Der Thriller um Michael Jackson

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Am 25. Juni um 12:21 Uhr ging bei der Notrufzentrale des Los Angeles Fire Department ein Anruf von der Adresse 100, North Carolwood Drive im wohlbetuchten Quartier Holmby Hills ein. Es war das Haus, welches Michael Jackson für die Dauer der Proben gemietet hatte. Das Gespräch nahm den folgenden Verlauf:

Notrufzentrale: Paramedic 33, wie lautet die Adresse des Notfalles?

Anrufer: Ich brauche so schnell wie möglich einen Krankenwagen, Sir.

Zentrale: OK, Sir, wie lautet die Adresse?

Anrufer: Los Angeles Kalifornien 90077

Zentrale: Carolwood Drive?

Anrufer: Carolwood Drive, ja.

Zentrale: OK, Sir, wie lautet die Telefonnummer, von der aus sie anrufen?

Anrufer: Sir, wir haben einen Gentleman hier, der Hilfe braucht. Er hat aufgehört zu atmen. Wir versuchen ihn anzupumpen, aber er, er …

Zentrale: OK, wie alt ist er?

Anrufer: Er ist fünfzig Jahre alt, Sir.

Zentrale: Er ist bewusstlos, er atmet nicht?

Anrufer: Nein, er ist nicht beim Bewusstsein.

Zentrale: Alright, liegt er auf dem Fußboden? Wo befindet er sich genau?

Anrufer: Er ist auf dem Bett, er ist auf dem Bett.

Zentrale: OK, schaffen Sie ihn auf den Boden.

Anrufer: OK.

Zentrale: OK, schaffen Sie ihn auf den Boden. Ich helfe Ihnen jetzt bei der Herz-Lungen-Wiederbelebung, OK.

Anrufer: Wir brauchen ihn … wir brauchen einen …

Zentrale: Ja, wir befinden uns bereits auf dem Weg zu Ihnen. In der Zwischenzeit versuche ich Ihnen soweit ich es kann über das Telefon zu helfen. Wir sind auf dem Weg. Hat ihn jemand gesehen?

Anrufer: Ja, ein Leibarzt ist zugegen, Sir.

Zentrale: Ach, es ist schon ein Arzt da?

Anrufer: Ja, aber er reagiert auf nichts, nein, er reagiert nicht auf die Wiederbelebungsversuche.

Zentrale: Aha, OK. Wir befinden uns auf dem Weg. Wenn Sie daran sind, Wiederbelegungsversuche durchzuführen, und dabei von einem Arzt angewiesen werden, ist er eine höhere Autorität als ich. Und er befindet sich vor Ort.

Anrufer: OK.

Zentrale: Hat jemand gesehen, was passiert ist?

Anrufer: Nein, nur der Arzt. Nur der Arzt war hier.

Zentrale: OK, hat also der Arzt gesehen, was geschehen ist?

Anrufer: Doktor, haben Sie gesehen was passiert ist, Sir? (unverständliche Stimme im Hintergrund). Sir, wenn Sie nur könnten, bitte …

Zentrale: Wir sind auf dem Weg. Wir sind auf dem Weg. Ich gebe diese Fragen bloß an die Rettungssanitäter weiter, die sich auf dem Weg befinden, Sir.

Anrufer: Danke, Sir. Er pumpt, er pumpt seinen Brustkasten, aber er reagiert auf nichts, Sir. Bitte!

Zentrale: OK, OK, wir befinden uns auf dem Weg. Wir sind nicht einmal mehr eine Meile entfernt und werden gleich da sein.

Anrufer: Danke, Sir, danke.

Zentrale: OK, Sir. Rufen Sie noch mal an, wenn Sie weitere Hilfe brauchen. Danke Ihnen.

Um 12:26 Uhr, also bloß fünf Minuten nach dem Notruf, fuhr der Krankenwagen vor dem Haus im North Carolwood Drive vor. Die Sanitäter trafen dort Jacksons Leibarzt Dr. Conrad Murray an, der sich verzweifelt bemühte, seinen Patienten wiederzubeleben. Die Rettungssanitäter verbrachten 42 Minuten in dem Haus und führten ihrerseits intensive Wiederbelebungsversuche durch. Dr. Murray gab an, im Kontakt mit Ärzten in der UCLA-Klinik zu stehen. Deren Rat folgend, wurde Jackson eine Dosis Adrenalin direkt ins Herz gespritzt. Später sagte Dr. Murray aus, er habe bei Jackson noch einen Puls feststellen können, als er schließlich in die Ambulanz gebracht und zum Hospital gefahren wurde. Ein Sprecher des Notfalldienstes ließ dagegen verlauten, Jackson habe bereits beim Eintreffen der Sanitäter kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben, und an seinem Zustand habe sich danach nichts mehr geändert.

Michael Jackson wurde um 13:14 Uhr im Krankenhaus eingeliefert. Ein Team von Ärzten bemühte sich noch eine ganze Stunde lang, seinen Kreislauf irgendwie wieder in Gang zu bringen. Um 14:26 Uhr wurde der Patient von den Ärzten offiziell für tot erklärt. Bereits sechs Minuten vorher waren die Leser der Klatsch-Website www.tmz.com im Bilde: „Wir haben soeben erfahren“, wurde dort um 14:20 Uhr gepostet, „dass Michael Jackson verstorben ist. Er war fünfzig Jahre alt.“ Es hieß weiter, Jackson sei bei der Ankunft der Sanitäter bereits tot gewesen und habe auf keinerlei Wiederbelebungsversuche reagiert. Weiter: „Eine Quelle aus dem Krankenhaus berichtete uns, dass dort nach dem Eintreffen von Jackson ein absolutes Chaos ausgebrochen sei. Die Leute, die mit Jackson ankamen, schrien: ,Ihr müsst ihn retten! Ihr müsst ihn retten!‘“

Ein Dutzend Angehörige, darunter Michaels Kinder Prince Michael Joseph, 12, Paris Michael Katherine, 11, Prince Michael Jackson II (alias Blanket), 7, waren in zwei SUVs zum Krankenhaus nachgefolgt. Wenig später kamen Michaels Schwester LaToya und sein Bruder Jermaine an, dann Brian Oxman, der Anwalt der Jacksons, und Randy, der jüngste Bruder von Michael. Mutter Katherine eilte aus dem Familiensitz in Encino herbei. Die traurige Pflicht, den Kindern den Tod ihres Vaters mitzuteilen, fiel Frank Dileo zu. Dileo war einst bei Epic Records für die Vermarktung von „Thriller“ zuständig gewesen und auf Grund seines Erfolges von Jackson als Manager verpflichtet worden. 1989 musste er abrupt den Hut nehmen, weil er in den Augen von Michael schuld daran war, dass in der Öffentlichkeit das Image von „Wacko Jacko“ entstanden war. Wochen vor seinem Tod hatte Michael Dileo ebenso wieder angeheuert wie John Branca, den Rechtsanwalt, der ihn über seine besten Jahre hinweg begleitet hatte. Die Verpflichtungen waren von den Beobachtern im Musikgeschäft als ein Zeichen gewertet worden, dass es Jackson ernst meinte mit dem Versuch, seine Geschäfte in den Griff zu bekommen. „Ich war nicht allein, als ich es den Kindern sagen musste“, berichtete Dileo am nächsten Tag im NBC-Programm „Today“. „Ein Arzt war da und ein Sozialarbeiter, dazu die Kinderschwester und Dr. Murray, Michaels Leibarzt. Ich kann gar nicht anfangen, die Emotionen zu beschreiben, die in dem Moment aus diesen Kindern stürzten.“

Am Spiegel im Zimmer von Michael Jackson wurde ein Post-it-Sticker gefunden. Darauf stand in dessen Handschrift geschrieben: „I am the conductor of miracles“.


Die Fans:

„Welches sind Deine liebsten Werke von Michael Jackson?“

„Earth Song“ wird immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben. Durch diesen Song wurde ich zum Fan. Er hat mein Interesse für Michael Jackson und für die englische Sprache geweckt. Mit zehn Jahren habe ich auf meinen Wunsch hin mein erstes Deutsch-Englisch-Wörterbuch bekommen und angefangen, mühsam und Stück für Stück den Song zu übersetzten. Heute studiere ich Anglistik. Abgesehen davon spricht Michael in diesem Song genau das an, was auch mir am Herzen liegt: der Erhalt dieses Planeten, die Beendigung von Krieg, Hunger, Armut etc. Auch wenn ich damals als 10-jähriges Mädchen noch nicht verstanden habe, worum es in diesem Song ging, spürte ich, dass es um etwas Wichtiges ging.

Gabriele Hüben, 25, Studentin der Anglistik, Germanistik, Duisburg

Seine Meisterstücke sind meiner Meinung nach „Bad“ und „Dangerous“, wobei mir „Is It Scary“ und „Morphine“ von „Blood on the Dance Floor“ eigentlich genauso lieb sind. Die Alben vielleicht deswegen, weil sie mich doch einen Großteil meines Lebens begleitet haben und sozusagen mein „Einstieg“ waren. „Bad“ und „Dangerous“ stehen irgendwie sinnbildlich für Michael Jackson.

Patricia, 32, Industriekauffrau, St. Ingbert

Ich liebe alles, was Michael erschaffen hat, aber ganz besonders liebe ich das „Thriller“-Video mit dem Zombie-Dance. Es ist einfach so cool, wie sie tanzen. Besonders gern habe ich auch das Lied „Heal The World“. Es ist eine Botschaft an die Welt, dass wir ändern müssen, wie wir leben. Ich bewunderte Michael immer für das, was er für die Umwelt und die ärmeren Menschen tat.

Celine Wittwer, 14, Schülerin, Bern

Die beiden Lieder „Heal The World“ und „Man In The Mirror“ sind seit jeher meine Lieblingssongs. In meinen Teenager-Jahren habe ich mich aktiv für Friedenspolitik engagiert. Heute lebe ich mein soziales Engagement im Beruf aus. In beiden Liedern werden die Menschen dazu aufgefordert, mitzuhelfen, die Welt zu verbessern, sich für Gerechtigkeit und gegen Gewalt einzusetzen und im Rahmen ihrer eigenen Möglichkeiten Gutes zu bewirken. Das Tolle an der Musik, insbesondere an der Musik von Michael Jackson ist, dass sie eine globale Sprache spricht und Menschen rund um den Globus erreicht und bewegt.

Olivia Maria Sanchez, 28, Sozialarbeiterin und Lehrerin, Bern

Schwierige Frage. „Thriller“ wäre wohl die logische Wahl, denn ich LIEBE das Album, und es hat mich jahrelang jeden Abend in den Schlaf begleitet. Trotzdem sage ich jetzt „HIStory“, denn es ist eines seiner persönlichsten Alben, und weil darüber hinaus eine „Greatest Hits“-Sammlung dazu gehört, bringt es mich erst noch in den Genuss von vielen der besten Songs von den restlichen Alben.

Mark Wittenberg, 32, Versicherungsagent, Haarlem,

„ABC“ und „The Love You Save“ verbinde ich mit meiner unbeschwerten Kindheit, in der noch alles möglich war … ich fühlte mich sicher, unsterblich, wie alle Kinder in diesem Alter, und war davon überzeugt, eines Tages alles erreichen zu können, von dem ich träumte. Dann auch „Thriller“, „Billie Jean“ und „Beat It“, das waren meine treuen Begleiter beim Lernen für meine Abi-Prüfungen und liefen auch bei den legendären Wochenendpartys in unserer Clique rauf und runter.

 

Tink, 46, Nordseeküste

Thriller“ erinnert mich heute sehr an die Teenie-Zeit, als wir nachts über die Friedhöfe schlichen … grusel grusel. „Smile“ fällt mir hin und wieder ein, wenn ich meine eigenen Gefühle verbergen muss. Manche Lebenssituationen erfordern das leider. „They Don’t Care About Us“ (mein Lieblingslied). Wut und Ohnmacht, wenn mal wieder alles schiefläuft.

Anita Pawlik, 49, Altenpflegerin, Grebenstein bei Kassel

„Heal The World“, „Man In The Mirror“: die Botschaft für die Menschen, an die Liebe zu glauben und die Welt damit zu verbessern. Bei sich selbst damit anzufangen und nicht zu warten, bis es die anderen tun. „Invincible“: weil es nicht so perfekt ist. Es zeigt die Ecken und Kanten des Menschen MJ. Gefühlvolle Songs kombiniert mit aggressiven Liedern. „Dangerous“: weil es so perfekt ist. Eine Einheit von der ersten bis zur letzten Note. Das Konzert in Brunei, 1996: die Zurückhaltung bei den Moves (z.B. kein Griff in den Schritt) aus Achtung vor den Zuschauern. Bad-Tour Yokohama 1987: einfach nur Sex pur, er hatte es einfach drauf, mit Bewegung alle Mädels in Rage zu bringen. Kurzfilm: „Ghosts“: Es gibt einfach nichts Besseres. Sonst mag ich prinzipiell alle Songs, Videos, Konzerte und Kurzfilme!

Stefanie Reichert, 41, Betriebswirtin Druck, Leonberg

Die Frage zu meinen Lieblingswerken kann ich kaum beantworten. Jedes seiner Lieder ist auf seine Weise etwas ganz Besonderes und steht für sich selbst. Das ist bei ihm eben das Erstaunliche. Ich liebe Musik und höre wann immer ich kann Radio oder eine CD. Doch in der Regel weiß ich nicht wirklich, wer welches Lied singt. Ich mag auch nicht oft mehrere Lieder von einem Interpreten. Doch bei MJ ist das eben ganz anders. Seine Musik verzaubert mich immer wieder aufs Neue. Wenn ich allein durch den Wald laufe und dabei seine Musik höre, habe ich das Gefühl, mit jeder Faser meines Körpers bei dem Stück zu sein. Ich habe das Gefühl, fühlen zu können, was er sagen wollte. Ich bekomme das Gefühl, die Dinge klarer zu sehen, und nehme meine Umgebung plötzlich viel intensiver wahr.

Verena A., 30, Lüneburger Heide

Ich glaube, ich bewundere momentan einfach am meisten das „Invincible“-Album, da es einfach so einen „Boom“-Effekt verursachte. 1997 war das letzte Album rausgekommen, vier Jahre – und dann plötzlich, „Boom!“, sechzehn neue Songs …“

Felicitas Neumann, 14, Berlin, Schülerin

„Ich liebte seine Neverland-Ranch. So eine tolle „andere Welt“. Er hat da was ganz Tolles erschaffen.“

Brian, 25, Aushilfe, Königstein im Taunus

Meine Lieblingslieder variieren immer. Momentan bin ich fasziniert vom Intro von „Little Susie“. Mit welcher Sorgfalt er hier das Werk für sein Intro gewählt hat. Der Text des Requiems und die Melodie sind so treffend für das nachfolgende Stück. Wahnsinn find ich ebenso „Morphone“. Genial versteckt er hier einen Schwall an Information über seine Psyche. Diese Information sichtbar zu machen, versuche ich immer noch. Das gelungenste Werk ist allerdings er selbst – seine Ausstrahlung, seine Wirkung, seine faszinierenden Reden, seine unermüdlichen Versuche, für das, was er ist, anerkannt zu werden.“

Monika Kolland, 32, Coaching und Kommunikationstraining, Steiermark

Diese Antwort hören Sie sicher oft. Aber alles von ihm ist toll! Muss ich mich entscheiden, dann sind es Songs wie „Man In The Mirror“, „Heal The World“ und „Earth Song“. Das sind Songs mit einer großartigen Aussage, sie sollen uns wachrütteln, damit wir sehen, was passiert in der Welt.“

Tanja, 26, Auszubildende Bürokauffrau, Magdeburg

Als ich noch kein Englisch konnte, fand ich vor allem „Human Nature“, „Man In The Mirror“, „Another Part Of Me“, „Will You Be There“ und „Black Or White“ ganz toll, einfach wegen des Zusammenspiels von Musik und Stimme. Ab Mitte der 90er Jahre verstand ich dann auch noch, was er da eigentlich singt. Was mich damals wie heute fasziniert, ist, dass Michael nicht nur ein Popmusiker war, der (überspitzt ausgedrückt) 08/15-Liedtexte über Liebe und das Verlassenwerden schrieb, sondern sich sozial engagierte und über seine Musik sein soziales Bewusstsein zum Ausdruck brachte. Das kannte ich damals in der Form noch nicht von anderen Musikern, die ich wahrnahm (Bravo-Leserin …).“

Katja, 26, Lehrerin, Pfedelbach

„Smile“ ist mein Lieblingssong, weil er mit so viel Gefühl gesungen ist und einfach diese Harmonie ausstrahlt und ich es auch fühle.“

Alexander Stolz, 30, Gesundheits- und Krankenpfleger, Saarbrücken


Gedanken zum Fan-Sein:

Zweitens …

Die Fans, welche die Frage nach ihren liebsten Michael Jackson-Werken nicht einfach mit „alles“ beantworteten, brachten eine nicht weniger als verschiedene 49 Songs umfassende Liste von „Lieblingsliedern“ zusammen. Das ist nur schon angesichts der Kompaktheit von Michaels Lebenswerk eine beachtliche Ziffer. Sie deutet darauf hin, dass in seiner Musik eine Vielzahl von Elementen steckt, welche uns auf ganz unterschiedliche Art ansprechen können. Ein Titel ragte als Fan-Favorit heraus: „Man In The Mirror“. Knapp dahinter folgten „Heal The World“ und „Earth Song“.

„Man in the Mirror“ war keine Komposition von Michael selbst. Sie stammte aus der Feder der Soul-Sängerin Siedah Garrett und des Produzenten Glenn Ballard (er zeichnete später auch noch für Alanis Morissettes Album „Jagged Little Pill“ verantwortlich). Jacksons Version ist auf dem Album „Bad“ anzutreffen, auf welchem Garrett als Duett-Partnerin mit Michael „I Just Can’t Stop Loving You“ singt. An dem Lied fällt vor allem der prägnante Text auf. Er appelliert an unser Sozialgewissen, auch an die „kids in the street with not enough to eat“ zu denken und alles daranzusetzen, eine bessere Welt für alle zu schaffen. Zugleich gibt der Text zu bedenken, dass eine wahre gesellschaftliche Veränderung nur dann eintreten könne, wenn wir uns selbst ins Gewissen redeten und unsere eigennützigen Gewohnheiten änderten. Der Titel wurde 1987 als Single ausgekoppelt, brachte es aber nur in den USA, wo er sowohl in den Pop- als auch den R&B-Charts die Spitze erreichte, zu größeren Chart-Ehren. In Österreich schaute zwar auch noch ein Rang zehn heraus, aber in den mit Verlaub eher tonangebenden UK-Charts blieb die Single (entgegen anders lautenden Wikipedia-Angaben) auf Rang 21 hängen, in Deutschland auf 22 und in der Schweiz auf 23. Möglicherweise lässt sich gerade dadurch die außerordentliche Popularität des Liedes unter Fans erklären. Einerseits bringt es einen Stützpfeiler von Jacksons „Message“ perfekt auf den Punkt, andererseits ist es von Radio und TV noch nicht ganz bis zum Überdruss rauf- und runtergespielt worden.

„Earth Song“ teilt wie kaum ein zweiter Michael Jackson-Hit die Menschen in zwei Lager. Wieder einmal appellierte Jackson ans Gewissen seiner Zuhörer. Diesmal forderte er uns auf, besser auf unsere Erde und vor allem auch auf die Tierwelt aufzupassen. Die Message wurde in einem episch anschwellenden Arrangement serviert, das noch mit dem Gospelchor von Andrae Crouch garniert war. In den Augen der Fans war es ein Meisterwerk sensibler, tiefgängiger Songschreibekunst. In den Ohren und Augen der Feinde, von denen es zum Zeitpunkt des Erscheinens im November 1995 nur so wimmelte, war „Earth Song“ Schmalz pur und das dazugehörige Video, in welchem Jackson Posen einnahm, die frappant an bildliche Darstellungen von Jesus erinnerten, ein Meisterwerk pompöser Selbstherrlichkeit. Offenbar schlug sich Jacksons eigene Plattenfirma zumindest in den USA auf die Seite der Feinde: Die Single wurde dort nie veröffentlicht. Obwohl zu der Zeit Bill Clinton mit Vizepräsident Al Gore an seiner Seite im Weißen Haus saß, fielen umweltschützerische Botschaften in den USA auf steinigen Boden. Sie galten als Panikmache von Extremisten, die darauf aus waren, die amerikanische Industrie und damit den „Mann auf der Straße“ zu ruinieren. Es sei hier die spekulative These erlaubt, die Plattenfirma hätte befürchtet, dass Jackson nach den erst zwei Jahre zurückliegenden Anschuldigungen des Kindesmissbrauches durch Jordan Chandler eh kaum noch hitträchtig war, geschweige denn mit einem Lied, das von einem großen Teil der Bevölkerung als linke Propaganda aufgefasst werden konnte, selbst wenn die politische Botschaft mit Samthandschuhen, himmlischen Geigen und gospelhafter Inbrunst aufgetischt wurde. Anderswo teilte man die Meinung von Sony USA nicht. In Deutschland und in der Schweiz schaffte es „Earth Song“ an die Chart-Spitze, in Österreich auf Rang vier. In Großbritannien wurde sogar Michaels größter Hit aller Zeiten daraus. Über eine Million Exemplare gingen weg, sechs Wochen verbrachte die Single auf Platz eins und bewirkte, dass sich der postum erschienene Beatles-Schlager „Free As A Bird“ mit Platz zwei bescheiden musste.

In eine ähnliche textliche Kerbe haute „Heal The World“, das im November 1992 als sechste Singleauskoppelung von „Dangerous“ in die Läden kam. Rund um die Welt durfte Jackson einen weiteren Top 5-Hit verbuchen (Großbritannien Rang zwei, Deutschland drei, Schweiz vier, Österreich fünf). Nur in den USA passte die Nummer überhaupt nicht. In den Pop-Charts erreichte sie einen bescheidenen Rang 27, in den schwarzen R&B-Charts blieb sie gar auf Platz 62 stecken. Keine andere Michael Jackson-Single der Neuzeit hat seinen afroamerikanischen Fans so schlecht gefallen wie „Heal The World“.

Nebst den drei einsamen Spitzenreitern „Man In The Mirror“, „Earth Song“ und „Heal The World“ wurden „Smooth Criminal“, „Dirty Diana“, „Thriller“, „Human Nature“, „Beat It“, „Billie Jean“ und „Will You Be There“ am häufigsten als Lieblingssongs genannt. „Black Or White“, „They Don’t Care About Us“, „Give In To Me“, „Wanna Be Starting Something“, „Who Is It“ und „Blood On The Dancefloor“ brachten es ebenfalls auf vielfache Nennungen. „Money“, „Break of Dawn“, „Speechless“, „Morphine“, „Is It Scary“, „ABC“, „2 Bad“ und das obskure „On The Line“ gehörten zu den vielen Stücken mit einer oder zwei Nennungen.

Schon bei den Beschreibungen der Fans, wie sie Michael Jackson für sich entdeckt hätten, fiel auf, wie oft nicht die Musik den ersten Schritt ausgelöst hatte. Auch die Aufzählung von Lieblingswerken unterstreicht die Binsenwahrheit, dass Jackson seine Fans nicht nur mit seinen Liedern zu packen wusste. Ein ganzes Dutzend Fans nannten den Mini-Film „Ghosts“ als ihr liebstes Michael Jackson-Werk. In dem humorigen, gruseligen und vor allem spektakulären 39-Minuten-Streifen (inbegriffen eine Kurzdoku über die Drehvorbereitungen, die allein schon den Eintritt wert ist) spielt Jackson einen Sonderling, den die kleinbürgerliche Nachbarschaft nicht versteht und drum aus dem Dorf vertreiben will. Mit einer gewaltigen Horror- und Tanzshow gewinnt „Jackson“ alsbald die Herzen der Kinder und – langsam, aber sicher – die ihrer Eltern für sich, um schließlich dem Rädelsführer und Bürgermeister einen derart grausigen Schrecken einzujagen, dass dieser Hals über Kopf das Weite sucht und das Dorf samt Sonderling im Frieden zurücklässt. „Ghosts“ ist bei den Fans nicht nur deswegen so beliebt, weil es eine einzige verspielte Augenweide ist, sondern auch darum, weil unschwer zu erkennen ist, dass Jackson mit diesem Appell an die Toleranz seinen großen Wunschtraum in Szene setzte. Die Fans wussten diese Botschaft natürlich zu entschlüsseln und interpretierten sie nicht zu unrecht als einen persönlichen Aufruf, Michael bei der Verwirklichung des Traumes zu helfen. Gibt es für einen Fan ein schöneres Gefühl als das, im Leben des Idols eine aktive Rolle einnehmen zu dürfen?

Auch andere Video-Clips stehen in der Fan-Gunst ganz oben: „Thriller“ selbstverständlich („Billie Jean“ hingegen nicht), „Bad“, „Black Or White“ und „Dirty Diana“, aber auch „Smooth Criminal“, „Remember The Time“, „Captain Eo“ und die Filme „Moonwalker“ sowie „This Is It“. Viele Fans genießen am liebsten weder CDs noch Video-Clips oder Filme, sondern Live-Mitschnitte von Konzerten – allen voran dem von Bukarest. Andere schätzen ganz besonders die Lektüre von „Dancing The Dream“, einer Sammlung von Märchen, Gedanken und Gedichten, die Michael im Jahr 1992 veröffentlichte. Merkwürdigerweise wurde sein Memoirenband „Moonwalk“ nur ein einziges Mal genannt. Weitere Stimmen gingen ein für die Neverland-Ranch, das Interview mit Oprah Winfrey, die Rede an der Universität Oxford, sein „Billie Jean“-Auftritt im Rahmen der Motown-Jubliläums-Show (der aus dem Popstar Michael Jackson in einem einzigen Moonwalk ein Gesamtkunstwerk für die ganze Welt machte). Ein Fan schrieb ganz simpel: „Seine Botschaft“.

 

Diese „Statistiken“ zeigen, dass Michael Jackson nicht einfach ein Popstar war, bei dem die Hits im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit standen und alles andere nur als ein Marketing-Werkzeug konzipiert war, das Produkt an den Mann zu bringen und Hits zu schaffen. Jackson schöpfte alle technischen Mittel seiner Tage aus, um einen wahren Multimedia-Künstler aus sich zu machen. Als Video-Clips in den Augen der meisten anderen Stars noch wenig mehr waren als Werbespots, in denen sie vor allem gut auszusehen hatten, erkannte Jackson, dass Videos für ihn nicht nur eine geschäftliche Notwendigkeit darstellten, sondern ihm darüber hinaus die Möglichkeit gaben, ein wesentliches Element seiner Kunst, den Tanz, einem Publikum nahezubringen, das bis dahin nie ein Ticket gekauft hätte, um ihn „live“ zu erleben. In diesem Sinne waren auch die Bücher, Gespräche und Reden wichtig. Sie erlaubten es ihm, dem Publikum seine Vision darzulegen, zu zeigen, dass es ihm in seinen Liedern nicht bloß um Ratschläge in Sachen Liebeskummer ging. Dies war vielen Popfans entgangen, die gar nicht erst hinhörten, weil sie von ihren Schlagertexten eh nichts anderes erwarteten als süße Nichtigkeiten. Das warf indessen ein Problem ganz anderer Natur auf: Jacksons manchmal ziemlich unkonventionelle Art, sich in Worten auszudrücken, konnte zu fatalen Missverständnissen, Falschinterpretationen und Pannen führen.

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