Hans Fallada – Gesammelte Werke

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8

Am Nach­mit­tag wur­de Ku­falt plötz­lich von ei­nem jä­hen Ar­beitsei­fer er­grif­fen. Ei­gent­lich hat­te er bloß sei­ne Zel­le wie­nern wol­len, aber dann sah er, dass ihm am Netz nur noch ge­gen zwei­tau­send Kno­ten zu ei­nem vol­len Pen­sum fehl­ten, und wenn er sich dran­hielt, war das zu schaf­fen, und er be­kam acht­zehn Pfen­ni­ge mehr aus­be­zahlt bei der Ent­las­sung.

So strick­te er denn los auf Deu­bel komm raus. Ein biss­chen schlu­de­rig wur­de es ja, und ge­ra­de bei ei­nem He­rings­bel­li sah es im­mer in­fam aus, wenn die Kno­ten nicht fest wa­ren. Aber die Haupt­sa­che blie­ben die acht­zehn Pfen­ni­ge, und wenn der Net­ze­kal­fak­tor das Netz or­dent­lich reck­te, war es noch zehn­mal gut für die ol­len Fisch­damp­fer.

Dann ist er mit dem Stri­cken fer­tig, setzt sich auf den Fuß­bo­den und reibt ihn ein. Auch das muss man weg­ha­ben, nur eine Spur Ter­pen­tin mit Gra­fit, sonst bleibt die Erde stumpf und wird nicht blank, so­viel man auch mit der Bürs­te reibt. Zum Schluss macht er »Mus­ter«, das ist au­gen­blick­lich die große Mode im Zen­tral­ge­fäng­nis: Aus ei­nem Papp­de­ckel schnei­det man sich eine Scha­blo­ne und bürs­tet nun den Bo­den durch die Scha­blo­ne »ge­gen den Strich«, dann hat man hell- und dun­kel­glän­zen­de Mus­ter auf der Erde, Blu­men und Ster­ne und klei­ne ga­lop­pie­ren­de Tie­re. Es ist das kein Muss, aber es macht Spaß und ge­fällt dem Auge des Haupt­wacht­meis­ters Rusch und macht sein Herz ge­neigt für sol­che Künst­ler.

Als er auch das fer­tig hat, geht er ans Put­zen des Me­talls. Der schwie­rigs­te Fall ist die In­nen­sei­te des Kü­bel­de­ckels, die di­rekt mit dem Urin und Kot in Berüh­rung kommt, da bil­det sich im­mer ein weiß­li­cher, schlei­mi­ger Schim­mel. Nun, er hat den Bo­gen raus, man scheu­ert das erst mit ei­nem mög­lichst hart­ge­brann­ten Back­stein, dann …

Zu An­fang hat es ihn ge­stört, dass un­ter­des der of­fe­ne Kü­bel di­cke Ge­stank­wol­ken in sei­ne Zel­le sen­det, jetzt weiß er von so was nichts mehr. Der Kü­bel stinkt eben, da kann man nichts ma­chen, und er stinkt auch noch lan­ge nach, denn die Zel­len sind klein und lüf­ten sich schlecht.

Dann nimmt man et­was Putz­po­ma­de …

Aber da geht die Tür zu sei­ner Zel­le auf, und der Net­ze­meis­ter kommt her­ein, mit sei­nem Net­ze­kal­fak­tor. Doch das ist der Ro­sen­thal nicht mehr, das ist schon wie­der ein neu­es Ge­sicht.

»Nanu, Meis­ter«, grinst Ku­falt und putzt em­sig wei­ter, »ha­ben Sie schon wie­der ’nen neu­en Kal­fak­tor? Das geht bei Ih­nen ja wie Bre­zel­ba­cken!«

Der Meis­ter ant­wor­tet nicht, son­dern sagt zu sei­nem Ge­hil­fen: »Da, das Netz raus und al­les Garn und die Ei­sen­stan­ge und – wo ha­ben Sie Ihr Mes­ser, Ku­falt?«

»Liegt im Schrank bei der Bi­bel. Nee, auf dem Fens­ter. Habe eben noch das Pen­sum fer­tig­ge­strickt, Meis­ter.«

»Wel­ches Pen­sum? Wol­len Sie nicht den Kü­bel so­lan­ge zu­ma­chen? Das stinkt hier wie die Pest.«

»Ihre riecht wie Veil­chen, was? – Wel­ches Pen­sum? Das letz­te Pen­sum na­tür­lich. Im­mer, was un­ten dr­an­hängt!«

»Sech­zehn Pen­sen ha­ben Sie seit dem Ers­ten! – Ma­chen Sie jetzt den Kü­bel zu, ich be­feh­le es Ih­nen!«

»Geht nicht, muss den De­ckel wie­nern. Tram­pel­tier du da hin­ten, heb das Netz ge­fäl­ligst auf und ver­schramm mir nicht mei­nen Bo­den! Siehs­te nicht, dass ich frisch ge­wie­nert habe?«

Der Ge­fan­ge­ne, ein »Stu­dier­ter«, wie Ku­falt gleich ge­se­hen hat, sagt: »Schnau­zen Sie mich nicht an, ich ver­bit­te mir das! Und dann sol­len Sie den Kü­bel zu­ma­chen, ha­ben Sie ja ge­hört, das stinkt hier wirk­lich ge­mein.«

»Mit dir red ich über­haupt nicht, du hast doch si­cher ’ne alte Tan­te um ihre Spar­gro­schen be­tro­gen?! – Wie­so sech­zehn, Meis­ter? Jetzt sin­d’s sieb­zehn, und die will ich mor­gen be­zahlt ha­ben, sonst kracht’s.«

»Sei­en Sie nicht so frech, Ku­falt«, bit­tet der Meis­ter förm­lich. »Oder ich muss Herrn Haupt­wacht­meis­ter ru­fen.«

Ku­falt aber ist in Wut und sagt: »Den ruf du man, mit dem er­zäh­le ich mir ger­ne was. – Guck nicht so, du Dus­sel, raus mit dem Netz, raus mit dir aus mei­ner Zel­le! – Wol­len Sie mich zum Tort1 um ein Pen­sum be­trü­gen?«

Der Net­ze­meis­ter ist ganz ver­zwei­felt. »Sie sind ja rei­ne wild, Ku­falt, Sie spin­nen ja. Der Ar­beits­in­spek­tor hat doch heu­te früh schon die Pen­sum­lis­ten von den Ent­las­se­nen ver­langt! Da kann ich doch nichts mehr än­dern, Ku­falt. Neh­men Sie schon Ver­nunft an!«

Ku­falt schreit: »Dann muss­ten Sie’s mir sa­gen!«

»Sie wa­ren doch beim Arzt.«

»Ganz egal! Denkt ihr, ich schen­ke euch vier­tau­send­fünf­hun­dert Kno­ten! Bring das Netz rein, du, ich knot’s wie­der auf.«

»Ku­falt«, fleht der Meis­ter, »sei­en Sie nur ein­mal ver­nünf­tig. Sie brau­chen doch sechs, acht Stun­den, die Kno­ten wie­der auf­zu­ma­chen.«

»Ganz egal!« schreit Ku­falt wie­der. »Das ist Schi­ka­ne von dir! Das ist dei­ne Ra­che, dass du mir das Pen­sum nicht zah­len willst, ich ken­ne dich doch! Das Netz her oder ich schmeiß den Kü­bel mit dem gan­zen Scheiß­dreck …«

»Wat denn! Wat denn!« klingt es von der Tür, und der Herr­scher des Zen­tral­ge­fäng­nis­ses, Haupt­wacht­meis­ter Rusch, schiebt sich her­ein. »Mit Schei­ße schmei­ßen? Fes­te, fes­te! Aber al­les wie­der ein­sam­meln, mit den Hän­den, selbst! Selbst!!«

»Und der Mann will über­mor­gen raus­kom­men«, sagt der Net­ze­meis­ter, der sich plötz­lich sehr si­cher fühlt.

»Das geht Sie gar nichts an«, fährt Ku­falt neu auf. »So was ha­ben Sie über­haupt nicht zu sa­gen! Sie sind hier kein Be­am­ter, ver­ste­hen Sie! Beim Di­rek­tor werd ich Sie mel­den! Sie, Sie ha­ben mich erst so ge­macht! Schi­ka­niert ha­ben Sie mich Tag für Tag! Ich hab’s Ih­nen nicht ver­ges­sen, Meis­ter, wie Sie mir im­mer das schlech­tes­te Garn ge­ge­ben ha­ben und im­mer ge­sagt ha­ben, die Kno­ten sind nicht fest ge­nug. Und ich hab getreckt und getreckt, bis ich mir den Dau­men ver­knackst habe, und Sie ha­ben sich in den Bart ge­lacht und ha­ben ge­sagt: Im­mer noch nicht fest ge­nug.«

»Wa­rum schrei­en Sie denn so, Ku­falt?« fragt der Haupt­wacht­meis­ter. »Sind Sie krank?«

»Gar nicht bin ich krank, aber sieb­zehn Pen­sen hab ich ge­strickt, und der Meis­ter will mir nur sech­zehn an­rech­nen. Ist das Ge­rech­tig­keit? Ich den­ke, wir wer­den hier nach Ge­rech­tig­keit be­han­delt?«

»Wenn der Mann sieb­zehn ge­strickt hat, muss er auch sieb­zehn be­zahlt krie­gen«, er­klärt Rusch.

»Aber ich hab dem Ar­beits­in­spek­tor …«

»Wat! Wat! Aber! Hat er sieb­zehn ge­strickt …?«

»Ja, aber …«

»Wat! Wat! Aber? Kriegt er sieb­zehn be­zahlt! Al­les klar!«

»Aber ich hab die Lis­ten doch schon ab­ge­lie­fert.«

»Dann sa­gen Sie eben, Sie ha­ben einen Feh­ler ge­macht.«

»Es ist nur, Herr Haupt­wacht­meis­ter«, sagt plötz­lich grin­send Ku­falt, »weil er denkt, ich hab ihn in die Pfan­ne ge­hau­en mit sei­nem Ro­sen­thal. Da­rum soll ich ein Pen­sum we­ni­ger krie­gen. Und dar­um bin ich so wü­tend ge­we­sen.«

Der Haupt­wacht­meis­ter guckt und war­tet. Dies ist sei­ne Stun­de. In sol­chen Stun­den ern­tet er, in die­sen Stun­den, wenn sich die Kum­pel ver­fein­den und die Ge­nos­sen an­schwär­zen, da sam­melt er sein Ma­te­ri­al ge­gen Ge­fan­ge­ne und Stu­fen­straf­voll­zug, da kommt der Stoff her für sei­ne An­zei­gen. Al­les weiß er, al­les er­fährt er, und vor­ne in sei­nem Büro der Di­rek­tor schlägt die Hän­de über dem Kopf zu­sam­men und ver­zwei­felt: Ist denn nicht ein Ge­rech­ter …?

Der Net­ze­meis­ter läuft blau­rot an und schluckt. »Herr Rusch, wenn hier ei­ner in die Pfan­ne ge­hau­en wer­den muss …«

»Na, wat denn?« fragt Rusch breit und ge­müt­lich. »Sie mei­nen doch nicht un­sern Mus­ter­kna­ben, den Wil­li Ku­falt? Gu­cken Sie sich die Zel­le an, wis­sen Sie sonst noch so ’ne Zel­le im gan­zen Bau? Ge­wie­nert, glänzt wie ein Af­fe­narsch.«

Und Ku­falt ist sei­ner Sa­che so si­cher, dass auch er noch den Meis­ter hetzt: »Frei­lich, ich muss in die Pfan­ne ge­hau­en wer­den, Meis­ter. Sie ha­ben’s ge­ra­de nö­tig, mir Lam­pen zu ma­chen, Meis­ter. Ha­ben doch wohl auch als Hilfs­be­am­ter einen Eid ge­schwo­ren, Meis­ter?«

Worauf nun wie­der der Net­ze­meis­ter wü­tend los­bricht: »Der Er­pres­ser der, aber ich will Ih­nen sa­gen, Haupt­wacht­meis­ter …« Und be­sinnt sich, dun­kel­rot, aber be­sinnt sich: »Also Sie krie­gen Ihre sieb­zehn Pen­sen be­zahlt, Ku­falt. Und wenn ich Ih­nen die acht­zehn Pfen­nig über­mor­gen un­term Tor sel­ber ge­ben muss. Sie krie­gen sie!«

Der Net­ze­meis­ter geht ab. Jetzt steht der Haupt­wacht­meis­ter un­zu­frie­den und wü­tend da.

»Hab ich kei­ne Post, Herr Haupt­wacht­meis­ter?« fragt Ku­falt.

»Post. Post. Sie krie­gen Ihre Post, wenn’s Zeit ist. Und über­haupt ha­ben Sie nicht so frech zu sein. Der Net­ze­meis­ter ist Ihr Vor­ge­setz­ter. Ich schreib’s in Ihren Ent­las­sungs­schein, Ku­falt, dass die Füh­rung schlecht war. Dann kom­men Sie bei kei­ner spä­te­ren Stra­fe auch nur in die zwei­te Stu­fe.«

Spricht’s und schrammt die Tür zu, ehe Ku­falt sich von Neu­em ent­rüs­ten kann.

1 Krän­kung, Ver­druss <<<

9

Abends um acht Uhr hat die drit­te Stu­fe ih­ren all­wö­chent­li­chen Ra­dio­abend. Es ist schön still im Bau, die paar Wacht­meis­ter vom Nacht­dienst schlur­ren auf Filz­lat­schen her­um und schlie­ßen die schon für die Nacht ver­sperr­ten Zel­len der Leu­te von der drit­ten Grup­pe vor­sich­tig und lei­se noch ein­mal auf. Und sach­te ge­hen die run­ter zum Schul­zim­mer, denn nichts ist schlim­mer als ein Ge­fäng­nis, das nachts in Lärm ge­rät. Sind die Ge­fan­ge­nen erst ein­mal in ih­rer kost­ba­ren Nachtru­he ge­stört, dann hört das Schrei­en und To­ben und Brül­len über­haupt nicht wie­der auf.

 

Im Schul­zim­mer sam­meln sich die zwölf, es ist noch ziem­lich taghell, der Schus­ter han­tiert schon am Ra­dio.

»Was gib­t’s denn?« fragt Ku­falt, aber der Schus­ter ist noch von Mit­tag her böse und ant­wor­tet nicht.

Da­für sagt Batz­ke, der lan­ge Batz­ke, der über nack­te Mäd­chen­schön­hei­ten ge­bie­tet und der die Heiz­kes­sel der An­stalt ver­sorgt: »’ne Oper, von Ver­di. Wills­te zu­hö­ren?«

»Nee, nur nicht. Wa­rum die am Abend nie was Hu­mo­ris­ti­sches ma­chen, ver­steh ich nicht. Könn­ten doch auch mal an ’nen Ge­fan­ge­nen den­ken.«

Aber Batz­ke lei­ert sei­nen al­ten Vers: »Wa­rum sol­len die an uns den­ken? Sind froh, dass sie nicht an uns zu den­ken brau­chen. Heil­froh, dass sie uns los sind, Vieh, das wir sind.«

Das Ra­dio hat ein­ge­setzt, und die bei­den ge­hen den lan­gen Gang ne­ben den Schul­bän­ken auf und ab.

»Hast du Ta­bak? Au, Mensch, Batz­ke, wo kriegst du nur im­mer den fei­nen Ta­bak her? Ich habe hier ja auch was ge­lernt von Schie­ben, aber so wie du …«

»Wenn du erst vier­zehn Jah­re Knast ab­ge­ris­sen hast wie ich«, sagt der sechs­und­drei­ßig­jäh­ri­ge Batz­ke, »kennst du den La­den auch schon bes­ser.«

»Nur nicht!« ruft Ku­falt. »Lie­ber tot!«

»Das sag man nicht«, trös­tet Batz­ke. »Da­für ist die Zeit drau­ßen um so schö­ner.«

»Nee, dan­ke, ich wer­de jetzt so­li­de.«

»Mach bloß so was nicht«, warnt Batz­ke. »Du hältst es ja doch nicht durch. Da stram­pelst du dich zwei Mo­na­te ab oder drei oder fünf und schiebst Kohldampf und rennst dich um nach Ar­beit. Und viel­leicht kriegst du wirk­lich Ar­beit und schuf­test dich tot, dass sie dich nur be­hal­ten. Aber dann komm­t’s doch ir­gend­wie raus, dass du ge­ses­sen hast, und der Chef be­för­dert dich an die Luft, oder die Kol­le­gen – die sind im­mer die Schlimms­ten – wol­len mit so ’nem Ver­bre­cher nicht ar­bei­ten. Hab ich al­les ver­sucht. Aber wenn du dann mür­be bist und hast drei Tage nichts ge­fres­sen und fasst was an und gehst hoch da­bei, gleich sa­gen sie: ›Das ha­ben wir uns doch ge­dacht. Gut, dass wir den da­mals gleich raus­ge­schmis­sen ha­ben.‹ So sind die, und wenn du schlau bist, dann hörst du auf mich und fängst gar nicht erst so was an wie So­lid­wer­den. Dann machs­te mit mir mit.«

»Aber man wird ge­schnappt und kommt wie­der ins Kitt­chen.«

»Nicht so leicht, wenn man aus­ge­ruht ist und Geld hat. Im­mer wenn man Kohldampf hat und Angst und Geld krie­gen muss. – Ir­gend­wann fas­sen sie einen na­tür­lich doch, aber bei mir wird das sei­ne Wei­le ha­ben.«

»Aber es gibt doch wel­che, die kom­men nicht wie­der rein?«

»Wer denn? Wer denn? Sag doch, wie lan­ge schiebst du Knast? Wie viel Leu­te hast du schon wie­der­kom­men se­hen in der Zeit? – Na also! Und die nicht hier­her wie­der­ge­kom­men sind, die schie­ben jetzt wo­an­ders Knast. Ich dreh mein nächs­tes Ding auch nicht wie­der in Preu­ßen, ich geh mit ’nem Stadt­plan bre­chen in Ham­burg, dass ich nur nicht über die Gren­ze nach Al­to­na ge­ra­te. Knast in Fuhls­büt­tel ist viel bes­ser als in Preu­ßen, da kann schon die zwei­te Stu­fe Fuß­ball spie­len.«

»Ich mag aber nicht bre­chen ge­hen. Hab kei­nen Mumm für so was.«

»Sollst du auch nicht, mein Jun­ge. Weiß ich doch sel­ber. Wie wirst du mit sol­chen Ärm­chen bre­chen ge­hen? Nee, auf so einen wie dich habe ich schon lan­ge ge­war­tet. Du bist doch fein, kennst die Fremd­wör­ter und ein biss­chen Eng­lisch Par­le­wuh,1 du ahnst ja nicht, wie ei­nem so was fehlt. Ich mach auch lie­ber was an­de­res als auf Bruch ge­hen.«

Ku­falt fühlt sich ge­schmei­chelt.

»Ich hab ge­lernt und ge­lernt«, er­zählt Batz­ke wei­ter, »aber den rich­ti­gen Dreh krieg ich doch nicht raus. Eine Wei­le lang hab ich mal in Hei­rats­schwin­del ge­macht, das Ri­si­ko ist nicht so groß, und du brauchst kein Geld aus­zu­ge­ben für die Nut­ten, aber glaubst du, ein bes­se­res Mäd­chen hab ich ge­kriegt …? Ich hab so auf­ge­passt, wie’s ge­macht wird, auf der Renn­bahn und in der Bar, und die Fin­ger­nä­gel hab ich mir ma­ni­kürt – nichts. Die fei­nen Ka­va­lie­re sind mit den großen Kal­len ab­ge­zo­gen, und wenn ich mei­ne be­sah, dann war’s im­mer ein Dienst­bol­zen oder höchs­tens ’ne Stüt­ze, mit ein paar Hun­dert Er­spar­tem, es lohn­te nicht.«

»Rich­ti­ges Be­neh­men könn­te ich dir schon zei­gen.«

»Siehst du, das ist es, was einen wurmt. Ich ver­steh al­les, ich kann ’nen Geld­schrank knacken mit ’nem Schneid­bren­ner, wie nur ei­ner. Aber im­mer krieg ich nur die klei­nen Sa­chen, die an­de­ren ge­hen mit den großen über den Harz. So was wurmt einen, wenn man sein Fach ver­steht.«

»Aber zum Ein­bre­chen braucht man doch kei­ne Bil­dung, Wal­ter!«

»Du hast ’ne Ah­nung! In einen fei­nen Klub kom­men als Dok­tor Batz­ke oder mit ei­nem Lu­xus­zug mit­fah­ren, ohne dass gleich die Schmie­re den Bra­ten riecht, in ei­nem hoch­herr­schaft­li­chen Haus die Vor­der­trep­pe rauf­ge­hen, und der Por­tier hat nicht ein­mal die Cou­ra­ge, dich zu fra­gen, wie­so und zu wem – das, sage ich dir, das musst du mir bei­brin­gen.«

»Ich glaub im­mer, du kannst das al­les schon. Du hast si­cher in dei­nem Le­ben mehr Sekt ge­sof­fen als ich.«

»Si­cher … aber eben ge­sof­fen … aber eben mit Hu­ren. Sekt trin­ken, weißt du, und da­bei ’ne Un­ter­hal­tung füh­ren mit ’ner rich­ti­gen Dame, und ihr nicht schon nach dem drit­ten Glas in den Aus­schnitt fas­sen – so was will ich ler­nen!«

Sie ge­hen auf und ab. Alle un­ter­hal­ten sich, rau­chen, strei­ten, ein paar im Win­kel spie­len Schach. Ver­dis Me­lo­di­en ge­hen un­ter in dem Ge­lärm.

Wal­ter Batz­ke fängt an zu schwär­men: »Mensch, ich sage dir, wir wol­len es fein ha­ben! Wenn wir jetzt raus­kom­men, ha­ben wir bei­de Geld, da wird ge­lebt, sage ich dir. Was du in der ers­ten Nacht tust, weißt du?«

»Nee! Was tue ich da?«

»Nichts weißt du! Eine fei­ne Nut­te freist du dir auf der Ree­per­bahn oder in der Frei­heit und gehst mit ihr auf ihre Bude. Und wenn sie an­fängt von Ma­rie und Ab­la­den und so, dann haust du dei­nen Ent­las­sungs­schein auf den Tisch und sagst: ›Mäd­chen, heu­te blechst mal du! Fahr Sekt auf!‹«

»Die wird mir schön auf den Kopf spu­cken.«

»Das weiß er nicht! Nicht mal das weiß er! Die ers­te Nacht nach dem Knast ist bei al­len Hu­ren in Ham­burg frei. Das ist so. Das kannst du mir glau­ben. Da schließt sich kei­ne aus.«

»Wirk­lich?«

»Ehren­wort! – Na, und am Sonn­tag kom­me ich dann ja nach.«

»Soll ich dich von der Bahn ab­ho­len?« fragt Ku­falt.

»Nee, lie­ber nicht. Ich muss erst mal nach Haus und nach mei­ner Ol­len se­hen.«

»Ver­hei­ra­tet bist du plötz­lich auch?«

»Nee! Seh ich so aus? ’ne olle Wit­we habe ich, so an die Fünf­zig, die sonst kei­nen mehr fin­det, die be­sor­ge ich, und da­für habe ich zwei fei­ne Zim­mer und Bad und fein Es­sen – Prä­pel­chen, Jun­ge! Vi­el­leicht kannst du auch bei mir woh­nen, muss mal se­hen, Har­ve­ste­hu­der Weg, Wit­we An­to­nie Her­mann. Die ist von der großen Ree­de­rei, da­von hast du doch schon ge­hört?«

»Glaubst du denn, dass die all die Jah­re auf dich ge­war­tet hat?«

»Du bist gut! Na­tür­lich hat sie ’nen Jun­gen, und na­tür­lich hat sie kei­ne Ah­nung, dass ich jetzt wie­der raus­kom­me aus dem Knast. Aber du weißt ja, wie ich bin, fromm bin ich nicht. Ich stell mich ein­fach hin vor den Jun­gen und sag: ›Der Rabe ist da. Raus!‹ Und wenn er sei­ne Sa­chen packt, da steh ich da­bei, und was sie ihm zu viel ge­schenkt hat, das wird mei­ne!«

Ku­falt macht es Spaß, er grinst. »Und lässt sie sich das ge­fal­len?«

»Die …? Ich weiß doch, wo die Reit­peit­sche hängt, und wenn ich sie erst ein­mal ver­dro­schen habe, weiß sie von kei­nem an­de­ren mehr.«

Es geht Ku­falt et­was durch­ein­an­der, der Rauch ist dick und der Abend trüb ge­wor­den, und die Mu­sik der Oper klingt aus wei­ter Fer­ne. Wit­we vom Har­ve­ste­hu­der Weg, Ree­de­rei­be­sit­ze­rin, Reit­peit­sche, Rabe – es ist ein biss­chen viel. Aber wenn man fünf Jah­re Knast ge­scho­ben hat, scheint nichts un­mög­lich – Din­ge hat man hier er­lebt!

Er lässt es auf sich be­ru­hen und fragt: »Also wo tref­fen wir uns? Und wann?«

»Ich will dir sa­gen«, schlägt Batz­ke vor, »wir tref­fen uns auf dem Haupt­bahn­hof – nee, da läuft im­mer so viel Schmie­re rum, die ken­nen mich alle. Wir tref­fen uns um acht auf dem Rat­haus­markt un­term Pfer­de­schwanz.«

»Wo ist das?«

»Un­term Pfer­de­schwanz? Warst noch nie in Ham­burg?«

»Nur ein paar Tage.«

»Da ist ein Denk­mal von Kai­ser Wil­helm auf dem Rat­haus­markt, da rei­tet er. Un­term Pfer­de­schwanz weiß je­der in Ham­burg.«

»Gut. Das fin­de ich. Also um acht.«

»Ab­ge­macht. Und wirf dich fein in Scha­le. Wir ma­chen einen lan­gen Zug.«

»Schön. An mir soll’s nicht lie­gen.«

»An mir auch nicht.«

1 franz. par­lez-vous <<<

10

Durch den schla­fen­den, fast dunklen Bau schleicht hin­ter dem Nacht­be­am­ten Ku­falt, auf So­cken, die Pan­tof­feln in der Hand.

Der Wacht­meis­ter schließt die Zel­le auf, er steht einen Au­gen­blick da, den Licht­schal­ter zö­gernd in der Hand. »Ge­hen Sie ein­mal ohne Licht ins Bett, Ku­falt. Ich muss sonst in zehn Mi­nu­ten die vier Trep­pen wie­der rauf. Und ich hab den gan­zen Tag zu Haus Holz ge­sägt und bin hun­de­mü­de.«

»Selbst­ver­ständ­lich«, sagt Ku­falt. »Das macht mir nichts. Gute Nacht, Herr Thies­sen.«

»Gute Nacht, Ku­falt. Es ist ja wohl Ihre letz­te Nacht?«

»Vor­letz­te.«

»Und wie lan­ge ha­ben Sie ab­ge­ris­sen bei uns?«

»Fünf Jah­re.«

»Lan­ge Zeit. Auf und ab eine lan­ge Zeit«, sagt der alte Mann und schüt­telt den Kopf. »Sie wer­den sich wun­dern drau­ßen. Fünf Mil­lio­nen Ar­beits­lo­se. Schwer ist das, Ku­falt, schwer. Mei­ne bei­den Söh­ne sind auch ar­beits­los.«

»Ich hab ja war­ten ge­lernt.«

»Ha­ben Sie’s ge­lernt? Hier doch nicht! Hier hat’s noch kei­ner ge­lernt. – Na, wenn ich Sie nicht mehr se­hen soll­te, Ku­falt, al­les Gute. Sie wer­den’s nicht leicht ha­ben, schwer wer­den Sie’s ha­ben. Ob Sie’s aus­hal­ten wer­den? Wer ein­mal aus dem Blech­napf frisst …«

Der alte Mann steht war­tend, denn Ku­falt ist schon bei­na­he fer­tig mit Aus­zie­hen im Licht der Flur­lam­pe.

»Schlecht sind Sie nicht ge­we­sen, nur zu leicht. Flei­ßig, ja. Und höf­lich, wenn man höf­lich war. Aber im­mer gleich im Brud­del, wenn was ver­quer ging, und hin­ter je­der Scheiß­hauspa­ro­le hin­ter­her. Fünf Mil­lio­nen Ar­beits­lo­se, Ku­falt …«

»Sie ma­chen mich nicht ge­ra­de mun­ter, Herr Thies­sen.«

»Mun­ter wer­den Sie schon ge­nug sein, wenn Sie ent­las­sen sind, da sor­gen die Mäd­chen schon für und der Suff – das Mun­ter­sein macht’s nicht. Den­ken Sie im­mer dar­an, Ku­falt, wir ha­ben hier im Bau an die sie­ben­hun­dert Zel­len – de­nen ist’s egal, wer sich drin sorgt. Uns ist’s egal, bei wem wir schlie­ßen, al­les ken­nen wir schon, al­les, was es gibt.«

»Je­der ist an­ders, Herr Thies­sen.«

»Drau­ßen ja. Aber hier drin­nen, da seid ihr alle gleich, das wis­sen Sie doch selbst, Ku­falt. Wie rasch lernt ih­r’s. – Na, ge­hen Sie jetzt man schla­fen. Ihr Bett ha­ben Sie schon run­ter­ge­klappt. Se­hen Sie, das ist nett, so was mag ich, das sind die wirk­lich Ge­bil­de­ten. Aber an­de­re gib­t’s. Der Schlimms­te ist der Batz­ke, der macht sein Bett nachts um zwölf vom Ha­ken und haut es mit al­ler Ge­walt auf den Stein­fuß­bo­den, dass der gan­ze Bau re­bel­lisch wird. – Na, schla­fen Sie denn also gut, die vor­letz­te Nacht. Gute Nacht.«

»Gute Nacht, Herr Thies­sen. Und dan­ke auch schön. Für al­les!«