Zwei gegen Ragnarøk

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Hilda lief mit gesenktem Kopf neben ihm her und sah nichts mehr von dem schönen Sommertag. Um sie herum war plötzlich alles grau. In ihrem Kopf war Aufruhr. Die Gedanken purzelten nur so durcheinander und sie machte sich Vorwürfe: „Der arme Arnor.“

Als sie bei Alvitur ankamen, war dieser grade dabei, alle weg zu schicken: „Geht nach Hause. Sölvi bleibt hier. Sölvi mach’ Feuer und setzt einen Kessel mit Wasser auf. He, ihr haut endlich ab. Zaungäste brauche ich jetzt nicht.“ Mit so harscher Stimme kannte man Alvitur kaum.

Da kam auch schon Fifilla zur Tür herein. „Wer liegt hier im Sterben?“

Hilda saß neben Ernir auf einer Liegestatt am Eingang und bei Fifillas Worten riss sie die Augen weit auf.

Sie sprang erschrocken auf. „Was, nein, Arnor wird doch nicht sterben, oder? Alvitur, sag, muss er sterben?“ Und in Hildas Augen standen Tränen.

Ernir zog seine Tochter wieder auf die Felle und legte einen Arm um sie.

Alvitur stand an dem großen Tisch, auf dem Arnor lag und machte ein sehr ernstes Gesicht.

Er drehte sich zu Hilda um und schaute ihr in die Augen: „Ja, Mädchen, du hättest gut daran getan, dich etwas zu zügeln. Ob er sterben wird, weiß ich noch nicht, aber wir beide müssen und ganz dringend unterhalten, aber später.“ Dabei zwinkerte er Fifilla so zu, dass Hilda es nicht sehen konnte.

Fifilla schaute auch sehr ernst drein und legte eine ganze Menge Kräuter auf den Tisch. „Hier sind Beinwell und Arnika, ich denke, das müsste reichen.“

Zu Sölvi sagte Alvitur: „Sölvi bringe mir mal das Bündel mit den dünnen Stöckchen, das dort hinten rechts in der Ecke steht, damit werden wir Arnors Arm wieder in Form bringen.“

Alvitur wandte sich an Ernir: „Geht mal auch nach Hause. Hilda soll einen süßen Tee trinken. Ich schicke Sölvi nachher, wenn ich den Arm geschient habe und mit Hilda sprechen will.“

Dann stand auch noch Mutter Hilda in der Tür und mit besorgtem Gesicht fragte sie Ernir: „Was ist los? Wen hat Hilda erschlagen?“

Ernir legte ihr den Finger auf dem Mund und sagte leise: „Komm, wir gehen nach Hause.“

Sie nahmen Hilda in die Mitte und Ernir erzählte ihr mit leiser Stimme wie sich alles zugetragen hatte.

Hilda trottete mit gesenktem Kopf zwischen ihren Eltern dahin. Ihr schlechtes Gewissen plagte sie so sehr, dass sie am liebsten in der Erde versunken wäre.

„Der arme Arnor. Wie kann ich das nur wieder in Ordnung bringen?“ kreisten die Gedanken in ihrem Kopf.

In der Hütte angekommen, machte die Mutter schnell einen Kräutertee für Hilda und süßte ihn reichlich mit Honig.

Hilda trank in kleinen Schlucken und ihr Blick schien im Trinkbecher gefangen zu sein. Nicht einmal hob sie die Augen.

Endlich brach Ernir das Schweigen: „Hilda, du musst dir keine großen Sorgen mehr machen. Arnor ist bei Alvitur und Fifilla in den besten Händen.“

„Aber wenn er nun stirbt? Ich bin schuld. Das wollte ich doch nicht.“

„Hilda, Arnor wird nicht sterben. Alvitur hatte das vorhin nicht ernst gemeint. Er wollte nur, dass du über deine unbeherrschte Wut etwas nachdenkst. Arnor wird ganz sicher wieder gesund. Der hat doch die Gesundheit von einem wilden Moschusochsen.“

Hilda hob langsam den Kopf. „Wirklich? Willst du mich nicht nur einfach trösten?“

Mutter Hilda schaute von einem zum anderen. „Was ist hier los. Wer macht hier wem etwas vor?“

Dann lächelte Ernir und sagte: „Wirklich, Alvitur hatte vorhin nur übertrieben. Du wirst ja nachher mit ihm sprechen und Arnor wird bestimmt dort bei ihm sitzen und dich wieder angrinsen. Außerdem will ich dir noch sagen, dass ich, trotz der bösen Folgen, stolz auf dich bin.“

„Wieso, flunkerst du jetzt?“

„Nein Hilda, ich meine das ernst. Wir sollten dich wohl fortan lieber Thurid24 nennen. Mit dem Hammer in der Hand warst du eine fürchterliche Kriegerin und hättest Thor alle Ehre gemacht, wenn er dich so gesehen hätte. Ich habe noch nie eine Frau so überlegen mit einem Hammer kämpfen sehen. Arnor ist mindestens einen Kopf größer als du und wiegt das Doppelte. Mit seiner Kraft könnte er dich unangespitzt in den Boden rammen, aber er kann sie noch nicht bewusst nutzen, aber du deine Kraft und deine Schnelligkeit schon.

Hättest du ihn nicht so arg verletzt, dann hätte ich dort gleich Beifall geklatscht. Tochter, du warst großartig, nur deinen Zorn musst du besser beherrschen lernen. Obwohl es gerade dein Zorn war, der dich zu so einer fürchterlichen Kriegerin werden ließ.“

Hilda schaute nun vom ihrem Trinkbecher auf und ihr Gesicht bekam langsam wieder Farbe.

„Meinst du das im Ernst, darf ich jetzt wirklich Thurid heißen? Ich glaube, mir gefällt dieser Name. Ich gehe auch gleich zu Arnor und werde ihn bitten, mir nicht mehr böse zu sein.“

Plötzlich verdüsterte sich Hildas Mine wieder und sie platzte heraus: „Aber er darf nie wieder Strumpfhilda zu mir sagen!“

Da musste Ernir plötzlich laut loslachen und lachte so, dass der ganze Tisch wackelte. Mutter Hilda fiel in das Lachen ein und schließlich auch Thurid.

„Ja“, rief Hilda, ich will Thurid sein, wie Thor, der es im Kampf mit jedem Gegner aufnehmen kann.

Vom Lachen abgelenkt, bekamen sie nicht mit, dass Sölvi plötzlich im Raum stand und ganz verdutzt fragte: „Worüber lacht ihr denn so verrückt? Das war ja schon zehn Schritte vor eurer Hütte zu hören.“

Er schaute fragend von Einem zum Anderen: „Hilda, du sollst zu Alvitur kommen, er will mit dir reden.“

Mit einem schelmischen Lächeln fragte Mutter Hilda: „Ich soll zu Alvitur kommen? Was will er denn von mir?“

„Nicht du, die kleine Hilda soll kommen“, dabei schaute er Hilda ernst an.

Ernir lachte wieder und Hilda-Thurid sagte fröhlich: „Hier gibt es nur noch eine Hilda und das ist meine Mutter. Ich bin jetzt ab sofort Thurid“ – und sie reckte dabei ihre Brust und hob den Kopf.

Sölvi starrte entgeistert auf die drei am Tisch. „Habt ihr auch etwas mit dem Hammer auf den Kopf bekommen? Warum veräppelt ihr mich?“

Ernir wischte sich über den Mund, weil er vor lauter Lachen gesabbert hatte und sagte dann zu Sölvi: „Niemand veräppelt dich, Sölvi, aber Hilda war mit dem Hammer vorhin wirklich eine überragende Kämpferin, so wie Thor. Du weißt doch sicher, dass man auch seinen Namen ändern kann. Aus Hilda ist nun Thurid geworden.

Du hast es doch miterlebt, dass sie einen Gegner, der einen Kopf größer ist, als sie und viel schwerer, zu Boden geschickt hat.“

Sölvi nickte überrascht. „Ja, das stimmt. Das hätte ich vorher nie für möglich gehalten“ – und an Thurid gewandt: „Bist jetzt wirkliche eine Thurid?“

„Ja, ich will jetzt für immer Thurid heißen.“

Sölvi schaute die neue Thurid mit seinen sanften Augen an, dass sie leicht rot wurde. „Thurid, dann komm.“

Er drehte sich auf der Stelle um und ging.

Thurid war sich nicht schlüssig, wie sie sich jetzt fühlen sollte, aber sie stand auf und folgte ihm.

Ernir und Hilda sahen sich an und Hilda fragte: „Was war denn das eben?“

Auf dem Weg zu Alviturs Hütte schaute Thurid unentwegt nur nach unten und lächelte ganz fein. Jetzt sah sie wieder die Gänseblümchen im Gras und dachte an Arnor.

Sölvi dagegen sah die ganze Zeit die neue Thurid von der Seite her an und fand sie unheimlich schön.

In der Kochstelle von Alviturs Hütte loderte, ein ziemlich großes Feuer und auch ein paar Öllampen verbreiteten ihre warmes Licht. Alvitur saß mit Fifilla an seinem Tisch und beide tranken gemütlich Kräutertee.

Thurid glaubte ihren Augen nicht zu trauen, denn Arnor saß grinsend auf Alviturs Fellen, auch einen Teebecher in der rechten Hand und ließ es sich schmecken.

Als Thurid in fragend anschaute, grinste er noch breiter.

Sölvi schob sie von hinten und drückte sie sanft zu Arnors Lager.

Thurid wusste auch warum.

Sie holte tief Luft, setzte sich seitlich auf den Rand. Etwas zögerlich und mit heiserer Stimme flüsterte sie: „Arnor, bitte sei mir nicht mehr böse. Ich wollte dich wirklich nicht so schlimm verletzen. Meine Wut war aber plötzlich so groß, dass ich nicht mehr richtig denken konnte. Ich wollte nur noch draufhauen.

Es tut mir so leid, dass dein Arm gebrochen ist. Schmerzt es noch sehr?“

Dann schaute sie ihn mit bittendem Blick an.

Als ihn Thurid mit ihren großen Augen ansah, wurde Arnor plötzlich verlegen und lief rot an. Er wollte ihr die Hand reichen, aber da er nur eine Hand benutzen konnte und in der war ja der Trinkbecher, hielt er ihr den Becher hin.

Thurid war in diesem Moment auch nicht ganz geistesgegenwärtig. Sie nahm den Becher und trank aus ihm.

Sölvi im Hintergrund begriff das kleine Missverständnis und kicherte leise.

Auch Alvitur verzog seine Mundwinkel, dass es schon fast wie ein Lächeln aussah.

Da begriff Thurid. Sie stellte den Becher ab und nahm Arnors Hand.

Alvitur räusperte sich. „Wie ich sehe, hast du nicht nur Kampfkraft, sondern auch ein Gewissen, das dich mit Recht geplagt hat. Aber du hast grade menschliche Größe gezeigt. Du hast hier niemandem eine Schuld untergeschoben, sondern die Hand gereicht, ohne zu zögern. Das war gut, aber ich habe auch nichts anderes von dir erwartet. Über den bösen Unfall brauchen wir also nicht mehr reden.“

Thurid fiel ein großer Stein vom Herzen und in ihr Gesicht kam wieder ihr jungenhafte, freimütige Lächeln, das Sölvi so liebte.

Dann klopfte Alvitur mit seinem Becher auf den Tisch. „Lasst uns jetzt von etwas Ernstem reden.

Ich hätte es nicht vorhersagen können, aber das was heute geschehen ist, verwundert mich nicht wirklich, wenn ich an unser letztes langes Gespräch denke, indem ich dir von den Nornen und ihrer Prophezeiung gesprochen habe.

 

Schau nicht so ängstlich auf Arnor. Er wird schweigen, und du kannst dir sicher sein, dass er ab heute zu denen gehört, die immer an deiner Seite stehen werden.

Ich habe lange über die Worte der Nornen nachgedacht. Du weißt ja inzwischen auch über die Bedeutung eines Verses Bescheid. Stimmt das?“

„Ja, Alvitur. Ich weiß, du meinst das mit dem eigenen Blut. Falki ist damit gemeint. Aber Sölvi ist darauf gekommen, nicht ich, doch ich habe es gleich verstanden.“

„Das dachte ich mir schon. Sölvi, ich bin stolz auf dich“, bemerkte Alvitur. Er war nie leichtfertig mit seinem Lob, und man sah Sölvi an, dass er sich darüber sehr freute.

„Nun noch mal zu der Prophezeiung, zu dem einen Vers:

… Für die Götter 1000 Jahre

begleiten sie drei Augenpaare …

Ich denke nun, dass ich weiß, wie das gemeint ist. Die drei Augenpaare, das sind drei Götter, unsere Götter, Odin, Freyja und Thor. Deine Kampfkraft mit dem Hammer kommt nicht so einfach aus dem Nichts. Du hast doch nie mit einem Hammer das Kämpfen geübt. Nun ist es mir sonnenklar, dass drei Götter dich mit besonderen Eigenschaften ausgestattet haben. Odin und Freyja ahnte ich schon lange, aber seit heute weiß ich, dass auch Thor zu deinen Beschützern gehört. Seine Waffe, der Hammer, könnte nun auch deine sein. Ich bin mir sicher, dass das heutige Ereignis sein Werk war. Wenn wir weiter denken, müssen wir uns fragen: Warum beschützen drei mächtige Götter ein Mädchen aus unserem Dorf und eignen ihr besondere Fähigkeiten zu, wie Klugheit, Wissensdurst, Schönheit und die Kampfkraft eines Kriegers? Die Antwort sehe ich jetzt ziemlich klar; weil dieses Mädchen für die Götter sehr wichtig ist. Was kann für drei, so unterschiedliche, Götter so wichtig sein?“

Alvitur schwieg einen Moment und schaute fragend in die Runde.

Wieder war es Sölvi, der mit seinem klaren Verstand das Rätsel löste. „Ragnarök?“, fragte er.

„Ja, Ragnarök, und ein Mädchen, nein eine junge Frau aus unserem Dorf, beschützt von drei Göttern, soll versuchen, Ragnarök zu verhindern, so die Weissagung.“

Geahnt hatten es fast alle, die in der Hütte saßen, aber nun hatte Alvitur es unwiderruflich ausgesprochen.

Alvitur griff über den Tisch und nahm Thurids Hände in seine. Er schwieg nachdenklich, dann kamen ihm seine Worte bedeutungsschwer über die Lippen: „Seit heute bist du Thurid. Für mich ist damit auch der letzte Schleier gefallen. An deiner Seite stehen nicht nur mutige Leute aus unserem Dorf, nein, auch drei Götter und sie werden immer ihre Hände schützend über dich halten. Ich sagte, für mich sei auch der letzte Schleier gefallen. Damit meine ich auch eine ganz bestimmte Stelle in der Prophezeiung. Du und Falki, ihr werdet es nicht leicht haben. Ich denke …, aber nein, darüber reden wir viel später. Thurid, heute bitte ich dich, nimm dein Schicksal an. Es gibt niemanden sonst, der dieser Aufgabe gewachsen ist, sonst hätten die Götter dich nicht auserwählt und mit besonderen Gaben ausgestattet. Nimm dein Schicksal an, für dein ganzes Dorf, für dein Volk, für unsere Welt, so wie wir sie kennen und lieben, denn unsere Welt ist in großer Gefahr. Ich glaube inzwischen, dass genau das mit Ragnarök gemeint ist.“

Alvitur lehnte sich nachdenklich nach hinten und schloss sein Auge, dann fuhr er fort: „Thurid, in den nächsten Jahren wird deine wichtigste Aufgabe sein, zu lernen, z.B. einen gebrochenen Arm zu versorgen und mit dem Kräutern so umzugehen, wie es Fifilla kann.“

Thurid schaute versonnen in das kleine Öllämpchen auf dem Tisch, und ohne dass sie drüber nachdachte, was sie sagte, kam es über ihre Lippen: „Ja Djarfur, ja Kylikki, ich glaube, ich habe es verstanden.“

Diesmal war Alvitur etwas überrascht und schaute Fifilla an.

Fifilla lächelte und strich über Alviturs Hand.

„Ja, Alvi, ich habe ihr von damals erzählt.“

Alvitur nickte und sagte: „Niemals hätte ich je geglaubt, dass ich so ein Bündnis erleben oder gar es zusammenschmieden würde.

Sölvi, hole mal bitte die anderen rein.“

Sölvi stand auf und brauchte nur die Tür aufmachen, da kamen schon Falki und Alfger herein.

Sie standen da, schauten mit fragenden Blicken in die Runde. Sie wussten beide nicht so recht, warum Sölvi ihnen gesagt hatte, dass sie auch herkommen sollten.

„Setzt euch“, sagte Alvitur kurz, und als die beiden Jungen saßen fragte er sie nach dem, was sie von ihrem Schicksal im Zusammenhang mit Thurid wussten.

Beide erzählten, was sie schon wussten und Alvitur erklärte ihnen die restlichen Zusammenhänge in knappen Sätzen.

Die beiden jungen Männer lauschten mit offenen Mündern und ihre Blicke pendelten zwischen Alvitur und Thurid hin und her.

„Es ist schon komisch, aber irgendwie ist das alles Vorhersehung“, und er bückte sich zu einer Truhe, die am Boden stand.

Er öffnete sie und stellte fünf Kelche auf den Tisch, die noch niemand hier im Dorf gesehen hatte. Selbst Fifilla schaute die Kelche mit großen Augen neugierig an und flüsterte andächtig: „Die sind aber schön.“

„Sölvi bringe mal bitte den kleinen, blauen Krug von hinten her. Dort wo die anderen Weinkrüge stehen.“

Sölvi war sofort wieder zurück und stellte den gewünschten Krug auf den Tisch.

Alvitur entfernte den Wachsverschluss und deutete auf den Krug: „Das ist ein sehr alter Wein und ich habe ihn für einen besonderen Anlass aufgehoben. Manchmal glaubte ich, dass er hier auf ewig verstauben würde. Ich denke, dass wir heute, mit diesem Bündnis, einen besonderen Anlass haben, der dieses Weines würdig ist.“

Alvitur schob Thurid und den Jungen je einen dieser Kelche zu.

„Sölvi, reiche uns doch noch zwei von den anderen Weinbechern und dann gieß’ bitte ein.“

Mit gespannten Gesichtern verfolgten alle am Tisch, wie Sölvi den Wein eingoss. Man sah, dass es kein Apfelwein war, denn er leuchtete in einem sehr dunklen rot.

Alvitur fuhr fort: „Nehmt eure Becher“ – und er erhob seine Stimme, wie bei einer großen Zeremonie: „Odin, Freyja und Thor, schaut auf uns. Wir lehren diesen Becher auf euch und auf dieses Bündnis. Wir schwören unser Leben für diese Aufgabe zu geben und einander auch in den schwersten Stunden beizustehen, damit unsere und eure Welt erhalten bleibt.

Trinkt!“

Die Runde am Tisch antwortete: „So sei es.“

ANDREAS

Skyggi saß auf einer Tischecke und äugte nach einem leckeren Bröckchen, oder nach einer Hand, die ihn füttern könnte. Er war immer hungrig und stibitzte Futter, wo es nur ging.

Die Mutter und Thurid schienen ihn jedoch überhaupt nicht sehen und kratzten mit ihren Löffeln in den Breischüsseln herum.

Skyggi wollte aber Aufmerksamkeit und so begann er, sich durch eine Vielzahl von Tönen bemerkbar zu machen. Seine Bemühungen blieben erfolglos, sie schauten ihn einfach nicht an.

Er hielt den Kopf auf seine, ihm eigene Art, mal nach links, mal nach rechts und macht, kehlige Laute. Plötzlich tönte es mit tiefer Stimme aus seinem Schnabel: „Hilda.“

Die Mutter ließ vor Schreck ihren Löffel in ihren Brei fallen und schaut Thurid entgeistert an und Thurid riss überrascht die Augen auf. „Raben können ja doch sprechen, wie in den alten Geschichten.“

„Na du bist witzig“, schnaufte Mutter Hilda, „du hast es doch eben gerade gehört. Außerdem kennst du ja die Geschichten von Odins Raben; wenn die nicht sprechen könnten, würde Odin von ihnen ja auch keine Neuigkeiten aus der Welt erfahren.“

Thurid lachte immer noch. „Aber toll ist es doch, dass Skyggi jetzt sprechen kann. Vielleicht kann ich ihm noch ein paar andere Worte beibringen und mich mit ihm unterhalten.“

Mit einem etwas traurigem Unterton fügt sie dann hinzu: „Vielleicht vermisse ich dann Vater und Falki nicht mehr so sehr, wenn sie so lange auf Fahrt sind.“

Mutter Hilda nickte zustimmen. „Ja, ich vermisse sie auch beide, aber da sind wir nicht die Einzigen. Gerda vermisst ihren Feykir und Aldis ihren Hervar. Aber Ernir hat gesagt, dass sie nicht sehr lange unterwegs sein würden. Er wollte auf jeden Fall zur Apfelernte wieder hier sein.“

Die Mutter stützte das Kinn in ihre Hände und fuhr in tröstlichem Ton fort: „Haithabu ist ja nun auch nicht unendlich weit weg.“

Sie stützte ihr Kinn in die Hand und sagte etwas nachdenklich: „Ich rechne eigentlich schon seit ein paar Tagen mit ihrer Heimkehr.

Falki war bestimmt überglücklich, dass er mitfahren durfte. Es ist ja schließlich seine erste größere Fahrt und für ihn bestimmt ein richtiges Abenteuer. Na ja, er wird langsam groß; ein junger Mann ist er inzwischen geworden. Da kann man nichts gegen machen. Das ist ja wohl auch gut so.“

Sie stieß Thurid leicht an und meinte: „Jetzt führe ich schon Selbstgespräche?“

„Nein Mama, ich höre dir doch zu und verstehe dich auch, aber wenn Skyggi jetzt immer mit uns redet, fühlen wir uns bestimmt nicht mehr so verlassen. Stimmt’s, Skyggi?“

Thurid kraulte den Raben etwas unter der Kehle und ermuntert ihn: „Sag noch mal Hilda.“

Und prompt kommt es wieder aus Skyggis Schnabel: „Hildaaa.“

Thurid und die Mutter kicherten erneut los, dass der Tisch wackelte.

„Ja, Töchterchen, wir werden den Kopf nicht hängen lassen und uns gleich draußen in die Arbeit stürzen.

Sag mal, woher hat Skyggi eigentlich den Namen Hilda, wo du doch jetzt schon seit zwei Jahren Thurid heißt?“

„Das ist doch einfach“, antwortete Thurid, „der Vater spricht dich doch auch immer mit deinem Namen Hilda an, wenn er hier ist und die anderen auch. Ich glaube, das ist das Wort, das er einfach am längsten kennt, oder am häufigsten gehört hat.

Aber Mutter sag mal, gehen wir auch zur Apfelernte, oder machen wir etwas anderes?“

„Versorge du mal die Hühner und die Gänse. Ich gehe mit Birta die Schweine füttern. Danach treffen wir uns später im Hain, bei den Äpfeln.“

Die Mutter griff Thurid bei ihren Zöpfen und zog sie zu sich heran. „Thurid, du bist eine wunderbare Tochter und ich bin sehr stolz auf dich, auch wenn du mit deinen sechzehn Jahren immer noch nicht stricken kannst, wie die meisten Mädchen.“

Dann gab sie ihrer Tochter einen Kuss auf die Stirn und einen leichten Klaps auf das Hinterteil. „Komm, lass uns den Tag anfangen.“

Mutter Hilda klapperte eifrig mit dem Geschirr und entsorgte die Reste ihres Frühstücks. Dafür hatten sie den Ekeleimer, wie ihn Thurid nannte. Aber für die Schweine waren diese Reste im Eimer immerhin noch Leckerbissen, an denen sie sich gerne labten.

Thurid suchte im hinteren Teil der Hütte, wo ihre Vorräte standen, das Futter für die Hühner und die Gänse zusammen. Buuh, hier war es so fürchterlich dunkel und sie musste aufpassen, dass sie nicht die falschen Körner nahm und an das Federvieh verfütterte.

Als sie alles im Futterkorb hatte, ging sie nach draußen. Thurid hatte immer ihren Spaß daran, zuzusehen, wie die dummen Hühner aufgeregt um sie herumflatterten und sich um das Futter stritten. Sie warf eine Handvoll Körner mal hierhin, mal dorthin und die gierigen Vögel folgten, aufgeregt gackernd und einander pickend. Thurid fand es spaßig und lachte vergnügt, wenn es besonders wild zuging.

Bei den Gänsen war es nicht ganz so spaßig und manchmal zwickte der Gänserich auch in Thurids Beine, so beeilte sie sich hier, damit sie bei der Apfelernte mitmachen konnte.

Endlich waren die lästigen Arbeiten erledigt und sie rannte auf flinken Füßen zum Apfelhain, der eigentlich schon ein richtiger Apfelbaumwald war.

Thurid liebte diesen Teil vom Dorf besonders und nannte deshalb Björkendal auch manchmal spaßeshalber Appledal, aber da war sie nicht die Einzige. Sie wusste, dass manche Leute aus anderen Orten sie auch manchmal Appledaler nannten.

Schon von weitem hörte Thurid die Stimmen der Leute, die zwischen den Apfelbäumen umherliefen. Solche Gemeinschaftsarbeiten, wie die Apfelernte, waren bei allen sehr beliebt. Hier ließ es sich wunderbar schwatzen und scherzen. Selbst die Männer, die eigentlich lieber mit ihrem Handwerk zu tun hatten, halfen hier gerne mit.

Die größeren Kinder und die jungen Erwachsenen kletterten in die Bäume, pflückten die Äpfel und die Stärksten buckelten, mit riesigen Kiepen, die reifen Äpfel zum Wagen, der immer irgendwo zwischen den Bäumen stand. Der alte Egill hielt sein Zottelpferd am Halfter und mümmelte an einem Apfel herum. Seine Aufgabe war es, den vollen Wagen, zum Langhaus zu fahren.

 

Zuerst steuerte Thurid zielstrebig auf ihre Mutter zu, die grade mit Birta einen vollen Korb zum Wagen schleppte, aber dann sah sie Sölvi, der auf einer Leiter wild herumfuchtelte, während seine Gefährten, unten am Baum, lauthals lachten. Neugierig schwenkte sie sofort um und kehrte der Mutter den Rücken.

Alfger und Arnor waren auch dort. Thurid rief Alfger und ihre Füße wurden immer schneller. „Alfger, Alfger!“

Mit hochroten Wangen rannte sie auf ihn zu, blieb vor ihm stehen, schaut sich rasch um und haucht ihm blitzschnell einen Kuss auf die Wange. Von den Erwachsenen, die alle mit der Apfelernte beschäftigt waren, bekam niemand diesen Kuss mit, aber Thurids Freunde machen natürlich lauthals ihre Scherze über die Verliebtheit von Thurid.

Arnor, der die große Leiter hielt, auf der Sölvi grade stand, macht vor lachen eine Kniebeuge und ließ die Leiter los. Als Folge schallte sofort Sölvis erregte Stimme aus dem Baum: „He, du hirnloser Riesentroll, stell die Leiter wieder richtig hin.“

Jetzt lachten alle anderen über Sölvi, denn der hing, mit einer Hand baumelnd, an einem Ast, aber er grinste dabei.

Thurid drehte sich zu Arnor um und schaute ihm ganz tief in die Augen. Mit betont strenger Stimme befahl sie ihm: „Arnor, sei doch nicht so ungeschickt. Stell sofort die Leiter wieder richtig hin. Willst du denn, dass dein Freund sich den Hals bricht?“

Arnor, der auch ein bisschen in Thurid verliebt war, schaute ganz verdattert drein, riss die Augen auf und lief rot an. Dann stellte er blitzschnell die Leiter wieder fest an den Stamm und Sölvi stöhnte von oben: „Na endlich.“

Sölvi kletterte nach unten und stellte sich neben Arnor. Er legte ihm den Arm um die Schulter und flüsterte ihm ins Ohr: „Es ist ja nichts passiert, bist trotzdem mein Freund.“

Dann standen sie, alle vier, in einem Kreis, taten es Sölvi nach und hatten die Arme auf der Schulter des anderen.

„Einer fehlt jetzt noch“, sagte Sölvi und die anderen nicken zustimmend.

„Ja, Falki fehlt mir auch“, gab Thurid zu, „aber Mama sagt, dass sie bald zurück sein werden.“

In diesem Moment tönte die Stimme von Birta, Arnors Mutter, herüber: „Was macht ihr da? Wird das eine Verschwörung? Nennt ihr das Äpfel ernten?“

Alle vier drehten sich zu Arnors Mutter um und grinsten ihr ins Gesicht.

Birta lachte nun auch. Sie wusste ja, dass die vier immer zusammen waren und so manchen Unfug machten, der aber nie bösartig war. „Eigentlich sind sie die besten Kinder, die man sich wünschen kann“, ging es Birta durch den Kopf. Da stand plötzlich Thurids Mutter neben ihr und flüsterte: „Du hast ja Recht, aber es fehlt noch einer in der Runde.“

Birta schaut überrascht zu Hilda: „Aber ich hab doch gar nichts gesagt.“

Hilda lachte wissend. „Aber es war nicht schwer zu erraten, was du grade gedacht hast.“

Nun kam auch noch Kibba und fragte neugierig: „Was macht ihr denn da? Hab ich was verpasst?“

„Nein, nein, Kind, ich hab nur grade festgestellt, dass ich nirgends woanders leben möchte, als hier, hier bei unseren Äpfeln.“

„Und unseren Kindern“, ergänzte Hilda.

Mitten in das Treiben um die reifen Äpfel, tönte vom Fjord her, dreimal ein lang anhaltender Ton, aus einem Horn; Ein Schiff war in Sicht.“

Dann erschallte ein zweistimmige Ruf: „Ein Schiff kommt!“

Alle ließen sofort von der Arbeit ab. Leute sprangen von den Leitern, Körbe kippten um und in Erwartung dieses wichtigen Ereignisses bewegten sich alle auf die beiden Rufenden zu, die auf den Apfelhain zugerannt kamen.

Es waren Elfa, und Bjarki, der Sohn vom Töpfer.

Im Nu standen die Leute um die beiden herum, die wie junge Hunde hechelten.

„Es kommt ein Schiff, aber es ist keines von unseren. Es ist noch ziemlich weit weg“, sprach Elfa, die nicht mehr ganz so arg hechelte, während Bjarki immer noch schnaufte.

Die Björkendaler schauten sich aufgeregt an. Fragen flogen hin und her. Ein fremdes Schiff? Jeder wusste, dass ihre entlegene Gegend kaum ohne wichtigen Grund von einem Schiff befahren wurde.

Da schaltete sich der alte Egill ein: „Lauft mal schon zum Steg, ich kann ja nicht so schnell. Oddrun und ich sammeln noch die vollen Körbe ein und bringen dann alles zum Langhaus. Ihr werdet uns schon alles haarklein erzählen, so dass wir nichts versäumen.“

Die Leute guckten noch etwas unentschlossen, aber ein fremdes Schiff war schon etwas Besonderes, da musste man sofort zum Steg und die Ankömmlinge begrüßen.

Sie ließen ihre Körbe liegen und bewegten sich alle eiligst zum Fjord.

Jetzt standen die Björkendaler aufgeregt auf dem großen Steg und reckten gespannt die Hälse nach dem Schiff, das sich ihnen näherte.

In einem wirren Geraune überboten sie sich gegenseitig in Mutmaßungen, wer da wohl käme.

Es war fast Mittagszeit und die kleinen Wellen im Fjord glänzten im Sonnenlicht, wie poliertes Silber, so dass viele die Hände über die Augen hielten, um nicht geblendet zu werden.

Das Schiff war inzwischen näher gekommen und auch der Letzte von ihnen erkannte nun, dass es keines der ihren Schiffe war. Ihr Handelsschiff, die Knorr, war viel größer und breiter. Sie müsste ja auch in den nächsten Tagen zurückkommen, aber das Schiff, das sich da näherte, war klein und schlank.

Das Boot näherte sich mit hoher Geschwindigkeit der Anlegestelle zu. Die Besatzung schien es eilig zu haben, denn neben dem Segel, das das Boot vorwärts trieb, bewegten sich auch noch im schnellen Rhythmus die Ruder.

Thurid stand ganz vorne auf dem Steg und hielt sich an einem Pfahl fest. Als sie gesehen hatte, dass das Boot nicht ihre Knorr war, mit dem Vater und Falki unterwegs waren, sank ihr Interesse doch ziemlich und sie hielt ihr Gesicht, mit geschlossenen Augen, der Sonne entgegen. Einen Moment lang genoss sie das leise Plätschern der kleinen Wellen, an den Pfählen des Stegs und die weithin tönenden Möwenschreie. Sie genoss es auch als sich sanft der Arm ihrer Mutter um ihre Schultern legte.

„Bist du enttäuscht, Töchterchen?“

„Ach Mama, ohne Falki ist doch alles ziemlich langweilig. Falki kann sich die Welt ansehen und ich muss Äpfel ernten.“

Die Mutter drückte Thurid sanft und raunte ihr ins Ohr: „Ich bin mir ganz sicher, dass du noch genug von der großen Welt sehen wirst. Ich weiß ja nicht alles, aber wenn ich mich an Alviturs Worte erinnere, bin ich mir sicher, dass du noch sehr viel Neues sehen wirst.“

Das Schiff war nun schon so nahe, dass sie es als eines aus dem Nachbarort Hjemma erkannten. Die einzelnen Leute der Besatzung waren schon zu erkennen und manch einer war ihnen auch vom Angesicht her bekannt. Den langen Mann am Ruder erkannten alle. Das war Mikjall aus Hjemma und allen war nun klar, dass sie gleich etwas Wichtiges erfahren würden. Ohne triftigen Grund würde keiner ein Boot von Hjemma nach Björkendal schicken.

Das Gemurmel der Leute wurde leiser und verebbte für einen Moment völlig, denn nun konnten alle die gesamte Mannschaft des Bootes erkennen und auch sehen, dass ein Fremder im Bug des Bootes stand.

Der Mann war nicht sehr groß, aber er hatte dafür breite Schultern und trug ein etwas merkwürdiges Gewand, einen langen graubraunen Wollmantel mit Kapuze und statt eines Gürtels hielt nur eine dicke Kordel die Kleidung zusammen.

Als hätte jemand den Björkendalern den Mund zugeklebt, war mit einem mal Stille auf dem Anlegesteg. Alle schauten neugierig auf den Mann, den Niemand hier kannte. Nur noch das Quietschen der Ruder und das Rauschen der Bugwelle waren zu hören. Nach ein paar Ruderschlägen gurgelte das Wasser an den Rudern und zeigte das Bremsmanöver an.

Die Ruder wurden hochgestellt und das Boot schob sich knirschend an den Balken des Stegs entlang, bis es mit einem Ruck stehen blieb.

Die Björkendaler fanden schlagartig ihre Stimmen wieder und waren eifrig bemüht die Taue, die vom Boot geworfen wurden, aufzufangen und an den Pfählen festzubinden.