Die Schamanin

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5.

Als Solveig zurückkommt nach Peru, da kümmert sie sich zuallererst um ihre Tochter (der Sohn war zu diesem Zeitpunkt noch nicht geboren worden), dann sucht sie ihre Tante Chénoa auf.

Es wird ein langes Gespräch.

Chénoa seufzt. „Da hast du einen Rebellen gefunden. Einen, der weiß, was er tut, und der mit dem Teufel tanzt, so wie wir auch. Es ist immerhin gut zu wissen, dass es noch mehr solcher Menschen gibt. Eines Tages werden sie dir die nötige Dankbarkeit erweisen. Dann werden wir sie darum bitten müssen, uns beizustehen.“

Chénoa schüttelt den Kopf. „Es kann sein, dass dieser Mann dich eines Tages wieder um einen Gefallen bittet. Es muss klar sein, dass der Mensch im Mittelpunkt unserer Überlegungen steht, und nicht irgendwelche politischen Abwägungen. Genau das ist auch das, was mir an der Methode von Elvira missfällt, obwohl ich sie stets gestützt habe.“

Solveig nickt. Sie gibt Chénoa den Beutel mit den Diamanten und Chénoa schüttet den Inhalt auf den Tisch. Sie pfeift durch die Zähne. „Gib das Alvarez, unserem indianischen Juwelier und Goldschmied. Wenn er die Steine schleift und in Goldschmuck einarbeitet, dann wird das sicher noch viel mehr bringen, als wenn du die Steine alleine verkaufst. Eins ist sicher. Dieser Mann hat sich als dankbar erwiesen.“

Alvarez prüft die Steine. „Die sind aber nicht aus Peru“, sagt er, und er sieht sie an. „Das ist eine seltene Qualität. Ich würde sagen, die stammen aus Nepal. Dort gibt es so etwas.“

Er wiegt und rechnet. „Ich würde dir für diese Steine 5 Millionen Euro geben. Aber ich habe nicht soviel Geld. Wenn du einverstanden bist, dann arbeite ich die Steine in Schmuck ein und wir verkaufen das in unserem Juwelierladen im Hotel. Das dauert insgesamt vielleicht zwei oder drei Jahre, aber der Gewinn wird noch etwas höher sein. Natürlich kannst du das auch in New York, Amsterdam oder London anbieten. Dort gibt es potente Aufkäufer, aber dort wird man dir unangenehme Fragen stellen.“

Solveig überlegt, dann gibt sie dem Mann 12 dieser Steine. „Schleife sie und arbeite sie ein. Wenn du mehr brauchst, dann sage Bescheid.“ Den Rest schiebt sie in den Beutel zurück.

So kommt es, dass in dem großen Hotel in Ciudad del Sol nun neben vielen antiken Stücken, teuren Uhren, Schmuck und indianischen Handarbeiten auch Ringe und Ketten mit diesen Steinen angeboten werden.

Da das Hotel stets hochkarätige Gäste beherbergt, sind die ersten Stücke innerhalb von zwei Monaten verkauft. Es gibt genug Industrielle, die das Hotel ansteuern und ihrer Frau oder der Geliebten solch ein Stück schenken wollen. Was sind schon 30.000 oder 100.000 Euro, wenn man eine geschickte Geliebte bei Launen hält, oder die Frau glücklich macht, die Mehrheitsanteile an dem Unternehmen hält, das du als Präsident oder als Geschäftsführer leitest.

6.

Es gibt noch andere solcher Vorfälle.

Der Staat New York war in den letzten Jahrzehnten von mehreren Flutwellen getroffen worden und er hatte schlimme Stürme erlebt. Die Klimaveränderung traf den nordamerikanischen Kontinent mit aller Wucht. Schon in der Zeit, wo das Maunder-Minimum noch aktiv war, hatte Nordamerika mit einer Vielzahl von Tornados zu kämpfen, und mit Orkanen, welche die Wellen peitschten, Sturmfluten verursachten und Häuser in sich zusammenstürzen ließen. Als diese Periode vorüber war, traf die Auswirkung der Klimaveränderung die USA mit voller Wucht. Dürren im Mittelwesten. Ein versiegender Golfstrom. Orkane von unermesslicher Wut, die ganze Küstenabschnitte verschlangen.

Viele der „Barone“ der Unterwelt verdienen an diesen Katastrophen. Versicherungen, die Leistungen entweder garnicht, oder nur kleine Beträge auszahlen, Baufirmen, die minderwertiges Material liefern, Immobilienpreise, die in den Keller rutschen, damit Grundstücke dann wieder günstig zurückgekauft werden können. Wenn die Lage sich einigermaßen beruhigt, werden die Gebäude vermietet oder verkauft. Es gibt viele Möglichkeiten, an solchen Unwettern zu verdienen.

Die großen Barone hatten ihre Wohnsitze schon längst von der Küste zurückgezogen. Zu gefährlich. Sie waren von den Küstenabstrichen weg gezogen, nach Harrisburg, nach Springfield, dort wo es ruhiger ist, oder gleich an die großen Seen in Cleveland, Michigan und Wisconsin, an den Ontariosee, den Eriesee, den Hudson See, oder den Michigan See. Dort bieten sie ihren Familien ein neues Zuhause. Es gibt dort Golf Clubs, Reitschulen, Ranches, Yachten. Die Geschäfte an der Ostküste laufen natürlich weiter, dort, wo die Menschen zurückblieben, die nicht genug Geld hatten, um ihren Wohnsitz zu verlegen. Auch die Banken und die Börse in New York blieb. Allerdings wurde New York zu einer Art Festung ausgebaut, geschützt von Hunderten von Deichen, Sperren und Schleusen. Selbst Miami war ins Landesinnere verlegt worden. Mit der Stadt waren auch die ganzen Spielkasinos umgezogen.

Es gibt jetzt auch diese neuen Kleinflugzeuge in der Form von Flundern, mit denen man bequem von dem neuen Wohnsitz nach New York, Boston oder Florida fliegen kann, im Handumdrehen. Die Familie von Solveig produziert diese Flieger in Spanien, in den USA und in einem Zweigwerk in Thailand. Sie fliegen nur mit Sonnenenergie und Wasserstoffzellen und können bequem auf dem Dach eines Hochhauses oder im Garten landen und starten.

Man muss nicht mehr in den ehemaligen Zentren der Macht wohnen.

Eine dieser Familien hat einen Landsitz in der Nähe der kleinen Stadt Alpena, etwa 600 Km von Chicago entfernt, direkt am Ufer des Lake Huron, und noch ein Landgut in der Nähe von Thunder Bay am Lake Superior. Man kann mit Booten von einem Landsitz zum andern fahren. Naja. Auch das sind etwa 600 Km, aber es gibt schnelle Sportboote, und auch die fahren inzwischen mit Solarstrom, Gas und Wasserstoffzellen. Es sind große Seen, dort im Nordosten der USA, an der Grenze zu Kanada, und man kann die Geschäfte leicht über Kanada abwickeln. Auch wenn die kanadische Polizei eine der härtesten Truppen ist, gibt es genug Polizeisergeanten oder Offiziere, die ein Auge zudrücken, oder die dich warnen, wenn der Scheck stimmt. Naja. Schecks gibt es schon lange nicht mehr. Ist nur so eine Redensart.

Es gibt verbotenen Grenzverkehr und die Familie hat einige sehr schnelle Boote und noch schnellere Kleinflieger.

Man hatte in den letzten Jahrzehnten auch neue Ölfunde in der völlig aufgetauten Baffin Bay vor Grönland gemacht. Es hatte ziemlich Streit gegeben zwischen Kanada, Dänemark, Russland und den USA, um die Bohrrechte. Schiffe waren gekapert worden. Es hatte Sabotage gegeben. Es war fast zum Krieg gekommen. Schließlich hatte man sich mehr oder weniger geeinigt und beutete die Ölvorkommen aus. Im Bereich des Schiffsverkehrs war das Erdöl als Energiequelle schon immer überlebenswichtig gewesen. Kein Übersee-Frachtverkehr ohne einen leistungsfähigen Diesel, und die großen Flotten von schwimmenden Hotelschiffen verbrauchen Diesel in gewaltigen Mengen, um in stürmischer See sicher und schnell durch die Wellen zu steuern. Es hat sich sogar ein reiner Katastrophentourismus entwickelt. Die USA waren noch nie ein Vorreiter in ökologischer Fortbewegung oder ökologisch vertretbaren Abbaumethoden. Das rächte sich jetzt, aber der ökologische Lernprozess in den USA ist schon längst auf einem Level, wo man freundlicherweise von Stagnation sprechen muss, und das trotz der vielen Fortschritte, die es in Teilen der Gesellschaft gibt, und bei denen die Familie von Solveig ein Vorreiter ist.

Auch die Familie von John Deer profitiert von diesen Ölfunden. Sie ist außerdem im Waffengeschäft und mischt bei den Gewerkschaften und im Geschäft illegaler Arbeitskräfte mit. Es gibt in der Familie eine fast militärische Struktur, mit Leutnants, Generälen und Fußvolk.

Auch hier ist es so, dass der Patriarch der Familie sich mehrere Gestüte hält. Man kann die Frauen, die Schwiegertöchter und die Mädchen der Sippe damit beschäftigen. Man kann die Kinder und Enkelkinder damit trainieren. So, wie ein schnelles Boot, ein Geländewagen, oder eines dieser Kleinstflugzeuge, sind auch Pferde oder Windhunde Statussymbole, die man sich gönnt. Dass man die Schwiegertöchter oder Töchter später mit lukrativen Geschäften im Bereich Beauty oder Immobilien versorgt, ist selbstverständlich. Gut dotierte Börsen-oder Hoteljobs sind genauso beliebt, wie Jobs bei illegalen Wetten, aber letztere sind eher die Domain von Söhnen und Schwiegersöhnen. Das Klima in diesem Metier ist rauh.

John Deer hat eine eigene Zucht und er lässt die Pferde bei Rennen mitlaufen. Er hat verschiedene kostbare Pferde-rassen und er besitzt auch zwei dutzend dieser Arans aus Solveigs Familie, jener besonderen Züchtung in der Araber und Mustangs die Hauptlieferanten dieser einmaligen Gene sind.

Auch wenn er eigene Pferde bei Rennen laufen lässt, so hindert ihn das nicht daran, Pferdewetten zu beeinflussen, Jockeys zu bestechen, zu dopen oder fremde Pferde krank zu machen. Es gibt viele Möglichkeiten, von solchen Wetten zu profitieren.

Solveig weiß das, aber das sind in Solveigs Augen verhältnismäßig „kleine Vergehen“. Es verlieren entweder Männer, die ohnehin genug Geld haben, oder „der kleine Mann“, der nur ein paar Dollar wettet.

Manchmal verdient „der kleine Mann“ sogar unverhofft von solchen illegalen Geschäften, wenn er zufällig auf das richtige Pferd setzt, und weil er keine Ahnung von Pferden hat.

Es gibt andere Dinge, welche schlimmer sind, als so etwas. Auch das gibt es in John Deers Familie, wie Schlägertrupps und Killerkommandos.

Wie auch immer. Solveig weiß längst davon. Sie kommt, um die Pferde der Familie zu behandeln. Sie kommt, als Vermittler zu ihrer Familie, und sie kommt, um der Familie von John Deer in die Köpfe zu kriechen, ohne das dies überhaupt wahrgenommen wird, nicht aber, um zu richten oder um zu streiten.

 

7.

Solveig ist seit 2064 mit einem Indio aus Cusco verheiratet. Er ist Ingenieur und er baut Staudämme und Großkraftwerke, und er ist ständig unterwegs. Solveig stört das nicht. Wenn sie ihn sehen will, dann genügte ein Anruf, und sie springt einfach über Nacht zu ihm, egal, wo er gerade ist, einzige Bedingung ist, dass sie schon einmal an diesem Ort gewesen sein musste. Das ist manchmal hinderlich, aber es ist nicht zu umgehen.

Solveig hatte einem kleinem Mädchen das Leben geschenkt, das dem Namen Christie Menothé bekommen hatte (die aus den Bergen der Péruche Krieger), und sie nimmt ihr kleines Mädchen fast immer zu ihrer Arbeit mit.

Christie ist jetzt fünf Jahre alt. Sie hat längst gelernt, die Sprache der Tiere zu verstehen und sie kann durch den Raum springen.

Solveig nimmt Christie auch zu John Deer mit. Christie würde dort einiges lernen können und sie ist mit Mama zusammen.

An einem dieser Vormittage ist Solveig im Stall, an den sich der riesige Superior Forest National Park anschließt.

Christie und zwei der Enkelkinder von John Deer schnappen sich an diesem Tag Ponys und sie reiten in den Wald. Sie können das gut und auch Christie kann das sehr gut.

Dann erhält Solveig plötzlich einen Energiestrahl. „Hilfe“ ruft Christie. „Mama, wir brauchen dich.“

Solveig kann diesen Energiestrom steuern und sie lässt sich beschreiben, wo Christie jetzt ist dann schnappt sie sich zwei der Pferde, und einen der Stallknechte und reitet los.

Der Stallknecht kennt die Lichtung, von der Christie gesprochen hatte und Solveig spornt den Stallknecht und die Pferde zu Höchstleistungen an.

Als sie sie Lichtung erreichen, ist es schon fast zu spät. Die achtjährige Kylie war von mehreren Wespen in den Hals gestochen worden. Der Hals ist zugeschwollen, so dass sie nur mit Mühe Luft bekommt. Schlimmer ist, dass Kylie in eine Art Schockstarre gefallen war. Sie leidet unter einer Allergie, die von dem Wespengift jetzt ausgebrochen war. Das Gesicht und die ganze Haut ist geschwollen und übersät von großen roten Flecken. Sie fiebert und sie japst nach Luft. Christie hatte dem Mädchen ihre Energie geschenkt, und das hatte dem Mädchen bisher das Leben gerettet. Mehr hatte Christie nicht tun können. Sie hat noch nicht die großen Kräfte ihrer Mutter.

Solveig lässt sich von dem Stallknecht ein Messer geben. Sie schneidet ein paar Zweige ab und dann macht sie einen Luftröhrenschnitt. Sie steckt die Zweige so hinein, dass das Blut abfließen kann und die Luft in die Lungen strömt, dann schickt sie Christie, den Stallknecht und Bob ein paar Meter weg. Sie entfacht ihr „bengalisches Feuer“, eine Flut aus Blitzen, so dass der Stallknecht die Kinder auffordern muss, Abstand zu halten.

Das dauert drei Stunden, dann ruft sie nach den Kindern und nach dem Stallknecht.

Der hatte versucht zu telefonieren, aber die Energiewellen hatten jeden Handykontakt unmöglich gemacht. Christie hatte ihn an der Hand genommen. „Mama macht das schon“, hatte sie gesagt, und zu ihm aufgesehen. „Hab keine Angst.“

Dann hatte sie den Stallknecht zu den beiden Pferden geführt, die völlig verschwitzt waren von dem Teufelsritt. Christie hatte Gras und Zweige gepflückt und befohlen, die Pferde gut trocken zu reiben. „Die gehen uns sonst ein“, hatte sie zu dem Stallknecht gesagt.

Als Mama schließlich ruft, schnalzt Christie mit der Zunge. Sie geht in Richtung der Lichtung. Die Pferde folgen ihr. Bob und der Stallknecht schließen auf.

„Was geschieht jetzt“, fragt Bob. „Wir reiten nach Hause“, sagt Christie, „Mama hat das Problem im Griff.“

Es ist tatsächlich so.

Das Mädchen hat die Augen offen. Die Holzstöckchen waren aus der offenen Wunde entfernt worden. Kylie hat keine Flecken mehr im Gesicht und das Mädchen atmet normal und die Wunde am Hals ist weg. Sie ist einfach weg.

Der Stallknecht sperrt den Mund auf. Das ist doch nicht möglich. Er tritt an Kylie heran und hebt leicht das Kinn an. Es gibt eine Narbe, kaum sichtbar, quer unter dem Kehlkopf, so als hätte Kylie vor einigen Jahren dort einmal eine Wunde gehabt.

Der Stallknecht sieht Solveig verwirrt an. Er merkt gar nicht, das er eingesummt wird. Dann steigen alle auf die Pferde und reiten zurück.

Die andern Stallknechte hatten im Herrenhaus Alarm geschlagen, als Solveig davongeritten war.

John Deer war in Detroit. Irgendwelche Geschäfte. Auch die Söhne waren weg. Nur die Frauen waren da und die Großmutter hatte sofort Anweisung gegeben, nach den Kindern zu suchen.

Als die kleine Gruppe jetzt im Hof auftaucht, kommt Marietta gelaufen, die Mutter der beiden Kinder.

Sie ist aufgeregt, doch sie wird plötzlich von einem Energiestrahl erfasst. Sie bleibt abrupt stehen. Die kleine Gruppe reitet heran. Bob und Kylie plappern schon wie ein Wasserfall.

Marietta lässt sich kurz berichten und sie sieht den Stallknecht an. Der zuckt nur mit den Schultern. „Was soll ich sagen? Es ist alles so, wie die Kinder erzählen. Ich habe meinen Augen nicht getraut.“ Er zeigt Marietta das Messer, an dem noch das Blut ihrer Tochter klebt. „Sehen Sie sich die kleine Narbe an. So etwas habe ich noch nie in meinem Leben erlebt.“

Marietta schickt den Stallknecht mit den Pferden weg, dann bittet sie alle ins Haus.

„Aber erst umziehen“, befiehlt sie ihren Kindern, sie zieht Solveig in den Salon und bittet sie sich zu setzen. „Wenn das so ist, dann haben Sie heute Kylie das Leben gerettet. Sie hatte schon immer diese Allergie. Wir haben sie schon oft gewarnt.“

Solveig lächelt. „Jetzt hat Kylie diese Allergie nicht mehr“, sagt sie mit Bestimmtheit.

Marietta blickt sie zweifelnd an und Solveig lächelt. „Bitte hören Sie ihren Kindern zu. Lassen Sie sich berichten, aber es gibt keinen Grund zur Sorge. Kylie ist gesund und ich werde jetzt wieder in den Stall gehen. Ich habe Arbeit. Meine Tochter wird mich begleiten. Sie kann mir ein wenig helfen.“ Sie steht auf, verbeugt sich leicht, und geht mit Christie hinaus.

Marietta ist völlig perplex, dann geht sie zu ihren Kindern und fragt sie aus.

John Deer kommt noch am selben Abend aus Chicago geflogen und lässt sich berichten. Er sieht Solveig stirnrunzelnd an und schüttelt den Kopf. „Sie sagen, dass die Allergie geheilt ist? Wieso das?“

Solveig nickt. „Jetzt ist es zu spät. Morgen früh, bevor Sie zu Ihren Terminen fahren, da werde ich Ihnen das zeigen.“

Am nächsten Morgen lässt Solveig von Christie ein paar Wespen rufen. Christie kann das gut. Eine dieser Wespen schickt sie zu Kylie auf den Arm. „Keine Angst“, sagt sie, dann sticht die Wespe zu und fliegt davon.

„Autsch“ sagt Kylie und reibt sich den Arm. „Warte“, rät Solveig, „nicht reiben“. Sie gibt ein wenig Spucke auf den Arm, die jetzt beginnt zu kühlen. Sie summt unmerklich und ihre Tochter Christie beginnt auf einmal zu lächeln.

„Spürst du, wie das kühlt“, fragt Christie, und Kylie nickt.

Es gibt keinen Ausschlag, es gibt kein Ringen nach Luft. Es gibt keine sonstigen körperlichen Reaktionen außer der kleinen, roten Beule am Arm. Der Schmerz des Wespen-stiches ist wie er immer ist in solchen Fällen, schmerzhaft.

John Deer hatte einschreiten wollen, aber er war wie durch eine unsichtbare Wand gestoppt worden. Er sieht seine Enkeltochter dort stehen. Es geht ihr gut und langsam glaubt er daran, was Solveig ihm gesagt hatte.

An diesem Morgen ruft er einige Ärzte an. Keiner kann sich das erklären. Einer spricht von Scharlatanerie. „Papperlapapp“, sagt John Deer. Ich habe das mit meinen eigenen Augen gesehen. Kylie ist von der Wespe gestochen worden und es gab keine Reaktion.“

Am Abend ist Kylie gesund, am nächsten Morgen und auch am übernächsten.

Jetzt ist John Deer überzeugt, dass ein kleines Wunder geschehen ist. Nein. Viel mehr. Solveig hat dieses Wunder vollbracht.

„Was kann ich für Sie tun“, fragt er, aber Solveig winkt ab. „In unserer Familie hilft man sich gegenseitig. Ich habe alles, was ich brauche, aber wenn ich einmal ihre Hilfe brauche, dann werde ich Sie um diesen Gefallen bitten.“ Das gibt es in John Deers Familie auch, das Erweisen solcher „Gefallen“. Er senkt zustimmend den Kopf, obwohl er es sonst war, der Gefallen erweist und auch einfordert. Solveig hatte die Situation umgekehrt, aber er ist sicher, dass Solveig nichts von ihm verlangen wird, was er ihr nicht bereitwillig geben würde.

Solveig macht ihre Arbeit fertig, dann fährt sie wieder fort, und Kylie beginnt nun von Zeit zu Zeit mit Solveig zu telefonieren. Immer, wenn sie etwas braucht, dann ist „Tante Solveig“ zur Stelle. „Tante Solveig“, wie Kylie jetzt voller Liebe sagt.

Seit dieser Zeit hat Solveig bei John Deer „einen Stein im Brett“, aber sie fordert nichts ein. Auch das kennt John Deer. Irgendwann einmal wird Solveig vor seiner Tür stehen und ihn daran erinnern, was er ihr versprochen hatte, und er wird ihr diesen Gefallen erweisen. Sie wird schon nichts verlangen, was er ihr nicht geben kann. Er ist sich sicher.

8.

Solveig nimmt ihre Tochter auch in andere Länder mit.

Europa, Australien, Asien. Christie lernt schnell, das diese Länder voneinander völlig unterschiedlich sind. In einem Punkt ist es überall dasselbe. Pferdebesitzer sind eine Art eingeschworener Gemeinschaft, mit ein und derselben Sprache. Mama hilft ihnen und sie genießt überall ihre Achtung. Diese Achtung überträgt sich auf Christie, und auch Christie entwickelt diese übermächtigen Kräfte der Familie in immer schneller werdenden Zyklen.

Als Christie dann einen kleinen Bruder bekommt, nimmt Mama auch Pablo Thémeron auf ihren Reisen mit, „den Jäger des Hochlandes“.

Pablo ist noch zu klein, aber Christie bindet ihre Tochter Christie bereits problemlos in ihre Arbeit ein. Weil sie als Mutter zweier Kinder nun in den Augen vieler ihrer Kunden eine richtige Frau ist, wird sie noch einmal mit anderen Augen angesehen.

Als Christie in die Schule kommt, bedauert sie fast, dass Mama sie nun nicht mehr so oft mitnehmen kann. Jetzt passiert das nur noch an vereinzelten Wochenenden oder in den Ferien, und in den Ferien gibt es ja auch oft diese Treffen der Kinder der Familie, zu denen sie hingeht, und zu denen auch Mama geht. Oft ist das oben auf der Ranch von Onkel Nakoma, manchmal aber auch in Berlin, in Thailand oder in den USA. Überall, wo es viele Kinder der Familie gibt. Mama ist in dieser „Schule der Familie“ wie eine Art Leitfaden.

Christie hat von ihrer Mutter schon früh gelernt, was es heißt, Verantwortung zu tragen. Auch in der Grundschule der Indiosiedlung lernt sie das, und sie lernt das auch bei den Treffen der Familie.

Manchmal nimmt Mama sie in den Ferien aber auch mit zu Behandlungen.

Zu Geheimtreffen der Mafiaführer, die Solveig von Zeit zu Zeit zusammen mit ihrer Cousine Elvira besucht, da nimmt Solveig ihre Tochter nicht mit, und auch nicht zu Treffen, die Chénoa und Solveig mit Wirtschaftsführern und einflussreichen Politikern hat. Noch nicht.

Es gibt Treffen, da bringt Solveig ihre beiden Kinder einfach irgendwo in ihrer Familie unter. Sie sind überall willkommen.

Am Anfang, als das passiert war, da hatte Christie manchmal geweint, und Solveig hatte ihr dann Geschichten erzählt, gesummt und gesungen, bis sie sich beruhigt hatte. Inzwischen weiß Christie, dass Mama immer wieder zurückkommt.

Manchmal besuchen sie Papa. Mal in Australien, mal in Afrika und mal in Asien. Christie kennt Staudämme. Einen Stausee und einen Staudamm haben sie in ihrem Tal ja auch, aber die Staudämme, die sie jetzt in anderen Ländern sieht, die sind gigantisch, und wenn sie im Bau sind, und wenn diese Erdmassen verschoben werden, bevor diese Mauern in die Höhe wachsen, dann sieht das noch gigantischer aus. Bei einem dieser Besuche war auch Christies kleiner Bruder entstanden. Damals konnte Christie die Energieströme noch nicht richtig zuordnen, aber Mama hatte sie anschließend in die Arme genommen. Sie hätte schon richtig gehört, hatte Mama ihr damals gesagt. Sie würde einen Bruder bekommen.

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