Hans Fallada – Gesammelte Werke

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8

Es war müh­sam für Ku­falt, wirk­lich wach zu wer­den, sich zu er­in­nern, was ge­sche­hen war und wo er lag.

Noch ehe er die Au­gen öff­ne­te, wäh­rend das Be­wusst­sein lang­sam in ihn zu­rück­kehr­te, hat­te er von au­ßen ein Ge­fühl von Käl­te, von Näs­se. Er zog die Knie an, sei­ne Hän­de tas­te­ten um­her, als such­ten sie eine De­cke. Dann war eine Wei­le wie­der al­les fort, aber wie­der kam die Käl­te, wie­der grif­fen die Hän­de ver­geb­lich nach der De­cke.

Dies­mal öff­ne­te er ein we­nig die Au­gen und schloss sie wie­der so­fort: Eine trü­be, graue Luft stand um ihn, durch die Schnee­teil­chen trie­ben. Er muss­te sich ge­irrt ha­ben.

Aber die Käl­te wur­de schlim­mer, er setz­te sich lang­sam auf, sein Kopf war selt­sam dumpf und be­nom­men. Er sah ver­ständ­nis­los um sich. Dann un­ter­schied er im di­cken, die­si­gen Grau der spä­ten Däm­me­rung Bü­sche um sich, einen Baum­stumpf, halb ver­schneit. Er schloss wie­der die Au­gen. Er muss­te doch noch träu­men.

Die Käl­te drang im­mer mah­nen­der auf ihn ein, und als er die Au­gen zum zwei­ten Mal öff­ne­te, zum zwei­ten Mal die­sel­ben kah­len Bü­sche, den­sel­ben ver­schnei­ten Baum­stumpf sah, ver­such­te er, sich zu er­in­nern, wie er hier­her­ge­kom­men war.

Sein Kopf schmerz­te un­sin­nig, es war ihm, als müss­te er sprin­gen. Er fass­te mit den Hän­den da­nach, spür­te Schwel­lun­gen und Beu­len – und lang­sam kehr­te die Erin­ne­rung zu­rück an Batz­ke, an die Schlä­ge, die er be­kom­men hat­te.

Er stand tau­melnd auf. Er sah sich um. Nein, er lag nicht auf dem Weg, wo er sei­ne Aus­ein­an­der­set­zung mit Batz­ke ge­habt hat­te, er lag ir­gend­wo in ei­nem Ge­büsch, in das ihn der an­de­re ge­schleppt ha­ben muss­te.

Er ent­deck­te im Schnee et­was Schwärz­li­ches, hob es auf. Es war sein Hut. Er be­hielt ihn in der Hand und ging lang­sam los.

Er hat­te nicht weit zu ge­hen. Nur sechs oder acht Schrit­te. Da stand er auf je­nem Weg, auf dem er von Batz­ke über­rum­pelt war. Viel Mühe hat­te der sich nicht mit ihm ge­ge­ben. Und trotz­dem hat­te er nicht nur Mi­nu­ten, son­dern Stun­den un­ent­deckt ge­le­gen. Es war schon fast dun­kel.

Nur, dass er ge­ra­de für die ers­ten Mi­nu­ten au­ßer Sicht war.

Das Ge­hen wur­de ihm sehr schwer, alle paar Schrit­te über­ka­men ihn Schwin­del­an­fäl­le, dann warf er sich rasch ge­gen ir­gend­ei­nen Baum, um nicht zu fal­len. Nur nicht auf die Erde! Es wür­de zu schwer sein, wie­der hoch­zu­kom­men.

Und wäh­rend er die fünf oder zehn Mi­nu­ten Weg, die er vor ein paar Stun­den leicht ge­gan­gen war, müh­sam ent­lang­stol­per­te, dach­te er un­un­ter­bro­chen an sein ge­müt­li­ches Zim­mer bei der Flee­ge, an sein Bett, an die an­ge­bro­che­ne Fla­sche mit Ko­gnak, die noch im Schrank stand, wie gut ihm das tun wür­de! An Batz­ke, an die Rin­ge, an das Geld dach­te er gar nicht mehr. Er war nichts wie ein ver­wun­de­tes Tier, das nur den einen Trieb hat, sich in sei­ner Höh­le zu ver­krie­chen.

Aber all­mäh­lich, wäh­rend er wei­ter­ging, wäh­rend die Schwin­del­an­fäl­le sel­te­ner wur­den, der Schritt fes­ter, wur­de auch das Erin­nern stär­ker. Erst war es wie bei ei­nem Men­schen, der et­was sa­gen will, und ge­ra­de im Mo­ment, wo er es aus­spre­chen möch­te, hat er ver­ges­sen, was ei­gent­lich. Es war doch noch et­was zu be­den­ken, es war doch noch et­was nicht in Ord­nung! Was war ei­gent­lich los mit der Woh­nung?

Dann kam es: Er sitzt auf der Bett­kan­te, je­mand spricht mit ihm. Er steht auf, fängt an, sich an­zu­zie­hen. Sind Sie ei­gent­lich Fe­ti­schist? fragt der an­de­re. Er sieht ihn, oh, er sieht ihn, als stün­de er jetzt hier im win­ter­lich ver­las­se­nen Stadt­park, der Bul­le, der die Heim­kehr zur Woh­nung un­mög­lich macht.

Der Schwin­del kreist wie­der in ihm. Er hält sich an ei­nem Baum fest. Plötz­lich packt ihn Schüt­tel­frost. Er klap­pert mit den Zäh­nen und muss sich er­bre­chen.

Habe Schiss, denkt er.

Dann lässt der An­fall nach, aber er bleibt noch sehr lan­ge fast be­we­gungs­los dort ste­hen, an sei­nem Baum. Der Abend rückt wei­ter vor. Es ist ihm, als peitsch­te ihn der Schnee im­mer käl­ter und bö­ser, als heul­te der Wind im­mer stär­ker.

Geräusche wer­den laut um ihn, Laub ra­schelt, ein Ast reibt sich knar­rend an ei­nem an­de­ren – eine dunkle Erin­ne­rung über­kommt ihn an eine an­de­re sol­che Nacht. Da­mals war ein Mäd­chen bei ihm, wie hieß sie doch? Und da­mals ging es auch nicht gut aus. – Vor­bei, ver­lo­ren.

Schließ­lich geht er wie­der wei­ter. Er geht nur wei­ter, weil er eben ein­fach nicht ewig dort ste­hen­blei­ben kann. Gin­ge das, blie­be er dort ste­hen. Aber nun geht er lang­sam wei­ter. Die Lich­ter des Park­cafés kom­men in Sicht. Nun gut. Er kann sich nicht an die Men­schen um Hil­fe wen­den. Aber er kann einen oder zwei Schnäp­se trin­ken. Das wird ihn auf­mun­tern.

Flüch­tig denkt er dar­an, wie er wohl aus­se­hen mag. Ob er so ohne auf­zu­fal­len ins Café ge­hen kann. Er klopft den Schnee vom Man­tel, so gut es geht, setzt den Hut zu­recht und war­tet den Schein ei­ner La­ter­ne ab, um sich in sei­nem Ta­schen­spie­gel zu mus­tern.

Es ist ein geis­ter­haft blei­ches Ge­sicht, das ihn aus dem klei­nen Scher­ben an­schaut. Aber das kann die Be­leuch­tung ma­chen. Das ist nicht so schlimm. Am Kinn ist eine di­cke, rote Schwel­lung. Batz­ke hat nicht sanft zu­ge­schla­gen. Auf der Mit­te der Schwel­lung ist die Haut ge­platzt und Blut her­aus­ge­tre­ten. Er sucht in sei­ner Brust­ta­sche nach sei­nem Ta­schen­tuch und reibt das Blut ab. So, nun kann er ins Café ge­hen.

Nein, er kann nicht ge­hen. Schon als er den Ta­schen­spie­gel aus der Wes­ten­ta­sche nahm, dann, als er aus der Brust­ta­sche das Ta­schen­tuch hol­te, hat­te er ein deut­li­ches Ge­fühl ge­habt, dass nicht al­les an ihm in Ord­nung war. Er griff in sei­ne Brust­ta­sche, in die an­de­re, auf der lin­ken Sei­te, und sie­he, es ist rich­tig, der La­den stimmt, die Brief­ta­sche mit sei­nen Pa­pie­ren und sei­nen sie­ben­hun­dert Mark ist fort!

Ei­nen Au­gen­blick denkt er dar­an, zu­rück­zu­ge­hen an die Stel­le, wo er lag, ob sie ihm nicht etwa her­aus­ge­rutscht ist. Aber es lohnt sich nicht. Die Brief­ta­sche war et­was zu groß ge­we­sen. Sie hat­te im­mer zu stramm in der Ta­sche ge­ses­sen, sie konn­te nicht von selbst her­aus­rut­schen. Das hat­te Freund Batz­ke ge­tan. Nicht Kip­pe ge­macht, ihn halb­tot ge­schla­gen und dann noch um sein letz­tes Geld er­leich­tert. Es war al­les rich­tig. Es pass­te al­les haar­ge­nau in die­se letz­ten Wo­chen, in de­nen es im­mer tiefer bergab ging, ei­nem Ende zu, vor dem man wohl die Au­gen schlie­ßen konn­te, aber das des­we­gen nicht we­ni­ger si­cher her­an­kam.

Nein. Jetzt, wo er al­len Grund dazu ge­habt hät­te, war kei­ne Rede von Wut oder Verzweif­lung. Im Ge­gen­teil. Es war ge­ra­de so, als hät­te sich an die­sem letz­ten, schlimms­ten Schlag sei­ne schon fast ver­brauch­te Wi­der­stands­kraft von Neu­em ent­zün­det. Auf die­sem schmerz­vol­len Weg, mit dem im­mer wie­der ver­sa­gen­den Kopf hat­te er zu­erst den Ge­dan­ken auf­ge­ben müs­sen an die Hil­fe der Men­schen: Er war al­lein. Dann den Ge­dan­ken an sein Heim bei der al­ten, her­zens­gu­ten Frau: Er hat­te kein Heim mehr. Dann den Ge­dan­ken an Geld: Sein biss­chen müh­sam zu­sam­men­ge­kratz­tes, ge­fahr­voll zu­sam­men­ge­stoh­le­nes Geld hat­te ihn auch ver­las­sen.

Es gab auch nicht mehr die Hil­fe Al­ko­hol für ihn. Was es an Hil­fe gab, muss­te aus ihm selbst kom­men. Frü­her, in Wo­chen, da es ihm noch ver­hält­nis­mä­ßig gut ge­gan­gen war, hat­te er viel­leicht ein­mal dar­an den­ken kön­nen, sich frei­wil­lig auf ei­ner Po­li­zei­wa­che zu stel­len oder et­was aus­zu­fres­sen, bei dem er ge­kitscht wur­de, dass er nur wie­der in die Hei­mat, das Kitt­chen, kam – jetzt dach­te er nicht ein­mal an so et­was.

Jetzt stand er un­ter sei­nem Baum, halb er­fro­ren, halb­tot ge­schla­gen, und grü­bel­te über einen Plan, wie er noch ein­mal zu Geld kom­men und noch ein­mal sich die Frei­heit er­wer­ben könn­te, mit der er doch nichts an­zu­fan­gen wuss­te.

9

Das Ge­mü­se­ge­schäft von Frau Leh­mann liegt nicht in der Fuhl­ent­wie­te selbst, son­dern um die Ecke her­um, in der Neu­städ­ter Stra­ße. Ku­falt ist dort be­kannt als Herr Le­de­rer. Er hat sich da nach der Kat­ze Pus­si von Frau Pas­tor Flee­ge er­kun­digt. Auch hat er manch­mal bei Frau Leh­mann für sich oder sei­ne Wir­tin ein­ge­kauft.

So wird er dort freund­lich be­grüßt, als er we­ni­ge Mi­nu­ten nach sie­ben auf­taucht und noch zehn Eier und zwei Fla­schen Bier ver­langt. Er be­kommt sie. Aber wäh­rend sie noch zu­sam­men­ge­packt wer­den und ehe er noch be­zah­len kann, wird dem ar­men Herrn Le­de­rer schlecht. Frau Leh­mann muss ihm schnell einen Stuhl hin­schie­ben und lässt das letz­te Dienst­mäd­chen, das noch im La­den steht, schnell in die Knei­pe an der Ecke lau­fen, um ein Ach­tel Ko­gnak für den Herrn zu ho­len.

Es muss ihm sehr schlecht ge­hen. Er ist auf der Stra­ße ge­fal­len, er­zählt er zwi­schen­durch. Gera­de auf einen Kant­stein mit dem Kinn, und in sei­nem Kopf dreht es sich noch im­mer, sagt er.

Als das Mäd­chen mit dem Ko­gnak kommt, will Frau Leh­mann es noch zu der Frau Pas­to­rin Flee­ge schi­cken, aber dem wi­der­setzt sich Herr Le­de­rer ener­gisch. Die alte sieb­zig­jäh­ri­ge Frau könn­te von ei­nem sol­chen Schre­cken den Tod ha­ben, und es gin­ge doch gleich vor­über. Wenn er sich nur fünf Mi­nu­ten in das war­me Zim­mer hin­ter dem La­den set­zen dürf­te?

Das darf er na­tür­lich. Er nimmt sein Ach­tel Ko­gnak mit, und dann, wäh­rend Frau Leh­mann den La­den auf­räumt, bit­tet er noch ein­mal, schon et­was mun­te­rer, um zwan­zig Zi­ga­ret­ten. Er be­kommt sie und ver­schwin­det wie­der im Hin­ter­zim­mer. Die Tür macht er zu.

 

Als er in der Hin­ter­stu­be ist, trinkt er zu­erst rasch den Ko­gnak aus, brennt sich dann eine Zi­ga­ret­te an, öff­net das Fens­ter und springt auf den Hof.

Er kennt den Hof gut. Da ste­hen die Müll­käs­ten, in de­nen Pus­si so gern nach Bück­lings­res­ten stö­ber­te. Er steigt auf einen Müll­kas­ten und zieht sich an der Mau­er hoch. Nun ist er in ei­nem Gar­ten, der um die­se Jah­res­zeit ganz ver­las­sen ist. Er geht rasch hin­durch, zieht sich auf der an­de­ren Sei­te wie­der hoch und steht auf dem Hof des Flee­ge­schen Hau­ses.

Jetzt kommt das Schwers­te. Er muss vom Hof in das be­leuch­te­te Trep­pen­haus ge­hen, und viel­leicht steht der Grei­fer, den er vor­hin in der Fuhl­ent­wie­te ge­se­hen hat, ge­ra­de vor der Haus­tür. Oder kommt ge­ra­de an die Haus­tür und ent­deckt ihn im Trep­pen­haus, wenn er, of­fen je­dem Blick, die Trep­pe zur Flee­ge­schen Woh­nung hin­auf­steigt.

Aber es muss ge­wagt wer­den, und Zö­gern ist sinn­los. So geht er rasch ins Trep­pen­haus, steigt die Trep­pe hin­auf und schließt die Tür auf. Erst beim Auf­schlie­ßen kann er einen Blick hin­un­ter wa­gen: Die Luft ist rein. Nun kommt es nur noch dar­auf an, dass auch der Rück­weg glatt ge­lingt.

Er hat ganz lei­se auf­ge­schlos­sen, er ist ganz lei­se ein­ge­tre­ten. Dann zieht er laut­los die En­tree­tür hin­ter sich zu und bleibt lau­schend ste­hen. In der Kü­che, gleich ne­ben ihm, ist Licht und Ge­klap­per von Töp­fen. Die alte Frau macht ihr Abendes­sen. Er täte ihr un­gern was. Gut so.

Er geht gar nicht erst in sein Zim­mer. Er geht so­fort in ihr Wohn­zim­mer und schließt die Tür lei­se hin­ter sich. Es ist dun­kel dar­in. Aber nicht sehr dun­kel. Die Stra­ßen­lam­pen wer­fen einen Licht­schein ge­gen die De­cke, und er kann deut­lich auf dem Fens­ter­tritt den klei­nen Näh­tisch ste­hen se­hen. Er braucht nur einen Au­gen­blick mit den Hän­den zu tas­ten und hat schon den Schlüs­sel­korb ge­fun­den. Es ist ein gan­zes Schlüs­sel­bund dar­in, aber das will er nicht. Sei­ne Fin­ger su­chen wei­ter und fin­den un­ter ei­nem Ta­schen­tuch den glat­ten Ein­zel­schlüs­sel mit dem ge­zack­ten Bart.

Auf Ze­hen­spit­zen geht er rasch an das Ver­ti­ko, sucht mit der einen Hand im Dun­keln das Schlüs­sel­loch, führt den Schlüs­sel ein, öff­net die Tür, die ein we­nig knarrt, und steht einen Au­gen­blick lau­schend: nichts. Sei­ne Fin­ger tas­ten im obers­ten Fach, fas­sen den glat­ten, ho­hen Näh­kas­ten aus Holz, he­ben ihn her­aus. Er trägt ihn an den So­fa­tisch, schlägt ihn auf, nimmt den Ein­satz her­aus, setzt ihn ne­ben den Kas­ten – und in die­sem Au­gen­blick knackt es an der Tür, das Licht geht an, die alte Frau Pas­to­rin Flee­ge steht in der Tür.

Er steht wie er­starrt.

Sie blickt ihn fas­sungs­los an. Er sieht das Ent­set­zen in ih­rem Ge­sicht, ihr Un­ter­kie­fer fängt an zu zit­tern, über das alte, fal­ti­ge Frau­en­ge­sicht lau­fen Trä­nen …

Er weiß nicht, was er tun soll. Da steht sie und weint. Er sieht ver­wirrt in den Kas­ten. Er macht die Schach­tel auf, sieht das Geld, das Spar­buch, sei­ne Hand greift da­nach …

»Oh, Herr Le­de­rer …«, flüs­tert sie.

Plötz­lich hört er sich spre­chen. Hört sich selbst spre­chen, wäh­rend er das Geld weg­stopft, das Spar­buch, hört sich flüs­tern: »Set­zen Sie sich hin, schnell, kei­nen Laut. Ich tu Ih­nen nichts.«

Sie flüs­tert noch ein­mal, noch ent­setz­ter, noch fas­sungs­lo­ser: »Herr Le­de­rer …« Dann macht sie eine Be­we­gung, als woll­te sie hin­aus auf den Flur.

Er ist in drei Sprün­gen bei ihr. Er um­fasst die klei­ne, ge­brech­li­che, wehr­lo­se, zit­tern­de Ge­stalt. Er legt die Hand über den Mund der Schluch­zen­den, zerrt die Frau durch das Wohn­zim­mer in das Schlaf­zim­mer, legt sie auf das Bett und flüs­tert noch ein­mal: »Lie­gen Sie nur drei Mi­nu­ten ru­hig! Dann dür­fen Sie schrei­en.«

Er läuft aus dem Schlaf­zim­mer, wie­der in das Wohn­zim­mer, sieht sich einen Au­gen­blick ver­wirrt um: Wo hat er sei­nen Hut? Ach, er ist wahn­sin­nig, er hat sei­nen Hut auf dem Kopf. Gleich wird sie schrei­en.

Er ist schon auf dem Gang, läuft auf die En­tree­tür zu und steht einen Au­gen­blick lau­schend still.

Nichts, al­les to­ten­still. Kein Laut. Er fasst die Klin­ke. Er drückt sie be­hut­sam her­un­ter, Zen­ti­me­ter um Zen­ti­me­ter öff­net er laut­los die Tür, späht in den Flur, sieht nichts, tritt rasch her­aus – und steht vor sei­nem Kri­mi­nal­be­am­ten.

»Na also, Ku­falt, habe ich Ih­nen nicht ver­spro­chen, dass ich Sie wie­der­fin­de?!« Und zu ei­nem an­de­ren von der Schmie­re, der da­hin­ter steht: »Se­hen Sie gleich nach in der Woh­nung, ob er nicht auch da noch Ge­schich­ten ge­macht hat.« Und wie­der zu Ku­falt: »Na, wie ist Ih­nen denn so? Nicht sehr er­freut, was?«

ZEHNTES KAPITEL – Nord, Ost, Süd, West – to Hus best

1

Das Haus lag am obers­ten Punkt ei­ner Berg­gas­se, gleich un­ter­halb des Burg­bergs. Die Stu­be des Schü­lers lag vier im­mer en­ger und stei­ler wer­den­de Trep­pen hoch, in der obers­ten Spit­ze des Haus­gie­bels.

Trat der Schü­ler an sein Fens­ter, und der Tag war klar, so sah er über die Dä­cher der klei­nen Stadt fort, über das mä­ßig wei­te Flus­stal fort, über die sanf­ten Laub­hü­gel, die die an­de­re Sei­te des Tals be­grenz­ten, fort bis zu je­nen schrof­fen Ba­salt­fel­sen mit ih­ren dunklen Tan­nen und Fich­ten, die »der Uhu« hie­ßen.

Er sah oft da­hin, denn un­ter­halb des Uhus, eine schwa­che Stun­de nur zu ge­hen, lag sei­ne Hei­mat, Rit­ter­gut Trieb­ken­dorf.

Der Schü­ler steht am Fens­ter, er geht in Ge­dan­ken den stei­len Fuß­pfad den Uhu ab­wärts. Ab­flie­ßen­der Re­gen hat den Lehm vom Wege ge­wa­schen, er klet­tert vor­sich­tig über Fels­block auf Fels­block. Man­che Stei­ne sind fest ein­ge­spon­nen von den zä­hen Stri­cken los­ge­spül­ter Wur­zeln, an­de­re schwan­ken lei­se, als woll­ten sie un­ter sei­nem Fuß ab­stür­zen.

All­mäh­lich wird der Pfad we­ni­ger steil, die Bäu­me tre­ten dich­ter an ihn her­an, er geht nun wie in ei­ner küh­len grü­nen Hal­le. Dann wird es hel­ler vor ihm, er tritt hin­aus aus dem Wald, der Ber­g­zug ist über Hü­gel in eine frucht­ba­re Ebe­ne aus­ge­lau­fen.

Noch ein paar Schrit­te, der Fahr­weg geht um eine He­cken­e­cke, und vor dem Jun­gen liegt das Dorf. Kaum Dorf, mehr Gut, mit den lan­gen, öden Leu­te­häu­sern der De­pu­tan­ten, um die es im­mer feucht nach fau­len Kar­tof­feln riecht.

Nun taucht am Ende des We­ges die große Tor­fahrt zum Rit­ter­guts­hof in der schwarz­grau­en Feld­stein­mau­er auf. Gera­de­zu, am an­de­ren Ende des Ho­fes, der von Scheu­nen, Stal­lun­gen und Schup­pen be­grenzt ist, liegt das Her­ren­haus. Aber nicht das ist wich­tig. Wich­ti­ger ist gleich rechts vorn das klei­ne rote Back­stein­haus, mit den sechs Fens­tern un­ter dem tie­fen Dach, das die Hei­mat des Jun­gen ist. Es ist nichts, gar nichts. Ein ro­ter Kas­ten, ein In­spek­to­ren­haus, wie es auf tau­send Rit­ter­gü­tern steht, in­nen mit ge­tünch­ten Wän­den, ab­ge­tre­te­nen Die­len, ver­räu­cher­ter Kü­che – aber hier ist er zu Haus.

Zwei Lin­den ste­hen vor der Tür, sie sind hoch und stark, weit rei­chen sie über Dach­first und Schorn­stein hin­aus. Sie sind im­mer da­ge­we­sen, seit er ganz klein war, er kann sich nicht er­in­nern, dass sie je we­ni­ger stolz und schir­mend wa­ren. Wenn das Wet­ter nur ei­ni­ger­ma­ßen war, so hat­te die Mut­ter den Wa­gen mit dem Kind hin­aus­ge­scho­ben. Es hat­te hin­auf­ge­se­hen in die grün ver­wun­sche­ne, durch­golde­te Blät­ter­wild­nis, die sich sach­te ver­schob, wenn der Wind ging, es hat­te auch da­nach ge­grif­fen.

Es lern­te die Bäu­me ken­nen, wenn sie noch hell und schüt­ter wa­ren und über­all der Him­mel durch die knor­ri­gen, schwar­zen Schlan­gen der Äste hin­durch­schau­te. Spä­ter dann, wenn sie vol­ler wur­den, und man sah nichts mehr als Grün, Grün, Grün. Bald blüh­ten sie, und die Bäu­me er­klan­gen wie große Glo­cken von dem un­abläs­si­gen Ge­summ der Bie­nen. Am Ende wur­den die Blät­ter schlaff und gelb­lich, sie lös­ten sich erst ein­zeln, dann wur­den es ih­rer mehr und mehr. Je­der Wind­stoß trieb sie über den Hof, sie häuf­ten sich in den Tränk­stei­nen der Pfer­de, an den Feld­stein­mau­ern der Stal­lun­gen und er­füll­ten al­les mit ih­rem schar­fen und trü­ben Ge­ruch.

Als der Schü­ler, grö­ßer ge­wor­den, aus dem Schlaf­zim­mer der El­tern in die Gie­bel­stu­be um­zog, al­lein schla­fen lern­te, da wa­ren es die Lin­den, die ihn trös­te­ten, wenn er sich in der ein­sa­men Lee­re der Nacht ängs­ti­gen woll­te – er kann­te je­den Laut von ih­nen, er war ja an ih­nen groß ge­wor­den.

Der Schü­ler steht am Fens­ter des Pas­to­ren­hau­ses in der Berg­gas­se und starrt auf den Uhu. Er meint, den glat­ten, über eine Näh­ar­beit ge­senk­ten Schei­tel der Mut­ter am Fens­ter zu se­hen. Aus dem Pfer­de­stall kommt der Va­ter, die Reit­peit­sche in der Hand. Er bleibt ste­hen un­ter dem Holz­ge­stell in der Hof­mit­te, an dem eine aus­ge­dien­te Pflug­schar hängt.

Der Va­ter zieht die Uhr, er war­tet noch einen Au­gen­blick, dann sagt er zum Leu­te­vogt: »Eins!« Und der Leu­te­vogt schlägt mit dem Ham­mer ge­gen die Pflug­schar, dass es hell und stäh­lern über den Hof er­klingt.

Aus der Stall­tür taucht das ers­te Ge­spann Pfer­de auf. Ge­gen­über dem In­spek­to­ren­haus stel­len sich die Leu­te in Rei­hen an. Vor­ne die Hof­gän­ger, erst die Jun­gen, dann die Mä­dels. Da­hin­ter die De­pu­tan­ten, erst die Frau­en, dann die Män­ner …

Er sieht es, er hat es hun­dert­mal ge­se­hen, tau­send­mal. Da­rum kann er es auch jetzt se­hen, vom Fens­ter im Pas­to­ren­hau­se über sie­ben Ber­grücken, sie­ben Tä­ler hin.

Nun be­gin­nen die Glo­cken im Tal eil­fer­tig zu klin­geln, es ist Sonn­abend­nach­mit­tag, Fei­er­abend. Der Schü­ler seufzt. Er sieht nicht mehr den Uhu, er sieht über das Städt­chen hin, drü­ben am Fluss liegt das Gym­na­si­um, um des­sent­wil­len er hier sein muss. Dann sieht er nä­her, in die Berg­gas­se, in das Haus schräg ge­gen­über, in dem eine Schnei­der­stu­be ist. Dort pa­cken sie auch zu­sam­men, es ist ja Fei­er­abend. Ein Ge­schwirr von jun­gen Mäd­chen ist beim Auf­räu­men. Es sind die hö­he­ren Bür­ger­töch­ter, die Näh­stun­de ge­habt ha­ben.

Wie schon oft fällt ihm wie­der eine lus­ti­ge schlan­ke Blon­de auf, und als sie her­sieht, nickt er hin.

Sie nickt wie­der. So ste­hen sie eine Wei­le sich ge­gen­über an den Fens­tern. Der Fünf­zehn­jäh­ri­ge und die klei­ne Blon­di­ne. Sie ni­cken ein­an­der zu und la­chen.

Plötz­lich hat er einen Ge­dan­ken. Er macht ihr ein Zei­chen, läuft ins Zim­mer, sieht sich auf sei­nem Tisch um, er­greift den lee­ren Brief­um­schlag, der vom heu­ti­gen Brief der Mut­ter noch dort liegt, und stürzt wie­der ans Fens­ter.

Sie sieht ihm ent­ge­gen, er hebt den Brief­um­schlag hoch und nickt vol­ler Be­deu­tung. Sie sieht zö­gernd zu­rück, nickt dann aber auch lang­sam …

Er stürzt fort vom Fens­ter, die Trep­pe hin­un­ter.

Auf dem ers­ten Ab­satz bleibt er ste­hen, sie ist auch eine Trep­pe hin­un­ter­ge­lau­fen, sie ist auch ste­hen­ge­blie­ben. Er hebt den Brief wie­der, und sie ni­cken bei­de.

Nächs­te Trep­pe, nächs­tes Ni­cken.

Letz­te Trep­pe, letz­tes Ni­cken.

Auf mit der schwe­ren, äch­zen­den, ei­che­nen Haus­tür! Hin­aus auf die holp­ri­ge Kopf­stein­gas­se.

In der Mit­te, zwi­schen den bei­den Häu­sern, auf der Gas­se, tref­fen sie sich.

»Gu­ten Tag«, sagt er be­fan­gen.

»Gu­ten Tag«, ant­wor­tet sie ver­le­gen.

Da­mit ist es erst ein­mal alle.

Sie sieht zö­gernd auf den Brief in sei­nen Hän­den. Ein ko­mi­scher Um­schlag, auf­ge­ris­sen, mit ei­ner Mar­ke und ei­nem Stem­pel dar­auf.

Er sieht auch auf den Um­schlag.

»Ge­ben Sie mir doch den Brief«, sagt sie schnell.

»Ich habe ja gar kei­nen«, sagt er. »Ich woll­te ja nur, dass Sie run­ter­kämen.«

Pau­se.

»Ich muss rauf«, sagt sie.

»Heu­te Abend um acht am Stadt­wall«, schlägt er vor.

»Das geht nicht«, sagt sie. »Mei­ne Mut­ti …«, sagt sie.

»Bit­te!« sagt er.

Sie ver­zieht den Mund und sieht ihn an. »Ich will es ver­su­chen«, sagt sie.

»Bit­te!« sagt er.

»Acht, Stadt­wall«, sagt er.

»Gut«, sagt sie.

Sie se­hen sich an. Plötz­lich müs­sen sie alle bei­de la­chen.

 

»Sind Sie ko­misch mit Ihrem Brief!« lacht sie.

»Nicht wahr?« fragt er stolz. »Habe ich Sie doch end­lich er­wi­scht!«

»Also um acht!«

»Pünkt­lich!«

»Bis da­hin!«

»Tjüs!«

Zu­rück in die Häu­ser. Zu­rück hin­auf im Sturm die Trep­pen.

Es sind nur noch ein paar Stun­den bis acht, bis acht sin­d’s nur ein paar Stun­den – man kann das sin­gen, ent­deckt er.

Man kann es aber nicht lan­ge sin­gen.

Schon als er sieht, dass die di­cke Schnei­de­rin Gu­bal­ke mit dem wei­ßen, kurz­ge­schnit­te­nen Haar über die Gas­se kommt, bei ih­nen un­ten am Haus klin­gelt, her­ein­geht – schon da will er den Ge­sang ab­bre­chen. Der Schü­ler zwingt sich, er singt wei­ter, aber es klingt jetzt spär­lich, und zu oft setzt er aus, wenn er sich aus dem Fens­ter lehnt, um zu se­hen, ob die Schnei­der­meis­te­rin noch im­mer nicht zu­rück­kommt.

Nein, sie kommt noch nicht, und die lee­re Schnei­der­stu­be drü­ben grinst ihn öde und häss­lich an. Ein paar Stun­den bis acht …? Eine end­lo­se Zeit bis acht!

Da kommt sie. Sie geht über die Gas­se zu­rück zu ih­rem Haus, aber in der Tür dreht sie sich um und ent­deckt den Schü­ler in sei­nem Fens­ter, sie blickt ihn böse an, ja, sie schüt­telt die Faust ge­gen ihn. Dann knallt die Tür drü­ben zu.

Es kann so schlimm nicht wer­den. Ich habe ja ei­gent­lich gar nichts ge­tan, be­ru­higt er sich.

Doch schon klopft es an sei­ner Tür, und Mäd­chen Min­na, ein äl­te­res, bit­te­res Reib­ei­sen, sagt: »Sie sol­len zu Herrn Pas­tor kom­men! Gleich!!«

»Schön«, sagt der Schü­ler und glät­tet vor dem Spie­gel sein Haar mit dem Kamm.

»Gleich! So­fort!!«

»Kom­me ja schon.«

»Sie wer­den was er­le­ben! Na!!«

»Zitro­ne …«, sagt der Schü­ler und geht die bei­den Trep­pen hin­un­ter in das Ar­beits­zim­mer des Pas­tors.

Er klopft an, es wird »He­rein« ge­ru­fen, ölig-sanft, und vor sei­nem Pas­tor steht der Schü­ler.

Sanft, viel zu sanft. Im­mer­hin doch: Be­trüb­nis und Ent­täu­schung. Leicht­fer­ti­ge Lieb­schaft, Ent­wei­hung des geist­li­chen Heims, un­er­laub­te Kor­re­spon­denz, über­haupt viel zu jung.

»Was soll denn spä­ter aus dir wer­den, wenn du so an­fängst?«

»Ich habe doch gar kei­nen Brief ge­schrie­ben.«

»Dies Leug­nen er­gänzt dein Bild. Min­na hat es auch ge­se­hen, nicht nur Frau Gu­bal­ke. Die gan­ze Gas­se wird es ge­se­hen ha­ben. Mor­gen weiß die Stadt, welch ein Mensch in mei­nem Heim wohnt …«

»Ich habe aber wirk­lich nicht …«

»Ich hege nicht die Ab­sicht, mich mit dir zu un­ter­hal­ten. Geh hin­auf und pack dei­ne Sa­chen. Dein Va­ter ist be­reits te­le­fo­nisch von mir be­nach­rich­tigt. Schon die­se Nacht darfst du nicht mehr un­ter mei­nem Dach schla­fen.«

Des Schü­lers Mund ver­zieht sich wei­ner­lich …

»Bit­te, Herr Pas­tor, ich bit­te Sie …«

»Nichts. Erst fünf­zehn und schon mit Mäd­chen. Pfui! Pfui! Ich sage pfui!«

Der geist­li­che Zei­ge­fin­ger droht. Dann weist er ge­gen die Tür, und der Schü­ler hat nur zu ge­hen.

Oben ist er al­lein. Er ver­sucht zu pa­cken, muss aber wei­nen. Min­na bringt noch sei­ne Wä­sche. »Ja, jetzt kön­nen Sie heu­len! Pfui!«

»Raus, Zitro­ne!« brüllt er und kann nun auch nicht mehr heu­len. Und in­des der Tag mit all sei­nen fröh­li­chen, ei­li­gen Sonn­abend­ge­räuschen in den Abend über­geht, sitzt er da auf sei­nem Wachs­tuch­so­fa, auf ei­nem Stuhl den halb ge­pack­ten Kof­fer, den er doch nicht ganz fül­len mag, weil er im­mer noch nicht glau­ben kann, dass es wirk­lich ganz zu Ende ist …

Kurz nach sie­ben hört er die Fahr­rad­klin­gel vom Va­ter. Er stürzt ans Fens­ter, er ruft: »Vati, komm doch erst rauf zu mir!«

Aber wenn der Va­ter auch nickt, so kommt er doch nicht. Si­cher hat ihn der Pas­tor ab­ge­fan­gen. Va­ter hält sonst im­mer Wort.

Noch fünf Mi­nu­ten War­ten, dann knackt die Trep­pe un­ter Va­ters fes­ten Reit­s­tie­feln, und er tritt ein.

»Na, mein Sohn? An den Was­sern Ba­by­lons sa­ßen sie und wein­ten? Zu spät! Zu spät! Er­zäh­le schon dei­ne Sün­den!«

Va­ter ist im­mer herr­lich. Wie da der große star­ke Mann am Tisch auf ei­nem Stühl­chen sitzt, in den Reit­ho­sen mit dem grau­en Le­der­ein­satz, der grü­nen Jop­pe, mit dem ge­sun­den, rot­braun ge­brann­ten Ge­sicht und der schnee­wei­ßen Stirn dar­über – weiß und rot­braun gren­zen scharf an­ein­an­der, das macht der Müt­zen­rand –, ja, wie er das schon sagt: Er­zähl dei­ne Sün­den – da ist al­les gleich leich­ter.

Er hört zu, gut hört er zu. »Schön«, sagt er schließ­lich. »Und wei­ter war nichts? – Schön. Geh ich noch mal run­ter zu dei­nem Pas­tor.«

Aber er war sehr schnell wie­der da, mit et­was ge­röte­tem Ge­sicht.

»Nichts zu ma­chen, mein Sohn, du bist und bleibst ein Sün­den­schip­pel. Also kommst du zu­erst mal mit mir nach Haus. Mut­ter wird sich be­stimmt freu­en.«

»Den Kof­fer las­sen wir hier. Den kann mor­gen der Eli ho­len. Der muss so­wie­so in die Stadt. So­weit die Stra­ße glatt ist, kannst du hin­ten auf dem Rad ste­hen. Nach­her in den Ber­gen schie­ben wir bei­de. Um elf sind wir zu Haus.«

»Aber die Schu­le?«

»Fürch­te, Söhn­chen, mit dem Gym­na­si­um ist es auch alle. Der wird dich bei dei­nem Di­rek­tor hübsch ver­klat­schen. Das se­hen wir mor­gen. Ich rei­te noch mal rü­ber.«

Und so ge­hen sie los. Der Va­ter links vom Rad, der Sohn rechts.

Min­na lacht aus dem Kü­chen­fens­ter.

»Sie Pute!« schreit der Va­ter plötz­lich hoch­rot.

»Ich nen­ne sie im­mer die Zitro­ne«, er­klärt der Sohn.

»Zitro­ne ist auch viel bes­ser«, be­stä­tigt der Va­ter.

»Du, Va­ter«, fängt der Sohn vor­sich­tig an.

»Na?«

»Es ist doch gleich acht …«

»Stimmt, der Ze­be­dä­us wird gleich schla­gen.«

»Und wir kom­men am Stadt­wall vor­bei …«

Der Va­ter pfiff lang­ge­dehnt. »Nach­ti­gall, ich hör dir trap­sen …«

»Es ist doch nur, weil ich sie be­stellt habe. Ich kann sie doch nicht ein­fach ver­set­zen. Adieu sa­gen möch­te ich ihr doch.«

»Glaubst du, es ist rich­tig, wenn ich es dir er­lau­be …?«

»Ach, tu ’s doch, Va­ter, bit­te!«

»Na schön. Rich­tig wird’s schon nicht sein. Aber mei­net­hal­ben. Und nicht län­ger als fünf Mi­nu­ten!«