Einleitung in das Neue Testament

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§ 8Die Apostelgeschichte

1. Gliederung

Auch für die Apostelgeschichte sind ganz unterschiedliche Gliederungen vorgeschlagen worden. Diese schwanken zwischen einer Zweiteilung (z. B. nach den Personen des Petrus und Paulus, Teil 1 umfasst danach 1,1–11,18 bzw. 15,33, Teil 2 den Rest) über Zwischenstufen bis zu einer Einteilung in sechs Abschnitte. Es gibt aber auch Vorschläge, die auf eine Gliederung völlig verzichten und es einfach bei der Aufzählung von 68 bzw. 72 Einzelperikopen belassen.

Angesichts der für das Lukasevangelium erhobenen geographischen Gliederung würde es sich zweifellos nahelegen, eine solche auch der Apostelgeschichte zugrunde zu legen. Dies gilt um so mehr, als 1,8 das direkt nahelegt: „Ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde.“ In 1,1–8,3 würde dann die Verkündigung des Christuszeugnisses in Jerusalem, in 8,4–11,18 die in Judäa und Samaria, in 11,19–28,31 die bis an die Grenzen der Erde dargestellt. Man hat dagegen jedoch eingewendet, die Apostelgeschichte widerstreite einer solchen geographischen Gliederung offensichtlich, weil auch nach 8,3 wichtige Ereignisse in Jerusalem angesiedelt sind. Diesem Einwand kann man auch nicht dadurch abhelfen, dass man den Mittelteil bis zum Abschluss des Apostelkonzils in 15,35 ausdehnt, weil auch im Folgenden noch entscheidende Szenen in Jerusalem spielen. Im Gegensatz zum eindeutigen Nacheinander der Schauplätze im Lukasevangelium überschneiden sich diese in der Apostelgeschichte wesentlich stärker und legen so eine Gliederung rein nach den Schauplätzen der Mission keinesfalls nahe.

Nun finden sich in dem zweiten Werk des Lukas eine Reihe von sog. Verbreitungsnotizen, die die Mission in bestimmten Gegenden zusammenfassen und den Erfolg festhalten (6,7; 9,31; 12,24; 16,5; 19,20; 28,30 f.), so dass man diese als Abschluss von jeweils sechs größeren Abschnitten verstehen kann. Da sich aber in der Apostelgeschichte auch noch andere Summarien finden, hält auch diese Gliederung einer strengen Nachprüfung nicht stand. Angesichts dessen empfiehlt es sich nun doch, inhaltliche Gesichtspunkte als Gliederungsmerkmale heranzuziehen und dabei 1,8 nicht außer acht zu lassen. Man wird nämlich durchaus auch eine gewisse geographische Gliederung akzeptieren können, wenn man die Zuordnung des jeweiligen Abschnittes nicht exklusiv versteht. Dass Jerusalem immer wieder in den Blick genommen wird, hängt nicht nur mit der zentralen Jerusalemperspektive des Autors zusammen, die sich auch im Evangelium des Lukas findet (vgl. Lk 24,6 parMk; 24,52; auch Apg 1,4), sondern sicher auch mit der überragenden Rolle, die die Urgemeinde in Jerusalem für die sich ausbreitende Kirche gespielt hat, wenn diese auch durch Lukas durchaus noch vergrößert sein mag.

Es empfiehlt sich dann die folgende Gliederung:


Prolog (Vorwort) mit Widmung an Theophilos
1,4–26Die Urgemeinde in Jerusalem „zwischen Ostern und Pfingsten“
1,4–11Ostererscheinungen und Himmelfahrt Jesu
1,12–26Personen und Gruppen der Urgemeinde, Erneuerung des Zwölferkreises
2,1–8,3Die „Urgemeinde“ aus christusglaubenden Juden in Jerusalem
2–5Pfingsten und die Verkündigung der „Hebräer“ unter den Juden Jerusalems
6,1–8,3Die „Hellenisten“ und das Martyrium des Stephanus
8,4–15,35Die Öffnung der Kirche für Nichtjuden
8,4–40Die Wirksamkeit des „Hellenisten“ Philippus in Samaria
9,1–31Die „Bekehrung“ des Saulus vom Verfolger zum Zeugen Jesu Christi
9,32–11,18Die Corneliusgeschichte: Petrus tauft den ersten Nichtjuden
11,19–30Die Entstehung einer gemischten Gemeinde in Antiochia
12Die Verfolgung der Urgemeinde in Jerusalem durch Herodes Agrippa
13–14Erste Missionsreise von Barnabas und Paulus von Antiochien aus
15,1–35Der Apostelkonvent in Jerusalem
15,36–28,31Das Christuszeugnis auf dem Weg nach Rom
15,36–18,22Die zweite Missionsreise des Paulus in Kleinasien und Griechenland
18,23–21,17Die dritte Missionsreise des Paulus und seine letzte Reise nach Jerusalem
21,18–26,32Verhaftung des Paulus und Gefangenschaft in Jerusalem und Caesarea (mit drei Verteidigungsreden)
27,1–28,31Reise des Paulus nach und Wirksamkeit in Rom

2. Gründe für die Abfassung der Apostelgeschichte

Da die Apostelgeschichte, als Lukas mit ihrer Abfassung begann, ohne jede Analogie im christlichen Bereich war, stellt sie ein Phänomen ganz eigener Art dar, und Lukas muss spezielle Gründe dafür gehabt haben, als einziger Evangelist sein Evangelium mit einem Fortsetzungswerk weiterzuführen. Das mag auf den ersten Blick nicht einleuchten, weil uns die Existenz der Apostelgeschichte so vertraut ist, so dass wir uns über ihren neuartigen Charakter kaum Rechenschaft ablegen. Die Idee, die Apostelgeschichte zu schreiben, war aber mindestens so neu wie die Idee der Abfassung eines Evangeliums – insofern kann die Leistung des Lukas kaum überschätzt werden.

2.1 Die Suche nach dem zutreffenden Abfassungszweck

Verschiedene Antworten

Die Gründe für das zweite Werk des Lukas liegen freilich nicht am Tage, und es gibt ganz unterschiedliche Annahmen in dieser Hinsicht. Es ist nicht zu Unrecht betont worden, dass keine neutestamentliche Schrift so häufig auf ihren Abfassungszweck hin befragt worden ist wie die Apostelgeschichte. So hat man in ihr u. a. eine Apologie des Christentums gegen jüdische Anklagen gesehen, die der heidnischen Öffentlichkeit verdeutlichen solle, dass das Christentum das Judentum abgelöst habe, oder man hat das Werk als eine Verteidigungsschrift für Paulus betrachtet, die ihm in seinem Prozess vor den Römern helfen sollte.

Kriterien

Scheidet letztere Auffassung schon aufgrund der Abfassungszeit des Werkes und des Inhaltes aus, und wird erstere der Apostelgeschichte als Gesamtwerk in keiner Weise gerecht, so muss nach zuverlässigen Kriterien gesucht werden, die Aufschluss über die Absichten, die Lukas mit diesem ungewöhnlichen Werk verband, geben können. Nicht in Frage kommen hierfür die Titel, die das Werk in der altchristlichen Überlieferung trägt (Taten / Taten der Apostel / Taten aller Apostel, Zeugnis des Lukas über die Apostel, Kommentar des Lukas), weil diese, wie ihre noch bis ins dritte Jahrhundert währende Verschiedenheit zeigt, offensichtlich sekundär eingefügt worden sind. Auch kann Lukas kaum einem Werk den Titel „Taten der Apostel“ geben und über die Hälfte des Werkes einem Manne widmen, dem er normalerweise den Titel „Apostel“ gerade verwehrt. Selbstverständlich kann man in der Apostelgeschichte den natürlichen Ausdruck fortgeschrittener kirchlicher Verhältnisse finden, aber die Tatsache, dass ein solches Werk so noch nicht vorhanden war, wenn Lukas auch über Quellen verfügt haben wird, spricht doch dafür, dass die Schwelle hier höher gewesen ist und Lukas bewusst und aufgrund bestimmter Gründe die Fortsetzung des Evangeliums in Angriff genommen hat.

2.2 Der Prolog des Lukasevangeliums und die Gründe für die Abfassung der Apostelgeschichte

Näheren Aufschluss über die Absichten, die Lukas mit der Apostelgeschichte verfolgt, könnte das Vorwort des Evangeliums geben, da das Vorwort der Apostelgeschichte selbst offensichtlich unvollständig ist. Ersteres aber darf nur herangezogen werden, wenn es auch wirklich beide Werke im Blick hat – lässt sich das wahrscheinlich machen? Über jeden Zweifel erhaben ist diese Annahme nicht, aber es sprechen doch eine ganze Reihe von Gründen dafür: Sehen wir einmal davon ab, dass Lukas zu Anfang des Evangeliums die Neuheit seines Unterfangens gründlich betont und dass schon in dieser Neuheit das zweite Werk mitenthalten sein kann, weil der Hinweis auf das Ungenügen der Vorgänger, der bei Lukas freilich äußerst verhalten erfolgt, zu den Topoi eines solchen Vorwortes gehört. Die stärksten Argumente für die Behauptung, das zweite Werk sei im Proömium des Lukas von Anfang an mitangezielt, scheinen mir in Folgendem zu liegen:

Lk 1,1-4 als Proömium auch für die Apg

a) Die Formulierung des Vorwortes in 1,1 von den Ereignissen, „die sich unter uns erfüllt haben“ (die EÜ übersetzt die entsprechende griechische Formulierung ziemlich frei: „was sich unter uns ereignet und erfüllt hat“, die oben benutzte Übersetzung des Münchener Neuen Testaments wird dem Urtext wesentlich gerechter, vgl. auch die Übersetzung im Synoptischen Arbeitsbuch von Rudolf Pesch: „Über die unter uns zur Erfüllung gekommenen Ereignisse“), ist auffällig, vor allem wenn man sie mit denen des Markus und Matthäus vergleicht. Im Gegensatz zu Markus und Matthäus erfolgt in der ersten Zeile überhaupt kein Hinweis auf Jesus – der Name taucht vielmehr bei Lukas erst in 1,31 zum ersten Mal auf. Bezeichnet Markus seinen Gegenstand mit dem „Evangelium von Jesus Christus“ (dem Sohne Gottes. Zur Problematik dieses Textes vgl. oben § 5 Nr. 10) und beginnt Matthäus zumindest seinen Stammbaum mit „Buch des Ursprungs von Jesus Christos, (dem) Sohn Davids, (dem) Sohn Abrahams“ (so das Münchener Neue Testament. Die EÜ nivelliert hier wiederum und unterschlägt den Terminus „Buch“: „Stammbaum Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams“), so spricht Lukas von den „Ereignissen, die sich unter uns erfüllt haben“. Diese Formulierung kann sich natürlich auf die Jesusgeschichte beziehen; dass sie das ausschließlich tut, ist aber in keiner Weise angedeutet und angesichts der anderen Formulierungen bei Matthäus und Markus nicht besonders wahrscheinlich, zumal von Ereignissen die Rede ist, „die sich unter uns erfüllt haben“. Zwar sind diese Ereignisse auf die Überlieferung der Augenzeugen von Anfang an angewiesen, aber dies gilt doch wohl auch wenigstens teilweise für die Apostelgeschichte, wie die Nachwahl des Matthias zeigt (1,15–26). Beachtenswert ist darüber hinaus, dass Lukas in 1,1, wo er den Inhalt des ersten Buches zusammenfasst, diese Formulierung gerade nicht aufnimmt, sondern hier sagt: „Im ersten Buch, lieber Theophilus, habe ich über alles berichtet, was Jesus getan und gelehrt hat“. Insofern die Formulierung in Lk 1,1 weit darüber hinausgeht, müssen beide Formulierungen ernst genommen und als Signal dafür verstanden werden, dass mit dem Evangelium die in Lk 1,1 ausgedrückte Absicht noch nicht zum Abschluss gekommen ist.

 

Ereignisse in der Urgemeinde als Erfüllung der Schrift

b) Lukas spricht im Vorwort zum Evangelium von den „Ereignissen, die sich unter uns erfüllt haben“. Zwar kennt Lukas im Evangelium und in der Apostelgeschichte einen neutralen, im wesentlichen zeitlich zu verstehenden Gebrauch von „erfüllen“ (mit Hilfe verschiedener griechischer Verben, z. B. in 2,1; 7,23.30; 9,23; Lk 1,23.57; 2,6 – vgl. zu den letzteren Belegen Herodot, Historien VI 63), aber mit den sich erfüllenden Ereignissen dürften doch in der Heiligen Schrift vorhergesagte Geschehnisse gemeint sein, die im Christusgeschehen zur Erfüllung kommen. Dieser Gedanke begegnet nun aber keineswegs nur im Evangelium (vgl. nur 4,16–30), sondern auch in der Apostelgeschichte. Zwar ist der Erfüllungsgedanke dort in der Regel auf das Christusgeschehen bezogen, in dem sich die Schrift erfüllt (vgl. 3,18; 13,29.33), aber dieser Gedanke ist keineswegs auf das Jesusphänomen beschrä nkt, sondern kann auch mit den in der Apostelgeschichte geschilderten Ereignissen aus der Geschichte der Urgemeinde verbunden werden. So wird die Eröffnungsszene der Apostelgeschichte, das Pfingstgeschehen, ausdrücklich als Erfüllung der Schrift konstatiert, wenn auch der Terminus „erfüllen“ nicht fällt: „Diese Männer sind nicht betrunken, wie ihr meint …, sondern jetzt geschieht, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist“ (2,15 f.). In 13,40 heißt es: „Gebt also acht, dass nicht eintrifft, was bei den Propheten gesagt ist: Schaut hin, ihr Verächter …“ und auch in 13,46 ff. wird die Hinwendung zu den Heiden als Erfüllung der Schrift bezeichnet, ohne dass freilich das Wort „erfüllen“ fällt. Schließlich wird in der großartigen Schlussszene der Apostelgeschichte die Ablehnung des Evangeliums durch die Juden in Rom mit der Schrift begründet und somit als deren Erfüllung gesehen, wenn auch hier wieder ohne den Erfüllungsterminus.

Führung der Urgemeinde durch den Hl. Geist

Zuverlässigkeit der christlichen Lehre

Nun kann man dagegen freilich auf Lk 24,44 verweisen, wo das In-Erfüllung-Gehen auf das in der Schrift über Jesus Gesagte bezogen wird, und die Erfüllung der Schrift in der Sicht des Lukas auf das Jesusgeschehen beschränken. Dass eine solche Interpretation aber nicht das Verständnis des Lukas trifft, zeigt zum einen, dass auch in der Apostelgeschichte Berichtetes auf die Schrift zurückgeführt wird, und zum anderen, dass die im Lukasevangelium mit der Erfüllung der Schrift zusammen gehörende Perspektive von der Führung durch den Heiligen Geist (Lk 2,25–27; 3,22; 4,1.14.18) ebenfalls in der Apostelgeschichte begegnet und dort auf die Kirche übertragen ist (vgl. besonders 8,29.39; 10,19; 11,12.28; 13,2.4; 15,28). Spricht so eine ganze Reihe von Gründen für die in Lk 1,1 angezielte Einheit der beiden lukanischen Werke, so kann aus der Formulierung des Prologs geschlossen werden, dass für Lukas nicht nur das Jesusgeschehen, sondern auch die Geschehnisse in der Urgemeinde unter der Führung Gottes stehen und dass zur Zuverlässigkeit (Lk 1,4) der dem Theophilus überlieferten Lehre auch die in der Apostelgeschichte geschilderten Taten und Ereignisse gehören. Der Hl. Geist, der in der Geschichte Jesu wirksam war, steht auch hinter der Geschichte der Kirche, in der sich ebenso wie im Jesusgeschehen die Voraussagen der Heiligen Schrift erfüllen, und diese Tatsache ist geeignet, für die nachapostolische Generation die Zuverlässigkeit der christlichen Lehre zu gewährleisten. Darin den Theophilus und seine Leser zu bestärken, besteht das Ziel des Lukas. Implizit erreicht er dies, indem er inhaltlich von der Erfüllung der Schrift und der Führung durch den Heiligen Geist im Jesusgeschehen und in der ersten Kirche spricht, explizit strebt er es an, indem er alles sorgfältig und der Reihe nach aufschreibt. Dass mit dieser Hauptabsicht auch noch einige Nebenabsichten verbunden sind, versteht sich von selbst und ist teilweise bereits bei der Darstellung der Theologie des Lukasevangeliums zur Sprache gekommen. Bei den theologischen Anliegen der Apostelgeschichte wird darauf zurückzukommen sein (s. unten Nr. 11).

Die Intention des Lukas bei der Abfassung der Apostelgeschichte ist keine andere als beim Evangelium, da das Vorwort Lk 1,1–4 die Apostelgeschichte als Fortsetzungswerk bereits mit im Blick hat. Theophilus soll durch eine der Reihenfolge nachgehende Beschreibung der Geschehnisse im Leben Jesu und der Urgemeinde von der Sicherheit dessen überzeugt werden, was er bislang schon darüber gehört hat. Die Kontinuität zwischen Evangelium und Apostelgeschichte wird darüber hinaus durch die beide Werke verbindenden Gedanken der Erfüllung der Schrift und der Führung durch den Heiligen Geist bestätigt.

3. Die Frage nach dem Verfasser der Apostelgeschichte

Widmung

Im Verlaufe der vorangegangenen Darlegungen wurde bereits mehrfach die Identität des – uns nicht näher bekannten – Verfassers des Lukasevangeliums mit dem der Apostelgeschichte vorausgesetzt. Die Verfasserfrage wurde beim Lukasevangelium erörtert. Die dort bereits kurz angedeuteten Gründe für die heute praktisch nicht mehr bestrittene Annahme eines einheitlichen Verfassers von Lukasevangelium und Apostelgeschichte müssen nun etwas genauer erörtert werden.

3.1 Die gemeinsame Autorschaft des Lukasevangeliums und der Apostelgeschichte

Gemeinsame Sprache

Für einen einheitlichen Verfasser beider Werke spricht zunächst das Vorwort der Apostelgeschichte, in dem konkret auf ein früheres Werk des Verfassers verwiesen, dessen Inhalt kurz zusammengefasst und eine Widmung an dieselbe Person vorgenommen wird wie im Evangelium. Darüber hinaus sind die Sprache und das theologische Anliegen in den beiden Werken so ähnlich, dass die Annahme eines Autors für beide Werke lange Zeit fast unbestritten war. Die angesichts der großen sprachlichen Einheitlichkeit auch festzustellenden kleinen Unterschiede in der Sprache lassen sich, wie oben beim Lukasevangelium festgehalten (s. § 7 Nr. 4), anders erklären, was allerdings neuerdings auch bestritten worden ist.

Entsprechungen

Schließlich weist in dieselbe Richtung auch noch die Tatsache, dass der Verfasser des Evangeliums bei der Auswahl und Bearbeitung seiner Stoffe Rücksicht auf die Darstellung in der Apostelgeschichte nimmt. Lässt sich auch nicht mit über jeden Zweifel erhabener Sicherheit die Auslassung von Mk 7,1–23 damit begründen, dass die Anfänge der Heidenmission nach Apg 10 auf eine besondere Weisung des Heiligen Geistes hin geschahen und fest mit der Person des Petrus verbunden sind, wie in der Literatur behauptet worden ist, so wird man doch mit relativ großer Sicherheit die Gründe für die Auslassung des Tempelwortes durch Lukas in der Passionsgeschichte nennen können: Diese geschieht mit Rücksicht darauf, dass das Tempelwort in der Rede des Stephanus in 6,13 f. Verwendung finden soll.

Widersprüche zwischen LkEv und Apg

Sprechen von daher sehr gute Argumente für einen gemeinsamen Verfasser von drittem Evangelium und Apostelgeschichte, so ist wenigstens noch kurz auf die Frage einzugehen, ob dieser Befund nicht durch die Widersprüche zwischen Lk 24 und Apg 1 (vgl. Lk 24,13.50–53 mit Apg 1,3.12) den Tag und den Ort der Himmelfahrt betreffend in Frage gestellt wird und ob aufgrund dieser Differenzen nicht die These zu bevorzugen ist, dass die beiden heute getrennten Schriften ursprünglich vielmehr ein Werk gewesen sind, das ein Späterer getrennt, mit einem neuen Schluss (Lk 24,50–53) und einem neuen Anfang versehen und dabei die widersprüchlichen Angaben eingetragen hat.

3.2 Die These von der nachträglichen Teilung eines lukanischen Werkes in zwei Teile

Gegen die auch jüngst wieder vertretene These der nachträglichen Trennung eines ursprünglichen Werkes (z. B. aus „kanonischen“ Gründen) sind eine Reihe von Einwänden vorgetragen worden: Konnte Lukas die durch Markus vorgegebene Gattung Evangelium einfach um eine „Geschichte der Urgemeinde“ erweitern? Konnte ein so langes Buch angesichts der Publikationsmöglichkeiten in der Antike überhaupt veröffentlicht werden? Hätte ein so langes Werk überhaupt in einer einzigen Buchrolle, also ohne Teilung in zwei Bücher = zwei Buchrollen, veröffentlicht werden können? Schließlich: die stilistischen Eigentümlichkeiten des Lukas spiegeln sich auch in den angeblich interpolierten Stücken.

Die variierenden Darstellungsweisen des Lk

Die Aufrechterhaltung der These ließe sich deswegen nur rechtfertigen, wenn die genannten Widersprüche zwischen dem Ende des Evangeliums und dem Beginn der Apostelgeschichte nicht auch noch anders erklärt werden könnten. Dies ist aber der Fall, wie man sehr schön an der dreimal in der Apostelgeschichte überlieferten Geschichte von der Bekehrung des Paulus (9,1–22; 22,1– 16; 26,12–18) und an zahlreichen variierenden Wiederholungen und Rückbzw. Vorverweisen sehen kann (vgl. 22,21 mit 9,15; 13,13 mit 15,38). Lukas liebt offensichtlich die variierende Darstellung ein- und desselben Geschehens und hat mit Widersprüchen zwischen den einzelnen Fassungen keine Probleme. Als ein weniger bekanntes Beispiel für solche Variationsabsicht könnte man auch auf 13,29 hinweisen, wo im Gegensatz zum Evangelium die für Jesu Tod verantwortlichen Juden auch seine Kreuzabnahme und seine Bestattung veranlassen. Auch das erklärtermaßen sehr verkürzte Vorwort des zweiten Werkes zeugt von einer gewissen Eigenwilligkeit des Verfassers. Diese hatte sich aber auch schon im Vorwort des Evangeliums gezeigt, in dem der Verfasser seinen Namen nicht nannte. Im Übrigen sollte man denken, dass ein sekundärer Interpolator alle diese Auffälligkeiten gerade vermieden hätte, um die Leser nicht auf seine Spur zu führen.

4. Die Abfassungszeit der Apostelgeschichte

In einem neueren Buch zur Apostelgeschichte sind die von den Autoren in den letzten 100 Jahren für die Abfassungszeit vorgelegten Daten tabellarisch zusammengestellt (s. Hemer 367–370).

Abfassung nach dem LkEv

An der dort schematisch dargestellten Situation hat sich auch in jüngster Zeit nichts geändert. Die Datierungen schwanken auch weiterhin zwischen 57 und 135 n. Chr. Aus den Überlegungen zur Abfassungszeit des Lukasevangeliums ergibt sich für die Apostelgeschichte eine Abfassung nicht vor 90 bis 100. Bislang konnte man gegen eine solche (späte) Abfassung darauf hinweisen, dass der Verfasser dann doch die Paulusbriefe gekannt haben müsste, was nach weit verbreiteter Ansicht nicht der Fall gewesen ist, und deswegen eine frühere Abfassung postulieren. Oder man musste Gründe dafür anführen, wieso die Paulusbriefe in der Apostelgeschichte keine Rolle spielen. In dieser Hinsicht zeichnet sich aber in der Forschung ein Wandel ab. Denn zunehmend wird für den Verfasser der Apostelgeschichte mit der Kenntnis von Paulusmaterial oder gar von einzelnen Briefen bis hin zur Abfassung von einzelnen Passagen unter Blick auf einen Paulusbrief gerechnet (vgl. nur Pervo, Wolter und Schröters Literaturbericht). In jedem Fall gilt die früher weitgehend anerkannte scharfe Diastase zwischen dem Paulus der Apostelgeschichte und dem der Briefe inzwischen als überholt. Wenn man dabei aber die unpaulinischen Züge der Apostelgeschichte einfach auf die unterschiedliche Gemeindesituation schiebt, macht man sich die Dinge wohl doch zu einfach.

 

Keine Paulusbriefe in der Apg

Terminus ad quem

Mitte des 2. Jahrhunderts

Die Feststellung, ab wann in der Alten Kirche eine Kenntnis der Apostelgeschichte nachweisbar ist, bereitet große Probleme. Denn bei den Apostolischen Vätern finden sich eine ganze Reihe von Übereinstimmungen mit der Apostelgeschichte. Ob es sich dabei aber um Zitate und damit um direkte Abhängigkeit handelt oder ob hier eher Gemeinsamkeiten der urchristlichen Sprache vorliegen, ist unklar. In Frage kommt solche Interdependenz bei den Pastoralbriefen (v. a. wegen 2 Tim 3,11), beim ersten und zweiten Clemensbrief, bei den Briefen des Ignatius von Antiochien, dem Barnabasbrief, der ► Didache und in ganz besonderer Weise bei dem / den Brief(en) Polykarps an die Philipper. Wie komplex die Probleme und wie unterschiedlich dementsprechend auch die Ansichten sind, kann sich der des Griechischen Mächtige gut an 13,22 einerseits und an 1 Clem 18,1 andererseits verdeutlichen. In 13,22 liegt eine Kombination von biblischen Elementen aus Ps 88,20 (LXX) und 1 Sam 13,14 vor, wie sie ähnlich auch in 1 Clem 18,1 zu finden ist. Ob hier aber der erste Clemensbrief auf dem Text der Apostelgeschichte beruht oder beide auf eine gemeinsame Tradition zurückgehen, wird sich, u. a. wegen der zwischen beiden Texten vorhandenen Unterschiede, kaum sicher entscheiden lassen. – Aber ab Mitte des zweiten Jahrhunderts liegen sichere Zeugnisse für die Kenntnis der Apostelgeschichte vor, beginnend mit Justin, der ► Epistula Apostolorum und Irenäus.

Solange man von einem Autor von Lukasevangelium und Apostelgeschichte ausgeht und ersteres zwischen 80 und 100 ansetzt, sollte man mit der Abfassung der Apostelgeschichte nicht zu weit ins 2. Jahrhundert gehen, der Anfang des frühen ersten Jahrhunderts sollte auf keinen Fall überschritten werden.

5. Der Abfassungsort der Apostelgeschichte

Vgl. dazu die Ausführungen zum Lukasevangelium oben § 7 Nr. 5 (Seite 148)

6. Die Quellen des Lukas für die Apostelgeschichte

Die Frage nach den Quellen hat dadurch, dass man die Apostelgeschichte nicht mehr primär als Geschichtsbericht, sondern als ein dem Glauben dienendes Dokument zu begreifen gelernt hat, viel von ihrer Brisanz verloren, die sie im 19. und im beginnenden 20. Jahrhundert hatte, wenngleich auch weiterhin die Quellenfrage für das Verständnis des Werkes und der von Lukas damit verbundenen Intentionen von großer Bedeutung ist. Gleichzeitig hat die Krise der Literarkritik einerseits und das im Lukasevangelium feststellbare starke Eingreifen des Autors an Theophilus in seine Quellen andererseits die Zuversicht erheblich beeinträchtigt, die lukanischen Quellen für die Apostelgeschichte noch mit genügender Sicherheit greifen zu können.

6.1 Gründe für die Benutzung von Quellen durch Lukas

Parallelberichte

Dass ein solches Werk nicht ohne Quellen verfasst worden ist, versteht sich von selbst und ergibt sich schon aus der Tatsache, dass Lukas z. T. Geschichten überliefert, die uns auch aus anderen Zusammenhängen bekannt sind. So wird der Tod des Judas nicht nur in Kap. 1, sondern ebenfalls in Mt 27,3–10 und im Fragment 3 des Papias überliefert, und die Nachricht vom Tode Herodes’ Agrippa I. (12,19–23) findet sich auch bei Josephus (Ant XIX 8,2 § 343–350).

Lk als Zeuge der 3. Generation

Darüber hinaus spricht die Tatsache, dass auch Markus als erster Evangelienautor sein Werk nicht ohne Quellen verfasst hat, generell für Quellenbenutzung. In die gleiche Richtung weist die Tatsache, dass Lukas nach Ausweis seines Vorwortes selbst nicht Zeuge der Ursprünge gewesen ist. Von daher steht nicht die Existenz solcher Quellen im Mittelpunkt der Frage, sondern deren genauere Eigenschaften und deren Verarbeitung durch Lukas, näherhin die Frage, ob Lukas auf durchgehende Quellen oder größere Sammlungen von Einzelstücken für sein Werk zurückgreifen konnte.

6.2 Die Quellenfrage im ersten Teil der Apostelgeschichte

Jerusalemer Quelle

Antiochenische Quelle

So hat man in 1–12 eine gute und eine historisch minderwertige Schicht finden wollen, die man aufjerusalemische und antiochenische Kreise zurückgeführt hat und deren eine sich durch ► Semitismen und Fehlübersetzungen aus dem Aramäischen auszeichnet. Diese Begründung dürfte freilich nicht zutreffen, weil eine ganze Reihe von Perikopen auf die vom Text der hebräischen Bibel abweichende Übersetzung der ► Septuaginta angewiesen ist und also nicht zunächst aramäisch überliefert und dann ins Griechische übertragen worden sein kann. So ist z. B. die Übertragung von Joel 3,5 in 2,21 auf Jesus nur mit Hilfe des Septuagintatextes möglich, der das Tetragramm des Jahwenamens im hebräischen Bibeltext mit Kyrios = Herr wiedergibt und so erst den Bezug des Zitates auf Jesus möglich macht. Fällt so die These einer durchgehenden aramäischen Quellenschrift in sich zusammen und handelt es sich bei den sog. Semitismen der Apostelgeschichte wohl eher um Septuagintismen, so schließt das die Möglichkeit nicht aus, dass einige wenige Perikopen in der Tat ursprünglich zunächst aramäisch tradiert worden sind. Diskutiert wird das z. B. für 1,15–26; 3,1–10; 7,2–53 und 13,16–41, und angesichts der in diesen Perikopen begegnenden aramäischen Ausdrücke und der auf das Aramäische verweisenden sprachlichen Eigenarten hat diese Annahme durchaus etwas für sich.

Die gegen eine größere aramäische Quelle vorgetragenen Gründe sprechen auch nicht gegen eine Quelle überhaupt, und dass Lukas sich in 6–15 auf eine antiochenische Quelle stützt, wird heute vielfach vertreten. Jedoch wird auch diese Quelle, wenn es sie gegeben hat, auf älteres Einzelmaterial zurückgegriffen haben, wie der Perikopencharakter vieler Stücke in der Apostelgeschichte zeigt (vgl. nur die Namenlisten in [1,13;] 6,5; 13,1, den Erzählkranz, der sich um die Person des Petrus windet in [3,1-10;]9,32–35; 10,1–11; 12,1–17, und die Wundergeschichten). Die Tatsache, dass die Zusammengehörigkeit mehrerer Einzelstücke zu einer Quellenschrift schwer zu erweisen ist, könnte mit der Aufnahme älterer Traditionen in kleinere (Vorgänger-) Sammlungen zusammenhängen, auf die Lukas zurückgegriffen hat. Die unterschiedliche Perspektive einer Reihe von Einzelstücken – so kreisen 1,23–26; 3,1–10; 5,1–11.14 f; 9,32–35.36–42; 10; 12,3–17 um die Zwölf und Petrus, während sich 6,1–6.8–7,1.54–60; 8,5–40 sowie 11,19 f. nur mit den ► Hellenisten beschäftigen – könnte ein Hinweis auf verschiedene Tradentenkreise sein.

6.3 Die Quellenfrage im zweiten Teil der Apostelgeschichte

6.3.1 Das Problem der „Wir-Berichte“

Bedeutung der „Wir-Berichte“

Im zweiten Teil der Apostelgeschichte begegnen ebenfalls einige Phänomene, die auf zugrunde liegende Quellen zurückgeführt worden sind. Dazu zählen die ebenso unvermittelt einsetzenden wie aufhörenden Berichte im Wir-Stil (16,10–17; 20,5–8.13–15; 21,1–18; 27,1–28,16), die in der Regel – mit Ausnahme von 21,15–18 – von Seereisen berichten, und die sog. Reisenotizen (dazu s. unten 6.3.2). Seit dem Altertum (vgl. oben § 7 Nr. 3.2.1 das Zeugnis des Irenäus) hat man aus dem „Wir“ in diesen Stücken geschlossen, dass der Verfasser damit dem Leser seine Augenzeugenschaft signalisieren wolle. Umso auffälliger wäre dann der Umstand, dass diese Augenzeugenschaft sich nur auf die Seereisen bezieht und nicht auch auf die dazwischen liegenden und wesentlich größere Bedeutung tragenden Berichte.

Lk als Verfasser der „Wir-Berichte“

Da der Autor der Apostelgeschichte auf das Zeugnis der Augenzeugen großen Wert legt und die die Wir-Stücke umgebenden Geschichten sich in Wortwahl und Stil nicht von diesen unterscheiden, ist wahrscheinlich Lukas der Verfasser der Wir-Stücke. Warum er das Wir freilich auf die Seereisen beschränkt und nicht auch die diese umgebenden Stücke damit versehen hat, bleibt rätselhaft. Gegen eine frühere Verwendung des Wir, z. B. schon während des Berichts von der sog. Ersten Missionsreise (13 und 14) spricht allerdings, dass dann der Paulus auf dieser Reise begleitende Barnabas als Autor der Apostelgeschichte erscheinen würde, was kaum beabsichtigt sein kann. Aber dieser Einwand spricht nicht gegen eine Verwendung des Wir auf der sog. Zweiten Missionsreise über die genannten Perikopen hinaus, zumal die damit intendierte Augenzeugenschaft durch eine solche Ausweitung des Wir noch erheblich verstärkt würde.

Zeugnis für die Zuverlässigkeit der Apg?

Die Beschränkung im wesentlichen auf die Seereisen könnte allerdings darin ihre Erklärung finden, dass Lukas damit das Weitgereistsein des Verfassers der Apostelgeschichte deutlich machen und damit einem Topos der antiken ► Historiographie nachkommen will. Der Verfasser der Apostelgeschichte würde mit dem Wir also weniger auf seine Augenzeugenschaft bei der Verkündigung des Paulus als auf die Tatsache hinweisen wollen, dass er weder Mühen noch (See-)Wege gescheut hat, um die Wahrheit zu ergründen. Jedenfalls wird die Bedeutung der „Wir“-Passagen zunehmend auf der literarischen und theologischen Ebene gefunden. Sie sollen z. B. dazu dienen, die Zuverlässigkeit des Paulus und seine Treue gegenüber dem göttlichen Auftrag auch nach der Trennung von Barnabas zu betonen, oder dem Werk den Status eines Geschichtswerkes verleihen. Zugleich integriert die 1. Person Plural den Leser stärker in das Geschehen (Campbell). Aber vermögen diese Deutungen die geringe Zahl der Wir-Stücke zu erklären? Darüber hinaus ist auch zu fragen, ob die zu den Wir-Stücken aus der griechischen Geschichtsschreibung herangezogenen Parallelen (z. B. Polybius 12, 25 h,1 ff.; 36,11.1–4; 39,8; vgl. a. Lukian, Wie man Geschichte 29) hier wirklich so weit wie angenommen tragen.

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