Einführung in die Managementlehre

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1.4.2 Management als professionelle Tätigkeit

Die zunehmende Ausdifferenzierung des Managements als eigenständige Tätigkeit und die Spezialisierung von Managementwissen widerspiegelt sich auch in der Management-Praxis. Management entwickelt sich zu einer eigenständigen Profession, die sich zunehmend an wissenschaftlichen Grundlagen orientiert. Management gilt auch vermehrt als Tätigkeit, die nicht nur für Unternehmen als notwendig angesehen wird, sondern die auch in immer weitere Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft vordringt. Methoden des Managements halten Einzug in Verwaltung, aber auch in Kirchen, Militär und Nichtregierungsorganisationen. In vielen dieser Organisationen galt Management lange Zeit als eine Art «Kunst» (vgl. Lynn, 1996). So wurde z. B. in einem Spital typischerweise der Chefarzt oder die Chefärztin, die aufgrund ihrer Persönlichkeit oder ihrer Lebenserfahrung (z. B. aus dem Militär) als am geeignetsten für Führungsaufgaben angesehen wurde, mit der Leitung dieser Organisation betraut.

Heute ist Management eine eigenständige Profession, die im Sinne von Bourdieu typische Merkmale aufweist wie eine eigenständige Sprache, eigenständige Rituale und professionelle Werte (vgl. Bourdieu, 1972). Führungspersonen werden heute in Managementausbildungsgängen für ihre Aufgaben vorbereitet und wechseln auch zwischen verschiedenen Unternehmen, Branchen, Regionen und Kulturen. So gibt es heute nicht nur Managerinnen, die von Fluggesellschaften zu Pharmaunternehmen wechseln, sondern auch «Professional Deans» (Dekane bzw. Rektoren), die zwischen Universitäten in verschiedenen Ländern und Kulturen wechseln.

Wegen der Spezialisierung der Managementforschung und weil die immer grösseren Managementaufgaben in den Unternehmen eine Arbeitsteilung und damit Spezialisierung des Managements selbst verlangen, besteht auch in der Praxis eine ausgeprägte Funktionenorientierung. Für Funktionen wie Personalmanagement, Marketing, Strategiemanagement [31] oder Finanzmanagement existieren heute eigenständige Forschungsinstitute, Lehrstühle und Ausbildungsgänge in der Grund- und Weiterbildung (Abbildung 1-6).


Abbildung 1-6: Lehrstühle an der School of Management der Universität St. Gallen (2020)

Diese Differenzierung zeigt sich auch in der Entwicklung der Universitätsstudiengänge. Noch in den 1970er-Jahren werden an vielen Universitäten Studiengänge in Wirtschaftswissenschaften angeboten, die Betriebswirtschaftslehre (BWL) und Volkswirtschaftslehre (VWL) integrieren. Später differenzieren sich Studiengänge auf die Fachgebiete VWL oder BWL aus. Mit der Einführung des Bologna-Systems anfangs der 2000er-Jahre werden vor allem auf Masterstufe funktional spezialisierte Studiengänge angeboten (z. B. in Strategie, Marketing oder Accounting und Controlling). In der Weiterbildung folgen spezifische Lehrgänge und Zertifikate wie CFA (Chartered Financial Analyst) oder auch CMA (Certified Marketing Analyst). Diese erlauben eine weitere professionelle Spezialisierung und sind in einzelnen Ländern zum Teil auch rechtliche Voraussetzung für die Übernahme einer Führungsfunktion in einem Unternehmen (z. B. in Rechnungswesen und Finanzen).

1.4.3 Umgang mit Komplexität

[32] Die Forderung, die funktionalen oder in der Forschung subdisziplinären Silos zu überwinden, erfolgt vielfach und früh (z. B. Aldrich & Herker, 1977). So wird kritisiert, dass sich Forschung an immer spezialisierteren Forschungsfragen ausrichtet (z. B. am Verhalten von Konsumentinnen und Konsumenten in isolierten Laborsituationen) und dass integrative Themen, die das Topmanagement herausfordern und die eine disziplinübergreifende Sichtweise erfordern, vernachlässigt werden. In der Praxis ist festzustellen, dass das immer spezialisiertere Management der einzelnen Funktionen schlussendlich durch das Topmanagement «integriert» werden muss, was zu einer Überlastung desselben und zu einem Wachstum von Stabsfunktionen führen kann.

So können Konflikte zwischen Abteilungen entstehen, z. B. zwischen der Funktion Marketing, die eine stärkere Flexibilisierung der Produktion entsprechend den Bedürfnissen von individuellen Kundinnen und Kunden fordert, und der Produktion, die aus Effizienzgründen eine möglichst weitgehende Standardisierung wünscht. Wenn die Anreizmechanismen (z. B. die Erfolgsbeteiligungen der Kadermitarbeitenden) auf den Erfolg der eigenen Abteilung ausgerichtet werden, bestehen starke Interessen, für die Sicht der eigenen Abteilung zu kämpfen. Das Topmanagement muss dann eine Entscheidung treffen, welche die beiden Sichtweisen integriert und das Gesamtsystem optimiert. Dazu braucht es Informationen, die wiederum von eigenen Stäben gewonnen werden müssen.

Die isolierte Optimierung einzelner Funktionsbereiche und die dann erforderliche aufwändige Gesamtabstimmung auf oberster Ebene reduziert auch die Agilität von Organisationen. Die Forderung nach einem integrativen Management ist gerade in der heutigen Zeit, die oft als «VUCA-Zeit» charakterisiert wird, von besonderer Bedeutung. VUCA steht dabei für eine Situation mit hoher «Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity» (vgl. Bennett & Lemoine, 2014). Volatil sind Entwicklungen heute, weil eine Vielzahl möglicher Schocks, in Finanzmärkten, Politik oder Gesundheit, rasch weltweit durchschlagen können. Dies führt zu Unsicherheit. Immer mehr mindestens vordergründig widersprüchliche Ziele, z. B. günstige Produktion und gleichzeitig Umweltschutz oder die Forderung nach «High Performance Teams» und gleichzeitiger «Work Life Balance», führen zu Mehrdeutigkeiten und damit auch zu Komplexität für das Management. Aufgabe des Managements ist es, mit diesen Spanungsfeldern umzugehen und integrative Lösungen und Vorgehensweisen zu definieren.

[33] Verschiedene Autoren identifizieren Managementpraktiken und Instrumente um Grenzen (Boundaries) zwischen den einzelnen «Professional Communities» und Disziplinen zu überwinden (vgl. Spee & Jarzabkowski, 2009; Levina & Vaast, 2005). So zeigt sich, dass die Nutzung von Praktiken und Instrumenten, wie z. B. moderierte Zukunfts-Workshops oder die Nutzung von Arbeitsinstrumenten wie die Anwendung von Geschäftsplanungssystematiken (Business Planning) oder auch Management-Modelle wie das SGMM, die Integration der Sichtweisen erleichtert.

Weitere Ansätze für die Förderung einer integrativeren Sichtweise (z. B. im Bereich der Strategietheorie) betonen, dass es wichtig ist, die richtigen Fragen zu stellen. So erklären Nickerson und Argyres (2018), dass es für die Vermeidung von sog. Typ III Problemen notwendig ist, eine sorgfältige Problemformulierung vorzunehmen. Als Typ III Probleme wird in dieser Kategorisierung die Situation bezeichnet, wenn Lösungen für das falsche Problem entwickelt werden, d. h. wenn das eigentliche Problem gar nicht identifiziert werden konnte. Integratives Management wird durch das breite, unkonventionelle Fragen erleichtert und stimuliert.

Wichtig ist dabei auch die Arbeit in Gruppen, die möglichst divers (in innerbetrieblichem Kontext z. B. aus verschiedenen Funktionsbereichen und aus unterschiedlichen Kulturen, Geschlechtern, usw.) zusammengesetzt sind und bei denen «Groupthink» (d. h. eine zu starke Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Gruppe und insbesondere auf die Harmonie der Gruppe) vermieden wird. Es braucht den Austausch über die verschiedenen Perspektiven der einzelnen Gruppenmitglieder auf das Problem.

1.4.4 St. Galler Ansatz

Der systemische Ansatz ist für die St. Galler Managementforschung von zentraler Bedeutung (vgl. Bieger et al., 2021). Der Systemansatz und die Kybernetik (Steuerung komplexer Systeme) sind in den 1960er-Jahren, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der verstärkt aufgekommenen Suche nach integrativen Ansätzen im Rahmen der Diskussion um die Begrenzung von Ressourcen (vgl. Meadows, Meadows, Randers & Behrens, 1972) entwickelt worden. Wichtige Grundlagen stammen dabei von Beer (1959) sowie Vester (1968). In St. Gallen wurden die Ansätze von Ulrich (1968) verfolgt und von verschiedenen Forschern in unterschiedlichen Teilgebieten weiterentwickelt (z. B. Kaspar, 1996 [34] im Tourismus). Systemdenken (s. auch Luhmann, 2002) wurde auch als eigentliche neue Methode, fast als neues Paradigma (vgl. Kuhn, 1969), behandelt.

Aufbauend auf Arbeiten wie z. B. von Beer (1959) wurden Regeln für lebensfähige (und damit entwicklungsfähige) Systeme auf der Basis von kybernetischen Grundlagen entwickelt. Noch heute prägen Überlegungen und Gesetze aus dieser Forschung die Managementpraxis; so z. B. die Notwendigkeit, für das Überleben von Organisationen auf verschiedenen Systemebenen zu denken (vgl. z. B. Schwaninger, 1988). Die drei wesentlichen Management-Ebenen (Abbildung 1-7) mit ihren jeweiligen Orientierungsgrundlagen, Zielkategorien, Bezugsgrössen und Zeithorizonten sind im SGMM seit der zweiten Generation enthalten. So prägt das Systemdenken betriebswirtschaftliche Forschung und Lehre an der Universität St. Gallen. Zu erwähnen sind beispielhaft die Arbeiten von Bleicher, der das Unternehmen als soziotechnisches System beschreibt (vgl. Bleicher, 1991) oder Gomez, der einen praktischen Ansatz zur Lösung von Managementproblemen mit einem vernetzten Denken präsentierten (vgl. Probst & Gomez, 1991).


Abbildung 1-7: Integrale Planung mit Orientierungsgrundlagen, Zielkategorien, Bezugsgrössen und Zeithorizonten

 

Quelle: Schwaninger (1988, S. 126)

[35] Ein Resultat systemischer Ansätze ist auch Ashbys Law (Ashby, 1985). Dieses Gesetz besagt, dass ein varietätsreiches komplexes System für seine Steuerung ein Steuerungssystem benötigt, das eine ebenso grosse Varietät und Komplexität aufweist. An einem Beispiel ausgedrückt heisst das: Wenn es in einem Team in einer Entwicklungsabteilung zu Konflikten kommt, dann genügt es nicht, einfach den grössten «Rebellen» aus dem Team zu entfernen. Ein Entwicklungsteam ist ein komplexes System, in dem soziale Beziehungen mit Wissensbeziehungen, mit hierarchischen Abhängigkeiten und Projektabläufen zusammentreffen. Das System zeichnet sich durch verschiedene miteinander verbundene Ebenen aus. So ist das soziale System stark beeinflusst durch die für Projektabläufe notwendigen Interaktionen und diese wiederum durch das hierarchische System. Eine geeignete Intervention im Konfliktfall bedingt eine Analyse auf allen drei Systemebenen. Zudem braucht es Eingriffe auf den verschiedenen Ebenen wie z. B. Personalmassnahmen auf der sozialen Ebene kombiniert mit einer Veränderung der Projektstrukturen bei gleichzeitiger Veränderung der Führungskultur.

1.5 Denken in Systemen und Prozessen

Wie erwähnt ist das Denken in Systemen und Prozessen eine wesentliche Grundlage des SGMM. Systemdenken hat den Anspruch, interdisziplinäre Perspektiven zu ermöglichen. Prozessdenken soll einzelne Funktionen in einen (Wirkungs-)Zusammenhang bringen (z. B. in einem Wertschöpfungsprozess Einkauf, Produktion und Marketing). Entsprechend werden heute viele Unternehmen auch nicht mehr nach Funktionen, sondern nach Leistungsprozessen organisiert, was das Überwinden von funktionalen Denksilos ermöglicht. Instrumente wie die Arbeit mit Netzwerken bei der integrierten Problemlösung (Probst & Gomez, 1991) oder der Einsatz von Prozesslandkarten für die Weiterbearbeitung von komplexen Fragestellungen haben den Charakter von «grenzüberspannenden Objekten» (Boundary Spanning Objects, vgl. Spee & Jarzabkowski, 2009). Nachfolgend werden die wesentlichen Merkmale von Systemen und Prozessen dargestellt.

1.5.1 Systemsicht auf Organisationen

[36] Systeme können definiert werden als «geordnete Gesamtheit von Elementen zwischen denen irgendwelche Beziehungen bestehen oder hergestellt werden können» (Ulrich, 1968, S. 105). Vereinfacht können diese Elemente durch Grafiken dargestellt werden, in denen die Beziehungen zwischen den Elementen mit Pfeilen dargestellt werden (Abbildung 1-8).


Abbildung 1-8: Tourismus als illustratives Beispiel eines Systems

Quelle: Bieger (2010, S. 64); nach Kaspar (1996, S. 12)

Es können verschiedene Typen unterschieden werden, welche die Struktur von Systemen beschreiben und häufig in Form von Netzwerken dargestellt werden (vgl. auch Bieger, Pechlaner, Liebrich & Beritelli, 2004). So lassen sich exemplarisch Stern-Netze und vermaschte Netze unterscheiden (Abbildung 1-9). Bei reinen Stern-Netzen steht ein Element im Zentrum, über das alle Verbindungen laufen; dieses «kontrolliert» quasi das System. Die Entwicklung des Netzes hängt damit aber auch von den Kapazitäten dieses zentralen Elementes ab. Ein Beispiel sind Hub- und Spoke-Netzwerke von Airlines, bei denen der Verkehr über einen zentralen Hub, einen Flughafen mit Umsteigverbindungen, abgewickelt wird. Andere Beispiele sind Beratungsteams oder klassische Lehrstuhlstrukturen, wo sämtliche Kommunikations- und Arbeitsbeziehungen durch den Partner oder die Ordinaria gesteuert und damit auch überwacht werden.

[37] Bei vermaschten Netzen oder Maschennetzen bestehen Beziehungen zwischen verschiedenen Elementen, wobei im Extremfall jedes Element mit jedem verbunden ist. Der Vorteil dieses Systems ist die Redundanz. Wenn ein Element ausfällt, so können dessen Funktionen auch durch andere Elemente übernommen werden. Dies war auch die Grundidee bei der Entwicklung des World Wide Webs. Zuvor bestanden IT-Strukturen aus einem zentralen Rechner, an den alle Aussenstellen-Terminals angeschlossen waren. Wenn der zentrale Knoten durch einen Terroranschlag oder durch ein technisches Problem ausgefallen wäre, hätte dies das ganze IT-System lahmgelegt. Mit der militärisch induzierten Entwicklung des World Wide Web sollte ein IT-System geschaffen werden, das in einem solchen Fall weiter funktioniert, weil jeder Rechner mit jedem verbunden ist (vgl. Deitel, 2012). Der Nachteil dieser Systeme ist ihre schwierige Steuerbarkeit, da der zentrale Knoten, über den alles gesteuert werden könnte, fehlt.

Ein Spezialfall des vermaschten Netzes ist das Rasternetz. Dieses besteht aus einem rechtwinklig strukturierten Netz, bei dem die Elemente jeweils mit den auf allen vier Seiten angrenzenden Nachbar-Elementen verbunden sind. Wenn einer der Knoten in einem Rasternetz ausfällt, kann auf Parallelverbindungen ausgewichen werden. Dies erklärt auch, warum Rasternetze häufig in der Strassen- und Verkehrsplanung angewendet werden.


Abbildung 1-9: Exemplarische Typen von Netzwerken zur Darstellung von Systemen

[38] Jede Organisation besteht aus verschiedenen Systemebenen (s. z. B. Schräder, 2000, S. 153). So hat z. B. eine Organisation wie ein Spital folgende Ebenen:

– Eine logistische Ebene, auf der die Patientenflüsse stattfinden und wo verschiedene Leistungselemente wie Röntgenabteilung, Labor, Operationssäle zu einer spezifischen Leistungskette für einen Patienten zusammengefügt werden.

– Eine Informationsebene, bei der eng verbunden mit der logistischen Ebene Daten zum Patienten gesammelt und verfügbar gemacht werden.

– Eine finanzielle Ebene, auf der die Finanzflüsse zwischen den verschiedenen Elementen stattfinden, z. B. die Verrechnung von Leistungen aus der Röntgenabteilung an die behandelnde Station und den einzelnen Patienten.

– Eine hierarchische Ebene mit den Unterstellungsverhältnissen und den Zusammenarbeitsstrukturen z. B. in Projekten.

– Eine soziale Ebene mit den persönlichen und geschäftlichen Bekanntschaften und informellen Kommunikationsbeziehungen.


Abbildung 1-10: Schematische Darstellung von System-Ebenen am Beispiel Spital

Quelle: in Anlehnung an Bieger (2010, S. 75)

[39] Diese verschiedenen Ebenen (Abbildung 1-10) beeinflussen sich gegenseitig. So kann man sich vorstellen, dass eine gute soziale Beziehung zwischen der Leitung der einen Abteilung und der Leitung einer anderen Abteilung sich positiv auf die logistische Ebene auswirkt, indem die Zusammenarbeit erleichtert wird.

Systeme lassen sich danach unterscheiden, ob sie trivialer oder komplexer Natur sind (von Foerster, 1993). Triviale Systeme charakterisieren sich durch ihre Stabilität. Es bestehen immer die gleichen Elemente mit den immer gleichen Beziehungen zwischen den Elementen. Das heisst es gibt eine stabile Wirkung von einem Element auf das andere: Wenn z. B. das eine Element wächst, gibt es auch einen Wachstumsimpuls auf das andere Element. Viele logistische Systeme gehören in die Kategorie trivialer Systeme, so z. B. eine fix gekoppelte Wertschöpfungskette zum Verkauf von Brillen, bei der eine stabile Beziehung zwischen Lieferanten von Halbfabrikaten, Fertigung der Brillen und Auslieferung der Brillen an den Detailhandel besteht. Solche Systeme lassen sich leicht analysieren und steuern. Im Sinne von Ashbys Law (Ashby, 1985) ist ihre Varietät gering und es kann mit einzelnen Interventionen wie einer Kapazitätsveränderung bei der Fertigung das ganze System gesteuert werden.

Anders ist es bei komplexen Systemen. Diese zeichnen sich aus durch:

– Offenheit: Diese Systeme empfangen laufend Impulse von aussen. Ein Unternehmen als soziotechnisches System ist z. B. betroffen von kulturellem Wertwandel aus der gesellschaftlichen Umwelt, der die Verhaltensweise der Mitarbeitenden verändert.

– Strukturelle Instabilität: Das System restrukturiert sich dauernd, indem einzelne Elemente oder Beziehungen neu entstehen oder zerfallen, z. B. wenn in einem hierarchischen System aufgrund von Konflikten Kommunikationsbeziehungen zwischen einzelnen Mitgliedern der Organisation zum Erliegen kommen oder sogar aufgrund dieser Konflikte Führungspersönlichkeiten entlassen werden und damit als Systemelemente entfallen.

– Kippeffekte: Die Beziehung zwischen den Elementen ist nicht linear, sondern es existieren Kippunkte. Zu einem Kippeffekt könnte es z. B. kommen, wenn in einer Führungsbeziehung immer mehr auf Leistungsorientierung und Kontrolle gesetzt wird und dadurch plötzlich die intrinsische Motivation verschwindet.

– Mehrschichtigkeit: Die Elemente selbst verändern sich in ihrer Wirkungsweise und ihrem Verhalten, insbesondere wenn sie von Veränderungen einer anderen Wirkungsebene respektive von einem anderen System betroffen werden. Wenn z. B. eine Fertigungsabteilung [40] aufgrund von Sparmassnahmen (Wirkung von der finanziellen Ebene) die Wartung reduziert und damit Ausfälle häufiger werden, hat das wiederum Auswirkungen auf die logistische Systemebene.

– Historizität: Komplexe oder nicht-trivale Systeme sind historische Systeme. Das heisst, ihr gegenwärtiger Zustand hängt unter anderem von ihrer Vergangenheit ab und prinzipiell kann jedes Ereignis oder jede Entscheidung den gegenwärtigen Zustand und die Arbeitsweise eines Systems verändern. Umgekehrt meint Historizität auch, dass frühere Entscheidungen sich auf spätere Entscheidungen auswirken. So können Pfadabhängigkeiten vorhanden sein, wenn Organisationen z. B. an einem bestimmten Betriebssystem festhalten, auch wenn sich über die Jahre andere, überlegene Softwarelösungen entwickelt haben.

Als Resultat sind die Verhaltensweise und Entwicklung komplexer Systeme sehr schwer vorhersehbar. Dies zeigt sich z. B. auch bei einer Pandemie. Während sich die «biologische» labormässige Vermehrung eines Virus in einem stabilen Kontext klar modellieren lässt, ist dies in einer Lebenswelt komplexer, in der viele Systemebenen zusammenspielen. Schon auf der biologischen Ebene ist die Natur offen: Viren können von ausserhalb in ein Land hineingetragen werden oder zwischen Lebewesen überspringen. Das Verhalten der Menschen ist nicht nur das Resultat der biologischen Ebene, sondern auch sehr stark von der wirtschaftlichen sowie von der politischen und gesellschaftlichen Ebene beeinflusst (z. B. von der Robustheit der Wirtschaft, vom Vertrauen in die Behörden und von der lokalen Kultur im Umgang miteinander).

Ähnliche Wechselwirkungen gelten bei Unternehmen, wenn z. B. ein auf der logistischen und finanziellen Systemebene an sich konsistentes Geschäftsmodell nicht realisiert werden kann, weil auf der sozialen und emotionalen Ebene Widerstände aufgrund von äusseren Einflüssen wie politischen Konflikten bestehen. Systemische Analysen helfen, das Verhalten von Unternehmen und Organisationen in ihrer Umwelt beschreibbar, modellierbar und damit erklärbar zu machen.

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