Bewegungen, die heilen

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Rhythmische Bewegungen und primitive Reflexe

Schon bevor ich Kerstin Linde kennenlernte, hatte ich bei Peter Blythe, dem Begründer des Institute of Neuro-Physiological Psychology (INPP) in England, einen Kurs über primitive Reflexe und Lernbehinderung besucht.

Primitive Reflexe sind automatische, stereotype, vom Stammhirn gesteuerte Bewegungen. Diese Reflexe steuern die motorischen Aktivitäten des Fötus und des Neugeborenen und müssen gehemmt und integriert werden, damit sich die Motorik des Kindes richtig entwickeln kann. Das Kind integriert die primitiven Reflexe, indem es rhythmische Bewegungen macht, die die Muster der verschiedenen Reflexe wiederholen. Kerstin Linde pflegte zu sagen, dass sie die primitiven Reflexe beobachten könne, aber nicht speziell mit ihnen arbeiten müsse, da sie durch die von ihr angewandten Übungen integriert würden.

Ab 1994 arbeitete ich ganztags in meiner Privatpraxis. Besonders bei den von Kerstin Linde gelernten rhythmischen Übungen beobachtete ich in meiner Arbeit mit Kindern, dass sie alle für die Integration der primitiven Reflexe genutzt werden konnten. Ich fand auch heraus, dass manche anderen Übungen, die diesen frühkindlichen Bewegungen ähnelten, tatsächlich auch verschiedene primitive Reflexe integrieren konnten.

Zu Beginn des Jahres 2000 lernte ich eine andere Möglichkeit der Integration primitiver Reflexe kennen: als ich Kurse bei der russischen Psychologin Svetlana Masgutova besuchte. Ihre Methode bestand darin, das Reflexmuster mit einem leichten isometrischen Druck zu verstärken, was insbesondere bei älteren Kindern und Erwachsenen von Nutzen war.

Die „Geburt“ meines rhythmischen Bewegungstrainings (RMT)

Während der 1990er-Jahre gab ich gelegentlich Kurse in rhythmischer Bewegung, für Therapeuten, Lehrer und Pflegepersonal. Nach der Veröffentlichung meines ersten Buches (1998) wurden diese Kurse vermehrt nachgefragt und ab 2002 hielt ich diese Kurse in Schweden regelmäßig ab.

Anfänglich hatte ich drei Kurse ausgearbeitet, von denen jeder einer Schicht des dreigliedrigen Gehirns (nach Paul MacLean) entsprach. In meinem ersten Kurs, der sich hauptsächlich auf den Hirnstamm und das reptilienhafte Gehirn konzentrierte [in Fachkreisen als „Reptiliengehirn“ bezeichnet. – Anm. d. Übers.], lehrte ich, wie und warum die rhythmischen Übungen nicht nur zur Verbesserung der Motorik, sondern auch zum Verbessern von Aufmerksamkeit und Hyperaktivität sowie zur Integration der bei ADHS häufig fortbestehenden primitiven Reflexe eingesetzt werden können. Im zweiten Kurs konzentrierte ich mich auf das limbische Gehirn, das für die Emotionen zuständig ist [auch limbisches System oder Säugetiergehirn genannt]. Ich vermittelte, wie die rhythmischen Übungen Emotionen beeinflussen und das Selbstbewusstsein und das Selbstvertrauen erhöhen. Der dritte Kurs konzentrierte sich auf die Funktionen des Neokortex und auf Lese- und Schreibschwierigkeiten sowie darauf, wie visuelle und phonologische Probleme und das Leseverständnis mithilfe der rhythmischen Bewegungen und speziellen Reflexintegrationsübungen verbessert werden konnten.

Ich wollte mich nicht auf das beschränken, was ich von Kerstin Linde gelernt hatte, und entschloss mich, noch andere Themen in meine Kurse aufzunehmen, etwa das Testen und Integrieren der primitiven Reflexe. Die Übungen mit isometrischem Druck nahm ich ebenfalls zusätzlich mit ins Programm. Meine umfangreiche Erfahrung während mehr als 15 Jahren Anwendung der rhythmischen Übungen bei Kindern und Erwachsenen, die an einem breiten Spektrum von Beschwerden litten, war eine unschätzbare Bereicherung bei der Gestaltung dieser Kurse.

Mein Ziel war es, die Wirkungsweise der rhythmischen Bewegungen wissenschaftlich plausibel, doch einfach zu erklären, sodass sie auch von normalen Lesern ohne medizinische Ausbildung verstanden wird. Dr. Mårten Kalling stellte mir viele wissenschaftliche Artikel zur Verfügung, die mir bei meinen Bemühungen sehr hilfreich waren.

In Schweden dürfen nur Menschen mit medizinischer Ausbildung Kinder unter 8 Jahren behandeln. Kerstin Linde betrachtete die rhythmischen Bewegungen als eine Art Lehrmethode und bezeichnete sie als Pädagogik, nicht als Therapie. Ich beschloss schließlich, meine erweiterte Methode, die auf Kerstin Lindes rhythmischen Übungen beruhte, als Rhythmic Movement Training (RMT) zu bezeichnen.

Die weitere Entwicklung des rhythmischen Bewegungstrainings

Ich entschloss mich, meine Kurse Auftraggebern (sozusagen „Sponsoren“) anzubieten, die bereit waren, mich als Dozenten oder Kursleiter zu engagieren, denn ich betrachtete mich in erster Linie als Initiator und Entwickler dieses Bewegungstrainings und nicht als Organisator. In Schweden wurden meine Kurse von einem Zentrum für sensorische Integration und positives Lernen gefördert. Ich wurde auch eingeladen, Kurse im Rahmen der Ausbildung von Vorschulpädagogen zu halten, die mit Kindern zwischen 18 Monaten und 3 Jahren arbeiteten. Das mache ich seit 2004 regelmäßig.

Im Jahre 2003 begann ich, mit Moira Dempsey zusammenzuarbeiten. Ich übersetzte meine schwedischen Kursunterlagen ins Englische und sie bearbeitete sie redaktionell, illustrierte sie und unterstützte meine Kurse in Südostasien, Australien und den USA finanziell. 2005 wurde ich eingeladen, Kurse in Spanien zu halten, wo das rhythmische Bewegungstraining weithin Verbreitung fand und beliebt wurde. Ich halte dort regelmäßig mindestens sechs Kurse im Jahr.

Neben meiner Kurstätigkeit setzte ich die Arbeit in meiner Privatpraxis fort und konzentrierte mich besonders auf Kinder mit motorischen Problemen und Lernschwierigkeiten sowie Störungen aus dem autistischen Formenkreis. Ich entwickelte meine ursprünglichen Kurse weiter, entsprechend den Erkenntnissen, die ich aus meiner Arbeit mit Kindern und durch Erfahrungen beim Unterweisen von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund gewann.

Neue Kurse in rhythmischem Bewegungstraining

Die rhythmischen Übungen können auf vielen verschiedenen Gebieten erfolgreich angewendet werden, wie bereits Kerstin Linde gezeigt hat. Für die Ausbildung der oben erwähnten Vorschulerzieher(innen) gestaltete ich einen speziellen Kurs, in dem die rhythmischen Bewegungen zusammen mit Liedern, Kinderreimen und Spielen zur Integration der Reflexe gelehrt werden.

Die rhythmischen Übungen eignen sich hervorragend auch für die Psychotherapie, insbesondere, weil sie das Träumen fördern und den Menschen helfen, mit unbewussten Themen in Kontakt zu kommen. Aufgrund meiner umfangreichen Erfahrung in diesem Bereich entwickelte ich einen Kurs über rhythmisches Bewegungstraining und Träume, den ich regelmäßig in Schweden und Spanien halte.

Sowohl in meinen Kursen als auch in meiner Privatpraxis sehe ich oft Menschen, die aufgrund nicht integrierter primitiver Reflexe Schmerzen im Nacken, im Rücken oder in den Hüften haben. Vor mehreren Jahren gestaltete ich einen Kurs für Physiotherapeuten und Masseure, in dem das Hauptaugenmerk auf Übungen zum Lösen von Muskelspannungen liegt, die Schmerzen und Osteoarthritis im Nacken sowie in der Brust- und Lendenwirbelsäule verursachen. In diesem Kurs werden auch einfache Übungen zur Korrektur eines verdrehten Beckens vermittelt.

RMT und Störungen aus dem autistischen Formenkreis

Während der letzten 10 Jahre wurden Störungen aus dem autistischen Formenkreis immer häufiger und viele Eltern brachten ihre autistischen Kinder zu mir zum rhythmischen Bewegungstraining. Damit konnte ich vielen dieser Kinder zu einer Besserung verhelfen, zum Beispiel bei der Entwicklung des Sprechens und der Emotionen, doch andere Kindern machten nur langsam Fortschritte; und als sich andeutete, dass die Übungen bei manchen seltsamerweise Hyperaktivität und starke emotionale Reaktionen auslösten, hörte ich in diesen Fällen natürlich damit auf. Die Kinder, die am meisten profitierten, ernährten sich übrigens gluten- und caseinfrei.

Ich entschloss mich daraufhin, tiefer einzusteigen und einen fundierten Kurs über rhythmische Übungen bei Autismus zu entwickeln. Als ich mich näher mit diesem Thema beschäftigte, kam ich zu der Überzeugung, dass Autismus in hohem Maße durch äußere Faktoren wie Schwermetallbelastung, Impfungen und elektromagnetische Strahlung verursacht wird: Sie schädigen das Immunsystem und den Darm und dadurch kommt es zu Entzündungen im Gehirn, die viele Symptome von Autismus erklären können. Ich kam zu dem Schluss, dass die rhythmischen Bewegungen hier mit anderen Maßnahmen ergänzt werden müssen, zum Beispiel mit entsprechender Ernährung und mit Nahrungsergänzungen, damit die gewünschten Wirkungen erzielt werden können.

Je mehr ich mich mit den umgebungsbedingten Ursachen der Störung befasste, desto mehr wurde mir klar, dass ich ein Buch darüber schreiben musste. Dieses Buch [Autism – a disease that can heal, zu Deutsch etwa: Autismus – eine heilbare Krankheit] ist im Jahre 2010 in Schweden erschienen; bisher wurde es noch nicht in andere Sprachen übersetzt.

„Bewegungen, die heilen“

Die erste Ausgabe des hier vorliegenden Buches [engl. Titel: Movements that heal] habe ich bereits 2008 auf Schwedisch veröffentlicht. Es war eine Zusammenfassung dessen, was ich in meinen Kursen unterrichte, ergänzt durch viele Fallberichte, die die Entwicklung der Betroffenen während des rhythmischen Bewegungstrainings veranschaulichten. Das nun vorliegende Buch ist eine aktualisierte Fassung, in der die zivilisatorisch bedingten Ursachen nicht nur bei Autismus, sondern auch bei Aufmerksamkeits- und Lernproblemen stärker betont werden. Ich habe das Kapitel über Autismus ganz neu geschrieben und ergänzende Abschnitte über wichtige Reflexe hinzugefügt.

 

KAPITEL 1
Die traditionelle Behandlung von ADHS

Kinder, die überaktiv, unaufmerksam und leicht ablenkbar sind, nicht lange bei einer Sache bleiben können oder Probleme damit haben, ihre Aktivitäten zu organisieren und ihre Impulse zu kontrollieren, gelten als „ADHS-Kinder“: Sie leiden unter dem Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom.

In den USA werden die Verhaltensmerkmale von Hyperaktivität bereits seit Langem mit zentral wirksamen Stimulanzien behandelt. Das sind Betäubungsmittel mit hohem Suchtpotenzial (die also leicht süchtig machen können), etwa Ritalin und Amphetamine, die seit mehr als 50 Jahren zur Behandlung von Kindern mit Verhaltensstörungen eingesetzt werden. In den 1990er-Jahren verzehnfachte sich die Produktion von Ritalin und nach gegenwärtigen Schätzungen werden 7 bis 10 Prozent der amerikanischen Kinder, vorwiegend Jungen, damit oder mit anderen zentral wirksamen Stimulanzien „behandelt“. Auch lassen sich im Laufe der letzten Jahre immer mehr Erwachsene mit zentral wirksamen Stimulanzien behandeln. Zwischen 2000 und 2004 – so besagt eine Statistik – ist der Umsatz mit diesen Substanzen von 759 Millionen auf 3,1 Milliarden Dollar gestiegen.1

Zentral wirksame Stimulanzien – das konventionelle Mittel der Wahl

Hinter dieser Entwicklung stecken hauptsächlich die großen Pharmakonzerne, die diese Medikamente verkaufen, und das American National Institute for Mental Health [NIMH; zu Deutsch etwa: Staatliches amerikanisches Institut für geistige Gesundheit]. Das NIMH wird von Psychiatern geleitet, die entschiedene Befürworter der Behandlung von hyperaktiven Kindern mit zentral wirksamen Stimulanzien sind.

Zu den Aufgaben des NIMH gehört unter anderem die Verteilung von Forschungsgeldern. Laut einem Artikel in US News & World Report hat das NIMH seine Studien fast ausschließlich auf die Gehirnforschung und die genetische Untermauerung psychischer Krankheiten konzentriert. Die Neuordnung der Forschungsschwerpunkte sei sowohl eine wissenschaftliche als auch eine politische Entscheidung gewesen.2

Der amerikanische Psychiater Peter Breggin, ein erklärter Kritiker der zunehmenden Praxis des Verschreibens von Stimulanzien für Kinder, sagt, das NIMH habe viele Millionen Dollar für Forschung an zentral wirksamen Stimulanzien bewilligt. Fast das gesamte Geld sei an unermüdliche Befürworter von Ritalin gegangen, die Kritiker hätten keines bekommen.

Die Theorie von ADHS als biologischer Störung – von amerikanischen Psychiatern widerlegt

Im Jahre 1998 organisierte das NIMH eine „Konsens-Konferenz“ mit dem offensichtlichen Ziel, dass ADHS als genetisch determinierte biologische Störung anerkannt werden sollte. Bei dieser Konferenz wurde ein Beitrag zur Prüfung der gesamten Bandbreite der Berichte über Gehirnscans vorgelegt, die angeblich für eine biologische Basis von ADHS sprachen. In diesen Gehirnscan-Studien wurde behauptet, dass in bestimmten Gehirnarealen von Kindern mit ADHS-Diagnose Anomalien gefunden worden seien. In vielen dieser Studien waren solche Kinder jedoch mit Stimulanzien behandelt worden. Und keine dieser Studien konnte den Nachweis dafür erbringen, dass sie ausschließlich mit ADHS-Kindern gemacht worden war, die keine zentral wirksamen Stimulanzien erhalten hatten.3

Demzufolge waren die Unterschiede zwischen den Gehirnen normaler Kinder und denen der Kinder mit ADHS-Diagnose mit größter Wahrscheinlichkeit auf die Wirkung der Medikation zurückzuführen, die dafür bekannt war, dass sie zumindest bei Affen Schädigungen in den fraglichen Gehirnarealen hervorrief.

In Laufe der Konferenz wurden auch mehrere Beiträge vorgelegt, die ernsthafte Risiken und Nebenwirkungen von zentral wirksamen Stimulanzien hervorhoben. Nachdem eine Reihe von Vorträgen angehört und zahlreiche Beiträge von Wissenschaftlern studiert worden waren, die über ADHS geforscht hatten, zog das Gremium die Gültigkeit der ADHS-Diagnose mit gutem Grund in Zweifel. Sehr enttäuschend für die Medikationsbefürworter vom NIMH war die Schlussfolgerung in der abschließenden einvernehmlichen Erklärung, die an die Presse verteilt und in der festgestellt wurde, es gebe keine Hinweise darauf, dass eine Gehirnstörung Ursache für ADHS sei.

Im Jahre 2000 gab es eine ähnliche Erklärung der American Academy of Paediatrics [zu Deutsch etwa: Amerikanische Akademie für Kinderheilkunde], die besagte, dass Gehirnscans und ähnliche Studien keine zuverlässigen Aussagen über Unterschiede zwischen Kindern mit ADHS und Kontrollgruppen machten.4

Die MTA-Studie von 1999

Obwohl seit über 50 Jahren einer ständig zunehmenden Zahl von amerikanischen Kindern zentral wirksame Stimulanzien verschrieben werden und ungeachtet der Tatsache, dass viele Kinder diese Medikamente fünf Jahre oder länger nehmen, waren bis vor Kurzem keine Fördergelder des NIMH mit dem Ziel bewilligt worden, die Gefahren der Langzeit-Einnahme von Ritalin und anderen Stimulanzien aufzudecken. Im Jahre 1999 wurde die sogenannte MTA-Studie veröffentlicht (Multimodal Treatment Approach = multimodaler Behandlungsansatz), die Kindern galt, die ein Jahr lang mit Stimulanzien behandelt worden waren. Davor wurden die behandelten Kinder bei den meisten Studien höchstens ein paar Monate beobachtet. Einer der an dieser ersten MTA-Studie maßgeblich beteiligten Forscher, Professor Peter Jenson, äußerte sich folgendermaßen:

„Wir haben die beste Studie gemacht, die es auf unserem Planeten je gegeben und die Eltern und Lehrern dieser Kinder geholfen hat – und was kam dabei heraus? Es kam heraus, dass die medikamentöse Therapie bei diesen Kindern immer noch die wirksamste war.“5

Laut Eric Tailer, einem renommierten britischen Kinderpsychiater, war die wichtigste Schlussfolgerung der Studie, dass eine sorgfältig durchgeführte Medikation besser sei als jede andere Behandlung; aufgrund dessen sei zu fordern, dass die medikamentöse Therapie allen Kindern mit ADHS zugänglich gemacht werde.

Diese erste MTA-Studie war ein Triumph für die Pharmaindustrie und für die Befürworter von Ritalin bei ADHS. Gleichzeitig erwies sie sich als Blamage für die weltweite Gemeinschaft der Kinderpsychiater und als Katastrophe für die steigende Zahl von Kindern, die infolge dieser Studie als „ADHS-Kinder“ abgestempelt und mit Stimulanzien behandelt wurden.

Das Studienergebnis wurde weltweit publiziert und führte dazu, dass immer mehr Kinder auf der ganzen Welt das Etikett „ADHS“ erhielten und mit zentral wirksamen Stimulanzien behandelt wurden. In mehr als zehn Ländern, die ich besuchte, um Kurse in rhythmischem Bewegungstraining zu geben, habe ich Berichte über eine ständig steigende Zahl von Kindern gehört, die seit dem Jahr 2000 mit zentral wirksamen Stimulanzien behandelt werden.

Die MTA-Nachfolgestudie von 2007

Im Jahre 2007 wurde vom selben Forschungsteam eine Nachfolgestudie veröffentlicht. Sie hatte die Kinder, die medikamentös behandelt wurden, über drei Jahre beobachtet.

Das Ergebnis dieser Studie war für das Forschungsteam eine große Enttäuschung. Einer der wichtigsten Beteiligten, Professor William Pelham, trat bei BBC Panorama, einer investigativen TV-Sendung, auf und erklärte, im Gegensatz zu den Erwartungen des Forschungsteams hätten sich auch nach 36 Monaten Behandlung keinerlei positive Wirkungen eingestellt. Laut Professor Pelham gab es keine Hinweise, dass Medikamente auf lange Sicht besser seien als keine Behandlung, und er betonte, diese Information solle man den Eltern eindeutig klar machen.6

Laut Professor Pelham zeigte der Bericht, dass die anfänglich guten Behandlungsergebnisse bei den Kindern mit den schwerwiegendsten Problemen vollständig verschwanden, als sie älter wurden. Der Bericht stellte außerdem fest, dass zentral wirksame Stimulanzien das normale Wachstum von Kindern hemmten und dass davon auch das noch wachsende Gehirn beeinflusst werde.

Zudem veranschaulichte die Studie, dass zentral wirksame Stimulanzien mit aggressiverem und unsozialerem Verhalten korrespondieren sowie mit einem erhöhten Risiko, später kriminell und drogenabhängig zu werden. Kinder im Alter zwischen 11 und 13 Jahren, die an der Studie teilnahmen, griffen im Gegensatz zu einer Kontrollgruppe von Klassenkameraden öfter zu Alkohol und illegalen Substanzen. Der häufigere frühe Beginn des Missbrauchs, so die Schlussfolgerung des Berichts, mache klinische Behandlung erforderlich.7 Mit typisch englischem Understatement äußerte Professor Pelham in der oben erwähnten BBC-Sendung:

„Ich glaube, wir haben die positiven Wirkungen der Medikation in der ersten Studie überschätzt.“

Wenngleich das Ergebnis dieser neuen Studie in den USA, in Großbritannien und in Australien veröffentlicht wurde, schwiegen sich die schwedischen Medien darüber aus. Meines Wissens haben diese Erkenntnisse nirgendwo auf der Welt Diskussionen unter den Psychiatern oder in den Medien ausgelöst. Medizinische Fachleute geben Fehler selten oder niemals zu und im Fall der zentral wirksamen Stimulanzien scheinen die Psychiater ein „Vogel-Strauß-Verhalten“ vorzuziehen. Vielleicht warten sie auf eine neue Studie, die das Ergebnis der vorherigen widerlegt? Die Pharmaindustrie wird zweifellos alles daransetzen, dass es dazu kommt.

Zentral wirksame Substanzen verringern das Wachstum

Hätten die verantwortlichen Forscher der MTA-Studien ihre Hausaufgaben gemacht und die zahlreichen vorausgegangenen Studien analysiert, dann wären sie vom Ergebnis nicht so überrascht gewesen. Dutzende von Studien haben tatsächlich gezeigt, dass zentral wirksame Stimulanzien das Gesamtwachstum verringern. Eine offensichtliche Ursache ist, dass sie den Appetit zügeln, doch noch heimtückischer ist, dass sie die Produktion des Wachstumshormons stören. Das wurde bereits 1976 von einer norwegischen Forschergruppe gezeigt.8

In einer Studie von 1986 mit 24 jungen Erwachsenen, die als Kinder wegen Hyperaktivität mit zentral wirksamen Stimulanzien behandelt worden waren, wurde in mehr als 50 Prozent der Fälle ein Schwund an Gehirnmasse festgestellt.9