Rebellen gegen Arkon

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Die Blicke der Arkoniden ruhten auf mir, in einer Mischung aus Neugierde und vorweggenommener Skepsis. Speziell die Augen der Frau fielen mir auf. Sie schaute beinahe glasig durch mich hindurch, ließ sich dennoch kein Detail entgehen.

»Ich komme aus der Zukunft. Genauer gesagt, aus einer Zukunft, die von dieser Zeit gut zehntausend Jahre entfernt liegt.«

Es wurde plötzlich still im Raum. Niemand atmete mehr.

Der Nert sah mich ausdruckslos an. Ob er schockiert war oder nicht, ob er die Auskunft für dummes Geschwätz hielt, ließ sich schwer erkennen. Ich an seiner Stelle hätte so reagiert.

»Weiter«, forderte er mich nach einer Weile auf.

»In der Zukunft bin ich eine Person von einiger öffentlicher Bedeutung. Meine Wissenschaftler riefen mich und mein Raumschiff RICO nach Traversan. Sie führten mich zu einer uralten Hinterlassenschaft, zu einer Anlage eines längst ausgestorbenen Volkes. Anfangs schienen alle Geräte, die wir entdeckten, ausgeschaltet zu sein – aber das erwies sich bald als Irrtum. Wir müssen irgendwie einen Fehler begangen haben. Jedenfalls wurde gegen meinen Willen ein technischer Vorgang ausgelöst, der mir bis jetzt noch nicht ganz erklärlich ist. Die fremdartigen Anlagen, von denen ich spreche, erwiesen sich als eine Zeitmaschine. Jedenfalls, wenn dies hier wirklich das Jahr 12.402 da Ark ist – wie man mir berichtet hat.«

Die Frau, die hinter dem Nert stand, versetzte feindselig:

»Es ist nicht angebracht, meine Worte anzuzweifeln.«

Ich erwiderte:

»Muss ich das nicht? Diese Zeitreisegeschichte ist für mich ebenso schwer zu glauben wie für Sie!«

Nert Kuriol hob die Hand.

»Still! Ich will keinen Streit hören! Mich interessiert, wie die Sache weiterging.«

»Nun, die Anlage transportierte mich also in die Vergangenheit. Der Sturz durch die Zeit endete erst, als sämtliche Energiereserven zu Ende gingen. Ich durchsuchte die Station, und als ich gerade aufgeben wollte, da nahmen mich Eure Leute fest, Erhabener. Und Eure Helferin hier«, ich deutete auf die hochgewachsene Arkonidin hinter Kuriol, »… Eure Helferin ließ mich betäuben, bevor ich noch etwas sagen konnte.«

Die Augen der Arkonidin blitzten vor Zorn. Sie erklärte stolz:

»Ich bin Prinzessin Tamarena da Traversan, Nert Kuriols Tochter! Bestimmt keine Helferin

Ich schwieg. Meine Geschichte war zu Ende.

Der alte Nert schien minutenlang über meine Worte nachzudenken.

»Wir haben die Station durchsucht. Es gab dort keine Energie, keine Nahrung, kein Wasser, kein Fahrzeug. Ist Ihnen klar, dass Sie innerhalb kürzester Zeit dort verdurstet wären?«

»Ich fürchtete bereits Ähnliches.«

»Sie verdanken dem Eingreifen meiner Tochter also Ihr Leben.«

»Das ist wahr.«

Die Stimme des Nert wurde plötzlich laut:

»Also gut. Für die Rettung Ihres Lebens will ich nicht auch noch belogen werden. Die Wahrheit, Fremder, oder ich werde Sie exekutieren lassen!«

»Was ich sagte, ist die Wahrheit.«

»Wenn Sie nicht sprechen wollen: Auf dem Gerichtsplaneten Celkar haben sie eine besondere Technik entwickelt, die infinite Todesstrafe. Ich versichere Ihnen, man quält sich nirgendwo mehr beim Sterben.«

»Erhabener, ich habe nichts zu korrigieren und nichts zu bereuen.«

Die Fragen kamen nun wie aus der Pistole geschossen:

»Warum hat Pyrius Bit Sie hierhergeschickt?«

Unbeeindruckt gab ich Antwort:

»Ich kenne den Namen Pyrius Bit nicht.«

»Sollten Sie unsere Raumschiffe sabotieren? Die Forschungsstätten von Erican, den Palast?«

»Nichts dergleichen, Erhabener. Ich schwöre es bei Arkon.«

Kuriol verzog abschätzig die Mundwinkel.

»Auf das Imperium sollten Sie lieber nicht schwören, Atlan! Arkon im Munde zu führen bringt Ihnen keinen Vorteil ein. Außerdem sollten Sie nicht glauben, dass Sie hier lebendig herausgeholt werden. Wenn die Hauptstadt fällt, dann geht auch dieses Gefängnis unter. Bevor Ihre sauberen Vorgesetzten Sie noch bergen können.«

Der alte Nert und ich, wir starrten uns eine Weile an. Ich war hilflos, er unversöhnlich.

Unter anderen Umständen wäre der Mann mir sympathisch gewesen. Er besaß Charisma und anscheinend einen messerscharfen Verstand. Ich musste jedoch zugeben, dass die Wahrscheinlichkeit gegen mich stand. Ein Unfall der Art, wie ich ihn erlebt hatte, konnte einfach nicht passieren.

Kuriol nannte einige interessante Details, meinte der Extrasinn. Traversan scheint sich im Krieg zu befinden. Der Name Pyrius Bit dürfte von Bedeutung sein. Außerdem fällt auf, dass der Nert schlecht über das Imperium spricht. Es ist davon auszugehen, dass derzeit gewisse Streitigkeiten ausgetragen werden.

Ich dachte darüber nach. Der Hinweis des Logiksektors schien mir wertvoll. Welchen Ausgang Streitigkeiten zwischen dem Imperium und einer Kolonie zu nehmen pflegten, wusste ich genau. Und der Nert schien es ebenfalls zu wissen, wobei er mich mit den Streitigkeiten offensichtlich in Zusammenhang brachte.

Nert Kuriol schaute mich ratlos an.

»Ich werde Sie nicht exekutieren lassen. Jedenfalls noch nicht gleich. Meine Militärärzte behandeln Sie zunächst mit Medikamenten, die die Wahrheit aus Ihnen herauspressen werden. Nur werden Sie hinterher nicht mehr bei Verstand sein, Atlan; und ich gebe zu, dass ich das bedauere.«

Kuriol schaute sich um und winkte den Wachen.

Doch die Frau aus der Wüste – Prinzessin Tamarena! – legte ihm schnell eine Hand auf die Schulter.

»Nicht, Vater!«, bat sie. Ihre Miene wirkte plötzlich so entgeistert, als habe sie ein Gespenst gesehen.

»Warte noch! Es ist nicht leicht zu glauben – aber der Fremde vom fernen Camelot spricht die Wahrheit.«

Ich schwieg wie vom Donner gerührt.

Es war nicht die Tatsache, dass sie für mich sprach. Damit hatte ich insgeheim gerechnet, weil ich ihre Arroganz als Maske durchschaute. Vielmehr lag es daran, dass ich den Ausdruck Camelot niemals erwähnt hatte. Prinzessin Tamarena gab eine Information preis, die sie eigentlich nicht besitzen konnte.

7.
DER STOLZ VON TRAVERSAN

Vergangenheit 5772 v. Chr. / 12.402 da Ark

Nert Kuriol da Traversan musterte den Fremden lange und gründlich. Er hoffte, dass sein aktivierter Extrasinn ihm Hinweise gab. Kuriol gewann unwillkürlich den Eindruck, dass der andere ihm überlegen war. Einen solchen Gedanken hatte er in seinem Leben nicht sehr oft gehegt.

Atlan war ein sehr beeindruckender Mann. Obwohl er sich in einer wenig beneidenswerten Lage befand, machte er einen gelassenen, stets überlegten Eindruck. Diese Qualitäten besaßen nur ausgesuchte Leute.

Auf sein Gefühl konnte er sich verlassen; hätte er die Möglichkeit besessen, er hätte Atlan sofort in seine Dienste genommen. Und wäre es nur für die wenigen Stunden, maximal Tage gewesen, die bis zum Eintreffen der Strafexpedition übrigblieben. Dann musste mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Atlan sterben.

Ein zweites Mal ließen sie den Fremden seine Geschichte erzählen. Und diesmal, mit dem Wissen um die Wahrheit, klang der Bericht erstaunlich plausibel.

Kuriol fielen die Blicke auf, die Atlan mit seiner Tochter tauschte. Dass Tamarena einen Mann dieser Sorte offensichtlich interessant fand, schien dem Fürsten nicht ungewöhnlich.

Tamarena war daran gewöhnt, mit fähigen, teils auch charismatischen Männern umzugehen; doch Männer von Atlans Sorte waren nicht oft darunter.

Kuriol bemerkte ihre Maske aus Überheblichkeit sehr genau. Aber auch Atlan reagierte auf sie; der Fremde schien irgendetwas an Tamarena höchst interessant zu finden.

Ist es nicht tragisch, kommentierte sein Extrasinn, dass diesen beiden keine Zeit mehr bleiben wird?

Kuriol hob die Hand. Er vermerkte mit einem Lächeln, dass die Blicke der zwei sich wieder ihm zuwandten.

»Ich habe eine Entscheidung getroffen«, sprach der Nert. »Atlan, Sie werden ab sofort freigelassen. Nach allem, was ich weiß, stellen Sie keine Bedrohung für uns dar. Sie können sich frei auf diesem Planeten bewegen.«

»Danke, Nert.«

Der hochgewachsene Fremde richtete sich aus seiner hockenden Position an der Wand langsam auf. Man musste bedenken, dass er vor knapp sechs Stunden von einer Paralysatorsalve erwischt worden war. Kuriol konnte nicht verstehen, weshalb er schon wieder auf seinen Beinen stand. Normalerweise hätte er bis zum kommenden Sonnenaufgang reglos auf dem Boden liegen sollen.

Atlan sagte:

»Ich habe jedoch einige Bitten an Euch zu richten, Nert. Die Zeitmaschine, mit der ich gekommen bin, ist ohne Energie. Ich benötige Hilfe, um diese Energiereserven wieder aufzufüllen. Außerdem ist der Steuerchip beschädigt, mit dem die Energiezufuhr der Station geregelt wird. Ohne eine gut ausgerüstete Forschungswerkstatt kann der Chip höchstwahrscheinlich nicht wieder repariert werden.«

Kuriol zeigte bedauernd seine leeren Handflächen.

»Traversan wäre gewiss bereit, Sie bei dem Problem zu unterstützen. Aber das ist nicht möglich. Ich muss Ihnen leider die Mitteilung machen, Atlan, dass wir alle sterben werden. Wir erwarten stündlich eine Strafexpedition des Sonnenkurs Pyrius Bit, vom nahe gelegenen Flottenstützpunkt BRY 24 aus. Bit wird Traversan vermutlich vernichten lassen.«

Atlan ließ sich nicht anmerken, ob er schockiert oder verstört war.

»Aus welchem Grund, Nert Kuriol?«

Er schien daran gewöhnt zu sein, selbst in der verfahrensten Lage noch einen Ausweg zu suchen.

»Ich möchte es als eine Frage der Ehre bezeichnen. Und eine finanzielle Frage, nicht zu vergessen. Die ganze Geschichte wäre jetzt zu lang. In diesen Stunden lasse ich den Planeten Traversan gegen einen Angriff aus dem All befestigen. Meine Anwesenheit ist an anderen Orten dringender erforderlich.«

 

»Wartet, Nert!«

Kuriol hatte sich bereits vom Stuhl erhoben. Der drängende Tonfall, in dem Atlan sprach, ließ ihn jedoch innehalten.

»Worauf, Atlan?«

»Ihr sagt, Traversan steht die Vernichtung bevor. Ich bin allerdings vollkommen sicher, dass das nicht geschehen wird.«

Der alte Nert machte eine wegwerfende, müde Geste.

»Was für eine naive Vorstellung. Pyrius Bit wird unsere Provokationen niemals hinnehmen. Er hat vor einem halben Tag im Orbit von Traversan zwölf Schlachtschiffe eingebüßt.«

»Trotzdem!«, beharrte der Fremde. »Ihr vergesst wahrscheinlich, dass ich aus der Zukunft stamme. Oder Ihr habt den Gedanken noch nicht konsequent verarbeitet.«

»Vater!«, rief Tamarena plötzlich.

Sie fasste Kuriol aufgeregt an der Schulter. Ihre Augen fingen zu tränen an, Zeichen einer heftigen Erregung.

»Begreifst du, Vater, was er uns sagen will? Er kommt aus der Zukunft – das bedeutet, dass er die Vergangenheit kennt! Er weiß, wie die Schlacht um Traversan ausgegangen ist!«

Nert Kuriol sah dem Fremden aus der Zeitmaschine gerade ins Gesicht.

»Stimmt das?«

»Bedauerlicherweise nein«, erklärte Atlan. »Ich konnte nicht wissen, in welche Lage ich geraten würde. Vor der Katastrophe habe ich mich mit der traversanischen Geschichte nicht beschäftigt. Allerdings habe ich Erican und die Yssods-Wüste gesehen, wie sie in zehntausend Jahren aussehen.«

»Nämlich wie?«, fragte Kuriol scharf.

»Ich sah einen blühenden Planeten. Das Große Imperium wird in den kommenden Jahrtausenden untergehen; es wird aufgehen im Vereinten Imperium, sich zeitweise auflösen und dann als Kristallimperium wiederauferstehen. Aber Traversan existiert immer noch. Hätte es einen verheerenden Krieg an der Oberfläche des Planeten gegeben, die Narben wären auch in zehntausend Jahren nicht verheilt.«

Nert Kuriol da Traversan empfand eine alles beherrschende Verwirrung. Das Große Imperium konnte nicht untergehen; in einer Million Jahren nicht.

Auf der anderen Seite hatte Prinzessin Tamarena die Echtheit des Zeitreisenden Atlan bestätigt. Und was Tamarena sagte, das musste zwangsläufig die Wahrheit sein.

»Traversan … geht nicht unter?«

»Keineswegs, Nert.«

»Wie sollen wir dann …« Den Rest ließ er offen.

»Ich weiß nicht, wie die Krise aussieht, die Traversan erfasst hat. Ihr sagt, Pyrius Bit ist ein Sonnenkur. Das bedeutet, dass das Imperium hinter ihm steht. Aber selbst wenn Bit mit hunderttausend Schlachtkreuzern des Imperiums kommt, er kann Traversan nicht vernichten. Die Geschichte beweist es.«

Nert Kuriol ließ sich auf den Stuhl sinken. Er hatte es nicht mehr eilig.

»Ich benötige Ihre Hilfe, Atlan«, bekundete er. »Ich halte es für möglich, dass Sie der unvorhergesehene Faktor sind, der uns noch einmal rettet. Sie kommen aus der Zukunft. Mit Ihnen konnte niemand rechnen.«

Atlan dachte ein paar Sekunden lang angestrengt nach. Er schien auf eine innere Stimme zu horchen. Kuriol hätte sich keineswegs gewundert, hätte der Fremde ebenso wie er oder Kapitän Irakhem einen aktivierten Logiksektor besessen.

»Ich würde gern helfen, Nert. Aus Gründen der Kausalität ist jedoch kein Eingreifen von meiner Seite möglich. Wie Ihr bereits sagtet, meine Anwesenheit ist nicht vorgesehen

»Erklären Sie das!«

»In dem Augenblick, da meine Handlungsweise die Vergangenheit ändert, könnte sich auch die Zukunft verändern. Im Klartext bedeutet das: Solange ich mich still verhalte, ist Traversan vor der Vernichtung sicher – weil die Geschichte immer ihren Gang geht. Wenn ich aber beginne, die Vergangenheit zu verändern, dann könnte das Traversan der Zukunft durchaus ein toter Planet sein. – Versteht Ihr mich? Ich muss mich nur still verhalten. Dann bin ich Eure Lebensversicherung, Nert.«

Kuriol versuchte, die Argumente des Fremden nachzuvollziehen.

Er hat recht!, kommentierte sein Logiksektor. Allerdings ist es nicht immer möglich, die Gesetze der Zeit in arkonidische Logik zu zwingen. Außerdem sagt Atlan lediglich aus, dass die Oberfläche dieser Welt intakt bleibt. Er sagt nichts über die Bevölkerung und unsere Raumschiffe.

Kuriol gab sich einen Ruck. Seine Entscheidung fiel nicht aufgrund logischer Erwägungen, sondern durch einen zutiefst unlogischen, emotionalen Impuls.

»Ich bin nicht bereit, auf Ihre Hilfe zu verzichten, Atlan!«, sprach er. »Sie werden mich als Berater in den Palast von Erican begleiten. Prinzessin Tamarena wird Ihnen als Adjutantin zur Verfügung stehen.«

Er drehte sich um und wollte die Zelle verlassen – da stoppte ihn ein Ausruf seiner Tochter.

»Vater!«, protestierte sie.

Tamarena hatte sich hoch aufgerichtet, sie war blass geworden und starrte mit blitzenden Augen den Fremden an.

»Ich werde nicht die Adjutantin dieses Mannes sein! Ich bin doch keine … keine …«

Sie schien nach Worten zu suchen.

»O doch, mein Kind! Ausnahmsweise wirst du tun, was dein Vater dir befiehlt. Atlan ist möglicherweise von entscheidendem Wert für uns. Und du bist die beste Helferin auf diesem Planeten, die ich ihm zur Seite stellen kann.«

Die Prinzessin wartete mit verschlossenem Gesicht ab, bis alle anderen die Zelle verlassen hatten. Ich konnte ihren mühsam beherrschten Zorn dennoch sehen. Sie war stolz, und es passte nicht in ihr Weltbild, einem hergelaufenen Fremden als Helferin zu dienen.

Ich musterte sie voller Bewunderung. Sie war die beeindruckendste Frau, der ich seit einer sehr langen Zeit begegnet war.

Narr! Verliebe dich nicht in eine Prinzessin, die seit zehntausend Jahren tot ist!

»Also, Atlan«, brachte sie voller Verachtung hervor, »was willst du nun tun? Was sind deine ersten Wundertaten?«

Mir war klar, dass ich sie als Erhabene anzusprechen hatte. Als Tochter eines Nert besaß sie Anspruch auf einen ganzen Satz höflicher Ausdrucksformeln, die ich samt und sonders ignorierte. Schließlich hatte sie selbst mit dem Duzen angefangen, das im alten Arkon-Imperium alles andere als üblich war.

»Zuerst möchte ich mit dir reden, Tamarena.«

Ob sie den Mangel an verbalem Respekt registrierte oder nicht, war schwer zu erkennen.

»Reden?«, fragte sie heftig. »Würde es ein klarer Befehl nicht auch tun?«

»Nein! Keine Befehle. Ich kann nichts für die Entscheidung deines Vaters. Ich erteile dir keine Befehle, sondern ich bitte dich um deine Unterstützung.«

Ich verschwieg ihr mit voller Absicht, dass ich ein Unsterblicher war und dass ich so etwas wie eine Fremdenführerin durch die Vergangenheit eigentlich nicht benötigte.

»Unterstützung – bei was?«, wollte sie wissen. In ihre Stimme legte sie einen kräftigen Schuss Verachtung.

»Wenn ich das selbst wüsste! Mir ist die Lage auf Traversan völlig unbekannt. Nach wie vor bin ich der Meinung, dass ich euch durch Untätigkeit am besten helfe.«

»Dann bleibe untätig«, erwiderte sie ungerührt.

»Ja. Aber zuerst möchte ich dir eine Frage stellen.«

»Welche?«

Sie tat, als wolle sie meine Zelle verlassen und auf den Korridor hinaustreten.

»Du hast mich als Fremden von Camelot bezeichnet.«

Tamarena blieb plötzlich stehen. Sie drehte sich um und fixierte mich aufmerksam. Ich glaubte, in ihrem Blick wieder jenen alles durchdringenden Ausdruck zu sehen, der mir zuvor bereits aufgefallen war.

»Und?«

»Camelot wird erst in zehntausend Jahren entstehen«, setzte ich sie nüchtern in Kenntnis. »Du kannst von Camelot also nichts wissen. Ich habe den Ausdruck nicht genannt, aber du kanntest ihn. Woher?«

»Du wirst dich getäuscht haben«, wich die Prinzessin mir unbehaglich aus.

»Nein. Tamarena, bist du eine Telepathin?«

Ich hörte ihr lange zu. Die Prinzessin sprach von einer abgelegenen Dagor-Abtei in der Masskyr-Hochebene, von Jahren der Isolation, ohne Kontakt zur Außenwelt, von schonungslosen Lektionen für Körper und Geist. Bei einer Meditations-Schulung hatte sie ihr telepathisches Talent entdeckt. Die Gabe war im geheimen ausgebildet und gefördert worden.

Ich erinnerte mich, dass parapsychische Fähigkeiten im Großen Imperium nicht so selten vorgekommen waren; jedenfalls nicht wie in der Gegenwart, die kaum einmal Mutanten hervorbrachte.

Tamarenas Geschichte schien mir nachvollziehbar. Die extremen Anforderungen der Dagor-Schule forderten alle Reserven, die ein Wesen besaß. So auch die Telepathie – sofern sie vorhanden war.

»Ich weiß genau, Atlan, dass dein Extrasinn durch die ARK SUMMIA aktiviert ist«, berichtete sie. »In einem solchen Fall sind die Gedanken einer Person für Telepathen nicht erreichbar. Allerdings hast du zweimal für wenige Augenblicke deinen Monoschirm vernachlässigt. Ich hatte jeweils einen kurzen Einblick. Daher weiß ich, dass du wirklich aus der Zukunft kommst – oder dass du es zumindest selbst glaubst! – und dass du dich selbst als einen Cameloter bezeichnest.«

»Was noch?«

»Sonst nichts.«

Die Prinzessin machte plötzlich einen schuldbewussten Eindruck. Es schien ihr peinlich zu sein, dass sie in meinen Gedanken geschnüffelt hatte.

Mein Logiksektor behauptete lautlos: Sie lügt.

Der Meinung bin ich auch, erwiderte ich unschlüssig. Aber was kann sie sonst noch wissen? Und warum gibt sie es nicht zu?

Offensichtlich deshalb, weil ihr Wissen auf einen noch unbekannten Aspekt der Lage einen wichtigen Einfluss hätte. Vielleicht will sie noch abwarten, ob sich für sie ein Vorteil ergibt.

Das wunderschöne Gesicht der Prinzessin riss mich aus der Versunkenheit. Sie war näher an mich herangerückt.

»Ich könnte dir Erican zeigen«, bot sie an. »Willst du unsere Hauptstadt sehen? Manche sagen, es ist die Perle des ganzen Raumsektors.«

»Ich bin höchst interessiert. Aber zuerst habe ich Durst und Hunger. Exakt in dieser Reihenfolge, beides nicht zu knapp.«

Sie führte mich hinaus in den Korridor, dann meinte sie schnippisch:

»Ich weiß wirklich nicht, ob das Servieren einer Mahlzeit in meiner Adjutantentätigkeit eingeschlossen ist …«

Über Erican ging soeben die Sonne auf. Es war ein wunderbares Schauspiel aus gleißendem, beinahe überirdisch scheinendem Licht. Die Tautropfen, die sich im Lauf der Nacht auf den Dächern und in den Gewächsen abgesetzt hatten, streuten millionenfach Reflexionen ins Halbdunkel der Stadt.

Erican befand sich in einer gemäßigten Klimazone des nördlichen Kontinents, 1300 Kilometer von der weiter südlich gelegenen Yssods-Wüste entfernt. Trichterbauten und Parklandschaften bestimmten die Landschaft. Im Gegensatz zum fernen Arkon, das ich sehr gut kannte, fanden sich hier jedoch dicht besiedelte Wohngebiete, die beinahe an ihre terranischen Gegenstücke erinnerten.

»Einen Rundflug gefällig?«, fragte Prinzessin Tamarena.

»Gern!«

Sie ließ den Gleiter hoch in den blauen Himmel über dem Palast steigen. Es handelte sich um ein offenes Modell ohne Kanzel, nur mit einer Panzertroplonscheibe gegen den Zug, und der Flugwind ließ meine Haare in alle Richtungen flattern.

Tamarena steuerte den Gleiter auf eine Flughöhe von etwa einem halben Kilometer. In einem weiten Bogen umkreiste sie den Palast, dann hielt sie westwärts Richtung Stadtrand.

Zu einem beachtlichen Teil stimmte das Erscheinungsbild der Stadt mit dem überein, was ich zehntausend Jahre später gesehen hatte; gemeinsam mit Fürst Ligatem, von einer Terrasse des Palastes aus.

Mein Blick fiel auf die Stelle, an der sich der Himmelskrater hätte befinden sollen.

Statt der zwanzig Kilometer durchmessenden Senke, an die ich mich gut erinnerte, erblickte ich einen Park. Und statt der dichten Besiedelung zählte ich nicht mehr als ein Dutzend Trichterbauten. Der Park schien eine Art Erholungszentrum zu sein. Im Mittelpunkt des Geländes ragte ein Gebäudekomplex auf, den ich anhand eines charakteristischen Parabolspiegels als ein Observatorium identifizierte.

Tamarena wies mich mit lauter Stimme auf verschiedene Sehenswürdigkeiten hin. Die zentrale Energiestation, weit hinter dem Park gelegen, einige Kilometer östlich das Viertel der Adligen, daneben eine Ausbildungsakademie für Wissenschaftler.

 

An mehreren Stellen der Stadt flammten halbkugelförmige Kraftfeldkuppeln auf. Erican wurde auf einen Angriff aus dem Orbit vorbereitet. Die Glocken aus Energie wurden durchgemessen, justiert und wieder abgeschaltet. Im Ernstfall boten sie Schutz gegen Angriffe aus der Luft. Sie konnten binnen zehn Sekunden hochgefahren werden.

Aus der Höhe waren die Anstrengungen, die am Boden unternommen wurden, schwer zu bewerten. Ich wusste jedoch, wie die Arkoniden des Großen Imperiums sich zu sichern pflegten: Die Maahk-Kriege hatten mehr als einen Planeten verwüstet, eine Erfahrung, die aus dem Gedächtnis des Volkes nicht so leicht zu tilgen war.

Tamarena steuerte in einem weiten Bogen westlich.

Am Stadtrand waren kaum noch Trichterbauten und Parks zu sehen. Stattdessen erblickte ich weitläufige Gebäudekomplexe. An manchen Stellen reichten Transportschächte tief in die Erde.

»Das sind unsere Industriegebiete!«, erklärte sie mit lauter Stimme gegen den Flugwind. Ich hörte deutlich ihren Stolz heraus. »Du wirst nirgendwo im Brysch-Sektor einen Planeten finden, der ähnlich hoch entwickelt ist.«

»Ich dachte, Traversan lebt hauptsächlich von seiner Landwirtschaft?«

»Das ist auch richtig. Aber als reichste Welt des Sektors ist Traversan praktisch Selbstversorger, industriell und agrartechnisch. Traversan besitzt sogar eine eigene Raumflotte! Sie wird von Kapitän Irakhem geführt. Du wirst Irakhem möglicherweise noch kennenlernen. Er ist ein sehr fähiger junger Offizier. Der ranghöchste des Systems.«

»Kommandeur der Flotte?«, fragte ich. »Ein Admiral?«

»Kein Admiral«, erklärte sie tonlos. »Ein Pal‘athor, Kapitän zweiter Klasse.«

»Das scheint mir nicht sehr viel zu sein.«

»Bis heute hat es immer ausgereicht. Irakhem ist sehr jung. Er steht noch am Anfang seiner Karriere.«

Ich machte mir klar, dass jener Mann namens Irakhem für die Rettung des Planeten zuständig sein würde. Wie ein junger Kerl das anstellen sollte, wusste ich nicht, doch die Geschichte bewies, dass er es irgendwie geschafft haben musste.

Nicht sein Rang war ausschlaggebend, sondern sein Talent. Auf der anderen Seite wusste niemand besser als ich, dass bestimmte Fähigkeiten mit einer bestimmten Ausbildung verbunden waren. Ich erinnerte mich sehr genau, wie schwer es war, den Sprung zum Admiral zu schaffen. Ein Pal‘athor konnte im Grunde keine Flotte führen.

Die Prinzessin zwang den Gleiter in eine enge Kurve, deren Wucht mir beinahe den Atem raubte.

Sie will dich nur beeindrucken, Arkonide.

Und das gelingt ihr auch vorzüglich, antwortete ich dem Logiksektor, innerlich lachend.

Sie deutete auf einen mächtigen Kugelraumer, eine 500 Meter durchmessende Einheit, die auf dem siebzig Kilometer entfernten Raumhafen gelandet war.

»Das ist die TRAVERSANS EHRE, Irakhems Flaggschiff. Sobald die Strafexpedition von BRY 24 angekommen ist, wird das Schiff starten. Und dann werden wir es niemals wiedersehen. Es sei denn …«

»Vergiss es!«, antwortete ich barsch. »Ich weiß genau, was du andeuten willst. Aber diese Art Hilfe kann ich euch nicht geben. Ich besitze keine Raumflotte, und ich bringe keine Wunderwaffen mit!«

»Du denkst nicht einmal nach, wie du uns helfen kannst!«

»Völlig richtig. Weil es nichts nachzudenken gibt!«

Ich warf einen Seitenblick auf die Prinzessin. Ihr platinblondes Haar war wesentlich kürzer geschnitten als meines, so dass ich ihr Gesicht gut erkennen konnte. Die Lippen waren zusammengepresst.

»Das reicht!«, rief ich ärgerlich. »Ende des Rundflugs.«

Die Prinzessin drehte den Gleiter in der Luft, gab Gegenschub und hielt mit hoher Geschwindigkeit auf den Palast zu.

»Tamarena!«

»Was?«

Ich deutete auf den Park westlich des Stadtkerns, an dem sich in zehntausend Jahren der Himmelskrater befinden würde. Vor meinem inneren Auge sah ich einen Moment lang den Himmel über Traversan erglühen; ich sah eine feindliche Flotte über Erican; und ich sah eine Bombe, die zu Boden fiel.

»Gibt es für diesen Park einen Namen?«

»Wir nennen ihn den Garten der Sonne. Mein Vater hat darin das größte Observatorium des Brysch-Sektors errichten lassen. Die Forscher reisen zum Teil mehr als hundert Lichtjahre weit, um hier zu arbeiten.«

»Dieses Gebiet muss evakuiert werden«, hörte ich mich sagen. »Sieh zu, dass vor dem großen Gefecht niemand im Garten der Sonne zurückbleibt.«

Tamarena sah mich merkwürdig an, so als habe sie ein seltenes Tier vor sich. Sie sagte nichts, sondern steuerte den Gleiter wortlos zum Palast zurück.

Mein Extrasinn kommentierte sarkastisch:

Der erste wirklich schwere Fehler, Arkonide! In diesem Moment hast du zum ersten Mal in größerem Ausmaß die Vergangenheit verändert.

Den ganzen Tag lang blieb es ruhig. Im Palast des Nert wurde stündlich mit dem Eintreffen eines schlagkräftigen Verbandes gerechnet.

Fürst Kuriol erklärte mir die Lage. Demnach verfügte Arkons Statthalter, der Sonnenkur Pyrius Bit, über zweihundert Kriegsschiffe. Für einen Sektor mit 212 besiedelten Planeten war das keine hohe Zahl. In einem Zeitalter zunehmender Unruhe ließ sich mit weniger als einem Schiff pro besiedelten Planeten kein sicherer Friede garantieren.

Imperator Reomir IX. erhielt aus dem Brysch-Sektor allerdings vergleichsweise geringe Steuerabgaben, so dass eine größere Flottenpräsenz nicht lohnend war.

Schon Arkons alte Ökonomen haben mit spitzer Feder gerechnet, bemerkte mein Logiksektor. Dies könnte sich zu deinem Vorteil auswirken.

Man musste außerdem bedenken, dass die Flotte der Traversaner offiziell zum Imperium gehörte. Traversan verfügte über arkonidische Technik; die Kapitäne waren auf der Galaktonautischen Akademie von Arkon III ausgebildet; der Pal‘athor namens Irakhem unterstand im Normalfall nicht nur Kuriol, sondern dem Flottenzentralkommando.

Reomirs Strategen hatten nicht damit kalkuliert, dass sich Traversan gegen den Statthalter von BRY 24 wenden würde. Das, was man auf der Erde den menschlichen Faktor nannte, hatte man offensichtlich vergessen.

Kein Wunder bei einem Imperium, das 50.000 Kolonial- und Fremdvölker in sich vereint.

Niemand hatte mit einem Statthalter namens Pyrius Bit gerechnet, den ich zwar nicht kannte, der aber keinerlei diplomatisches Geschick zu besitzen schien. Und niemand hatte geglaubt, dass der Stolz von Traversan größer war als die Angst vor imperialen Truppen.

Die halbe Nacht verstrich ereignislos. Ich legte mich schlafen, und ich konnte nichts dagegen tun, dass in meinen Träumen Prinzessin Tamarena eine erhebliche Rolle spielte. Die Berührung ihrer Hände elektrisierte mich. Sie trug ein weißes Gewand, das mehr entblößte als verhüllte, und sie bewegte sich an meiner Seite durch einen dunklen Wald, der nicht enden wollte.

Mit ihren Augen berührte sie meine Seele. Die Kraft ihrer Gedanken flößte mir eine umfassende Ruhe ein. Jede ihrer Bewegungen präsentierte Eleganz. Sie besaß den Stolz des arkonidischen Adels, doch sie trat nicht als degenerierte Schlange auf, sondern als eine fähige Frau, die mir gewachsen war.

Kurz vor Einbruch des Morgengrauens gellte eine Alarmsirene.

Die Traumbilder platzten wie Seifenblasen. Der Wald existierte nicht, und die Prinzessin war nicht bei mir, sondern weilte irgendwo im Palast.

Ich war sofort wach.

Der Bildschirm neben meinem Lager flammte auf. Am anderen Ende erkannte ich das Gesicht des Nert: Kuriol musste die Nacht hindurch gewacht haben.

»Atlan! Es ist soweit!«

Kuriols Gesicht war blass, und seine Stimme zitterte gerade so sehr, dass ein Mann wie ich es heraushören konnte.

»Pyrius Bit hat eine Flotte geschickt. Ich erwarte Sie im Kommandosaal. Prinzessin Tamarena wird Sie in wenigen Minuten abholen.«

Kuriols Gesicht verblasste, der Nert hatte abgeschaltet.

Die Strategen der anderen Seite mussten sich ausgerechnet haben, wann Erican im Schlummer lag. Danach hatten sie ihren Zeitplan ausgerichtet. Der Schockeffekt war auf diese Weise größer, auch wenn es zu einem echten Überraschungsangriff natürlich nicht kommen konnte. Zwischen der Ankunft und dem Erreichen des Ziels mit Unterlichtgeschwindigkeit verstrichen in der Regel einige Stunden. Der Gegner hatte immer noch Zeit, sich zu formieren.