Der Sonderermittler

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Wechsel ins Ministerium für Staatssicherheit

Im Herbst 1966 war ich in der Haftanstalt Naumburg bei einer Beschuldigtenvernehmung bemüht zu begreifen, was der Häftling meinte, wenn er sagte: »Dann fasste ich sie bei den Rollhügeln …«. Er hatte eine Freundin beim Geschlechtsverkehr erwürgt. Ich wusste nicht, was an einer Frau der Rollhügel ist. Er war geistig nicht voll entwickelt, so hatte ich ohnehin Mühe zu begreifen, was er meinte. Als dann auch noch die Tür geöffnet wurde und mir ein Posten einen Zettel reichte, war ich zunächst etwas verärgert. Aber als ich las: »Sofort persönlich beim K-Leiter in Halle erscheinen«, war mir klar, dass es wieder irgendwo einen neuen Fall gegeben hatte. Ich brach die Vernehmung ab, ohne zu wissen, was ein Rollhügel ist, und fuhr nach Halle.

Im Zimmer des K-Leiters saßen zwei mir unbekannte Zivilisten. Mir wurde mitgeteilt, dass die Gäste Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit aus Berlin seien, die eine Unterredung mit mir führen wollten. So gingen wir in mein Zimmer.

Beide stellten sich als Mitarbeiter der Kaderabteilung des MfS vor, und nach einigen belanglosen Worten stellten sie die Frage, ob ich bereit sei, in das Ministerium zu wechseln. Dort würde eine Spezialabteilung aufgebaut, in der hauptsächlich erfahrene Kriminalisten aus der gesamten DDR arbeiten würden. Ich sei vorgesehen, in einem Referat zur Untersuchung von Tötungsdelikten Dienst zu verrichten, und sollte das mit meiner Frau bereden. Der Wechsel könne im Frühjahr 1967 erfolgen, ich bekäme eine Wohnung in Berlin und alles andere würde durch das Ministerium geregelt. Am nächsten Tag sollte ich dem K-Leiter die Entscheidung mitteilen. So war nach einer halben Stunde die Unterredung beendet.

Für mich war dieses Angebot auch eine Anerkennung meiner bisherigen Untersuchungstätigkeit. Es gab für mich keine andere Antwort, als dieses Angebot anzunehmen. Meine Ehefrau war aber nicht so begeistert wie ich. Unser Sohn hatte bald Jugendweihe, die er dann in einer fremden Umgebung feiern würde. Doch es gab keinen Streit.

Aber vor dieser Entscheidung von meiner Ehefrau und mir hatten wir schwierige Gespräche mit unserem Sohn Udo, unserem einzigen Kind. Er war zwölf Jahre alt und wollte seine Klassenkameraden nicht verlassen. Wir hatten große Mühe, ihn für den Umzug zu begeistern. Doch die größten Schwierigkeiten hatten wir mit der Mutter meiner Frau. Sie weinte um ihren Udo, an welchem sie abgöttisch hing. Sie war jahrelang mit der Straßenbahn in unsere Wohnung gefahren, hatte dort den schlafenden Jungen von meiner Ehefrau übernommen, ihn den ganzen Tag betreut, mit ihm gespielt, gesungen und geweint und sollte sich nun von ihm trennen. Abends hatte sie, als Udo noch klein war, ihn an meine Ehefrau in unserer Wohnung übergeben und ihn später, als er schon laufen konnte, zur Straßenbahn gebracht, wo ihn meine Frau, aus den Bunawerken kommend, wieder übernahm.

Es waren lange und schwierige Gespräche nötig, um ihre Zustimmung zu erlangen. Mit meinem Schwiegervater hatten wir weniger Mühe. Er verstand das als Befehl, den man ausführen müsse, auch wenn es Härten gäbe. Und so gingen wir auf die Dinge, die da kommen sollten, zu, ohne richtige Vorstellung davon, wie sich unsere Zukunft gestalten würde.

Bei der Verabschiedung in sehr kleinem Kreis erhielt ich eine Urkunde »Für ehrenvolle Pflichterfüllung in den Organen des Ministeriums des Innern.« Am 1. April 1967 fuhr ich mit der Bahn nach Berlin und fragte mich zum Ministerium durch. Ich wurde dort in einem etwas abseits gelegenen Zimmer von einem mürrischen Kaderoffizier empfangen und über die Wichtigkeit des MfS und die aktuelle Weltpolitik mehr als langatmig belehrt und eingewiesen. Ich musste auch eine handschriftliche Verpflichtung über den Dienst im MfS schreiben und unterschreiben. Dort erhielt ich auch meinen Dienstausweis als Mitarbeiter des MfS. Ich hatte aber auch noch meinen Dienstausweis als Mitarbeiter des Ministeriums des Innern bei mir. Als ich darauf hinwies, winkte er nur ab und ich ahnte nicht, dass das viele Jahre so bleiben würde.

Und so war ich innerhalb einer Stunde nicht mehr Oberleutnant der Kriminalpolizei des Ministeriums des Innern, sondern Oberleutnant und Sachbearbeiter in der Hauptabteilung Untersuchung des Ministeriums für Staatssicherheit.

Ein Kraftfahrer fuhr mich im Anschluss zur Stätte meiner zukünftigen Arbeit. Zu meiner Überraschung traf ich zwei Mitarbeiter aus Morduntersuchungskommissionen der Volkspolizei, welche ich aus der gemeinsamen Arbeit bei der Aufklärung von Tötungsdelikten kannte. Einer war aus der MUK Berlin und einer aus der MUK Dresden. Wir umarmten uns wie Verwandte nach langer Trennung und verbrachten diesen Tag in Gesprächen über Vergangenheit und Zukunft. Ich erhielt ein Zimmer in einem in der Nähe befindlichen Einfamilienhaus, welches ich nun mit anderen Mitarbeitern der neuen Dienststelle bewohnte.

Die neue Diensteinheit nannte sich »Hauptabteilung IX/7«. In den nächsten Tagen wurde mir Grundwissen über die Struktur des MfS übermittelt. und da ich vorher noch nie in einer Kreisdienststelle oder Bezirksverwaltung des MfS tätig gewesen war, halfen mir die Gespräche mit den beiden mir bekannten Morduntersuchern sehr. Ich lernte Vorgesetzte kennen, die Garagen sowie ein kleines Labor und erfuhr, wer Branduntersucher und wer Kriminaltechniker war. So langsam fand ich mich in der neuen Umgebung zurecht. Mir wurde ein Schreibtisch in einem kleinen Zimmer zugewiesen, welches ich nun für viele Jahre nutzen sollte.

Zu den drei Morduntersuchern kam dann noch ein vierter Mitarbeiter aus dem MfS hinzu. Wir befassten uns mit unserem Arbeitsgebiet als spezielle Diensteinheit des MfS. Der Referatsleiter war Hauptmann I.

Ich erfuhr, dass unsere Aufgabe darin bestehen würde, politisch-operativ bedeutsame Vorkommnisse wie Tötungsdelikte, Suizide, Havarien oder Brände, Störungen auf Verkehrswegen, Flugzeugabstürze oder Zwischenfälle in der zivilen Luftfahrt, Vorkommnisse, in welche Regierungsmitglieder einbezogen waren, wie z.B. Verkehrsunfälle, auf das Vorliegen der Tätigkeit (staats-)feindlicher oder negativer Kräfte zu untersuchen. Der Terminus »politisch-operativ bedeutsam« umfasste dabei jedes denkbare Szenario, auch Dinge, die nicht von vornherein als strafbares Delikt erkannt oder deklariert werden konnten oder mussten.

Die Grundlage für unsere Tätigkeit war ein Befehl des Ministers für Staatssicherheit aus 1958 und der Befehl Nr. 18/67 vom 19. Mai 1967. Mit dem Befehl aus dem Jahr 1958 wurde im MfS eine spezielle Kommission zur Untersuchung von Tötungsdelikten und Bränden geschaffen, denn es hatte sich als notwendig erwiesen, Diensteinheiten zur Untersuchung und Aufklärung von Vorkommnissen und Erscheinungen mit staatsfeindlichem Charakter oder hoher Gesellschaftsgefährlichkeit zu schaffen.

Der Befehl 18/67 beinhaltet den Aufbau von Spezialkommissionen der Linie Untersuchung in den Bezirksverwaltungen des MfS Rostock, Cottbus, Magdeburg, Halle, Karl-Marx-Stadt und Erfurt (»Linie« bedeutet im MfS, dass diese Aufgabe in den weiteren Gliederungen im Bezirk und im Kreis jeweils einer dortigen Einheit oder bestimmten Mitarbeitern zugeordnet war). In den Jahren 1969 und 1970 erfolgte der Aufbau derartiger Kommissionen in den Bezirken Schwerin, Dresden, Frankfurt/Oder, Leipzig, Neubrandenburg, Suhl und Gera. Somit war in jeder Bezirksverwaltung für Staatsicherheit (BV) eine Spezialkommission vorhanden.

Wir waren uns bewusst, dass wir diese Aufgabe nicht allein oder neben den Kriminalisten des MdI durchführen konnten. Wir waren der Meinung, da wir alle aus dem MdI kamen, unsere Verbindungen zu den Morduntersuchungskommissionen der Volkspolizei zu pflegen und auszubauen. Den MUK war zu erläutern, dass es jetzt beim MfS eine Spezialdienststelle gab, die gemeinsam mit ihnen die Untersuchung von Verbrechen gegen Leben und Gesundheit oder auch andere Straftaten durchführen würde. Das mussten wir mit den MUK abklären, um zu vermeiden, dass wir völlig unangemeldet im gleichen Delikt tätig wurden. Wir führten persönliche Gespräche mit den MUK und betonten immer, dass sich diese Zusammenarbeit günstig für die Aufklärung von Verbrechen auswirken würde, da wir ja auch spezielle Aufgaben am konkreten Delikt übernehmen und diese der MUK nach Streichung aller Interna des MfS, also unter Wahrung der Konspiration und Geheimhaltung, übergeben konnten. Bei all diesen Gesprächen mit den MUK gab es nie Verstimmungen, wir kannten uns aus der früheren Arbeit gut und schätzten uns.

Wir sprachen auch mit unseren Kriminaltechnikern, die im MfS-internen Sprachgebrauch so nicht mehr hießen, sondern Mitarbeiter für Kriminaltechnik. Wir schauten, was an Technik vorhanden war, notierten, was fehlte, sprachen über ein Alarmierungssystem und bereiteten uns auf den Einsatz vor.

Wir verfügten auch über ein eigenes kleines Fotolabor mit der üblichen technischen Einrichtung. Daran angeschlossen war ein Raum, in dem die Techniker allerlei Gerätschaften lagerten wie Leichensäcke aus Plastik mit Reißverschluss, Dutzende Plastikbehälter mit und ohne Deckel für den Transport von Substanzen, Gips, mehrere Packungen neutraler Watte zur Sicherung von Sprengstoffüberresten und vielerlei Substanzen zur Sicherung von daktyloskopischen und anderen Spuren und alles, was an Technik und Hilfsmitteln erforderlich war. Langes Suchen musste von vornher­ein vermieden werden. Hier lagerten auch die Einsatzkoffer der Techniker mit den Kameras und Fotogerätschaften, die immer griffbereit waren, sofern sie nicht in einem Barkas B-1000 oder in einem anderen Einsatzfahrzeug untergebracht waren.

Fast die gesamte Technik stammte aus DDR-Produktion oder der anderer sozialistischer Länder. Wir hatten eine für die damalige Zeit hochmoderne Panoramakamera zur Fertigung von Panoramaaufnahmen aus sowjetischer Produktion, welche noch heute, fast 50 Jahre später, hochaktuell ist. Besonders stolz waren unsere Techniker auf ein Kamerasystem aus Schweden von der Firma Hasselblad. Natürlich hatten wir auch »Praktika«-Fototechnik aus der DDR Produktion. Ich kann nicht sagen, ob die Hasselblad bessere Technik oder schlechthin nur andere Technik von einem anderen Hersteller beinhaltete. Wir verfügten später auch über das System der Sofortbildkamera Polaroid aus der BRD.

 

In diesem Raum hatten wir auch Kühlschränke mit Einsatzverpflegung, die aber meist nur aus Bockwurstbüchsen bestand. Aber das war besser als nichts. Nicht nur wir waren oft froh, irgendwo im Gelände eine kalte Bockwurst verspeisen zu können, auch mancher Fährtenhund freute sich darüber. Und hier stand auch ein Tiefkühlschrank, von dem später bei der Beschreibung eines Einsatzes noch die Rede sein wird.

In den Garagen lagerten ein Laufrad zur Entfernungsmessung im Gelände, Leitern, Seilrollen zum Absperren im Gelände, ein Notstromaggregat, Gummistiefel, Lampen, Batterien, Sanitätstaschen und ein Benzinvorrat.

Unsere Ausrüstung mit Pkw war in den jeweiligen Jahren unterschiedlich, aber immer auf einem modernen Stand. Anfang der 1970er Jahre hatten wir mehrere Pkw vom Typ Wolga M-21, aber auch einen Tatra-603, der ein bequemes Reisefahrzeug für lange Strecken war, dazu Pkw vom Typ Wartburg. In einem Pkw war ein Stromwandler installiert. So konnten wir mit laufendem Motor des Pkw Wechselstrom 220 Volt zur Nutzung von Scheinwerfern erzeugen. Erst Mitte der 1970er Jahre bestand unsere kleine Flotte ausschließlich aus den Pkw Lada 1500 und 1600.

Anfang der 1970er Jahre wir ein Fahrzeug, das recht geheimnisumwoben war. Es handelte sich um einen Wolga M-21, und es wurde gleich seitens der Leitung angeordnet, dass dieses Fahrzeug nur von den Kraftfahrern gefahren werden durfte, obwohl wir alle die Genehmigung zum Führen von MfS-Fahrzeugen, auch mit Sondersignal, hatten. Das steigerte unsere Neugier und es sprach sich langsam herum, es würde sich um ein »Tarnfahrzeug« handeln. Mit dieser Erklärung konnten wir aber nicht viel anfangen. So war das geheimnisvolle Fahrzeug, das etwa zwei Wochen ungenutzt in der Garage stand, in aller Munde und schließlich klärte es sich auf: Es handelte sich bei diesem Tarnfahrzeug um die Karosse eines Wolga M21, aber mit einem Motor eines Tschaika. Erstaunlich war schon, dass dieser Motor in den M21 passte. Natürlich war auch erstaunlich, dass mit diesem Fahrzeug Geschwindigkeiten von 200 Stundenkilometern erreicht werden konnten.

Natürlich hatte dieses »Tarnfahrzeug« ein Tankscheckheft, das zum Tanken an einer Westsäule berechtigte (zur Erinnerung: es gab an Transittankstellen Zapfsäulen, an denen man Kraftstoff mit einer höheren Oktanzahl, aber nur gegen Devisen tanken konnte). Da der Tankinhalt nicht für eine Entfernung beispielsweise von Berlin bis nach Karl-Marx-Stadt ausreichte, mussten wir unterwegs tanken.

Als ich das erste Mal mit Blaulicht an einer Autobahntankstelle einfuhr und an der Westsäule anhielt, kam der Tankwart mit hochrotem Kopf angerannt und gestikulierte wild, um mir begreiflich zu machen, dass ich an der falschen Tanksäule stehen würde. Durch das Tankscheckheft für die Westsäule ließ er sich dann durch den Kraftfahrer überzeugen und sah, da mein Kraftfahrer auch Öl wünschte, dass hier ein Wolga M21 stand, mit einem nicht in dieses Auto gehörenden Motor. Er bemerkte den Schwindel, ach nein – die Tarnung. Mit diesem Fahrzeug fuhr ich nun im üblichen Dienstbetrieb mal mit und mal ohne Sondersignal und tankte auch immer wieder an einer Westsäule. Ob noch andere »Tarnwagen« im MfS fuhren, kann ich nicht sagen. Es dauerte aber nicht lange, bis ein Tankwart den Kraftfahrer fragte: »Wie viel Öl soll es denn sein, meine Herren?« Also hatte sich der Wolga mit dem Tschaika-Motor herumgesprochen. Und wer sollte schon ein solches Fahrzeug haben, wenn nicht die Staatssicherheit. So hatte sich das Tarnfahrzeug enttarnt und wurde nach wenigen Monaten ausgesondert.

Durch das Fahren mit diesem Wagen unter Sondersignal kamen wir allerdings oftmals ins Schwitzen. Auf der Autobahn nahm doch kein anderer Kraftfahrer an, dass dieser Wolga so schnell fahren konnte. Oftmals wurde vor uns ausgeschert und unser Fahrer hatte seine liebe Not. Wegen der möglichen hohen Geschwindigkeit hatte dieser Wagen, und weil er ein Automatikgetriebe besaß, das im Fußraum Platz schaffte, ein übergroßes Bremspedal, damit der Fahrer mit beiden Beinen, wie man so schön sagt, »in die Klötze gehen« konnte.

Es war schon erstaunlich, dass vor Indienststellung des Tarnwagens niemand auf die Idee kam, dass wir uns schnell enttarnen würden. Bei einem Defekt mit diesem Fahrzeug durften wir keine zivile Hilfe in Anspruch nehmen. Die nächstgelegene BV für Staatssicherheit musste einen Abschleppwagen oder Reparaturfachleute schicken. Wir hatten ja in allen Fahrzeugen Funkgeräte aus DDR-Produktion und konnten so unkompliziert Hilfe heran rufen.

Jedes Fahrzeug war mit dem Sondersignal »Martinshorn« ausgerüstet und führte eine Blaulicht-Rundumleuchte mit Magnetsockel im Kofferraum mit. Alle Offiziere unserer Dienststelle waren berechtigt, ein Fahrzeug mit Sondersignal zu führen. Vorher hatten wir jedoch eine strenge Prüfung unserer Eignung in einer Fahrbereitschaft des MfS abzulegen. Jeder hatte auch einen Dienstauftrag bei sich, wonach er berechtigt war, ein Fahrzeug mit spezifischer Ausrüstung zu führen und berechtigt war, im gesamten Gebiet der DDR Ermittlungen vorzunehmen.

Aber alles in allem waren wir Untersuchungsführer unserer Dienststelle dank unserer Ausbildung, unserer langjährigen Erfahrung als Kriminalisten und dank unserer technischen Ausrüstung in der Lage, ein beliebiges politisch-operativ bedeutsames Vorkommnis eigenständig oder im Zusammenwirken mit Kräften der Volkspolizei zu untersuchen.

Das Bereitschaftssystem in unserer Spezialdienststelle war so geregelt, dass immer eine Einsatzgruppe für eine Woche in Bereitschaft war. Dieser Einsatzgruppe war jeweils ein Mitarbeiter aus den Referaten zugeordnet und so war immer ein Spezialist für Morduntersuchung, einer für Branduntersuchung, ein Spezialist für Untersuchung von Vorkommnissen auf den Verkehrswegen und ein Techniker in Bereitschaft. Dieses Bereitschaftssystem wurde auch in der täglichen Dienstdurchführung durchgesetzt. Es galt prinzipiell, dass ein Untersuchungsführer, wenn er den Korridor verlassen wollte, und sei es nur in die Garage, sich beim Referatsleiter abzumelden hatte. Wollte er außerhalb der Dienststelle Aufgaben erfüllen, musste er sich beim Referatsleiter abmelden, sich die Genehmigung holen und sich bei der Sekretärin ins Abwesenheitsbuch eintragen. Wollte ein Referatsleiter die Dienststelle verlassen, musste er sich beim Abteilungsleiter die Genehmigung einholen und sich auch ins Abwesenheitsbuch eintragen. Der Leiter HA IX/7 hatte beim General die Erlaubnis zum Verlassen der Dienststelle zu beantragen. So war immer garantiert, dass die erforderliche Zahl von Spezialisten auf Zuruf zur Verfügung stand.

Um die Dienstdurchführung in unserer Einheit deutlicher zu machen, werde ich für den Leser ins Detail gehen. Wir waren zunächst in drei Referate gegliedert, später kam noch Referat 4 hinzu. Referat 1 war verantwortlich für die Untersuchung von politisch operativ-bedeutsamen Vorkommnissen wie Tötungsdelikte, Unfälle oder Todesfälle von Funktionären, Klärung der Todesursache und weitere Untersuchung zum Tod von Ausländern auf dem Gebiet der DDR, Untersuchungen beim Tod eines inoffiziellen Mitarbeiters des MfS, Identifizierung unbekannter Toter, Identifizierung von Toten bei Katastrophen, Flugzeugabstürzen, also mit allem, was irgendwie mit dem Tod oder einer Beeinträchtigung der Gesundheit eines Menschen verbunden war.

Referat 2 war verantwortlich für die Untersuchung von Vorkommnissen in der Volkswirtschaft, also Bränden, Havarien und Katastrophen.

Referat 3 war verantwortlich für die Untersuchung von besonderen Vorkommnissen im Bereich der Transportwege, zu Lande, zu Wasser und in der Luft.

Jedes Referat bestand aus einem Leiter, einem Stellvertreter, zwei Untersuchungsführern, einem Kriminaltechniker und einem Kraftfahrer. Jedem Referat stand ein Dienstwagen zur Verfügung.

In dem später installierten Referat 4 wurden die Kriminaltechniker, die Kraftfahrer und die gesamte Technik unserer Sonderdienststelle eingebunden. Dieses Referat verfügte über einen Kleintransporter vom Typ Barkas B-1000 für den Transport der Technik und Gerätschaften.

Die Untersuchung eines beliebigen politisch-operativ bedeutsamen Ereignisses nahm meist Tage, Wochen und bisweilen auch Monate in Anspruch. Es mussten gerichtsfeste Dokumente, Zeichnungen, Vernehmungen, Gutachten und vieles mehr in hoher Qualität gefertigt werden, was entsprechende Zeit beanspruchte.

So war es ganz natürlich, dass sich bei einem Einsatz die Mitarbeiter des entsprechenden Referates nicht in der Dienststelle, sondern irgendwo in der DDR befanden. In solchen Fällen wurden die Mitarbeiter, die sich in der Dienststelle aufhielten oder auch in der Nähe des Einsatzortes, zum Einsatz befohlen. Das war aber kein Problem. Wir waren alle langjährig erfahrene Kriminalisten, hatten an der Humboldt-Universität Kriminalistik studiert und konnten alle den jeweiligen, »ersten Angriff« (damit werden die ersten Maßnahmen am Tatort bezeichnet) auch bei einem referatsfremden Einsatz bewältigen. Dann wurden die Einsatzkräfte nach dem jeweiligen Erfordernis umgesetzt.

Natürlich gab es auch Einsätze, wo für uns nicht sogleich das Interesse des MfS ersichtlich war, aber auch das war kein Problem. Die Einstufung eines beliebigen Vorkommnisses in die Kategorie »bedeutsames politisch-operatives Vorkommnis« lag nicht in unserem Ermessen, sondern wurde immer von der Leitung des MfS oder dem Minister für Staatssicherheit persönlich vorgenommen. Es gab aber auch oft das Erfordernis, einen Mitarbeiter von der Untersuchung eines Vorkommnisses umzusetzen, so dass eine chronologische Folge unserer Tätigkeit nicht immer ersichtlich war. Das Ziel unserer Untersuchungen war aber immer festzustellen, ob irgendwo die Einwirkung staatsfeindlicher Kräfte und damit eine Handlung gegen den Staat zu erkennen war. Natürlich kann man heute sagen, dass wir mit dieser Ausrüstung eine privilegierte Spezialdienststelle gewesen seien und es werden uns auch noch heute bestimmte Privilegien angedichtet. Unser ein einziges tatsächliches Privileg bestand darin, dass der Referatsleiter seinen Ministerbericht eigenhändig unterschreiben durfte. So wusste der Minister gleich, wer die Untersuchung geleitet hatte. In allen anderen Hauptabteilungen des MfS wurden Schreiben an den Minister vom jeweiligen Leiter der Diensteinheit unterschrieben. Im Verlaufe der Jahre habe ich eine Vielzahl Berichte an den Minister geschrieben, so wie die anderen Referatsleiter unserer Dienststelle auch.

Der Bericht musste vor Übergabe an den Minister vor der Leitung der Linie Untersuchung verteidigt werden. Das geschah so, dass der General der Hauptabteilung und seine Stellvertreter am Tisch des Generals saßen. Jeder hatte eine Kopie des Ministerberichts vorliegen und so wurde Wort für Wort, Seite für Seite gelesen. Etwaige Fragen oder Einwände hatte der Verfasser sofort zu beantworten, und erst wenn alle einverstanden waren, unterschrieb ich den Bericht. Der schon wartende Fahrer brachte ihn dann sofort zum Minister. Es wäre natürlich höchst blamabel gewesen, eine Seite wegen irgendeiner zweideutigen Formulierung neu schreiben zu müssen. Voller Stolz kann ich sagen, dass mir dieses Missgeschick in den vielen Jahren meiner Verantwortung nicht widerfahren ist.

Grundsätzlich wurden wir Untersuchungsführer durch Befehle des Ministers für Staatssicherheit zu absoluter Ehrlichkeit in der Untersuchungstätigkeit angehalten. Jeder hatte seine eigene Ehre und niemand kam auf die Idee, ein Untersuchungsergebnis zu verfälschen oder irgendetwas zu verschleiern oder zu vertuschen. Wir waren alle, nicht nur durch Befehl, sondern jeder aus eigenem Antrieb heraus, um die Wahrheitsfindung bemüht. Mir ist kein Beispiel bekannt – ich war vom 1967 bis 1989 in dieser Dienststelle tätig –, dass wir irgendeinen kriminalistischen Sachverhalt unlauter oder unehrenhaft bearbeitet hätten.

Aber wir waren auch keine Zauberer und kannten alle das erste Gesetz in der kriminalistischen Untersuchungstätigkeit: »Es gibt keine Garantie dafür, dass richtig durchgeführte Untersuchungen zwingend den angestrebten Erfolg nach sich ziehen.« Und natürlich kam es vor, dass wir Kriminalisten im MfS eine andere Meinung hatten, als diejenigen, die in ihrer Arbeit operative Maßnahmen durchführten, von denen wir Kriminalisten oft keine Ahnung hatten. Aber wir haben immer ehrenhaft gearbeitet.

 
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