Die Vereinigung der Kraft

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Auch die älteste Tochter von Dennis und der Sonnengöttin hatte solche außerordentlichen Fähigkeiten wie Para. Auch sie war weißhaarig und blauäugig.

Fala hatte schon früh einen guten Kontakt zu allen Menschen am Hof. Sie konnte gut plappern und sie konnte gut zuhören. Sie konnte vermitteln und Frieden stiften. Sie hatte sehr früh einen Teil der Kraft von Dennis bekommen, damals auf dem großen Fest.

Schon in jungen Jahren kümmerte sie sich um die früheren Diener des Thénnis. Sie ermunterte sie mit der Schule fortzufahren und Vera nahm selbst an diesem Unterricht teil.

Bereits mit vier konnte sie alle diese Zeichen lesen, deuten und schreiben. Sie führte neue Zeichen ein. Manches vereinfachte sie, manches ergänzte sie. Sie hatte eine unglaubliche Auffassungsgabe und ein perfektes Gedächtnis. Sie konnte mit Zahlen umgehen und selbst schwierige Rechenaufgaben lösen. Es war ein Wunder.

Fala war stets offen. Sie lobte und sie kritisierte. Sie kannte keine Scheu und kritisierte auch ihre Mutter.

„Der Krieg damals, gegen die Karancula“, sagte sie, „da hast du Fehler gemacht.“ Die Dörfer des Busches haben unter den Karancula gelitten. Du hättest sie zu deinen Freunden machen sollen.“ Sie war vier, als sie das sagte. Woher sie das wusste, konnte sich niemand erklären. Nur Basuna hatte dabei gestanden und den Kopf gesenkt. Er hatte leise in sich hineingelächelt. Er wusste: Fala war die Tochter eines Gottes. „Götter wissen viele Dinge, die Menschen nicht wissen“, hatte Dennis einmal gesagt. Basuna erkannte Dennis in Fala wieder. Sie hatte dieselbe Art, auf Menschen zuzugehen, sie war großherzig, hellwach und mit einer Ausstrahlung, die auf die Menschen um sie herum wirkte, wie die wärmende Sonne am Morgen.

Auch er hatte schon sehr früh alle Berichte über Para gehört. Während Para und Fala ganz offenbar die göttlichen Fähigkeiten von Dennis geerbt hatten, waren die beiden andern Kinder zwar hellwach und begabt, aber sie hatten nicht diese unvergleichlichen Kräfte.

Palasque, der Bruder von Fala hatte sich schon früh dem Interesse an Waffen und Krieg verschrieben. Er spielte gern mit Dolchen, und übte mit der Palastwache. Basuna beobachtete das, und er beauftragte den Heerführer, sich um den Jungen zu kümmern.

Fala war ganz anders als ihr Bruder. Sie nahm an Besprechungen der Minister und der Hohepriester teil. Man konnte mit ihr reden und diskutieren. Sie gab sehr schlaue und gerechte Anweisungen. Sie begann die Beratungsstelle ihres Vaters einzunehmen. Außerdem hatte sie sich schon sehr früh um die Fortsetzung des Hochzeitsrituals gekümmert. Es war verblüffend. Sie hatte wirklich die Stelle ihres Vaters eingenommen. Sie konnte den Menschen in die Herzen sehen. Sie überließ die Trauung stets den Priestern, aber Fala übernahm alle Arbeiten, die vorher anstanden.

Dabei verlangte sie kein Geld. Sie wies es ausdrücklich zurück. „Ich bin die Tochter der Königin“, pflegte sie zu sagen. „Ich habe euch so zu dienen, wie ihr mir gehorchen müsst.“ Auch das war neu. Jeder andere wäre dafür verachtet, vielleicht sogar hingerichtet worden. Es war eine Ungeheuerlichkeit. Aus dem Mund von Fala klang das ganz selbstverständlich. Das Volk liebte Vera, und es begann die Beziehungen untereinander zu verändern. Es war wirklich, als wenn Dennis in Fala weiterlebte.

Die Sonnenkönigin bat Fala manchmal, sich etwas zurückzuhalten um die Hochachtung vor dem Hof nicht zu verwässern, aber Fala wehrte ab. „Ich werde nichts unternehmen, was deine Stellung untergräbt. Du bist die Herrscherin des Sonnenstaates. Ich bin nur deine Tochter.“ Es war wirklich so. Fala hielt sich daran. Sie ließ ihrer Mutter bei den Festen stets den Vortritt. Bei den Besprechungen mit Ministern und den Hohepriestern überließ sie ihrer Mutter stets das letzte Wort. Sie unternahm nichts, was ihrer Mutter schadete.

Nur manchmal, nach einer Sitzung kritisierte sie ihre Mutter unter vier Augen, und bat sie etwas zu überdenken, was sie für falsch hielt. Aber das blieb ein Geheimnis zwischen Fala und der Sonnenkönigin. Nicht einmal Basuna wusste davon.

Außerdem besprachen sich Fala und ihre Mutter oft vor wichtigen Entscheidungen. Manchmal wusste Fala keinen Rat, dann holten sie die Minister und die Hohepriester zu ihren Besprechungen. Fala wuchs in die Rolle der zukünftigen Herrscherin des Landes.

Als sie sechs Jahre alt war, unternahm sie ihre erste Reise. Sie begleitete eine Karawane weit nach Süden und kam mit neuen Eindrücken und Erkenntnissen zurück.

Sie nahm bald regelmäßig an solchen Reisen teil. Sie lernte andere Städte und Fürsten kennen. Sie hörte stets aufmerksam zu und sie ließ nichts zu, was die Stellung der Königin hätte schmälern können. Auf einer dieser Reisen wurde Fala von Basuna begleitet. Er erstattete der Königin Bericht. Er war voller Hochachtung für die diplomatischen Fähigkeiten von Fala.

7.

Als sich das Gerücht um die wundersame Heilung im Lande verbreitete, beschloss Fala ihren Stiefbruder aufzusuchen.

Sie erklärte das ihrer Mutter so. „Du hast mir einmal erzählt, dass du mit Polia eine Vereinbarung getroffen hast. Sie soll in ihr Dorf zurückkehren und den Erben deines Thrones nicht gefährlich werden. Ich sehe da keine Gefahr. Aber ich sehe da ein außerordentliches Talent, was wir uns zunutze machen sollten. Aus diesem Grund will ich meinen Stiefbruder kennenlernen. Ich werde eine Karawane begleiten, die mich in sein Dorf führt. Ich will keine Elitekrieger dabei haben. Ich kann mich selbst verteidigen, wenn es dazu kommen sollte.“

Die Königin besprach das mit ihren Beratern und sorgte für eine ausgesuchte Mannschaft der nächsten Karawane an den Amazonas. Alle Thé waren Krieger. Fala würde mehr Schutz haben als sie vermutlich brauchte.

8.

Die Karawane brauchte zwei Monate um das Dorf am Fluss zu erreichen. Es waren Händler. Also suchten sie jedes Dorf auf, um zu handeln. So lernte Fala vieles über die Sitten und Rituale der Buschindianer. Das war neu für Sie. Auch jetzt zeigte sie sich als die Tochter des Thénnis. Gewiss, sie war auch die Tochter der Königin. Sie konnte Befehle aussprechen, denen man gehorchen musste. Aber Fala zeigte nie Überheblichkeit. Sie ging auf die Menschen zu und lebte mit ihnen. Sie verbreitete Hochachtung. Hörigkeit ließ sie nur in Ausnahmesituationen zu. Sie hörte zu. Sie gab Ratschläge. Sie versprach Dinge an die Königin weiterzuleiten, die sie nicht selbst entscheiden konnte.

Als sie schließlich im Dorf von Polia und Para ankamen, wusste Fara mehr über die Péruan als ihre Mutter.

Die erste Begegnung zwischen Fala und Para war entscheidend. Sie standen sich gegenüber. Zwei blonde und blauäugige Achtjährige.

Para wusste natürlich, wer da vor ihm stand. Bei der Ankunft von Fala waren die Péruan vor Achtung auf die Knie gegangen und sie hatten die Köpfe gesenkt. Auch Para hatte das gemacht, wie alle.

Fala war durch die Gruppe gegangen und hatte Para befohlen aufzustehen. „Du musst Para sein“, sagte sie, und als Para nickte, nahm sie seine Hände und sagte, „mein Bruder.“

Para sah sie lange an. Er fühlte die Kraft in ihren Händen. Sie verband sich mit seiner eigenen Kraft und es begann sich ein Gespinnst von Lichtern um die beiden zu zeigen. Das Gespinnst entwickelte sich zu einem Sturm an Licht. So standen die beiden und sahen sich in die Augen und in die Herzen. Sie erkannten: Sie waren sich ebenbürtig und sie stellten für einander keine Gefahr da. Sie waren Bruder und Schwester. „Meine Schwester“, sagte Para stolz.

Fala blieb zwei Tage da, dann wollte die Karawane weiterziehen. Fala nickte. „Wie lange seid ihr unterwegs? Noch einen Monat? Gut dann holt mich hier wieder ab. Ich bleibe hier.“ Der Kaufmann war bestürzt. Das war mit der Königin nicht vereinbart. Aber Fala blieb eisern. „Wenn dir mein Wunsch nicht genug ist, dann befehle ich es dir. Die Péruan werden mich beschützen.“ Sie sah ihren Bruder an, der ihr aufmunternd zunickte. „Para wird mich beschützen.“

Der Karawane blieb nichts anderes übrig. Ein Bote wäre nicht rechtzeitig in die große Stadt gekommen. Sie mussten sich der Anweisung ihrer zukünftigen Königin beugen.

9.

Dieser Monat war für Fala ein Schlüsselerlebnis. Sie lernte nicht nur die Freundschaft der Péruan kennen, sondern auch ihre Fürsorge, ihre Offenheit und ihre Ehrlichkeit.

Para und Vera nahmen sie mit in den Busch. Sie sah zu, wie sich Para in wilde Tiere und Schmetterlinge verwandelte. Sie sammelte Kräuter und bereitete Tees und Aufgüsse. Sie nahm Fische aus und webte. Sie nahm all das mit offenen Augen und Ohren auf. Es war ihr Dorf. Nicht nur, weil sie die zukünftige Königin war. Es war ihre Familie. Sie lernte viel von Para. Einmal begleitete sie Para und Vera zu einem Krankenbesuch in ein Dorf, das drei Tagesmärsche weiter am Fluss lag. Para und Vera versorgten und bewachten sie. Sie machten es auch möglich, dass Fala nie krank wurde.

Dieser Krankenbesuch war für Fala ein einschneidendes Erlebnis. Der Indio war einem Krokodil zu nahe gekommen und hatte einen Arm verloren. Als sie in das Dorf kamen, war der Mann schon so gut wie tot. Zwar hatte die Medizin Entzündungen und Wundbrand verhindert, aber der Blutverlust und die Schmerzen hatten den Indio bewusstlos gemacht. Para wusste von den Boten, was passiert war. Er hatte unterwegs mit Vera verschiedene Kräuter gesammelt. Dann war er mit Vera in die Sümpfe gestiegen und hatte einige große Kröten mitgebracht. Sie hatten grüne Bäuche und große Warzen. Sie hatten sie auf Blätter gesetzt und in einen Beutel getan.

 

Als sie ankamen wollte Para sofort den Kranken sehen. „Keine Unterwerfungen“, befahl er den Indios. Dafür haben wir jetzt keine Zeit. Dann bat er Vera nach einer bestimmten Schneckenart Ausschau zu halten. „Nimm die Frauen des Dorfes mit“, bat er. Zu Fala gewandt sagte er, „du kannst mir helfen.“

Er richtete den Kranken mit Falas Hilfe etwas auf, aber der Indio blieb ohnmächtig. Er legte ihn wieder hin. Dann sah er sich die Wunde an. Der Mann hatte Fieber. Die Wunde sah aber gut aus. Dennis holte die Kröten aus dem Sack, drückte ihnen auf den Bauch, so dass große Mengen Schleim aus den Mündern quoll, er verteilte den Schleim auf der Wunde. Dann bat er um Wasser und wartete auf Vera.

Sie hatte sich beeilt. Sie hatten Schnecken gefunden, aber nicht viele. Para nickte. "Schick die Frauen noch einmal fort. Wir brauchen mehr." Dann verteilte er die Schnecken auf dem Körper des Kranken. Es war eine besondere Art. Eine Kreuzung aus Schnecken und Blutegeln. Sie bissen sich in die Haut und tranken das Blut des Opfers. Sie spritzten dabei ein besonderes Gift in die Blutbahn, das hochtoxisch war und das Blut verdünnte. Als die Frauen mit mehr Schnecken kamen, setzte Para auch diese Schnecken auf den Körper des Kranken. Dann bat er Vera eine bestimmte Sorte von Beeren und Wurzeln zu suchen. Vera wusste Bescheid. Sie nahm die Frauen wieder mit.

Als sie zurückkamen, hatte Para die Schnecken von der Haut entfernt. Sie waren groß und fett geworden.

Sie kochte die Beeren und die Wurzeln zu Tee. Dann warf sie die Schnecken in einen Topf und kochte sie ein.

Para richtete den Kranken erneut auf und flößte ihm etwas von dem Tee ein. Er schlug die Augen auf und Para bat ihn noch etwas zu trinken. Dann setzte er sich neben ihn und begann seinen Singsang. Er legte die Hände auf das Herz des Kranken und sang. Bald begann die Brust des Kranken gleichmäßig im Takt des Atems und im Schlag des Herzens auf und abzuschwellen.

Para warte eine Stunde, dann noch eine. Dann weckte er den Kranken auf. „Du musst essen und trinken“, sagte er. Er gab ihm etwas Tee, dann gab er ihm zwei Löffel von dem Schneckenmus. „Willst du mehr?“ Der Kranke nickte und bekam noch etwas Tee und Schneckenmus. Dann legte er sich zurück und schlief ein. Para legte erneut die Hände auf das Herz und sang.

Nach zwei Stunden wiederholte er die Behandlung. So ging das die ganze Nacht und den ganzen nächsten Tag.

Fala war todmüde, aber sie wachte die ganze Zeit neben Para und dem Kranken und sie beobachtete.

Am darauffolgenden Tag bat er erneut um diese Schnecken.

Die Frauen hatten sich die Stelle gemerkt, wo sie die Schnecken gefunden hatten. Sie kamen bald zurück und Para wiederholte die Behandlung mit den lebenden Schnecken. Diesmal verwendete er sie nicht wieder. „Setzt sie wieder aus, bat er. Lasst sie am Leben. Wir haben ihnen zu danken.“

Dann erhielt der Kranke wieder Tee und Schneckenbrei. Am Abend ging es ihm schon viel besser. Am nächsten Tag richtete er sich auf. Im Laufe des Tages besserte sich sein Zustand zunehmend. Er bekam wieder Farbe im Gesicht.

Para hatte die Kröten mehrfach gemolken, und immer wieder von diesem Schleim auf die Wunde gegeben. Sie sah gut aus. Sie schloss sich. Es bildete sich eine Art dicker Schorf. Nun gab er dem Kranken auch feste Nahrung. Obst, Fisch und Fleisch.

Dann brach Para zusammen. Es war wie das letzte Mal. Er schlief zwei Tage und Nächte. Vera und Fala waren selbst todmüde, aber sie versorgten den Kranken weiter und schliefen zwischendurch abwechselnd. Sie baten, Para ganz in Ruhe zu lassen.

Als Para wieder aufwachte, ging er ans Wasser und nahm ein Bad. „Kein Wasser an die Wunde“, befahl er den Indios. „Lasst die Wunde heilen. Keine heftigen Bewegungen. Gebt ihm den Rest an Schneckenmus. Sucht neue Beeren. Kocht sie zu Tee. Sie sorgen dafür, dass sich neues Blut bildet. "Keine lebenden Schnecken mehr. Der Kranke soll nun normale Nahrung zu sich nehmen. Viel Fisch und Obst.“

Dann machte er sich mit Vera und Fala auf den Rückweg. Sie wurden von drei Jägern begleitet, um sie sicher zurückzubringen. Fala war neugierig. „Was war das mit den Kröten und mit den Schnecken“, fragte sie.

Para erklärte. "Der Schleim der Kröten hat ein Mittel, dass die Wunde reinigt und Entzündungen verhindert. Die Schnecken trinken das Blut und spritzen ein Gift in die Blutbahn, welches das Blut besonders flüssig macht. Der Kranke hatte viel Blut verloren. Er musste das Blut wieder zu sich nehmen, das die Schnecken aus ihm herausgesaugt haben. Deshalb haben wir ihm die Schnecken zum essen gegeben. Die Beeren regen den Körper an, neues Blut zu produzieren. Die zweite Ladung Schnecken hat Giftstoffe aus dem Blut gesaugt. Deshalb haben wir sie wieder freigelassen.“

„Wir Peruan kennen viele Rezepte und Heilmittel. Ich habe gelernt, sehr früh mit den Tieren zu sprechen. Sie haben mir gezeigt, dass es noch viel mehr Heilmittel gibt, als wir Menschen wissen. Ich bin froh, dass mir Vera immer zur Seite steht. Meine kleine Schwester ist mir eine große Hilfe.“

„Und warum hast du kein Geld genommen für deine Behandlung“, fragte Fala.

Para schüttelte den Kopf. „Wir haben hier alles, was wir brauchen. Wenn ich Hilfe brauche, dann sind die Peruan immer für mich da. Sie sind meine Brüder und Schwestern. Wenn ich die Hilfe der Tiere brauche, dann brauche ich sie nur zu rufen. Sieh nur…“

Er stieß einige Laute aus und streckte den Arm aus. Einige Schmetterlinge kamen und setzten sich auf seinen Arm. Sie hatten riesige Flügel, handtellergroß. Sie waren bunt und hatten schwarze behaarte Körper. Para redete mit ihnen. Sie schlugen die Flügel auf und nieder und wippten mit ihren Körpern, als wollten sie tanzen, dann erhoben sie sich wieder und flatterten davon.

Sie hatten für diese Reise zehn Tage gebraucht. Als sie zurückkamen, wartete die Karawane bereits auf sie. „Oh“, sagte Fala bedauernd.

Sie blieb noch zwei Tage, dann verabschiedete sie sich. Sie hatte Para und Vera liebgewonnen. „Sehn wir uns wieder“, fragte sie zum Abschied. „Wer weiß“, sagte Para. Als Péruan darf ich nicht in die große Stadt, aber du bist hier jederzeit willkommen. Wenn du mich brauchst, dann rufe nach mir.“

Sie umarmten sich zum Abschied.

Die Karawane war heilfroh, dass Fala wohlauf war. Sie hatten ihre Geschäfte abgeschlossen und sie marschierten auf schnellstem Weg zurück.

Fala war vier Monate weggewesen. Es wurde Winter als sie in der großen Stadt ankamen.

Die Königin atmete auf, als sie Fala gesund und munter wieder zurück sah. Sie hatte rote Wangen bekommen, und sie strotzte vor Kraft und Selbstbewusstsein.

Die Königin rief ihren Rat zusammen und ließ sich berichten.

„Para ist für uns keine Gefahr“ begann Fala. „Er ist glücklich dort im Dschungel des Amazonas, und er vollbringt wahre Wunder. Er ist ein großer Medizinmann.“ Sie schaute in die Runde. „Keine Angst. Er hat keine Ambitionen auf den Thron. Er hat kein Interesse an Macht. Er fühlt sich als Diener der Péruan, nicht als ihr Herrscher. Er ist so wie ich, und er ist der Königin sehr ergeben. Er ist mein Bruder und er steht unter meinem Schutz.“ Sie sah ihre Mutter an. „Dieses mal werde ich deine Stimme nicht abwarten. Wir können beraten, aber Para steht unter meinem Schutz. Ich will, dass ihr das alle respektiert.“

„Hat Para dir den Kopf verdreht“, wollte einer der Hohepriester wissen.

Fala wollte zunächst ärgerlich auffahren, doch dann besann sie sich. Das musste gefragt werden.

Sie wartete einen Moment, dann schüttelte sie energisch den Kopf. „Ihr habt mich erzogen. Ihr habt mich lange beobachtet. Ihr wisst, dass man mir den Kopf nicht verdreht. Ich habe ein sehr ausgewogenes Urteil. Um die Frage direkt zu beantworten: Ich habe Para sehr genau beobachtet. Ich habe ihn einen Monat lang studiert. Ihn und seine kleine Schwester Vera. Nein. Er hat mir nicht den Kopf verdreht und er ist auch keine Gefahr. Er ist ein wunderbarer Mensch, so wie viele Théluan und Péruan. Ich bin stolz, einen solchen Bruder zu haben. Vera ist seine kleine Schwester. Sie ist begabt, aber sie hat nicht die Kraft ihres Bruders. Vater hat seine Kraft nur an zwei seiner Kinder weitergegeben.“

Die Hohepriester und die Minister senkten die Köpfe. Ja. Palasque hatte diese Fähigkeiten nicht. Er entwickelte sich zu einem geschickten Kämpfer, die strategischen Fähigkeiten seiner Schwester hatte er nicht. Er würde nie ein großer Feldherr werden.

10.

Auch Palasque hatte von Para gehört. Palasque wurde als kleines Kind immer nur Pala gerufen. Er wollte Palasque genannt werden. Das klang nach mehr Hochachtung. Er hantierte liebend gern mit Waffen. Er war ein geschickter Kämpfer, aber er trieb sich mehr auf den Plätzen der Thé Krieger herum, als gut war. An den Dingen, die seine Schwester da tat, hatte er kein Interesse. Weiberkram. Er wusste, dass Fala die zukünftige Königin war, aber er begriff nicht, was sie da alles machte. Diplomatie war nicht seine Sache. Herzlichkeit war keine Sache der Krieger. Alle Versuche, ihn in einem andern Sinn zu beeinflussen, waren vergebens. Palasque war ein verlorener Sohn.

Leider war Palasque auf die Stellung seiner Schwester eifersüchtig. Er hatte nie diese hohe Anerkennung der Menschen erfahren wie seine Schwester, obwohl er als Kind genauso geliebt worden war wie Fala. Er konnte sich das nicht erklären, und als er nun von dem Jungen da in den Sümpfen hörte, gab es in seinem Herzen einen Stich.

Er war der Sohn der Königin. Ihm gebührte die Achtung. Nicht diesem Sohn einer hergelaufenen Péruan.

Je mehr er von Para hörte, desto mehr vertiefte sich diese Abneigung. In den Folgejahren hörte er immer wieder von den Erfolgen dieses Para. In Palasque wuchs die Eifersucht und die Abscheu. Er redete nicht darüber und so konnte sich dieses Gefühl immer mehr ausbreiten. Schon mit acht unternahm er Streifzüge mit den Théluan. Er baute sich eine eigene Truppe auf. Es gab Berichte über Grausamkeiten. Auch einige der Karawanen beschwerten sich.

Die Minister gaben das an die Königin weiter, aber sie war nicht geneigt, einzuschreiten. Sie sprach manchmal mit Palasque, aber der schwieg, oder redete die Sache klein.

Insgeheim dachte er sich: er würde das Reich anders führen. Mit harter Hand. Dann könnten sie das Reich bis zum großen Ozean ausbreiten. Dort hinter den großen schneebedeckten Bergen.

11.

Para wusste von alledem nichts. Er tat, was er immer tat. Freundlich und aufopferungsvoll. Seine Verwandlungskünste steigerten sich von Jahr zu Jahr. Seine Kenntnisse der Heilkräuter und die Kraft seiner Hände nahm stetig zu. Er entwickelte sich zur Legende. Manchmal unternahm er weite Reisen, um Kranke zu heilen und um seine Kenntnisse von Heilkräutern und ihrer Wirkung an andere weiterzugeben.

So wie seine Halbschwester Fala sich der Kunst des Lesens und Schreibens verschrieben hatte, und alles tat, um die Schulen zu stärken, so wurde Para zu einem Medizinmann und Lehrer für das Volk der Péruan.

Seine kleine Schwester begleitete ihn auf all seinen Reisen. Sie betete ihn an. Beide gemeinsam wurden von den Indios im Amazonasgebiet vergöttert. Auch Vera wurde immer geschickter. Die geheimnisvolle Kraft von Paras Händen hatte sie nicht.

Obwohl sie inzwischen die Sprache der Tiere gut verstand, hatte sie nicht diese Aura, um die Tiere in ihrem Sinn zu beeinflussen und zu steuern. Es machte ihr nichts. Sie war glücklich mit ihrem großen Bruder. Er war ihr Halbgott.

Ohne dass sie es wussten, wurden immer wieder Berichte über Para und Vera an den Palast geschickt. Die Königin wurde immer wieder unterrichtet und auch Palasque hatte inzwischen seine eigenen Spione.

Irgendwann hatte Palasque beschlossen, es reicht jetzt.

Er wusste, dass Para wieder auf einer Reise war und wann er in seinem Dorf zurückerwartet wurde. Palasque nahm eine Schar seiner Spezialtruppe und machte sich auf den Weg. Seiner Mutter sagte er schon lange nichts mehr über seine „Ausflüge“.

12.

Para war dreizehn Jahre alt, als er eine größere Reise in den Süden machte. Er ging mit Vera alleine. Er kannte die Peruan, er musste sich keine Sorgen machen. Er kannte die Tiere und fürchtete sich nicht.

 

Auch auf dieser Reise gab er viel seiner Kenntnis der Medizin an die Stämme der Péruan weiter. Er war glücklich. Es war ein gutes Leben.

Immer wieder spielten sie mit Schmetterlingen, mit Kolibris und mit den Affen. Er hatte keine Angst vor den Schlangen. Er kannte die schwarzen großen Ameisen und die Kröten und Echsen. Nur vor den Krokodilen nahm er sich acht. Dann gab es im mittleren Amazonas noch eine Fischart, die er mied. Sie hatten messerscharfe Zähne. Sie hatten immer Hunger und sie fraßen ihre Opfer bei lebendigem Leib auf. Aber er kannte die Gefahren des Dschungels.

Es war nur noch wenige Tage bis zu ihrem Dorf. Sie rasteten auf einer Lichtung, als die Affen begannen, Warnrufe auszustoßen. Para hörte, dass sich Menschen näherten, aber seine angeborene Vorsicht versagte in diesem Moment. Vor Menschen hatte er keine Angst.

Als die Krieger der Théluan aus dem Schatten der Bäume traten, erkannte Vera die Gefahr als erstes. Sie versuchte ihren Bruder zu warnen.

Die Théluan wurden angeführt von einem Jungen, der blond und blauäugig war, so wie Para selbst. Er stand grinsend von Para. „Ergreift sie“, befahl er. In diesem Moment wurde Para die Gefahr bewusst. Er stellte sich schützend vor seine Schwester. Einige Thé hatten die Schwerter gezogen. Der blonde Junge stand feixend vor ihm. Da verwandelte sich Para in einen schwarzen Panther um seine Schwester zu verteidigen. Er griff an. Mit einem Sprung hatte er den Jungen erreicht. Er zermalmte ihm mit einem Biss den Schädel, dann drehte er sich zu den Kriegern der Théluan um.

In diesem Moment wurde er von dem ersten Speer getroffen. Zwei weitere folgten unmittelbar danach und dann noch zwei. Sie drangen in seinen Leib ein, sie trafen seine Lungen und sein Herz.

In diesem Moment erfolgte ein gewaltiger Lichtblitz. Die Krieger der Théluan wurden umgeworfen, so heftig war die Detonation.

Als sie wieder aufblickten, war der Panther verschwunden. Die Speere lagen da, mit blutverschmierten Spitzen. Der Panther war fort.

In diesem Moment dämmerte es den Théluan, was sie da gemacht hatten. Sie kannten alle die Geschichte des Thénnis und von seinem geheimnisvollen Verschwinden. Sie hatten die grausame Rache der Königin an den Karancula erlebt. Wozu hatten sie sich bloß hinreißen lassen.

Sie verneigten sich vor Vera und baten sie um Vergebung. Dann hoben sie den Leichnam auf und folgten Vera in ihr Dorf.

Vera war tief verstört. All das ging über ihren Horizont.

Als die Krieger der Thé im Dorf ankamen, gab es Verwunderungsrufe. Der Takilada brachte sie zum schweigen und bat um Aufklärung. Die Krieger der Thé berichteten stockend und voller Bedauern. Vera schwieg. Sie stand unter Schock.

Der Takilada handelte.

Er befahl eine bestimmte Sorte von Blättern zu sammeln und alles an Tüchern zusammenzubringen, was da war.

Die Frauen schickte er, um eine bestimmte Sorte von Kröten zu suchen. Dann wurde der Körper komplett ausgeweidet und auch das Gehirn wurde entfernt. Er wurde kunstvoll mit dem Exkret der Kröten eingestrichen, mit Blättern bedeckt und mit Tüchern eng umwickelt. Es war eine Art der Einbalsamierung, die bei den Indios seit langen bekannt war. Dann wurde der Leichnam auf lange Stangen geschnürt und war reisefertig.

Der Takilada ließ es sich nicht nehmen, die Truppe zu begleiten. Er nahm Vera mit.

Sie liefen sehr schnell und schon nach drei Wochen kamen sie in die große Stadt. Vor den Toren blieben der Takilada und Vera zurück. Sie hatten keinen Zugang.

Die Kunde hatte sich schon verbreitet und die Menschen standen schweigend in den Gassen und ließen den Zug passieren.

Die Königin empfing den Zug im Beisein ihrer Minister und der Hohepriester. Dann ließ sie sich berichten.

Fala sah den Zorn der Königin und sie fragte nach dem Dorf. Als sie hörte, dass der Dorfälteste und Vera vor den Toren auf Befehle warten, gab sie ihrer Palastwache einen Wink: „Bringt die beiden her, aber behandelt sie gut.“

Die Krieger setzten sich sofort in Bewegung. Dann ging Vera zu ihrer Mutter. „Bitte“, sagte sie. „Höre den Takilada und Vera erst an.“ Sie sah den Zorn ihrer Mutter und versuchte sie zu beruhigen. „Denk daran, dass der Thénnis vier Kinder hatte. Jetzt sind wir nur noch zu zweit. Ich möchte meine Schwester nicht auch noch verlieren.“

Die Königin sah Fala an. Sie wollte explodieren, doch dann besann sie sich. Sie hatte längst eingesehen, dass sie damals mit der Strafaktion gegen die Dörfer in Mittelamerika einen Fehler gemacht hatte. Das sollte ihr nicht noch einmal passieren.

Als der Takilada und die kleine Vera schließlich vor der Königin standen, hatte sie sich beruhigt. Sie war ganz Königin.

Sie ließ von dem Takilada berichten, aber der konnte zu dem Tod ihres Sohnes nichts sagen. Er war nicht dabei gewesen. Dann unterzog sie Vera einem Verhör.

Vera weinte. Sie erzählte alles, was sie wusste. Von dem plötzlichen Überfall, von dem feixenden Jungen mit den weißen Haaren, von den Théluan, die mit Schwertern auf sie eindrangen, von Para, der sich vor sie gestellt hatte und sich in einen Panther verwandelt hatte, um sie zu beschützen. Sie erzählte vom Tod des Jungen und dem großen Lichtblitz und dem plötzlichen Verschwinden des Panthers.

Die Königin schwieg lange. „Und es ist nichts übriggeblieben? Kein Zeichen? Nichts?“ Vera schwieg, dann schüttelte sie den Kopf und weinte. „Nichts“, presste sie heraus.

Der Fall war klar. Fala ging zu ihrer Mutter und legte ihr die Hand auf den Arm. „Lass sie laufen“, bat sie und mit einem Kopfnicken zu den Théluan, die mit gesenkten Köpfen und schuldbewusst da standen, meinte sie. „Lass auch die Thé laufen. Sie haben nur auf Befehl meines Bruders gehandelt. Sie konnten nicht anders. Dann aber haben sie das Richtige getan. Sie haben Vera am Leben gelassen und den Leichnam zurückgebracht.“

Die Königin überlegte lange. Dann wandte sie sich an den Takilada und Vera.

„Gut. Euch wird nichts geschehen. Ihr könnt in euer Dorf zurückkehren. Ihr steht weiter unter meinem Schutz.“

Zu den Théluan gewandt, sagte sie. „Ihr habt es verdient, dass man euch hinrichtet. Alle. Ihr hättet mich von dem Vorhaben meines Sohnes unterrichten müssen. Jetzt ist es zu spät. Aber meine Tochter hat für euch um Gnade gebeten. Geht in eure Kaserne zurück. Eure Waffen lasst ihr hier. Meine Tochter wird in einigen Tagen in die Kaserne gehen. Sie wird die Neuorganisation der Truppe befehligen. So etwas wird nie wieder passieren.“ Sie sagte das mit Nachdruck. Dann gab sie ihnen einen Wink. „Entfernt euch jetzt. Meine Palastwache wird euch begleiten.“

Dann sah sie Vera lange an. „Ich habe einen Sohn verloren. Du hast einen Bruder verloren. Meine Tochter hat gleich zwei Geschwister verloren. Das war absolut unnötig. Wir müssen überlegen, was wir daraus lernen.“ Sie winkte Fala zu sich und begann leise mit ihr zu sprechen.

Dann wandte sie sich wieder an Vera. „Meine Tochter fühlt sich einsam. Sie will dich nicht als Schwester verlieren. Sie hat dich kennengelernt und sie liebt dich. Sie bietet dir an, dass du zu uns in den Palast ziehst. Nicht als eine Sklavin, nicht als ihre Dienerein. Sie möchte eine Schwester haben.“

„Es steht dir frei, das abzulehnen und in dein Dorf zurückzukehren. Vielleicht bist du noch zu klein, um das entscheiden zu können. Sprich mit deinem Großvater.“

Vera schwieg lange, dann ging sie langsam auf Fala zu. Sie streckte die Hände bittend aus und Fala nahm die Hände von Vera.

„Ich liebe dich.“ sagte Vera. Wenn du willst, dass ich hier bleibe, dann bleibe ich bei dir. Aber ich würde mich alleine fühlen, ohne meine Familie. Ohne Polia und Faroa. Ich habe gehört, dass sie damals in der großen Stadt gewohnt haben, mit anderen. Ich habe gehört, dass sie eine Schule gegründet haben. Para hat mich stets mitgenommen. Wir haben mit den Péruan gelebt und wir haben ihnen unsere Kenntnisse von Heilkräutern weitergegeben. Es wäre schön, wenn wir diese beiden Schulen miteinander verbinden könnten.“