Hans Fallada – Gesammelte Werke

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5

Ein Weil­chen ge­hen sie auf der Stra­ße still­schwei­gend ne­ben­ein­an­der.

Dann sagt Ku­falt: »Wenn Sie mich der mor­gen noch mal vor­füh­ren, Herr Kri­mi­nal­as­sis­tent, bin ich hops. Dann er­kennt sie mich be­stimmt wie­der.«

Und, da der an­de­re nicht ant­wor­tet: »Wo sie mich heu­te den gan­zen Abend be­glotzt hat.«

»So«, sagt Herr Bröd­chen nur.

Dann, nach ei­ner Wei­le: »Sie ha­ben schö­ne Be­grif­fe von un­se­rer Ar­beit. Sie den­ken auch, Sie sind al­lein schlau.«

»Und was den­ken Sie?«

»Jetzt denk ich, Sie sind gar nicht aus­ge­kocht, jetzt denk ich, Sie sind dumm. Und Dum­me ma­chen im­mer die meis­te Ar­beit.«

Pau­se. Sie ge­hen wie­der schwei­gend ne­ben­ein­an­der.

»Wo ge­hen wir ei­gent­lich hin?« fragt Ku­falt.

Bröd­chen brummt nur.

»Sie las­sen mich doch wie­der lau­fen? Die Olle heu­te be­weist doch gar nichts.«

Aber auch dar­auf ant­wor­tet Herr Bröd­chen nicht.

Sie ge­hen in das Zen­trum der Stadt, über den Markt­platz, in das Rat­haus, durch die Po­li­zei­wa­che, in der auf Prit­schen ein paar Stadt­sol­da­ten lie­gen, eine halb­dunkle Trep­pe hin­auf – und Bröd­chen stößt die Tür zu ei­nem schma­len klei­nen Büro auf. Hier sitzt hin­ter ei­ner Schreib­ma­schi­ne ein Po­li­zist, ein Ober­wacht­meis­ter, Ku­falt kennt die Ab­zei­chen.

»Set­zen Sie sich!« sagt Bröd­chen zu Ku­falt. Und un­ge­dul­dig: »Also set­zen Sie sich schon! – Wre­de, die­ser Herr darf nicht …«

»Weiß Be­scheid«, sagt der Ober­wacht­meis­ter Wre­de gleich­mü­tig und tippt wei­ter.

»Ich geh mal ’nen Au­gen­blick zum Chef rein«, er­klärt Bröd­chen und ver­schwin­det durch eine Pols­ter­tür im Ne­ben­bü­ro.

Eine Wei­le sitzt Ku­falt dö­send da. Er möch­te ger­ne auf die Stim­men im Büro ne­ben­an lau­schen, aber die Pols­ter­tür ist zu dick, und die Ma­schi­ne klap­pert zu sehr – so bleibt ihm nichts als das Dö­sen: Las­sen sie dich raus? Na­tür­lich las­sen sie dich raus, ist ja gar kein Be­weis da!

Es dau­ert lan­ge Zeit, schließ­lich steht Ku­falt auf und fängt an, hin und her zu ge­hen.

»Von der Tür weg! Set­zen!« ruft der Mann an der Schreib­ma­schi­ne scharf, und Ku­falt setzt sich und döst wei­ter: Na­tür­lich las­sen sie dich raus. Da komm ich gra­de noch recht zu Hil­de.

Wie­der ver­geht eine end­lo­se Zeit, dann tut sich die Pols­ter­tür auf, und mit Herrn Bröd­chen er­scheint ein großer ge­wich­ti­ger Mann in Po­li­zei­uni­form.

Ku­falt springt auf und nimmt sei­ne Ha­bacht­stel­lung ein, die er im Kitt­chen ge­lernt hat.

Aber der Po­li­zei­of­fi­zier be­trach­tet ihn nur flüch­tig.

»Also vor­läu­fig in Po­li­zei­ge­wahr­sam«, sagt er.

»Aber …«, fängt Ku­falt fast schrei­end an.

»Ab­füh­ren!« sagt der Of­fi­zier scharf und ver­schwin­det durch die Pols­ter­tü­re.

Der Ober­wacht­meis­ter ist von sei­ner Ma­schi­ne auf­ge­stan­den und nimmt von ei­nem Brett Schlüs­sel.

»Herr As­sis­tent!« schreit Ku­falt. »Sie wis­sen doch selbst, ich bin’s nicht ge­we­sen. Las­sen Sie mich doch raus, ich lauf Ih­nen be­stimmt nicht weg. Sie wis­sen doch, ich muss heu­te noch …«, sehr lei­se, »… zu mei­ner Braut. Ma­chen Sie mir doch nicht al­les ka­putt!«

»Aber was sind denn das für Zi­cken, Ku­falt«, sagt Bröd­chen. »Was macht Ih­nen eine Nacht im Kitt­chen schon aus! Wenn Sie wirk­lich un­schul­dig sind, kom­men Sie mor­gen wie­der raus. Und für die Auf­klä­rung ist es bes­ser, Sie sind uns erst ein­mal aus dem Wege.«

Er ver­stummt, dann sagt er ge­schäfts­mä­ßig: »Au­ßer­dem be­steht Ver­dun­ke­lungs­ge­fahr und Flucht­ver­dacht. – Ab­füh­ren, Wre­de!«

»Mit­kom­men!« sagt Wre­de. »Na, ein biss­chen dal­li! Ich habe heu­te Abend noch mehr zu tun.«

Sie ge­hen über einen dunklen Hof, eine Ei­sen­tür klirrt, der Wacht­meis­ter knipst Licht an, ein Stein­flur, die ge­lieb­ten Git­ter­stä­be, eine Zel­len­tür …

»Ge­heizt ist nicht«, sagt Wre­de zö­gernd. »Na, die eine Nacht geht es schon mal. Ich gebe Ih­nen eine De­cke mehr. Wol­len Sie noch et­was es­sen? Ei­nen Kan­ten Brot kann ich Ih­nen ge­ben. Sup­pe ist schon ver­teilt. Le­gen Sie al­les aus den Ta­schen raus. So. In fünf Mi­nu­ten hole ich Ho­sen­trä­ger und Schlips und ma­che das Licht aus. Ein biss­chen dal­li also!«

Es ist nicht ganz dun­kel in der Zel­le, die­ser Eis­gruft. Die Ho­f­lam­pe wirft einen fah­len Schein ge­gen die De­cke. Ku­falt hockt, vor Käl­te am gan­zen Lei­be zit­ternd, auf sei­nem La­ger und starrt ge­gen die graue Wand.

Was macht Ih­nen eine Nacht im Kitt­chen aus! – Was macht Ih­nen schon eine Nacht im Kitt­chen aus! – Was macht Ih­nen eine Nacht im Kitt­chen schon aus!

Eine un­säg­li­che Wut er­füllt ihn. Nein, es ist nicht nur die Käl­te, die ihn so zit­tern macht.

War­tet nur, wenn ich wie­der raus bin, ihr sollt se­hen …!

Und im­mer wie­der: Was macht Ih­nen eine Nacht im Kitt­chen schon aus!

Spä­ter hört er die Feu­er­wehr klin­geln.

Ja, das wäre schon das Rich­ti­ge, Bruhn hat ganz recht: Al­les ab­bren­nen … tot­schla­gen muss man euch alle, ihr Speck­jä­ger! Was macht Ih­nen eine Nacht im Kitt­chen schon aus …

6

Die Feu­er­wehr, die Ku­falt hat­te klin­geln hö­ren, fuhr zur Holz­wa­ren­fa­brik. Es brann­te. Ja, nun brann­te es – und einen lan­gen, bit­te­ren Weg hat­te der klei­ne see­hunds­köp­fi­ge gut­mü­ti­ge Emil Bruhn ge­hen müs­sen, bis es zu die­sem Bran­de kam, sei­net­we­gen, aber nicht durch ihn.

Al­ler­dings hat­te er sich ge­irrt, da­mals, als er er­zähl­te, die Werk­lei­tung hiel­te ihn we­gen sei­ner Äu­ße­rung über leicht brenn­ba­re Holz­wa­ren­fa­bri­ken. Nein, so et­was und Ähn­li­ches hör­te man dort nicht all­zu sel­ten, Hun­de, die bel­len, bei­ßen nicht, und für den schlimms­ten Fall war man aus­rei­chend ver­si­chert.

Nein, man hielt ihn al­lein dar­um, weil er wirk­lich ein au­ßer­ge­wöhn­lich tüch­ti­ger Ar­bei­ter war, dazu noch ein Wüh­ler, Ro­bo­ter, wie er sich selbst ge­nannt hat­te. Ei­nen An­trei­ber wie ihn – noch dazu einen so bil­li­gen – fand man in zehn Jah­ren nicht wie­der!

Be­denk­lich wur­de die Sa­che erst, als sein Saal wirk­lich an­fing, schlecht ab­zu­lie­fern, als man auf die von Bruhn or­ga­ni­sier­te Sa­bo­ta­ge der Ar­beit stieß.

Da­mals hat­te Bruhn wirk­lich di­rekt vor ei­nem Hin­aus­wurf ge­stan­den. Aber im­mer wie­der hemm­te der Ge­dan­ke an den wirk­lich un­er­setz­ba­ren Ar­bei­ter. Es muss­te doch mög­lich sein, die­sen Kerl klein­zu­krie­gen!

Es war ein Buch­hal­ter, ein gal­li­ger, gel­ber äl­te­rer Lohn­buch­hal­ter, der den Vor­schlag mach­te, Bruhns Le­bens­lauf sei­nen Ar­beits­kol­le­gen be­kannt­zu­ge­ben, ihn da­durch zu iso­lie­ren und auf die Werk­lei­tung als sei­nen ein­zi­gen Schutz zu ver­wei­sen. Zur Ehre der Fir­ma Ste­gu­weit muss ge­sagt wer­den, dass die­ser Vor­schlag ab­ge­lehnt wur­de. Man kann­te den Buch­hal­ter, der, nied­rig be­zahlt, von ei­nem grim­mi­gen Hass ge­gen je­den gut ver­die­nen­den Ar­bei­ter, des­sen Lohn er auch noch er­rech­nen muss­te, er­füllt war. Man amü­sier­te sich über ihn und be­hielt ihn, weil man bei ihm voll­kom­men si­cher war, es wur­de kein Pfen­nig zu viel aus­be­zahlt. Aber so et­was woll­te man nun doch nicht.

Statt­des­sen be­sann man sich auf einen ge­wis­sen pol­ni­schen Wan­der­ar­bei­ter Ka­nia, der an der Ho­bel­ma­schi­ne ein nicht völ­lig aus­ge­nutz­tes Da­sein führ­te. Ka­nia, ge­gen Vor­ge­setz­te schmeich­le­risch, de­vot, zu je­dem Dienst und je­der un­be­zahl­ten Über­stun­de be­reit, hass­te nie­man­den so sehr wie sei­ne ei­ge­nen Ar­beits­kol­le­gen, die er als dumm, nicht streb­sam und un­tüch­tig ver­ach­te­te. Im­mer be­reit, sie zu de­nun­zie­ren, ih­nen Scha­den zu­zu­fü­gen, war er der ge­bo­re­ne Vor­ar­bei­ter, der an nichts als an sei­ne Fa­brik und da­mit an sein Vor­wärts­kom­men denkt, bis er der­mal einst sein Ide­al ei­ner Zwei­zim­mer­woh­nung mit Ra­dio und Plüsch er­reicht hat.

Ihn dem Bruhn vor die Nase zu set­zen und die bei­den zu ei­nem ir­ren Wett­streit an­zu­trei­ben wür­de im In­ter­es­se der Ar­beit das Be­kömm­lichs­te sein.

Lei­der ka­men bei­de Plä­ne zur Aus­füh­rung, und zwar der des gal­li­gen Lohn­buch­hal­ters noch eher als der der Werk­lei­tung. Dem Zah­len­knecht hat­te es kei­ne Ruhe ge­las­sen, dass sein aus­ge­zeich­ne­ter Vor­schlag ab­ge­lehnt wor­den war. Heim­lich hetz­te er die Ar­bei­ter ge­gen Bruhn. Der aber er­gab sich nicht. Ja, es glück­te ihm so­gar, eine klei­ne Grup­pe in der Werk­statt zu bil­den, die auf sei­ner Sei­te stand und der grö­ße­ren Par­tei der Läs­te­rer al­les zu­lei­de tat, was nur mög­lich war. Die Stun­den, die frü­her dem em­si­gen Zu­sam­menschla­gen von Fal­len­nes­tern ge­wid­met wa­ren, gal­ten jetzt nur dann die­ser Be­schäf­ti­gung, wenn ge­ra­de das Auge ei­nes Werk­meis­ters auf der Be­leg­schaft ruh­te. Kaum kehr­te der Mann den Rücken, be­gan­nen die Feind­se­lig­kei­ten neu, die bis zum Auf­bre­chen von Klei­der­schrän­ken und zum Ver­wüs­ten ih­res In­hal­tes gin­gen, bis zum Be­schä­di­gen der Trans­mis­si­ons­lei­tun­gen, da­mit der Geg­ner von ei­nem schla­gen­den Rie­men er­wi­scht und ins Ge­trie­be ge­zo­gen wur­de. Häm­mer flo­gen un­ver­se­hens durch die Luft, und das Schimpf­wort »Raub­mör­der«, halb­laut ge­sagt, ge­nüg­te, um eine Schlacht zu ent­fes­seln.

Dazu ka­men stän­di­ge Pe­ti­tio­nen der stär­ke­ren Grup­pe an die Werk­lei­tung, den »Raub­mör­der« so­fort zu ent­las­sen. Bles­su­ren wur­den ge­zeigt – er hat­te sie her­vor­ge­ru­fen. Geld fehl­te – er hat­te es ge­stoh­len. An­zü­ge wa­ren von Säu­re zer­fres­sen – er al­lein be­saß eine Säu­re­fla­sche.

 

Da er­schi­en Ka­nia in der Werk­statt. Ka­nia war kein be­lie­bi­ger Ar­bei­ter, der bei den Fal­len­nes­tern be­schäf­tigt wur­de, mit Ka­nia hat­te die Werk­lei­tung et­was vor, das wuss­te der gan­ze Nes­ter­saal so­fort. Was – dar­über gin­gen die An­sich­ten aus­ein­an­der, aber dass es sich um Bruhn han­del­te, dar­über wa­ren sich alle klar.

Ka­nia trat auf, und da­mit kam es vor­erst ein­mal zu der von der Werk­lei­tung lan­ge er­sehn­ten Be­ru­hi­gung. Bei­de Par­tei­en war­te­ten ab. War Ka­nia ein­fach ein Auf­pas­ser, der al­les, was ge­sagt und ge­tan wur­de, der Lei­tung mel­den wür­de? Oder war er mehr? Er war je­den­falls ein be­schei­de­ner Mensch. Er kam von der Ho­bel­ma­schi­ne, er ver­stand nichts von Fal­len­nes­tern, die Kunst, Nä­gel im Ak­kord in Bret­ter zu trei­ben, war ihm fremd. Er pütt­jer­te so her­um, schiel­te rechts, schiel­te links – »der macht pro Tag ein Fal­len­nest«, schrie ei­ner, und alle lach­ten. Ka­nia lach­te auch. Zur Mit­tags­pau­se hat­te Ka­nia sein ers­tes Fal­len­nest fer­tig. »Aus­schuss, zu­rück!« sag­te der Werk­meis­ter, und Ka­nia lä­chel­te be­schei­den.

So­fort war man sich ei­nig, mit Ka­nia war nichts los, und am nächs­ten Tage schon war er eine ge­wohn­te Sa­che. Beim Re­gal für die Nä­gel ge­rie­ten Wil­li Blunck und Ernst Holt­mann an­ein­an­der.

»Brauchst mir auch nicht auf die Ze­hen zu ped­den!«

»Wer ped­det auf die Ze­hen? Du oder ich?«

Und trat ihm auf die Ze­hen.

»Dre­cki­ger Raub­mör­der!«

»Dre­cki­ger Ehe­bre­cher!« Denn Blunck war in einen Ehe­schei­dungs­pro­zess ver­wi­ckelt, von dem er ger­ne und nicht sau­ber er­zähl­te.

»Hal­lo, Bruhn!«

»Hal­lo, Sta­chu!«

»Lässt du den Wil­li los, ich schmeiß mit dem Ham­mer!«

»Wenn du mei­nen Ham­mer an dei­ne Bir­ne ha­ben willst …!«

»Dre­cki­ger Raub­mör­der!«

Et­was wie ein tie­ri­sches Ge­brüll er­tön­te. In das Knäu­el Strei­ten­der, schon sich Schla­gen­der sprang Ka­nia mit nack­ten Ar­men, nack­tem Hals.

»Hach!! Wer hier Raub­mör­der?! Du? Du auch? Da hast du! Willst du noch! Da hast du auch! Gehst du, dre­cki­ger Po­la­cke!« (Das galt Sta­chu und sprach für die Über­par­tei­lich­keit des kom­men­den Vor­ar­bei­ters.) »Wer will noch schla­gen? Ich mich im­mer schla­gen! Komm her du, wie heißt du?«

In drei Mi­nu­ten hat­te er das Knäu­el von zwan­zig Bal­gen­den auf­ge­löst. Blu­ti­ge Ge­sich­ter, zu­ge­schwol­le­ne Au­gen gab es ge­nug. Sta­chu hat­te einen Riss wie von ei­nem Schlag­ring über die gan­ze Ba­cke, Bruhn war un­ver­letzt weg­ge­kom­men.

Ka­nia schrie wie ein Ber­ser­ker: »Wenn ei­ner schla­gen, im­mer zu mir kom­men! Hach! Ich im­mer schla­gen! Wenn ei­ner Raub­mör­der, zu mir kom­men, ich ihn raub­mor­den! Wie heißt du, wie du kommst, Brust­kind, ich dich zer­schla­gen.« Und ru­hi­ger: »Mach, Bruhn. Was du ar­bei­ten, mir zei­gen. Was ich ar­bei­ten – Schei­ße! Du mir zei­gen! Rr­richt­je Ar­beit, ver­ste­hen?!«

Das gab es ein­mal und nicht wie­der. Es kam zu kei­ner neu­en Mas­sen­schlä­ge­rei. Es brauch­te nur eine klei­ne Rei­be­rei, ein kur­z­er Wort­wech­sel zu sein, schon er­tön­te das fürch­ter­li­che »Hach!« Ka­ni­as, und sein Ruf er­scholl: »Wie du hei­ßen, Hun­de­blut? Zu mir kom­men, ich dich schla­gen!«, und es war ru­hig. Das Wort »Raub­mör­der« ver­schwand aus dem Sprach­schatz der Nest­leu­te, die Sym­pa­thi­en zwi­schen Ka­nia und Bruhn wa­ren zu of­fen­sicht­lich.

Ka­nia war ein ge­leh­ri­ger Schü­ler Bruhns, und so­lan­ge er das war, herrsch­te Frie­de. Vi­el­leicht hat­te Ka­nia ge­hofft, Bruhn zu schla­gen, wenn er erst ein­mal ein­ge­ar­bei­tet war, und so glatt zum Vor­ar­bei­ter auf­zu­rück­en. Da­rin aber hat­te er sich ge­täuscht. Hier ent­schied eben nicht nur Kör­per­kraft, dar­in war Ka­nia dem Bruhn si­cher zwei-, drei­mal über­le­gen, vor al­lem ge­hör­ten eine an­ge­bo­re­ne Ge­schick­lich­keit, ein un­fehl­ba­res Auge, eine klu­ge Hand dazu.

So­lan­ge Bruhn den Ka­nia an­lern­te, hat­ten sie ihre Ar­beitsplät­ze ne­ben­ein­an­der ge­habt, dann, als Ka­nia merk­te, es gab nichts mehr zu ler­nen, ver­leg­te er sei­nen Ar­beits­platz ans an­de­re Ende des Saa­l­es, er sag­te, es sei ihm zu kalt am Fens­ter. Noch nann­ten sich die bei­den wei­ter Jo­sef und Emil und re­de­ten mit­ein­an­der wäh­rend der Mit­tags­pau­se, aber der Ton war küh­ler ge­wor­den. Bruhn spür­te, dass ihn Ka­nia nie aus den Au­gen ließ, er spür­te, wie je­des Nest, das er zu­sam­menschlug, ihm nach­ge­zählt wur­de, wie Ka­nia mit Auf­bie­tung al­ler Kraft ar­bei­te­te – und mit lä­cheln­der Leich­tig­keit schlug er Na­gel um Na­gel ein, half noch an­de­ren, und doch kam Ka­nia nie auch nur in die Nähe sei­nes Pen­sums. Saß Bruhn noch beim Es­sen oder stieß er noch schnell eine auf der Toi­let­te, so stand Ka­nia längst wie­der ver­bis­sen ar­bei­tend an sei­nem Tisch. Schließ­lich kam Bruhn, quatsch­te noch was, sah dem Ka­nia wo­mög­lich noch zu, griff end­lich zum Ham­mer, und kei­ne hal­be Stun­de, und Ka­nia war ein­ge­holt und hin­ten.

Nein, es gab nun nichts mehr von Schimpf­wor­ten und Schlä­ge­rei­en, aber ei­gent­lich spür­te je­der im Saal, dass et­was viel Schlim­me­res im Gan­ge war. Bruhn fühl­te den Hass auch, aber er nahm ihn nicht wich­tig. Er ver­trau­te da auf Ka­nia. Aber er hat­te nicht be­grif­fen, dass Ka­nia die An­grif­fe ge­gen ihn nur dar­um ge­stoppt hat­te, um der Werk­lei­tung sei­ne Au­to­ri­tät und da­mit sei­ne Eig­nung zum Vor­ar­bei­ter zu be­wei­sen. Für Ka­nia war es eine Le­bens­fra­ge, Bruhn zu schla­gen, er ver­stand ganz gut die Tak­tik der Vor­ge­setz­ten, sie bei­de ge­gen­ein­an­der aus­zu­spie­len. Er war sich klar dar­über, dass er sich selbst hel­fen muss­te, und das nicht auf den frü­he­ren We­gen.

An ei­nem Mit­tag ging Bruhn, kaum hat­te er sei­ne Bro­te ver­drückt, wie ge­wohnt auf die Toi­let­te, um eine Zi­ga­ret­te zu rau­chen. Er hat­te sich ein­ge­rie­gelt und war im schöns­ten Rau­chen, da hör­te er Wis­pern an der Tür. Dann er­schol­len dröh­nen­de Ham­mer­schlä­ge, und es war zu spät, als er sich ge­gen die Tür warf: Sie war ver­na­gelt.

Zwei oder drei Stun­den schrie er aus Lei­bes­kräf­ten, er hör­te, hol­te er Atem, die Ma­schi­nen sur­ren, die Treib­rie­men schla­gen und das Süt-Süt der Sä­ge­ma­schi­nen, ihn aber schi­en nie­mand zu hö­ren. Schließ­lich ver­lor er die Ge­duld und warf sich mit sei­nem kur­z­en stäm­mi­gen Kör­per ge­gen die Tür­fül­lung, die er auch zer­brach.

Er kam in den Saal, nie­mand schi­en ihn zu be­ach­ten, er ging an sei­nen Ar­beits­platz. Na­tür­lich war sein Hand­werks­zeug ver­schwun­den, der Werk­meis­ter nicht auf­zu­fin­den, und als er ihn nach ei­ner Stun­de Su­chen im Kes­sel­haus auf­ge­trie­ben hat­te und mit ihm in den Saal zu­rück­kam, lag das Werk­zeug schön or­dent­lich an sei­nem Platz. Un­ter­des­sen war aber die Mel­dung ein­ge­lau­fen, die Toi­let­ten­tür sei zer­bro­chen. Bruhns Be­teue­run­gen wur­den nicht be­ach­tet: Er hat­te mit ei­nem Wo­chen­lohn die zer­bro­che­ne Fül­lung zu be­zah­len.

We­ni­ge Tage dar­auf hat­te Bruhn et­was län­ger auf der Werk­statt ge­ar­bei­tet als die an­de­ren, sie wa­ren alle längst fort. Als er durch den ziem­lich dunklen Gang zwi­schen Ma­schi­nen­haus und Pfört­ne­rei ging, fiel plötz­lich von oben aus ei­nem dunklen Fens­ter ein Holz­klotz mit al­ler Wucht, die ihm ein kräf­tig schleu­dern­der Män­ne­r­arm ge­ben kann, auf sei­nen rech­ten Arm: Er hät­te einen schwä­che­ren Kno­chen wie den Bruhns glatt zer­bro­chen. Drei oder vier Tage konn­te er den Arm nicht be­we­gen, und auch als er wie­der in die Fa­brik kam, brauch­te er noch zwei Wo­chen, ehe er sei­ne alte Ar­beits­leis­tung wie­der er­reich­te.

In die­sen zwei Wo­chen tri­um­phier­te Ka­nia, fing wie­der an, mit Bruhn zu re­den, al­les schi­en in Ord­nung.

Aber dann be­gann es von Fri­schem. Es war si­cher längst nicht mehr nur ei­ner, der ihm nach­stell­te. Es muss­ten vie­le sein, viel­leicht alle. Es war eine Hetz­jagd; der In­stinkt die­ser Leu­te, zu ja­gen, war er­wacht, von al­len Ecken hetz­ten sie ihn.

Nir­gends war er mehr si­cher. Ob zu Haus, ob in der Werk­statt, im Kino, auf der Stra­ße – über­all ge­sch­a­hen ihm Din­ge. Sei­ne Fens­ter­schei­ben zer­bra­chen, ein Passant, den er si­cher nie vor­her ge­se­hen hat­te, schlug ihm den Hut in die Gos­se, Na­deln sta­chen ihn im Dun­keln, sei­ne Hem­den ver­schwan­den, der Ham­mer­kopf war im­mer lose, Glatteis lag auf den Stu­fen, kam er nachts zu­rück. Er konn­te in kein Lo­kal mehr ge­hen, eine dump­fe Mau­er von Feind­schaft um­stand ihn. Jetzt hät­te er Ku­falt ge­braucht, aber den hat­te er sich ver­scherzt. Er er­wog den Ge­dan­ken zu flie­hen, nach Ham­burg, nach Ber­lin, wo man nichts von ihm wuss­te, wo er un­ter­tau­chen konn­te, aber da war die Chan­ce beim Di­rek­tor, die er nicht preis­ge­ben moch­te, da war der Ehr­geiz, die­sen Ker­len nicht zu wei­chen.

Aber er war im­mer ver­zwei­felt. Er wuss­te längst nicht mehr, wie er dies er­tra­gen konn­te. Er ging zu­sam­men­ge­fal­len, gelb durch den Tag, er schlief nachts nicht, ohne an sei­nem ei­ge­nen Ge­schrei schreck­voll zu er­wa­chen. Die gan­ze Welt war sein Feind, und auf­at­men konn­te er nur, si­cher war er nur die kar­gen Mi­nu­ten, da er durch die Pfor­te der Ge­fan­ge­nen­an­stalt zum Be­such beim Di­rek­tor ein­ge­las­sen wor­den war.

Dort wur­de er ver­trös­tet.

In der letz­ten Zeit hat­te es da­mit an­ge­fan­gen, dass je­den Mor­gen, wenn Bruhn zur Ar­beit kam, sein Werk­tisch mit Kot be­schmutzt war. Er war rich­tig be­stri­chen da­mit, Bruhn hat­te un­ter dem schrei­en­den Pro­test der an­de­ren je­den Mor­gen eine hal­be Stun­de Was­ser zu tra­gen, zu wi­schen, zu scheu­ern, ehe er mit der Ar­beit an­fan­gen konn­te.

Bruhn moch­te so früh kom­men, wie er woll­te: Sein Werk­tisch war ver­dreckt.

Bruhn be­schwer­te sich bei der Lei­tung, man ließ ihm sa­gen, der Nacht­wäch­ter habe noch um halb sie­ben sei­nen Tisch sau­ber ge­fun­den, er möge ge­fäl­ligst pünkt­lich zur Ar­beit kom­men und im Üb­ri­gen sich so füh­ren, dass zu sol­chen Bu­ben­strei­chen ge­gen ihn kei­ne Ver­an­las­sung be­ste­he.

Bruhn war es klar, hier be­stand ein Kom­plott, und es war nur mög­lich, es auf­zu­de­cken, wenn er nachts in der Fa­brik den Tä­ter selbst er­wi­sch­te.

Ei­nes Nachts stieg er ein in die Fa­brik.