Hans Fallada – Gesammelte Werke

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33

Aber zu al­le­dem kam ich vor­läu­fig nicht mehr, an­de­re, mir wich­ti­ger er­schei­nen­de Er­eig­nis­se scho­ben sich da­zwi­schen. Als am Mor­gen nach dem Be­such des Rechts­an­walts Dr. Hus­ten der Wär­ter un­se­re Zel­len auf­schloss und ich mit dem ge­füll­ten Kü­bel zum Spül­be­cken eil­te, blieb ich plötz­lich ver­blüfft ste­hen. Ich trau­te mei­nen Ohren nicht, und doch, es war kei­ne Täu­schung: Aus ei­ner eben ge­öff­ne­ten Zel­le drang eine ein­schmei­cheln­de, lei­se flüs­tern­de Stim­me, jene Stim­me, die so un­zer­trenn­lich mit mei­nen Al­ko­hol­räuschen ver­knüpft war, jene Stim­me, die ich aus mei­nes Her­zens tiefs­tem Grun­de hass­te: Po­la­kow­skis Stim­me!

Ich wag­te einen ei­li­gen Blick. Ja, da stand er mit dem sanf­ten, mehr gelb­li­chen als bräun­li­chen Ge­sicht, mit dem dunklen Voll­bart und dem schlicht zu­rück­ge­stri­che­nen dunklen Haupt­haar, das einen gol­dig-röt­li­chen Schim­mer hat­te, stand da und re­de­te ein­schmei­chelnd sanft auf sei­nen Zel­len­ge­nos­sen ein, wo­bei er an den Fin­gern zog, dass sie knack­ten. Si­cher woll­te er dem an­de­ren et­was ab­schnacken, er, der arme, aber ehr­li­che Ar­bei­ter!

Ich eil­te, so schnell ich nur konn­te, an der Zel­le vor­bei, leer­te und säu­ber­te mei­nen Kü­bel und schlich in mei­ne Zel­le zu­rück, acht­sam, nicht ge­se­hen zu wer­den. An die­sem Mor­gen muss­te Düs­ter­mann, so sehr er auch murr­te, den »Au­ßen­dienst« beim Zel­len­rei­ni­gen ma­chen, Be­sen und Scheu­er­tuch ho­len und fri­sches Wasch­was­ser her­bei­schaf­fen: Ich hat­te nicht den Wunsch, von Po­la­kow­ski ge­se­hen zu wer­den.

In­ner­lich aber er­füll­ten mich Scha­den­freu­de und Tri­umph: Sie hat­ten den lis­ti­gen, heuch­le­ri­schen Po­la­kow­ski er­wi­scht, sie hat­ten ihn ge­kitscht, und nur ein Ge­dan­ke be­un­ru­hig­te mich noch: Ob es de­nen auch ge­lun­gen war, Po­la­kow­ski die Beu­te oder doch einen we­sent­li­chen Teil von ihr ab­zu­ja­gen. Doch auch dar­über soll­te ich nicht lan­ge im Un­ge­wis­sen blei­ben. Wie im­mer ging es auf den Holz­hof, ohne Po­la­kow­ski, ent­we­der, weil er sich nicht zur Ar­beit ge­mel­det hat­te oder weil beim In­spek­tor be­kannt war, dass wir »in der­sel­ben Sa­che sa­ßen«. In sol­chen Fäl­len wird sorg­fäl­tig ver­mie­den, zwei Kom­pli­zen mit­ein­an­der in Kon­takt kom­men zu las­sen.

Mord­horst und ich, wir stell­ten uns an un­se­ren Sä­ge­bock und be­gan­nen un­ser Ta­ge­werk, dies­mal der an­ge­nehms­ten Art: glat­te, schwa­che Kie­fern­rol­len, ein Kin­der­spiel für trai­nier­te Män­ner, wie wir es wa­ren. Die ers­te Rol­le war zer­sägt, und wäh­rend ich die zwei­te auf dem Bock zu­recht­leg­te, stell­te ich mei­nem Ar­beits­ka­me­ra­den die je­den Mor­gen wie­der­hol­te Fra­ge: »Was Neu­es im Bau?«

»Mhm!« mach­te Mord­horst und setz­te die Säge an. Dann: »Eine neue Ein­lie­fe­rung. Ein Gau­ner, wie es aus­sieht. So ein Scheiß­po­la­cke.«

Wir be­gan­nen zu sä­gen.

Dann hielt ich wie­der inne. »Was hat er denn aus­ge­fres­sen?«

»Wer? Was aus­ge­fres­sen?« frag­te Mord­horst, der mit sei­nen Ge­dan­ken längst wo­an­ders ge­we­sen war, wahr­schein­lich wie­der bei sei­nem ewi­gen bit­te­ren Vor­wurf an das Schick­sal, warum er ge­ra­de in ei­nem sol­chen Dreck­nest bei sol­cher un­wür­dig klei­nen Mau­se­rei hoch­ge­gan­gen war. »Wer? Was aus­ge­fres­sen?«

»Der Scheiß­po­le doch!«, er­in­ner­te ich. Mit ei­ner wah­ren In­brunst wie­der­hol­te ich die gro­be Be­zeich­nung.

»Ach der? Was trau­en sich denn sol­che Brü­der schon? Alle Po­len sind fei­ge …« Und er woll­te wie­der zu sä­gen an­fan­gen. Ich aber hielt den Sä­ge­bü­gel fest.

»Nee, sag mal, Mord­horst, das in­ter­es­siert mich wirk­lich. Ich glau­be, ich habe den Bru­der heu­te früh ge­se­hen.«

»Das kann an­ge­hen; auf dei­ner Sta­ti­on liegt er. Also was er aus­ge­fres­sen hat? Lei­chen­fled­de­rei na­tür­lich, zu was an­de­rem hat solch ein Po­la­cke doch kei­ne Trau­te. Lei­chen­fled­de­rei an ei­nem be­trun­ke­nen Speck­jä­ger, so ei­nem be­sof­fe­nen Bür­ger, ver­stehst du?«

»Ver­ste­he«, ant­wor­te­te der be­trun­ke­ne Speck­jä­ger. »Und hat er sei­nen Raub in Si­cher­heit ge­bracht?«

»Kei­ne Ah­nung. Wird er doch – so doof ist selbst ein Po­la­cke nicht!«

»Er­kun­di­ge dich mal, Mord­horst. Mich in­ter­es­siert das näm­lich sehr.«

»Wa­rum in­ter­es­siert dich das denn so? Ich fin­de das ko­misch.«

»Ich aber gar nicht. Weil ich näm­lich der be­trun­ke­ne Speck­jä­ger ge­we­sen bin, den der Kerl ge­fled­dert hat. Du er­in­nerst dich doch, Mord­horst, das ist der Wirt, der mich in mei­ner Be­sof­fen­heit hopp­ge­nom­men hat. Ich habe dir doch von ihm er­zählt.«

»Ach, so ist das!«, sag­te Mord­horst und grins­te vor Ver­gnü­gen. »Der wird ja einen schö­nen Ro­chus auf dich ha­ben, wenn er dich zu se­hen kriegt. Wo du ihn in den Bun­ker ge­bracht hast!«

»Also er­kun­di­ge dich, Mord­horst, ob er die Sa­chen bei­sei­te ge­bracht hat. Er hat zwei gol­de­ne Rin­ge und eine gol­de­ne Uhr von mir, Ta­fel­sil­ber für zwölf Per­so­nen, einen rinds­le­der­nen Kof­fer mit Sa­chen, eine le­der­ne Ak­ten­ta­sche und vier­tau­send Mark.«

»Ganz hübsch«, grins­te Mord­horst. »Für einen elen­den Po­la­cken viel zu viel. Na, ich sage dir dann Be­scheid.«

Und wir säg­ten, nun­mehr schwei­gend, drauf­los – der Wacht­meis­ter guck­te schon sehr.

Es dau­er­te ei­ni­ge Tage, ehe ich Po­la­kow­ski wie­der zu se­hen oder sei­ne Stim­me zu hö­ren be­kam. Mor­gens, wenn ich kü­beln ging, blieb sei­ne Zel­le im­mer ge­schlos­sen und wur­de erst ge­öff­net, wenn wir fer­tig wa­ren, ein Zei­chen, dass be­kannt war, wir sa­ßen in der­sel­ben Sa­che. Auch von Mord­horst er­fuhr ich nichts Nä­he­res. Wenn ich dräng­te, sag­te er nur: »War­t’s ab, Kum­pel. Ich muss erst Ge­nau­es bal­do­wern, der Mord­horst knackt kei­nen Schrank, ehe er nicht al­les bal­do­wert hat.«

Aber dann war es schließ­lich so­weit.

»Über sechs­tau­send Mark hat er bei sich ge­habt, als ihn die Po­len­te kitsch­te«, sag­te Mord­horst. »Und das stimmt. Nicht bloß, weil er’s selbst er­zählt hat, son­dern ich hab’s vom Kal­fak­tor,1 der das Büro sau­ber­macht. Das Geld ist hier ein­ge­lie­fert.«

»Dann hat er all mei­ne Sa­chen ver­kauft, und ich sehe sie nie wie­der«, sag­te ich, und plötz­lich tat es mir um die Gold- und Sil­ber­sa­chen sehr leid. »Mir hat er in bar nur vier­tau­send ab­ge­nom­men, nicht mehr.«

»Er kann doch auch so Geld ge­habt ha­ben«, wi­der­sprach Mord­horst. »Das ist noch nicht raus, dass er dei­ne Sa­chen schon ver­scheu­ert hat­te. Er kann sie auch ver­steckt ha­ben.«

»Mög­lich ist das«, gab ich zu. »Aber ich glau­be nicht recht dran.«

Eine lan­ge Zeit säg­ten wir schwei­gend, eine Stun­de oder zwei, einen Bu­chen­klo­ben nach dem an­de­ren. Dann plötz­lich sag­te Mord­horst: »Was gibst du aus, Kum­pel, wenn ich aus­bal­do­we­re, wo der Po­la­cke die Sore2 ver­steckt hat?«

»Sore …? Was ist das?«

»Dei­ne Sa­chen doch! Was gibst du aus?«

»Was soll ich aus­ge­ben hier im Bun­ker? Ich habe doch selbst nichts!«

»Aber du hast drau­ßen was!«

»Dar­über kann ich nicht ver­fü­gen, da lässt mich mei­ne Frau nicht ran!«

Und wie­der säg­ten wir.

Am nächs­ten Tage sag­te Mord­horst zu mir: »Du kommst si­cher bald vor den Rich­ter und wirst we­gen des Po­la­cken ver­nom­men. Dann musst du sa­gen, dass du das ge­stoh­le­ne Geld, das hier liegt, für dich be­an­spruchst.«

»Da­rauf kannst du dich ver­las­sen, dass ich das sa­gen wer­de, Mord­horst«, sag­te ich grim­mig.

»Und der Staats­an­walt muss dir das Geld frei­ge­ben, das ist klar«, sag­te Mord­horst.

Eine Wei­le schwieg er wie­der. Dann frag­te er: »Wür­dest du eine An­wei­sung aus­schrei­ben, dass fünf­hun­dert Mark an den Über­brin­ger aus­zu­zah­len sind, wenn ich raus­krie­ge, wo der Po­la­cke die Sa­chen ver­steckt hat?«

Ich über­leg­te. »Fünf­hun­dert Mark ist mir die Sa­che schon wert«, sag­te ich schließ­lich. »Ich müss­te aber al­les wie­der­krie­gen, auch die Gold­sa­chen, und dar­an glau­be ich nicht.«

»Wenn du we­ni­ger zu­rück­kriegst, sollst du auch we­ni­ger zah­len müs­sen; ich bin ein re­el­ler Mann«, ant­wor­te­te der un­ver­bes­ser­li­che Geld­schrank­knacker.

»Aber, Mord­horst!«, sag­te ich, und mich jam­mer­te sei­ne Ein­falt. »Glaubst du denn wirk­lich, dass die hier an dich oder einen aus dem Kitt­chen Geld aus­zah­len wer­den, bloß weil ich eine An­wei­sung aus­schrei­be?«

»Da­für lass mich nur sor­gen«, gab er un­er­schüt­tert zur Ant­wort. »Du hast doch ein Ge­trei­de­ge­schäft?«

»Habe ich auch«, gab ich zu­rück. »Wo­her weißt du denn das schon wie­der, Mord­horst?«

»Ich weiß al­les«, gab er mit der gan­zen Über­heb­lich­keit des klei­nen Man­nes zu­rück. »Und wenn da nun ei­ner von drau­ßen kommt mit ei­ner Rech­nung über Ge­trei­de, das er dir vor ei­nem Vier­tel­jahr ge­lie­fert hat, und ver­langt sein Geld, und du er­kennst die Rech­nung an – ich will wet­ten, die Brü­der zah­len.«

»Mög­lich«, gab ich zu. »Aber wer soll von drau­ßen mit sol­cher Rech­nung kom­men?«

»Da­für lass mich nur sor­gen«, gab Mord­horst gleich­mü­tig zu­rück. »Die Haupt­sa­che ist, ich habe dein Wort, du er­kennst die Rech­nung an.«

»Das hast du«, sag­te ich. »Und ich hal­te auch mein Wort.«

»Das wird auch bes­ser sein«, gab Mord­horst zu­rück und fing wie­der an mit Sä­gen. »Du kannst dich drauf ver­las­sen, ich schnap­pe dich, wenn du mich in die Pfan­ne haust, schnap­pe dich mor­gen oder in fünf Jah­ren, drau­ßen oder drin­nen, ich selbst oder ei­ner, dem ich’s sage.«

 

So be­gann dies Spiel, ein Spiel, wie es nur in Ge­fäng­nis­sen ge­spielt wer­den kann, un­ter­ir­disch, mit vie­len Mit­tels­män­nern, mit Flüs­tern der Kal­fak­to­ren an ver­rie­gel­ten Tü­ren, mit un­end­li­chem Scharf­sinn, der von vie­len Hir­nen in vie­len Stun­den auf­ge­wandt wur­de: Und der heuch­le­ri­sche, lis­ti­ge Po­la­kow­ski war das Ziel.

Ich habe die­ses Spiel nie ganz durch­schau­en kön­nen, nie habe ich be­grif­fen, wie der be­son­ders streng be­wach­te Mord­horst stän­di­gen Ver­kehr mit al­len Ge­fan­ge­nen, so­gar mit der Au­ßen­welt un­ter­hal­ten konn­te. Aber er konn­te es.

Manch­mal fiel ein hal­b­es Wort, aus dem ich mir einen Vers ma­chen konn­te. Es gab zum Bei­spiel vier sorg­fäl­tig aus­ge­wähl­te Ge­fan­ge­ne, die in ei­nem über­di­men­sio­na­len Hand­wa­gen das von uns zer­klei­ner­te Holz in die Stadt und in die Häu­ser fuh­ren, un­ter Auf­sicht ei­nes Wacht­meis­ters na­tür­lich. Und es gab den be­währ­ten Ge­fäng­nis­koch, einen al­ten Ge­fan­ge­nen, der manch­mal von dem In­spek­tor in sei­nen Gar­ten vor der Stadt zum Gra­ben und Ha­cken und Gie­ßen mit­ge­nom­men wur­de. Vi­el­leicht wa­ren die­se Ge­fan­ge­nen doch nicht ganz so zu­ver­läs­sig, wie sich die Ge­fäng­nis­ver­wal­tung träu­men ließ. Und dann gab es die Klap­pen in der Tür, durch die uns die Es­sen­schüs­seln her­ein­ge­reicht wur­den, und im­mer gab es an die­sen Klap­pen, wenn sie zur Es­sen­aus­ga­be auf­ge­schlos­sen wa­ren, heim­li­ches Ge­flüs­ter und ver­stoh­le­nes Hin-und-her-Ge­rei­che.

Wie ge­sagt, ich weiß fast nichts von dem Spiel, das da ge­spielt wur­de, sonst wür­de ich schon da­von er­zäh­len. Ich war ein Grü­ner, und vor al­lem war ich in den Au­gen der an­de­ren kein »rich­ti­ger Ver­bre­cher«, ich hat­te mich nicht am Ei­gen­tum an­de­rer ver­gan­gen.

Mord­horst hü­te­te sich wohl, mir zu viel zu sa­gen. Ich er­fuhr nur, dass Po­la­kow­ski un­ter Druck ge­setzt wur­de. Sie brach­ten es fer­tig, ihm un­ter den Au­gen der Wacht­meis­ter sein Es­sen zu kür­zen. Sie lie­ßen ihn ein biss­chen hun­gern. Und sein Zel­len­ge­nos­se hat­te im­mer Fraß die Hül­le und Fül­le, gab aber nichts ab. Das war das eine. Und das an­de­re war, dass Po­la­kow­ski wirk­lich zu Haus Frau und Kin­der hat­te, und dass er so un­ver­mu­tet ge­fan­gen ge­setzt wor­den war, dass die ohne einen Pfen­nig und ohne Brot da­sa­ßen.

Da wur­de es ihm vor­ge­stellt, dass ein Ge­fan­ge­ner in we­ni­gen Ta­gen ent­las­sen wer­den wür­de, und die­ser Ge­fan­ge­ne kön­ne ja die ver­steck­ten Sa­chen ho­len und ver­scheu­ern und den Er­lös der Frau ge­ben – nach Ab­zug ei­ner an­ge­mes­se­nen Be­loh­nung na­tür­lich. Ich glau­be wohl, dass der lis­ti­ge, arg­wöh­ni­sche Po­la­kow­ski einen schwe­ren Kampf mit sich kämpf­te, aber sie mach­ten ihn weich. Sie zwick­ten ihn, sie schrie­ben ihm Kas­si­ber, und dann lie­ßen sie ihn ganz ohne Nach­richt, und wenn er sie frag­te, sag­ten sie: »Ist er­le­digt. Du willst ja nicht.« Und auch ein Po­la­kow­ski liebt wohl sei­ne Kin­der und sieht sie nicht ger­ne hun­gern und bet­teln.

Es kam der Tag, da Mord­horst zu mir sag­te: »Also ich habe dein Wort?«

»Das hast du! Weißt du schon was?«

»Ich weiß al­les. Die Sa­chen …«, Mord­horst sah mich scharf an, »… lie­gen in der ers­ten Feld­scheu­ne auf dem Weg nach Veh­ne.3 Hin­ten sind ein paar Bret­ter ka­putt, und da lie­gen sie un­ter dem Stroh. So, nun weißt du es. Dein gol­de­ner Ehe­ring fehlt, den hat er ver­scheu­ert, aber sonst ist al­les da, ge­nau, wie du es an­ge­ge­ben hast. Ist das fünf­hun­dert Mark wert, Kum­pel?«

»Das ist fünf­hun­dert Mark wert«, gab ich zur Ant­wort. Ko­misch, wie un­lo­gisch ein Herz emp­fin­det, ich freu­te mich bei­na­he, dass Mag­da ihr Sil­ber zu­rück­be­kom­men soll­te, und ich hass­te Mag­da doch wirk­lich von gan­zem Her­zen. »Ja«, sag­te ich dann. »Aber was fang ich nun mit mei­nem Wis­sen an? Ich darf doch nicht ver­ra­ten, dass ich’s von dir habe.«

»Du wirst heu­te, wenn du dein Brot be­kommst«, sag­te Mord­horst, »einen Kas­si­ber drin fin­den, auf dem das steht, was ich dir eben ge­sagt habe. Den zeigst du dem Wacht­meis­ter, und dann läuft die Sa­che von selbst.«

»Und wer soll mir den Kas­si­ber ge­schrie­ben ha­ben?«

»Das weißt du nicht. Es ist eben ei­ner ge­we­sen, den du nicht kennst, der den Po­la­kow­ski hasst und ihn in die Pfan­ne hau­en will. Da zer­brich dir nur nicht den Kopf drü­ber.«

1 Hilfs­die­ner, Hilfs­ar­bei­ter <<<

2 Raub­gut (Ga­no­ven­spra­che) <<<

3 Fluss­ba­de­an­stalt am gleich­na­mi­gen Fluss <<<

34

Es war das al­les mit wirk­li­chem Scharf­sinn aus­ge­dacht, mit un­end­li­cher Ge­duld durch­ge­führt; es ist nur scha­de, dass auch die­se Sa­che, wie die meis­ten im Ge­fäng­nis er­dach­ten Sa­chen – große Ein­brü­che und Raub­über­fäl­le, Er­pres­sun­gen und Schie­bun­gen – an­ders aus­ging, als wir alle er­war­te­ten, und dass Mag­da doch nicht wie­der zu ih­rem Sil­ber kam.

Al­les kam ganz ge­nau so, wie es Mord­horst vor­aus­ge­sagt hat­te: Ich fand den Kas­si­ber, ich gab ihn dem Wacht­meis­ter beim Ein­schluss, ich wur­de zum In­spek­tor run­ter­ge­holt und ver­nom­men. Dann führ­ten sie mich wie­der auf mei­ne Zel­le, und dann hör­te ich, wie sie hin­ten in mei­nem Gang eine Zel­le auf­schlos­sen: Nun hol­ten sie sich den Po­la­kow­ski. Und dann war Stil­le. Ich hör­te nichts mehr von der Sa­che, die Nacht nicht, die nächs­ten bei­den Tage nicht, und auch Mord­horst hör­te dies­mal nichts da­von.

Dann rie­fen sie mich wie­der zu dem In­spek­tor und teil­ten mir mit, dass die Po­li­zei jene Feld­scheu­ne re­vi­diert habe; die Bret­ter hin­ten sei­en lose ge­we­sen, aber un­ter dem Stroh habe nichts ge­le­gen, über­haupt sei in der gan­zen Scheu­ne nichts ver­steckt ge­we­sen. Ich ging sehr ent­täuscht auf mei­ne Zel­le zu­rück. Also war der Po­la­kow­ski doch lis­ti­ger als alle an­de­ren ge­we­sen, und es gab die Sa­chen über­haupt nicht mehr, oder er hat­te sie ganz wo­an­ders ver­steckt.

Aber Mord­horst schüt­tel­te dazu den Kopf. »War­te nur«, sag­te er, »das hängt an­ders zu­sam­men, und ich kann es mir auch schon den­ken, wie. War­te nur, ich be­kom­me es noch her­aus, und wenn es so ist, wie ich den­ke, wird ei­ner nichts zu la­chen ha­ben.«

Er be­kam es wirk­lich raus, we­nigs­tens glau­be ich, dass das die Wahr­heit war, was er mir sag­te. »Der Ent­las­se­ne hat’s ge­klaut und ver­scheu­ert, der, der’s von dem Po­la­cken er­fah­ren hat. Di­rekt vor der Po­li­zei hat er sich’s ge­holt; der Trot­tel, wenn er nur ein biss­chen schnel­ler ge­we­sen wäre! Aber ich sage dir, ein­mal er­wi­sche ich den Hund, er kommt ja doch wie­der ins Kitt­chen, und dann soll er sein ei­ge­nes Ge­schrei hö­ren!«

Und im gan­zen Bau wur­de ein Name ver­brei­tet, sech­zig Ge­fan­ge­ne merk­ten sich den Na­men von ei­nem, der ein Ver­rä­ter ge­we­sen war, und die­se Ge­fan­ge­nen wür­den mit der Zeit schon da­für sor­gen, dass der Name des Ver­rä­ters sich aus­brei­te­te durch vie­le Ge­fäng­nis­se. Über­all wür­den sie ihn an­se­hen als einen ge­mei­nen Ver­rä­ter, denn selbst un­ter Ver­bre­chern gibt es eine Art Ehre, und ge­gen die hat­te der Mann ver­sto­ßen.

Für mich aber, der schließ­lich am we­nigs­ten sich an die­sem Spiel ge­gen Po­la­kow­ski be­tei­ligt hat­te, soll­ten die Fol­gen vor­erst die übels­ten sein. Denn an ei­nem Mor­gen, da ein Wacht­meis­ter wohl ein we­nig ver­schla­fen war und nicht auf­ge­passt hat­te, trug ich mei­nen Kü­bel ah­nungs­los über den Gang und ach­te­te gar nicht dar­auf, dass ge­gen alle Ge­wohn­heit die Tür von Po­la­kow­skis Zel­le schon auf­ge­macht war; da stürz­te der so Sanf­te wie ein Ti­ger auf mich, warf mich mit­samt mei­nem Kü­bel zur Erde und schlug mit bei­den Fäus­ten auf mein Ge­sicht ein, dass ich fast so­fort mei­ne Be­sin­nung ver­lor.

Sie hat­ten es ja nun dem Po­la­kow­ski er­zählt, dass auch ich hier im Kitt­chen saß, und hat­ten ihn nach Ge­fan­ge­nen­art un­barm­her­zig gen­eckt und ge­hän­selt mit den ver­lo­ren ge­gan­ge­nen Sa­chen. Und sie hat­ten ihm wohl auch er­zählt, dass das ihm ab­ge­nom­me­ne Geld wie­der zu mei­ner Ver­fü­gung hier lag, und viel­leicht hat­ten sie ihm so­gar vor­ge­lo­gen, dass die Sa­chen wie­der in mei­nen Be­sitz ge­kom­men sei­en.

Je­den­falls war in dem Po­la­kow­ski eine wil­de Wut auf mich ent­brannt, und er hat­te all die Tage wohl brü­tend in sei­ner Zel­le ge­ses­sen, hat­te be­dacht, wie gänz­lich um­sonst er nun sich um mich Wo­chen ge­quält hat­te, wie ich al­les wie­der­ge­won­nen, und dass mei­net­we­gen ihm eine lan­ge Stra­fe be­vor­stand – für nichts Ge­won­ne­nes! Da hat­te er rot­ge­se­hen und im­mer ge­grü­belt, wie er mir et­was an­tun könn­te für mein gan­zes Le­ben, und sein Hass und sei­ne Wut hat­ten all sei­ne Sanft­heit und sein Heuch­ler­tum und sei­ne an­ge­bo­re­ne Feig­heit und Vor­sicht fort­ge­spült.

Als er die Zel­len­tür of­fen sah, hat­te er auf mich ge­lau­ert, er hat­te mich un­ter sich ge­bracht und mir ins Ge­sicht ge­schla­gen, dass so­fort Blut aus Nase und Mund stürz­te. Die Ge­fan­ge­nen hat­ten nach ih­rer Ge­wohn­heit still und un­be­tei­ligt und wohl auch et­was scha­den­froh zu­ge­schaut; es ist nicht Sit­te im Ge­fäng­nis, bei ei­ner Prü­ge­lei von Zwei­en da­zwi­schen­zu­ge­hen. Ich bin über­zeugt, dass Mord­horst mir bei­ge­stan­den hät­te, aber Mord­horst war nicht in der Nähe, er lag einen Gang tiefer. Und ehe der Wacht­meis­ter noch hat­te zu­sprin­gen und Po­la­kow­ski hat­te zu­rück­rei­ßen kön­nen, hat­te Po­la­kow­ski sich über mein Ge­sicht ge­beugt und hat­te mich in die Nase ge­bis­sen, um mich fürs gan­ze Le­ben zu zeich­nen – ach, er hat mir fast die hal­be Nase ab­ge­bis­sen!

In ei­nem Ge­fäng­nis ge­sche­hen schlim­me Din­ge, oft, man macht nicht viel Auf­he­bens da­von. Den Po­la­kow­ski ha­ben sie in die Ar­rest­zel­le ge­steckt und ihm spä­ter zu al­lem an­de­ren eine An­kla­ge we­gen schwe­rer Kör­per­ver­let­zung an­ge­hängt, und mich ha­ben sie in mei­ner Zel­le auf den Stroh­sack ge­legt, ha­ben mir das Blut ein biss­chen ab­ge­wa­schen und ha­ben ge­war­tet, bis der her­bei­te­le­fo­nier­te Ge­fäng­nis­arzt kam.

Das Ers­te, was ich hör­te, als ich wie­der zu Be­wusst­sein kam, war die schimp­fen­de Stim­me Düs­ter­manns, der über »die Schwei­ne­rei in sei­ner Zel­le« schimpf­te und ver­lang­te, dass ich ver­legt wür­de, und die­se Stim­me hat nicht einen Au­gen­blick auf mich zu schimp­fen auf­ge­hört, so­lan­ge Düs­ter­mann nicht schlief, all die Tage, die ich noch bei ihm in der Zel­le lie­gen muss­te. Denn es reich­te nach An­sicht des Arz­tes nicht da­für, dass man mich in ein Kran­ken­haus leg­te.

Er näh­te mir die Nase recht und schlecht zu­sam­men und mein­te, in drei, vier Ta­gen wer­de al­les wie­der in Ord­nung sein. Aber es ist nie wie­der ganz in Ord­nung ge­kom­men, ganz ab­ge­se­hen da­von, dass ich mich bis heu­te noch nicht in ei­nem Spie­gel se­hen kann, so sehr bin ich ent­stellt und mir selbst zum Ekel. Nein, ich kann nicht mehr rie­chen, und rich­tig durch die Nase at­men kann ich auch nicht. Ich atme mit halb of­fe­nem Mun­de wie ein Blö­der, und mei­ne Schlaf­ge­nos­sen be­schimp­fen mich und sto­ßen mich nachts, weil ich mit Schnar­chen, Äch­zen und Or­geln ih­nen ih­ren Schlaf stö­re.

Wahr­haf­tig, die­ser Hund von Po­la­kow­ski hat mich für den Rest mei­nes Le­bens ge­zeich­net, nie kann ich ihn ver­ges­sen. Ei­gent­lich hat Po­la­kow­ski stär­ke­re Spu­ren in mir hin­ter­las­sen als ir­gend­ein an­de­rer Mensch, selbst als Mag­da. Manch­mal sit­ze ich da, und plötz­lich steht wie­der das Bild vor mir, wie ich am Fens­ter je­ner Dach­stu­be ste­he; ich sehe die Stadt mit ih­ren rot­brau­nen Dä­chern im Abend­licht zu mei­nen Fü­ßen, sehe die Schmie zwi­schen Grün blit­zen und hin­ten, schon halb von bläu­li­chem Dunst ver­schlei­ert, das Dach mei­nes ei­ge­nen Hau­ses. In mei­nem Rücken aber ver­si­chert Po­la­kow­ski sanft flüs­ternd, dass er ein sehr ar­mer, aber ehr­li­cher Ar­bei­ter sei, und lässt sei­ne Ge­len­ke da­bei knacken. Da­mals, schon vom ers­ten Au­gen­blick an, habe ich es ge­wusst, dass er ein Lump und ein Lüg­ner war, und hät­te ich ein biss­chen Ver­stand und Ehre im Leib ge­habt, ich hät­te auf der Stel­le die Stu­be ver­las­sen und wäre heim­ge­kehrt zu je­nem Haus im bläu­li­chen Dunst. Ich aber bin in der Un­recht­lich­keit ge­blie­ben, und da­für ist mir heim­ge­zahlt wor­den, tau­send­fäl­tig.