Eingezogen. Ein Wehrpflichtiger der NVA erinnert sich.

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Die Sturmbahn

In der Unbeliebtheitskala ganz vorn stehend, war die Ausbildung auf der Sturmbahn. In Felddienstuniform mit Stahlhelm, Schutzausrüstung und einem hölzernen Übungsgewehr ging es im Gleichschritt zum Ort des Schreckens. Die zahlreichen Hindernisse auf der Bahn waren nach Zeit zu absolvieren und die war ziemlich kurz veranschlagt. Den beinahe totalen Stopp verursachte bei den meisten die sogenannte Eskaladierwand. Da hinüber zu kommen schien mir schier unmöglich und in der Tat wurden solche Genossen wie ich anfänglich einfach rübergeschmissen. Und dann gab es da noch eine Wand: die zweistöckige Häuserwand. Mittels eines Seiles sollte man das Fenster des zweiten Stockes erklimmen und von dort auf der anderen Seite über einen schmalen Balken laufen, um dann in zwei Etappen hinunter auf Betonklötze zu springen. Das brachte mir meine erste Innendiensterkrankung ein. Auf meinen Hinweis, daß ich nicht höhentauglich sei, nahmen die Ausbilder keine Rücksicht. Befehl ist Befehl, also schaffte ich die Hürde, allerdings überaus verkrampft. Daher sprang ich auf die Betonklötze zuerst mit der Hacke aufkommend und die nahm mir das übel. Eine Prellung war die Folge.

Innendienstkrank

Am nächsten Morgen meldete ich mich zum Arztbesuch. Das hatte beim UvD, dem Unteroffizier vom Dienst, zu geschehen. In der UvD-Stube wurden Anliegen dieser Art in die UvD-Kladde eingeschrieben. Anschließend brachte ein Sankra die kranken Genossen in ein weiteres, im Ort vorhandenes Objekt zum Militärarzt. Der hatte jeden Tag eine ganze Reihe von Soldaten zu verarzten. Deren Beschwerden waren meist auf Blasen an den Füßen, Erkältungen oder eben wie bei mir auf traumatische Ereignisse wie Verstauchungen und Prellungen begrenzt. Öfter gab es da auch Simulanten, die mit Magenverstimmungen oder Sehnenscheidenentzündungen glänzten. Unglaubwürdige wurden sofort ausgesondert und zurückgeschickt. Der Spieß nahm sich derer dann besonders an.

Meiner nahm er sich auch an. Allerdings wurde ich tatsächlich in­nendienstkrank geschrieben. Das hieß nun aber nicht, daß ich meine Ruhe gehabt hätte. Nein, ein Spieß hat immer Einfälle. Und kann man nicht laufen, so kann man doch in der Küche im Sitzen Kartoffeln schälen und das kübelweise. Später hat er mich dann dem Schreiber zugeteilt um irgendwelche Sachen zu sortieren. Als meine Innendiensterkrankung dem Ende zuging, gab es noch den Befehl zum Säubern der Toiletten. Diesem Befehl kam ich nicht sofort nach, sondern erledigte erst noch etwas Angenehmeres im Auftrag des Schreibers. Das hatte einen mordsmäßigen »Anschiß« zur Folge. Um den Spieß für die Zukunft bei Laune zu halten und nicht weiterhin in seiner Schußbahn zu stehen, streute ich mir Asche aufs Haupt, machte »Männchen« (soldatischer Gruß) und gab dem Spieß zu verstehen: »Genosse Hauptfeldwebel, gestatten Sie, daß ich Sie spreche?« Der: »Rede, Grünitz!« »Genosse Hauptfeldwebel, ich hätte natürlich zuerst Ihren Befehl und dann den des Schreibers befolgen müssen. In Zukunft mache ich diesen Fehler nicht mehr.« Der Spieß fühlte sich sichtlich auf den Bauch geklatscht und meinte »Grünitz, Grünitz paß bloß auf, aber na ja...wegtreten!« Das war meine Rettung, denn wer einmal auf der schwarzen Liste der Mutter der Kompanie stand, der bekam für den Rest der Tage eine wenig mütterliche Sonderbehandlung.

Der Spieß war wichtig, ja man konnte sogar behaupten, die Macht des Hauptfeldwebels lag trotz des niedrigeren Dienstgrades über der des Kompaniechefs. Hatte der Spieß doch die gesamte Organisation zum Funktionieren des Kasernenlebens zu bewältigen, von der Verpflegungsliste über Bekleidung und Ausrüstung bis zur Militärfahrkarte, Ausgangsschein, Belobigungs-, Strafregister und vieles mehr. Mein Verhältnis zum Spieß sollte sich viel später, an einem anderen Standort, in ein beinahe herzliches ändern.

Ausbildung auf dem ISG

Aber noch waren sie nicht vorbei, die ersten Wochen, und schon gar nicht das erste halbe Jahr.

Bewegung im Gelände, Nahkampf und andere Tugenden eines Soldaten in der Grundausbildung standen auf dem Dienstplan. Wir rückten morgens aus. Es ging in voller Montur zum ISG, dem »Immitations­schulgelände«. Alle Mann in Felddienstuniform, Felddienstkäppi, Vollschutzausrüstung, Stahlhelm an der Seite, über der Schulter das russische MG »Kalaschnikow« und an einem Tragegestell auf dem Rücken das Teil 1, eine Art Tornister. Teil 2 hatte man uns diesmal erspart. Dieses hätte man noch an Haken unter dem Teil 1 befestigen können. Dafür hingen aber noch ein Seitengewehr und die Munitionstasche am Koppel. In der Munitasche befanden sich 4 Magazine mit Platzpatronen. Die klappernde und äußerst hinderliche Ausrüstung wurde ergänzt durch die Feldflasche und das mitzuführende Kochgeschirr, das dem fiktiven Feind schon von weitem meldete, »Wir kommen!«

Aber erstmal rasselten wir in dieser Aufmachung mitten durch die Stadt. Und wie das so ist, immer schön im Gleichschritt oder auch »Ohne Tritt, Marsch«. Die Kompanie geordnet nach Zügen und die Genossen in den Zügen nach Größe. Das hatten wir ja schon vorher auf dem Exerzierplatz bis zum Umfallen geübt. Unter der Last der Ausrüstung, wir sagten immer, der deutsche Soldat schleppe seinen ganzen Schrank mit ins Feld, brach unser letzter und kleinster Genosse im Glied beinahe zusammen. Ein Soldat, der nach unserer Meinung nicht die Mindestgröße gehabt haben dürfte, um eingezogen zu werden. Irgendwie muß die Meßlatte des Musterungsarztes einer Sabotage des Feindes zum Opfer gefallen sein oder der Musterungsarzt hatte schlechte Laune. Wie auch immer, nicht einmal unsere nicht gerade zimperlichen Vorgesetzten konnten die Sachlage verstehen. Aber Befehl ist Befehl und der Mann mußte mit. Leider zum Spott aber auch zur Empörung der Zivilisten im schönen Johanngeorgenstadt. Man stelle sich einen Gartenzwerg in Kriegskleidung vor und bis an die Zähne bewaffnet. Uns tat der Mann leid. Bald aber konnten wir uns selber leid tun, denn was jetzt losging, gab es viele, viele Male in diesem ersten halben Jahr. Zur Einstimmung lernten wir erst mal gründlich die schöne Umgebung kennen. Ein riesiger Umweg zu unserem Ziel bescherte uns dieses Erlebnis, welches noch mit netten Einlagen gespickt war. Wenn die Laune der Uffze sich plötzlich hob, dann hatten die immer etwas pyrotechnisches Spielzeug dabei und wollten das nun unbedingt ausprobieren. Also hasteten sie nach vorn und irgendwo in einer hohlen Gasse warfen sie zum Beispiel Tränengaspatronen und Übungsböller von oben herab. Einer schrie: »Gasalarm!«. Alle legten die Schutzmaske an. Wer den Schlauch im Gasmaskenbehälter von dem dort befindlichen Filter abgeschraubt hatte, um beim Marsch unter Maske unerlaubterweise besser Luft zu bekommen, der hatte jetzt ein Problem: Tränengas reizt mächtig und in so einem Falle auch die Schadenfreude der Unteroffiziere. Ein weiteres beliebtes Spielchen war: »Fliegerangriff von links!«. Alles fiel, Deckung vor dem imaginären Feind suchend, in den Dreck. Und so immer schön weiter, streckenweise in »kurzen Sprüngen« bis wir endlich am ISG angekommen waren. Jetzt war erstmal kurze Rauchpause angesagt und Frieren.

Durchgeschwitzt vom langen Marsch standen wir da in unserer Sommerdienstuniform, obwohl es in den Vormittagsstunden noch recht kalt in den Bergen rund um Johanngeorgenstadt war. Allerdings nicht lange, denn jetzt ging´s erst richtig los. Grundstein jeder Gefechtsausbildung ist es, zu lernen, sich nach Befehlen richtig zu bewegen. Wo kämen wir wohl sonst hin, wenn jeder in eine beliebige Richtung verschwinden würde? Also lernten wir die Bewegungsarten eines Soldaten im Gelände, welche da z.B. sind das Laufen in Reihe, in Kette, in kurzen Sprüngen, das Kriechen oder auch Gleiten bzw. Robben genannt und und und. Sehr hilfreich für eine möglichst gefechtsnahe Ausbildung war der aufgeweichte, nasse, dreckige, matschige Boden an bestimmten Stellen, die dann auch bevorzugt benutzt, d.h. befohlen wurden. Diese momentanen persönlichen Ärgernisse sollten helfen, in einem eventuellen Ernstfall, besser durch das Schlachtfeld der Ehre zu kommen.

Auf dem ISG stand zu Übungszwecken ein ausgedienter Panzer, ein alter T34 russischer Bauart, an dem wir aber nie geübt haben. Jedoch hatte dieser eine magische Anziehungskraft auf uns. Wollten wir doch so´n Ding auch mal von innen sehen. Eine Pause in der Gefechtsausbildung nutzend, setzten wir auf, d.h. wir kletterten unbemerkt hinein. Der Turm ließ sich tatsächlich noch mittels Handkurbel drehen, so wie auch das Kanonenrohr in der Vertikalen beweglich war.

Da das ISG mitten in touristisch erschlossenem Gebiet lag, war kaum zu verhindern, daß sich hin und wieder Wandersleute hierhin verirrten und dann gemütlich und hochinteressiert über den Platz schlenderten. Diese Zivilkontakte waren natürlich nicht unbedingt im Sinne des Militärs, wo ja ohnehin alles so geheim war, daß man selber nicht wußte, was man da gerade tat. Also machten wir uns den Spaß und drehten das Kanonenrohr in Richtung der zivilen Spaziergänger. Die wurden irgendwie unruhig und gingen in den beschleunigten Schritt über. Als sich dann noch das Rohr in eine ballistisch direkte Anvisierung senkte, so daß unsere Wandersleute nur noch die sie verfolgende kreisrunde, schwarze Mündung sahen, ergriffen sie die Flucht und rannten dorthin, wo sie hergekommen waren.

Glücklicherweise hatte die Sache für uns kein Nachspiel und man möge uns im Nachhinein verzeihen, hatten wir doch sonst eher selten etwas zu lachen. Noch den ganzen Tag tummelten wir uns auf diesem abwechslungsreichen Immitationsschulgelände. Und es waren noch viele Tage, welche uns dieses Gelände bis auf den letzten Zipfel kennenlernen ließen. Man könnte eventuell noch heute die Spuren von damals feststellen, denn es müßten ungezählt viele unabgefeuerte Platzpatronen in der dortigen Erde stecken. Bei den Angriffen mit befohlenem «Hurraaaaa”-Geschrei auf unseren unsichtbaren Feind sollte aus allen Rohren der Maschinenpistolen gefeuert werden. Jeder wußte aber, daß Platzpatronen besonders viel Dreck in der Waffe hinterlassen und in der Kaserne angekommen, war zu später Stunde Putzen angesagt. Also führten wir den Krieg mehr lautlos, zur Wut unserer Unteroffiziere, aber die konnten ja nicht überall sein. Die guten Patronen ließen wir zwecks Beweisentlastung unbenutzt im Erdreich verschwinden. Das war im wahrsten Sinne des Wortes Munitionsverschwendung.

 

Mittags gab es das so überaus beliebte Essen aus dem Kochgeschirr. In Kübeln herangefahren, wurde von der Ladefläche des W50 herab in die Geschirre gekellt. Das Speisen aus dem Kochgeschirr war am appetitlichsten, wenn es Eintopf gab. Ein Einsatz im Kochgeschirr verhinderte zumindest, daß bei anderen Gerichten nicht auch der Nachtisch mit allen anderen Essenskomponenten vermischt wurde. Zur Ehrenrettung der Küchenbullen, so nannten wir die Küchenverantwortlichen, sei erwähnt, daß diese auch hin und wieder Plasteteller mitschickten. Von denen ließen sich Fleischgerichte einfach besser essen.

Nach erfolgtem Rückmarsch in die Kaserne, welcher meist ruhig verlief, da bei den Vorgesetzten auch die Luft raus war, gab es dann, wie schon erwähnt, das Waffenreinigen. Es galt der Grundsatz: erst die Waffe, dann der Soldat. Der Waffe erging es dabei allerdings meist besser als uns, war doch Duschen nur einmal die Woche möglich. Aus den Stuben holten wir unsere Hocker. Richteten diese in einer langen schnurgeraden Reihe auf dem Flur aus und legten unsere auseinandergenommenen Waffenteile nebst Reinigungsgerät darauf. Wir standen dahinter. Eine Waffe war sauber, wenn der Vorgesetzte diese für sauber erklärte. Das konnte lange bis sehr lange dauern. Manchmal bis zum Zapfenstreich.

Unterricht

An einigen Tagen stand theoretischer Unterricht auf dem Dienstplan. Die Welt hätte ich umarmen können an solchen Tagen. Eine Erholung! Und wer nicht blöd war, hatte nichts auszustehen. Doch schlauer als der Vorgesetzte sollte man tunlichst nicht sein. Das war aber nicht immer leicht! Der Stoff, nicht sonderlich anspruchsvoll, war mehr auf Geheimhaltung ausgerichtet. Und der gemeine Soldat ist ja ohnehin nur Befehlsausführender. Er braucht nur soviel zu wissen, um einen Befehl ausführen zu können! Also gab es ein wenig Waffenkunde, die oft zitierte Ballistik oder die Beantwortung solcher Fragen: »Wie sieht der Feind aus, was hat er für Uniformen, welche Waffen und Fahrzeuge?« Hier halfen die von meiner Wandzeitungsredaktion abgemalten Lehrtafeln der Nachbarkompanie. Lehrmaterial war knapp, man mußte sich eben zu helfen wissen.

Rein ideologisch betrachtet, weiß ich allerdings heute noch nicht, wie unser damaliger Feind ausgesehen hat. Dafür gab es aber zuhauf Erörterungen »Vom Sinn des Soldatseins« im Politunterricht, von uns »Rotlichtbestrahlung« genannt. Auch die »Aktuell politische Information« gehörte dazu. Diese hatte stets eine Tendenz zur Tendenz, will sagen, sie war strikt einseitig in ihrer Betrachtungsweise. Kein Wunder, wollte man doch vom kalten Krieg nicht loslassen. Kurz und gut, es galt das »Militärische Kampfkollektiv« auch theoretisch zu formen.

Bei all der Theorie war es ein Spaß aus dem Fenster zu schauen. Dort unten auf dem Kasernenhof übten sich unsere Unteroffiziere in der Schutzausbildung. Ja tatsächlich, denen, die uns immer triezten, geschah jetzt selbiges. Natürlich unter Anleitung eines Offiziers. Soviel Hierarchie muß schon sein und wie es richtig geht, kann nur ein Offizier sagen. Wie auch immer, das Lachen unsererseits war nur befehlsmäßig zu unterbinden. Wir hörten an solchen Unterrichtstagen noch etwas von Taktik und Strategie, d.h. die Bedeutung der Wörter wurde erklärt. Sehr tiefgründig waren diese Erläuterungen allerdings nicht, detailliertes Wissen blieb den Offizieren vorbehalten. Man führte uns ein in die Politik und Theorie des Grenzschutzes und man lehrte uns Lieder, wie ja weiter oben schon zu lesen war. Alles in allem zwar langweilig aber eben nicht anstrengend. Eben wunderbare Stunden!

Maskenball

Damit es an solchen Tagen nicht gar zu geruhsam zuging, war zwischendurch »Maskenball« angesagt. Tolle Erfindung, durften wir doch nach vorgegebenen Zeiten die Uniform in all ihren Spielarten wechseln und dann immer wieder zum Appell antreten. Wurden Zeiten nicht geschafft, gab es eine Sonderrunde. Oder aber es wurde BA-Appell befohlen. Dann durften wir mit all unseren Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenständen, eingewickelt in unsere Zeltplane, auf dem Kasernenhof erscheinen. Glücklicherweise war die Ausrüstung damals in ihrem Umfang relativ bescheiden.

Überaus bescheiden war die Ausgangsuniform. Diese bestand im Sommer aus Hose und Paradejacke, getragen mit Schirmmütze, Lederkoppel und schwarzen Halbschuhen. In die Jacke wurde eine weiße Kragenbinde eingeknöpft. Ein Oberhemd und Binder gab es für die einfachen Grundwehrdienstpflichtigen nicht. Die Jacke wurde somit direkt über dem Unterhemd getragen. Das hatte im Sommer natürlich auch Vorteile, denn diese Uniform war ohnehin aus dickem, schwerem und dazu noch kratzigem Stoff. Noch um einige Kilo schwerer war der Mantel, von uns »Pferdedecke« genannt. Dieser wurde im Ausgang getragen wenn »Winter« befohlen war. Bei der Armee ist es nämlich Winter oder Sommer und damit kalt oder warm, wenn die Militärführung dies festlegt. Zu unserem Bedauern stimmten aber Befehle und real existierende Witterung meistens nicht überein. Die Ausgangsuniform zu tragen, hatten wir aber bisher immer noch keine Gelegenheit. Die ersten Wochen der Grundausbildung waren scheinbar unendlich.

Damit keine Langeweile aufkam und um Zeiten zu überbrücken, wenn mal keine Ausbildung war, standen sogenannte Putz- und Flickstunden auf dem Dienstplan oder wurden einfach eingeschoben. Hier hatten wir Gelegenheit, unsere BA-Gegenstände sauber und in Ordnung zu halten. Wer es noch nicht konnte, lernte spätestens jetzt, mehr oder weniger gut, Knöpfe anzunähen, Dreiangel und kleine Löcher zu reparieren, aufgeplatzte Nähte zuzunähen oder Socken zu stopfen oder letztere wegzuwerfen und neue zu kaufen. Die gab es nämlich in der MHO, der Militär-Handelsorganisation. Und hier gab es auch Kragenbinden, von denen man nicht genug haben konnte. Eine wahre Sammlerleidenschaft war ausgebrochen, denn immerzu die schnell verschmutzenden Kragenbinden zu waschen, war doch sehr zeitraubend und nervig. Diese weißen Kragenbinden hatten wir auch in unserem Felddienstanzug zu tragen. Jeden Tag wurde kontrolliert, ob die auch sauber waren!

Naturgemäß war der Felddienstanzug am stärksten strapaziert, sollte aber trotzdem immer sauber sein. Die Pflege des Anzuges, wir nannten ihn scherzhaft »ein Strich, kein Strich«, weil er zwecks Tarnung ein Muster aus lauter senkrechten Strichen hatte, bestand vorwiegend im Ausbürsten, Ausklopfen und Fleckentfernung. Von Zeit zu Zeit wurde das gute Stück laut Befehl des Hauptfeldwebels in die Reinigung gegeben. In dieser Zeit mußte dann wohl das DhS, das Diensthabende System, eine Art Einsatz- und Gefechtsbereitschaft für den Ernstfall, gefährdet gewesen sein, da bei uns Reservekampfanzüge eher die Rarität waren. In die Pflegearbeiten wurden all unsere Ausrüstungsgegenstände mit einbezogen. Das ging soweit, daß wir die Metallteile der Gasmaske mit neuer grüner Farbe versahen, damit der Rost unsichtbar wurde. Gut, daß es diese Stunden gab. Sie waren immer auch eine Verschnaufpause, zumal sie oft nicht sinngemäß genutzt wurden.

Hierarchisch

Wir lümmelten dann in der Stube herum, quatschten, rauchten, tranken Club-Cola oder Limo und ärgerten uns über die militärisch unbequemen Hocker, auf denen wir sitzen mußten. Die Einrichtung der Unterkünfte erfolgte, wie alles in der Armee, streng hierarchisch. Den Mannschaftsdienstgraden standen eben nur Hocker, Doppelstockbetten mit sehr dünnen Kopfkissen und schmale Spinde zur Verfügung, während die Uffze Stühle, Einzelbetten mit dicken Federkopfkissen und breitere Schränke hatten. Aber die mußten ja auch länger bleiben. Und die, die ganz lange blieben, denen sei es vergönnt, hatten Sessel, bequeme Holzbetten und kleine Schrankwände im Zimmer. Ja, die Hierarchie war allgegenwärtig. Eben nicht nur im Verhältnis der Genossen untereinander mit ihren unterschiedlichen Dienstgraden, Rangabzeichen und sonstigen Effekten, sondern auch in den Ausstattungsmerkmalen. Offiziere hatten im Winter einen Webpelzkragen. Nun stellt sich die Frage, ob der einfache Soldat weniger kälteempfindlich ist? Übrigens gab es BUs, Berufsunteroffiziere, die hatten auch einen Webpelzkragen. Bis heute weiß ich nicht, ob der ihnen denn tatsächlich zugestanden hat.

Und die Hierarchie machte sich auch in den Rechten der Armeeangehörigen bemerkbar. Zum Beispiel durfte nur ein Offizier in der MHO alkoholische Getränke kaufen. Trinken durfte er sie aber innerhalb des Kasernenengeländes nicht. Das war laut Dienstvorschrift grundsätzlich verboten. Grundsätzlich durchzusetzen war das Verbot jedoch kaum. Vor allem die Offiziere und Unteroffiziere begleitete nicht selten nur die »Truppenstandarte«. Obwohl strengstens verboten, war Alkohol ein immer wieder auftretendes Problem. Gelegentlich gelang es auch uns etwas zu schmuggeln. Postpakete, von den Angehörigen verschickt, wurden allerdings vom Hauptfeld immer argwöhnisch geschüttelt. Es hätte ja was gluckern können. Dann war Paketaufmachen angesagt. Die konfiszierten Flaschen bekam man im günstigsten aber seltenen Fall bei Heimreise zurück, im ungünstigsten Fall wurden sie im Beisein ausgekippt und im für den Hauptfeld günstigsten Fall von diesem und seinen eng Verbündeten ausgetrunken. Der Einfallsreichtum, Alkohol zu schmuggeln, war enorm. Aufwendig getarnt, z.B. in Konservendosen oder anderen unauffälligen Verpackungen, oder gar in Paketen mit doppeltem Boden, wurde versucht, die begehrte Flüssigkeit in die Kaserne zu schicken. Der Spieß, oft mit jahrelanger Berufserfahrung, kannte aber auch sämtliche Tricks und es hing von seiner Laune ab, ob er kurz nach Paketausgabe urplötzlich in der Soldatenstube erschien. Ja, es gab auch Zeiten, da konnte man denken, es gelte der Satz »Leben und leben lassen«. Diese Momente waren allerdings recht selten. Und wenn der Schnaps dann doch in den Kehlen der Vorgesetzten verschwand, hätte man sich zwar beschweren können, aber zum einen war der Dienstweg der Beschwerde lang und zum anderen war man ja durch den Besitz des Feuerwassers im Unrecht.