Die Vereinigung der Kraft

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Fala spürte den Strom von Wärme, der von ihren Händen zu Vera floss. Sie sah sie lange an, dann sah sie ihre Mutter an. „Darf ich das entscheiden“, bat sie.

Die Königin sah kurz zu ihren Ministern und den Hohepriestern, dann nickte sie. „Du bist die zukünftige Königin. Es wird Zeit, dass du weitreichende Entscheidungen triffst.“

Fala atmete tief ein. „Dein Vorschlag gefällt mir gut. Bleib hier. Wir schicken den Takilada in dein Dorf zurück, um Polia und Faroa zu rufen. Ich werde es einrichten, dass ihr euer früheres Haus wieder beziehen könnt, mit all den Dienern, die heute nach dem Wunsch des Thénnis freie Menschen geworden sind und die unsere Schule leiten.“

13.

Para war zwar in einem Lichtblitz verschwunden, aber er war nicht tot. Als er aufwachte, war er nackt bis auf sein Piri Piri (*).

Er lag in einem von Schnee bedeckten Tal. Es war bitter kalt. In einiger Entfernung sah er Lamas und Maulesel, die im Schnee scharrten und nach Nahrung suchten.

Außerdem gab es eine Hütte aus Stein und Holz. Sie rauchte. So etwas hatte er noch nie gesehen.

Er schüttelte sich. Um nicht zu erfrieren, verwandelte er sich kurzerhand in ein Lama mit einem dichten Winter-pelz. Auch Maulesel hatte er noch nie gesehen. Das hatte es in seiner Welt nicht gegeben.

Wo war er hier?

Er sah sich weiter um. Dort, dieser Wasserfall, der jetzt überall von Eiskristallen glitzerte, hatte er den nicht schon einmal gesehen?

Langsam, ganz langsam kam die Erinnerung an dieses Tal zurück. Er war damals noch sehr klein gewesen. Er konnte sich an seinen Vater, an die Bären und den Puma erinnern und auch an die Goldklumpen, die er gefunden hatte. Damals war es Sommer gewesen. Jetzt sah das Tal ganz anders aus. Auch der See war verschwunden.

(*) Das Piri Piri ist aus Leder und bedeckt bei den Buschindianern das Glied der Jungen und Männer als Schutz vor Insekten

Kapitel 2. Paras Ankunft in der Neuzeit

1.

Para hatte keine Ahnung, dass er 2300 Jahre später „wiedergeboren“ worden war. Er würde bald merken, dass vieles anders war, als in seinem bisherigen Leben.

Er ging zum Wasser und trank einige Schlucke der winterkalten Flüssigkeit. Es schmeckte anders als das Wasser des Flusses, den er kannte.

Dann spürte er, wie hinter ihm eine Tür aufging. Er drehte den Kopf. Ein vielleicht vier Jahre altes Mädchen sprang heraus und rief etwas ins Haus.

Para verstand, was sie sagte, aber er hatte diesen Dialekt noch nie gehört.

Er sah, wie das Mädchen zu einigen flachen Gebäuden laufen wollte, dann stutze es. „Papa“ rief sie, „da steht ein fremdes Lama.“ Sie kam auf Para zu und stellte sich vor ihn hin. Dann streckte sie die Hand aus und begann das Lama zu locken. Dann kamen ein Mann und ein Junge in Paras Alter aus dem Haus gelaufen. Auch sie waren bekleidet. Es war irgendwie indianisch, aber diese Tracht kannte Para nicht.

Der Mann kam auf ihn zu und wollte ihn anfassen. Para scheute zurück. „Ho Ho“, sagte der Mann, „ich tu dir nichts. Wo kommst du denn her?“ Er befahl seinem Sohn nach den Spuren zu sehen, doch der rief bald nach seinem Vater. „Papa, komm doch mal her. Guck dir das an.“

Die Fußspur des Lamas ging unmittelbar in eine Spur aus nackten Menschenfüßen über, die zu einer zusammengedrückten Schneestelle führte. Dort hörte die Spur auf. Sie war aus dem nirgendwo gekommen.

Der Mann schaute sich die Spur an, dann schaute er zu seinem Sohn und zu dem Lama. „Hier geht etwas seltsames vor“, meinte er. „Geh und hol mal einen Arm voll Heu.“

Der Junge rannte zu einem der flachen Gebäude und kam tatsächlich mit Heu zurück. Wo dieses Heu herkommt, gibt es vielleicht mehr davon, dachte sich Para. Er folgte dem Jungen in den Stall. Es gab dort wirklich einen großen Berg Heu. Es duftete, wie Heu eben duftet.

Was dann geschah, war sehr merkwürdig. Das Lama kroch in diesen Heuhaufen, bis es verschwunden war. Das kleine Mädchen kicherte.

Dann kam der Kopf eines blonden Jungen zum Vorschein. Der Vater streckte unwillkürlich seine Hand nach seinem Sohn aus, um ihn zurückzuhalten. Das Mädchen rief. „Das Lama hat sich verwandelt.“

Der Mann verschloss die Tür, dann fragte er in der Sprache der Quechua Indianer: „Wer bist du?“

Er sah zunächst nur ein verdutztes Gesicht, dann begann der Junge einen Singsang aus Worten, die der Mann verstand. Er hatte das schon einmal gehört, bei Dennis, den er immer den Thénnis“ nannte. Auch seine Tochter erkannte das sofort. „Er singt wie der Thénnis“, sagte sie. Sie sah, wie der Junge stutzte. „Der Thénnis“ fragte er in seinem Singsang.

„Ja“, antwortete die Kleine. „Wir leben hier im Tal des Thénnis“.

Der Junge überlegte einen Moment, dann kam er aus dem Heu herausgekrochen.

„Puh“, rief das Mädchen, „der ist ja ganz nackt.“

„Wartet mal“, sagte der Mann, „wo ist das Lama hin?“

Der Junge lächelte. Dann gab es so etwa wie ein Lichtgeflacker und das Lama stand vor ihnen.

Das war für den Jungen zu viel. Er riss die Tür auf, und der Junge und das Mädchen waren fort. Sie schlugen die Tür hinter sich zu und rannten zum Haus.

Para verwandelte sich zurück. „Verzeih, wenn ich dich erschreckt habe. Ich bin vom großen Fluss. Dort brauchen wir nichts als…“ er sah an sich herunter… „als unser Piri Piri.“

Jetzt sah auch der Mann, dass der Junge einen Lederköcher um seinen Penis trug. Er nickte.

„Ich bin Perino. Das waren zwei meiner Kinder. Ich wohne hier im Tal. Es gehört mir nicht, es gehört einem Mann, der dieselbe Haarfarbe hat, wie du. Auch er hat blaue Augen und spricht denselben Singsang wie du. Ich habe das noch nie vorher gehört. Nur von ihm und von dir. Es ist nicht meine Sprache, aber ich verstehe dich. Was sind das für Laute?“

„Ich habe sie von meinem Vater gelernt. Er war der Thénnis im großen Reich der Théluan.“

Er war der Thennis…“, fragte Perino verwundert.

Der Junge schaute ihn an. „Ja kennst du den Thénnis nicht? Jeder kennt den Thénnis.“

„Ich kenne einen Mann mit diesem Namen“, antwortete Perino.

Es dauerte jedoch eine Weile, bis beide merkten, dass sie von derselben Person sprachen und noch eine Weile länger, bis Para begriffen hatte, dass er in einer anderen Zeit „wiedergeboren“ war. Inzwischen zitterte Para vor Kälte.

„Du frierst“, meinte Perino. Er hatte längst bemerkt, dass all seine Kinder vor dem Stall standen und durch die Ritzen sahen und lauschten. „Bringt dem Jungen mal Kleidung und ein paar Socken und Sandalen“, rief er durch die Tür. Er hörte aufgeregtes Gewisper, dann entfernten sich wohl einige der Kinder. Bald danach klopfte es zart an die Tür. Perino machte die Tür einen Spalt auf und fasste nach der Kleidung.

„Vielleicht kennst du das nicht“, sagte er. „Vielleicht sollte ich dir helfen.“ Das Ankleiden war etwas umständlich, dann wurde Para von Perino ins Haus geführt. Er zitterte immer noch und die ganze Schar Kinder folgte ihnen.

Das kleine Mädchen hüpfte zu Para, nahm seine Hand und schaute zu ihm auf. „Kannst du auch mit den Hühnern sprechen, so wie der Thénnis?“

2.

Perino hörte das und er fragte: „Hast du nach den Hühnern und Gänsen gesehen?“ „Oh, das hab ich vergessen. Ich mach das gleich.“ Dann schaute sie den fremden Jungen an und fragte ihn, „kommst du mit?“

Perino wollte etwas sagen, doch der Junge beugte sich zu Julia hinunter, strich ihr leicht über die Wange und fragte: „Zeigst du mir, was Hühner und Gänse sind?“

Die älteren Jungen grinsten. Wie konnte man so blöd sein, um nichts von Hühnern und Gänsen zu wissen.

Perino überlegte einen Moment. ob er dem Jungen trauen konnte? Dann schickte er seinen Ältesten mit.

Julia hatte immer noch Paras Hand umfasst, jetzt hüpfte sie hinaus und zog ihn hinter sich her.

Hinter dem Haus waren etliche Ställe. Sie gingen hinein. Jetzt begann sich Para zu erinnern. Rebhühner hatten sie damals in der großen Stadt gehabt. Die hier sahen ganz anders aus.

Julia zeigte ihm stolz ihre Hühner. Sie strich ihnen über die Federn. Sie hielt ihnen Körner in ihrer offenen Hand hin, aus der die Hühner pickten, ohne ihr weh zu tun. Dann zog sie Para zu den Nestern und begann einige Eier einzusammeln. Auch daran erinnerte sich Para. Eier hatten sie damals auch gegessen.

Gänse hingegen kannte er gar nicht, und Gänse können Fremden gegenüber sehr feindselig sein.

Perinos Ältester war in Paras Alter. Er hieß Pedro, und er war mit Tieren aufgewachsen. Er hatte die Lamas und Maulesel schon oft selbständig zu der Ausgrabung geführt. Er kannte auch die Eigenheiten der Gänse. Was er jetzt sah, verwunderte ihn zutiefst.

Para war Julia in die Ställe gefolgt. Die Gänse hatten zunächst ein Geschrei angestimmt, weil sie Para nicht kannten. Sie hatten die Hälse gestreckt und die Schnäbel in die Position gebracht, um zuzuschnappen.

Der fremde Junge hatte sie nur kurz angesehen, dann war er in ein Summen verfallen, das sich zu einem Singsang steigerte. Pedro sah, wie die Gänse die Köpfe zurückzogen, sie schnatterten noch ein bisschen, dann beruhigten sie sich. Sie waren aufmerksam und schienen dem Fremden zuzuhören. Dann kamen sie langsam auf ihn zugewatschelt, zupften an seiner Kleidung und an seinen Händen, umringten ihn, hoben und senkten die Köpfe, wie als würden sie mit ihm sprechen, schnatterten ein bisschen, dann ging der Fremde mit ihnen tiefer in den Stall und sie folgten ihm.

 

Auch Julia hatte das ganze aufmerksam beobachtet. „Siehst du. Er redet mit ihnen“, sagte sie zu ihrem Bruder. Dann ging sie zu den Futtertrögen und füllte sie auf. Sie nahm wieder die Hand des Fremden und sah ihn von unten bewundernd an. „Zeigst du mir das“, bat sie.

Der Junge kniete sich nieder. „Das ist ganz einfach“, sagte er in seinem Singsang. Er streckte die Hand aus und summte. Die Gänse kamen noch einmal, und knabberten an seiner Hand. „Du kannst sie anfassen“ sagte er und Julia strich ihnen mit ihrer kleinen Hand über die Hälse und über die Federn.

„Versuch mal, mein summen nachzumachen“, meinte Para und Julia versuchte es. Für Pedro klang das genauso wie Paras Gesang. Dennoch war etwas anders. Er konnte es nicht beschreiben. Auf Julia hörten die Gänse nicht.

„Die andern warten“, sagte er. Julia hob den Kopf. „Oh ja“, meinte sie schuldbewusst, „die Eier.“

Sie gingen wieder ins Haus und Pedro nickte seinem Vater zu, es sei alles in Ordnung.

3.

Para erinnerte sich dumpf an die Häuser in der heiligen Stadt. Das hier war anders. Er sah das Feuer des Kamins, er sah, dass hier alle auf engem Raum zusammenwohnten. Er wurde herzlich aufgenommen. Diese Indios waren ganz anders, als die Indios in seinem Dorf. Aber sie hatten dieselbe Herzlichkeit. Para bat um Informationen und er musste selbst auch erzählen.

Es war schon alles sehr verwunderlich. Nicht nur für Para, sondern auch für diese Indios.

Als er gefragt wurde, wie er hierher gekommen sei, überlegte Para lange. „Ich weiß es nicht“, sagte er. Das letzte an was ich mich erinnere, ist, dass ich von mehreren Speeren getroffen wurde. Er hob sein Hemd hoch und zeigte den Indios seinen Rücken. Er hatte dort fünf große, rote und ganz frische Narben. Dann war es wie eine Art Traum. Ich hatte das Gefühl zu fliegen und bin hier aufgewacht. Da draußen vor euerm Haus.

Was ihn interessierte, war der Thénnis. „Mein Vater ist gestorben, als ich noch ein kleiner Junge war. Wie kann es sein, dass er jetzt hier lebt?“

Das wusste Perino auch nicht zu beantworten, aber im weiteren Gespräch erfuhr Perino, dass Para als Kind in der heiligen Stadt gelebt hatte. Er schüttelte den Kopf. „Es gibt hier eine Ausgrabung. Dort wird eine sehr alte und große Stadt ausgegraben. Ich kann mir das alles nicht erklären. Was mich stutzig macht, das ist, dass ihr beide dieselbe Sprache habt, du und der Thénnis.“

„Und kann ich den Thénnis sehen“, fragte Para. Perino schüttelte den Kopf. Im Moment nicht. Er ist nach Europa gereist und kommt erst wieder, wenn es wieder warm wird. Aber die Frau des Thénnis wohnt bei der Ausgrabung. Wir können dich dorthin bringen.“

Für Para waren das Informationen, die er nicht verstand. Was ist Europa? Was ist eine Ausgrabung und warum hatte der Thénnis eine neue Frau?

„Ich kann mir das alles nicht erklären“, sagte Para. „Darf ich eine Weile hier bei euch bleiben? Ich habe viel nachzudenken und ich sollte erst mal dieses Tal hier erkunden. Ich bin ein Peruan. Ich darf nicht in die heilige Stadt.“

Das verstand wiederum Perino überhaupt nicht, aber er lud Para ein zu bleiben, sehr zur Freude seiner kleinen Tochter.

4.

Para blieb drei Wochen da. In dieser Zeit erkundete er das Tal. Er stieg auch hinauf auf die Hochebene. Er lernte dort die Adler kennen, und er lernte sich in einen Adler zu verwandeln. Er flog über das Tal und weitete seinen Radius aus. Er lief auch in die Wälder hinein und nahm Kontakt auf zu Rehen, Füchsen und Wildschweinen.

Er nahm die kleinen Kinder von Perino mit zu den Hühnern, den Gänsen und den Ziegen (die er früher auch nicht gekannt hatte), und zeigte ihnen, wie sie die Laute der Tiere nachmachen. Die größeren nahm er mit in den Wald und zeigte ihnen die Laute der Schweine, der Wiesel und der Füchse. Jetzt verstanden auch sie, was der Thénnis damals gemeint hatte, als er behauptet hatte, dass er mit den Tieren sprechen könne. Sie sahen, dass sich Para in einen Hirsch verwandelte. Sie sahen ihn inmitten der Wildschweine, ohne dass ihm etwas getan wurde.

Er war für Perinos Kinder wie ein Wunder. Sie lernten in diesen drei Wochen, dass man mit Wildtieren im Einklang leben konnte. Die Kleinen vergötterten Para, die Großen bewunderten seine Fähigkeiten und lernten von ihm. Er hatte eine Art, die jede Art von Streit oder Aggression bereits im Keim erstickte.

Perino sah und hörte sich das alles an. „Du bist ein Geschenk für uns“, sagte er. „Ich sehe, dass du der Sohn des Thénnis bist. Er hat uns immer aufgefordert, unsere alte indianische Tradition nie zu vergessen. Genau dasselbe zeigst du jetzt meinen Kindern. Ich bin die sehr dankbar dafür.“

Durch die Verwandlungskünste von Para, begannen die Eltern die alten Mythen und Geschichten der Indianer wieder aus der Vergangenheit ihres Gedächtnisses zu befreien. Es gab viele davon und sie begannen zu erzählen.

In dieser Zeit erfuhr Para auch, dass die heilige Stadt heute in Trümmern lag. Er verstand das nicht ganz, aber dann konnte er sicher gefahrlos dorthin gehen und die neue Frau des Thénnis kennenlernen.

5.

Nach drei Wochen machte er sich auf den Weg. Perino schickte Pedro und Claudio mit. Sie beluden ein halbes Dutzend Maulesel mit Körben in denen sie knapp 50 lebende Gänse und Hühner mitnahmen, dann verließen sie das Tal.

Pedro und Claudio kannten die störrischen Tiere. Es war nicht immer leicht, sie zu führen. Doch diese Wanderung war einfacher als je zuvor. Pedro und Para gingen vorneweg, die Maulesel folgten Para, folgsam wie Hunde. Manchmal wechselten sich Pedro und Claudio an der Spitze der kleinen Karawane ab.

Am Übergang vom Tal zum Wald der Anden gab es keinen Schnee mehr. Der Weg war gut zu laufen. Es war eine Art Wildpfad, der durch die vielen Karawanen zwischen dem Tal und der Ausgrabung ausgelaufen und verbreitert war.

Als sie zu dem Fluss kamen, der in die große Stadt führte, folgten sie dem Ufer lange bergauf. Dann kamen einige Häuser und das Sägewerk, das auch jetzt im Winter in Betrieb war. Para erschreckte sich ein wenig, aber er nahm das als Zeichen einer geänderten Zeit. Sehr verwundert war er, als er schwerbewaffnete Patrouillen sah. Er hatte noch nie Gewehre, Tarnuniformen und Pistolen gesehen. Die Uniformierten kannten Pedro und Claudio. Sie ließen sie durch.

Sie wateten durch den Fluss und stiegen jenseits der Fuhrt einen Weg hinauf zu einem großen Haus. Es gab hier (für Paras Verhältnis) viele Hütten und er sah vom Weg zu der Anhöhe auf die Ausgrabung hinunter. Er sah die Reste der Staumauer und der Umfriedung. Er sah die Grundmauern der zerstörten aber freigelegten Häuser. Er sah den Berg, auf dem verschiedene Arbeiter damit beschäftigt waren die Bäume zu fällen. Es war alles anders, als er das kannte, dennoch sagte ihm sein Gedächtnis und sein Instinkt, dass dies die Reste der heiligen Stadt sein mussten. Von der Pyramide und dem Palast der Königin sah Para nichts. Die Kuppe war bewaldet. Er konnte deutlich sehen, dass die Reste der Stadt dort am Fuß des Berges unter einer hohen Erdschicht gelegen hatten und gerade erst mühsam freigelegt wurden.

Er blieb immer wieder stehen und schaute hinüber. Er schüttelte traurig den Kopf. Wie war das alles bloß passiert.

Als sie zu dem großen Haus kamen, löste auch das großes Erstaunen aus. Glasfenster hatte Para noch nie gesehen. Es gab dort auf dem Dach seltsam schwarz glänzende Scheiben (er wusste nicht dass dies Sonnenkollektoren waren). Der Schnee war jahreszeitlich bedingt weitgehend weggeschmolzen, aber Claudio und Pedro hatten erzählt, dass sicher bald neuer Schnee kommen würde. Viel mehr.

Außerdem sah Para zum ersten mal in seinem Leben ein Auto. Ein Jeep stand da und ein großer Lastwagen wurde von mehreren Männern entladen. Para hielt Pedro an. „Was ist das?“ Pedro sah Para stirnrunzelnd an. Dann fiel ihm ein, dass Para das nicht wissen konnte, wenn er wirklich aus der Vergangenheit gekommen war. Er erklärte, aber er sah, dass Para das nicht wirklich verstand und er beneidete Para in diesem Moment nicht. Es musste schwer sein, all diese neuen Dinge zu sehen und zu begreifen.

Dann sah Para zum ersten Mal einen schwarzen Mann. Er hielt erschreckt inne. Er kam gerade aus dem Haus und er blieb kurz stehen, als er die kleine Karawane sah. Dann rief er Pedro und Claudio in spanisch etwas zu, was Para nicht verstand. Die beiden riefen in derselben Sprache zurück. Sie lachten und schienen keine Angst vor diesem seltsamen Wesen zu haben.

Para war sehr verwirrt. Dann schienen Pedro und Claudio von ihm zu sprechen und der Fremde kam auf sie zu. Para versuchte sich auf diese Sprache einzustellen. Der Fremde kam heran. Er war wirklich schwarz. Aber er sah aus wie ein Mensch. Er streckte Pedro und Claudio die Hand hin und schüttelte sie. Dann streckte er die Hand zu Para aus.

Para sah auf die Hand und dann sah er die aufmunternden Blicke von Pedro und Claudio. Er nahm die Hand und fühlte erschrocken den Händedruck. Er sah, dass ihn der Fremde freundlich anlachte und er nahm diese Laute in sich auf.

Dann rief der Fremde in einer anderen Sprache „Bübchen, komm doch mal her“ und einer der Männer am Lastwagen sah herüber, ließ einen Sack fallen und kam zu ihnen. „Ihr kommt ja gerade recht“, rief Bübchen. „Und sie haben einen Neuen mitgebracht“, meinte Moses. Bübchen wandte sich zu Para und fragte auf spanisch „Aha. Und wer bist du?“ Auch er streckte ihm die Hand entgegen.

Für Para war das alles zuviel. Er atmete tief durch, dann verfiel er in seinen Singsang. Moses und Bübchen sahen sich an. „Er spricht eure Sprache nicht“, sagte Pedro. Dann fingen sie an, auf diesen Singsang zu achten und erkannten bald Worte, die sie begriffen. „Mann“, sagte Bübchen, „hast du das schon mal gehört? Hol doch mal Alanque her.“

Moses lief zum Haus und kam bald darauf mit der hochschwangeren Alanque zurück.

Sie hörte schon von weitem diesen Singsang und kam auf Para zu. Sie hörte eine Weile zu, dann fragte sie ihn auf indianisch. „Kannst du mich verstehen?“ Sie sah dass Para nickte. „Ich kenne diese Laute“, sagte sie zu Bübchen. „Dennis hat sie oft gebraucht.“ Sie sagte das in spanisch und Para lauschte dieser Stimme nach.

„Du kennst den Thénnis“? fragte er in seinem Singsang.

Alanque sah ihn einem Moment erstaunt an, dann bat sie Bübchen und Moses, „führt die Tiere hinters Haus. Gebt den Maultieren zu fressen und bringt die Hühner und die Gänse in den Stall.“ Sie winkte Pedro und Claudio zu sich und sagte auf indianisch. „Ihr drei kommt mit ins Haus.“

Sie führte sie in die Küche. Dort nahm sie Brot, Speck und Eier aus einem Schrank, setzte eine Pfanne auf und sagte: Ihr werdet Hunger haben. Während ich euch was koche, erzählt mal. Ich hab auch noch Suppe da. Wollt ihr was davon?“

Alanques Suppe war berühmt. Pedro und Claudio stimmten sofort zu. „Du solltest das probieren“, sagten sie zu Para. Dann begannen sie sehr unzusammenhängend zu erzählen.

Alanque verstand, dass dieser Fremde mit der komischen blonden Topffrisur aus dem Nichts aufgetaucht war. Dass er mit den Gänsen und den Wildschweinen sprechen konnte, und dass er sich in einen Adler oder in einen Hirsch verwandeln konnte. Sie war inzwischen fertig, holte Teller, Gabel und Löffel und deckte den Ecktisch für das Personal.

„Flunkert ihr nicht ein bisschen?“ fragte sie und wünschte guten Appetit. Claudio und Pedro griffen sofort zu. Sie stürzten sich auf die Suppe. Para sah sich das an, dann befühlte er den Teller, roch an der Suppe, hielt die Hand über die heiße Brühe, nahm einen Löffel in die Hand und führte ihn probehalber in die Suppe. Alanque sah, dass das alles neu für ihn war. Irgendwas musste an der Geschichte stimmen. Dann füllte der junge den Löffel, wie er es bei Pedro gesehen hatte, und führte ihn zum Mund. Es dauerte eine Weile, bis er begriffen hatte, dass er die heiße Brühe essen konnte ohne sich den Mund zu verbrennen, aber er machte das sehr geschickt. Alanque sah ihm zu und studierte ihn aufmerksam.

 

Irgendwann ging die Türe auf und ein Mädchen kam herein. Sie sah kurz auf die Gruppe, dann sagte sie Alanque, der Lastwagen sei nun leer. Sie hätte die Lieferanten schon bezahlt. „OK, meinte Alanque. In 3 Wochen sollen sie wieder hier sein. Sie haben die neue Bestellung schon. Schick sie zurück, dann komm zu uns.“ Das Mädchen verschwand. „Das war meine Schwester“, sagte sie zu den drei Kindern.

Sie tischte nun die Eier, den Speck und das Brot auf, dann fragte sie Para. „Erzähl du mir, ob das alles stimmt, was die beiden da erzählt haben.“ Para schwieg und aß. „Er sagt nie etwas, wenn er isst“, meinte Claudio. „Heb dir deine Frage auf. Vielleicht können wir etwas Wasser haben.“

Alanque holte Wasser und wartete ab. Inzwischen war Alanques Schwester zurückgekommen. Aber erst nachdem der Fremde gegessen und getrunken hatte, nahm er seinen Singsang wieder auf. „Ich habe gehört, dass du den Thénnis kennst“ und als Alanque nickte, fuhr er fort, „ich weiß nicht, ob wir von demselben Thénnis sprechen. In meinem Volk war das ein Gott, der in Menschengestalt zu uns gekommen war. Meine Mutter hatte die Ehre, seine Liebe zu gewinnen. Sie hat ihm zwei Kinder geboren. Para und Vera. Wie ich höre, bist du die Frau des Thénnis und wie ich sehe, trägst du ein Kind unter deinem Herzen.“ Er sah sie lange an, dann stand er auf, bewegte sich auf sie zu und legte seine Hände auf ihren Leib. Er tat das so selbstverständlich und ohne falsche Absicht, dass Alanque ihn gewähren ließ. Sie sollte das nicht bereuen.

Sie spürte die Wärme seiner Hände. Sie bemerkte, wie sich ihr Kind begann zu bewegen. Es war, als wenn es im Fruchtwasser auf diese Wärme der Hände zuschwamm. Dann sah sie ein Leuchten um diese Hände, dass sich zu einem hellen Schein ausweitete. Sie merkte, wie sich die Hände ihres Kindes und die Hände dieses Jungen durch die Bauchdecke berührten und wie ein Wärmestrom durch ihren Körper fuhr. Sie spürte, wie ihr Kind im Bauch diese Wärme aufsaugte.

Es war ein Gefühl, das Angst machen konnte. Die beiden Jungen sahen staunend zu, Alanques Schwester hatte sich zuerst einmischen wollen, aber sie sah wie sich Alanques Gesichtszüge entspannten und sie den fremden Jungen glücklich anschaute. Sie verstand das nicht, aber sie traute sich nicht, einzugreifen.

Dann ebbte das Licht ab, der Junge nahm die Hände von Alanques Bauch und sagte in seinem Singsang. „Deinem Mädchen geht es gut. Es ist gesund, und es ist die Tochter eines Gottes. Pass gut auf sie auf. Sie ist meine Schwester. Ich werde sie immer beschützen“, und Apanache dachte kritisch: „Woher wollte dieser Junge das wohl wissen?“

Alanque fasste seine Hände. „Deine Mutter heißt Polia, und du bist Para?“ Der Junge nickte. „Dann reden wir von demselben Mann. Dein Vater ist der Vater meines ungeborenen Kindes. Ich weiß, dass der Thénnis aus der Vergangenheit gekommen ist. Er hat es mir erzählt. Ich weiß, dass er der Geliebte und der Berater der Sonnenkönigin war, und dass er deine Mutter immer als seine wirkliche Frau betrachtet hat. Ich weiß, dass er dich geliebt hat, und er hat mir Geschichten über dich erzählt, als du noch sehr klein warst. Kannst du dich an eine Reise mit dem Thénnis erinnern?“

„Du meinst die Reise in das Tal des Wasserfalls? Wo wir den großen Bären und den Jaguar getötet haben? Wo ich mit dem Bärenkind gespielt habe?“

Alanque sah ihn an. Es gab keinen Zweifel. Das war Para, der Sohn des Thénnis.

Sie warf einen Blick zu ihrer Schwester. Sie sah die Fragen in ihrem Gesicht. „Es gibt keinen Zweifel“, sagte sie zu Apanache. Ich habe die Geschichten der Wiedergeburt zuerst nicht glauben wollen, als Dennis mir das zum ersten Mal erzählt hat. Ich habe gelernt ihm zu glauben, und ihm zu trauen. Wir Indios haben eine lange Geschichte. Es wird Zeit, dass wir sie ausgraben und wieder beleben.“

Apanache sah ihre Schwester stirnrunzelnd an. Sie sagte nichts.

„All das bleibt unter uns“, bat Alanque. Zu Pedro gewandt meinte sie. „Dein Vater darf das wissen, aber zu den Soldaten sagst du nichts. Zu keinem der Weißen.“ Sie sah auch zu Claudio und zu Apanache. „Haltet euch daran. Das ist ein Geheimnis zwischen uns Quechua und Aymara. Wir bewahren es, aber wir reden mit den Weißen nicht darüber. Nur Bübchen, Moses und der kleine Spanier dürfen das wissen.“

Sie ließ Pedro und Claudio schwören. „Ihr wisst was ein Schwur ist. Es ist ein heiliger Eid. Wenn ihr den verletzt, dann verliert ihr den Schutz der Quechua Geister. Es ist der Schutz, den wir Indianer in der heutigen Zeit mehr brauchen als je zuvor. Es wird Zeit, dass wir wieder ein Volk werden. Mit der Hilfe des Thénnis und mit der Hilfe seines Sohnes, von Para, werden wir das vielleicht schaffen.“

Pedro und Claudio hatten gesehen, wie sich Para in einen Adler und in andere Tiere verwandelt hatte. In diesem Moment von Alanques eindringlicher Ermahnung begannen sie die lange Tradition ihres Volkes erstmals zu begreifen. Indianische Götter sind anders als die Götter der Weißen. Dieser Para hatte die Fähigkeiten eines Gottes. Sie würden sich an diesen Schwur halten und sie würden ihren Vater bitten, ihnen von den indianischen Bräuchen zu erzählen.

Para würde hier bleiben. Pedro und Claudio würden am nächsten Morgen aufbrechen. Sie würden die Tiere mit Mehl, Mais und Gerste beladen und auch die leeren Käfige wieder mitnehmen. Mehl, Mais und Gerste waren Vorräte, die sie für den Winter brauchten. Sie würden in diesem Winter den langen Weg noch ein paar mal machen.

6.

Es hatte sich eingebürgert, dass alle Indios, die den Winter über hiergeblieben waren, und auch alle Wachleute, morgens und abends zum Essen in das Hotel kamen. Man hatte die Tische in dem großen Saal alle zu einer langen Tafel zusammengestellt. Hier trafen sich auch alle zu ihren Schulstunden. Seit Dennis Abreise verbrachten sie hier jeden Tag einige Stunden, um zu Lernen.

Alanque hatte schnell gesehen, dass die Wachleute Defizite im Schreiben hatten. Viele der Quechua konnten weder schreiben noch lesen. Für Bübchen und Moses war die Schule ein gute Möglichkeit, um ihr spanisch zu vervollkommnen. Es wurde auch rechnen geübt und anderes. Wenn die Wachleute ihren Dienst verrichteten, kamen die Quechua oft in kleinen Gruppen zusammen und sie begannen die alten Geschichten der Indianer hervorzukramen. Alanque half ihnen dabei. Aus ihrer Kenntnis der Geschichte und der Ausgrabung konnte sie vieles beisteuern.

Für Alanque gab es diverse Aufgaben. Die Ausgrabungen des Sommers mussten aufgearbeitet werden. Manchmal kamen die Archäologen aus Lima oder La Paz. Die Aufgaben für die nächste Zeit wurden besprochen und auch verschiedene Planungsteams kamen und sie übernachteten gern in Dennis Hotel.

Die Behörden hatten erkannt, wie wichtig es ist, in der hier bald entstehenden Stadt für Straßen, Kanalisation, Wasser, Licht und Wärme zu sorgen. Im Winter konnten keine Landvermessungen vorgenommen werden, aber man würde im Frühjahr damit beginnen.

Da der Minister und der Anwalt der Regierungspartei inzwischen selbst etliche Grundstücke erstanden hatten, hatten sie auch ein großes Interesse daran, dass sich die Stadt bald in ihrem Sinn entwickelte. Um optimale Gewinne zu machen, muss es eine intakte Infrastruktur geben. Viele weitere Grundstücke waren bereits verkauft oder reserviert. Man würde im Frühjahr auch beginnen, die Straße zu verbreitern und zu asphaltieren.

Obwohl das Hotel den Winter über nicht voll besetzt war, waren ständig zahlende Gäste da. Ursprünglich hatte Alanque die Köche über den Winter entlassen wollen, doch sie hatte das aus einer Art Eingebung nicht getan. Das machte sich jetzt bezahlt.

Alanque war nicht nur die Leiterin der Ausgrabung, sie war auch die Vertreterin der Stiftung und sie war in Dennis Abwesenheit die Chefin des Hotels. Also tat sie alles, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Es tat gut, dass Bübchen, Moses und der kleine Spanier im Untergrund der Berliner U-Bahn Wirtschaftsrechnen gelernt hatten. Sie waren Alanque eine große Hilfe.