Rebellen gegen Arkon

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Eben wollte ich wieder auf den Boden zurück, wollte den Mechanismus zum Halten bringen, da sackte Cinthia vor meinen Augen leblos zusammen.

Flieh, Narr!

Es war zu spät. Ich konnte mich nicht mehr bewegen.

3.
SIEG?

Vergangenheit 5772 v. Chr. / 12.402 da Ark

Ein gellender Signalton riss Kommandeur Irakhem aus dem Schlaf. Er war sich darüber im Klaren, dass damit der Anfang vom Ende eingeleitet wurde.

Salziges Tränensekret überströmte seine Wangen; ein Zeichen der übermächtigen Erregung, die ihn erfasste.

Mit einem Satz war er aus dem Bett. Er aktivierte das Visiphon. Dass sein weißes Haar wirr in alle Richtungen hing, nur nicht in den Nacken, kümmerte ihn nicht. Er diente dem Nert und seiner Heimat Traversan. Sein persönliches Erscheinungsbild hatte zurückzustehen, jedenfalls für den Augenblick.

Auf der anderen Seite salutierte ein Orbton. Irakhem kannte ihn als Offizier von niedrigem Rang. Er kannte alle Offiziere in seinem Umfeld, die meisten mit Namen. An der Galaktonautischen Akademie hatte man ihn gelehrt, wie man Untergebene führte: Es war wichtig, durch scheinbare Kleinigkeiten stets Überlegenheit zu dokumentieren.

Mit 23 Jahren war Irakhem viel jünger als der Orbton. Dennoch wurde er als Befehlshaber der Traversan-Flotte von allen anerkannt.

Er war der einzige Kapitän zweiter Klasse des Systems. Kapitäne erster Klasse – oder gar Admiräle! – hatte es auf den Welten von Travs Stern nie gegeben.

»Also! Was ist geschehen, Orbton?«

Du kennst doch die Antwort, Narr!, kritisierte sein aktivierter Logiksektor. Es ist Pyrius Bit!

Irakhem hätte beinahe laut geantwortet. Ärgerlich biss er auf seine Unterlippe. Er musste sich an die Stimme in seinem Inneren, die zu allem und jedem Kommentare abgab, erst noch gewöhnen. Der Logiksektor verschaffte ihm Überlegenheit. Die ARK SUMMIA wirkte wie ein innerer, stets gegenwärtiger Schulmeister.

»Also?«, wiederholte er scharf. »Ich erwarte deine Auskunft, Orbton!«

»Nun, ich … ich dachte … Jawohl!«

Der Mann schien verwirrt, wahrscheinlich über Irakhems Verhalten.

»Ein Verband von Imperiumsschiffen, Erhabener! Sie sind kurz jenseits der zehnten Planetenbahn aus dem Hyperraum gestürzt. Der Transitionsschock hat eine unserer Beobachtungsstationen vernichtet. Zwanzig Männer sind dabei gestorben.«

Kommandeur Irakhem presste die Lippen zusammen. Transitionen innerhalb eines Systems galten als lebensgefährlich und wurden selten vorgenommen. Zum Ethos der Raumfahrer gehörte, grundsätzlich das planetengebundene Leben nicht zu gefährden. Ausnahmen gab es auch im Kriegsfall nicht.

Wer spricht von einem Krieg?, ergänzte sein Logiksektor. Traversan wird nicht mehr sein als eine blutige, bestenfalls tragische Randnotiz der Geschichte.

Irakhem ignorierte die Stimme. Er fragte knapp:

»Welchen Kurs fliegen die Imperiumsschiffe?«

»Sie halten Kurs Traversan, Erhabener!«

»Anzahl?«

»Wir haben noch Orterprobleme durch den Transitionsschock. Unsere Geräte müssen neu kalibriert werden. Die Anzahl der Schiffe werde ich Euch bald nennen können, Pal‘athor. Habt einige Minuten Geduld.«

Pal‘athor – Zweiplanetenträger.

Er lachte bitter. Der militärische Rang, den er in jungen Jahren erreicht hatte, würde ihm nichts mehr nützen. Auf der Prüfungswelt Alassa hatte er die ARK SUMMIA absolviert. Er besaß seinen aktivierten Extrasinn seit diesem Tag, so wie die hochgestellten Adligen und erhabenen Flottenkommandeure.

Irakhem fühlte einen brennenden Ehrgeiz. In wenigen Jahren, so die Planung, hätte er die Weiterbildung zu einer höheren Offizierslaufbahn in Angriff genommen. Das Volk von Traversan hätte voller Stolz auf seinen ersten Admiral geblickt; und den meisten Stolz von allen hätte Nert Kuriol da Traversan empfunden, Irakhems väterlicher Förderer. Und nun war alles vorbei. Bevor es noch richtig begonnen hatte.

»Wann wird der Imperiumsverband eintreffen, Orbton?«

»Unveränderte Sublichtwerte vorausgesetzt, in sieben Stunden.«

»Nehmen wir an, sie beschleunigen maximal?«

»Dann schaffen sie es in fünf Stunden«, bekundete der Mann irritiert. »Aber warum sollten sie das tun, Erhabener? Sie würden doch nur unnötig ihre Triebwerks-Stützmasse verschwenden.«

Irakhem warf dem Mann einen scharfen Blick zu.

»Wenn wir etwas nicht verstehen, so heißt das nicht, dass es nicht geschehen kann.«

Die Gesichtszüge des Offiziers wurden starr.

»Ich verstehe, Kommandeur.«

»Gut. Nachrichten werden bitte unverzüglich an mich weitergereicht. Ich werde mich in spätestens fünfzehn Minuten an Bord meines Flaggschiffs einfinden. Danke.«

Irakhem schaltete das Visiphon ab. Fünf Stunden, das ließ ihm noch etwas Zeit. Er konnte seine Vorbereitungen treffen. Nicht, dass er einen großen Sinn darin gesehen hätte; aber es lag nicht in der Mentalität der Traversaner, aufzugeben. Pyrius Bit konnte sie vernichten. Er würde den Sieg allerdings sehr, sehr teuer erkaufen.

Irakhem erwartete seinen Tod. Ob der Tod heute schon kommen würde oder ob er mit Intelligenz und Kampfmoral das Ende noch einmal verzögern konnte, das war noch unklar.

Der Kommandeur duschte kurz. Er kaute Konzentrate, trank Wasser mit einem belebenden Langzeitaufputscher, dann band er sein Haar mit einer Spange aus Arkonstahl im Nacken zusammen. Zur blaugrauen Standarduniform wählte er einen dunkelroten Umhang.

Einen Moment lang überlegte er, ob er Nert Kuriol von dem nahenden Verband in Kenntnis setzen musste. Dann aber sagte er sich, dass der Fürst von Traversan dieselben Informationen besaß wie er selbst; wenn nicht die besseren. Kuriol war der eigentliche Oberkommandierende der Streitkräfte von Traversan, Irakhem nur sein Stellvertreter.

Irakhem trat ins Freie, hinaus auf eine der Palast-Terrassen. Ein Antigravstrahl erfasste ihn und zog ihn schwerelos in die Luft.

Der Leka-Diskus, ein LE-20-05 für den interplanetarischen Shuttle-Verkehr, katapultierte ihn binnen weniger Minuten zum siebzig Kilometer entfernten Raumhafen.

Irakhem starrte nicht ohne Wehmut durch die Luken hinab. Erican, die Hauptstadt des Planeten … eine Perle des Brysch-Sektors. Würde er jemals zurückkehren? Und wenn er heimkehrte, würde es Erican noch geben?

Auf dem Raumhafen standen sechs Schiffe; sechs von den neunzig, die Traversan besaß. Jedes einzelne stellte ein riesengroßes, unüberwindliches Gebirge aus modernster Technik dar. Sie trugen die stärksten Energiekanonen, die man sich vorstellen konnte, die schnellsten Positroniken, die besten Transitionstriebwerke.

Ihre Kugelzellen bestanden aus beschussverdichtetem Arkonstahl, dem nachweislich stabilsten Baumaterial der Galaxis. Und Irakhem sah die sechs Einheiten nur als ionisierte, auseinanderdriftende Gaswolken vor sich.

Narr! Kannst du deinen Puls noch fühlen? Oder bist du schon tot?

Irakhem antwortete lautlos: Ich habe keine Hoffnung.

Wenn eine Schlacht auf der Kippe steht, dozierte der Extrasinn, wird diejenige Partei gewinnen, die durch positives Denken rechtzeitig ihre mentalen Kräfte gestärkt hat.

Irakhem fand, dass das ein wertvoller Hinweis war. Der Logiksektor hatte recht. In den furchtbaren Schlachten gegen die Methanatmer hatte Irakhem manche aussichtslose Situation überstanden. Solange er lebte, besaß er eine Chance.

Ein zweifellos verrückter Teil seiner selbst machte sich bemerkbar; er hegte mit einem Mal die vollständig irrationale Hoffnung, irgendetwas Unvorhergesehenes möge eintreten.

»Pal‘athor!«

Ein Orbton kam eilig von der Seite heran. Irakhem fixierte den Mann kurz.

»Was gibt es?«

»Pal‘athor, wir sind in wenigen Sekunden wieder vollständig ortungsfähig. Die Kalibrierungen sind abgeschlossen.«

»Danke.«

Irakhem starrte gespannt auf den Orterschirm, der ihm vorerst nicht mehr als ein schematisches Abbild des Trav-Systems zeigte. Dann flackerten der Reihe nach glimmende rote Punkte auf. Jeder der Punkte stand für einen Imperiumsraumer. Es waren insgesamt nicht mehr als zwölf.

Drei sehr helle Reflexe zeigten Schlachtkreuzer der Fusufklasse an, so groß wie die TRAVERSANS EHRE, die anderen neun waren Schwere Kreuzer von je 200 Metern Durchmesser. Ihre Formation wies darauf hin, dass sie den drei Schlachtkreuzern als Flankenschutz dienen sollten. Sie flogen eindeutig in Gefechtsformation.

Nur zwölf, überlegte Irakhem.

Er fragte sich, ob das bereits der unerwartete Umstand war, den er sich erhoffte.

Die Impulstriebwerke erwachten mit einem urwelthaften Gebrüll zum Leben. Die Schiffe konnten noch so riesig sein, ihre Dämpfung noch so aufwändig, es war immer wieder dieselbe Sorte von Weltuntergang.

In diesem Fall handelte es sich um 18 getrennt steuerbare Aggregate. Im freien Raum konnten sie das Schiff mit 500 km/s2 beschleunigen. Am Boden wären jedoch verheerende Schäden die Folge gewesen, was dem Startmanöver natürliche Grenzen setzte. Irakhem nahm seinen Platz in der Mitte der Zentrale ein. Er stand breitbeinig, als wolle er den Imperator grüßen, und starrte auf die Galerie der Panoramaschirme.

Die TRAVERSANS EHRE war ein Kugelraumer von einem halben Kilometer Durchmesser. Die Besatzung bestand aus sechshundert traversanischen Elite-Raumfahrern.

Von hier aus wurde die einheimische Flotte zentral befehligt. Irakhem verfügte über alle Möglichkeiten moderner arkonidischer Kommandotechnik: eine Fülle von Bildschirmen, größenvariabel und von einer Positronik angesteuert, dazu kamen Hologramme zur optimierten räumlichen Darstellung, Flussdiagramme, dreidimensionale Vektorgrafiken.

 

»Landestützen einfahren!«, kommandierte er laut.

Man konnte seiner Stimme nicht anhören, was er in Wahrheit dachte.

»Antigravs auf einhundert Prozent Schwerkraftkompensierung schalten.«

Es dauerte wenige Augenblicke, dann hörte er die Meldung:

»Landestützen eingefahren. TRAVERSANS EHRE startbereit.«

Einen Moment lang hing das Schiff schwerelos in der Luft. Die scheinbare Stille dauerte nicht lange an: Irakhem gab Befehl, in den Orbit durchzustarten.

Bis zum Eintreffen des Imperiumsverbands würde es eine halbe Stunde dauern. Bislang hatte kein Funkkontakt stattgefunden. Absicht und Identifikation waren strenggenommen also unklar. Geschwindigkeit und Kursvektor ließen jedoch darauf schließen, dass der Verband direkt von BRY 24 stammte, dem 87 Lichtjahre entfernten Stützpunkt der Sektorenflotte. Dort residierte Pyrius Bit.

Die TRAVERSANS EHRE schwenkte in einen weiten Orbit ein. Travs Nachtauge, der Mond ihrer Heimat, befand sich auf der anderen Seite des Planeten, noch einen halben Tag lang außer Reichweite. Für ein eventuelles Gefecht bedeutete das, der Mond konnte nicht als Deckung benutzt werden. Die oberflächengestützten Forts konnten nicht auf Seiten der Traversaner in den Kampf eingreifen.

Irakhem hatte ohnehin nicht vor, es soweit kommen zu lassen. Keiner der Imperiumskreuzer durfte auf Feuerreichweite an Traversan oder Travs Nachtauge heran.

»Hyperkom-Verbindung herstellen«, ordnete er an. »Ich will den Kommandanten dieses Verbandes sprechen.«

Die zwölf Einheiten bremsten ab. Ihr Kurs war so berechnet, dass sie etwa über Traversan zum Stillstand kommen würden.

»Keine Antwort, Pal‘athor!«, meldete der Funkoffizier nach einer Weile.

Irakhem fluchte leise. Er befahl:

»Sperrkordon bilden! Jedem gegnerischen Schlachtkreuzer ordnen sich fünfundzwanzig Einheiten zu. Der Geleitschutz wird damit automatisch gebunden. Fünfzehn Leichte Kreuzer sichern den Rückraum gegen durchgebrochene Einheiten ab! Ich will nicht, dass plötzlich ein verirrtes Imperiumsschiff über Erican auftaucht.«

Rings um die TRAVERSANS EHRE flammten die superschweren Schutzschirme auf; schimmernde Kugeln aus Energie, die mehrere Treffer aus Thermokanonen absorbieren konnten.

»Feindkontakt! Geschützreichweite für schweres Feuer in dreißig Sekunden!«

Irakhem ließ die Schiffe seines Verbandes abbremsen und auf Kurs Richtung Traversan bringen.

Wären sie auf Kollisionskurs geblieben, das Gefecht hätte nur wenige Sekunden gedauert. Das lag nicht in Irakhems Interesse. Um einen Imperiumsraumer abzuschießen – oder ihn wirksam aufzuhalten –, brauchte es mehr als ein paar Sekunden.

»Kurs synchronisiert!«, meldete ein kosmonautischer Offizier. Ein anderer fügte hinzu: »Feuerpositronik klar!«

Irakhem schickte einen letzten Funkspruch los:

»Pal‘athor Irakhem im Namen von Nert Kuriol da Traversan. An nicht identifizierten Verband: Stoppen Sie, oder wir eröffnen das Feuer! Ich wiederhole: Wir eröffnen sonst das Feuer.«

Plötzlich flammte vor ihm ein Bildschirm auf. Irakhem schaute auf ein brutal wirkendes, breites Gesicht mit tief zerfurchter Stirn.

»Mein Leben für Arkon!«, grüßte der Fremde vorschriftsmäßig. »Hier Vere‘athor Tereagh! Geben Sie den Weg frei, Kapitän! Dies ist Territorium des Großen Imperiums und des Imperators Reomir IX. Sonnenkur Pyrius Bit sendet uns, um auf Traversan eine offizielle Strafaktion des Imperiums zu vollstrecken.«

Irakhem wusste, dass ein Vere‘athor im Rang über ihm stand. Dennoch, seine Befehle stammten von Kuriol, und Kuriol hatte sich mehr oder weniger deutlich vom Imperium losgesagt. Der Vere‘athor war damit Irakhem gegenüber nicht mehr weisungsbefugt.

»Wir geben den Weg nicht frei, Vere‘athor Tereagh.«

Der Fremde mit dem Schlägergesicht schien zu lächeln.

»Dann tragen Sie die Konsequenzen, Pal‘athor.«

Der Bildschirm erlosch.

Irakhem gab Befehl, die Pneumosessel aufzusuchen und sich anzuschnallen. Rotalarm gellte durch die TRAVERSANS EHRE. Auf den Projektorflächen der Panoramagalerie erschienen Irakhems neunzig Einheiten grün, Tereaghs Schiffe rot, und die Himmelskörper des Systems wurden als dreidimensionale Körper dargestellt.

Irakhem definierte eine Feuerlinie, zehn Lichtminuten von Traversan entfernt. Es dauerte nur wenige Sekunden. Er nahm Blickkontakt zu seinen wichtigsten Leuten auf. Der Feuerleitoffizier hatte seine Finger schon auf den Kontrollen liegen.

Als die roten Punkte die Linie überschritten, sagte Irakhem laut:

»Schwere Thermogeschütze 1 bis 8, Feuer frei.«

Die Welt schien um ihn herum unterzugehen.

Man wusste auf der anderen Seite, dass die traversanische Flotte nicht über hochrangige Kommando-Offiziere verfügte. Ein einziger Pal‘athor reichte nicht aus, um neunzig Schiffe sinnvoll zu befehligen. Tereagh schien das genau zu wissen, sonst hätte er nicht in so deutlicher Unterzahl den Angriff gewagt.

Die Impulstriebwerke rissen das Schiff vorwärts. Einige Gravos Restbeschleunigung schlugen durch, trotz der aktivierten Andruckabsorber.

Die Thermokanonen nahmen mit furchtbarer, körperlich fühlbarer Gewalt ihre Arbeit auf. Vor dem Schlachtkreuzer, der ihnen am nächsten stand, kreuzten sich die Bahnen aus Energie.

Irakhem war aus irgendeinem Grund sicher, dass sich genau dort Vere‘athor Tereagh an Bord befand.

Die Feueroffiziere korrigierten selbständig die Schussweite. Als sich die Bahnen ein zweites Mal kreuzten, erwartete Irakhem, den Schlachtkreuzer explodieren zu sehen.

Aber nichts dergleichen geschah. Das Schiff war plötzlich fort. Es hatte sich mit einem unerwarteten Manöver nicht von der TRAVERSANS EHRE entfernt, sondern war nahe herangerückt!

Ein donnerndes Geräusch lief durch das Schiff. Irakhem fühlte sich herumgerissen und in die Gurte gepresst. Dann erwiderten sie das Feuer.

»Auf die Nahortung achten!«, brüllte er. »Sie sind an uns dran! Unsere Flankeneinheiten können nicht feuern, ohne dass wir getroffen werden!«

Vor Irakhems Augen platzte ein Bildschirm. Ein Splitterregen ergoss sich über die Zentrale.

»Schirmauslastung 120 Prozent!«, hörte Irakhem einen Offizier schreien. »Steigend! 145 … 150 …!«

Wir müssen aus dem Feuer heraus, kommentierte sein Extrasinn nüchtern. Eigene Treffer sind im Moment zweitrangig.

Irakhem kommandierte:

»Feuer einstellen! Eingesparte Energie auf die Schutzschirme leiten! Triebwerke volle Kraft Gegenschub!«

Noch einmal schien es, als gehe die Welt unter – als die Impulstriebwerke das riesenhafte Kugelschiff auf Gegenkurs rissen.

Irakhem sah den feindlichen Raumer in kurzer Entfernung auf dem Schirm erscheinen.

Und im selben Augenblick eröffnete ihr Flankenschutz das Wirkungsfeuer. Der 500-Meter-Raumer der Fusufklasse, der eben noch um ein Haar ihr Ende herbeigeführt hätte, verging in einer lautlosen, optisch wunderbaren Explosion, die sechshundert Arkoniden der Gegenseite das Leben kostete.

»Pal‘athor? Sind Sie in Ordnung?«

Er spürte, dass zwei Sorten Flüssigkeit seine Wangen hinabrannen. Die erste war das typisch arkonidische Tränensekret der Erregung, und die zweite war Blut. Er hatte eine Schnittwunde an der Stirn, durch die herumfliegenden Splitter des geplatzten Monitors.

»Gefechtsfähig!«, erklärte er knapp. »Machen Sie sich keine Sorgen, Orbton.«

Irakhem versuchte, sich zu beruhigen. Solange er im Kopf nicht klar war …

Den Luxus der Ruhe kannst du dir nicht leisten, Narr! Triff Entscheidungen! Du wirst damit leben müssen, dass du Fehler begehst!

Irakhem kniff die Lippen zusammen. Er versuchte, von nun an auf alles gefasst zu sein. Wenn sie Glück hatten, war mit Vere‘athor Tereagh der intelligenteste Gegner bereits tot.

Die Panoramagalerie zeigte Abschüsse und Opfer an. Bis zum jetzigen Zeitpunkt hatte der Feind – denn nichts anderes war dieser Verband vom Stützpunkt BRY 24 – zwei Schiffe verloren. Von Irakhems Verband waren dagegen nur noch achtzig Schiffe übrig.

Er verstand mit einem Mal, warum Tereagh sich eine Chance ausgerechnet hatte. Es war eine furchtbare Erkenntnis. Der Mangel an Kommando-Offizieren wirkte sich mit einem brutalen Blutzoll aus.

Irakhem verzichtete dennoch darauf, die Beiboote auszuschleusen. Ihr Einsatz stellte ein potentielles Opfer dar, das er als unnötig ansah; er war sicher, dass sie es noch schaffen würden.

Eine Raumschlacht war ein seltsames, schwer zu durchschauendes Ereignis. Zwei Schiffe gegeneinander antreten zu lassen erforderte bereits Fingerspitzengefühl. Die physikalischen Werte der Ortung in eine konkrete Vorstellung umzusetzen war eine Sache des Abstraktionsvermögens.

Drei Schiffe erforderten das Neunfache, vier Schiffe bereits das Sechzehnfache an Konzentration. So lehrte es die Galaktonautische Akademie – und Irakhem hielt diese Werte für eher untertrieben.

Neunzig Schiffe gegen zwanzig schien auf den ersten Blick ein leichtes Unterfangen zu sein. Aber das war es nicht. Pyrius Bit hatte einen Eliteverband geschickt.

Die Schlacht dauerte zehn Minuten, und am Ende hatte Irakhem zwanzig unersetzliche Einheiten verloren. Von den Raumern der Gegenseite war nichts mehr übrig.

Die TRAVERSANS EHRE ging leicht beschädigt auf dem Raumhafen von Erican nieder. Irakhem betrachtete die Hülle aus beschussverdichtetem Arkonstahl, die ein Dutzend frische Narben davongetragen hatte.

In einem offenen Gleiter wartete am Rand des Landefeldes eine hochgewachsene Gestalt. Nert Kuriol trug seine blauschwarze, mit Protectorschalen verstärkte Raumrüstung.

»Irakhem! Ich beglückwünsche Sie!«, hörte er die sonore Stimme des Nert. »Ihr erster Sieg als Flottenführer!«

Irakhem kam mit hängenden Schultern heran.

»Ihr wisst genau, Nert, dass das nicht der Wahrheit entspricht. Ich habe zwanzig Verluste erlitten.«

Kuriol sagte hart:

»Niemand konnte es anders erwarten. Enttäuschen Sie mich nicht durch unrealistische Erwartungen. Ich erinnere mich, als ich selbst jung war … Sie sind ein junger Heißsporn, Irakhem. Risikofreudig, fachlich kompetent, jedoch zwangsläufig nicht mit der taktischen und strategischen Erfahrung eines altgedienten Kommandanten ausgestattet.«

Die beiden Männer schwiegen eine Weile. Leka-Disken donnerten über sie hinweg; Mannschaftstransporter und Reparaturpersonal wurden zu den gelandeten Einheiten gebracht.

»Was ich nicht verstehe, Nert Kuriol: Was hat Pyrius Bit bewogen, uns nur zwölf Schiffe zu schicken? Musste er nicht wissen, dass wir dieses Scharmützel gewinnen würden?«

»Zweifellos, Pal‘athor … Dem Sonnenkur bedeuten zwölf verlorene Schiffe nichts. Er kann sie verschmerzen. Bit hat die Mannschaften in den Tod geschickt, um vor dem Imperator eine umso bessere Legitimation zu besitzen. Nun muss er Traversan vernichten, er hat gar keine andere Wahl. Wenn es nachher noch Überlebende gibt, die auf dem Gerichtsplaneten Celkar Klage erheben könnten, dann haben sie ab jetzt keine Aussichten mehr auf juristischen Erfolg.«

Wieder herrschte eine Weile Schweigen. Irakhem dachte an die Besatzungen der zwanzig verlorenen Schiffe.

»Die zweite Welle wird bald folgen«, sagte er tonlos.

»Ja, Pal‘athor.«

»Dann werden sie uns vernichten.«

»Zweifellos.«

Nert Kuriol da Traversan blinzelte in die tiefstehende Sonne. Seine schulterlange, wallende Mähne wurde von einem Windstoß aufgewirbelt.

»Ich bin alt. Es ist ohne Belang. Aber vielleicht finden wir noch eine Möglichkeit, wie wir unsere jungen Leute retten können.«

»Ich kann nur …«

»Warten Sie, Pal‘athor!«

Ein durchdringendes Geräusch drang aus Kuriols Cape. Der Fürst zog einen Interkom mit handtellergroßem Display hervor.

»Kuriol«, meldete er sich ungehalten. »Was gibt es?«

Irakhem konnte über Kuriols Schulter das verwirrte Gesicht eines Adjutanten erkennen. »Erhabener, ich habe eine seltsame Ortung zu melden! Wir fangen aus der Yssods-Wüste Signale auf, die für unsere Spezialisten nicht zu deuten sind!«

Kuriols Kopf ruckte herum.

Irakhem fühlte sich von den tiefroten Augen des alten Nert fixiert.

»Kann es sein, dass einem Schiff des Gegners die Landung gelungen ist?«

 

»O nein!«, entgegnete Irakhem im Brustton der Überzeugung. »Ausgeschlossen. Was immer da los ist, es hat mit unserem Gefecht nichts zu tun!«

Der alte Nert dachte eine Weile konzentriert nach. Irakhem vermutete, dass er mit seinem Extrasinn stumme Zwiesprache hielt. Dann kündigte Kuriol an:

»Ich werde Prinzessin Tamarena schicken. Das Phänomen muss untersucht werden.«

»Ist das nicht zu …«

Irakhem unterbrach sich mitten im Satz.

»Zu gefährlich?«, wollte Kuriol wissen. »Sie enttäuschen mich, Irakhem. Tamarena kann besser auf sich aufpassen als wir alle.«