Zwei gegen Ragnarøk

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Nach einer kleinen Weile fügte er noch hinzu: „Aber die Blasebalge geben Dampf in den Armen, wirst’ schon noch merken“ – und dabei zeigte er stolz sie Muskeln an seinen Oberarmen.

Als sie am Bachufer saßen, hatte Arnor plötzlich noch zwei Äpfel in der Hand und hielt sie Falki hin.

Falki dachte noch: „Die sind aber schrumpelig“, da fiel er auch schon ins Gras und schlief ein.

Etwas zwickte in Falkis Lippe und er öffnete die Augen. Auf seiner Brust saß ein schwarzes Ungeheuer und zwickte schon wieder in seine Lippe, aber da war noch was. Zwischen seinen Lippen steckte ein Stück Trockenfisch.

Falki spuckte und richtete sich auf.

Verwirrt schaute er in die Runde und Skyggi flatterte empört um seinen Kopf.

„Du schläfst ja wie ein Toter und merkst nicht mal, wenn Skyggi dich füttern möchte, oder küsst“, schimpfte Hilda entrüstet.

„Irgendwie hatte ich mir Küsse anders vorgestellt. Ich glaube auch nicht, dass man dazu Trockenfisch im Mund haben muss, „empörte sich Falki.

Da lachte Hilda, die hinter Falki saß. „Irgendwie musste ich Skyggi ja dazu bringen, ein Küsschen zu geben. Er hat wirklich gut gelernt und es schnell begriffen. Wenn ich jetzt sage gib Küsschen, dann macht er das auch.“

Falki ließ sich wieder nach hinten fallen und machte: „Pffft, und ich habe gelernt, einen Blasebalg zu bedienen.“

„Warum seid ihr beiden denn so nass, habt ihr beim arbeiten so doll geschwitzt?“

„Ha, das merkst du jetzt erst. Aber das ist nur so, weil wir uns vor dem Essen hier im Bach die Hände gewaschen haben“, antwortete Falki.

Hilda machte ein grüblerisches Gesicht und Arnor lachte laut los, weil dieser Witz nun noch einmal funktioniert hatte.

Falki stand auf und bewegte seine Arme hin und her, hoch und runter. „Ich glaube, den Blasebalg kann ich heute nicht mehr bedienen. Arnor, jetzt musst du das machen, sonst falle ich um.“

Arnor nickte nur und meinte: „Komm, wir kriegen das schon hin. Vater wartet bestimmt schon auf uns.“

Hilda setzte sich Skyggi auf die Schulter und lächelte die beide Jungs mitleidig an. „Na dann macht’s mal gut, ihr kaputten Helden.“

Wieder in der Schmiede, stand Steinar schon am Feuer und schüttete etwas Holzkohle nach.

„Falki, komm, jetzt wirst du lernen, wie man Nägel schmiedet. Arnor bedient den Blasebalg, aber vorher geh mal zu Gunnar und hole dir rasch einen Lederschutz, damit du auch aussiehst, wie ein richtiger Schmied. Nimm ihm noch den Schaber mit, der dort liegt.“

Als Falki wieder in der Schmiede zurück war, suchte Steinar in seinen Eisenvorräten einen ziemlich dünnen Stab aus und hielt ihn Falki hin. „So, mein Junge, daraus machen wir jetzt Nägel und wenn du nachher nach Hause geht’s, bist du in der Lage, alleine Nägel zu schmieden.“

Falki guckte ungläubig, dann fragte er: „Wirklich?“ Und als Steinar nickte, hellte sich sein Gesicht voller Erwartung auf.

Steinar griff das dünne Eisen und ging an die Esse.

„Falki schau’ her, du musst dir merken, wie die Farbe des glühenden Eisens sein muss, damit du es gut schmieden kannst. Na ja, du bist fix im Kopf. Wenn du aufmerksam zuschaust, muss ich nicht so viel reden. Du wirst das schon verstehen.“

Mit der Zange drehte Steinar den Stab in der Glut hin und her und Arnor bediente den Blasebalg.

Dann schmiedete Steinar den Stab an einem Ende dünn und dünner, bis eine dünne Spitze entstanden war.

„Falki, pass auf, ich muss jetzt diese Stück vom Rest des Stabes trennen. Hier auf diesem Keil schlage ich das glühende Ende durch.“

Falki riss die Augen auf um sich ja nichts entgehen zu lassen. Obwohl er schon oft in der Schmiede gestanden und Steinar zugesehen hatte, schien ihm heute doch alles anders zu sein. Er wusste, jetzt wird richtig gelernt und kein Hammerschlag, keine Handbewegung Steinars entging seinen aufmerksamen Augen.

„Schau mal Falki und hiermit verschaffen wir jetzt dem Nagel einen Kopf, damit es ein richtiger Nagel wird“ – und Steinar steckte den halbfertigen Nagel in ein Eisen mit einem Loch und schlug dann auf das stumpfe Ende ein, bis ein runder Nagelkopf entstanden war.

Falki hatte das schon öfter gesehen, aber noch nie hatte er dabei Herzklopfen empfunden, so wie jetzt.

Steinar zeigte ihm, mit einem zweiten Nagel, alles noch einmal und schaute ihn dann fragend an: „Na, willst du es jetzt versuchen?“

Falki nickte, griff sich den dünnen Stab und ging zur Esse. Er war fürchterlich aufgeregt, aber als das Eisen in der Glut steckte und Arnor den Blasebalg bediente, überkam ihn plötzlich innere Ruhe. Falki sah nur noch den Stab und die Glut. Das Glühen des Eisens schien ihm jetzt wie Magie zu sein. Er wartete, bis er so durchgeglüht war, wie Steinar es ihm gezeigt hatte.

Fast wie im Trance ging er zum Amboss und schmiedetet den Nagel. Ping, ping, ping, klang es in seinen Ohren. Falkis Arme taten auch gar nicht mehr weh, er wollte nur noch schmieden. Jetzt den Nagel abtrennen – ping, ping, ping und ab war er. Falki hielt ihn nun mit der Zange wieder in die Glut, nur ein Bisschen und dann schmiedete er den Nagelkopf. Ohne Unterbrechung formte Falki den Nagelkopf, bist Steinar brummte: „Es reicht!“

Dann fügte er etwas leiser hinzu: „Falki, bist du taub? Ich hab dreimal gesagt, dass es genug ist. Du hämmerst ja wie ein Besessener. Aber zeig mal – hmm, der sieht gut aus. Ich sehe, du hast es begriffen und du kannst es. Mit einem Zisch hielt Steinar den Nagel in den Wassereimer.

„Hier nimm ihn mit und mach Feierabend. Geh nah Hause und freue dich über dein erstes selbst geschmiedetes Stück.“

Falki griff den Nagel und atmete tief durch. Als sein Herz plötzlich heftig loshämmerte, wurde ihm bewusst, dass das jetzt ein besonderer Moment war. Leise sagte nur: „Danke, Steinar“ – und verließ, ganz in sich versunken, den Nagel betrachtend, die Schmiede.

Arnor schaute etwas verwundert auf Falki, der so andächtig, mit einem Nagel in der Hand, die Schmiede verließ und wollte etwas sagen, aber Steinar gab ihm ein Zeichen, zu schweigen.

Er zeigte auf Falki und legte seinem Sohn den Finger auf dem Mund.

Als Falki außer Sicht war, sagte er zu Arnor: „Du musst dich anstrengen um mit ihm mitzuhalten. Falki wird ein hervorragender Schmied werden. Ich glaube, Falki hat goldene Hände zum Schmieden.“

Er legte Arnor die Hand auf die Schulter, zog ihn an sich und raunte ihm ins Ohr: „Aber du wirst mal hier der Schmied von Björkendal sein.“

TROLLI

Diesmal kam Birta als erste auf die Idee, die Frauen zum Sammeln von Pilzen und Beeren zusammenzurufen. Die Morgensonne hatte Björkendal erweckt und die ersten Leute zeigten sich zwischen den Hütten, da ging Birta von Hütte zu Hütte und fragte, wer mitkommen möchte.

Da Birta mit der großen Hilda befreundet war, ging sie natürlich als erstes zu ihr und Hilda sagte auch sofort zu.

Das freundliche, spätsommerliche Wetter war wie geschaffen für das Sammeln von Beeren und Pilzen und so hatten die beiden Freundinnen in kurzer Zeit, eine große Gruppe von Frauen und Mädchen gefunden, die mit in den Wald wollten.

Fast alle hatte zwei Sammelkörbe bei sich. Kurze Zeit später fanden sich auch noch die Mädchen Stina und Lipurta bei der Gruppe ein, die vor Hildas Hütte wartete.

Als Klein Hilda gefragt wurde, ob sie nicht auch mitkommen wollte, zog sie die Stirn kraus und maulte: „Ööö, nein, ich habe keine Lust auf Beerensuche, und mein Bein tut auch weh, weil ich grade wieder wachse.“

Die Mutter strich ihr über den Kopf und sagte: „Na gut, dann wachse mal in Ruhe weiter und übe noch etwas stricken. Du kannst aber auch noch etwas Getreide für die Grütze mahlen. Vergiss nicht das Stricken, denn er Winter kommt bestimmt bald. Wir brauchen alle noch ein paar warme Strümpfe und du machst ja von uns allen die meisten Strümpfe kaputt. Stimmt’s, meine kleine Strumpfhilda.“

Hilda schaute ihre Mutter strafend an. „Uuh, du sollst das nicht immer sagen. Ich heiße nicht Strumpfhilda.“ Aus dem Hintergrund kam wie zur Bestätigung von Hildas Ungemach Skyggis Rabenstimme: „Arr, arr.“ Dann flatterte er etwas und setzte sich, wie um ihr beizustehen, auf ihre Schulter.

„Ich hab dich trotzdem lieb“, sagte die Mutter. „Dann bleib eben hier und lass dir von Skyggi beim stricken helfen, aber mache keine Dummheiten.“

Als die Frauen abmarschbereit waren, klatschte Birta in die Hände und rief: „Kommt Mädels, lasst uns die Köstlichkeiten des Waldas einsammeln! Ich denke, dass es ein wunderschöner Tag wird und wir alle volle Körbe nach Hause bringen werden.“

In der Luft lag noch sommerliche Wärme, obwohl es in der letzten Zeit öfter geregnet hatte, aber dadurch wuchsen jetzt, die herrlichsten Pilze und Beeren in den Wäldern.

Für die meisten der Frauen war es eine willkommene Abwechslung zur Feld- und Hausarbeit. Im Wald konnten sie nach Herzenslust schwatzen, singen und lachen. Außerdem gab es dann in den nächsten Tagen leckeres Essen.

Kaum war das Stimmengewirr vor der Hütte verstummt, da nahm sich Hilda wirklich ihr Strickzeug vor und begann, an dem Strumpf weiterzustricken, den sie schon vor Tagen angefangen hatte. „Vielleicht kriege ich diese doofen Dinger ja doch einmal fertig“, murmelte sie vor sich hin und begann mit verbissenem Gesicht ihre Strickarbeit zu vollenden.

Skyggi war gelangweilt auf den Tisch gehopst und suchte dort nach Speiseresten. Als er nichts fand setzte er sich an den Tischrand, hielt den Kopf schief und äugte neugierig nach Hildas Händen.

Nach einer ganzen Weile anstrengender Strickerei, stöhnte Hilda auf: „Puh, ist das langweilig.“ Sie mühte sich noch einige Zeit mit wachsender Unlust, Masche für Masche am Strumpf zu stricken, aber dann packte sie das Strickzeug zur Seite und überlegte, was sie mit dem Tag anfangen könnte.

 

Als ob Skyggi darauf gewartet hätte, packte er blitzschnell die Stricknadeln mit dem Schnabel und flatterte damit auf dem Tisch hin und her.

„Skyggi, oooh nein! Du alte, doofe Krähe, lass los!“, schimpfte Hilda und griff nach ihrem angefangenen Strumpf, der grade dabei war, durch Skyggis Mithilfe, wieder zu einem welligen Wollfaden zu werden.

„Skyggi, irgendwie muss ich dir noch beibringen, wie du ein anständiger Rabe wirst. Wie stehe ich denn vor Falki da, wenn ich dich nicht erziehen kann? Soll ich dich heute festbinden? Ich will doch raus.“

Hilda überlegte, was sie mit dem Raben anfangen könnte. „Ach was soll ich nur mit dir machen?“, schimpfte sie. „Machst du hier drinnen alleine Unfug? Soll ich dich raus lassen?“ Sie gab Skyggi noch ein paar Leckereien und ließ ihn dann zur Tür hinausflattern.

Hilda stand unschlüssig in der Tür und schaute in den leicht bewölkten Himmel. Sie überlegte jetzt angestrengt was sie nun wirklich mit dem Tag anfangen sollte. Ihre besten Freunde waren alle woanders; Falki war bei Steinar in der Schmiede, Alfger mit den Männern zum Fischfang, die großen Mädchen waren auch im Wald und im Dorf mit den kleinen Kindern spielen, dazu hatte sie schon gar keine Lust.

„Na gut“, entschied sie endlich, „dann gehe ich eben auch in den Wald und sammle mit.“

Sie nahm sich ihren Umhängekorb, steckte etwas Brot, ein paar Nüsse und einen Apfel ein. An der Tür ließ sie noch einmal ihren Blick durch die Hütte schweifen, nahm sich noch einen weiteren Sammelkorb und ging los.

Skyggi würde bestimmt zu Sölvi fliegen, weil die beiden sich mochten, da brauchte sie sich keine Sorgen um den Raben machen.

„Hm, hatten die Frauen eigentlich gesagt, wo sie heute sammeln wollten?“, fragte sie sich selbst. So ein Pech, Mutter Hilda hatte nichts gesagt und so ging sie auf gut Glück los.

Bestimmt lag es daran, dass sie diese Gegend besonders mochte, denn fast von alleine trugen sie ihre Beine in die Richtung zu den Dreien, wo sie das Rabenei hergeholt hatten.

Weil es in den letzten Tagen öfter geregnet hatte, war der Waldboden noch ziemlich weich und die Rentierflechten, die bei Trockenheit unter den Füßen laut knirschten, waren nun wie weiche Wolle unter ihren Schritten.

Dort wo die Sonne den Waldboden erreichte, stieg dampfend Feuchtigkeit auf. So mochte sie den Wald ganz besonders und sie dachte kurz an Alviturs Geschichten, die von heimlichen Waldwesen handelten.

Es gefiel ihr, bei dieser Stimmung durch den Wald zu laufen und sie begann leise vor sich hin zu summen. Die Luft war mild und ihre Füße flink. Schon nach kurzer Zeit war Hilda in der Nähe der besagten Felsen.

Nicht weit davon, fand sie auch eine verlockende Stelle, an der Blaubeeren und Preiselbeeren massenhaft wuchsen. Als erstes musste sie sich eine ganze Hand voll Blaubeeren in den Mund stecken, dann hockte sie sich hin und begann die Beeren in ihren Korb zu sammeln.

Hilda fühlte sich richtig gut und sang leise vor sich hin. Das Beerensammeln ging hier so einfach und es gefiel ihr bedeutend besser, als das langweilige Stricken. Obwohl Hilda sich immer wieder eine Handvoll Blaubeeren in den Mund schob, füllte sich ihr Korb langsam. Die Sonne schien gerade wieder durch eine große Wolkenlücke und mit jedem Sonnenstrahl fühlte sich Hilda noch besser.

Als sie wieder auf allen Vieren herumkrabbelte, um Beeren zu sammeln, nahm sie einen etwas sonderbaren Geruch war. Sie schnüffelte in alle Richtungen und plötzlich erinnerte sie dieser an Etwas, aber es fiel ihr nicht sofort ein, an was. Es roch ziemlich intensiv nach dickem Moos, aber das war ja normal, hier im Wald. Sie schnüffelte weiter und fand: Es roch auch nach Pferd. Hilda schaute sich mehrfach um, aber sie entdeckte nichts, was ihre Aufmerksamkeit erregte. Sie dachte dann auch nicht länger nach und sammelte weiter die saftigen Beeren.

Als sie einen Korb schon fast voll hatte, dachte sie, dass es toll wäre, den anderen Korb mit Pilzen zu füllen. Sie überlegte kurz, wo Pilze wachsen könnten und schlug dann die Richtung, nach Norden, in die Bergwälder ein. Sie wusste, dass dort um diese Jahreszeit Pilze wuchsen. „Vielleicht treffe ich ja dort auch die anderen Frauen“, dachte sie bei sich.

Ihre Augen suchten eine ganze Weile den Waldboden nach Pilzen ab, aber noch hatte sie keine lohnenswerte Pilzstelle gefunden, nur hier und da mal einen einzelnen Pilz. Irgendwann erreichte sie eine kleine, enge Schlucht, die aber so verlief, dass sie jetzt voll im Sonnenlicht lag.

„Na, da war doch meine Nase richtig“, frohlockte sie und staunte über die riesige Ansammlung von rothütigen Pilze.

„Hmmm, na Pilze, wie heißt ihr den?“, stellte sie sich selbst die Frage und ahmte dabei Fifillas Ton nach. Lachend gab sich Hilda auch gleich selbst die Antwort, nachdem sie kurz nachgedacht hatte: „Ja, ihr seid Apfeltäublinge, und die schmecken gut.“

Voller Freude auf die lohnende Entdeckung, kroch Hilda auf allen Vieren über den Waldboden und sammelte die Täublinge ein. Sie merkte in ihrem Eifer nicht, dass sie sich einem tiefen Loch im Waldboden näherte, das von Blaubeerbüschen verdeckt war.

„Ha, du bist aber schön“, sagte sie zu einem prachtvollen Pilz und reckte sich, um ihn zu greifen, doch sie war dem Rand der Erdspalte schon zu nahe und verlor den Halt. Hilda stürzte kopfüber in das verdeckte Loch. Der Fall schien ihr unendlich zu dauern, dann wurde es dunkel um sie.

Als Hilda ziemlich benommen wieder zu sich kam, sah sie, dass sie auf dem Boden eines sehr tiefen Loches lag. Rings um sie herum war ihre gesamte Ausbeute an Pilzen und Beeren verstreut.

Ihr war schwindelig im Kopf und vom Sturz taten ihr alle Knochen weh. Sie setzte sich langsam auf und schaute sich um.

„Auuu, mein Kopf. Oooch, das wird ’ne dicke Beule“, jammerte sie und schaute sich dann ihre abgeschürften Knie und Hände an, die ziemlich doll brannten.

Eine ganze Weile saß Hilda so da, ohne überhaupt etwas zu denken, doch dann rappelte sie sich auf und begann die Beeren und Pilze wieder einzusammeln. Als ihre Ernte wieder vollständig eingesammelt war, betrachtete die Wände, die um sie herum steil aufragten und ihr wurde bewusst, dass sie nicht so einfach aus diesem Loch herausklettern konnte. Als sie nämlich einen ihrer Körbe auf den Rand des Loches abstellen wollte, merkte sie, dass sie ihn nicht einmal durch Springen erreichen würde.

Hilda schob ihr Kinn vor und sagte entschlossen: „Dann muss ich eben versuchen, zu klettern und meine Körbe hier unten lassen. Schade um die schönen Beeren und Pilze, da war meine ganze Mühe umsonst.“

Hilda suchte Halt an der steilen Wand und griff nach ein paar Würzelchen, die zahlreich aus den Spalten im Fels herausguckten. Hilda war stark für ein Mädchen und sie schaffte es, sich ziemlich weit hoch zu ziehen, doch dann; ratsch, rissen die Wurzeln ab und Hilda saß wieder unten.

Alle folgenden Versuche endeten ähnlich und ihre Fingernägel brachen auch vom ständigen Abrutschen am harten Fels ab. Als ihre Hände von den erfolglosen Kletterversuchen heftig schmerzten, wurde sie sich der ausweglosen Situation bewusst. Sie stieß ein wütendes Keuchen aus und setzte sich, mit grimmigem Gesicht, auf den Boden.

„Hier hört mich doch nicht mal jemand, wenn ich schreie“, dachte sie verzweifelt.

In tiefem Grübeln versunken, begriff sie langsam ihre Hilflosigkeit und die Tränen traten ihr in die Augen. Verzweifelt legte sie den Kopf auf ihre Knie und begann zu weinen.

Irgendwann verschwand auch noch die Sonne hinter dicken Wolken und es begann zu nieseln. Ganz fein fiel der Regen und Hilda wurde nass.

Ein paar Mal noch stand sie auf und schrie sich die Lunge aus dem Hals. Sie rief alle Namen die ihr grade einfielen und: „Hier bin ich, hiiiiiier …!“, aber niemand hörte sie. Die Wildnis um sie herum schien überhaupt leer zu sein, denn nicht mal Vögel waren zu hören.

Immer wieder rief sie, immer wieder, bis sie sich, unendlich verzweifelt, hinsetzte und weinte.

Die Zeit schlich nur so dahin und trotz ihrer nassen Kleidung, döste sie, irgendwann erschöpft, ein. Hilda schlief so fest, dass sie zu träumen begann. Alles Mögliche purzelte ihr durch den Kopf, auch dieser seltsamen Geruch fiel ihr wieder ein, der ihr unterwegs aufgefallen war und doch irgendwie bekannt vorkam. Im Traum begann sie wieder danach schnüffeln und wurde langsam davon wach.

Halb im Traum, halb Wirklichkeit, formten ihre Lippen das Wort: „Trolli“, dann spürte sie in sich ein intensives Kribbeln und sie wurde vollends wach. Sie fühlte plötzlich wieder das Gleiche, dass sie damals spürte, als sie das Rabenei holten, aber sie konnte es nicht richtig einordnen. Es war so anders, als alle bisherigen Gefühle und dann wusste sie schlagartig, dass sie gerade ein anderes Wesen erspürte, dass hier in der Nähe war. Hilda hörte ein Geräusch über sich und hob den Kopf.

Inzwischen war es dämmerig geworden, aber sie konnte ganz deutlich einen Zottelkopf am oberen Rand der Grube sehen und sein eigentümliche Geruch, drang ihr ganz deutlich in die Nase.

Der Zottelkopf beugte sich etwas zu ihr herunter und große Augen schauten sie fragend an.

Hildas Herz begann vor Erregung, wild zu klopfen, hoch bis in den Hals. Sie spürte den Troll und auch dass er nichts Böses im Sinn hatte. Es war fast so, als ob sie hörte, dass er ihr gut war und nur helfen wollte.

„Trolli, bis du das?“, sprach sie ihn an. Hoffnung kam in ihr auf und sie rief: „Trolli, ich bin es, die Hilda. Ich habe dir damals unseren Brei gegeben. Ich bin Hilda. Erinnerst du dich? Hilda, die dir Essen gab.“

Der Troll brummelte etwas und dann formten seine Lippen das Wort „Iiidaaa.“

„Hilda, nicht Ida“, rief sie zurück.

Der Troll schaute weiter von oben, mit seinen großen Augen, auf sie herab und wiederholte: „Iiidaa.“

„Na gut, dann bin ich eben Ida. Trolli, hilf mir! Ich komme hier alleine nicht mehr raus!“

„Iiidaa“, tönte es wieder von oben, dann verschwand der Kopf plötzlich.

Hilda brüllte nun aus Leibes Kräften: „Nein! Trolli, bleib hier! Bitte, geh nicht weg! Trolli, komm zurück!“

Nichts rührte sich, da fing sie wieder an zu weinen und setzte sich verzweifelt hin. Bittere Tränen tropften auf ihre Knie.

Etwas entfernt, hörte sie plötzlich ein Schaben und Rascheln. Sie hob den Kopf und lauschte. Ganz schnell waren die Tränen versiegt. Nun hörte sie lautes Knacken, das Brechen von Ästen, dann das Krachen von dickerem Holz.

Sie wusste sofort, das war der Troll. „Er ist also noch hier und will mir helfen“, ging es ihr erfreut durch den Kopf. Hilda stand auf und schaute ungeduldig nach oben und dann sah sie wieder den Kopf über den Grubenrand schauen. Er brummelte etwas in seiner Trollsprache und Hilda wusste jetzt, dass er ihr helfen würde.

Die Rettung kam wirklich und ein kleiner Baum wurde über den Grubenrand geschoben. Der Troll brummelte wieder etwas, dann schob er den Stamm immer tiefer, bis er auf dem Boden aufsetzte.

Mit Freuden stellte Hilda fest, dass am Stamm die Äste, zwar abgebrochen waren, aber so, dass man auf den Aststümpfen, wie auf einer Leiter, nach oben klettern konnte.

Der Troll beugte sich weiter vor und wie eine Aufforderung klang es diesmal: „Ida“, aus seinem Mund. Er brummelte noch etwas und zeigte eindeutig auf den Baum, der nun fest auf dem Boden stand.

Hilda sprang vor Freude in die Luft und rief: „Trolli, mein Retter, danke!“, dann griff sie ihre Sammelkörbe. Einen Korb hängte sie sich um, den anderen nahm sie zwischen die Zähne und kletterte am Stamm empor, den der Troll oben festhielt.

Inzwischen war es Nacht geworden und es nieselte immer noch. Wegen der dicken Wolken war der Mond nur schemenhaft zu sehen und der Troll erschien ihr wie ein Schatten, der nur wenig größer war als sie selbst.

Es war kälter geworden und in ihrer nassen Kleidung begann Hilda zu zittern.

Bevor sie noch irgendetwas überlegen konnte, griff eine große, feste und behaarte Hand nach ihrer und zog sie mit sich fort.

Hilda war erst überrascht, aber da sie immer noch die Freundlichkeit spürte, folgte sie ohne zu zögern. Sie wusste, dass Trolli, wie sie ihn nun nannte, ihr nichts Böses antun würde. Mit diesem neuen Gespür, diesem neuen Sinn, merkte sie es ganz deutlich und hatte sofort Vertrauen zu ihrem zotteligen Retter.

 

Hoffentlich führt er mich in die richtige Richtung, ich sehe ja nicht mal den Boden, dachte sie und stolperte laufend über die Äste. Doch der Troll hielt sie fest und Hilda überließ sich willig seiner Führung.

Es regnete immer stärker und Hilda wurde nass bis auf die Haut. Eine kleine Wolkenlücke und das hellere Mondlicht zeigten ihr, dass sie jetzt wieder in der Nähe der drei Felsen waren, also war ihr Weg richtig. Die Silhouette der Felsen zeichnete sich undeutlich vor dem Nachthimmel ab.

Hilda wurde es lausekalt und sie zitterte immer stärker. Der Troll zog sie plötzlich näher an die Felsen heran. Hilda wunderte sich erst, doch dann merkte sie, dass er sich sehr gut auskennen musste, denn er schob sie in eine Felsöffnung, die sie hier nicht kannte.

Sie fand sich plötzlich in einer kleinen Höhle wieder, die hinter dichtem Gestrüpp verborgen war.

Trolli schob Hilda ganz hinein und drückte sie auf den Boden. Als sie saß, bemerkte sie auch, dass der Boden kein harter Fels war, sondern dass alles mit Reisig und Moos ausgepolstert war, so dass sie weich saß.

„Das wird wohl Trollis Lager sein“, stellte sie fest und wurde plötzlich hundemüde. Als der Troll sich neben sie hinsetzte, konnte sie nicht anders, als sich an ihn anzulehnen. Sie merkte noch, wie er einen Arm um sie legte und schlief augenblicklich ein.

Als Hilda langsam erwachte, dachte sie im Halbschlaf: „Puuh, mein Bett riecht aber merkwürdig“, dann wurde ihr bewusst, das ihr Bett Trollis Pelz war und sie immer noch in seinen Armen ruhte. Jetzt wurde sie schlagartig wach, richtete sich auf und sah, im Dämmerlicht, genau in die großen Augen ihres Retters.

Er schaute fragend auf Hilda und sie spürte, da war etwas, das ganz tief in ihre Seele ging. Sie spürte Wärme und seine Umarmung. Es war sonderbar, aber sie fühlte sich sonst nur in den Armen ihrer Mutter so sicher, wie jetzt hier. Hilda genoss dieses Gefühl und lehnte sich wieder an den Troll, bis sie feststellte, dass sie Hunger hatte.

Sie war froh, als sie daran dachte, wie der Troll sie gerettet und dann die ganze Nacht bei ihr gesessen hatte, um sie zu wärmen. Das Gefühl ihrer Dankbarkeit wurde so drängend, dass sie den Troll umarmen musste, ihn noch einmal fest drückte und dann flüsterte: „Trolli, mein guter Trolli.“

Der Troll murmelte etwas, das sie nicht verstand und dann wieder: „Ida.“

Nun wusste sie wirklich, dass er sie meinte. Er konnte ihren Namen nicht anders aussprechen. Mit Ida meinte er Hilda.

„Na gut“, flüsterte sie, „dann nennst du mich eben Ida, das geht auch.“ Sie tippte ihn mit dem Zeigefinger an die Brust und sagte: „Trolli“, dann auf ihre Brust, „Ida.“

Sie sah, wie Trolli seinen Mund verzog und dann wieder brummte: „Ida.“

Hilda war froh. All die Geschichten von Trollen stimmen wohl nur zur Hälfte; es gab sie, aber sie waren nicht böse. Trolli war kein Ungeheuer. Er war einfach nur gut zu ihr und hatte sie aus einer schlimmen Situation befreit. Wer weiß, ohne seine Hilfe würde sie bestimmt immer noch in diesem Loch sitzen und zittern. Bestimmt hätten ihre Leute sie irgendwann gefunden, aber erst heute und sie hätte die ganze Nacht in dem Loch sitzen und frieren müssen.

Sie umarmte den Troll noch einmal und drängelte sich dann an ihm vorbei aus der Höhle.

Vogelgezwitscher empfing sie und milde Helligkeit, in einem schattenhaften Wald, der im Morgenlicht dampfte, unwirklich und märchenhaft aussah. Der Regen hatte aufgehört und die Luft roch wunderbar frisch. Es war auch nicht mehr so kalt wie in diesem Erdloch. Hildas Sachen waren durch Trollis Wärme getrocknet und sie konnte jetzt nach Hause gehen.

Irgendwie wollte sie ihm danken und drehte sich zum Troll um. „Trolli, ich muss nach Hause gehen. Meine Leute machen sich bestimmt Sorgen um mich und meine Mutter wird ganz traurig sein. Trolli, ich werde dich nie vergessen. Du bist ein Freund.“

Dann suchte Hilda ihre Körbe und fand sie auch in der Höhle, aber sie waren leer. Trolli schob sich grade noch einen Pilz in den Mund und grummelte etwas, das ganz nach Zufriedenheit klang.

„Na gut, dann gehe ich eben ohne Pilze und Beeren nach Hause. Du hast sie dir wirklich verdient und ich hoffe, sie haben dir auch geschmeckt.“

Der Troll saß da und schaute sie nur aus großen Augen an. Hilda ging wieder einen Schritt auf ihn zu und umarmte ihn noch einmal. Nach einem dankbaren Blick in seine großen, dunklen Augen, nahm sie ihre leeren Körbe und verließ ihren neuen Freund.

Hilda lief ein paar Schritte, dann drehte sie sich noch einmal um und winkte ihm. Der Troll hob auch leicht einen Arm und brummte noch einmal: „Ida.“

„Nun aber rasch nach Hause“, dachte sie und lief mit schnellen Schritten los. Als sie sich noch einmal umdrehte, war der Platz vor dem Gebüsch leer, Trolli war weg.

Hier kannte sich Hilda wieder gut aus und nahm den direkten Weg nach Björkendal. Zwischendurch rannte sie, sprang über große Steine und helle Freude war in ihr. Sie hatte zwar ihre gesamte Ausbeute an Beeren und Pilzen verloren, aber sie hatte dafür einen ganz besonderen und geheimnisvollen Freund gefunden.

Sie konnte es selbst kaum glauben, was ihr da geschehen war. Sie hatte etwas sehr merkwürdiges erlebt, einen richtigen Troll, etwas das die Leute im Dorf nur aus den alten Geschichten kannten.

Als sie ein Stück des Weges zurückgelegt hatte, hörte sie plötzlich entfernte Rufe durch den Wald schallen.

„Hildaaaa“, klang es aus mehreren Kehlen. Am deutlichsten hörte sie Falkis Stimme heraus und ihre gute Laune sank schlagartig. Sie freute sich zwar auf ihre Leute, aber sie hatte auch ein schlechtes Gewissen.

Dann hörte sie es gleich von mehreren Seiten, das Knacken von Zweigen kam immer näher und Hilda schrie aus voller Lunge: „Hier bin ich. Ich lebe, mir geht es gut.“

Einen kurzen Augenblick war Stille, dann brachen Zweige, gefolgt von einem Preschen durch das Unterholz und wenig später stand Falki stand vor ihr.

„Hilda, Schwesterchen.“ Er umarmte sie stürmisch und drückte sie ganz fest, dann waren auch schon die anderen heran, Alfger, Lipurta, Birta, Bjarki und sogar Sölvi.

Außer Lipurta atmeten alle heftig. Sie war es auch die als Erste Worte fand und sagte: „Geht mal in aller Ruhe nach Hause, ich sag’ den anderen im Dorf Bescheid, dass wir Hilda gefunden haben“ – und schon rannte sie los, leichtfüßig wie ein Wolf.

Dann sah sie Alfgers besorgtes Gesicht. „Seit gestern Abend suchen wir dich, und wir haben sogar mir Fackeln gesucht, aber man konnte trotzdem nichts sehen. Die Nacht war zu dunkel und wir haben dann heute Morgen erst richtig angefangen, in zwei Gruppen, nach dir zu suchen.“

Birta nahm Hilda in den Arm und drückte sie liebevoll und sichtlich erleichtert. „Deine Mutter wird froh sein, dass wir dich gefunden haben. Sie ist in der anderen Gruppe. Obwohl sie weiß, dass du dich hier gut auskennst und dir immer zu helfen weißt, hat sie sich doch fürchterliche Sorgen gemacht. Na ja, nun wird ja alles wieder gut.“

Falki sah Hildas leere Körbe und sagte grinsend: „Aber sehr erfolgreich war dein Beerensammeln wohl nicht; sind ja leer deine Körbe. Hast wohl auf einer Wiese gelegen und nur vom großen Krieger Alfger geträumt?“

„Nein“, sagte Hilda und ihre Augen wanderten automatisch zu Alfger, der sich im Hintergrund hielt, „meine Körbe war gestern Abend…“

Dann brach sie erschrocken ab. Randvoll, wollte sie sagen, aber dann hätte sie vielleicht erklären müssen, wo ihre Beeren und Pilze geblieben waren. Das wollte sie jetzt doch lieber nicht, denn ihre Geschichte von einem Troll würde ihr doch keiner glauben, also musste sie jetzt schweigen.

Alle um sie herum schnatterten durcheinander: „Was ist dir denn passiert? Bist du verletzt? Bist du die ganze Nacht umhergeirrt?“ Und so weiter.

Hilda wusste gar nicht mehr, was sie sagen sollte und ihre gute Laune verflog ziemlich rasch, mit jedem Schritt mehr und mehr. Ihre Gedanken waren wieder bei Trolli und bei den Geschichten, die Alvitur über Trolle erzählt hatte. Was sie erlebt hatte, das war doch so anders und sie war sich nun ganz sicher, dass sie ihr Erlebnis mit dem Troll für sich behalten musste.