Hans Fallada – Gesammelte Werke

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7

Als Ku­falt in sei­ne Zel­le kommt, hat er schon wie­der Grund zum Är­ger. Da ha­ben sie un­ter­des­sen Es­sen aus­ge­ge­ben und ihm sei­nen Ess­napf auf den Tisch ge­stellt, aber nur einen Schlag ha­ben sie hin­ein­ge­tan! Hun­de, die ver­damm­ten! Soll er Kohldampf schie­ben noch in den letz­ten Ta­gen? Und ge­ra­de Erb­sen, die er so ger­ne isst!

Aber als Ku­falt dann sitzt und has­tig löf­felt – er muss schlin­gen, denn es kann jede Mi­nu­te klin­geln zur Frei­stun­de der drit­ten Stu­fe –, wi­der­steht ihm das Es­sen plötz­lich. Das hat er ein paar­mal ge­habt in die­sen Jah­ren: Wo­chen­lang, mo­na­te­lang konn­te er den breii­gen Fraß nicht run­ter­brin­gen.

So wühlt er nur ap­pe­tit­los in der Schüs­sel, ob sich viel­leicht ein Stück­chen Schwei­ne­fleisch hin­ein­ver­irrt hat – aber nichts.

Er kippt das Es­sen in den Kü­bel, macht die Schüs­sel sau­ber und schmiert sich einen Kan­ten mit Schmalz. Sein Schmalz schmeckt def­tig, die Schnei­der bra­ten es ihm un­ten auf dem Bü­gel­ofen mit Äp­feln und Zwie­beln aus. Zu ihm sind sie an­stän­dig, bei ihm neh­men sie nicht mehr als ein Vier­tel vom Pfund für ihre »Ar­beit«, an­de­re müs­sen die Hälf­te oder gar drei Vier­tel ge­ben, und wer grün ist, der kriegt über­haupt nichts zu­rück. Da hat es eben der Haupt­wacht­meis­ter be­schlag­nahmt. Die Schnei­der sind noch an­stän­dig ge­we­sen und ha­ben alle Schuld auf sich ge­nom­men. Er­zäh­len die. Mach da schon was!

Ku­falt hockt auf sei­nem Sche­mel und gähnt. Am liebs­ten haute er sich eine Wei­le aufs Bett, aber der Haupt­wacht­meis­ter kann je­den Au­gen­blick an die Glo­cke schla­gen, es wäre schon längst Zeit.

Wie sich die Zeit dehnt, die­se letz­ten Tage und Wo­chen! Sie geht nicht hin, sie geht nicht hin, sie bleibt, sie klebt, sie geht nicht hin. Sonst hat er jede freie Mi­nu­te ge­strickt, aber er mag nicht mehr, nicht eine Ma­sche mehr wird er de­nen stri­cken! Nichts mag er mehr. Auch nicht drau­ßen sein. Si­cher schreibt Wer­ner über­haupt nicht, und dann darf er beim Pfaf­fen um Un­ter­kunft bet­teln.

Das Bes­te wäre ein gu­tes, si­che­res Ein­kom­men, es braucht nur klein zu sein, aber si­cher. Nichts mehr von den Ga­no­ven se­hen, ir­gend­wo ganz un­auf­fäl­lig hau­sen, ein ge­wis­ser, gleich­gül­ti­ger Wil­li Ku­falt, und man hat sein Zim­mer und sitzt warm durch den Win­ter. Vi­el­leicht mal Kino. Und net­te Bü­ro­ar­beit und so wei­ter und so wei­ter. Er wünscht sich nichts Bes­se­res. Amen.

Die Glo­cke schlägt an.

Er fährt hoch, greift nach Müt­ze und Hals­tuch, fühlt noch mal, ob der Schein fest im Strumpf sitzt – da macht schon Stei­nitz die Tür auf. »Frei­stun­de drit­te Stu­fe!«

Un­term Glas­kas­ten sam­meln sie sich, elf Männ­lein von sechs­hun­dert.

»Seid ihr alle?« fragt Pe­trow.

»Nein, Batz­ke fehlt noch.«

»Der pennt, muss ex­tra ge­weckt wer­den.«

»Nein, der will nicht kom­men.«

»Ei­nen fei­nen Be­griff krie­gen die vor­ne. Die wer­den uns rasch wie­der die Ex­traf­rei­stun­de ab­knöp­fen, wenn sie se­hen, dass wir nicht mal hin­ge­hen.«

»Wer hat den Fuß­ball?«

»Ei­nen neu­en brau­chen wir auch wie­der. Den kann man nicht mehr fli­cken.«

»Halt ’s Maul, Schus­ter, gut ist der noch zu fli­cken, sei bloß nicht so faul!«

»Wenn die fei­nen Her­ren über­mor­gen raus­kom­men, kön­nen sie schon mal zehn Mark schmei­ßen von ih­rer Ar­beits­be­loh­nung.«

»Ich brauch mein Geld für mich.«

»Nanu, Herr Ober­wacht­meis­ter, warum ge­hen wir denn heu­te durch den Kel­ler?«

»Is sich nä­her.«

»Und ver­bo­ten ist es auch.«

»Wer ver­bo­ten? Gar nicht ver­bo­ten!«

»Rusch!«

»Was der ver­bie­tet, ich hust in die Ho­sen.«

»Da steht doch wer!«

»Mensch, Bruhn, kommst du mit uns mit?«

»Au fein, Emil, da kön­nen wir schön mit­ein­an­der klö­nen.«

»Pe­trow hat mich raus­ge­schmug­gelt, Rusch ist jetzt nicht im Bau. Fein, was, Wil­li?«

»Das gibt es gar nicht! Der ist noch nicht mal zwei­te Stu­fe! Herr Ober­wacht­meis­ter …!«

»Ich nichts se­hen. Nicht wis­sen, wie Bruhn raus­ge­kom­men.«

»Hältst du den Sab­bel, nei­di­scher Hund! Gönnst das dem Bruhn wohl nicht, dass er ein ein­zi­ges Mal mit uns raus­kommt?«

»Stub­ben, däm­li­cher, wenn ich mal was will, gibst du an, noch und noch.«

»Bei Bruhn ist das an­ders, bei Bruhn sagt kein Wacht­meis­ter was.«

»An­ders – weil er dein Sü­ßer ist, was? So was gib­t’s gar nicht, ich wer­de dir Lam­pen ma­chen!«

»Tu’s doch, wenn du’s wagst! Ich weiß auch was von dir …«

Sie sind drau­ßen. Es ist der Freihof vom Ju­gend­ge­fäng­nis, auf dem sie Fuß­ball spie­len und spa­zie­ren­ge­hen dür­fen, ohne Auf­sicht – Pe­trow hat sich schleu­nigst ge­drückt –, als Vor­be­rei­tung für die Frei­heit, al­ler­dings von ei­ner fünf Me­ter ho­hen Mau­er um­ge­ben.

»Komm, Wil­li, lass ihn doch re­den, ich bin ja jetzt drau­ßen.«

»Ja, komm. Wir ge­hen hier die Mau­er lang, da stö­ren wir sie nicht beim Spiel.«

»Dir muss man eine in die Fres­se schla­gen, du hoch­nä­si­ger Hund, du!«

»Schlag doch, schlag doch, wenn du eine Cou­ra­ge hast!«

»Das will ich dir be­wei­sen, du Priem­maul, du elen­des …!«

»Spie­len wir nun Fuß­ball oder nicht, Schus­ter …?«

»Viel zu elend bist du mir, hau bloß ab mit dei­nem Pu­pen­jun­gen. Aber ich sag es dem Rusch …!«

»Also komm end­lich, Wil­li!«

»Die­ser elen­de Schus­ter, Emil! Ich will dir auch sa­gen, warum er so stän­kert. Mei­ne bei­den gel­ben Spat­zen hab ich ihm ver­kauft für vier Pa­ke­te Ta­bak. Und der Rusch hat es ge­ro­chen. Nun ist er die Vö­gel und den Ta­bak los. Da­rum ist er so gif­tig, nicht dei­net­we­gen.«

»Wann kommt er raus, der Schus­ter? Der spinnt ja schon.«

»Und ob. Drei Jah­re muss er noch ab­rei­ßen. Aber er schmiert sich ja an je­den ran, den Be­am­ten be­sohlt er heim­lich die Schu­he, noch und noch, und jetzt will er ja auch wie­der in die ka­tho­li­sche Kir­che ein­tre­ten, da kriegt er si­cher Be­wäh­rungs­frist!«

»Ja, der kommt im­mer wie­der raus, der ver­steht den Bo­gen.«

Sie ge­hen in der war­men Mai­son­ne im­mer un­ter der Mau­er auf und ab. Grün ist kein Grä­serl, kein Zweig zu se­hen, aber der Him­mel ist schön blau, und nach den trü­ben Zel­len ist die Son­ne dop­pelt hell und warm. Sie wärmt bis in die Kno­chen, die Glie­der wer­den schlaff und läs­sig, die im­mer ge­spann­te, sprung­fer­ti­ge, ab­wehr­be­rei­te Stim­mung ent­spannt sich, die bei­den wer­den weich und ru­hig.

»Du, Wil­li«, sagt der klei­ne Bruhn.

Er ist ein di­cker, mol­li­ger Jun­ge, erst acht­und­zwan­zig, mit sieb­zehn in den Bau ge­kom­men. Mit sei­nen hell­blau­en Au­gen, dem ro­si­gen, vol­len Ge­sicht, dem fast wei­ßen Haar sieht er aus wie ein großes Kind. Auf sei­nem Schild in der Zel­le steht aber »Raub­mord«, und er hat auch die Höchst­stra­fe für Ju­gend­li­che be­kom­men, da­mals noch fünf­zehn Jah­re. Doch nach so was sieht er nicht aus, er ist ein gu­ter Jun­ge, alle im Bau mö­gen ihn. Nie hat er sich an­ge­schmiert, und doch mö­gen sie ihn.

Üb­ri­gens be­haup­tet er, wenn er auf die Sa­che, sehr sel­ten und sehr hilf­los, zu spre­chen kommt, dass er zu Un­recht ver­ur­teilt ist. Es war kein Raub­mord, es war Tot­schlag, in Wut und Verzweif­lung hat er sei­nen Kahn­schif­fer, der den Schiffs­jun­gen Bruhn bis aufs Blut pei­nig­te, er­schla­gen. Dass es ihm dann leid tat, mit dem to­ten Schif­fer die gol­de­ne Uhr ins Was­ser zu wer­fen, das steht sei­ner An­sicht nach auf ei­nem an­de­ren Blatt. Nicht um die Uhr hat er den er­schla­gen.

Da ge­hen die bei­den jun­gen Leu­te, fünf Jah­re und elf Jah­re Knast ha­ben sie hin­ter sich, jetzt sind sie in der Son­ne, und in zwei Ta­gen ist al­les über­stan­den, und al­les wird wie­der gut.

»Du, Wil­li?«, fragt der klei­ne Bruhn.

»Ja, Emil?«

»Ich hab dich schon in der Spül­zel­le ge­fragt: Willst du nicht hier­blei­ben? Hier am Ort, mei­ne ich. Nein, sag noch nichts, ich den­ke mir, wir neh­men uns zu­sam­men ein Zim­mer, das wird bil­li­ger. – Und wenn du nicht gleich Ar­beit kriegst, kochst du und wäschst und machst die Haus­ar­beit. Ich werd gut ver­die­nen. Und abends wer­fen wir uns fein in Scha­le und ge­hen aus.«

»Ich muss doch se­hen, dass ich Ar­beit krie­ge, Emil. Ich kann doch nicht ewig dei­ne Haus­ar­beit ma­chen.«

»Ar­beit kriegst du. Nur so für den An­fang, dach­te ich. Wenn du kräf­ti­ger wärst, wür­de ich dich in der Holz­fa­brik un­ter­brin­gen, aber du musst wohl Schreib­kram ma­chen oder so was … Der Alte mag dich doch ger­ne, der be­sorgt dir si­cher was.«

»Ach, der Di­rek­tor, der kann auch nicht, wie er möch­te. Und dann, Emil, hier das klei­ne Nest, über­all lau­fen die Wacht­meis­ter rum und die blau­en Jun­gens auf Au­ßen­ar­beit, und ewig hast du den Bun­ker vor Au­gen, und nach drei Ta­gen wis­sen die Krim­schen, wo­her du bist. Und dann schwatzt es sich rum, und die Wir­tin er­fähr­t’s, und dir wird ge­kün­digt …«

»Wir ge­hen gleich zu ei­ner, die’s nicht stört.«

»Ach, das sind doch auch wie­der sol­che, die wol­len uns dann gleich hoch­neh­men.«

»Braucht nicht zu sein, Wil­li, glaub mir, braucht nicht zu sein. Es gibt auch an­de­re. – Ich denk im­mer, ich krieg noch mal ein an­stän­di­ges Mä­del, nicht solch Nut­ten­pack, und hei­ra­te und wer­de Meis­ter und hab Kin­der …«

»Wür­dest du’s ihr denn sa­gen?«

»Weiß nicht. Müss­te man mal se­hen. Aber bes­ser nicht.«

»Aber du musst es ihr sa­gen, Emil! Sonst hast du ja im­mer Angst, es kommt raus und sie läuft dir weg.«

 

Sie ste­hen in der vol­len Son­ne, sie se­hen sich nicht an, sie se­hen vor sich hin in den grau­en Sand, Ku­falt wühlt mit sei­nem Pan­tof­fel dar­in.

Bruhn bit­tet noch ein­mal: »Also, Wil­li, mach, komm mit mir!«

Und Ku­falt: »Nein. Nein. Nein. Das mit dir, Emil, wäre doch auch wie­der Kitt­chen. Wir wür­den im­mer nur vom Bau re­den und vom Knast. Nee, nicht.«

»Nein!« sagt nun auch Bruhn.

»Man hat ja hier al­les mit­ge­macht, und man hat schön mit­ge­scho­ben und be­schis­sen und hat an­de­re in die Pfan­ne ge­hau­en und ist de­nen in den Arsch ge­kro­chen, de­nen vor­ne, aber nun Schluss!«

»Ja«, sagt Bruhn.

»Und dann, we­gen des an­de­ren auch … Weißt du, als ich auf der Pen­ne war, auf der Schu­le, ver­stehst du, da habe ich ’ne Lie­be ge­habt, ganz von Wei­tem, wir ha­ben höchs­tens zwei­mal mit­ein­an­der ge­spro­chen, und ein­mal hab ich ge­se­hen, wie sie ihr Strumpf­band wie­der fest­mach­te in den An­la­gen. Das war da­mals, als die Mäd­chen noch lan­ge Rö­cke tru­gen, weißt du …«

»Ja«, sagt Bruhn.

»Aber das war nichts ge­gen das ers­te Jahr hier, als du mir ge­gen­über auf der an­de­ren Sei­te die Zel­le hat­test, und ich sah dich mor­gens. Du hat­test nur Hemd und Hose an und setz­test den Kü­bel raus und den Was­ser­krug. Und dein Hemd stand of­fen über der Brust. Dann fingst du an, mir zu­zu­lä­cheln, und ich hab im­mer auf das Schlie­ßen ge­war­tet, ob ich dich zu se­hen krieg­te … Und dann schick­test du mir den ers­ten Kas­si­ber …«

»Ja«, sagt Bruhn, »das war da­mals noch durch den lan­gen Kal­fak­tor, den Tiet­jen, der we­gen Raub saß. Der war stie­kum, der mach­te es sel­ber so.«

»Und dann das ers­te Mal, als du im Dusch­raum, wie der Wacht­meis­ter sich um­dreh­te, zu mir un­ter mei­ne Du­sche krochst, und wie du dich im­mer hin­ter dem Schirm ver­steck­test, wenn der lins­te … Gott, es wa­ren doch manch­mal schö­ne Zei­ten hier im al­ten Bau …«

»Ja«, sagt Bruhn, »aber ein Mäd­chen ist doch bes­ser.«

Ku­falt be­sinnt sich. »Siehst du, dar­um hab ich mich dar­an er­in­nert: Wenn wir bei­de zu­sam­men wä­ren, es gin­ge gleich wie­der los wie frü­her …«

»Nein«, sagt Bruhn. »Nicht, wenn Mäd­chen da sind.«

»Doch«, sagt Ku­falt. »Und es soll al­les vor­bei sein. So schön es ge­we­sen ist, es soll al­les vor­bei sein. Jetzt geht es ganz neu los, und ich will ge­nau­so sein wie alle an­de­ren.«

»Also du gehst be­stimmt nach Ham­burg?«

»Nach Ham­burg, ja, da fragt kei­ner nach mir.«

»Na schön, bleib bloß fest in Ham­burg, Wil­li. – Ge­hen wir noch ein Stück?«

»Ja, ge­hen wir, die Son­ne ist schon rich­tig heiß.«

Der klei­ne Bruhn sagt: »Dann wer­de ich also mit Krü­ger zu­sam­men­zie­hen. Der kommt am 16. Mai raus.«

Ku­falt fragt er­schro­cken: »Hast du den jetzt, Emil? Der ist aber nicht gut.«

»Nein, ich weiß. Er klaut uns auch im­mer un­se­ren Ta­bak. Und er hat drei Stra­fen, weil er Ar­beits­kol­le­gen be­maust hat.«

»Na also!«

»Aber was soll ich ma­chen? Ei­nen muss ich ha­ben, ganz al­lein halt ich’s nicht aus. Und die meis­ten wol­len drau­ßen nichts von mir wis­sen, von we­gen Raub­mord, weißt du.«

»Aber nicht ge­ra­de mit Krü­ger!«

»Wer kommt denn schon mit mir! Du hast doch auch nein ge­sagt.«

»Aber doch nicht dar­um, Emil!«

»Und ich muss auch je­man­den ha­ben, der mir hilft, Wil­li. Ich bin doch elf Jah­re im Bun­ker, ich weiß doch von nichts, Mensch. Manch­mal habe ich di­rekt Angst, ich den­ke, ich mach was falsch, und es geht gleich wie­der schief, und ich sitz mein Leb­tag drin.«

»Schon dar­um gin­ge ich nicht mit Krü­ger.«

»Also zieh du zu mir.«

»Nein. Ich kann nicht. Ich will nach Ham­burg.«

»Dann neh­me ich Krü­ger.«

Eine Wei­le ge­hen sie stumm ne­ben­ein­an­der. Dann sagt Bruhn: »Ich muss dich auch noch was fra­gen, Wil­li. Du weißt doch mit sol­chen Sa­chen Be­scheid …«

»Mit was für Sa­chen?«

»Mit Geld. Mit Spar­kas­sen­bü­chern.«

»Ein biss­chen. Vi­el­leicht.«

»Wenn je­mand – also ei­ner hat ein Spar­kas­sen­buch auf mei­nen Na­men, und er hat auch die Mar­ke dazu, kann er da Geld ab­he­ben dar­auf? Nicht wahr, das kann er doch nicht?«

»Meis­tens wird er’s kön­nen, wenn das Spar­buch nicht ge­ra­de ge­sperrt ist, oder es ist Kün­di­gung aus­ge­macht. Meis­tens kann er’s. Hast du ein Spar­buch?«

»Ja. Nein. Es ist eins an­ge­legt wor­den für mich …«

»Vor dei­nem Knast?«

»Nein, hier …«

»Quatsch dich rein aus, Emil, ich halt schon den Sab­bel. Vi­el­leicht kann ich dir was hel­fen?«

»Ich hab doch im­mer in Schup­pen drei ge­ar­bei­tet, erst bei den Mö­bel­tisch­lern und nach­her für die Fir­ma Ste­gu­weit die Ge­flü­gel­stäl­le …«

»Ja?«

»Und dann hat doch Ste­gu­weit auf der Gro­ßen Ge­flü­gel­aus­stel­lung die gol­de­ne Me­dail­le ge­kriegt auf sei­ne Fal­len­nes­ter und muss­te lie­fern noch und noch. Und da­mit wir or­dent­lich was fer­tig­krieg­ten, ha­ben sei­ne Werk­meis­ter uns heim­lich Ta­bak zu­ge­steckt. Das war da­mals, als im Bau über­haupt noch nicht ge­raucht wer­den durf­te.«

»Vor mei­ner Zeit …«

»Ja, und dann kam es raus, es gab einen Rie­sen­krach, und mit dem Ta­bak war es alle. Aber sie hat­ten sich was an­de­res aus­ge­dacht. Wir hat­ten ja nun kei­ne Lust mehr, uns das Le­der von den Hän­den zu ar­bei­ten, bloß da­mit Ste­gu­weit Geld ver­dien­te, und schlu­gen so Nest für Nest zu­sam­men, ge­ra­de, dass der Tag hin­ging. Und da ka­men dann die Werk­meis­ter und sag­ten: ›Jun­gens, für je­des Nest, das ihr über fünf­zehn ab­lie­fert pro Tag und Mann, kriegt ihr zwan­zig Pfen­nig. Und das Geld wird für je­den von euch ein­ge­zahlt auf ein Spar­kas­sen­buch mit sei­nem Na­men. Und wenn ihr ent­las­sen seid, dann kommt ihr zu uns und holt euch das Geld ab.‹«

»Sau­be­re Sa­che das? Da wur­den Nes­ter fer­tig?«

»Mensch, ich sage dir! Wir ha­ben Tage ge­habt, da ha­ben wir zwei­und­drei­ßig, ja, fünf­und­drei­ßig pro Nase ex­tra ab­ge­lie­fert. Na, es war auch Schin­de­rei, mei­ne Pfo­ten hät­test du se­hen sol­len, das hat was ge­kos­tet!«

»Und das Geld ist rich­tig für dich ein­ge­zahlt?«

»Klar. Im ers­ten Jahr wa­ren schon über zwei­hun­dert Mark da. Und im nächs­ten mach­te es noch mehr. Jetzt müs­sen’s schon weit über tau­send sein.«

»Na, nun ver­lang doch das Spar­buch. Nim­m’s ihm ein­fach weg, wenn er’s dir zeigt.«

»Ja, jetzt zeigt er es doch nicht mehr. Ist zu ge­fähr­lich, sagt er, riecht sau­er, sagt er. Da sind doch eine Mas­se Leu­te raus­ge­kom­men in der Zeit, und man­che ha­ben Krach ge­macht und sind zum Di­rek­tor ge­lau­fen, weil es zu we­nig ist. Und Ste­gu­weit hat zum Di­rek­tor ge­sagt, das al­les ist Scheiß­hauspa­ro­le, so was wie Spar­bü­cher gibt es na­tür­lich über­haupt nicht, weil es nicht zu­läs­sig ist vor dem Ge­setz, dass Ge­fan­ge­ne sich Geld ex­tra ver­die­nen.«

»Es sind doch si­cher wel­che von den Ent­las­se­nen wie­der rein­ge­kom­men in der Zeit in den Bau, was ha­ben die denn er­zählt?«

»Wel­che sind, die hat der Ste­gu­weit ge­fragt, wenn sie zu ihm ge­kom­men sind, ob sie träu­men, er weiß von Spar­bü­chern nichts. Und wenn sie ge­mein ge­wor­den sind, dann hat er mit der Po­li­zei ge­droht. Man­chen, die sehr ge­bet­telt ha­ben, hat er auch zwan­zig Mark ge­ge­ben und man­chen fünf­zig, aber was ist das ge­gen die vie­len Hun­der­ter, die sie zu krie­gen hat­ten? Ich hab al­ler­dings das meis­te, ich bin von An­fang an da­bei.«

»Und was sa­gen die Werk­meis­ter?«

»Dass die Kerls schwin­deln. Dass die ihr Geld ge­kriegt ha­ben, und dass sie es nur nicht wahr­ha­ben wol­len, weil sie es gleich ver­sof­fen und ver­hurt ha­ben.«

»Mög­lich ist das ja. Das sind doch al­les Schei­ßer, die wie­der rein­kom­men in den Bun­ker. Aber warum zei­gen sie dir das Buch dann nicht? Das ist doch Schwin­del, dass sie Angst ha­ben! Du müss­test den Ste­gu­weit an­zei­gen. Aber nee, das ist auch nichts, das lass lie­ber. Nach­her kriegst du noch Knast we­gen Er­pres­sung wie der Se­the da an der Mau­er.«

»Der hat doch was mit dem Kü­chen­meis­ter ge­habt?«

»Ja. Lass schon, ich seh rot, wenn ich dar­an den­ke. Der käme auch über­mor­gen raus und muss noch drei Mo­na­te ab­rei­ßen, weil ich den Sab­bel nicht ge­hal­ten habe. Der bräch­te mich am liebs­ten um. Na, lass schon …«

»Ich hab ge­dacht«, sagt der klei­ne Bruhn, »ich geh am schlaus­ten zum Al­ten. Der ist doch ein net­ter Kerl und hilft uns, wenn er kann.«

»Frei­lich, wenn er kann. Er kann nur nicht, wie er will.«

»Wa­rum soll er nicht kön­nen? Er braucht nur je­den Ge­fan­ge­nen in Schup­pen drei zu fra­gen, dann hört er, dass ich die Wahr­heit sage.«

»Und wenn er dir auch glaubt, er kann gar nichts ma­chen. Das ist doch was Ver­bo­te­nes, das Spar­geld, und er kann dir doch nicht zu was Ver­bo­te­nem ver­hel­fen! – Sieh mal, da ist die Sa­che von dem ol­len Se­the drü­ben, die war ganz sau­ber, und doch schiebt der Olle Knast da­für noch ein Vier­tel­jahr.«

Sie ste­hen in ei­nem Win­kel. Die Fuß­ball­spie­ler sind müde ge­wor­den, lie­gen an der Mau­er in der Son­ne, schla­fen und rau­chen.

»Rau­chen auch wie­der, die Äs­ter«,1 murrt Ku­falt. »Wis­sen, dass es ver­bo­ten ist hier vorm Ju­gend­ge­fäng­nis. Na, lass sie, über­mor­gen bin ich in der vier­ten Stu­fe, da kann mir pie­pe sein, was aus der drit­ten wird. – Aber, der olle Se­the, der war Kar­tof­fel­schä­ler für die Kü­che und saß sei­ne sechs oder acht Jah­re im Kar­tof­fel­kel­ler und schäl­te Kar­tof­feln. Und je­den Mo­nat ein­mal mel­de­te er sich zum Ar­beits­in­spek­tor, er bäte um an­de­re Ar­beit, er wäre nun lan­ge ge­nug im Kar­tof­fel­kel­ler ge­we­sen, möch­te auch mal an die Luft. Und im­mer wur­de sein Ge­such ab­ge­lehnt. Schließ­lich kommt er da­hin­ter, dass es der Kü­chen­meis­ter ist, der den Ar­beits­in­spek­tor auf­putscht, er soll ihn nicht aus dem Kar­tof­fel­kel­ler raus­las­sen. Weil Se­the näm­lich so viel schafft wie sonst zwei Kar­tof­fel­schä­ler. Das hast du vom vie­len Ar­bei­ten hier im Bau.«

»Rich­tig.«

»Und er fleht den di­cken, voll­ge­fres­se­nen Kü­chen­bul­len an, er soll ihn doch raus­las­sen, er wird trüb­sin­nig in dem nas­sen dunklen Kel­ler, und der sagt: Ja, ja, nur noch dies Vier­tel­jahr, und im Früh­jahr soll er zu den Gärt­nern kom­men. Und dann wie­der nicht und wie­der nicht, bis dem ol­len Se­the die Ge­duld reißt.

Der weiß doch eine gan­ze Men­ge aus der Kü­che, und so weiß er auch, dass der Kü­chen­meis­ter sich je­den Mitt­woch und Sonn­abend sei­ne fünf, sechs Pfund Fleisch un­ter die Wes­te steckt und nach Hau­se schleppt. Und dann dür­fen die Be­am­ten sich doch Ho­bel­spä­ne ho­len aus der Tisch­le­rei, in ei­nem Sack auf dem Hand­wä­gel­chen, zum Feu­er­an­ma­chen. Aber im Sack vom Kü­chen­meis­ter sind oben Spä­ne, und un­ten drin sind Erb­sen und Lin­sen und Grau­pen und Grieß. Aber das Bes­te ist: Meis­tens muss aus­ge­rech­net der olle Se­the dem Di­cken das Hand­wä­gel­chen nach Hau­se zie­hen.

Na, der Se­the über­legt sich hin und her, wie er es ma­chen soll, dass er den Kü­chen­meis­ter ab­sägt und ein an­de­rer kommt und er aus dem Kel­ler. Schließ­lich er­zählt er mir den gan­zen Quatsch und fragt: ›Ku­falt, was soll ich ma­chen?‹ Und ich sage ihm: ›Se­the, die Sa­che ist klar wie Kuh­kä­se, mit der Schei­ße ge­hen wir zum Di­rek­tor.‹ Und er sagt: ›Zum Al­ten! Auf kei­nen Fall! Da schus­se­le ich rein!‹ Und ich sage: ›Wie kannst du da rein­schus­seln, der Quatsch ist klar, wir dre­hen das Ding so, dass du nicht rein­fal­len kannst.‹ Und er zu mir: ›Ich woll­te Gott, ich hät­te dir nichts ge­sagt, ich fal­le rein, du bist ja grün.‹ Und ich zu ihm: ›Ich bin nicht grün, aber du bist in ei­ner Wo­che bei den Gärt­nern.‹ Und mel­de mich zum Di­rek­tor.

Denn eine schö­ne Wut hat­te ich im Bauch auf das fet­te Schwein von Kü­chen­meis­ter. Uns ar­men Ge­fan­ge­nen, die Kohldampf schie­ben, frisst so ein Speck­jä­ger noch das biss­chen Fleisch weg!«

»Und was sag­te der Alte?«

»Der Di­rek­tor hört sich also die Ge­schich­te an und wiegt sei­nen ol­len Glatz­kopf hin und her und sagt: ›So ist das also. Ge­hört habe ich auch schon da­von, aber wie es im Ein­zel­nen zu­ging, das wuss­te ich noch nicht.‹ Und ich sage ihm: ›Ja, nun darf aber der Se­the nicht rein­fal­len. Wenn Herr Di­rek­tor sich viel­leicht am nächs­ten Mitt­woch oder Sonn­abend um sechs Uhr am Tor auf­hal­ten wird? Da kommt der Kü­chen­meis­ter mit sei­nem Hand­wa­gen mit Spä­nen drauf und Se­the vor­ne­weg. Und kneift Se­the die Au­gen zu, so ist dies­mal wirk­lich nur Holz­zeug im Sack, und lässt er die Au­gen of­fen, so grei­fen Sie zu und ha­ben den Speck­jä­ger.‹ – ›Ja‹, sagt der Di­rek­tor, ›das ha­ben Sie sich gut aus­ge­dacht, das ma­chen wir. Und ich dan­ke Ih­nen auch, Ku­falt.‹

 

›Na‹, sage ich zu Se­the, ›die Sa­che ist in But­ter.‹ Und er freut sich auch. Aber am nächs­ten Mitt­woch sagt er: ›Der Di­rek­tor war nicht da, und drei Büch­sen Cor­ned beef wa­ren im Sack!‹ Und am Sonn­abend sagt er: ›Die ha­ben dem Kü­chen­meis­ter die Sa­che ver­pfif­fen, der ist ganz an­ders zu mir.‹

Und wie der Kram zum Klap­pen kommt, kriegt der Se­the eine An­kla­ge we­gen Be­am­ten­be­lei­di­gung in die Zel­le. Und die Kö­che ste­hen wie ein Mann da und schwö­ren, dass sie nie ge­se­hen ha­ben, dass der Kü­chen­meis­ter sich Fleisch ge­nom­men hat oder Erb­sen und dass das auch gar nicht mög­lich ist, und oll Vad­der Se­the hat drei Mo­na­te Knast weg. Über­mor­gen wäre er sonst raus­ge­kom­men.«

»Aber viel­leicht hat er wirk­lich ge­schwin­delt. Wa­rum soll der Di­rek­tor so was ma­chen?«

»Das hat doch nicht der Di­rek­tor ge­macht, das hat doch die Be­am­ten­kon­fe­renz ge­macht. Das geht doch nicht, dass ein al­ter Be­am­ter von ei­nem Ge­fan­ge­nen rein­ge­legt wird! – Sei du ver­nünf­tig, mach es, wie ich es dir ge­sagt habe, und geh nicht zum Di­rek­tor.«

»Ich weiß nicht, Wil­li. Bei mir ist das doch an­ders.«

»Na­tür­lich ist es an­ders bei dir. Aber das glei­che ist, dass der ein Ver­bre­cher ist und du auch, und uns wird schon von vorn­her­ein gar nichts ge­glaubt. Mach es, wie ich es dir ge­sagt habe. Halt die Klap­pe und sei froh, wenn du drau­ßen bist und Ar­beit hast!«

»Wenn du wirk­lich meinst, Wil­li?«

»Na­tür­lich mei­ne ich das. Ich mach es auch nicht an­ders, Emil!«

1 Plu­ral von Aas (um­gangs­sprach­lich) <<<