Hans Fallada – Gesammelte Werke

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11

Es ist kurz nach der halb­stün­di­gen Mit­tags­pau­se, ein bren­nend hei­ßer Som­mer­mit­tag. In der Schreib­stu­be ist es sti­ckig und schwül, die wei­ßen Schei­ben las­sen nicht ein­mal den Trost blau­en Him­mels und hel­ler Son­ne ein – er­sti­cken­de hei­ße Luft, nichts sonst.

Die Fin­ger tan­zen schlaff auf den Tas­ten, ist der Wa­gen am Ende, wird er lang­sam, trä­ge zu­rück­ge­zo­gen, eine Se­kun­de, zwei Se­kun­den Pau­se, und die Fin­ger be­gin­nen neu.

Hei­ße feuch­te Stir­nen, ver­schlos­se­ne, ver­krampf­te Ge­sich­ter, kein Ge­schwätz, kein Flüs­tern, nur Schlaff­heit und Ver­dros­sen­heit.

Im Ne­ben­zim­mer, die Wei­ber von der Ver­viel­fäl­ti­gungs­ma­schi­ne, die schwat­zen. Sie ha­ben nichts zu tun, sie ha­ben schon den drit­ten oder vier­ten Tag kei­ne Ar­beit, nichts da zu ver­viel­fäl­ti­gen. Aber ihr Ge­halt be­kom­men sie dar­um doch, sie brau­chen sich kei­ne Sor­gen zu ma­chen, man­chem wächst das Fres­sen wirk­lich ins Maul, wer sich aber nicht satt es­sen kann, kann sich auch nicht satt schle­cken.

Ja­wohl, zwan­zig Schreib­ma­schi­nen klap­pern, aber dar­um hört man doch: Drü­ben, in Jauchs Büro, ist die Tür ge­gan­gen, und nun fliegt sie zu, mit ei­nem don­nern­den Ge­tö­se: bumm, bumm!

Es schüt­tert.

Ku­falt wirft Maack einen Blick zu. Maack wirft Ku­falt einen Blick zu. Maack senkt die Li­der über die Au­gen zum Zei­chen, dass er den Blick ver­stan­den hat.

Hin­und­her­ge­lau­fe drü­ben im Büro, ein Fens­ter wird auf­ge­ris­sen, nun fängt Jäns­ch an, un­ter­drückt vor sich hin zu la­chen, denn der Jauch da drin­nen schimpft mit sich. Aber er wird so­fort wie­der stil­le, denn die Tür geht auf, Jauch brüllt mit al­ler Kraft, nur den blau­ro­ten Kopf durch­ste­ckend: »Fräu­lein Mer­zig!! Fräu­lein Mer­zig!!!«

»Ja, Herr Jauch?«

Auf der an­de­ren Sei­te der Schreib­stu­be öff­net sich die Tür, Fräu­lein Mer­zig (die Gro­ße, Zib­be) steckt eben­falls den Kopf durch: »Ja, bit­te, Herr Jauch?«

»Das Ham­bur­ger Adress­buch, aber ein biss­chen flott, ja?«

»So­fort, Herr Jauch!«

Je­der merkt: Sturm im An­zug, Ge­wit­ter­bö am Him­mel. Fräu­lein Mer­zig läuft ei­lig in der Schreib­stu­be von Platz zu Platz, zu se­hen, wo das Ham­bur­ger Adress­buch liegt.

Jauch, im­mer mit dun­kel­ro­tem Ge­sicht, folgt ihr mit sei­nem Blick. »Wer, zum Don­ner­wet­ter, hat es denn! Kann der sich nicht mel­den?!«

Sie fin­det es bei Sa­ger und nimmt es ihm fort.

»Hö­ren Sie mal, Fräu­lein, ich muss ar­bei­ten«, pro­tes­tiert Sa­ger matt.

Sie läuft schon da­mit zu Herrn Jauch, der dro­hend ver­kün­det: »In Kür­ze wer­den sehr viel groß­kot­zi­ge Her­ren ohne Ar­beit sit­zen.«

Er reißt das Adress­buch an sich und ver­schwin­det.

»Sie kön­nen we­nigs­tens ›Ent­schul­di­gung‹ oder ›Bit­te‹ sa­gen, Fräu­lein«, grollt Sa­ger.

»Mit Ih­nen rede ich über­haupt nicht«, er­klärt Fräu­lein Mer­zig, und sie meint nicht etwa nur Sa­ger, son­dern alle in die­sem Zim­mer. Sie geht und ver­schwin­det bei ih­rer Kol­le­gin, nicht ohne die Tür einen Spalt of­fen­zu­las­sen –: »Denn heu­te gib­t’s was, so habe ich Jauch noch nie ge­se­hen, si­cher wirft er einen von de­nen raus!«

Vor­läu­fig flucht er wei­ter in sei­nem Zim­mer, ra­schelt mit dem Adress­buch und er­scheint wie­der in der Tür, dies­mal in vol­ler Fi­gur.

»Kann ich mein Adress­buch wie­der­ha­ben, Herr Jauch?« fragt Sa­ger hart­nä­ckig.

»Kennt je­mand von Ih­nen eine Schreib­stu­be Cito-Pre­sto?« fragt Herr Jauch und kommt bis in die Mit­te des Zim­mers.

Stil­le.

Dann lässt sich eine Stim­me ver­neh­men: »Schreib­stu­be Cito, Herr Jauch …«

»Cito-Pre­sto habe ich ge­fragt, Sie Idi­ot«, brüllt Herr Jauch los und ist beim Ne­ben­zim­mer, wo er sei­ne Fra­ge wie­der­holt.

»Schreib­stu­be Cito …«, sagt Fräu­lein Mer­zig.

»Gän­se!« brüllt Jauch, be­sinnt sich und sagt mil­der: »O Par­don«, schmet­tert aber im­mer­hin die Türe zu.

Er dreht sich um, nun hat er die gan­ze Schreib­stu­be wie eine Schul­klas­se vor sich, alle mit den Ge­sich­tern zu ihm hin. Er lehnt sich mit dem Rücken ge­gen die Tür, steckt die Hän­de in die Ta­schen, spielt in der einen mit sei­nen Schlüs­seln, in der an­de­ren mit Sil­ber­geld und nagt da­bei an der Un­ter­lip­pe, die Stirn in Qu­er­fal­ten.

»Hol mal ei­ner die Zi­gar­re aus mei­nem Aschen­be­cher …«

Er über­legt, sieht die Rei­he ent­lang, bleibt bei Maack ha­cken – der tippt. Jauch über­legt wie­der, springt dann zu Maacks Hin­ter­mann und ruft: »Lam­mers!«

Lam­mers steht ängst­lich auf, geht bei­na­he lau­fend in das Chef­bü­ro, kommt wie­der mit ei­nem Zi­gar­ren­stum­mel, reicht ihn Herrn Jauch.

»Feu­er!« sagt der.

Lam­mers sucht in sei­nen Ta­schen, fin­det Streich­höl­zer, brennt eins an, gibt Jauch Feu­er, al­les in angst­vol­ler Hal­tung. Jauch zieht, pafft dann. »Sie wis­sen doch, dass das Rau­chen hier ver­bo­ten ist? Wenn ich das noch ein­mal sehe, dass Sie Streich­höl­zer bei sich ha­ben …!«

»Ich habe aber nicht ge­raucht, Herr Jauch«, stam­melt Lam­mers.

»Hältst du den Mund?! Hältst du den Mund?! Soll ich dich raus­schmei­ßen, oder hältst du den Mund?!!!« brüllt Jauch den asch­fah­len Lam­mers an.

Der steht einen Au­gen­blick, läuft dann tork­lig an sei­nen Platz, setzt sich has­tig, zieht den Kopf zwi­schen sei­ne Schul­tern und tippt los.

Ei­nen Au­gen­blick Stil­le. Jauch schnauft. Je­der fühlt, es war erst der Wind­stoß vor dem Los­bruch, es soll erst los­ge­hen. Jauch sucht sein nächs­tes Op­fer mit dem Auge, sein Blick fällt auf Ku­falt, der wie ver­zwei­felt tippt. Jauch be­wegt schon die Lip­pen, da klingt ein kräf­ti­ger Bass aus dem Hin­ter­grund: »Stinkt, der Af­fen­stall!«

Jauch fährt her­um, sein Mund steht tö­richt halb of­fen, er fragt atem­los, als sei ihm von ei­nem Ma­gen­schlag die Luft weg­ge­blie­ben: »Wie bit­te?! Wer sag­te da was?«

Jäns­ch steht auf hin­ter sei­ner Schreib­ma­schi­ne, wie ein klei­ner Jun­ge zeigt er mit dem Fin­ger hoch. »Ich, Herr Jauch.«

Er steht einen Au­gen­blick ab­war­tend da, sieht zu, wie Jauch sich aus sei­ner Fas­sungs­lo­sig­keit zu ei­nem Aus­bruch sam­melt, dann, ge­ra­de als er los­le­gen will: »Hab ge­sagt, dass der Af­fen­stall hier stinkt, Herr Jauch. Und das tut er denn ja auch bei so ’ner Af­fen­hit­ze, nicht?«

»Kom­men Sie mit!« schreit Jauch. »Kom­men Sie mit in mein Zim­mer! Ihre Pa­pie­re. Sie sind ent­las­sen, Sie Mensch, Sie, Sie un­dank­ba­res Ge­schöpf! Ihre Pa­pie­re!«

»Und mein Geld«, sagt Jäns­ch un­er­schüt­ter­lich und geht gleich­zei­tig mit Jauch auf des­sen Zim­mer los.

Sie sind im Be­griff, dort zu ver­schwin­den, als in ei­ner an­de­ren Ecke der Schreib­stu­be ei­ner auf­steht, Deutsch­mann dies­mal, und schreit: »Herr Jauch, ich fin­de auch, dass die­ser Af­fen­stall stinkt.«

Jauch steht fas­sungs­los, er be­wegt wort­los die Lip­pen, er sieht von ei­nem zum an­de­ren, er fängt an nach­zu­den­ken, dann hebt er die Hand. »Kom­men Sie auch, Herr Deutsch­mann, Sie sind bei­de ent­las­sen.«

»Schön«, sagt Deutsch­mann, »geht in Ord­nung.«

Aber sie kom­men noch im­mer nicht in Jauchs Zim­mer, denn nun steht Sa­ger auf und sagt höf­lich und be­schei­den: »Darf ich mir wohl mein Ham­bur­ger Adress­buch ho­len, Herr Jauch? Ich muss ar­bei­ten.«

»Las­sen Sie mich zu­frie­den!« brüllt Jauch den Höf­li­chen an.

»Dann bin auch ich der An­sicht, dass die­ser Af­fen­stall stinkt«, sagt Sa­ger mit der­sel­ben lä­cheln­den Höf­lich­keit. Und et­was schnel­ler: »Ich stell mich von selbst zu den an­de­ren, Herr Jauch, ich kom­me schon.«

»Das ist Meu­te­rei!« schreit Herr Jauch. »Das ist …«

»Meu­te­rei gab’s im Kitt­chen, Herr Jauch, da täuscht Sie Ihre Erin­ne­rung«, sagt Maack kühl und steht nun auch sei­ner­seits auf. »Hier sind wir doch nicht mehr im Kitt­chen, nicht wahr?«

»Na­tür­lich der Herr Maack«, sagt Jauch lang­sam, und nun ist sei­ne gan­ze Wut weg. Er sieht auch nicht mehr rot aus, er ist fahl. Er ist sehr auf­ge­regt, aber er hat sich wie­der am Bän­del. Er sagt lang­sam: »Darf ich, zur Ab­kür­zung des Ver­fah­rens, fra­gen, wer von Ih­nen noch der An­sicht ist, dass es in – die­sem – Af­fen­stall – stinkt? Bit­te, mei­ne Her­ren, nicht ge­nie­ren. Ja, bit­te?!«

Es ste­hen noch auf: Ku­falt, Fas­se, Öser.

»Ich üb­ri­gens auch«, sagt Maack.

»Nun, na­tür­lich. Herr Fas­se, Herr Öser. Und der Herr Ku­falt. Aber ich weiß Be­scheid, mei­ne Her­ren, so leicht ist es nun doch nicht. Ich weiß Be­scheid …«

Die Her­zen der Ver­schwö­rer blei­ben ste­hen. Wenn das Aas wirk­lich Be­scheid weiß, wenn er uns die Ar­beit ver­mas­selt …!

»Das ist eine Ver­schwö­rung, und der lie­be, gute, de­mü­ti­ge Herr Ku­falt ist der An­füh­rer. Ich habe wohl ge­hört, wie Sie sich heu­te am Farb­band­kas­ten ver­ab­re­det ha­ben, ein Ding zu schie­ben. Ich wer­de die Kri­mi­nal­po­li­zei be­nach­rich­ti­gen, ich wer­de …«

»Ich fin­de auch, es stinkt in die­sem Af­fen­stall«, sagt eine hel­le, über­schla­gen­de Stim­me. Sie­he da, es er­hebt sich noch ei­ner, Emil Mon­te, Hun­dert­fünf­und­sieb­zi­ger,1 schlan­ker, blon­der Pu­pen­jun­ge …

»Mensch, bleib du doch bloß sit­zen, du ge­hörst doch nicht zu uns!« schreit un­be­dacht Jäns­ch.

»Der Be­weis ist er­bracht«, sagt Jauch fei­er­lich, »dass eine plan­mä­ßi­ge Verab­re­dung vor­liegt. Kom­men Sie ei­ner nach dem an­de­ren in mein Zim­mer, und ho­len Sie Pa­pie­re und – Geld. Das Wei­te­re wer­de ich mit Herrn Pas­tor Mar­ce­tus be­spre­chen. Sie wer­den schon se­hen, wie Ih­nen das be­kommt.«

 

1 Der § 175 des deut­schen Straf­ge­setz­bu­ches (§ 175 StGB) exis­tier­te vom 1. Ja­nu­ar 1872 bis zum 11. Juni 1994. Er stell­te se­xu­el­le Hand­lun­gen zwi­schen Per­so­nen männ­li­chen Ge­schlechts un­ter Stra­fe. <<<

FÜNFTES KAPITEL – Schreibstube Cito-Presto

1

Es war die herr­lichs­te Sa­che von der Welt …!

Ei­ner hat­te ge­ru­fen: »Zu­erst ein­mal ge­hen wir fut­tern! Ich habe Kohldampf noch und noch.«

»Ich auch!«

»Und ich!«

Die mah­nen­de Stim­me »War­mes­sen am Wo­chen­tag« ver­hall­te un­ge­hört, und sie ver­schwan­den acht Mann hoch in ei­nem Bräu­kel­ler.

Von dem spar­sam be­son­ne­nen Maack, der sau­re Lin­sen für fünf­und­drei­ßig Pfen­nig aß, bis zum wild­ver­fres­se­nen Jäns­ch, der ein Gu­lasch und noch ein Eis­bein ver­tilg­te, dazu zwei Hel­le (drei Mark sech­zig), wa­ren alle Tem­pe­ra­men­te ver­tre­ten.

Mon­tes hel­le Stim­me schrie über­schnap­pend: »Ich zahl euch al­len ein Bier! Gott sei Dank, dass ich da raus bin aus die­sem Af­fen­stall!«

»Dan­kend ab­ge­lehnt«, brumm­te Jäns­ch. »Ich zahl mein Bier al­lei­ne.«

Und Maack: »Trin­ken dür­fen Sie in ei­nem Mo­nat, wenn’s ge­klappt hat.«

»Uch«, sagt Mon­te. »Seid doch nicht so ete. Ich bin ja sooo froh, dass die ver­fluch­te Adres­sen­schmie­re­rei vor­bei ist. An­ge­kotzt hat mich das schon. Ge­ar­bei­tet habe ich im Kitt­chen wahr­haf­tig ge­nug.«

Die sie­ben an­de­ren sit­zen und se­hen, Ess­ge­rät in den Hän­den, den Kna­ben Emil Mon­te, dann ein­an­der ernst an.

»Also sagt schon, was ihr für eine Sa­che auf der Pfan­ne habt. Quatscht euch rein aus, ich mach je­den Dreck mit.«

»Aber wir nicht!« ruft Fas­se und be­kommt einen stren­gen Blick von Jäns­ch.

Schon zeigt sich, dass sich hier zwei die Füh­rer­rol­le strei­tig ma­chen wer­den, denn statt Jäns­ch sagt Maack: »Was wir für ein Ding auf der Pfan­ne ha­ben, Mon­te? Adres­sen­schrei­ben!«

»Und zwar«, sagt Jäns­ch has­tig, um auch sein Wort zu sa­gen, »und zwar Adres­sen­schrei­ben, wie du es noch nicht er­lebt hast: fünf­zehn Stun­den täg­lich, und wenn dir das nicht passt, den Arsch voll!« Er hebt sei­ne große, schau­fel­brei­te Prat­ze und zeigt sie dro­hend dem Mon­te.

»Ich bin al­ler­dings der An­sicht«, sagt Maack ei­lig und lei­se, »dass es noch sehr zwei­fel­haft ist, ob wir Mon­te über­haupt mit­neh­men. Er ge­hört nicht zu uns.«

»Ogot­to­gott«, flüs­tert der hüb­sche, blond­lo­cki­ge Mon­te, völ­lig über­wäl­tigt, »ihr wollt rich­ti­ge, so­li­de Ar­beit ma­chen, ihr?! Ogot­to­gott, was bin ich für ein Dus­sel ge­we­sen!«

»Über all das wer­den wir zu spre­chen ha­ben«, sagt Jäns­ch.

»Ich bin satt. Ober, zah­len!«

»Wir auch!«

»Wir ge­hen zu dir, Ku­falt, dei­ne Bude liegt am be­quems­ten.«

2

Es war die herr­lichs­te Sa­che von der Welt …!

Zu­erst wur­de mit zwei Stim­men Mehr­heit der ru­hi­ge Herr Maack zum Schreib­stu­ben­vor­ste­her ge­wählt.

»Ich neh­me die Wahl mit Dank an«, sag­te Maack rasch und si­cher und gab sei­ner Bril­le auf dem Na­sen­rücken einen klei­nen Schubs, »und wer­de mich be­mü­hen, im­mer eure In­ter­es­sen wahr­zu­neh­men. Aus der Rei­he tan­zen«, sag­te er noch ra­scher, denn Jäns­ch fing ei­fer­süch­tig an zu brum­men, »gibt es nicht. Ich wer­de mög­lichst we­nig an­ord­nen, aber was ich an­ord­ne, muss un­be­dingt be­folgt wer­den. Wer sich wi­der­setzt …«

»Arsch voll«, brumm­te Jäns­ch.

»Un­ge­fähr, Jäns­ch, un­ge­fähr so dach­te ich es mir auch«, sag­te Maack lä­chelnd. »Da­bei fällt mir Mon­te ein. Ich habe mir den Fall noch ein­mal über­legt. Ich bin jetzt an­de­rer An­sicht …«

»Ich auch …«, brumm­te Jäns­ch.

»Sie sind jetzt ge­gen Be­hal­ten?«

»Ja, jetzt bin ich ge­gen Be­hal­ten.«

»Ich bin«, sagt Maack, »an­de­rer An­sicht. Wir ha­ben in ei­nem Mo­nat drei­hun­dert­tau­send Adres­sen ab­zu­lie­fern. Zwei Mann müs­sen stän­dig fal­zen und ku­ver­tie­ren. Blei­ben, Mon­te ein­ge­rech­net, sechs Mann zum Tip­pen. Sechs mal zehn ist sech­zig, sechs mal sechs ist sechs­und­drei­ßig, neun­tau­send­sechs­hun­dert …«

»Was rech­nest du für ’nen Mist?«

»Muss, selbst wenn Mon­te bleibt, je­der Mann je­den Tag zwi­schen sech­zehn- bis sieb­zehn­hun­dert Adres­sen schrei­ben.«

»Au Ba­cke!«

»Das zieht hin!«

»Ich schreib zwei­tau­send«, er­klärt Jäns­ch.

»Ich auch«, sagt Maack, »und Deutsch­mann be­stimmt auch. Aber es gibt ge­nug un­ter uns, die we­ni­ger schrei­ben. Ich schlag also vor: Wir set­zen den Mon­te ans Fal­zen und Ku­ver­tie­ren, mit Ku­falt zu­sam­men. Sonst schaf­fen wir es nicht.«

Ver­dros­se­nes Schwei­gen. Ei­ner sagt är­ger­lich: »Na ja. Und was soll der ver­die­nen?«

Mon­te setzt ein: »Ich möch­te aber gar nicht mit­ma­chen. Ich habe nicht des­we­gen …«

Jäns­ch steht auf und geht quer durch das Zim­mer auf Mon­te los. Er fasst ihn an den Schul­tern, drückt ihm die Arme an den Leib und schüt­telt ihn hin und her. »Pu­pen­jun­ge«, sagt er dazu. »Pu­pen­jun­ge!«

»Ge­nug, Jäns­ch«, sagt Maack. »Also du weißt Be­scheid, Mon­te. In ei­nem Mo­nat kannst du ma­chen, was du willst. Bis da­hin …«

»So!« sagt Jäns­ch, hebt den Mon­te hoch und setzt ihn mit ei­nem Krach auf den nächs­ten Stuhl.

Mon­te reißt sein Ta­schen­tuch her­aus, trock­net sich die Stirn, reibt sich den Obe­r­arm, sieht al­bern-em­pört von ei­nem zum an­de­ren, und plötz­lich fängt er wei­bisch an zu ki­chern …

»Was der für Kräf­te hat!« ki­chert er.

»Ehe wir an die Ar­beits­ver­tei­lung ge­hen«, sagt Maack, »müs­sen wir fest­stel­len, wel­che Geld­mit­tel wir als Be­triebs­ka­pi­tal zur Ver­fü­gung ha­ben. Wir müs­sen sechs Schreib­ma­schi­nen auf Ab­zah­lung kau­fen, ich rech­ne drei­ßig Mark pro Stück die ers­te Rate, ein Zim­mer mie­ten, drei­ßig Mark, Ti­sche, Stüh­le, sech­zig Mark …«

»Aber das kön­nen wir uns doch al­les so« – Hand­griff – »be­sor­gen.«

»Ti­sche und Stüh­le sech­zig Mark! – Das wäre wohl al­les. Hun­dert­acht­zig die Ma­schi­nen, zwei­hun­dert­zehn die Mie­te, zwei­hun­dert­sieb­zig al­les in al­lem … Wie viel kann je­der von euch dazu ge­ben?«

Stil­le.

Noch viel stil­ler. Je­der sieht krampf­haft vor sich hin.

»Wir sind acht Mann«, sagt Maack. »Es wür­den auf je­den vier­zig Mark ent­fal­len. Wer hat so viel?«

Stil­le. Stil­le. Stil­le.

»Ich zeich­ne also vier­zig Mark«, sagt Maack. »Na, und du, Ku­falt?«

»Ich habe doch den Auf­trag ge­bracht«, sagt Ku­falt hilf­los. Er fürch­tet, gibt er jetzt vier­zig Mark her und die an­de­ren se­hen, er hat dann noch im­mer drei­hun­dert­vier­zig in der Brief­ta­sche – so muss er al­les zah­len.

»Und Sie, Jäns­ch?«

»Ich fress all mein Geld im­mer gleich auf«, sagt Jäns­ch mür­risch. »Sie sind doch der Schreib­stu­ben­vor­ste­her, Maack.«

»Und Sie, Fas­se? – Deutsch­mann? – Sa­ger? – Öser? – Mon­te?«

»Geld soll ich auch noch ge­ben«, schreit Mon­te. »Wo ich so be­han­delt wer­de!«

Lan­ges, ver­dros­se­nes Schwei­gen.

»Ja, wozu sind Sie denn der Schreib­stu­ben­vor­ste­her?« sagt Jäns­ch noch ein­mal.

»Der Ku­falt hat uns über­haupt rein­ge­ris­sen«, sagt Öser böse. »Schön blöd sind wir ge­we­sen. Sieb­zehn­hun­dert Adres­sen den Tag, so ein Quatsch!«

»Schei­ße!« schreit Sa­ger und haut auf den Tisch.

»Schei­ße!« schreit auch Fas­se.

Und plötz­lich schrei­en sie alle: »Schei­ße!« Sind wie wild, trom­meln auf den Tisch, ge­ra­ten in einen Par­oxys­mus1 von Verzweif­lung: ach, die schö­ne, so leicht­sin­nig auf­ge­ge­be­ne Schreib­stu­be da­hin­ten!

»Ei­nen Au­gen­blick«, sagt Maack, und lang­sam wird es still.

Maack sagt – und er sieht ja wirk­lich ta­del­los aus, die­ser Maack mit dem wei­ßen, selbst­be­herrsch­ten Ge­sicht, mit der schma­len Gold­bril­le –, also er sagt: »Un­ter der Voraus­set­zung, dass uns die Geld­be­schaf­fung ge­lingt …«

»Schei­ße!«

»Bit­te! Ich bin über­zeugt, ihr alle habt Geld – aus­ge­nom­men viel­leicht Mon­te.«

»Hab auch kei­nes«, sagt Mon­te. »Wenn ich hier mit­ar­bei­ten soll, muss ich Vor­schuss ha­ben.«

»Also – un­ter der Voraus­set­zung, dass das Geld zu­sam­men­kommt und wir mor­gen mit Ar­bei­ten an­fan­gen, so be­kom­men wir über­mor­gen von der Fir­ma drei­und­neun­zig Mark fünf­zig für die ers­ten Zehn­tau­send und je­den wei­te­ren Tag wei­te­re drei­und­neun­zig Mark fünf­zig Ar­beits­lohn …«

»Ja, wenn …!«

»Ich schla­ge nun vor, dass wir vor­läu­fig je­dem nur einen Wo­chen­lohn von fünf­und­zwan­zig Mark aus­zah­len, bis die Geld­ge­ber ihre Ein­la­gen zu­rück­ha­ben. Und zwar be­kommt je­der Geld­ge­ber für her­ge­ge­be­ne zehn Mark fünf­zehn Mark aus den Ein­gän­gen zu­rück, als Be­loh­nung für sein Ri­si­ko.«

Hö­her at­men­des Schwei­gen.

»Wird die­ser Vor­schlag von mir«, sagt Maack hur­tig, »an­ge­nom­men, so bin ich be­reit, hun­dert Mark zu zeich­nen.« Ei­nen Au­gen­blick Stil­le – und Maack setzt träu­me­risch hin­zu: »Ich wür­de dann hun­dert­fünf­zig zu­rück­be­kom­men.«

»Wie­so hun­dert Mark?« sagt Jäns­ch brum­mig. »Wie­so ge­ra­de Sie hun­dert Mark? Dann zeich­ne ich auch hun­dert Mark!«

»Ich auch!«

»Ich auch!«

»So viel brau­chen wir doch gar nicht.«

»Ich hun­dert­fünf­zig«, schreit Ku­falt.

»Und ich habe nicht mehr als vier­zig Mark«, klagt Mon­te. »Wie­so soll ge­ra­de ich so we­nig ver­die­nen?«

Brül­len­des Ge­läch­ter.

»Kiek, der Pupe, der wit­tert auch was!«

»Will Vor­schuss, der Gold­jun­ge! Nach­schuss, mein Sü­ßer.«

»Da also«, sagt Maack, »die Geld­fra­ge in dem Sin­ne ge­re­gelt ist, dass je­der von uns vier­zig Mark zahlt …«

»Aber wir krie­gen sech­zig wie­der!«

»Na­tür­lich! … So bit­te ich erst ein­mal alle, mög­lichst schnell nach Hau­se zu ge­hen und das Geld zu ho­len. Wir ha­ben heu­te noch einen Hau­fen zu er­le­di­gen.«

Al­les eilt fort.

»Jun­ge, Mon­te – wenn du nicht wie­der an­zit­terst – wir fin­den dich!«

»Ich komm schon«, sagt Mon­te. »Wenn ich sech­zig Mark für vier­zig krie­ge!«

Ku­falt und Maack blei­ben zu­rück. Maack li­ni­iert einen Bo­gen, schreibt die Na­men der acht un­ter­ein­an­der, zu­oberst den sei­nen, ne­ben je­den Na­men die Zahl vier­zig. Dann nimmt er aus ei­ner ab­ge­grif­fe­nen ro­ten Brief­ta­sche zwei Zwan­zig­mark­schei­ne, legt sie vor­sich­tig vor sich hin und quit­tiert sich selbst: »Er­hal­ten, Pe­ter Maack.«

Dann emp­fängt er von Ku­falt eben­falls vier­zig, quit­tiert wie­der und sieht lä­chelnd zu Ku­falt auf. »Ein biss­chen dumm seid ihr ja alle. Denkt, ihr ver­dient zwan­zig Mark je­der, und merkt nicht, dass die euch al­len gleich­mä­ßig vom Ar­beits­ver­dienst ab­ge­zo­gen wer­den.«

»Mensch«, sagt Ku­falt atem­los. »Das hast du die gan­ze Zeit ge­wusst! Wenn das die an­de­ren wüss­ten!«

»Ich er­zähl’s auch dir al­lei­ne«, sagt Maack. »Hof­fent­lich kommt kei­ner von den an­de­ren dar­auf, bis sie wie­der hier sind mit ih­rer Ma­rie.«

1 an­fall­ar­ti­ges Auf­tre­ten ei­ner Krank­heits­er­schei­nung <<<