Evangelisches Kirchenrecht in Bayern

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2.Rechtliche Gleichstellung der Protestanten

Die Eingliederung der insgesamt ca. 90 evangelischen Territorien unter dem Kurfürsten und späteren König Max IV. (I.) Joseph (1756–1825, in Bayern 1799–1825) und seinem leitenden Minister Maximilian Joseph von Montgelas (1759–1838) erfolgte im Kontext der aufklärerischen Zielstellung, Bayern zu einem modernen, dem Gedanken der Toleranz verpflichteten und zugleich zentralistischen Staat zu formen. Dies bedingte die rechtliche Gleichstellung der verschiedenen Konfessionen.

Wichtige Marksteine auf diesem Weg waren die Amberger Resolution vom 10. November 1800 und das Toleranzedikt vom 26. August 1801. Letzteres bildete insbesondere die Grundlage dafür, dass sich im Zusammenhang mit den Moorkultivierungen im Donaumoos und in den Moorgründen zwischen Dachau und Freising (Kemmoden, Oberallershausen) sowie im Raum von Rosenheim (Großkarolinenfeld), ferner auch auf der Münchner Ebene (Feldkirchen) nichtkatholische Kolonisten mit vollen Bürgerrechten ansiedeln konnten.

In umfassendem Sinne garantierte das Religionsedikt vom 10. Januar 1803, bestätigt durch das Religionsedikt vom 24. März 1809 und das damit weitgehend inhaltsgleiche Religionsedikt vom 26. Mai 1818, die bürgerliche Gleichberechtigung der drei durch den Westfälischen Frieden anerkannten christlichen Konfessionen (römisch-katholisch, lutherisch und reformiert). Diese Edikte hatten insofern auch ganz pragmatische Motive, als man sich von der Niederlassung anders-konfessioneller Kolonisten und Kaufleute wichtige wirtschaftliche Impulse versprach.

3.Kirchliche Organisations- und Leitungsstrukturen im Königreich Bayern
a)Staatskirchentum bis 1817

Ganz im Sinne der territorialistischen Staatslehre wirkten Montgelas und sein in Kirchenangelegenheiten federführender Mitarbeiter Georg Friedrich von Zentner (1752–1835) darauf hin, eine mit den Staatsgrenzen übereinstimmende und dem staatlichen vierstufigen Verwaltungsaufbau entsprechende evangelische Kirchenorganisation herzustellen.

Unter Auflösung der vorhandenen örtlichen Konsistorien wurden deshalb zunächst fünf Konsistorien (München, Ansbach, Ulm, Amberg und Bamberg) gebildet, die bei den staatlichen Mittelbehörden (Landesdirektionen) angegliedert und ab 1808 der beim Innenministerium gebildeten Sektion in Kirchenangelegenheiten unterstellt wurden; diese fungierte zugleich als Generalkonsistorium. Später wurden die Konsistorien in Generaldekanate umgewandelt und bis 1817 auf zwei mit Sitz in Ansbach und Bayreuth reduziert, wobei das Dekanat München (mit Oberbayern) direkt dem Generalkonsistorium zugeordnet wurde. Für das linksrheinische Bayern entstand das Konsistorium in Speyer.

Als Zwischenstufe zwischen den Pfarrämtern und den Generaldekanaten wurden Dekanate eingeführt, die im Unterschied zu den vorfindlichen Dekanaten bzw. Superintendenturen nicht nur mittlere Aufsichtsbehörden unter der Leitung eines Dekans waren, sondern auch der Zusammenführung der Gemeinden zu einem einheitlichen Kirchenwesen dienten. Diesem Zweck dienten insbesondere die auf dieser Ebene gebildeten „Diözesansynoden“, die in ihrer Zusammensetzung ursprünglich den heutigen Pfarrkonferenzen entsprachen (ab 1851 paritätisches Verhältnis von Geistlichen und weltlichen Abgeordneten).

Die rechtliche Grundlage für diese Strukturen bildete die inhaltlich ganz wesentlich auf den Theologen Friedrich Immanuel Niethammer (17661848) zurückgehende Konsistorialordnung vom 8. September 1809. Die Konsistorialordnung gilt als erste Verfassung der zunächst als „Protestantische Gesamtgemeinde“ und dann durch königliche Entschließung vom 28. Oktober 1824 als „Protestantische Kirche“ bezeichneten bayerischen Landeskirche.

b)Begrenzte Eigenständigkeit ab 1818

Die Konsistorialordnung wurde durch das „Protestantenedikt“ abgelöst, welches neben dem Religionsedikt der Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern vom 26. Mai 1818 als Beilage angefügt war. Das Protestantenedikt bewirkte insofern eine begrenzte kirchliche Eigenständigkeit, als es das dem König zustehende „oberste Episkopat und die daraus hervorgehende Leitung der protestantischen inneren Kirchenangelegenheiten“ an das als selbstständige Behörde konzipierte, wenngleich weiterhin dem Innenministerium unmittelbar untergeordnete Oberkonsistorium mit einem Präsidenten protestantischen Bekenntnisses an der Spitze delegierte.

Die äußeren Kirchenangelegenheiten (wie z. B. das Recht der kirchlichen Liegenschaften und die Besoldung der Geistlichen) verblieben dagegen unmittelbar bei den staatlichen Oberbehörden. Entsprechendes galt für den Zuständigkeitsbereich des Konsistoriums in Speyer und der – anstelle der bisherigen Generaldekanate errichteten – Konsistorien in Ansbach und in Bayreuth.

Mit dem Protestantenedikt als Beilage zur Verfassung des Königreiches vom 26. Mai 1818 kam die Behördenorganisation der „Protestantischen Gesamtgemeinde“ bis 1918 zu einem vorläufigen Abschluss. Der nun als Oberkonsistorium benannten zentralen Kirchenleitungsbehörde in München, dem die Konsistorien in Ansbach und Bayreuth sowie bis 1848 auch das Konsistorium Speyer für den Bereich des linksrheinischen Bayern (Rheinpfalz) unterstellt waren, gehörten unter dem Vorsitz eines Präsidenten zunächst vier, dann – nach der 1849 erfolgten Ausgliederung des Konsistorialbezirkes Speyer – drei geistliche Oberkonsistorialräte und ein weltlicher Oberkonsistorialrat an. Obwohl als eigene und selbstständige Behörde konzipiert, blieb das Oberkonsistorium nach wie vor dem Innenministerium, ab 1848 dem Kultusministerium untergeordnet, von dem es gemäß § 18 des Protestantenediktes „Aufträge und Befehle“ empfing.2


c)Entwicklung synodaler Elemente

Auf der Grundlage des Protestantenedikts wurden auf der Ebene der Konsistorien zur Beratung über die inneren Kirchenangelegenheiten allgemeine Synoden eingeführt, die alle vier Jahre zusammentraten und 1849 erstmalig (seit 1881 ständig) als Vereinigte Generalsynode für die Bezirke Ansbach und Bayreuth und in paritätischer Zusammensetzung von „Laien“ und Geistlichen tagten. Die Kompetenzen der Synode wurden 1881 insofern grundlegend erweitert, als sie anstelle ihrer bisher nur beratenden Funktion nun ein Zustimmungsrecht erhielt für alle „allgemeinen und bzw. neuen organischen kirchlichen Einrichtungen und Verordnungen, welche sich auf Lehre, Liturgie, Kirchenordnung und Kirchenverfassung beziehen“.3

Als zweites synodales Organ kam schließlich 1887 der paritätisch mit je vier Geistlichen und Weltlichen besetzte Generalsynodalausschuss hinzu, der in allen wichtigen Kirchenangelegenheiten mit seinem „ratsamen Gutachten“ zu hören war.

d)Die Kirchengemeinden

Auf der Ebene der Kirchengemeinden gab es zwei Leitungsorgane: die 1834 für Verwaltungsangelegenheiten geschaffenen Kirchenverwaltungen und die 1849 allgemein eingeführten Kirchenvorstände für die das geistliche und religiöse Leben der Gemeinden betreffenden Angelegenheiten. Die (staatliche) Kirchengemeindeordnung vom 24. September 1912 (GVBl S. 911) verlieh den Kirchengemeinden nun auch rechtsförmlich die Eigenschaft eigenständiger Rechtspersönlichkeiten und erlaubte in den Städten mit mehreren Kirchengemeinden die Bildung von Gesamtkirchengemeinden.

e)Kirchensteuergesetz von 1912 als Wegbereiter der Unabhängigkeit

Der Weg in die äußere Unabhängigkeit wurde vorbereitet durch das staatliche Kirchensteuergesetz vom 15. August 1908 (GVBl 1910 S. 149), welches den protestantischen Kirchen anstelle der – durch die Säkularisierung von Kirchengut sowie durch die Grundlastenablösung und Zehntaufhebung von 1848 bedingten – bisherigen unmittelbaren staatlichen Finanzierung die Möglichkeit eröffnete, ihren Bedarf durch die Beiträge ihrer Mitglieder zu decken.

f)Kirchliche Erneuerung und Konfessionalisierung

Die innere Entwicklung der bayerischen Landeskirche im 19. Jahrhundert ging mit einer kirchlichen Erneuerung einher, die durch die – ihrerseits vom deutschen Idealismus und dem Erleben der Befreiungskriege geprägte – Erweckungsbewegung ausgelöst wurde. Zum Mittelpunkt dieser Erneuerung wurde die Theologische Fakultät der Universität Erlangen („Erlanger Theologie“) – insbesondere mit den Professoren Adolf (von) Harless (1806–1879; später Präsident des Oberkonsistoriums), Johann Wilhelm Höfling (1802–1853), Gottfried Thomasius (1802–1875) und Johann Konrad (von) Hofmann (1810–1877).

Innerevangelische konfessionelle Unterschiede spielten dabei anfangs kaum eine Rolle. In der Folgezeit kam es jedoch in Abgrenzung zur evangelischen Unionsbewegung, die in der Pfalz – ebenso wie in Baden – nicht nur zu einer verwaltungsmäßigen (so in Preußen), sondern zu einer bekenntnismäßigen Vereinigung von Lutheranern und Reformierten geführt hatte, im rechtsrheinischen Bayern zu einer betont lutherischen Profilierung. Daran hatte vor allem der Neuendettelsauer Pfarrer und Begründer der dortigen Diakonissen- und Missionsanstalten Wilhelm Löhe (1808–1872) einen wesentlichen Anteil.

Diese Entwicklungen bewirkten, dass 1849 der Konsistorialbezirk Speyer auf Antrag der dortigen Generalsynode aus dem Zuständigkeitsbereich des Oberkonsistoriums ausgegliedert und dem neu gebildeten Kultusministerium als „Vereinigte Protestantische Kirche der Pfalz“ direkt unterstellt wurde und die reformierten Gemeinden im rechtsrheinischen Bayern zwar im Verband der rechtsrheinischen (lutherischen) protestantischen Kirche verblieben, ihnen aber 1853 die Bildung einer eigenen Synode und die Wahl einer eigenen geistlichen Kirchenleitung (Moderamen) zugestanden wurde (die endgültige Trennung der bayerischen reformierten Kirche von der lutherischen Kirche erfolgte 1920).

 

4.Kirchliche Neuordnung nach 1918

Nach dem Ende der Monarchie blieb das Oberkonsistorium zunächst gleichwohl eine dem Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus nachgeordnete Behörde. Erst infolge der Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919, die in ihrem heute weiterhin fortgeltenden Art. 137 Abs. 1 bestimmt, „es besteht keine Staatskirche“, ist durch bayerische Verordnung vom 28. Januar 1920 der staatliche Charakter des Oberkonsistoriums und der ihm nachgeordneten Konsistorien in Ansbach und Bayreuth förmlich aufgehoben worden. Bis zum Inkrafttreten der Kirchenverfassung vom 16. September 1920 am 1. Januar 1921 übte sodann das Oberkonsistorium die Befugnisse des Landesherrn als summus episcopus aus.

Die von der Landessynode am 16. September 1920 einstimmig verabschiedete „Verfassung der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern rechts des Rheins“ enthielt einen knappen Vorspruch (Präambel) über den Bekenntnisstand und acht Abschnitte über Aufbau und Organisation:

–Landeskirche

–Kirchengemeinde und Pfarramt

–Dekanat und Kirchenbezirk

–Landessynode

–Landessynodalausschuss

–Kirchenpräsident, Landeskirchenrat, Kreisdekane

–Verhältnis zu anderen evangelischen Landeskirchen

–Übergangs- und Einführungsbestimmungen.

Kirchengebiet war das gesamte rechtsrheinische Bayern. Nachdem sich der Coburger Teil des ursprünglichen Herzogtums Sachsen-Coburg-Gotha per Volksentscheid vom 30. November 1919 dem Freistaat Bayern angeschlossen hatte, kam aufgrund eines zwischen der Coburger Kirche und der bayerischen Landeskirche geschlossenen Vertrages mit Wirkung vom 1. April 1921 das Coburger Kirchengebiet hinzu.4

Frauen erhielten das aktive und passive Wahlrecht für den Kirchenvorstand und die Dekanatssynode, für die Landessynode jedoch nur das aktive Wahlrecht.

Die Kirchenleitung oblag – wie auch heute – vier einander gleichgestellten Organen, nämlich

–Landessynode,

–Landessynodalausschuss,

–Kirchenpräsident und

–Landeskirchenrat.

Während Landessynode und Landessynodalausschuss aus der Generalsynode und aus dem Generalsynodalausschuss, freilich mit jetzt viel weitergehenden Kompetenzen, hervorgingen, waren die Ämter des Kirchenpräsidenten und der Kreisdekane eine Neuschöpfung der Kirchenverfassung von 1920:

Dabei entsprach es dem dringenden Wunsch der verfassungsgebenden Synode, dass die Leitung der Landeskirche nicht nur durch Gremien und Behörden, sondern vielmehr auch persönlich, „bischöflich“ in Erscheinung treten sollte. Auch wenn die Bezeichnung „Landesbischof“ damals mehrheitlich abgelehnt worden ist, vor allem um eine Verwechslung mit dem monarchisch strukturierten Bischofsamt der römisch-katholischen Kirche zu vermeiden, war das Amt des Kirchenpräsidenten – der anders als noch der Präsident des Oberkonsistoriums verfassungsrechtlich zwingend Geistlicher zu sein hatte – durch die bischöflichen Aufgaben der geistlichen Aufsicht, der Ordination und Visitation sowie durch den Vorsitz im Landeskirchenrat und die Außenvertretung der Landeskirche bestimmt und somit inhaltlich mit dem heutigen Amt des Landesbischofs bzw. der Landesbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern weitgehend identisch. Erster (und einziger) Kirchenpräsident wurde der bisherige Präsident des Oberkonsistoriums D. Friedrich Veit (1861–1948).

Entsprechend dem Anliegen persönlich gestalteter Leitung der Landeskirche wurde das Gebiet der Landeskirche in zunächst drei Kirchenkreise als landeskirchliche Visitations- und Verwaltungsbezirke eingeteilt, die anders als die Landeskirche, die Dekanatsbezirke und die (Gesamt-)​Kirchengemeinden keine eigene Rechtspersönlichkeit im Sinne von Körperschaften des öffentlichen Rechts besitzen. Dort wurde der Kirchenpräsident in seiner „oberhirtlichen Tätigkeit“ von den Kreisdekanen der Kirchenkreise Ansbach, Bayreuth und München5 unterstützt. Ebenso wie der Kirchenpräsident nahmen auch die Kreisdekane wie die heutigen Oberkirchenräte und Oberkirchenrätinnen in den Kirchenkreisen, die seit 2000 jeweils in ihrem Kirchenkreis die Amtsbezeichnung „Regionalbischof“ bzw. „Regionalbischöfin“ führen, bischöfliche Aufgaben wahr.

Der Landeskirchenrat, als dessen Sitz 1927 endgültig München festgelegt wurde, übernahm im Wesentlichen die Funktionen des vormaligen Oberkonsistoriums. Definiert als „oberste Behörde für die Verwaltung der Landeskirche“ (Art. 49 Abs. 1 KVerf), gehörten ihm der Kirchenpräsident, die Kreisdekane der damaligen drei Kirchenkreise Ansbach, Bayreuth, München sowie zunächst drei weitere geistliche und drei weltliche Mitglieder an. Er gliederte sich in eine geistliche und in eine weltliche Abteilung. Die weltliche Abteilung wurde von dem juristischen Vizepräsidenten, der in nicht „oberhirtlichen“ Tätigkeiten der Vertreter des Kirchenpräsidenten war,6 die geistliche Abteilung von dem dienstältesten geistlichen Mitglied des Landeskirchenrates geleitet. Der Kirchenpräsident und die beiden Abteilungsvorstände bildeten das Präsidium des Landeskirchenrates. Bis zum 31. März 1930 bestand in Ansbach eine Zweigstelle des Landeskirchenrates, deren Zuständigkeit sich im Wesentlichen auf Finanzangelegenheiten erstreckte. An ihre Stelle trat mit Wirkung vom 1. April 1930 die Landeskirchenstelle als dem Landeskirchenrat nachgeordnete landeskirchliche Behörde.7

Da die Gliederung in Kirchengemeinden und Dekanatsbezirke bestehen blieb, konnte die neue Kirchenverfassung im Übrigen in vielem an bisher gewachsene Strukturen anknüpfen. Neu war allerdings, dass der Dekanatsbezirk nicht nur eine Verwaltungs- und Aufsichtsebene mit dem Dekan an der Spitze war, sondern die in ihm zusammengeschlossenen Kirchengemeinden einen Kirchenbezirk mit eigener Rechtspersönlichkeit bildeten, der von Bezirkssynode und Bezirkssynodalausschuss repräsentiert wurde.

Entsprechend dem mit der römisch-katholischen Kirche geschlossenen Konkordat wurden in Ausführung der Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung und der Bayerischen Verfassung vom 14. August 1919 die Beziehungen zwischen dem Freistaat Bayern und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (rechts des Rheins) durch Vertrag vom 15. November 1924 geregelt.8

5.Evangelische Kirche im „Dritten Reich“

Die nationalsozialistische „Machtergreifung“ am 30. Januar in Deutschland bzw. am 9. März 1933 in Bayern bewirkte, dass der dezidiert gegen die nationalsozialistische Bewegung eingestellte Kirchenpräsident Friedrich Veit von maßgeblichen Gremien und Persönlichkeiten zum Rücktritt gedrängt und der bisherige Oberkirchenrat Hans Meiser (1881–1956) bei der außerordentlichen Tagung der Landessynode vom 3. bis 5. Mai 1933 zu seinem Nachfolger gewählt wurde. Zugleich führte die Landessynode die Amtsbezeichnung „Landesbischof“ ein und verabschiedete ein (1946 wieder aufgehobenes) „Ermächtigungsgesetz“, das diesen – in Anlehnung an staatliche Ermächtigungsgesetze – ermächtigte, Kirchengesetze – anstelle der Landessynode – nach Anhörung des Landessynodalausschusses zu erlassen. Damit war allerdings nicht – wie in anderen evangelischen Landeskirchen – die schlichte Übernahme des Führerprinzips im Bereich der Kirche bezweckt; vielmehr sollte insbesondere für die Vertretung nach außen die volle Handlungsfähigkeit der Kirchenleitung sichergestellt werden.

6.Kirchliche Entwicklungen nach 1945

Aufgrund der 1946 erfolgten Zuordnung der Rheinpfalz zum Land Rheinland-Pfalz entfiel nach 1945 der Zusatz rechts des Rheins, die Kirche führt seitdem den Namen „Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern“. Die Entwicklung nach 1945 war gekennzeichnet durch die Eingliederung von ca. 700.000 evangelischen Heimatvertriebenen, die zum großen Teil gerade in den bis dahin nahezu rein katholischen Gebieten Niederbayerns und der Oberpfalz ansässig wurden, desgleichen viele Katholiken in bisher rein protestantischen Gebieten. Der Gemeindeaufbau war verbunden mit einer enormen Bautätigkeit; so sind z. B. von den insgesamt ca. 1.930 evangelischen Kirchen und Sakralräumen nach 1945 mehr als 730 neu gebaut worden.9

1958 erhielten Frauen das passive Wahlrecht auch für die Landessynode, das ihnen 1920 nur für die Wahl in den Kirchenvorstand zugestanden worden war. Langwierig war der Weg theologisch ausgebildeter Frauen in das Gemeindepfarramt: seit 1944 konnten sie ausschließlich als Vikarinnen in der Seelsorge an Frauen, Mädchen und Kindern eingesetzt werden; 1970 erhielten sie für ihren Dienstbereich das Recht der Sakramentsverwaltung; erst 1975 – und damit im Vergleich zu der Mehrzahl anderer deutscher evangelischer Landeskirchen relativ spät – wurden Theologinnen schließlich in vollem Umfang zu Ordination und Pfarramt zugelassen.

Weiterführende Literatur:

W. v. Ammon, Die Entstehung der Evang.-Luth. Kirche in Bayern und ihre ersten Verfassungen, ZbKG 37 (1968), S. 71;

W. v. Ammon/R. Rusam, Verfassung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern vom 20.11.1971, 2. Aufl. München 1985, S. 1–15;

H. Baier, Kirche in Not – Die bayerische Landeskirche im Zweiten Weltkrieg, Neustadt an der Aisch 1979;

K. Beyschlag, Die Erlanger Theologie, Erlangen 1991;

H. Böttcher, Wie wir wurden, was wir sind. Geschichte der rechtlichen Gestaltwerdung der bayerischen Landeskirche, Nachrichten der ELKB 1990, S. 111.; ders., Die Entstehung der evangelischen Landeskirche und die Entwicklung ihrer Verfassung (1806–1918), in: G. Müller/H. Weigelt/W. Zorn (Hrsg.), Handbuch der Geschichte der Evangelischen Kirche in Bayern. Zweiter Band. 1800–2000, Sankt Ottilien 2000, S. 1–29;

H. Bruchner, Die synodalen und presbyterialen Verfassungsformen der Protestantischen Kirche des rechtsrheinischen Bayern im 19. Jahrhundert, Münchner Universitätsschriften, Jur. Fak. Abh. z. rechtswissenschatlichen Grundlagenforschung Bd. 24, Berlin 1977;

H. de Wall, Die Verselbständigung der evangelischen Konsistorien in Preußen und Bayern im 19. Jahrhundert als Schritt zur kirchlichen Unabhängigkeit, in: Staat und Kirchen in Westeuropa, Jahrbuch für Europäische Verwaltungsgeschichte Bd. 14 (2002), S. 151–169;

K. E. Haas, Die Evangelisch-Reformierte Kirche in Bayern. Ihr Wesen und ihre Geschichte, Neustadt an der Aisch 1970;

G. Henke, Die Anfänge der Evangelischen Kirche in Bayern. Friedrich Immanuel Niethammer und die Entstehung der Prot. Gesamtkirchengemeinde, Jus Eccl. 20, München 1974;

E. Henn, Führungswechsel, Ermächtigungsgesetz und das Ringen um eine neue Synode im bayerischen Kirchenkampf, in: ZbKG 43 (1974), S. 325–443;

G. Herold/C. Nicolaisen, Hans Meiser (1881–1956) – Ein lutherischer Bischof im Wandel der Systeme, München 2006;

H.-P. Hübner, Der Weg in die Unabhängigkeit – Zum 75. Jahrestag des Inkrafttretens der ersten „Verfassung der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern r.d.Rhs.“, in: Nachrichten der ELKB 1996/15–16, S. 295–298; ders., Neuordnung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche und ihres Verhältnisses zum Staat, in: G. Müller/H. Weigelt/W. Zorn (Hg.), Handbuch der Geschichte der Evangelischen Kirche in Bayern. Zweiter Band. 1800–2000, Sankt Ottilien 2000, S. 211–232; ders., Evangelische Kirche (19./20. Jahrhundert), in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Evangelische Kirche (19./20. Jahrhundert); ders., Die Verfassung der Evang.-Luth. Kirche in Bayern von 1920, und ders., Der Vertrag der Evang.-Luth. Kirche in Bayern mit dem Staat von 1924, in: W. Sommer, Friedrich Veit – Kirchenleitung zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, Nürnberg 2011, S. 192 f. bzw. 255 ff.; ders., Das Wirken von Friedrich Veit aus kirchenrechtlicher Perspektive, in: ZbKG 80 (2011), S. 183–228; ders., Vom Oberkonsistorium zum Landeskirchenamt, in: ders./M. Maier, Evangelische Kirchenleitung am Königsplatz in München, München 2015, S. 60–63;

 

A. R. Kitzmann, Das offene Tor. Aus der Geschichte der Protestanten in München, München 1990;

G.-M. Knopp, Das Ende des landesherrlichen Kirchenregiments in Bayern und die Verfassung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Bayern, München 1969; ders., Die Entstehung der Verfassung der evangelisch-lutherischen in Bayern von 1920, Nachrichten der ELKB 1971, S. 2ff.;

Chr. Link, Zwischen königlichem Summepiskopat und Weltanschauungsdiktatur – Die bayerische evangelische Kirche im Spiegel ihrer Verfassungsentwicklung 1800–1945, Arbeiten zur Kirchengeschichte Bayerns Bd. 93, Nürnberg 2013;

H. Maser, Evangelische Kirche im demokratischen Staat. Der bayerische Kirchenvertrag von 1924 als Modell für das Verhältnis von Staat und Kirche, München 1983, S. 27 ff.; ders., Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern rechts des Rheins zur Zeit der Weimarer Republik1918–1933, München 1990;

W. Maurer, Die „Protestantische“ Kirche in Bayern, ZbKG 32 (1963) S. 271 ff.;

G. Müller/H. Weigelt/W. Zorn (Hg.), Handbuch der Geschichte der Evangelischen Kirche in Bayern. Zweiter Band. 1800–2000, Sankt Ottilien 2000;

R. Oeschey, Verfassung der evangelisch-Iutherische Kirche in Bayern r. d. Rhs. vom 16.9.1920, München 1921;

C.-J. Roepke, Die Protestanten in Bayern, München 1972, vor allem S. 336 ff.;

H. Seibert (Hrsg.), Bayern und die Protestanten, Regensburg 2017;

M. Simon, Evangelische Kirchengeschichte Bayerns, 2. Aufl. Nürnberg 1952, S. 540 ff.; ders., Die Evang.-Luth. Kirche in Bayern im 19. und 20. Jahrhundert, München 1961;

G. A. Vischer, Organisation und Recht der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, Bd. 1, München 1951.

1H. Böttcher, Summepiskopat/Landesherrliches Kirchenregiment, in: Historisches Lexikon Bayerns (https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Summepiskopat/Landesherrliches Kirchenregiment); Chr. Link, Staatskirchenhoheit, ZevKR 20 (1975), S. 1–42; ders., Summepiskopat des Landesherrn, in: RGG, 4. Aufl. 2007, Sp. 1866 f.

2H. Böttcher, Die Entstehung der evangelischen Landeskirche und die Entwicklung ihrer Verfassung (1806–1918), in: G. Müller/H. Weigelt/W. Zorn (Hrsg.), Handbuch der Geschichte der Evangelischen Kirche in Bayern, 2. Band, St. Ottilien 2000, S. 1–29 (9 ff.).

3Abgedruckt in: Verh. der Generalsynode 1881, S. 27ff.

4H.-P. Hübner, Neuordnung (W.), S. 222 ff. m. w. N.

5In der Folgezeit kamen die Kirchenkreise Nürnberg (1934), Regensburg (1951) und Augsburg (1971) hinzu.

6Das Amt des juristischen Vizepräsidenten ist durch verfassungsänderndes Kirchengesetz vom 16. Mai 1947 (KABl S. 41) beseitigt worden; an seine Stelle wurde der Vorstand der geistlichen Abteilung des Landeskirchenrates zum Vertreter des Landesbischofs auch in seiner nicht „oberhirtlichen Tätigkeit“ (Art. 48 KVerf 1920) bestimmt.

7W. von Ammon, Die Evang.-Luth. Landeskirchenstelle in Ansbach, ihre Entstehung und Entwicklung, in: Nachrichten der Evang.-Luth. Kirche in Bayern 1962, S. 194–198.

8Ein entsprechender Vertrag wurde auch für die Pfälzer Protest. Kirche im damaligen linksrheinischen Bayern geschlossen. Ausführlich zu Entstehung und Inhalt vgl. H.-P. Hübner, Neuordnung (W.), S. 224 ff., und unter § 10.

9Umfassend dazu H.-P. Hübner/H. Braun, Evangelischer Kirchenbau in Bayern seit 1945, München 2010.