Hans Fallada – Gesammelte Werke

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2

»Eine ver­damm­te Ge­schich­te«, sag­te der eine Be­am­te.

»Ein hoch­nä­si­ges Aas«, stimm­te der an­de­re zu.

»Er wird uns noch Strei­che spie­len«, sag­te der ers­te düs­ter.

»Und was für wel­che!« stimm­te der zwei­te zu.

»Man kann im Mo­ment nichts tun«, sag­te der ers­te.

»Nein«, be­stä­tig­te der zwei­te, »man muss ab­war­ten, bis die Sore ir­gend­wo auf­taucht.«

»Bis da­hin hat der Wos­sid­lo ganz Ham­burg mit sei­nem Ge­schwätz über die Po­li­zei wild ge­macht.«

»Ich glaub nicht, dass es ei­ner aus der Bran­che war. Au­ßer­dem ist kei­ner von de­nen jetzt in Ham­burg.«

»Dass man auch nichts von ei­nem Ge­re­de vor­her ge­hört hat! Es müs­sen doch min­des­tens vier Mann ge­we­sen sein. Vier Ga­no­ven, die dicht­hal­ten, gibt es doch nicht.«

»Es muss ver­dammt schnell ge­gan­gen sein.«

»Aber der Tipp!« rief der an­de­re. »Die­se An­non­ce mit den drei Mi­nu­ten! Da muss ei­ner min­des­tens zwei Wo­chen lang bal­do­wert ha­ben.«

»Und der Wäch­ter hat na­tür­lich nie­man­den ge­se­hen«, sag­te der ers­te wü­tend.

»Was willst du dem Chef sa­gen?«

»Ich werd ’ne Raz­zia vor­schla­gen. Man kann zwan­zig oder drei­ßig von den Halb­sei­de­nen ein­ste­cken und ver­neh­men. Vi­el­leicht, dass ei­ner was läu­ten ge­hört hat und Laut gibt, um wie­der raus­zu­kom­men.«

»Das ist noch das Bes­te.«

»Die Leu­te«, sag­te der ers­te wü­tend, »ma­chen sich einen Be­griff von der Po­li­zei! Als wenn wir gleich al­les wüss­ten! Na­tür­lich wird man die Ker­le ein­mal kap­pen. Aber wann?«

»Hof­fen wir auf den Zu­fall«, sag­te der zwei­te. »Meis­tens hilft der.«

»Ja, wenn wir den Zu­fall nicht hät­ten!« be­stä­tig­te der ers­te.

3

Der Zu­fall hieß Ku­falt, und wäh­rend die bei­den Kri­mi­nal­be­am­ten in ih­ren brei­ten, ver­tre­te­nen Schu­hen durch die win­ter­li­chen Stra­ßen Ham­burgs wan­del­ten, saß er schon auf ei­ner Bank im Stadt­haus und war­te­te auf sie.

Als er in der Zei­tung ge­le­sen hat­te, dass der Raub doch von­stat­ten ge­gan­gen war, dass Freund Batz­ke un­er­kannt mit so großer Beu­te ent­kom­men war, da hat­te ihn zu­erst Angst, dann Wut er­füllt.

Plötz­lich hat­te er be­grif­fen, warum ihm der Acht­gro­schen­jun­ge mit der Schirm­müt­ze nach­ge­lau­fen war. Nicht die Po­li­zei hat­te den Hand­ta­schen­räu­ber ver­folgt, son­dern Batz­ke hat­te wis­sen wol­len, ob Ku­falt noch im­mer die Aus­la­ge am Jung­fern­stieg un­ter Au­gen hat­te. Und dar­um hat­te ihm Ilse ih­ren gest­ri­gen Abend­be­such ge­macht, auch sie hat­te bloß bal­do­wern wol­len – für Batz­ke!

Angst hat­te er zu­erst. Er hat­te den Tipp ge­ge­ben, er hing mit drin. Er hat­te sich um das Ge­schäft wo­chen­lang her­um­ge­drückt, viel­leicht kann­te man dort sein Ge­sicht, er­in­ner­te sich jetzt sei­ner. Schon ging viel­leicht sei­ne Be­schrei­bung an die Blät­ter.

Und es war nicht nur das, er konn­te sich ja kaum rüh­ren, er, der Hand­ta­schen­räu­ber, des­sen Be­schrei­bung von Mal zu Mal deut­li­cher in den Zei­tun­gen er­schie­nen war.

Aber stär­ker als die Angst wur­de die Wut in ihm. Batz­ke war es, der ihn in die­se Lage ge­bracht hat­te. Wie­der hat­te ihn Batz­ke ver­ra­ten. Vom Stell­dich­ein an un­ter dem Pfer­de­schwanz über den Zi­ga­ret­ten­la­den mit dem falschen Zwan­zi­ger über die nutz­los zu­rück­ge­ge­be­nen vier­hun­dert Mark – : Im­mer hat­te ihn Batz­ke ver­ra­ten.

Er lief hin und her in sei­ner Stu­be, er grü­bel­te. Ja, er wür­de sich hin­set­zen, er wür­de jetzt einen an­ony­men Brief tip­pen. Er wür­de Batz­ke in die Pfan­ne hau­en.

Und er setz­te sich hin, und er tipp­te los und – hielt an. Fünf­tau­send Mark vom Schwär­zer, im Gan­zen, hat­te Batz­ke ge­sagt. Aber es wur­den Be­loh­nun­gen bei sol­chen Ein­brü­chen aus­ge­setzt. Zehn Pro­zent war das min­des­te, fünf­zehn­tau­send Mark, und recht­lich er­wor­ben. Recht­lich er­wor­ben!

Da war in sei­ner hin­ters­ten Hirn­kam­mer der Traum von dem klei­nen Zi­gar­ren­la­den mit Frau und Kin­dern. Man wür­de ihn ganz Rech­tens in Wahr­heit und Wirk­lich­keit um­set­zen kön­nen.

Er war auf­ge­stan­den. Er zer­riss das Ge­tipp­te in klei­ne Fetz­chen. Er mach­te die Ofen­tür auf und schloss sie erst wie­der, als er sich da­von über­zeugt hat­te, dass auch das letz­te Pa­pier­stück­chen ver­brannt war.

Nein, er muss­te war­ten, bis die Be­loh­nung aus­ge­setzt war. Ge­wiss, es war das Ri­si­ko da­bei, dass die Bul­len ihm auf die Spur ka­men, aber ohne je­des Ri­si­ko war über­haupt nichts. Und sie wür­den nicht da­hin­ter­kom­men. Gera­de dar­um nicht, weil er zu ih­nen kam.

Er geht wie­der auf und ab. Nun kann er es schon nicht mehr er­war­ten, dass die Abend­zei­tun­gen er­schei­nen. In den Abend­zei­tun­gen wird si­cher die Be­loh­nung ste­hen. Dann wird er noch heu­te Nacht ins Stadt­haus ge­hen, und Batz­ke wird er­wi­scht wer­den. Vi­el­leicht be­kommt Ku­falt be­reits Ende der Wo­che die Be­loh­nung, und er ist raus aus al­lem.

Plötz­lich ist Furcht wie­der da. Aber Furcht ei­ner an­de­ren Art. Po­li­zei ist tüch­tig, und Ga­no­ven sind schlimm. Alle sind Ver­rä­ter. Vi­el­leicht wis­sen noch an­de­re von dem, was Batz­ke vor­hat­te. Vi­el­leicht war­ten die an­de­ren nicht so lan­ge, viel­leicht sit­zen die schon auf dem Stadt­haus und neh­men Ku­falt sei­ne fünf­zehn­tau­send Mark fort.

Was hat er denn zu ver­ra­ten? Ei­nen ein­zi­gen Na­men – den Na­men Batz­ke. Er weiß die Hel­fers­hel­fer nicht, er weiß die Schwär­zer nicht. Er weiß nicht ein­mal, wo Batz­ke ge­wohnt hat, nur den einen Na­men weiß er. Der Name ist sein Ka­pi­tal, der Name ist sein Zi­gar­ren­la­den, sei­ne Zu­kunft. Den Na­men darf er sich nicht weg­neh­men las­sen. Er muss un­be­dingt so­fort ge­hen.

Er zieht den Man­tel an, er setzt den Hut auf, er steht zö­gernd in­mit­ten des Zim­mers.

Der Rausch der Geld­gier lässt einen Au­gen­blick nach, die Rach­sucht ebbt für eine Se­kun­de ab – dies kann schief­ge­hen, denkt er. Dies kann sehr schief­ge­hen.

Und doch geht er, zö­gert wie­der auf dem Flur, hört Frau Flee­ge in der Kü­che wirt­schaf­ten, und plötz­lich er­füllt ihn et­was wie eine lei­se Rüh­rung bei dem Ge­dan­ken an das alte, ver­run­zel­te Frau­en­ge­sicht.

Sie ist doch die ein­zi­ge, denkt er, die es mit mir gut meint. Er geht in eine Welt von Fein­den. Nur Schlau­heit und Kampf kön­nen hel­fen. Hier braucht er sie nicht.

Er öff­net die Tür zur Kü­che.

»Frau Pas­to­rin«, sagt er. »Ich gehe für ein paar Stun­den weg. Es kann aber auch län­ger dau­ern.«

Sie lä­chelt ihm freund­lich zu un­ter ih­rer Per­len­hau­be. »Ist es we­gen ei­nes En­ga­ge­ments?« fragt sie vor­sich­tig.

»Nein – doch – viel­leicht – viel­leicht kom­me ich heu­te gar nicht mehr wie­der. Nun, mei­ne Sa­chen sind ja gut bei Ih­nen auf­ge­ho­ben.«

»Herr Le­de­rer«, sagt die alte Frau und nimmt sei­ne Hand zwi­schen ihre bei­den al­ten, zitt­ri­gen Hän­de. »Ich wün­sche Ih­nen ja so viel Glück! So­viel Glück!«

4

»Sie kom­men we­gen des Ju­we­len­raubs bei Wos­sid­lo?« fragt der eine Be­am­te und sieht Ku­falt mus­ternd an. »Was soll’s denn sein?«

»Ich wollt mal fra­gen«, sagt Ku­falt, »ob schon eine Be­loh­nung aus­ge­setzt ist.«

»Nein«, sagt der Be­am­te kurz,

»Und es wird auch kei­ne?« fragt Ku­falt wie­der.

»Das kommt dar­auf an«, sagt der Be­am­te.

Ku­falt sind die mus­tern­den Bli­cke der bei­den Kri­mi­na­ler sehr un­an­ge­nehm. Je­den Au­gen­blick kann sich ei­ner von ih­nen an die Be­schrei­bun­gen er­in­nern. Wenn er sich doch we­nigs­tens noch vor­her einen an­de­ren Man­tel und einen an­de­ren Hut be­sorgt hät­te! Aber an nichts hat er ge­dacht. Wie blind ist er los­ge­lau­fen, hin­ter dem Geld her, das es nun viel­leicht nicht ein­mal ge­ben wird.

»Also denn«, sagt er, »viel­leicht kom­me ich noch mal wie­der.« Und steht auf.

»Halt, halt«, sagt der Be­am­te auf­ge­räum­ter, »nicht so ei­lig! Neh­men Sie sich doch eine Zi­ga­ret­te.«

Er ist mit sei­ner Prü­fung Ku­falts fer­tig ge­wor­den, un­ge­fähr zu dem rich­ti­gen Er­geb­nis ge­kom­men und hält den Fall wei­te­rer Rück­spra­che für wert.

»Wenn nun also eine Be­loh­nung aus­ge­setzt wäre, könn­ten Sie uns da et­was über den Ju­we­len­raub bei Wos­sid­lo er­zäh­len?«

»Ich weiß noch nicht«, sagt Ku­falt kühl. »Das kommt ja auch auf die Be­loh­nung an.«

»Hö­ren Sie mal«, greift der zwei­te Be­am­te ein. »Das ist Ih­nen ja wohl be­kannt, jun­ger Mann, dass Sie, wenn Sie von ei­nem Ver­bre­chen Kennt­nis ha­ben, aus­sa­gen müs­sen. Sonst ma­chen Sie sich straf­bar.«

»Das weiß ich«, sagt Ku­falt. »Ich weiß aber auch nichts an­de­res, als was in den Zei­tun­gen steht. Ich könn­te nur viel­leicht was er­fah­ren, weil ich näm­lich in den Krei­sen Ver­bin­dun­gen habe.«

»Hö­ren Sie nicht auf den«, sagt der ers­te Be­am­te ver­mit­telnd, »der bul­lert im­mer gleich los. Ja, mit der Be­loh­nung ist das so, die Ver­si­che­rungs­ge­sell­schaft setzt ja tod­si­cher was aus. Aber viel­leicht ha­ben wir bis da­hin die Ker­le schon. Da ist es bes­ser, Sie ha­ben Ver­trau­en zu uns und er­zäh­len uns jetzt schon was. Wir hau­en Sie si­cher nicht übers Ohr.«

Und er sieht Ku­falt bie­der an.

»Nein, nein«, sagt Ku­falt ent­schie­den. »Ich weiß noch gar nichts. Ich woll­te nur mal rum­hor­chen, ob es sich lohnt für mich.«

Die Be­am­ten sit­zen sin­nend da und be­trach­ten sich ih­ren Ku­falt.

»Wür­den Sie was da­ge­gen ha­ben«, sagt der ers­te Be­am­te wie­der, »wenn Sie uns Ihren Na­men und Ihre Adres­se hier­lie­ßen? Es könn­te doch sein, dass wir Sie mal drin­gend brauch­ten. Wir wür­den uns auch nicht lum­pen las­sen.«

 

»Lie­ber nicht«, sagt Ku­falt. »Ich mel­de mich schon wie­der.«

»Ach so«, sagt der zwei­te Be­am­te bis­sig, »wenn das so ist …«

»Hö­ren Sie nicht auf den«, sagt der ers­te rasch, »wir kön­nen auch groß­zü­gig sein, wenn die Sa­che es wert ist. Wir kön­nen auch mal ein Auge zu­drücken, wenn Sie uns einen gu­ten Dienst leis­ten – so schlimm wird es ja nicht sein, nicht wahr?«

»Es ist über­haupt nichts«, sagt Ku­falt auf­ge­regt. »Aber ich will in mei­ner Woh­nung nichts mit der Po­li­zei zu tun ha­ben.«

Er setzt ru­hi­ger hin­zu: »Wir­tin­nen sind in so was ko­misch.«

Aber er denkt an sei­ne Hand­ta­schen im Kof­fer und ver­flucht sich, dass er nicht ein­mal die be­sei­tigt hat. Er muss wie ver­hext sein in der letz­ten Zeit.

»Also mit der Adres­se ist es auch nichts«, sagt der Be­am­te be­trübt. »Viel ha­ben wir ja heu­te nicht von Ih­nen er­fah­ren.«

Er sitzt da und denkt nach. Plötz­lich hat er ent­schie­den eine Idee. Er steht auf und sagt rasch: »Ei­nen Au­gen­blick mal, ich kom­me gleich wie­der.«

Er ver­schwin­det aus dem Zim­mer.

»Aber ich habe kei­ne Zeit mehr«, ruft Ku­falt ihm has­tig nach.

Doch der an­de­re ist schon weg, und er muss hier sit­zen mit dem Rü­pel von zwei­tem Be­am­ten, der ihn un­ver­wandt an­starrt.

»Ich möch­te gern ge­hen«, sagt er hilf­los. Er hat nur Angst, dass der an­de­re mit ei­nem Haft­be­fehl wie­der­kommt. Er ver­flucht sich, dass er hier­her ge­gan­gen ist. Er sieht ein, dass er es ganz dumm an­ge­fan­gen hat.

»Ich möch­te ge­hen«, sagt er noch ein­mal.

Der an­de­re sagt gar nichts, son­dern sieht ihn nur im­mer wei­ter an. Un­ter dem dün­nen, röt­li­chen Schnurr­bart er­scheint ein Lä­cheln …

Vi­el­leicht hat er jetzt raus, wer ich bin, denkt Ku­falt.

»Also ich gehe denn jetzt«, sagt er noch ein­mal und steht auf.

»Wo ha­ben wir uns denn ei­gent­lich schon mal ken­nen­ge­lernt?« fragt der Be­am­te.

»Das be­stimmt nicht, Sie ver­wech­seln mich«, sagt Ku­falt sehr er­leich­tert. Denn das weiß er ge­nau, dass er au­ßer Herrn Specht kei­nen Ham­bur­ger Kri­mi­na­ler kennt.

»Mein Lie­ber«, sagt der Be­am­te sehr über­le­gen, »ich kom­me doch gleich da­hin­ter. Blei­ben Sie nur noch einen Au­gen­blick so ste­hen.«

»Da­rum noch eine Stun­de!« er­klärt Ku­falt. »Aber ich will jetzt nach Haus.«

Doch es wird nichts dar­aus. Denn der an­de­re Be­am­te kommt wie­der her­ein, strah­lend ver­gnügt.

»Hö­ren Sie mal zu, mein Lie­ber«, sagt er. »Ich hab mich er­kun­digt. Es sind noch ein paar For­ma­li­tä­ten zu er­le­di­gen. Aber zehn­tau­send Mark wer­den auf die Er­lan­gung der Beu­te aus­ge­setzt.« Er nimmt sich einen Stuhl.

»Wis­sen Sie«, sagt er ge­müt­lich, »da müs­sen wir nun ein biss­chen fix ar­bei­ten, dass die Ben­gels nicht dazu kom­men, die Sore erst in al­ler Welt zu ver­scheu­ern. Jetzt wer­den sie wohl noch beim Tei­len sein, und wir krie­gen den gan­zen Klum­patsch auf ein­mal. Das wä­ren zehn­tau­send Mark für Sie, wir Be­am­te sind ja im­mer Nee­se. Wie ist das also?«

»Ich müss­te mal hor­chen ge­hen«, sagt Ku­falt zö­gernd.

»Nee, nee, mein Lie­ber«, sagt der an­de­re ener­gisch, »so las­se ich Sie nun doch nicht wie­der raus. Aber ich will Ih­nen einen Vor­schlag ma­chen, ich bin gar nicht so. Sie sol­len nichts sa­gen müs­sen, kei­ne Na­men, nicht, wer Sie sind, nicht, wo Sie woh­nen. Und ich gebe Ih­nen mein Ehren­wort als Be­am­ter, ich las­se Sie un­be­ob­ach­tet wie­der ge­hen. Aber …«

Er holt tief Atem. Ku­falt sieht ihn ge­spannt an.

»… aber Sie gu­cken sich jetzt mal in un­se­rer Ge­gen­wart un­ser net­tes Bil­der­al­bum an. Sie wis­sen schon, was ich mei­ne. Und wenn Sie den Mann drin se­hen, der das Ding ge­dreht hat, dann schla­gen Sie das Al­bum zu und sa­gen: ›Er ist drin.‹ Wei­ter nichts. Wei­ter wol­len wir nichts von Ih­nen. Dann lass ich Sie ge­hen, und zwei­hun­dert Mark krie­gen Sie auch noch. A con­to …«

»Aber ich kenn den Mann ja noch gar nicht«, pro­tes­tiert Ku­falt.

»Las­sen Sie das man un­se­re Sor­ge sein«, sagt der Be­am­te. »Sie wer­den sich doch gern mal so ein paar Fo­to­gra­fi­en an­se­hen? Das ist hoch­in­ter­essant.«

»Aber es hat kei­nen Zweck«, sagt Ku­falt hilf­los.

»Zweck oder nicht«, sagt der Be­am­te plötz­lich streng, »ohne das blei­ben Sie hier.«

Aber er lä­chelt schon wie­der und legt säu­ber­lich zwei Hun­dert­mark­schei­ne auf den Tisch. Ku­falt be­trach­tet sie zö­gernd.

»Na, nun man los«, sagt der Be­am­te. »Über­le­gen Sie sich doch die Ge­schich­te nicht so lan­ge. Das ist doch ein kla­res und gu­tes Ge­schäft. Wel­chen Band soll ich denn ho­len las­sen?«

»Ich weiß nichts«, sagt Ku­falt stör­risch.

»Und die Brü­der ver­scheu­ern un­ter­des die Sore«, sagt der Be­am­te em­pört. »Wo Sie so schö­nes Geld ver­die­nen kön­nen. Sie brau­chen gar nichts zu sa­gen. Soll ich A ho­len las­sen? Soll ich B ho­len las­sen?«

»Hmhm.«

»Aha! B sind nun aber meh­re­re Bän­de. Na, se­hen Sie sich meh­re­re Bän­de an. Sie brau­chen ja über­haupt nichts zu re­den.«

Ku­falt sitzt mür­risch da. Er hat das Ge­fühl, er ist rein­ge­fal­len. Er sitzt in ei­ner Sack­gas­se ohne Aus­weg. Er ist eben im­mer nicht schlau ge­nug. Für kei­nen. We­der für Batz­ke noch für die­se hier.

Was hel­fen ihm zwei­hun­dert Mark?! Aber er muss, sonst las­sen sie ihn nicht lau­fen.

»Brin­gen Sie also B«, sagt er und schwört sich zu, nichts zu ver­ra­ten. Den Band zu­klap­pen, ob nun Batz­kes Bild drin ist oder nicht, sa­gen: ›Er ist drin‹, und an ir­gend­ei­ner be­lie­bi­gen Stel­le zu­klap­pen. Dann we­nigs­tens die zwei­hun­dert Mark neh­men, da­mit er was hat, und fort. Und mit al­len Ver­kehrs­mit­teln nach Haus, durch alle Wa­ren­häu­ser hin­durch. Im Chi­nahaus an der Mön­cke­berg­stra­ße mit dem Pa­ter­no­s­ter rauf und run­ter, dass sie jede Spur von ihm ver­lie­ren, und dann nie wie­der!

Mit Be­dacht wählt er den Band, der mit Bi an­fängt, blät­tert, prüft lan­ge, sieht alle die­se Ge­sich­ter an, die teil­wei­se ver­zerrt grin­sen, mit her­auf­ge­zo­ge­nen Mund­win­keln, mit Gri­mas­sen, alle ge­zwun­gen fo­to­gra­fiert.

Und wäh­rend er die­se Hun­der­te von Ge­sich­tern be­trach­tet, durch­schnitt­li­che, böse und net­te, über­kommt ihn die Neu­gier­de, ob Batz­ke wirk­lich der große Ga­no­ve ist, als der er sich im­mer auf­ge­spielt hat. Und er nimmt den Band Ba zur Hand und blät­tert, und auf der drit­ten Sei­te sieht er den Herrn Freund, im Pro­fil und en face,1 von rechts und von links, in Ge­mein­schaft ei­ni­ger an­de­rer Ba’s.

»Dan­ke schön«, sagt der Be­am­te freund­lich. »Hier sind auch Ihre zwei­hun­dert Mark. Sie se­hen, wir sind im­mer an­stän­dig. Also, denn auf Wie­der­se­hen. Sie kön­nen un­ge­hin­dert nach Haus.«

Ku­falt sieht die bei­den zu­frie­den grin­sen­den Ge­sich­ter der Krim­schen. Er möch­te noch et­was sa­gen, schrei­en vor Wut, dass er sich so däm­lich hat über­töl­peln las­sen. Aber dann reißt er nur sei­ne Schei­ne vom Tisch und rennt aus dem Zim­mer, in­des er hin­ter sich die Be­am­ten la­chen hört, aber der­ar­tig blöd­sin­nig la­chen hört …!

1 in ge­ra­der An­sicht <<<

5

Hun­dert Mark von dem neu­er­wor­be­nen Gel­de legt Ku­falt so­fort in Man­tel und Hut an. Er be­saß einen schwar­zen Pa­le­tot. So kauf­te er sich nun einen hell­brau­nen, wei­ten Raglan. Er be­saß einen klei­nen blau­grau­en Filz­hut und er­warb sich nun einen großen schwar­zen Schlapp­hut. Das ließ er ein­pa­cken und in sei­ne Woh­nung schi­cken.

Als er wei­ter­ging – es war nun schon spä­ter Nach­mit­tag ge­wor­den –, kam er erst dar­auf, wie un­über­legt er wie­der ge­han­delt hat­te. Jetzt kann­te ihn die Po­li­zei doch schon in sei­nem schwar­zen Uls­ter und sei­nem Filz­hüt­chen. Die wür­den sich gleich über­le­gen, was das wohl für eine Be­wandt­nis mit dem neu­en Man­tel hät­te.

Und noch düm­mer war es ge­we­sen, im Wa­ren­haus Na­men und Adres­se an­zu­ge­ben. War ihm ei­ner nach­ge­gan­gen, so wuss­ten die nun Be­scheid. Die Hand­ta­schen aber steck­ten im­mer noch im Kof­fer.

Trotz­dem ging er noch nicht nach Haus. Es war nun ein­mal so, al­les ging ver­quer, und al­les Auf­pas­sen nütz­te nichts. Ent­we­der kam er gut her­aus, oder er kam schlecht her­aus. Er muss­te bei­des hin­neh­men. Viel dazu tun konn­te er nicht.

Ei­gent­lich hät­te er Mit­tag es­sen müs­sen. Aber er hat­te kei­ne Lust dazu. Der Ap­pe­tit war weg. Er wür­de lie­ber ein paar Schnäp­se trin­ken.

Er trank sie. Gleich sah die Welt wie­der an­ders aus. Er hat­te reich­lich Geld bei sich, ganz un­er­war­te­tes Geld, und er wür­de im­mer wie­der neu­es Geld be­kom­men, wenn er es brauch­te. Es kam schon nicht dar­auf an. Er konn­te nun end­lich ein­mal mit sei­nem Gel­de tun, was ihm Spaß mach­te. So lan­ge war er nicht mit Mäd­chen zu­sam­men ge­we­sen, über­haupt nicht seit sei­ner Haft. Nein, über­haupt nicht seit sei­ner Ver­haf­tung vor nun bei­na­he sechs Jah­ren – er wür­de ein­mal rich­tig mit ei­nem Mäd­chen aus­ge­hen.

Und er schlug den Weg zur Ree­per­bahn ein.

Wäh­rend des We­ges fiel ihm ein, dass er doch mit Mäd­chen zu­sam­men ge­we­sen war, mit der Lie­se, mit der Hil­de, mit der Ilse. Aber ir­gend­wie schi­en das nichts zu be­deu­ten, oder viel­mehr et­was ganz an­de­res zu be­deu­ten. Er ver­stand es nicht recht, aber wenn er an die Mäd­chen dach­te, muss­te er auch an die Hand­ta­schen den­ken. Und das hat­te doch wirk­lich nichts mit­ein­an­der zu tun.

Auf der Ree­per­bahn wa­ren die rich­ti­gen Lo­ka­le nicht. Sie sa­hen alle nach Frem­den­fang und Nepp aus, oder sie schie­nen ihm zu um­ständ­lich. Und dann war es ko­misch, dass die Mäd­chen, die sich auf der Stra­ße her­um­trie­ben und ihn an­quatsch­ten, plötz­lich auch nichts be­deu­te­ten. Es war, als hät­ten auch hier sei­ne nächt­li­chen Wege Hin­der­nis­se ge­schaf­fen. Er wur­de wü­tend, wenn er an­ge­spro­chen wur­de. Hät­te nicht min­des­tens er sie an­spre­chen müs­sen?

Schließ­lich saß er im ers­ten Stock ei­nes Cafés auf der Gro­ßen Frei­heit. Es war ge­ra­de die rich­ti­ge Sor­te Lo­kal, mit Ni­schen, in de­nen ver­häng­te Lam­pen leuch­te­ten, mit klei­nen Mäd­chen, die nicht zu groß auf­ge­macht wa­ren.

Er konn­te ja jetzt gut mit ih­nen schwat­zen. Er er­kun­dig­te sich nach dem Ge­schäfts­gang. Er frag­te sie nach Stub­ben und Sten­zen. Und dann spra­chen sie über das schlech­te Wet­ter, und ob sie heu­te Abend noch wei­ter­ge­hen woll­ten, ob sie über­haupt zu­sam­men­blei­ben woll­ten. Und er ent­warf ein Pro­gramm, mit Abendes­sen und Kino da­nach.

Da­zwi­schen tran­ken sie vie­le Li­kö­re, und das Mäd­chen tau­te auf und küss­te ihn ab, was gar nicht an­ge­nehm war, und sie rief mit hel­ler, al­ber­ner Stim­me: »Ach, bist du süß! Nein, bist du ko­misch!«

Er re­de­te und sprach und gab an und er­zähl­te Witz­chen und lach­te, aber da­zwi­schen dach­te er im­mer wie­der, wie dumm und lang­wei­lig doch al­les war und wie sei­ne nächt­li­chen Gän­ge zehn­mal schö­ner sei­en, und dass er sie nicht woll­te und dass er kei­ne woll­te. Ein­mal stand er da­zwi­schen auf und ging an sei­nen Man­tel. Er nahm die Zi­ga­ret­ten her­aus, die noch dar­in wa­ren, auch das Ta­schen­tuch, auch die Schlüs­sel. Und nun hing der schwar­ze Pa­le­tot leer an sei­nem Gar­de­ro­ben­stän­der.

Kur­ze Zeit dar­auf woll­te das Mäd­chen für einen Au­gen­blick raus, und er fing einen necki­schen Streit mit ihr an, ob sie auch wie­der­käme. Er tat so, als traue er ih­rer Treue nicht ganz, als glau­be er, sie wol­le sich nun ver­drücken, nach­dem er zehn oder zwölf Li­kö­re aus­ge­ge­ben hat­te. Und er er­reich­te schließ­lich, dass sie ihm la­chend ihre Ta­sche als Pfand daließ. »Reich wirst du aber nicht da­mit!«

Er hat­te beim Her­auf­ge­hen ge­se­hen, die Toi­let­ten la­gen auf der hal­b­en Trep­pe. Und kaum war sie aus dem Lo­kal, so stand auch er auf (die Hand­ta­sche hat­te er un­ter das Jackett ge­scho­ben), sag­te zu dem Ober: »Se­hen Sie ein biss­chen auf mei­nen Man­tel«, und stieg die Trep­pe hin­un­ter.

Aber er ging an den Toi­let­ten vor­bei, rasch auf die Stra­ße, dräng­te sich ei­lig das kur­ze Stück bis zur Rei­chen­stra­ße durch, nahm ein Auto und fuhr nach Haus.

 

Moch­ten die sich an Man­tel und Hut des Hand­ta­schen­räu­bers freu­en. Moch­ten die noch eine Be­schrei­bung von ihm be­kom­men! Ent­we­der war er Ende die­ser Wo­che aus Ham­burg fort, oder es war doch al­les vor­bei.