sein, an den alle irgendwann einmal kommen mussten. Aber auch hier gab es kein Leben nach dem Tod. Nur ein anderes Loch in der Erde, in dem die leeren Hüllen verrotteten. Jonathan musste trotz der bedrückenden Umgebung grinsen. Auch im Traum blieb er einigen seiner Prinzipien treu und fand Wege absurde Konzepte wie ein Leben nach dem Tod durch etwas anderes zu ersetzen. Etwas Fantasy war in Ordnung, aber es durfte nicht ins religiöse abgleiten. Das Grinsen verharrte nicht lange auf seinem Gesicht. Schnell gewannen die stumme Drohung und eine Gefühl von Traurigkeit von dem er nicht genau wusste woher es kam die Oberhand. Er blieb vor einem der Gräber stehen und las die Inschrift auf dem makellosen Grabstein, der aussah als wäre er gerade erst fertig gestellt worden. Jonathan Ross, 1961-2009 stand da. Sonst nichts. Nur der Name und die Zahlen. Unglaublich, welche Details in diesem Traum steckten. So etwas hatte er noch nie erlebt. Egal wohin er sich wandte; es gab keine blinden Flecken, keine Sprünge die sie sonst so oft in seinen Träumen auftraten. Kaum jemand träumte eine Geschichte vom Anfang bis zum Ende, mit all ihren Nuancen und Zwischenstufen. Das war auch gar nicht möglich, da sonst die meisten Träume den Rahmen einer einzigen Nacht gesprengt hätten. Es gab aber auch Anzeichen, die zeigten, dass er sich in einer Welt aufhielt, die seiner Vorstellung entsprang. Warum zum Beispiel war er noch nicht halb wahnsinnig vor Durst? Warum ließ der Hunger nicht längst seinen Magen knurren? Doch nur deshalb, weil er solche Details nicht in seinen Traum einbaute. Und vorhin war er eine Schlucht hinabgestürzt und hatte sich dabei nicht einmal verletzt. Nein. Nichts hier existierte wirklich. Auch nicht die unzähligen Toten die überall um ihn herum begraben waren. Als er sich aus aus dem Wust seiner Gedanken befreit hatte und eben weitergehen wollte, nahm er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Zuerst glaubte er, dass der fette Kerl ihn aufgestöbert hatte um sich weiter über ihn lustig zu machen, aber als er genauer hinsah wünschte er sich es wäre nur das gewesen. Seine Augen weiteten sich, als wollten sie aus den Höhlen fallen. Das was dort drüben, nur wenige Meter von ihm entfernt vor sich ging hätte gut und gerne in einen beliebigen Gruselfilm gepasst. Aus der lockeren Erde grub sich eine Hand, die nur noch aus Knochen zu bestehen schien. Irgend etwas versuchte sich aus dem verdammten Grab zu befreien. Er wollte schreien, aber seine Stimmbänder waren wie gelähmt. Er brachte nicht einmal ein Krächzen hervor. Wie hypnotisiert starrte er auf die bleiche Hand, der nun langsam ein mit Erde beschmierter Arm folgte. Jonathan blinzelte angestrengt, aber das Bild verschwand nicht. Er versuchte sich zu erinnern, aus welchem Film er eine solche Szene kannte. Oder war es ein Buch gewesen? Irgendwoher musste sein Unterbewusstsein die Idee für das nehmen, was es ihm vorgaukelte. Wenn er... falls er wieder erwachte würde er darüber nachdenken seine Gewohnheiten zu ändern. Weniger von all dem, das die Fantasie dazu anregte im mystische Gefilde abzugleiten. Solltest du nicht endlich irgend etwas unternehmen? Bald wird unweigerlich ein Toter vor dir stehen. Jonathan erwachte aus seiner Starre. Egal ob Traumwelt oder nicht; er hatte keine Lust auf eine Unterhaltung mit einem Auferstandenen. Er rannte los so schnell er konnte und bemühte sich dabei die Spur, die ihn zu Linda führen musste nicht aus den Augen zu verlieren. Immer wieder redete er sich ein, dass er sich nicht umdrehen durfte. Wenn er das tat würde er stolpern oder irgend etwas anderes Unangenehmes würde geschehen. Vielleicht sah er auch nur, dass ein Toter bereits die Hand nach ihm ausstreckte und ihn aus leeren Augenhöhlen anstarrte. Er rannte und würde erst stehen bleiben, wenn ihn die Kräfte verließen, oder ihn jemand … oder etwas aufhielt. Als ihm der Schweiß in die Augen rann und seinen Blick verschleierte wische er ihn mit dem Ärmel weg und wünschte sich gleich darauf es nicht getan zu haben. Überall reckten sich Gliedmaßen in unterschiedlichen Stadien der Verwesung hervor. Es schien als hätten alle Toten zugleich beschlossen, dass es Zeit war sich aus den Gräbern zu erheben; als wäre der Erste nur die Vorhut gewesen. Jonathans Herz begann noch schneller zu schlagen. Er hatte Angst. Einfache, kreatürliche Angst wie ein Kind, das sich in einem dunklen Wald verirrte. Gehetzt suchte er nach einem Ausweg, aber es gab keinen. Überall waren Gräber; Vor ihm, neben ihm und hinter ihm. Und überall wühlten sich verdammte Leichen aus dem Boden. Jonathan rannte bis seine Lungen zu bersten drohten und das Blut in seinen Schläfen pochte. Und dann noch etwas weiter. Aber egal wie sehr er sich anstrengte; er konnte den lebenden Toten nicht entkommen. Der Friedhof schien einfach keine Ende zu nehmen. Schließlich musste er stehen bleiben. Mit offenem Mund und hervorquellenden Augen starrte er keuchend auf die Kette von halb verwesten Leibern, die ihm den Weg versperrten. Verdammte Zombies. Gedanken an Silber und Weihwasser schossen durch seinen Kopf, wirbelten durcheinander und lösten sich wieder auf. Was übrig blieb war Leere. Er hatte seine Grenzen längst überschritten. Er wusste nicht wo er war, hatte keine Ahnung was mit Linda geschehen war und hatte keine Erinnerung daran, was in den Minuten Stunden? zwischen dem Moment wo er das Steuer des Wagens fester umklammert hatte weil es zu Regnen begonnen hatte und seinem Erwachen an diesem seltsamen Ort vorgefallen war. Das alleine reichte bereits aus, um ihn an der Grenze zwischen nervöser Unruhe und panischer Angst entlang balancieren zu lassen. Zumindest hätte er das erwartet. Aber hier schien nichts so zu sein, wie er es gewohnt war. Er war auf einem Berg herum geklettert, hatte einen schwebenden Mann getroffen und war eine Schlucht hinabgestürzt. Ganz nebenbei war da auch noch die Entführung seiner Frau und eine Spur, der er folgte wie Hänsel den Brotkrumen. Er hätte längst unter der Last der Eindrücke zusammenbrechen müssen. Er war kein Held; ja, er war noch nicht einmal besonders mutig; wie zum Teufel hatte er also so lange durchhalten können? Und wieso denkst du gerade jetzt darüber nach? Da vorne warten ein paar Untote auf dich um dich... ja was eigentlich? Jonathan verspürte den irrationalen Drang zu kichern. Das Kaleidoskop aus Gedankensplittern in seinem Kopf drehte sich schneller und schneller. Die grotesk aussehenden Bewegungen mit denen die Untoten näher kamen reizten ihn einerseits zum Lachen und ließen ihn gleichzeitig vor Angst erstarren. Er war wieder ein Kind das vor Angst zitternd und im selben Moment freudig erregt einem Puppenspiel zusah in dem Zauberer, Helden und schreckliche Monster um die Vorherrschaft kämpften. Als die zum Teil bereits stark verwesten Leichen ihn erreichten und ihre Hände nach ihm ausstreckten war er völlig erstarrt. Nur noch seine Augen bewegten sich hektisch hin und her wie kleine Tiere, die ein Eigenleben hatten. Sein Mund stand halb offen und die Spitze seiner tonnenschweren Zunge ragte ein Stück weit daraus hervor. Plötzlich wurde es stockdunkel und alle Geräusche verstummten. Der Vorhang war gefallen; die Vorstellung zu Ende.

 
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