Eingezogen. Ein Wehrpflichtiger der NVA erinnert sich.

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Freizeit

Wie also die kärgliche Freizeit verbringen? Täglich etwa ein bis zwei Stunden waren vorgesehen und die galt es, wie wir im Soldatendeutsch sagten, »abzudienen«. In jeder Kaserne standen sogenannte Klubräume zur Verfügung. Hierin befanden sich etwas bequemere Sitzgelegenheiten, Bücher des sozialistischen Literaturerbes und ein Radiogerät. Die Skalen der Radios, auch der eigenen auf den Stuben, mußten alle an den Stellen markiert sein, wo die DDR- oder andere sozialistische Sender lagen. Denn den Klassenfeind abzuhören war strengstens verboten, wäre man doch so »der politisch-ideologischen Diversion des Gegners« ausgesetzt gewesen, wie es im »Handbuch des Militärischen Grundwissens - NVA Ausgabe« geschrieben stand. Aber ich hatte Glück, in dem Klubraum gab es auch zwei Gitarren und die waren selten belegt. Also zog ich damit in meinen geliebten Wandzeitungsredaktionskellerraum. Dort konnte ich ungestört mittels Gitarre meine Nerven beruhigen.

Gleich neben meinem Kellerraum war das Reich für unsere Kompaniemusikgruppe und den Kompanie-DJ mit seiner Tontechnik. Hier wurden diverse Instrumente strapaziert, kleine Auftritte einstudiert und die sonntägliche Kompaniebeschallung, Disco genannt, vorbereitet. Hin und wieder war also beträchtlicher Krach in den Kellerfluren. Ich hätte mitgespielt in der Band, aber die wollten offensichtlich keinen mehr an ihren Vorteilen teilhaben lassen. Es gab so etwas wie einen Konkurrenzkampf um Vorteile. Aber was soll´s, ich hatte ja meine Wandzeitung zum »Abducken«. Das heißt, hierhin zog ich mich zurück um dem Militär da oben in der Kaserne, wenigstens für kurze Zeit zu entfliehen.

Viele von uns nutzten die Freizeit zum Briefe schreiben, lesen oder Fernsehgucken. Der Fernseher befand sich in einem speziellem Fernsehraum für Soldaten und war wie die Radios sendermäßig eingeschränkt. Hierzu wurde einfach das DDR-Fernsehen fest eingestellt und das Bedienfeld zur Programmwahl abgedeckt und versiegelt. Die Unteroffiziere hatten einen eigenen Fernsehraum. Ob deren Fernseher auch versiegelt war, oder zwecks »Feindstudium« nicht, konnte ich persönlich nicht feststellen. Ich sah nur manchmal einige wenige ausgewählte, offensichtlich mit Privilegien ausgestattete Soldaten darin verschwinden. Unterschiede zu machen, war in dieser Kompanie ein gern praktiziertes Mittel um den einen oder anderen hervorzuheben und auf diese Weise Kameraden gegeneinander auszuspielen.

Zapfenstreich

Privilegien in größerem Umfang zu genießen, sollte für mich viel später auch wahr werden. Aber noch waren wir in Johanngeorgenstadt und die ersten schlimmsten 14 Wochen ohne Ausgang neigten sich nur ganz langsam dem Ende zu. Nach der Freizeit stand Stuben- und Revierreinigen auf dem Dienstplan. Jeder war für irgend etwas eingeteilt, alles mußte sauber sein bevor der Zapfenstreich folgte. Pünktlich 22.00 Uhr hatten alle in den Betten zu liegen. Die Stubenältesten machten dem UvD noch Meldung: »Stube mit 10 Mann belegt, 9 Mann anwesend, einer im Med-Punkt, Stube gereinigt und gelüftet, zur Nachtruhe bereit.« So oder ähnlich lauteten die einstudierten Meldungen und der eine, der da fehlte und im Medizinischen Punkt oder Lazarett lag, hatte entweder Fieber oder einen Knochen gebrochen, sonst läge er dort nicht.

Das Licht wurde gelöscht, und es hatte Ruhe zu herrschen. Die konnten wir nach dem ausgefüllten militärischem Tagewerk allerdings gut gebrauchen und alle hofften, daß ja kein Nachtalarm unseren Schlaf jäh beendet. Schlaf war sehr beliebt, war es doch gediente Zeit, von der wir nichts mitbekamen. Wer nicht gleich einschlafen konnte, der kam ins Grübeln. Dachte man doch an zu Haus und seine Angehörigen. Einige von uns waren bereits verheiratet, hatten ein kleines Kind, von dem sie nun anderthalb Jahre nur sehr wenig mitbekamen. Ein Umstand, der sogar den Einsichtigsten zum Fluchen auf die Armee veranlaßte. Und ich habe mich oft gefragt, ob es dafür nicht eine andere Lösung hätte geben können. Schließlich befand man sich nicht im Kriegszustand, wenn es uns auf Grund permanenter ideologischer Einflußnahme auch manchmal so vorkam. Draußen, wenige Meter vor meinem Fenster und doch so weit weg, lief das Leben ab. Auf dem Bett liegend, fiel mein Blick oft auf den »Tourist«, eine Urlaubertanzgaststätte, die fast jeden Abend hell erleuchtet war.

Der Zeitpunkt der Nachtruhe wurde nur einmal in der Woche befehlsmäßig nach hinten verschoben, nämlich immer Montag wenn im Fernsehen der »Schwarze Kanal« von und mit Karl-Eduard von Schnitzler gesendet wurde. Für uns eine Pflichtveranstaltung, sollten wir doch durch Herrn von Schnitzler in unserer verordneten sozialistischen Ideologie gestärkt werden. Diese Sendung bewirkte bei den meisten Genossen nur ein müdes Lächeln oder lethargisches Danebenhören, denn selbst die treuesten Genossen mußten feststellen, daß der Mann maßlos überzog und in seinen Argumenten der kälteste Krieger aller Zeiten war. Warum der sein »von« noch nicht abgelegt hatte war geradezu verwunderlich. Eine weitere Pflichtsendung flimmerte jeden Abend um 19.30 Uhr auf uns hernieder. Die »Aktuelle Kamera«, eine im Sinne des sozialistischen Zuschauers geprägte Nachrichtensendung. Leider hatten die von Pressefreiheit noch nichts gehört, denn viele Ereignisse fielen einfach unter den Tisch. Gesendet wurde nur, was ins Weltbild paßte. Unvergeßlich sind die tödlich langweiligen Berichte von angeblicher Planerfüllung in den Betrieben, von Erntekapitänen und ihren Helfern bei der Getreideernte und von Kartoffelvollerntemaschinen. Letztere mußten auch als schön langes Wort für Galgenrätsel herhalten, mit denen wir solche Zeiten zu überbrücken versuchten.

Ein ignoriertes Gespräch

Der Zeitpunkt der Vereidigung der Truppe rückte immer näher. Eines Tages machte der Zugführer, ein Oberleutnant, Einzelgespräche mit jedem Soldaten. Da wir ja zu Grenzsoldaten ausgebildet werden sollten, wollte er unter anderem wissen, wie wir uns bei einer eventuellen Grenzverletzung verhalten würden. Ob wir Hemmungen hätten, die Schußwaffe anzuwenden. Ich sagte ihm ganz klar, daß ich bei einer direkten Bedrohung meiner Person oder meiner Genossen, also aus Notwehr, Waffen anwenden, sie aber in anderen Fällen niemals benutzen würde. Ich würde nicht auf Flüchtende schießen, wie auf Hasen. Ein eventuelles Todesurteil zu fällen, egal aus welchen Gründen auch immer, fühlte ich mich nicht im Recht. Der Genosse Oberleutnant fand das zwar nicht so toll und meinte, es gäbe ja auch subversive Grenzverletzer, die bei uns eindringen würden. Abschließend gab mir mein Zugführer noch zu verstehen, daß sich meine Meinung im Laufe der Zeit schon noch ändern werde, denn zur ideologischen Bildung habe man ja in den Grenztruppen extra ein halbes Jahr Zeit und damit hatte sich der Fall für ihn erledigt. Probleme wollte der anscheinend nicht haben. Ich auch nicht, also lief vorerst alles ganz normal weiter. Allerdings sollte dieses Gespräch nicht das letzte dieser Art gewesen sein.

Vereidigt

Der Tag der Vereidigung, befohlener Höhepunkt im Soldatenleben, war da. Man hatte uns gut vorbereitet. In den letzten Tagen hatten wir nur noch exerziert, das Gelöbnis erläutert und studiert, die Paradeuniformen auf Vordermann gebracht und die Stiefel hochglanzpoliert. Ein solch überragendes Ereignis, das Bekenntnis zu seinem Staat, findet meist in der Öffentlichkeit statt. Das war bei uns auch der Fall. Ein großer Teil der Angehörigen der Soldaten war zu diesem Zweck extra nach Johann­georgenstadt angereist. Das Kasernentor stand ausnahmsweise einmal ganz weit offen, denn es war gleichzeitig Tag der offenen Tür.

Nach der Vereidigung, bei der wir den heißgeliebten Paradeschritt vorführten und den uns vorgesprochenen Text nachsprachen, hatten nach Auflösung der Formation die meisten von uns Freizeit. Die war das Angenehme an der ganzen Prozedur, konnte doch jetzt erstmalig seit der Einberufung persönlich mit Angehörigen gesprochen werden. Ich hatte allerdings ziemliches Pech. Da ich keinen Besuch empfing und aus eventuell noch anderen Gründen, die festzustellen mir unmöglich waren, aber sicherlich einer Laune des Hauptfeld entsprangen, wurde ich zum Küchendienst eingeteilt. So endete für mich dieser Höhepunkt im Soldatenleben weniger angenehm bei Kartoffeln schälen und Töpfe waschen. Kleiner bescheidener Vorteil: ich durfte so viel Kuchen essen wie ich wollte. Kuchen gab es immer an Sonn- und Feiertagen und natürlich auch am Tag der Vereidigung, pro Mann ein Stück. Unter Umständen wurde dieser Kuchen zur Tauschware, denn nicht alle standen da drauf aber viele eben doch, so wie ich. Nachdem die Angehörigen und alle anderen Neugierigen unseren Bettenbau, die Ordnung in den Spinden sowie die erstklassig gebohnerten Fußböden bewundert hatten, fuhren sie nach Hause.

Die Freizeit war beendet und der militärische Alltag hatte uns wieder in seinen Klauen. Jetzt allerdings mit strafrechtlich erweiterten Pflichten, die sich aus der Vereidigung ergaben, was uns durch unsere Vorgesetzten nun auch ausdrücklich klargemacht wurde. Ja, es gab kein Zurück! Das hätte es allerdings vorher auch nicht gegeben, denn in Unehren entlassen zu werden, wer wollte das schon ausprobieren.

Beurlaubt

Alles lief weiter wie gehabt, in der Hoffnung auf einen baldigen VKU, den verlängerten Kurzurlaub, mit längst fälliger Heimreise. Leider enttäuschte man uns. Wir führten noch tagelang diese und jene hochwichtige militärische Übung durch, wollte unser KC, der Kompaniechef, doch der Beste sein. Die Ausbildungskompanien standen nämlich untereinander in einem »Sozialistisch-Militärischem Wettkampf«. Offenbar Karrieresprungbrett für besonders gute KCs, was uns allerdings völlig egal war. Wir wollten endlich raus! Raus aus dem Kasernenmief, der uns schon weltfremd hatte werden lassen. Und das trotz allabendlich befohlenem Schauen der »Aktuellen Kamera« im Fernsehen!

 

Nach 14 Wochen war es dann endlich soweit und man erklärte uns eindringlich, wie wir uns draußen zu benehmen hätten. Die ganze Kompanie fuhr in den VKU nach Hause. Das wurde auch Zeit, der Stumpfsinn hatte sich schon mächtig in unsere Hirne eingenistet. Freuten wir uns jetzt doch über die einfachsten alltäglichen Dinge des zivilen Lebens wie die kleinen Kinder, wußten wir doch, daß dies nur von sehr kurzer Dauer sein würde.

Kaum raus aus der Kaserne, eilten wir zum Bahnhof. Die meisten hatten eine lange Reise vor sich, denn es war vielfach Methode, den Wohn- und den Dienstort weit voneinander festzulegen. So verbrachten wir also eine nicht unbeträchtliche Zeit unseres spärlichen VKUs auf den Schienen und Bahnhöfen der Deutschen Reichsbahn. Schnelle Zugverbindungen, in denen eventuell der Klassenfeind hätte sitzen können, wie z.B. in den sogenannten Interzonenzügen, waren ohnehin verboten. Ein solcher Westkontakt wäre unserer Armee wegen der bereits weiter oben schon einmal beschriebenen »politisch-ideologischen Diversion des Gegners« nicht gut bekommen! Aber das war uns jetzt auch erstmal egal. Alle wollten vor Abfahrt noch Bier kaufen. Zwei Flaschen reichten, um uns endgültig glücklich zu machen. Nach so langer Zeit der alkoholischen Entwöhnung brauchte es nämlich nicht viel. Man wollte ja zu Haus auch ankommen und Militärstreifen sowie Bahnpolizei hatten immer ein Auge auf uns. Wer das nicht ernst nahm, sah sich unter Umständen schneller in der Kaserne wieder, als geplant. Also blieben wir artig und beschmutzten unsere Uniform nicht, wie man sinnbildlich meinen könnte. Das Tragen der Uniform war in der NVA und bei den Grenztruppen für Grundwehrdienstleistende im Ausgang und bei Urlaubsfahrten grundsätzlich vorgeschrieben. Wir besaßen in der Kaserne ja auch keine Zivilkleidung mehr, aber zuhaus. Wäre es nach Dienstvorschrift gegangen, hätten wir auch dort Uniform tragen müssen. Hier ignorierten aber alle in fester Verbundenheit die Dienstvorschrift.

Diese DV war offensichtlich von einem äußerst weltfremdem, wahrscheinlich vergreistem und verkalktem Militär-Gesetzgeber erlassen worden. Stützte sich ihre Durchsetzung doch auf das Bewußtsein der Soldaten. Dieses ließ allerdings, bis auf unbekannte Ausnahmen, die gewünschte Ausprägung vermissen und so führte mich, zu Hause angekommen, der erste Gang zum Kleiderschrank und der zweite zur Hausbar in meinem Zimmer. Ich wohnte damals noch bei meinen Eltern und die sorgten sich rührend um mich und natürlich auch um die Auffüllung meiner kleinen Bar. Dafür bin ich ihnen heute noch sehr dankbar.

Die Zeit verging viel zu schnell, immer überschattet von dem Gedanken an die Rückfahrt und die noch folgende, scheinbar unendlich lang zu dienende Zeit. Der Abschied von zu Haus nach dem ersten VKU ist mir auf Grund der deprimierenden Gedanken an die damals von mir sehr verhaßte Armee in besonders guter Erinnerung. Das hing sicherlich auch mit der besonders militärisch-straffen Dienststelle in der Ausbildungskompanie in Johanngeorgenstadt zusammen. Später, in anderen Dienstorten, war dann alles nur noch Routine. Man nahm es wie es kam und diente Zeit ab. Aber jetzt war noch nicht mal ein halbes Jahr rum und es ging unbarmherzig zurück in die Höhle des Löwen.

Ob dieser Wehrdienst jemals zu Ende ging?

Nachtalarm

Kaum in der Kaserne gelandet, den militärischen Alltag wieder in vollen Zügen aufgenommen, krähte der Erpel und zwar des Nachts, zu bestschlafender Zeit. Die in allen Fluren hängenden lautstarken Alarmgeber mit »Erpelklang« ließen uns kerzengerade aus den Betten springen. Nachtalarm! Jetzt galt es alle Befehle zu erfassen und die vorgegebenen Zeiten einzuhalten. Ansonsten hätte immer wieder geübt werden müssen, bis die Normen stimmten. Jeder hatte seine Aufgabe. Nach Anlegen der Bekleidung und Ausrüstung und dem Empfang der Waffen, hatte ich die Aufgabe, zusammen mit einem Genossen Soldat, eine Ausrüstungskiste auf den Hof zu schleppen und dort anzutreten. Nachdem die Anwesenheit von Mannschaft und Material überprüft wurde, fuhren LKW heran und nahmen das Material, wie Munitionskisten, Kisten mit ABC-Bekämpfungsmitteln und sonstige unabkömmliche Gegenstände auf. Uns nahmen sie nicht auf, wir durften laufen, d.h. marschieren. Und weil es in der Nacht gewöhnlich sehr still ist, marschierten wir ohne Tritt, also zwar geordnet aber nicht im Gleichschritt, denn dieser wäre zu laut gewesen. Aber kurze Zeit darauf mußte ich innerlich lachen und muß es heut noch, wenn ich an das skurrile Szenario zurückdenke.

Wir schlichen also aus der Garnisonsstadt hinaus und marschierten auf einer Landstraße in Richtung eines Dorfes. Zur Sicherung der Truppe liefen drei Mann voraus. Einer in der Mitte an der Spitze, die zwei anderen je auf einer Straßenseite ein Stück dahinter. Der eine von der Seitensicherung war ich. Und nun sollte ich auf verdächtige Bewegungen achten und Geräusche hören, die von einem imaginärem Feind stammen könnten, um dann Alarm zu geben. Aber alles was ich hörte, war die in der Stille der Nacht fürchterlich klappernde und schlurfende Truppe hinter mir. Göttlich, welch seltener Spaß! Und was werden wohl die Dorfbewohner gedacht haben, als die dunkle, bis an die Zähne bewaffnete Truppe des Nachts zu Friedenszeiten durch ihre Gemeinde rasselte? »Die von Georgenstadt spielen mal wieder Krieg« Oder waren sie es gewöhnt und es berührte sie nicht weiter?

Der Spaß verging jedoch mit der Anzahl der marschierten Kilometer. Wir liefen die ganze Nacht. Als es hell wurde, kam das Unvermeidliche: Vollschutz war anzulegen. Da hatte doch der Feind tatsächlich biologische Waffen eingesetzt. Zum Glück im Hellen, denn im Dunklen trauten sich die Vorgesetzten nicht so recht »Vollschutz« zu befehlen. Die Gefahr, etwas von der Ausrüstung zu verlieren war einfach zu groß. Die Konstruktion unseres Vollschutzanzuges kam dieser Annahme sehr entgegen. Nur aus einem Teil plus zwei Stiefelüberzüge, Handschuhen und Gasmaske bestehend, war das Anlegen eine Wissenschaft und damit marschieren erst recht. Die Dinger waren so sinnig konstruiert, daß sich nach sechs Kilometern Marsch bei den meisten im Ernstfall der Tod eingestellt hätte. Das ganze Gebinde löste sich nämlich auf und man sah es durch die Maske nicht einmal. Also mußte hin und wieder etwas gesucht werden und das war im Hellen einfach leichter. Daß die Konstruktion nicht ausgereift war, beweist, daß später andere Vollschutzanzüge, bestehend aus Jacke und Hose, eingeführt wurden. Diesen Luxus habe ich aber nie genossen.

Irgendwann kamen wir dann im Gestellungsraum an. Die Truppe sammelte sich im Wald an vorgesehener Stelle. Alle sanken erschöpft zu Boden. Kurze Pause. Danach noch ein paar Spielchen im Gelände, wie Schützenlöcher und -gräben ausheben, an gespannten Seilen über einen Wassergraben hangeln, von Baumstumpf zu Baumstumpf hopsen, über eine Wippe rennen und ähnliche, viel Freude bereitende Aktivitäten. Eine Art Sturmbahn, nur eben gefechtsnah direkt im Gelände, sicherlich mit viel Liebe aus Naturmaterialien errichtet. Wir übten fleißig, denn hierher sollte es auch später gehen zum Abschlußkomplex. Der besten Gruppe winkte ein Sonderurlaub. Und den wollte und sollte ich meiner Gruppe nicht versauen. Da ich nunmal nicht der sportlichste Typ war und dies so schnell nicht ändern konnte (oder wollte?), meine Ausbilder dies schon längst erkannt hatten, beschlossen sie, mich während des Abschlußkomplexes für andere wichtige Tätigkeiten abzustellen.

Der entgangene Sonderurlaub

Alle waren einverstanden, mich fragte man auch und so ging ich, als der Tag herangekommen war in den Wandzeitungskeller und meine Mitgenossen ins Gelände. Ich pinselte also an meinen Wandzeitungen rum, da kommt ein Soldat vom Nachbarzug leise herein. Dieser Zug war aber ebenfalls zum Abschlußkomplex ausgezogen und der Genosse sagt mir, er hätte sich im Keller versteckt, weil er keine Lust hat, bei der Tortur mitzumachen. Unglaublich! Ich solle ihm nach Möglichkeit etwas zu Essen besorgen. Wie im Krimi, dachte ich mir. Der Kamerad versteckte sich dann wieder in einem leeren, im Kellergang stehenden Spind. Leider wurde ich aus meinem idyllischem Keller und diesem Abenteuer, von dem ich leider nicht weiß wie es ausgegangen ist, abgezogen.

Die Vorgesetzten glaubten wohl, mir angemessene Arbeit verschaffen zu müssen. Ich wurde also zum Bau befohlen. Zu einer kleinen Truppe, die ebenfalls abgestellt war und deren fachliche Anleitung ein Kamerad aus meiner Stube hatte, der Maurer war. Da hatte ich aber Glück, es geht eben nichts über Kameradschaft. Viel helfen konnte ich denen sowieso nicht und für einen Tag erst alles erklären lassen lohnte nicht. Der Tag war somit abgehakt und vorgesetztenfrei. Jedes Ding hat seine zwei Seiten. Die zweite Seite war, daß meine Gruppe beim Abschlußkomplex tatsächlich Beste wurde und meine Kameraden noch am gleichen Tag in den Sonderurlaub fuhren. Ohne mich, selbstverständlich. Ob sie mich wohl gelyncht hätten, wenn ich darauf bestanden hätte mitzumachen und wir dann eventuell nicht beste Gruppe geworden wären? Eigentlich hatte ich mir den Sonderurlaub auch verdient.

Sonderurlaub, heiß begehrt und selten erreicht. Unserer Wandzeitungsredaktion versprach der Politoffizier, bei zeitlich kurzer Fertigstellung der Lehr- und Anschauungstafeln über den Klassenfeind, ebenfalls Sonderurlaub. Mit Speck fängt man Mäuse, dachte der wohl. Sonderurlaub haben wir nicht bekommen. Die Tafeln sahen aber wirklich gut aus.

Geschossen

Natürlich hatte ich nicht immer die Möglichkeit irgendwo abzuducken. Das wäre auch nicht gut gewesen, gäbe es doch dann wenig zu erzählen und: »Richtig gedient haben muß man schon «, so die Behauptung aller Gedienter.

Richtig dienen, so mit allem Drum und Dran, konnten wir bei einem herrlichen Biwak in Mutter Natur mit Schießausbildung. Zu diesem Zwecke gab es erst mal eine mehrere Stunden lange Anfahrt der Kompanie auf Mannschafts-LKWs. Dies waren W50 mit Plane und 4 Bankreihen auf der Pritsche. In einer Art Reißverschlußmanier wurde aufgesessen. Dadurch paßten viele rauf auf so einen W50. Hinten an der Klappe saß meist ein Unteroffizier. Bei mir saß ein frischgebackener Offizier, ein Unterleutnant. Alles raunte: »Hier riecht´s nach frischem Brot!« »Brot« war ein wenig hochachtungsvoller Begriff des gemeinen Soldaten für einen Offizier. Und los ging´s. Bei einer langen Fahrt mit dem LKW ist es so wie auf einem Schiff. Man wird seekrank. Dazu kam, daß Auspuffgase unter die Plane gewirbelt wurden. Und so war es nicht verwunderlich, daß sich nicht wenige erbrechen mußten. Den Luxus einer Tüte hatte man nicht bedacht, also wurden die Betreffenden kurzerhand nach hinten gehievt und kotzten über die Ladewand. Anhalten wäre unmöglich gewesen, dann wären wir nie angekommen.

Aber wir kamen an, in einem herrlichen Wald, wo wir erst mal unsere Zelte aufschlugen. Diese wurden immer von acht Mann aus deren Zeltplanen zusammengeknöpft und mittels der kombinierten Zeltbestecke aufgestellt und verspannt. Einen Zeltboden gab es nicht. Der wurde aus abgeschnittenen Nadelbaumzweigen aufgeschüttet. Je mehr, desto besser, wie sich des Nachts herausstellen sollte. Alles hatte gefechtsnah zu erfolgen. Sogar das Zähneputzen und Rasieren. Wasser gab es streng rationiert, für Zähne und Rasur nahm man Tee. Der war nicht rationiert(?). Mordsmäßige Kälte ließ uns eher aufwachen als nötig. Zum Frühstück gab es Komplekte, wie zu allen anderen Mahlzeiten während dieser drei Tage dauernden Übung. Der Begriff allein ließ uns schaudern, denn das hieß nichts anderes, als langweilige Konserven zu futtern. Dazu gehörte auch die berühmte Dreifruchtmarmelade aus der Tube. In ihrer Grundfarbe rot, strich ich sie mir auf einen Kannten Komißbrot und wollte nun das Ganze mehr oder weniger genüßlich verspeisen. Kommt der Spieß vorbei und brüllt: »Genosse Soldat, halten Sie gefälligst die Marmeladenseite nach unten!«. Ich muß wohl ziemlich fragend dreingeschaut haben. »Wegen der Tarnung, Genosse, wegen der Tarnung! Feindliche Flugzeuge könnten uns entdecken.«, so die Erklärung. Wer den, in schauspielerisch überzeugender Art vorgetragenen Witz schon kannte, lachte nun schallend. Gut, daß der Feind nicht in der Nähe war. Aber unser Hauptfeld hatte ab sofort die beste Laune, war er jetzt doch so richtig in seinem Element.

Uns verging jedoch bald der Spaß, denn es ging jetzt zum Schießen. Wir waren im ersten halben Jahr mehrmals schießen. Jedoch war das erste Mal für jeden von uns besonders aufregend, wie halt in anderen Lebenslagen auch. Und aufgeregt, wenn nicht sogar etwas ängstlich waren auch sämtliche Vorgesetzte vom Unteroffizier bis zum Hauptmann. Alle waren plötzlich unerwartet nett und umgänglich. Das muß wohl an der scharfen Munition gelegen haben, die wir naturgemäß erhalten sollten. In der Tat, es soll schon schlimme und weniger schlimme Unfälle, meist durch Unachtsamkeit oder Nichteinhalten der Dienstvorschriften, gegeben haben, nach denen in der Regel dann auch personell Köpfe rollten. Ich mußte solches zum Glück nicht erleben. Wir hatten gutes Trockentraining hinter uns und alle behielten die Nerven.

 

Was dann kam, war an sich überhaupt nicht furchterregend. An sich machte die Sache sogar Spaß, wenn man das Glück hatte zu treffen und die Silhouette umklappte. Aber das sagte kaum einer öffentlich. Einige, so auch ich, waren hingegen bemüht, nicht zu gut zu schießen. Wir dachten dabei bereits an einen späteren Grenzdienst. Bei guten Schießausbildungsergebnissen hätte man dort wohl auch treffen müssen. Aber es gab auch die Jäger der Schützenschnur. Die sahen die Sache anders und wollten die sogenannte Affenschaukel unbedingt an ihrer Ausgangsuniform baumeln haben. Sah ja aber auch gut aus!

Für uns zukünftige Grenzer gab es außer dem normalen Schießen auf Ringe und feste Ziele eine besonders zugeschnittene Übung. Wir liefen dabei mit gehörigem Seitenabstand vorwärts und schossen auf plötzlich auftauchende oder wegfahrende Silhouetten imaginärer Grenzverletzer. Ein zukunftsträchtiges Spielchen und weiterer Anlaß zum Grübeln. Man hatte aber Angst um uns und schickte hinter jedem Schützen einen Uffz. her. Noch viel mehr Angst herrschte später beim Nachtschießen. Hier wich man uns nicht von der Seite und behandelte uns geradezu mütterlich. Leuchtspurgeschosse zogen ihre helle Bahn durch die Nacht. Die Dunkelheit verstärkte den Schall der detonierenden Panzerfäuste und Zielattrappen krachten auseinander. LMGs spritzen ihre Garben weit über den Schießplatz. Im Mondlicht sah man aufstiebende Erdbrocken. Da waren alle doch recht froh, gelenkt und geleitet zu werden. Die Trommelfelle summten noch im Biwak. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, die Schießreihen am nächsten Tag waren weniger aufregend. Da nicht alle auf einmal ballern konnten, wurden wir auch anderweitig beschäftigt. Natürlich militärisch. Schützenlöcher nach Zeit, Bewegen im Gelände und und und.

Auch diese drei Tage vergingen. Dann ging es, wie hergekommen, zurück per LKW. Auf denen saßen nun völlig verdreckte Genossen, die sich nichts weiter wünschten als eine Dusche und Schlaf. Die Dusche gab es dann auch. Dieses Procedere wurde zugweise durchgeführt. Ein Zivilangestellter hatte die Kessel im Duschgebäude geheizt, drehte ein riesengroßes Ventilrad auf und los ging´s. Die Dusche war eine Massendusche und man mußte sich beeilen, denn der Zivilangestellte hatte strikte Anweisung, nach einer bestimmten Zeit pures Kaltwasser aufzudrehen. Und dieses kam meist überraschend. Wer dann noch eingeseift war hatte eisekaltes Pech. Nach dem Duschen gab es noch einen Wäschewechsel, in diesem Fall außerordentlich. Sonst wurde die Unterwäsche nur einmal in der Woche (!) gewechselt. Eigene Wäsche zu tragen war untersagt. Und dies wurde zumindest in der Grundausbildung strengstens durchgesetzt.

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