Zwei gegen Ragnarøk

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Sie nahm Hildas Gesicht in ihre Hände und küsste die Tochter auf den verschmierten Mund. Da musste selbst Hilda lachen, als sie sah, dass nun auch ihre Mutter ein dreckiges Gesicht hatte.

Gerda stand lächelnd daneben und rief den anderen Frauen zu: „Macht mal Feuer unter dem großen Kessel und tüchtig viel Wasser rein. Den großen Holzbottich braucht ja wohl heute niemand, dann packen wir Hilda rein und machen aus ihr ein neues Mädchen.“

Ein paar Frauen stimmten freudig zu; das war ja etwas Abwechslung und Gerda klatschte vor Freude in die Hände. „Ja, Mädels, jetzt wird es lustig!“

Mutter Hilda beruhigte ihr Töchterchen und begann, ihr behutsam, die bemodderte Kleidung auszuziehen. Gerda und die anderen Frauen füllten einen Kessel und schoben einen riesigen Holzbottich, der immer für den Badespaß benutzt wurde, in die Nähe des großen Feuers.

Eine der Frauen kam mit einem Fell und hängte es Hilda um die Schultern. Sie tätschelte Hildas Wange und sagte: „Hildchen, hier, nimm, damit du nicht frierst, bis das Wasser warm ist.“

Elfa setzte sich neben Hilda und lachte sie an: „Wenn du mich lässt, komme ich mit in den Bottich. Ich bade so gerne.“

In der Vorfreude auf das gemeinsame Bad begann Hildas Gesicht wieder zu strahlen und alles Leid war vergessen. Sie freute sich jetzt richtig auf den Badespaß, weil es mit Elfa zusammen viel lustiger war, als alleine in dem Bottich abgeschrubbt zu werden.

Plötzlich stand auch Kibba, die kleine Schwester vom dicken Arnor bei ihnen und grinste über das ganze Gesicht. „Ich habe gehört, dass heute gebadet wird. Da will ich auch mitmachen.“

Hilda guckte verwundert. „Spricht sich das im ganzen Dorf herum, wenn ich mal baden muss? Kibba, du bist ja gar nicht dreckig“

Kibba lachte laut auf: „Das kann ich aber ganz schnell machen. Ich kann mich so schnell dreckig machen, so schnell kannst du gar nicht gucken. Meine Mutter sagt das jedenfalls immer. Schau mal!“, und sie wischte mit beiden Händen über den Fußboden und anschließend schmierte sie sich den Dreck ins Gesicht.

Die umstehenden Frauen kreischten laut auf und Kibbas Mutter, Birta, rief: „So, so, sag ich das immer?“, dann prustete sie auch laut los, bis sie sich an ihrem eigenen Lachen verschluckte.

Hildas Mutter rief: „Na dann Mädels, zieht mal die Sachen aus. Wir schrubben euch gemeinsam durch, bis ihr wie Silberstücke glänzt“ – und sie hielt dabei eine dicke Wurzelbürste hoch.

Hilda war froh, dass sich ihr Ärger und die Pein in dieser fröhlichen Runde wie in Luft auflösten und freute sich jetzt richtig auf das Bad.

Gerda rief: „Wir haben genug warmes Wasser. Es kann losgehen!“

Die Frauen gossen heißes und kaltes Wasser in den Bottich, bis die richtige Badetemperatur erreicht war. Als die Mädchen dabei waren, hinein zu klettern, rief plötzlich Fifillas Stimme vom Eingang her:

„Mädels, wartet einen Moment. Ich habe gehört, was hier los ist, und da will ich doch meiner kleinen Freundin etwas bringen, dass ihr den Badespaß noch angenehmer macht. Hier sind ein paar Blüten und Kräuter für einen guten Badeaufguss. Wenn ihr nachher durch das Dorf lauft, werdet ihr duften, dass die Leute denken, der Frühling sei zurückgekehrt.“

Alle schauten neugierig zu Fifilla, die mit einem geheimnisvollen Lächeln, aus einem Beutel zwei Hände voll getrockneter Kräuter in einen Eimer tat und sie dann mit heißem Wasser übergoss. Mit dem aufwallenden Dampf strömte ein süßer Duft von Blüten und Sommerkräutern durch das Haus, der allen Nasen schmeichelte.

Ein mehrstimmiges „Aaaah“ – und „Hmmm“, kam aus den Frauenmündern.

Hildas Mutter rief lachend: „He, wie wäre es denn, wenn wir noch einen Bottich aufstellen? In diesem Duft würde ich auch gerne baden. Gerda, du auch?“

„Ja, und ich auch, ich auch“, riefen plötzlich die Frauen begeistert.

Fifilla lachte: „Mädels, dann macht mal rasch noch Wasser warm, holt noch einen Bottich und ein paar von euch können doch auch noch den Trog von der Schmiede herholen. Beeilt euch, dann haben wir alle unseren Badespaß.

Verschieben wir einfach den Badetag mal auf heute.“

„Oh ja, das wird lustig. Wer holt mit mir den Trog von der Schmiede?“, rief Gerda.

Hilda verfolgte das Geschehen um sie herum mit wachsendem Interesse. Die Frauen waren ja ganz aus dem Häuschen. Sie und ihre zwei Freundinnen war plötzlich nicht mehr der Mittelpunkt, aber hier bahnte sich ein großer Badespaß an und es würde dann bestimmt noch viel lustiger werden. Die Frauen lachten, scherzten und manche sprangen herum, wie junge Mädels. Alle waren sie mit Begeisterung dabei, das gemeinsame Bad herzurichten. Die Frauen waren froh über diese willkommene Abwechslung von der alltäglichen Arbeit.

„Fifilla, hast du auch noch genug von deinen Wunderkräutern für uns alle?“, rief eine der Frauen.

„Ja, Birta. Ich ahnte doch, dass ihr so eine Gelegenheit nicht auslassen würdet und ich habe vorsorglich genügend von der Kräutermischung eingepackt. Damit ihr auch die Haare wieder glänzend bekommt, habe ich noch etwas anderes mitgebracht. Hier schaut mal, gute Seife, nach meinem Geheimrezept. Wenn ihr nachher duftet wie Freya, werden sich eure Männer aber heute Abend freuen.“

„Na dann freue ich mich aber auch“, lachte Gerda und stellte den Trog ab, den sie mit anderen Frauen von der Schmiede geholt hatte. Sie rieb sich vor Freude die Hände und fragte: „Ist schon genug Wasser warm?“

Durch die begeisterten Frauen entstand, im Langhaus, ein richtig aufgeregtes Gewusel. Zwei kamen mit einem Tragejoch, an dem je zwei Eimern mit Wasser hingen und Rannveig rief: „Das reicht jetzt.“ Sie klatschte in die Hände und rief: „Fein, dann stinke ich endlich mal nicht mehr nach Gerberei!“

Im großen Kessel begann das heiße Wasser zu dampfen und die Schwaden zogen wie Nebel durchs Langhaus. Mutter Hilda legte noch ausreichend Holz nach, damit es rundum schön warm wurde und begann heißes Wasser in die bereitgestellten Badebottiche zu schöpfen. Fifilla bereitete noch für jedes Badefass einen Aufguss aus ihren Kräutern und der Blumenduft, zog mit den Dampfschwaden bis in jeden Winkel des Hauses. Die Frauen machten jetzt allesamt genießerische und verträumte Gesichter. Die drei Mädchen saßen vergnügt im duftenden Wasser und Mutter Hilda schrubbelte ihre Tochter sorgfältig sauber. Klein Hilda genoss die Wärme des Wassers, den wunderbaren Duft und sie begann Elfa und Kibba mit Wasser zu bespritzen. Der aufsteigende Duft von Fifillas Kräutermischung war einfach himmlisch und das Gekicher der drei Mädchen steckte nun auch die Frauen an. In kurzer Zeit war das ganze Haus mit fröhlichen Stimmen, dem Lachen der Frauen, Wassergeplätscher und dem süßen Duft von Sommerblüten erfüllt.

Zur gleichen Zeit waren die Männer und ein paar Jungen zum Fischfang auf dem Fjord unterwegs. Bei tief hängenden Wolken, kaltem Seewind und Nieselregen, waren sie jetzt alle durchgekühlt und beeilten sich, so schnell wie möglich in ihre warmen Hütten zu kommen. Falki war mit seinen Freunden Alfger, Arnor und Sölvi auch mitgefahren und auf dem Heimweg redeten sie über ihren Erfolg beim heutigen Fischfang. Selbst Sölvi, der sonst immer sehr blass war, hatte gerötete Wangen und war stolz auf seine Arbeit und auf den riesigen Leng17, den er ganz alleine aus dem Wasser gezogen hatte. Die vier beeilten sich und liefen schon vor den anderen Männern nach Hause, weil diese noch den Fang in große Körbe aufteilen wollten. Die Jungen hatten zwar Regenkleidung aus geöltem Ziegenleder an und die Kapuzen weit über den Kopf gezogen, so das man ihre Gesichter kaum sehen konnte, aber ihnen war so kalt, dass sie nur schnell ins Warme wollten.

Da blieb Falki plötzlich vor seinen Freunden stehen und breitete die Arme aus und rief: „Halt!“ Falki hatte von allen Jungen die feinste Nase. Er schnüffelte geräuschvoll in der Luft herum und meinte dann: „Riecht ihr das nicht? Das riecht ja wie eine blühende Sommerwiese.“

Da schnüffelten auch die anderen Jungen und bemerkten endlich den für diese Jahreszeit ungewöhnlichen Duft, der ihnen entgegen wehte.

Falki zog die Augenbrauen hoch. „Das kommt vom Langhaus. Was machen die den da? Los Leute, hin, da gibt’s was Besonderes!“ – und er lief auch schon los, die anderen Jungen hinterher.

Dort angekommen, hörten sie schon von draußen, dass drinnen etwas Unübliches im Gange war. Sie blieben am Eingang stehen und spähten durch die Türritze. Was sie sahen, ließ die Jungen über beide Ohren grinsen.

Arnor maulte: „Ich hau ab, ich will nach Hause, ins Warme. Mir ist so kalt.“

Sölvi hing noch immer mit seinen Augen am Türschlitz, dann drehte er sich zu Arnor um und sagte mit seinem schelmischen Grinsen: „He, Arnor, da drinnen ist es bestimmt wärmer als bei dir zu Hause und etwas warmes Wasser würde dir auch gut tun. Hmm, uns allen würde das gut tun, merkt ihr nicht, wie wir stinken?“

„Stimmt sagte Falki, ihr stinkt alle wie tote Makrelen, die drei Tage in einer Ecke lagen.“

„Falki, du hast wirklich Recht“, stimmte Alfger zu und klopfte ihm auf die Schulter.

„Ich habe für uns beschlossen, dass wir nicht mehr stinken sollten. Los Jungs, rein hier, haha, das wird ein Spaß“, und im selben Moment riss er auch schon die Tür auf und stürmte in die dampfende Badeszene.

Da standen nun vier durchgefrorene und nach Fisch stinkende Jungen vor den drei großen Badezubern und machten runde Augen. Die badenden Frauen waren überrascht und machten nicht weniger große Augen.

Die kleine Hilda reagierte als Erste und rief: „Falki, komm her. Oh, das ist so schön. Komm auch baden!“

Fifilla, die den Jungen am nächsten stand und schon in ein dickes Tuch gewickelt war rief mit gespielter, ernster Stimme: „Macht wenigstens die Tür richtig zu, damit die Wärme nicht verfliegt und dann rein mit euch ins warme Wasser. Ihr stinkt ja wie eine Ladung verdorbener Fische!“

 

So war die Situation schnell entspannt und die Frauen machten einen Bottich für die vier Jungen frei. Gerda sorgte noch mal für Nachschub an warmem Wasser und begann dabei ein Lied zu summen. Gerdas Lied glättete auch die letzten Unmutsfalten auf den Gesichtern einiger Frauen, die durch den Überfall der Jungen etwas erschrocken waren. Nach und nach stimmten immer mehr Frauen in den Gesang ein und jeder wusste, dass dieser Tag ihnen lange im Gedächtnis bleiben würde.

Falki saß mit seinen Freunden im warmen Wasser und Arnor meinte: „Wenn das nach dem Fischen immer so enden würde, möchte ich lieber Fischer werden, als in der Schmiede ständig Eisen zu verprügeln.“

Nachdem sich die größten Wogen der Freude gelegt hatten, begann Hilda den Jungen zu erzählen, was ihr heute passiert war und dass darum überraschend Badetag war. Als die Jungen in ihrem Trog auch anfingen zu lachen, klatschte Hilda mit der Hand aufs Wasser.

„Ihr Blödköppe, lacht ihr mich jetzt auch aus? Hört mal, da oben auf dem Baum bin ich eingeschlafen. Ist das nicht merkwürdig?“

Alfger lachte erneut und spöttelte: „Arme kleine Hilda, bist so müde, dass du auf einem Baum einschläfst.“

Hilda schaute erst etwas böse, dann sagte sie: „Das war ja nicht alles, da waren noch so uralte Frauen, drei Stück.“

Nun lachte Falki: „Hihi, drei alter Frauen auf der Eiche? Wie sind die denn da hochgekommen, mit ‘ner Leiter?“

Hilda stieß Falki derb an. „Manno, es war doch ein Traum, aber irgendwie doof. Die saßen da, in ihren schwarzen Kleidern, auf den Ästen und haben einen komischen Spruch gesagt und die haben auch vorhergesagt, dass ich runterfallen würde.“

Als Hilda abends mit ihren Eltern und Falki beim Essen saß, ging die Tür auf und Alvitur kam herein.

Ernir bot Alvitur einen Platz an und fragte: „Hast du nicht genügend Fisch vom heutigen Fang bekommen, oder was verschafft uns die Ehre deines Besuchs?“

„Ernir, hab Dank. Ich hab genug Fisch, aber wenn ich von dem dort etwas kosten darf, würde ich mich freuen“ – und dabei zeigte er auf ein besonders knusprig aussehenden Fisch.

Ernir nickte. „Greif zu, wir haben heute genug.“

Alvitur ließ sich den Fisch sichtlich schmecken, dann schaute er mit etwas ernstem Gesicht in die Runde und sein Blick blieb auf der kleinen Hilda haften.

„Sag mal Mädchen, kannst du mir deinen Traum auf der Eiche noch einmal schildern? Sölvi hat mir davon erzählt. Das ist ja wirklich komisch, auf einem Baum einzuschlafen. Stimmts?“

Hilda machte nun ein Gesicht, wie ein Kind, das bei etwas Unrechtem ertappt wurde.

„Na ja, aber ich hab doch nichts Schlimmes gemacht. Ganz plötzlich war ich müde und ich habe ja auch nicht lange geschlafen, nur ganz kurz.“

„Nein“, sagte Alvitur beschwichtigend, „du hast nichts unrechtes getan. Ich frage dich nur, weil mich dieser Traum interessiert und mich die drei alten Frauen sehr an die Nornen erinnern. Die kennst du doch?“

Hilda riss die Augen auf und Falki rief wie ein Echo: „Die Nornen?“

Hilda nickte. „Ja, du hast ja Geschichten erzählt, wo die Nornen drin vorkommen. Sehen die so aus? Ich hab die ja noch nie gesehen.“

Alvitur griff über den Tisch und legte seine Hand auf Hildas Hand. „Wenn sie dir etwas gesagt haben, versuche dich mal zu erinnern, was es war. Ich würde es gerne hören.“

Hilda guckte unsicher in der Runde herum und als ihre Mutter aufmunternd nickte, wiederholte sie die Worte aus dem Gedächtnis:

Vom Baum wirst du fallen,

verspottet von allen.

Nimm hin deinen Schmerz

er stärket dein Herz.

Alvitur überlegte ein Weilchen, dann schüttelte er llächelnd den Kopf und sagte: „Ich weiß nicht warum, aber ich glaube, dass sie sich dir einfach nur zeigen wollten. Das war keine bedeutende Weissagung und na ja, etwas gestärkt bis du ja nun. Jedenfalls siehst du nicht mehr wie ein trauriges Mädchen aus, das von Baum gefallen ist. Ich glaube, du kannst diesen Traum ruhig vergessen. Er hat keine weitere Bedeutung für dich.“

STRUMPFHILDA

Hilda war dabei, ihre Zöpfe zu flechten. Sie reckte dabei ihr Gesicht der wärmenden Sonne entgegen und summte vor sich hin. Zöpfe flechten fand sie zwar langweilig, aber dabei konnte sie wunderbar den Frühling genießen. So gut, wie jetzt, hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt. Sie spürte die Sonne auf der Haut und der Duft von frischem Grün machte, dass es ihr in Händen und Füßen kribbelte. Von ihrem erhöhten Sitz aus sah sie, dass es den anderen Menschen im Dorf wohl ähnlich ging; ihre Gesichter wirkten fröhlicher, als in dem ewigen Dämmerlicht des Langhauses. Hilda sprang vom Zaun und im Nu hatte sie sich zwei Hände voll Blumen von der Wiese gepflückt, Löwenzahnblüten und Gänseblümchen. Die Gänseblümchen mochte sie besonders, weil man sie auch essen konnte und außerdem sagte man auch, dass es die Blumen der Freya sind.

Fifilla, die Kräuterfrau, hatte ihr auch erzählt, dass am Tage ihrer Geburt besonders viele Gänseblümchen geblüht hatten und sie das als ein Zeichen der Götter ansah. Sie hob die Hände und zählte an ihren Fingern; zehn Jahre war das her. Hilda hatte immer noch keinen Einfall, was sie heute wirklich machen wollte, so ging sie langsam den Weg hinunter, zum Fjord. Unterwegs pflückte sie immer mehr Blumen und begann, sich einen Kranz daraus zu flechten. Sie liebte es, am Ufer des Fjordes herumzustromern, weil es immer etwas zu entdecken gab und so schlich sie sich in den Schatten eines großen Holunderbusches, der weit ab von Arbeitsplätzen der Bootsbauer stand. Sie begann aufmerksam den Uferstreifen abzusuchen, um irgendwo ein Nest, oder Tiere zu entdecken.

Gespannt schaute sie nach dem Möwennest, das sie schon vor ein paar Tagen hier entdeckt hatte und jetzt sah sie, dass fünf Eier darin langen. Ein rotbeiniger Strandläufer rannte flink über die Steine und Hilda musste kichern, als sie seine Beine sah.

„Hihi, ich hab ja auch rote Strümpfe an“, dachte sie. Als sie aber ihre Füße sah, schaute sie plötzlich entsetzt drein, denn aus ihren schönen roten Strümpfen schaute am rechten Fuß die große Zehe heraus. Nun betrachtete sie ihre bestrumpften Füße genauer und innerlich fühlte sie schon, wie sie immer kleiner wurde; Mutters Worte hörte sie schon jetzt: „Meine liebe kleine Strumpfhilda …“ Unter den Füßen sah es noch schlimmer aus; Loch an Loch. Wie so oft lief sie auf Strümpfen durch das Dorf.

Jetzt war ihre Frühlingsfreude fast dahin und mit gesenktem Kopf machte sie sich auf den Heimweg. Die Mutter würde ihr wohl wieder die Ohren lang ziehen.

Wieder im Dorf, roch Hilda überall die Kochfeuer, frisches Holz und sah, wie die Leute emsig zwischen dem Langhaus und ihren Hütten hin und her liefen. Selbst die Dorfhunde scheinen vom Frühling neu beseelt zu sein und sprangen zwischen den Menschen herum, um ihre Aufmerksamkeit oder einen guten Happen zu erhaschen.

Auf ihrem Weg nach Hause musste sie an einigen anderen Hütten vorbei, und vor einer saß Sven, der Fischer und rief: „Hallo, Strumpfhilda!“

Weil Hildas Laune wegen der Löcher in den Strümpfen schon ziemlich gedrückt war, zog sie einen Flunsch und rief zornig zurück: „Ich bin Hilda und nicht Strumpfhilda!“

Einen Augenblick später stand sie aber vor Steinars Schmiede und ihre gute Laune kehrte zurück. Neugierig schaute sie nach, ob sie ihren Bruder hier irgendwo entdecken konnte. Falki stand oft still in einer Ecke der Schmiede und schaute einfach nur zu, wie Steinar das Eisen bearbeitete. Steinar hatte immer beide Hände voll zu tun, selbst im Winter war er einer der Wenigen, die kaum zur Ruhe kamen. Falki war aber nicht hier und so ging sie langsam nach Hause. Auf dem Weg wurden ihre Schritte immer zögernder. So lange sie auch das Zusammentreffen mit der Mutter hinausschieben wollte, irgendwann musste sie ihr ja doch die löchrigen Strümpfe zeigen. Die Mutter würde wieder an ihren Zöpfen ziehen und mit ihr schimpfen, weil sie ständig ohne Schuhe umher lief.

Als Hilda die Hütte erreicht hatte, tat sie so als ob alles ganz normal wäre und schlich sich an der Mutter vorbei. Sie suchte im Halbdunkel der Hütte nah ihren Schuhen und wollte sie schnell überziehen, bevor die Mutter ihre zerlöcherten Strümpfe sehen konnte.

„Hilda, lauf mal schnell zu Steinar und bringe ihm das hier“, rief da ihre Mutter.

„Ja, Mama, was ist das?“

„Strümpfe für Steinar.“

„Kann Birta, seine Frau, nicht selber stricken?“

„Doch kann sie das, aber die arme Frau ist damit geplagt, dass ihre Augen nicht mehr so gut sehen können und da sieht das Gestrickte dann auch nicht so gut aus. Bei manchen Leuten werden die Augen mit den Jahren immer schlechter, bis sie den Löffel in der Hand nicht mehr sehen, wenn sie ihren Brei essen.“

„Haha“, lachte Hilda. „Mama, zum Essen braucht man doch die Augen nicht. Ich kann doch auch mit geschlossenen Augen meinen Brei essen.“

„Jaja, ich weiß, darum sieht dein Mund nach dem Essen auch immer so fein beschmiert aus, und nun lauf, bringe die Strümpfe zu Steinar, aber ziehe deine Strümpfe vorher aus, oder deine Schuhe an, meine kleine Strumpfhilda.“

„Bäää, Mama, sag du nicht auch noch Strumpfhilda zu mir. Die anderen und auch die Jungen im Dorf sagen das immer, aber ich mag das nicht. Sie hänseln mich damit immer, besonders der dicke Arnor.“

Mutter Hilda runzelt gespielt die Augenbrauen. „Töchterchen, du bist zehn Jahre alt, da solltest du schon wissen, dass es Schuhe gibt, damit die Strümpfe nicht ständig Löcher haben. Nun mach schon, meine Kleine“ – und sie strich ihr liebevoll über das Haar.

Hilda rannte mit ihrem Bündel unter dem Arm, zur Schmiede. Als sie anlangte, musste sie erst einmal an der Tür stehen bleiben um Steinar zu bewundern. Er war der größte Mann in Björkendal und hat riesige Muskelpakete an den Armen.

„Woher hat der soviel Kraft, den ganzen Tag auf die Eisenstangen einzuschlagen?“, fragte sich Hilda.

Jeder im Dorf besaß Dinge, die aus Steinars Schmiede. Rußgeschwärzt und schwitzend stand er an der Feuermulde und betätigt die Blasebälge. Das Feuer faucht jedes mal auf wenn er an am Blasebalg zog und die Kohlen sprühten helle Funken. Steinar bemerkte Hilda und wandte ihr den Kopf zu.

„Guten Tag Hilda. Na, bist du wieder auf Strümpfen?“

Hilda grinste frech und zeigte stolz, dass sie Schuhe an hatte. „Grrrr, Steinar, musst du mich auch noch ärgern? Nein, ich habe heute Schuhe an.“

Dann schenkte sie Steinar eines ihr süßestes Lächeln. Nachdem sie genug geschaut hat, baute sie sich vor Steinar auf und hielt im das Bündel hin.

„Hier, die hat meine Mutter für dich gemacht.“ Sie rückte ganz dicht an Steinar heran, blickt ihm streng in die Augen und fragte: „Kriege ich was dafür?“

Steinar brummt: „Hmmmm, was soll ich dir dafür geben, ein Stück Eisen, zum lutschen?“ Dann schaut er mit gespielter Strenge tief in die Hildas Augen. „Naaaaa, willst du?“

Hilda reckte keck ihre Nase zu ihm hoch und sagt: „Ja, wenn du mir sagst, welches Eisen am besten schmeckt, nehme ich davon ein Stange!“

„Haha, du bist gut“, lacht Steinar und schmunzelt über sein schwarzes Gesicht. Geh’ mal ruhig nach Hause und grüße deine Mutter Hilda von mir. Die Frauen machen das schon unter sich aus. Dann haben sie einen Grund für ein Schwätzchen. Du kannst aber auch schnell zu Birta ins Haus gehen. Sag ihr, dass ich dich geschickt habe. Sie hat bestimmt etwas für dich.“

„Na, gut“, meinte Hilda und wollte gleich davon hopsen, da rief Steiner ihr hinterher: „Hilda warte mal. Kannst du auch etwas für mich tun? Kriegst auch einen Honigkuchen.“

Da wurden ihre Augen größer. „Na klar mach ich was für dich. Was denn?“

„Wenn du deinen Bruder Falki siehst, sage ihm doch bitte, dass ich ihn gerne hier hätte. Ich brauch dringend Jemanden, der den Blasebalg bedient. Arnor ist ja nicht hier, weil er mir den Fischern draußen ist.“

Da stand Birta mit einem mal in der Schmiede. Sie hatte alles mit angehört hatte und gab Hilda ein Stück von dem Honigkuchen, mit den Worten: „Den habe ich heute grade frisch gebacken. Ich spreche nachher mit deiner Mutter. Na, lauf schon.“

„Hmm, danke“, sagte Hilda und verließ, mit ihrem Kuchenstück in der Hand, die Schmiede im Hüpferschritt. Unvermittelt machte sie aber wieder kehrt und frag Birta: „Sag mal Birta, warum sitzen deine Gänse so still, sonst schnattern die doch immer?“

 

Birta lacht. „Weißt du nicht, dass sie ihre Eier ausbrüten, aus denen dann die kleinen Gössel kommen?“

„Hmm, doch“, machte Hilda „stimmt, die Möwen und die andern Vögel im Fjord machen das ja jetzt auch grade“, und weil sie wusste dass der Gänserich ziemlich arg zwicken konnte, verzichtete sie lieber darauf, sich die Eier anzusehen.

Sie dreht sich zu den beiden noch mal um, rief: „Danke!“ – und rannte davon, Falki zu suchen.

Unterwegs gingen ihr merkwürdige Gedanken durch den Kopf: „Gössel, brüten …, Vogelmutter … Ich will auch etwas ausbrüten, ich will auch ein Nest haben.“

Diese Gedanken setzten sich in ihrem Kopf so fest, wie ein Specht in einer Baumhöhle. Irgendwann fand sie auch Falki, der sich mit Alfger zusammen im Schwertkampf übte. Sie richtete ihm Steinars Wunsch aus und Falki machte sich sofort auf den Weg zur Schmiede, aber Hilda hielt ihn fest.

„Falki, lass dein Schwert hier, dann kann ich Alfger etwas verkloppen.“

Falki gab ihr sein Holzschwert, mit den Worten: „Ich drück dir die Daumen, Alfger ist heute ziemlich heftig!“

Sölvi, der am Rand saß, weil er grade keinen Partner hatte, rief Hilda zu: „Kannst auch mir mir kämpfen, Alfger hat genug, der schwitzt ja schon.“

Abends wartete Hilda ungeduldig auf Falki, weil sie unbedingt mit ihm über ihre Idee reden wollte. Falki kam wirklich erst spät aus der Schmiede und wie Steinar, sah auch er zum gruseln schwarz aus; nur noch das Weiß der Augen leuchte in seinem Gesicht. Als Mutter Hilda ihn hinausschickt, zum Waschtrog, maulte er: „Soll ich erst wütend mit dem Magen knurren, wie ein alter Bär, damit ihr mit meinem Hunger Mitleid habt?“

Mutter Hilda legt noch etwas nach und sagt mit gespieltem Ernst: „Du bekommst schon noch etwas zum Essen, aber erst, wenn du noch einen Eimer frisches Wasser geholt hast.“

Vater Ernir grinste über das ganze Gesicht; so gefiel ihm sein Sohn. Aber laut sagte er: „Soll dir erst die Bärentatze auf dem Hintern klopfen, damit der Dreck abfällt?“

Da lachen alle und Falki lief grinsend, sein Gesicht zu waschen und noch frisches Wasser zu holen. Als sie beim Essen saßen, redeten sie darüber, wie jeder so den Tag verbracht hatte und Falki erzählte dabei, wie interessant die Arbeit in der Schmiede war. Nach einer Weile schüttelte Mutter Hilda verwundert den Kopf, als sie sah, welche Unmengen von Brot, Trockenfisch und gekochten Äpfeln sich Falki in den Mund stopfte. Sie lehnte sich an Ernirs Schulter und lächelte glücklich. „Ich kann mir keine bessere Familie wünschen.“

„Hihi, auch wenn ich so oft Löcher in den Strümpfen habe?“, kicherte Hilda und Falki nickte dazu mit vollem Mund.

Als sich später alle zum Schlafen hingelegt hatten, rutschte Hilda ganz dicht an Falki heran und flüsterte ihm ins Ohr: „Falki, ich habe da eine Idee.“

Falki brummelte nur: „Mmm, pfff.“

„Falki, ich möchte auch brüten, so wie die Vögel.“

Falki, der schon fast im Traumland war, war plötzlich wieder hellwach und setzte sich auf. „Was, du willst brüten?“

„Psst, ja brüten“, flüstert Hilda, weil ich ja die Gänse gesehen habe, bei Steinar und das war so schön. Und auch überall im Fjord brüten die Vögel. Das ist doch bestimmt ganz einfach. Die sitzen nur so da, auf ihren Nestern und dann kommen die kleinen Küken aus den Eiern. Ich glaube, das kann ich auch.

Falki flüsterte zurück: „Soll ich dir von Steinars Gänsen ein Ei klauen? Und wo willst du denn brüten, auch auf der Wiese?“

Dann lacht Falki belustigt. „Na klar sollst du brüten, haha und eine ganze Schar Enten oder Gänse wird dir dann, durchs Dorf, hinterherlaufen.“

„Nein, keine Enten“, flüstert Hilda, „ich möchte schon etwas anderes ausbrüten, und es sollen auch nicht so viele Küken sein, also ein Ei reicht schon.“

„Schwesterchen, lass mich jetzt schlafen“, murmelt Falki nun schon wieder schläfrig.

„Das Ziehen am Blasebalg hat mich wirklich müde gemacht. Ich spüre meine Arme kaum noch. Morgen rede ich mit Alfger und dann lassen wir uns einfallen, was für ein Ei wir für dich beschaffen. Schlaf jetzt, Schwesterchen.“

„Gute Nacht, Falki.“

Einen Augenblick später stieß sie Falki noch einmal an und raunt ihm ins Ohr: „Falki, ich weiß, was ich für einen Vogel ausbrüten möchte. Ich möchte ein Rabenei haben. Ja, ich will einen kleinen Raben ausbrüten. Du willst ja mit Alfger reden; holt ihr mir dann eine Rabenei?“

Hilda lauschte, aber an Falkis Atemzügen merkte sie, dass er schon schlief.