Kleine Geschichte des Hörspiels

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RADIOITIS

Das Weimarer Hörspiel war auch in seiner ersten Blütezeit keine Leitkultur, sondern stand hinter dem Buch, dem Theater und wohl auch dem Kino; es wurde in Radiozeitungen und auf Radioseiten angekündigt und kritisiert, fand aber im Feuilleton keinen Platz. Es war eben (nur) ein Teil eines ständigen Programms. Wer Hörspiele hören wollte, musste sich nach dem Programm und den Sendezeiten richten – oder darauf verzichten. Das Hörspiel wurde zu Hause und vor allem in alltäglichen Situationen gehört. Die Rezeption war deshalb immer wieder vielfältigen Störungen ausgesetzt, das konzentrierte Zuhören nicht immer möglich. ›Radioitis‹ nannte man bereits in der Weimarer Republik den unkonzentrierten Umgang mit dem Funk (der seit den 1960er-Jahren dann zum Nebenbeihören und seit der Jahrtausendwende zur Tagesbegleitung veredelt wurde). Aus Arbeiterfamilien etwa wurde über große, alltägliche Ablenkungen berichtet: »Gewiss, der Arbeiterhörer konnte Rundfunk hören«, klagte die Radiozeitung Arbeiterfunk, »aber wie! Da waren die Kinder, die im engsten Raume sich auf ihre lärmende Art unterhielten, da war die Frau, die ihre Hausarbeit nicht immer lautlos erledigen konnte, da war der Mann, der seine Handwerksarbeiten machte, es gab religiöse Ablenkungen. So kam der Arbeiterhörer sehr schnell dazu, nur die leichteste Musik einzustellen, weil er diese selbst noch trotz der größten Ablenkung wenigstens genießen konnte. Gegen Vorträge protestierte gewöhnlich die ganze Familie […] Wer mochte sich auf ein schweres Musikwerk konzentrieren, wo oft schon Hörspiele ungenießbar sind […] 49,8 Prozent, das ist fast genau die Hälfte aller auf unseren Fragebogen antwortenden Hörer, können also nie konzentriert hören« (LATAY 1931: 221). Nach ›des Tages Last und Arbeit‹ sollte deshalb ›Fröhliches‹ gesendet werden: Unterhaltung, Anregung, Aufmunterung, Erbauung. Das Interesse an ›gewagten Experimenten‹ hingegen war bei den ›normalen‹ Hörern eher gering. Diese Programmvorgabe musste auch von den Hörspielmachern berücksichtigt werden.

FRÜHE HÖRSPIELFORSCHUNG

Das zentrale Interesse der frühen kunstinteressierten Hörspieler bestand in der akustischen Anbindung an die etablierten Künste ›Epik‹, ›Lyrik‹, ›Dramatik‹ – und so begriff man das Hörspiel früh als literarische Mischform. Doch ausgerechnet die Dichter blieben zurückhaltend und ihrer schriftsprachlichen ›Gutenberg-Galaxis‹ verbunden. 1929 sprachen Intendanten und Schriftsteller auf der Tagung ›Dichtung und Rundfunk‹ erstmals miteinander (auch) über Hörfunk und Hörspiel, doch große Veränderungen brachte die Versammlung nicht. 1930 schrieb Hermann Pongs die erste wissenschaftliche Arbeit über das junge Hörspiel – an der Technischen Hochschule Stuttgart. Er konnte sich zwar auf eine Vielzahl von Autoren berufen, doch sein Resümee blieb zurückhaltend: »Eine Reihe bekannter Schriftsteller haben in den letzten Jahren besondere Hörwerke für den Rundfunk verfasst: Brecht, Bronnen, Ehrler, Heynicke, Mehring, Kesser, Kästner, Kyser, Reinacher, W. E. Schäfer, A. Schirokauer, Fr. Wolf u. a. Hunderte von Hörspielen unbekannter Autoren lagern als Schreibmaschinenmanuskripte oder Regiedrucke bei den Funkstellen und Verlagen, nachdem sie einmal gesendet worden sind. Wenn sich trotzdem eine eigentliche Hörwerkliteratur noch kaum gebildet hat, und noch heute jedes neue Hörspiel nach einmaliger Sendung abgesetzt zu werden pflegt, so zeigt sich darin die ganze Ungeklärtheit im Verhältnis von Rundfunk und Dichtung, die eigentümliche Zwiespältigkeit, ja Zweifelhaftigkeit im Wesen der Rundfunkaufgabe und Wirkung: Sie will Kunst, aber sie will zugleich die Sensation der Neuheit für die Masse. Sie begünstigt, dadurch Zwittergebilde künstlerischer Art, die den Dilettantismus anlocken müssen, und die ernsthafte, schöpferische Bewältigung des gebotenen Materialstils nicht zur Entfaltung kommen lassen« (PONGS 1930: 5).

PROFESSIONALISIERUNG DER HÖRSPIELABTEILUNGEN

Spätestens seit Richard Kolbs Horoskop des Hörspiels (1930f.) galt das Hörspiel als die ›Krönung des Funks‹. Kolbs Vorbild war Reinacher und sein Ideal war der konzentrierte, unabgelenkte Hörer. Anfang der 1930er-Jahre wurde die Hörspielarbeit deutlicher in redaktionelle Strukturen eingebunden. In Berlin waren Anfang 1932 Alfred Braun, Arnolt Bronnen, Gerd Fricke und Max Bing fürs Hörspiel zuständig, in Leipzig Eugen Kurt Fischer, Arno Schirokauer, Kurt Arnold Findeisen und Hans Peter Schmiedel, in München Hellmuth Habersbrunner und Otto Framer, in Königsberg Walther Ottendorf und in Köln Rudolf Rieth und Josef Kandner. In Stuttgart, Frankfurt, Hamburg und Breslau gab es noch keine nur fürs Hörspiel Verantwortlichen. Mit dieser Professionalisierung ließ einerseits das Interesse an musikalischen Hörspielformen nach, die Entwicklung schien spätestens 1932 zu stagnieren und auch die Suche nach einer absoluten Radiokunst wurde nicht fortgesetzt. In der frühen Hörspieltheorie dominierte zunehmend die literarische Anbindung der Radiokunst: »Das reine Hörspiel«, so schrieb Eugen Kurt Fischer 1932, »ist Wortkunstwerk. Es bedarf der Geräuschkulisse so wenig wie der Musik« (TIMPER 1990: 25).

HÖRSPIELKRISE

Der Eindruck einer blühenden, allseits gelobten Hörspiellandschaft gegen Ende der Weimarer Jahre wäre freilich trügerisch. »Nach der wilden, geräuschvollen Euphorie der Frühzeit (brachen) […] seltsamerweise im Theoretischen erst einmal Enttäuschung und Katzenjammer aus und hielten sich bis in die Jahre 1931/32« notierte Schwitzke (1963: 71) später. Und in der Tat waren die Klagen vielfältig. Hans Flesch fehlte das Originäre: »Im vergangenen Jahr wurden von den deutschen Sendern 854 dramatische Sendespiele gebracht, davon waren 321 Theaterstücke und 533 für den Funk geschriebene Hörspiele […] Ich kann mir nicht helfen, ich finde, wir sind im achten Jahr des Rundfunks der Erfüllung unserer großen Sehnsucht nach der funkdramatischen Eigenform ferner, als wir das etwa vor vier Jahren glaubten« (FLESCH 1931: 73). M. Felix Mendelsohn klagte: »Man kann geradezu von einer Krise des Hörspiels sprechen, die nach außen dadurch in Erscheinung tritt, dass man dem Funkwerk den Weg zur Hörerschaft verwehrt und sich mit erprobten Bühnenstücken begnügt. Die ganze Aktion um das Hörspiel ist zum Stillstand gekommen« (MENDELSOHN 1932: 201). Und Arno Schirokauer, der Leipziger Hörspielmann, machte 1932 die für das Hörspiel der späten Bundesrepublik wohl folgenreichste Bestandsaufnahme: »Der ›Begriff Hörspiel‹ […] gestattet jedem, ›alles was er will oder kann, darunter‹ zu verstehen: ›Ist Hörspiel das hörbar gemachte Schauspiel? Die Übersetzung des Seelendramas ins Akustische? Muss es vor dem Mikrofon spielen wie das Schauspiel vor dem Parkett? Muss es überhaupt spielen oder ist es Zeitung, die statt Buchstaben Stimmen in die Ohren der Hörer drückt? Vermittelt es Erkenntnis? Dient es der Belehrung und zugleich der Unterhaltung? Man sendet […] Hörberichte, Lyriken, Urkunden, Zeugnisse, Belehrungen und Traumdichtungen […] Das alles gibt es, und es gibt niemanden, der behaupten kann, ein einziger dieser Bestandteile sei für das Hörspiel verboten‹« (KARST 1991: 5).

Bis 1930 entstanden alle Hörspiele als Livesendung in den Studios, und gerade in der ›Einmaligkeit‹ der Darbietungen wurde ›das Beste‹ des Rundfunks gesehen. Obwohl die akustische Qualität der Mittelwellenhörspiele mäßig und die Technik unterentwickelt waren, wurde die Einführung des ›Schallplattenhörspiels‹ keineswegs euphorisch begrüßt. »Die Schallplatte nimmt der Wiedergabe der Dichtung jede individuelle Verschiedenheit, die aus der persönlichen Auffassung des Hörspielers oder des Sendeleiters hervorgeht.« Der »Hauptvorteil des Funks«, die »Illusion der Gleichzeitigkeit des Erlebens«, schwinde dahin und die »Lebendigkeit der Kunst« gehe verloren (KOLB 1932: 81). Die Integration von Originaltönen in Hörspiele wie Hermann Kessers Straßenmann (Berliner Funk-Stunde 1930) blieb die Ausnahme. Und siehe da: »Die meisten Hörer wussten nicht, dass sie Platten gehört hatten« (KRUG 1992: 334).

AUDIOKUNST

Die erste vollständige Montage aus Geräuschen, Musikfetzen und Sprachpartikeln wurde in Berlin und Breslau am 13. Juni 1930 (21.00 Uhr) urgesendet: Der Filmemacher Walter Ruttmann begründete mit seinem auf Tonfilmstreifen aufgezeichneten Kurzspiel Weekend (11 Minuten 10 Sekunden) die Tradition des akustischen O-Ton-Hörspiels – und hob die Trennung zwischen Autor und Regisseur auf. Sein von Magnus und Flesch beauftragtes Stück bestand ausschließlich aus Geräuschen und Tönen. Es erzählte keine Geschichte und war auch keine Unterhaltung. Die Montage aus 240 Einzelstücken auf 250 Lichttonfilmmetern war ein akustisch – nicht literarisch – orientiertes Experiment und wurde von den Zeitgenossen kaum wahrgenommen. »In wenigen Minuten zieht diese Sinfonie der Geräusche vorüber und vermag trotz fehlender Handlung und scheinbarer Zusammenhanglosigkeit doch ein Bild zu vermitteln, das die Absicht des Autors erkennen lässt. Die Eigenart und Neuheit der Idee wird sicherlich die meisten Hörer bewogen haben, auch die Wiederholung dieses Tonfilms nach den erklärenden Worten des mit großer Liebe für diesen Versuch sich einsetzenden Intendanten Flesch anzuhören. Die akustischen Mängel sind allerdings ganz erheblich, denn es dröhnten Geräusche aus dem Lautsprecher, die auch das funkgeübteste Ohr und die kühnste Fantasie nicht zu deuten weiß«, notierte die Ostdeutsche illustrierte Funkwoche aus Breslau. Ende der 1960er-Jahre war Ruttmann eine Art Geheimtipp unter den Anhängern des Neuen Hörspiels. Eine Kopie der Weekend-Aufnahmen wurde erst 1978 in New York gefunden und 2000 auch als CD zugänglich gemacht.

3.2ZWISCHEN LITERATUR UND PROPAGANDA

Nach 1933 veränderte sich die Rundfunklandschaft grundlegend, die Veränderungen im Hörspiel aber waren offenbar geringer. »Speziell« für das Hörspiel war das Jahr »nur bedingt eine Zäsur« (DÖHL 1992: 1). Hermann Kasacks Der Ruf etwa, eines der letzten Weimarer Hörspiele, kam Anfang 1933 erneut ins Programm und wurde kurzzeitig eines der erfolgreichsten Spiele. Doch nun inszenierte Ottoheinz Jahn das Arbeitslosenspiel und ließ es mit Adolf Hitler enden. Kasack, der dagegen protestierte, erhielt Sendeverbot.

 

ZWEI PROZENT DES PROGRAMMS SIND HÖRSPIELE

Das Hörspiel konnte auch nach 1933 seinen Anteil am Gesamtprogramm bei zwei Prozent halten und war dennoch nicht unumstritten. Bereits 1933 gab es Debatten um eine Reduzierung des Hörspielangebots. Die Spanne der Honorare war inzwischen gewachsen, bewegte sich zwischen 40 RM und 3.000 RM, der Durchschnitt dürfte bei 500 RM gelegen haben. Ende 1933 hatten fast alle Sender eigene Hörspielabteilungen, aber 1934 gab es weder Hörspieldramaturgen noch Mitarbeiter, die sich ausschließlich dem Hörspiel widmeten. Ausgesprochene Hörspielautoren waren auch im ›Dritten Reich‹ eine Ausnahme – und wurden nicht gern gesehen. »Es gibt […] Rundfunkautoren«, kritisierte Gerd Eckert, einer der damals bedeutendsten Hörspieltheoretiker und -beobachter, »die es in wenigen Jahren auf dreistellige Zahlen in ihrer Hörspielproduktion gebracht haben. Diese Werke sind es, die den Begriff ›Hörspielmanie‹ entstehen ließen, die das Hörspiel in Misskredit brachten. Wer es wirklich ernst mit dem Hörspiel meint, der schreibe nicht nur Hörspiele […] Es ist gewiss kein Zufall, dass die wahren Hörspieldichtungen von solchen Schriftstellern kamen, die nicht nur für den Rundfunk schrieben« (ECKERT 1940: 30f.).

Die regionale Prägung der Programme ließ nach 1933 nach. Breslau und Köln verloren ihr Profil, nachdem die Intendanten und programmprägenden Hörspielpioniere Bischoff und Hardt entlassen worden waren. Die Berliner Funkstunde entließ Intendant Flesch bereits 1932, ihm folgte auf diesem Posten für kurze Zeit Hörspieler Kolb. 1933 musste auch Alfred Braun gehen. Ansonsten blieben die »alten Literatur- und Hörspielabteilungen« (SCHWITZKE 1963: 182) weitgehend erhalten. Dafür stieg die Bedeutung des Deutschlandsenders, der ein repräsentatives Reichsprogramm über Langwelle ausstrahlte. Harald Braun, seit 1932 Leiter der literarischen Abteilung, und – seit 1924 schon in Frankfurt dabei – Gerd Fricke waren nun die einflussreichsten (Berliner) Regisseure, man nannte sie damals ›Spielleiter‹; andernorts wirkten Curt Baumgarten, Herbert Engler, Eugen Kurt Fischer, Rudolf Mirbt, Werner Pleister (der dann 1952 mit einer Rede das Nachkriegsfernsehen eröffnete) oder Rudolf Rieth.

PERSONELLE KONTINUITÄTEN

Schwitzke hat überraschenderweise die Zeit bis 1936 zur ersten Blütezeit des literarischen Hörspiels gerechnet und damit vor allem die fortwährende Orientierung des Hörspiels an der Literatur hervorgehoben. Und in der Tat gab es Kontinuitäten. Einige Weimarer Autoren blieben auch nach 1933 beim Hörspiel: Reinacher war – trotz Entlassung 1933 – mit Ursendungen im Programm, Johannsen ebenso; Eich schrieb nicht nur die – später in die Lindberghflug-Tradition gestellte – ›Märchenoper für den Funk‹ Das kalte Herz (DS, 24.3.1935; Musik: Mark Lothar). Er schuf zwischen 1933 und 1940 über fünfzig Hörspiele und eine Fülle von Serienbeiträgen etwa für den ›Deutschen Kalender‹, wurde zu einem der produktivsten und beliebtesten Hörspielautoren und konnte bis 1940 fast ausschließlich von seinen Hörspielen leben. Eher unbekannt, doch weiterhin aktiv blieb Fred von Hoerschelmann; Paul Alverdes schrieb Hörspiele, Josef Martin Bauer schuf mit Das tote Herz das erfolgreichste (LEONHARD 1997: 1181) Hörspiel der NS-Zeit. Walter Bauer, Richard Billinger, Walter Erich Schäfer, Willi Schäferdiek (Der Trommler Gottes; WERAG 1933), Georg von der Vring und Ernst Wiechert konnten weiterproduzieren. Hans Rehberg wurde sehr produktiv. Einbrüche und Abbrüche gab es andernorts: Die wenigen sozialistischen Hörspiele blieben eine kurze Weimarer Episode – und erst das DDR-Hörspiel bezog sich wieder auf dieses Erbe; wortlose Experimentalstücke wie Ruttmanns Weekend gab es nach 1933 nicht mehr; die einst prägenden Regisseure Bischoff, Alfred Braun oder Hardt konnten keine Regie mehr machen; auch Flesch war entlassen worden, Autoren wie Brecht, Kesser, Döblin oder Wolf wurden nicht mehr gesendet.

NEUE HÖRSPIELAUTOREN

Stattdessen kamen neue Autoren zum Hörspiel: Peter Huchel schrieb 1933 sein erstes Hörspiel Dr. Faustens Teufelspakt und Höllenfahrt, arbeitete dann vor allem für den Funk und gehörte zu den meistgesendeten Autoren; Horst Lange wurde ein viel gesendeter Autor. »Der Radioerstling des Shakespeare-Übersetzers und Ufa-Dramaturgen Hans Rothe geriet zum Publikumserfolg. Nach Ablauf des Jahres unternahm der Deutschlandsender Berlin eine Hörer-Umfrage nach dem beliebtesten Hörspiel des Jahres 1935. Verwehte Spuren, 3. Juni 1935 (DS) gelangte […] auf den ersten Rang. 1936, bei gleicher Gelegenheit, war es bereits zum ›Klassiker‹ avanciert. Auf der Beliebtheitsskala rangierte es wiederum an erster Stelle« (KARST 2002: 87). Das Spiel wurde im Ausland realisiert, es folgten Film-, Theater- und Romanversionen des Stoffes. »Nahezu bruchlos fand die Erfolgsgeschichte des Hörspiels nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Fortsetzung« (KARST 2002: 87f.). 1938 folgte der gleichnamige Film. Rothe setzte Döblins mehrmediale Medienpraxis fort: vom Hörspielstoff zur Theater-, Film- und Buchvorlage.

Es ist auffallend, wie stark das Hörspiel nach 1933 de facto zur ersten Kunstform wurde. Wenn es um Erlebnisse für die ›Gemeinschaft‹ ging, wenn Breitenwirkung erwünscht war, dann wurde zunächst (und im nationalen Rahmen) auf die Hörspielform gesetzt. Die bisher übliche Zweitauswertung etablierter Formen im Hörfunk ging zurück, die Radiosendungen bekamen Priorität: Hanns Johsts Schlageter (DS, 1.3.1933) etwa war zunächst im Hörfunk zu hören (und wurde dort auch wiederholt) – und kam erst dann in die Theater; Richard Euringers Sprechoratorium Deutsche Passion 1933 war ursprünglich als Hörspiel konzipiert, wurde am 13. April 1933 in der ›Stunde der Nation‹ über alle deutschen Sender ausgestrahlt und dann als Bühnenwerk und als Buch ein Renner; viele Thing- und Gemeinschaftsspiele wurden zuerst im Rundfunk gesendet. »Das Hörspiel lebt und wird so lange eine nicht zu übersehende Tatsache sein, wie es einen Rundfunk geben wird«, schrieb Ernst Johannsen (1934: 75). »Die gleichen Kritiker, Schriftsteller, Dichter und Regisseure, die früher den Film indiskutabel fanden, fühlen sich heute geehrt, wenn sie für ihn arbeiten dürfen, und es wird die Zeit kommen, wo jene Schriftsteller, die ›nicht so recht an das Hörspiel glauben‹, oder jene Schauspieler, die die Funkbühne nur als Nothafen betrachten, das Hörspiel ebenso ernst nehmen wie das Bühnenstück oder den Film. Dazu gehören nur eine gewisse Zeit und der Erfolg von Hörspielen und Sprechern. Prominente Schauspieler lehnen es bereits nicht mehr ab, im Rundfunk zu sprechen; Hörspielstoffe wandern bereits zur Bühne, zum Film. Auch die Presse hat das anfängliche Schweigen schon ein wenig aufgegeben. Wer das Hörspiel nicht ernst nimmt, der kann selber nicht mehr ernst genommen werden, weil er vor einer lebenskräftigen Tatsache die Augen verschließt« (ebd.: 75). Und in der Tat scheint die Zahl der Hörer nicht gering gewesen zu sein. »Da das Hörspiel in der Zeit sehr gewirkt hat«, so Eckert später, »muss man sagen, dass jeder zweite [Hörer HJK] regelmäßig Hörspiele hörte, also sechs bis sieben Millionen« (DÖHL 1992: 87).

POLITISCHE HÖRSPIELE UND PROPAGANDASTÜCKE

Nach 1933 sollte das Hörspiel nicht nur »Unterhaltung und künstlerische Erbauung« bieten; »[e]s füllt sich ein Teil des Hörspielplanes mit kämpferischen Stücken in neuer Form, mit Hörwerken, die Bekenntnis, Gelöbnis, Aufruf, Kampfansage, Empörung, satirische Widerlegung sind« (WESSELS 1985: 248), so Programmmacher Fischer in der Hörfunkzeitschrift Werag. Und Ottoheinz Jahn, Dramaturg beim Deutschlandsender und Regisseur, schrieb 1933: »Eine jähe Welle hat die alten Pfahlbauten der Literaturästhetik über den Haufen geworfen. Abseits von den verlorenen Lagern eines liberalistischen Freibeutertums beginnt ein neuer bewusster Aufmarsch. […] Der Rundfunk hat eine fest umrissene Aufgabe übernommen, die tägliche Sammlung, Ordnung, Darstellung des nationalen Kulturgutes […] Das Hörspiel, als vollkommene Darstellungsform des Rundfunks muss im Wechsel seiner Inhalte am stärksten eine Linie einhalten, über alle Aufführungen hin ein festes Band tragen: die geistige Durchdringung der jungen Volksbewegung« (JAHN 1933: 507).

Seit 1933 wurden Hörspiele gerne im Schulfunk und vor allem in der ›Stunde der Nation‹ gesendet. Es waren immer wieder Propagandastücke, die ein »Neuland des Hörspiels« (RICHTER 1933: 419) erschlossen: Schlageter (1.3.1933) von Hanns Johst, Deutsche Passion 1933 von Richard Euringer (13.4.1933), Sonnenberg (19.4.1933) von Arnolt Bronnen, Annaberg von Kurt Eggers (21.5.1933) oder Wir bauen eine Straße (5.8.1933) von Peter Hagen und Hans Jürgen Nierentz (Regie: Werner Pleister). Gesendet wurde zur besten Sendezeit zwischen 19 und 20 Uhr, deutschlandweit und mit großer Wirkung. Gemeinschaftstücke, chorische Spiele und Thingspiele waren vorherrschend. Zudem wurde erstmals an Originalschauplätzen, d. h. außerhalb des Studios, produziert.

Am 1. Mai 1933 wurde das erste Hörspiel gesendet, das alle deutschen Sender übertrugen und das auch Nichthörer erreichen sollte. Im Rahmen des 24-Stunden-Radioprogramms zum ›Tag der nationalen Arbeit‹ wurde auch das Auftragswerk Symphonie der Arbeit von Hans Jürgen Nierentz nachmittags um 16.10 Uhr und zwischen politischen Live-Übertragungen gesendet. Zeitgenossen nannten das Hörspiel im chorischen Stil »richtungsweisend für junge Funkdichtung« (DÖHL 1992: 137). An diesem Tag waren deutschlandweit, selbst in den kleinsten Dörfern (KRUG 2018), auch Lautsprecher öffentlich aufgestellt, die das Reichsprogramm übertrugen. Das Hörspiel wurde also nicht nur privat vor dem Radioapparat gehört, sondern auch kollektiv; es bot – für dreißig Minuten – auch den Sound des Landes.

»Bereits Ende 1933 wurden beim Berliner Deutschlandsender (DS) 98 Prozent der eingereichten Hörspielmanuskripte sofort abgelehnt, 1938 wurden gar 99,5 Prozent der Hörspielsendungen über Aufträge gedeckt« (LEONHARD 1997: 1195). Dennoch wurden zwischen 1935 und 1942 Hörspielpreisausschreiben initiiert, um neue Autoren zu ermitteln und das Hörspiel als ›Führungsmittel‹ zu etablieren. Die technische Ausstattung der Studios verbesserte sich enorm – und man dachte darüber nach, Hörspiele auf Schallplatte festzuhalten. 1935 wurde in Berlin der erste ›Hörspielkomplex‹ eingerichtet: Regiezelle, Sendesaal, schalltoter Raum. Seit 1938 wurde bei Funkproduktionen das Magnetofon bevorzugt.

Das politische Hörspiel blieb eine (nie dominante) Episode, auch 1933 gab es ›Entspannung‹ im Radio. Unterhaltungsstücke wie Alfred Karraschs Winke, bunter Wimpel (DS, 9.8.1933) gehörten sogar zu den beliebtesten und rasch klassischen Spielen. Mit Werner Plückers Kurzhörspiel Die Münchener Geiselmorde wurde im Herbst 1933 die »Geburt einer neuen Hörspielgattung« (WESSELS 1985: 503) gefeiert – und fortan gefördert. »Das Hörspiel«, so Fischer 1942, »stellt an den Rundfunkhörer so große Anforderungen, dass die ständige Verringerung seiner Sendedauer eine Selbstverständlichkeit war. Wagte man vor acht bis zehn Jahren noch abendfüllende Spiele zu bieten, so dauerten die letzten wesentlichen Spiele des Jahres 1939 vierzig bis fünfundvierzig Minuten und das politische und propagandistische Spiel des ersten Kriegsjahres blieb oft auf fünfzehn bis dreißig Minuten beschränkt« (FISCHER 1942: 79). Anders als in der Weimarer Republik gab es im Nationalsozialismus keine Hörspielkritik mehr. Erstmals kamen eigenständige Hörspielbücher in größerem Ausmaß auf den Markt; 1938 veröffentlichten Hans Kriegler und Kurt Paquet Das Hörspielbuch. Nicht selten wurden Theaterstücke zunächst im Hörfunk urgesendet und kamen erst dann in die Theater. Auch die Wissenschaft beschäftigte sich – vor allem nach 1940, als es nur noch wenige Hörspiele gab – intensiver mit der Radiokunst. ›Hörbericht, Hörbild, Hörspiel‹ oder ›Das Hörspiel‹ waren Vorlesungsthemen am Rundfunkwissenschaftlichen Institut der Universität Freiburg. Hörspielsprecher waren nach 1933 nicht nur unbekanntere Schauspieler. Gisela von Collande, Volker von Collande, Paul Dahlke, René Deltgen, Elisabeth Flickenschildt, Albert Florath, Heinrich George, Gustaf Gründgens (Paul Apel: Hans Sonnenstössers Himmelfahrt, 1937), Gustav Knuth, Wolfgang Kieling, Hilde Körber, Theo Lingen, Bernhard Minetti, Lola Müthel, Fritz Rasp, Hannelore Schroth, Paul Wegener, Grethe Weiser und Paula Wessely waren schon lange vor 1945 Hörspielsprecher.

 
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