Evangelisches Kirchenrecht in Bayern

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4.Der Rechtsbegriff Rudolph Sohms

In ähnlicher Weise zu relativieren ist die Berufung auf Rudolph Sohm, wenn kirchliche Ordnungen in Frage gestellt werden. Sohm geht von einem spiritualistischen Kirchen- und einem rein positivistischen Rechtsbegriff aus. Sohm sieht die Kirche allein als unsichtbare Größe, als ecclesia invisibilis, das Recht dagegen allein als von der staatlichen Gemeinschaft gesetztes, mit Zwangscharakter ausgestattetes Recht. Ein derart formaler und positivistischer Rechtsbegriff ist in der Tat mit dem Wesen der Kirche nicht vereinbar, zumal wenn diese nur als geistliche Gemeinschaft verstanden wird, deren irdische Schauseite aber völlig ausgeblendet beziehungsweise sogar geleugnet wird.16 Sowohl der Rechts- als auch der Kirchenbegriff, wie Sohm sie verstanden hat, gelten heute als überwunden.17 Gleichwohl bleibt Sohms These eine ständige Anfrage und Mahnung an das evangelische Kirchenrecht.

5.Neubesinnung auf das Wesen des evangelischen Kirchenrechts

a) Zu einer Neubesinnung auf das Wesen des evangelischen Rechts kam es nach 1918, als sich die evangelischen Landeskirchen nach dem Ende des landesherrlichen Kirchenregiments eigenständig zu organisieren und rechtlich zu ordnen hatten, vor allem aber während des „Dritten Reiches“ in der Auseinandersetzung der „Bekennenden Kirche“ mit den „Deutschen Christen“, die eine Übernahme nationalsozialistischer Prinzipien, wie z. B. des Führerprinzips, in der Kirche forderten.

Bei der Barmer Bekenntnissynode von 1934 wurde demgegenüber in der 3. These ihrer Theologischen Erklärung bekannt, dass

–die Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen nicht von der äußerlich organisierten, rechtlich geordneten Kirche zu trennen ist, und

–die äußere Ordnung und Gestalt der Kirche keine gleichgültigen Dinge sind, mit denen man beliebig verfahren und die man unbesehen am weltlichen Recht, wie es Vereine oder politische Körperschaften auch haben, ausrichten könnte, sondern die in erster Linie an Selbstverständnis und Auftrag der Kirche gebunden sind.

In der korrespondierenden These 3 der Barmer Erklärung zur Rechtslage der Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche vom 31. Mai 193418 wird dies dahingehend zugespitzt:

„In der Kirche ist eine Scheidung der äußeren Ordnung vom Bekenntnis nicht möglich.“

b) Kirchenrecht folgt daher nicht einfach aus dem Umstand, dass die Kirche als (auch) menschliche Gemeinschaft gewisser Regeln des Zusammenlebens bedarf. Es ist somit kein „allgemeines soziologisches Ordnungsmodell“ wie das Recht anderer soziologischer Institutionen19, sondern auftrags- und damit bekenntnisgebunden. Grund und Grenze für alle menschliche Ordnung in der Kirche ist das Bekenntnis zum Herrn dieser Kirche20. Evangelisches Kirchenrecht ist daher auf das evangelische Bekenntnis verpflichtet: „Die Kirche bekennt sich zu ihrem Herrn auch darin, wie sie ihr äußeres Leben gestaltet“.21

Letztlich ist dieser Bezug von Bekenntnis und Ordnung auch eine Rückbesinnung auf Art. 28 CA.

Dabei kann kirchliches Recht durchaus verschiedene Grade von Bekenntnisrelevanz aufweisen22. Das Sakramentsrecht, das Recht des Predigtamts und das Pfarrerdienstrecht, Lehrordnungen und das Recht der Kirchenmitgliedschaft stehen dem Bekenntnis wesentlich näher als andere Rechtsmaterien, wie zum Beispiel das kirchliche Finanz-, Haushalts- und Vermögensrecht, wobei aber auch bei Letzteren die dienende Funktion für den geistlichen Auftrag der Kirche besteht23. So kann die Kirche bei der rechtlichen Gestaltung einzelner Materien auch durchaus auf bewährte Rechtsinstitute weltlichen Rechts zurückgreifen oder diese modifizieren, wenn dies mit ihrem geistlichen Auftrag vereinbar ist. Zum einen lebt sie in einem bestimmten gesellschaftlichen Umfeld, „in der Welt“24, und kann daher entsprechende staatliche Regelungen übernehmen. Zum anderen ist die Übernahme staatlichen Rechts auch eine Frage der Zweckmäßigkeit, „ein Mittel zum Zweck, mehr Zeit und Raum für ihr Wirken als Kirche für andere zu haben“25.

Eine unkritische und undifferenzierte Übernahme weltlicher Gestaltungsformen kommt indes nicht in Betracht.

c) Die Erfahrungen des Kirchenkampfes während des „Dritten Reiches“ führten nach 1945 zu einer verstärkten Beschäftigung mit den theologischen Grundlagen evangelischen Kirchenrechts. Damals entstanden vor allem drei Grundlagenentwürfe, die mit den Namen Johannes Heckel, Erik Wolf und Hans Dombois verbunden sind. Diese können hier nur erwähnt, nicht aber näher vorgestellt werden26.

Die Überwindung des doppelten Kirchenbegriffs (Geistkirche und Rechtskirche, ecclesia invisibilis – ecclesia visibilis) und die Wiederentdeckung des ganzheitlichen Kirchenbegriffs in der Barmer Theologischen Erklärung und in diesen Grundlagenentwürfen führten zum Teil zu einem doppelten Rechtsbegriff27:

Nach der dualistischen Theorie des Kirchenrechts ist Kirchenrecht als eigenständiges und eigengeartetes Recht und damit ein Recht besonderer Art zu verstehen, welches qualitativ von allem unterschieden ist, was sonst als Recht bezeichnet wird. Demgegenüber geht die monistische Theorie des Kirchenrechts von einem einheitlichen, Staat und Kirche gemeinsamen Rechtsbegriff aus. Dies braucht hier indes nicht näher erörtert zu werden. Denn zum einen spielt diese Unterscheidung in der Praxis nicht dieselbe Rolle wie in der Theorie, zum anderen haben neuere Arbeiten gezeigt, wie der doppelte Kirchenrechtsbegriff aufgegeben werden kann, ohne dass das Kirchenrecht seine geistliche Prägung verliert, etwa in dem Gedanken vom „antwortenden Charakter“ des Kirchenrechts-Kirchenrecht als Antwort auf den Anruf des Evangeliums28.

Zusammenfassend kann dazu festgehalten werden: Das Kirchenrecht hat gegenüber dem allgemeinen Recht zwar besondere Voraussetzungen in der Gebundenheit an den Auftrag des Herrn und an das Bekenntnis. Als menschlich gesetztes Recht unterscheidet es sich in seiner Funktion als friedensstiftendes Ordnungsgefüge aber nicht derart vom allgemeinen Recht, dass es als etwas ganz anderes angesehen werden müsste. Indes bleibt Kirchenrecht inhaltlich immer auf den Auftrag der Kirche bezogen. (Nur) insoweit besteht keine Identität beider Rechtsordnungen und kommt dem Kirchenrecht innerhalb der Gesamtheit des Rechts eine besondere Rolle zu, als es die ihm eigenen Bindungen nicht aufgeben kann und darf29.

Weiterführende Literatur:

W. Aymans/K. Mörsdorf, Kanonisches Recht Bd. 1, Paderborn, München, Wien, Zürich 1991, S. 1 ff.;

A. v. Campenhausen, Das Problem der Rechtsgestalt in ihrer Spannung zwischen Empirie und Anspruch, in: A. Burgsmüller (Hrsg.), Kirche als „Gemeinde von Brüdern“ (Barmen III) Bd. 1, Gütersloh 1980, S. 47 ff.;

W. Dantine, Recht aus Rechtfertigung, Jus Eccl. 27, Tübingen 1982; ders., Skizze einer Theologie des Rechts, ZevKR 23 (1979), S. 365 ff.;

H. de Wall/M. Germann, Grundfragen des evangelischen Kirchenrechts, in: HevKR (A.), § 1 (S. 3–80);

H. Dombois, Recht der Gnade. Ökumenisches Kirchenrecht. 3 Bände, Witten 1961, Bielefeld 1974 und 1983;

R. Dreier, Methodenprobleme der Kirchenrechtslehre, ZevKR 32 (1987), S. 289 ff.;

D. Ehlers, Rechtstheologische und säkulare Aspekte des evangelischen Kirchenrechts, in: R. Bartlsperger/D. Ehlers/W. Hofmann/D. Pirson (Hrsg.), Rechtsstaat, Kirche, Sinnverantwortung. FS. K. Obermayer, München 1986, S. 275 ff.;

M. Germann, Der Status der Grundlagendiskussion in der evangelischen Kirchenrechtswissenschaft, ZevKR 53 (2008), S. 375 ff.; ders., Wem dient das kirchliche Recht? Praktische Theologie 43 (2008), S. 215–225;

G. Grethlein, „Dem Frieden und der guten Ordnung dienen“. Überlegungen zum Recht in der Kirche, Nachrichten der ELKiB 1979, S. 121 ff. (= vor RS 1);

S. Grundmann, Zur Einführung: Evangelisches Kirchenrecht, Jur. Schulung 1966, S. 466 ff. (= ders., Abhandlungen zum Kirchenrecht, Köln, Wien 1969, S. 1–17);

J. Heckel, Lex charitatis. Eine juristische Untersuchung über das Recht in der Theologie Martin Luthers, München 1953, 2. Aufl. Köln, Wien 1973;

M. Heckel, Summum Ius – Summa Iniuria als Problem reformatorischen Kirchenrechts, in: ders., Gesammelte Schriften, Jus. Eccl. 38, Tübingen 1989, S. 82 ff.; Evangelische Freiheit und kirchliche Ordnung, Evangelische Freiheit und kirchliche Ordnung. – Kirchenrechtliche Perspektiven, in: Evang. Landessynode in Württemberg (Hrsg.), Evangelische Freiheit – Kirchliche Ordnung. Beiträge zum Selbstverständnis der Kirche, Stuttgart 1987, S. 72–104 (92), jetzt auch in: ders., Gesammelte Schriften, Jus. Eccl. 38, Tübingen 1989, S. 1099 ff.; ders., Martin Luthers Reformation und das Recht, Jus Eccl. 114, Tübingen 2016.

 

E. Herms, Das Kirchenrecht als Thema der theologischen Ethik, ZevKR 28 (1983), S. 199 ff.;

W. Huber, Die wirkliche Kirche, in: A. Burgsmüller (Hrsg.), Kirche als „Gemeinde von Brüdern“ (Barmen III), Bd. 1, Gütersloh 1980; ders., Folgen christlicher Freiheit. Ethik und Theorie der Kirche im Horizont der Barmer Theologischen Erklärung, 2. Aufl., Neukirchen-Vluyn 1985, S. 147 ff.;

H.-P. Hübner, Die lutherische Kirche und das Recht, in: Jahrbuch des Martin-Luther-Bundes 2005, S. 213–236;

Chr. Link, Rechtstheologische Grundlagen des evangelischen Kirchenrechts, ZevKR 45 (2000), S. 73 ff.;

W. Maurer, Die Kirche und ihr Recht. Gesammelte Aufsätze zum evangelischen Kirchenrecht, hrsg. v. G. Müller und G. Seebaß, Jus. Eccl. 23, Tübingen 1976;

R. Puza, Katholisches Kirchenrecht, Heidelberg 1986, S. 1 ff.;

G. Rau/H.-R. Reuter/K. Schlaich (Hrsg.), Das Recht der Kirche Bd. 1 – Zur Theorie des Kirchenrechts, Gütersloh 1997, u.a. mit Beiträgen zum Kirchenbegriff des Kirchenrechts und zum Rechtsbegriff des Kirchenrechts von H.-R. Reuter, H. Folkers, W. Bock, R. Dreier und P. Landau;

H.-R. Reuter, Rechtsethik in theologischer Perspektive. Studien zur Grundlegung und Konkretion, Gütersloh 1996;

G. Robbers, Grundsatzfragen der heutigen Rechtstheologie, ZevKR 37 (1992), S. 230 ff.;

K. Schlaich, Kirchenrecht und Kirche. Grundfragen einer Verhältnisbestimmung heute, ZevKR 28 (1983), S. 337 ff.; ders., Die Grundlagendiskussion zum evangelischen Kirchenrecht, Pastoraltheologie 72 (1983), S. 240 ff.;

K. Schwarz, Rechtstheologie – Kirchenrecht. Anmerkungen und Aperçus zu inner-protestantischen Kontroversen hinsichtlich Begründung und Entfaltung eines evangelischen Kirchenrechts, ZevKR 28 (1983), S. 172 ff.;

A. Stein, Evangelisches Kirchenrecht. Ein Lernbuch, 3. Aufl. Neuwied, Kriftel/ Ts., Berlin 1992, S. 9 ff.; ders., Der Zeugnischarakter des evangelischen Kirchenrechts als Problem der Auslegung kirchenrechtlicher Normen, ZevKR 28 (1983), S. 160 ff., ders., Kirchenrecht in theologischer Verantwortung. Ausgewählte Beiträge zu Rechtstheologie, Kirchenrecht und Staatskirchenrecht, hrsg. v. K. Schwarz, Wien 1990;

W. Steinmüller, Evangelische Rechtstheologie. Zweireichelehre – Christokratie – Gnadenrecht, Köln, Graz 1968;

K. Walf, Kirchenrecht, Düsseldorf 1984, S. 16 ff.;

E. Wolf, Ordnung der Kirche, Frankfurt/M. 1961.

1Verh. der Landessynode März 2017 (Bd. 138), S. 74 ff., 118 ff.

2Zur Begriffsdefinition des evangelischen Kirchenrechts vgl. H. de Wall/M. Germann, Grundfragen des evangelischen Kirchenrechts, S. 5 ff.

3Abgedruckt u. a. im Evangelischen Gesangbuch, S. 1577 ff.

4M. Brecht, Martin Luther, Bd. 1, 3. Aufl. Stuttgart 1990, S. 403 f.

5M. Luther, Warum des Papsts und seiner Jünger Bücher verbrannt sind, WA 7, S.151/168. Dabei meint Luther, was oft übersehen wird, hier mit „geistlichem Recht“ eindeutig allein jenes kirchliche Recht, das sein Wesen und seinen Geltungsgrund allein aus der kirchlichen Hierarchie und der Setzung durch diese ableitet.

6R. Sohm, Kirchenrecht Bd. I, Leipzig 1892, S. 1, 407, 700.

7M. Heckel, Rechtstheologie Luthers, in: H. Kunst/S. Grundmann, Evangelisches Staatslexikon, 1. Aufl. Stuttgart 1966, Sp. 1743–1774 (1745 ff.), jetzt auch in: ders., Gesammelte Schriften Bd. I, Jus Eccl. Bd. 38, Tübingen 1989, S. 326 ff.; ders., Luther und das Recht, NJW 1983, S. 2521–2527 (2522 f.); umfassend zur Rechtstheologie Luthers ders., Martin Luthers Reformation und das Recht, Tübingen 2016.

8WA 19, 72.

9H.-M. Müller, Der Umgang mit dem Recht in der evangelischen Kirche, in: Evangelische Landessynode in Württemberg (Hrsg.), Evangelische Freiheit – kirchliche Ordnung, Stuttgart 1987, S. 44 (58).

10M. Heckel, Luther und das Recht, a.a.O. (Fn. 7) S. 2526. Umfassend dazu die systematische Darstellung von K. Sichelschmidt, Recht aus christlicher Liebe oder obrigkeitlicher Gesetzesbefehl? Jus Eccl. Bd. 49, Tübingen 1995.

11E. Sehling, Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, Bd. I, 1, Leipzig 1902, XXI und 1 ff.

12WA 12, 1.

13M. Brecht, Martin Luther, Bd. 2, Stuttgart 1986, S. 76.

14H. Liermann, Luther ordnet seine Kirche, Luther-Jahrbuch 1964, S. 29–46 (38 ff.); M. Heckel, Rechtstheologie Luthers a. a. O. (Fn. 7) Sp. 1751 bzw. S. 333.

15Grundlegend Chr. Link, Die Grundlagen der Kirchenverfassung im lutherischen Konfessionalismus des 19. Jahrhunderts insbesondere bei Theodosius Harnack, Jus Eccl. 2, München 1966.

16R. Sohm, Kirchenrecht Bd. 2, München, Leipzig 1923, S. 141: „Es gibt keine sichtbare Kirche.“ Zu Sohm vgl. u. a. H. Barion, Rudolph Sohm und die Grundlegung des Kirchenrechts, ders., Der Rechtsbegriff Rudolph Sohms, in: ders., Kirche und Kirchenrecht, Gesammelte Aufsätze, hrsg. v. W. Böckenförde, Paderborn, München, Wien, Zürich 1984, S. 79 ff. und S. 114 ff.; G. Holstein, Die Grundlagen des evangelischen Kirchenrechts, Tübingen 1928; W. Kahl, Lehrsystem des Kirchenrechts und der Kirchenpolitik, Freiburg, Leipzig 1894, S. 70 ff.; U. A. Wolf, Jus divinum. Erwägungen zur Rechtsgeschichte und Rechtsgestaltung, Jus Eccl. 11, München 1970, S. 155 ff.; vgl. auch G. Grethlein, Rudolph Sohm. Ein frommer Jurist seiner Zeit, ein Diener seiner Kirche noch heute, DPfBl. 1991, S. 409 ff.

17D. Ehlers, Rechtstheologische und säkulare Aspekte des evangelischen Kirchenrechts, S. 274/276, jew. m.w.N.; vgl. auch M. Heckel, Evangelische Freiheit und kirchliche Ordnung – kirchenrechtliche Perspektiven, S. 92 bzw. S. 1099 ff.

18Abgedruckt u.a. bei M. Heimbucher/R. Weth (Hrsg.), Die Barmer Theologische Erklärung. Einführung und Dokumentation, 7. Aufl. Neukirchen-Vluyn 2009, S. 70.

19M. Heckel, Evangelische Freiheit und kirchliche Ordnung (Fn. 17), S. 99.

20Chr. Link, Die Gemeinde und ihre Vertretung, in: S. Kreuzer/K. Lüthi, Zur Aktualität des Alten Testaments, FS G. Sauer, Frankfurt/M., Berlin, New York, Paris 1991, S. 281/282.

21Chr. Link, a. a. O. (Fn. 20).

22Zum Folgenden: M. Heckel, Evangelische Freiheit und kirchliche Ordnung, a. a. O. (Fn. 17), S. 100 f.

23Gerade durch den kirchlichen Haushalt können besondere, kirchengemäße Akzente gesetzt werden.

24E. Wolf, Ordnung der Kirche, Frankfurt/M. 1961, S. 5 ff.; M. Heckel, Evangelische Freiheit und kirchliche Ordnung, a. a. O. (Fn. 17), S. 100; ferner G. Grethlein, „Dem Frieden und der guten Ordnung dienen“, in: Nachrichten der ELKB 1979, S. 121 ff, 127 (= vor RS 1, S. 15), und H.-R. Reuter, Was soll das Recht in der Kirche? Zur Begründung und Aufgabe evangelischen Kirchenrechts, in: ders., Rechtsethik in theologischer Perspektive, a. a. O., S. 121–164 (123).

25G. Grethlein a. a. O. Hinzu kommt ferner, dass staatliches und kirchliches Recht seit Jahrhunderten sich gegenseitig befruchtet haben, sodass manches staatliche Recht im Eigentlichen „säkularisiertes“ Kirchenrecht ist. Grundlegend dazu Chr. Link, Rechtstheologische Grundlagen, S. 82, und M. Germann, Der Status der Grundlagendiskussion, S. 406.

26Vgl. dazu H. de Wall/M. Germann, Grundfragen des evangelischen Kirchenrechts, S. 58–79; ferner M. Honecker, Kirchenrecht II, TRE 18, S. 724 ff. (732 ff.).; K. Schlaich, Die Grundlagendiskussion zum evangelischen Kirchenrecht, S. 240 ff.

27Vgl. hierzu den kurzen Überblick bei D. Ehlers, Rechtstheologische und säkulare Aspekte des evangelischen Kirchenrechts; ferner K. Schlaich, Kirchenrecht und Kirche, S. 337 ff.

28Vgl. hierzu umfassend m. w. N.: K. Schlaich, Kirchenrecht und Kirche, S. 353 ff.; ferner D. Ehlers, Rechtstheologische und säkulare Aspekte des evangelischen Kirchenrechts; W. Huber, Die wirkliche Kirche, weist auf eine „antwortende Entsprechung“ hin. Hierzu auch G. Robbers, Grundsatzfragen heutiger Rechtstheologie, S. 231/238. Vgl. ferner Stein, Kirchenrecht, S. 17 ff., der aus der Funktion des Kirchenrechts als Handlungsanweisung die Gegenüberstellung von monistischer und dualistischer Kirchenrechtsauffassung als „überspitzt“ bezeichnet.

29Vgl. Robbers, a. a. O. (Fn. 28).

TEIL A GRUNDLAGEN

KAPITEL 1
Die Kirchenverfassung
§ 2Die Gestaltwerdung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern
1.Gebiet

Von wenigen früher hinzugekommenen Gebieten abgesehen (Grafschaft Wolfstein mit Sulzbürg-Pyrbaum 1740, Herzogtum Neuburg mit Sulzbach 1777, Pflegeämter Velden und Hersbruck 1792) war das Kurfürstentum Bayern bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts ein rein katholisches Land. Dies änderte sich erst, als Bayern infolge des Friedens von Lunéville (1801) und des Reichsdeputationshauptschlusses (1803) u. a. die Reichsstädte Kaufbeuren, Kempten, Memmingen, Nördlingen, Rothenburg ob der Tauber, Schweinfurt, Dinkelsbühl, Weißenburg und Windsheim erhielt. 1805 folgten aufgrund des Friedens von Preßburg die beiden Reichsstädte Augsburg und Lindau, außerdem die evangelische Grafschaft Ortenburg in Niederbayern. 1806 wurde das seit 1791 preußische Markgrafentum Ansbach von Frankreich an Bayern weitergegeben und die Reichsstadt Nürnberg mit verschiedenen weiteren fränkischen und schwäbischen evangelischen Herrschaftsgebieten, insbesondere den Grafschaften Oettingen-Oettingen, Schwarzenberg, Hohenlohe-Schillingsfürst, Castell, Pappenheim und Thüngen, eingegliedert. Den – bis zum Anschluss des Freistaates Coburg an Bayern im Jahr 1920 – vorläufigen Abschluss bildeten 1810 das Markgrafentum Bayreuth und die evangelische Reichsstadt Regensburg, 1814 jeweils mit evangelischer Diaspora das Großherzogtum Würzburg und das Fürstentum Aschaffenburg sowie 1816 die gemischtkonfessionelle Rheinpfalz.

Diese Entwicklungen bewirkten, dass der katholische Landesherr entsprechend der damals vorherrschenden, aus der Territorialgewalt begründeten Auffassung von der Oberhoheit des Staates über die Kirchen (Territorialismus) die äußere Aufsicht über das evangelische Kirchenwesen (die Kirchenhoheit) übernahm. Zusätzlich wurde er unter dem Titel des landesherrlichen Kirchenregiments auch in den inneren Kirchenangelegenheiten zum „obersten Bischof“ seiner evangelischen Untertanen (Summepiskopat).

 

Exkurs:

Als landesherrliches Kirchenregiment wird die kirchenleitende Funktion eines Landesherrn bezeichnet, die dieser als oberster Bischof (summus episcopus) in seinem Territorium ausübt. Davon zu unterscheiden ist die staatliche Kirchenhoheit, bei der der Landesherr nur eine äußere Aufsicht über die Kirchen ausübte. Obwohl katholisch, war der bayerische König aus dem Hause der Wittelsbacher summus episcopus der protestantischen Kirche Bayerns und nahm somit für diese kirchenleitende Verantwortung in Anspruch. Gegenüber der katholischen Kirche bestand nur die staatliche Kirchenhoheit, aber kein landesherrliches Kirchenregiment.

Das landesherrliche Kirchenregiment geht auf die Reformation zurück: Mit Billigung der Reformatoren wurde den Landesherren die Neuordnung des Kirchenwesens übertragen, aber lediglich als „Notbischofsrecht“ aufgrund ihrer Eigenschaft als „hervorgehobenes Kirchenglied“ (praecipuum membrum ecclesiae), nicht jedoch kraft ihrer weltlichen Machtstellung und Teil ihrer Landeshoheit. In der Folgezeit hat das landesherrliche Kirchenregiment folgende staatsrechtliche Begründungen erfahren:

–Nach der Theorie des Episkopalismus begründeten sich die landesherrlichen Rechte in Kirchensachen durch den Wegfall der Jurisdiktionsgewalt der katholischen Bischöfe und den aus dem Augsburger Religionsfrieden (1555) hergeleiteten Übergang der bischöflichen Rechte auf die evangelischen Landesherren.

–Demgegenüber sah die im Zeitalter des Absolutismus entstandene Theorie des Territorialismus Religion und Kirche als genuinen Teil der öffentlichen Ordnung und insoweit der Staatsgewalt unterstehend.

–Die im Zuge der Aufklärung entwickelte Theorie des Kollegialismus führte zu einer Beschränkung des im Territorialismus beanspruchten umfassenden Herrschaftsanspruches der Landesherren über die Religion. Kirche und Religion wurden nunmehr verstanden als „collegium“ und der allgemeinen Vereins- und Korporationsautonomie unterfallend angesehen. Danach wurde unterschieden zwischen der äußeren Kirchenaufsicht (iura circa sacra) auf der Grundlage der Innehabung der Staatsgewalt und der inneren Kirchenleitung (iura in sacra) aufgrund der Übertragung bischöflicher Rechte gegenüber der evangelischen Kirche im Zuge der Reformation.1


1816 gab es im rechtsrheinischen Bayern bei einer Gesamtbevölkerung von 3,16 Mio. Einwohnern rund 752.000 evangelische Christen, die in 774 Pfarreien von 911 Geistlichen seelsorgerlich betreut wurden. Sie lebten schwerpunktmäßig in Ober- und Mittelfranken sowie in Schwaben.