Das Logbuch der Silberkugel

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Ich kehrte in mein Haus zurück und fand es unverändert. Nur ein Freund war da gewesen und hatte eine Nachricht hinterlassen. Ich rief ihn an, und er erklärte sich bereit, meinen Grinn zu versorgen und mir diese Pflicht abzunehmen. Dann ging ich wieder in das Schiff und versenkte mich in die Maschinen des Steuerraums, versuchte, ihre Funktionen zu bestimmen und zu ergründen, wozu sie einst den Männern gedient hatten, die mit diesem Schiff durch das All geflogen waren.

Nach dreißig Tagen hatte ich erreicht, was ich mir vorgenommen hatte.

Alle Instrumente, die nicht der Steuerung des Schiffes gedient und die, durch deren Lautsprecher und Mikrofone sich die einzelnen Decks und Räume miteinander verständigt hatten, waren mir in ihrer Funktion klar. Ich konnte nun an das Ding herangehen, das ich hier gesehen hatte.

Es war ein abgerundeter Kasten, der an der Unterseite eines großen Tisches befestigt war und dessen Seitenwände aus hochpolierten Stahlplatten bestanden. Einige Schrauben hielten die Platten an einem Gerüst fest. Ich entfernte sie vorsichtig und sah in ein unglaubliches, technisches Gewirr von Spulen, Drähten und anderen Teilen, deren Sinn ich nicht begriff. Ich begnügte mich damit, die Leitungen nachzusehen und die Schaltungsblöcke zu putzen, hier einen wackelnden Kontakt zu festigen und dort eine kleine Feder neu zu justieren.

Dann drückte ich versuchsweise auf einen der Knöpfe, die in einer verdeckten Versenkung am Oberteil der Maschinerie angebracht waren, und unten begann sich eine große Spule zu drehen. Sie zog ein breites Band durch einige Schlitze, und ich hörte verworrene Geräusche aus irgendeinem Lautsprecher. Ich stoppte die Bewegung und ließ die Spule zurücklaufen.

*

Ich war bereit …

Um meine Stirn lag ein metallener Reifen, den ich in der Lade gefunden hatte. Ich hatte nach langem Probieren den richtigen Sitz herausgefunden und lehnte mich bequem in dem Sessel zurück. Die Finger lagen auf den Knöpfen der Schaltung.

Es schien sich hier um irgendein Nachrichtengerät zu handeln, eine Art Logbuch dieses Schiffes. Wie würden die Eintragungen aussehen? Ich drückte den ersten Knopf.

Zu meinen Füßen summten verborgene Motoren, und ich hörte gleichzeitig mit Bildern, die sich im Innern meines Kopfes projizierten, Worte, die ich verstand ‒ Worte meiner eigenen Sprache.

Ich hielt die Spule an. Alles erlosch.

Ich war verwirrt in einem Maße, das mich unfähig machte, meine Gedanken zu ordnen. Die Sprache, die ich gehört hatte, schien viel älter als unsere, aber der Grundstock war unverkennbar der Gleiche. Einer meiner Ahnen hatte hier gesprochen. Gleichzeitig waren starke Gedankenimpulse in mein Hirn eingedrungen und hatten Bilder erzeugt, die mich in den Mittelpunkt eines fremden Geschehens versetzten. Ich schaltete wieder ein, begierig, mehr zu erfahren. Weit unter mir schlief die Stadt Sarkai, und vor mir lag das gewaltige ›Buch‹, in dem ein Abschnitt dieser alten vergessenen Geschichte aufgeschrieben war. Der Inhalt dieses ›Buches‹ würde mir helfen, Antworten auf meine drängenden Fragen zu bekommen.

Ich spürte den kalten Hauch, der aus dieser kleinen Ewigkeit herwehte; ein Schauder des Unbegreiflichen spannte meine Muskeln, und das Haar sträubte sich. Die schweren Spulen begannen zu rotieren, und in meinem Hirn zeichneten sich Bilder von erregender Farbigkeit ab, von seltener Pracht. Schwer verständliche Worte ertönten, wurden von anderen und von mir gesprochen. Die Handlung begann. Ich lag entspannt hier in diesem weichen Sessel, sah und hörte, handelte und sprach ‒ war der Mittelpunkt des Geschehens.

Ich war ein Held.

Die Geschichte entrollte sich …

2.

SARDON VON SARGAYN

Der Riesenpalast war in Felsen geschnitten worden. Seit zweitausend Jahren hauste hier das Geschlecht der Verwalter des Rechts. Sie bewegten sich, nachdem sie von allen Bewohnern Sargayns gewählt worden waren, hier in dieser Pracht und starben inmitten der schweigenden Steinwände. Der Saal des Gerichts war eine dunkle Halbkugel mit schwarzen Wänden und kristallenen Toren, an denen die Wachen postiert waren. Sie trugen die tödlichen Waffen und die schwarzen Mäntel des Herrschers, und ihre Augen bohrten sich in das Dunkel der Saalmitte.

Einige Lichter erhellten einen kleinen Kreis. Sie hingen an dicken Kabeln von der Decke herunter und gaben nur nach unten Helligkeit ab. Innerhalb des weißen Ringes waren der erhöhte Stuhl des Autarchen und die Sitze seiner Berater; um diese herum und um den aufrechten, kleineren Mann, der unter den Augen des Autarchen stand, schloss sich ein zweiter Kreis von Wachen.

Es war die Elite des Planeten Sargayn, die hier Dienst tat. Sie würden nach einigen Tagen als Offiziere die Schiffe der planetaren Flotte befehligen. Jetzt aber konzentrierte sich ihr Interesse auf die Vorgänge innerhalb der Lichtkegel. Sie wagten kaum zu atmen.

Der Autarch, dessen silbergraues Fell unter den Falten eines schweren Stoffes hervorsah, blickte auf den Mann, der es gewagt hatte, die Gesetze Sargayns nach seiner eigenen Auffassung auszulegen. Ein großer Stein an einem der acht Finger der Rechten blitzte einen kurzen Moment auf. Der Mann hielt den abwägenden Blick des Autarchen aus, er sah zum Stuhl hoch und begann zu sprechen. Er sprach nicht laut, aber jedes seiner Worte wurde mit Nachdruck gesprochen und war innerhalb des Riesensaales verständlich.

»Ich weiß, Sardon, dass es Gesetz und Recht geben muss. Ich weiß es, und alle meine Vorgänger wussten es ebenfalls. Aber die Gesetze sind gemacht worden, ehe noch die ersten Riesenstädte auf der Kruste des Planeten zu wuchern begannen. Sie wurden gemacht, damit jeder Mensch hier ruhig und ungestört leben kann.

Wir beide wissen, dass vieles nicht mehr den Anforderungen entspricht, deshalb wagte ich, meine Ansicht laut zu verkünden. Ich habe das Recht deswegen nicht in unwürdiger Weise gebrochen oder mit Füßen getreten, wie dieser Hauptmann« ‒ Shann wies mit seiner Hand auf eine der schweigenden Wachen ‒ »behauptet hat. Ich wehre mich gegen diese Unterstellung.«

Der Autarch schwieg immer noch. Er wusste, dass Shann einer seiner besten Männer war. Er hatte die Gewalt über eine dieser unzähligen Städte, deren Grenzen schon teilweise zusammenliefen und deren Bauten fast den gesamten Planeten bedeckten. Sardon schlug in einer verzweifelten Geste die Klauen seiner Hände in die Polster der Armlehnen. In dem geschnitzten Holz waren kleine Knöpfe angebracht, die mit einem einzigen Kontakt die Waffen des Autarchen auslösen konnten.

Das, was heute hier gesagt worden war, hatte sich Sardon schon über hundert Male anhören müssen. Er war der Argumentation müde geworden. Er hatte nichts mehr zu sagen, nachdem der Bürgermeister gesprochen hatte. Shann würde sich jedes Wort überlegt haben, und er kannte die Buchstaben des Rechts genauso gut wie der Autarch selbst.

Noch drei Tage, so überlegte Sardon, dann startet die Flotte. Dann werde ich als Sieger zurückkehren und meinem Volk einen eroberten, menschenleeren Planeten als Trophäe mitbringen. Er runzelte den Pelz über seinen großen Augen. Sie waren schwarz und hatten waagerechte Schlitzpupillen, an deren Rändern kleine weiße Funken flimmerten.

Shann sprach weiter:

»Hinter dir, Autarch, sitzen andere Männer, die ebenso gut über das Gesetz Bescheid wissen, wie wir beide. Sie werden auch nicht sagen können, dass ich unwürdig gehandelt habe, als ich mich weigerte, dem Großen Plan zuzustimmen und an ihm mitzuarbeiten. Ich kann, und das werde ich auch tun, mit meiner Sippe und allen anderen, die gewillt sind, diesen Planeten verlassen. Aber es ist hier so, dass du die Macht verkörperst.

Wenn du mir diesen Start ohne Rückkehr verbietest, dann wird der Makel auf deinen Taten ruhen. Du wirst nicht der strahlende Held sein, sondern auf dem Siegermantel werden schwarze Flecken sein. Und deine Untertanen werden sagen ‒ gleich, was du an Gutem getan hast ‒ das ist Sardon, der das Recht missbrauchte, um seinen Plänen freie Bahn zu schaffen. Ist es das wert?«

Aus der Kehle des Autarchen kam ein Grollen. Einer der Soldaten ließ seine Waffe von einer Hand in die andere gleiten; Horn von stählerner Härte und Metall schürften aneinander. Seine Worte waren ärgerlich und verstimmt:

»Deine Rede, Shann, war gut und richtig. Ich kann in deinen Worten keine Fehler entdecken. Aber du gibst deinen und meinen Untertanen, den Bürgern deiner Stadt, ein schlechtes Beispiel. Sie werden ebenfalls an der Idee des Großen Planes zweifeln und keine guten Soldaten sein. Ist es nicht genug, dass wir alle erkennen mussten, dass innerhalb der nächsten fünfzig Jahre der Planet und das gesamte Sonnensystem in einer Supernova untergehen werden? Musst du auch noch den Kampfgeist meines Volkes brechen?«

Shann schüttelte den Kopf.

»Ich breche ihn nicht, weil er nicht gebrochen werden kann. Sie werden genauso weiterkämpfen wie bisher. Auch unser Leben auf dem kleinen und wilden Planeten wird eine Folge unablässiger Kämpfe sein. Jeder meiner Bürger wird dir gestehen müssen, dass ich nie den Versuch unternommen habe, sie zu irgendeiner Art von Ungehorsam zu zwingen.

Dieses Volk ist eine Nation von Kämpfern, und das wird sich immer wieder zeigen. Aber ich kann die Idee, einen unschuldigen, wehrlosen Planeten zu überfallen, um unserem Volk neuen Lebensraum zu gewinnen, nicht gutheißen. Zweihundertneunundachtzig andere Menschen und ich weigern uns, bei diesem Massenmord mitzumachen. Das ist es, warum wir den Planeten ‒ unsere Heimat ‒ verlassen wollen. Nichts anderes.«

 

Die ungeheuer ausgedehnte Halbkugel des Saales verbarg ihre Grenzen durch die Dunkelheit. Es schien, als ob sie sich dicht über dem mit jeden Laut schluckendem Belag ausgelegten Boden ins Unendliche ausdehnte. Die Lampen konzentrierten ihr Licht auf das Gesicht des Autarchen. Er kniff die Lippen zusammen und entblößte die weißen Fangzähne. Er stand auf, ordnete eine Falte seines Mantels und setzte sich wieder.

Dann sagte er hart: »Shann, du musst wissen, dass ich kein Narr bin. Ich könnte dich hier in Atome zerstrahlen, ohne dass ich das Geringste darüber empfinden würde. Aber ich vernichte nicht die Männer, die meinem Volk Jahrzehnte treu gedient haben und alles daran setzen, Ordnung und Recht zu halten.

Seit dem Tag, an dem du in dein Amt gelangtest, ist dir kein Fehler unterlaufen, keiner hätte es besser machen können. Aber heute noch lasse ich ein Gesetz verkünden, das jeden Bewohner Sargayns zwingt, hierzubleiben und zu kämpfen. Niemand, der nach diesem Zeitpunkt noch versuchen wird, sich der Mitwirkung an dem Kampf zu entziehen, überlebt den nächsten Sonnenaufgang.

Höre dieses und gehe.

Du bist frei, du kannst dein Eigentum behalten und alle deine Anhänger ebenfalls. Du kannst tun, was immer dir einfällt.«

Shann nahm den Richtspruch mit unbewegtem Gesicht entgegen. Aus dem Kreis der Wachen und der Berater waren erschreckte und verwunderte Ausrufe zu hören. Alle hatten gedacht, dass der Autarch hart zugreifen würde, aber sein Urteil war heilig, und das Recht auf diesem Planeten gehörte zu dem Unverletzlichsten, das die Menschen kannten. Shann war frei. Er ging aber noch nicht. Es sah aus, als wollte er noch etwas sagen. Der Autarch, mit dem einer seiner Berater flüsterte, bemerkte es und nickte Shann zu.

»Sprich. Ich habe noch keinem das Wort verboten.«

Shanns Stimme war eindringlich, als er sagte: »Gut, Sardon. Du wirst in drei Tagen an der Spitze einer Flotte von dreihundert Schiffen gegen den fremden Planeten aufbrechen, um eine gewaltige Raumschlacht zu gewinnen ‒ wie du denkst. Seit zehn Jahren rüstet Sargayn für diesen Kampf. Wenn dieser Planet aber, wie wir wissen, eine Welt der Universitäten ist, dann ist das ein Zeichen der Gewissheit! Sie können es sich leisten, angegriffen zu werden. Ihre Macht erlaubt ihnen, sich ungeschützt zu zeigen. Sie wissen, da sie sehr klug sind, dass andere Rassen sie angreifen können und werden sich dementsprechend verhalten. Sie sind nicht ungeschützt. Höre auf das, was ich sage! Sonst haben wir keine Kunde von dieser Welt. Sie werden dich vernichten und die Riesenflotte dazu. Wehe, wenn es ihnen gelingt!

Sie werden die Koordinaten unseres Systems herausfinden und zurückkehren. Dann wird hier radioaktive Wüste sein, denn sie werden den Angriff rächen. Die Nova unserer Sonne wird leere Planeten treffen. Das ist es, was ich dir sagen wollte. Ich wünsche dir trotzdem alles Glück, Autarch, denn du bist ein guter Herrscher und ein guter Mann. Lebe wohl. Wir fliegen noch heute Nacht ab.«

Shann verneigte sich noch einmal ehrerbietig, drehte sich auf dem Absatz um und verließ die Halle mit weiten Schritten. Die Wachen salutierten stumm vor ihm und rissen die Torflügel auf. Shann dankte den Männern.

Der Autarch sah ihm so lange nach, bis Shann von der Nacht verschlungen wurde. Er hörte, wie die metallenen Flügel hinter ihm zudröhnten und wandte sich nicht um. Der Granit wuchs neben ihm in die Höhe und verschmolz mit den Sternen, die in ihrer Mitte den zerbissenen Nebel zeigten, der diesem Gebiet den Namen gegeben hatte.

Sargayn war der einzige bewohnte Planet der dahinsterbenden Sonne; die Kultur und Technik hatten sich in einem Wirbel hektischer Entwicklung hochgeschraubt. In den letzten tausend Jahren der Reiche der Autarchen war die Zivilisation zu einer wuchernden Krankheit geworden, die sich der Kruste des Planeten bemächtigt hatte. Sie befiel jeden Fleck, der noch nicht von den Hochbauten und den Straßenzügen bedeckt war. Die Ozeane wurden mit riesigen Kugelstädten besetzt, in denen Rohstoffe mit gewaltigen Maschinenanlagen gezüchtet oder umgewandelt wurden. Eine irrsinnige Welt enthemmter Technik wurde von einem einzelnen Mann dirigiert, dem Autarchen, Sardon dem Einundfünfzigsten. Nach hundert Jahren würde hier nur noch dunkelrot glühender Staub liegen, von den Gewalten einer Nova verbrannt.

Der Palast erstreckte sich innerhalb des höchsten Berges der Gebirgskette. Vor dreißig Jahren war hier noch Wüste gewesen, jetzt breiteten sich die Häuser, Wohnplattformen und Straßentrakte in drei Stockwerken aus.

Shanns Schlitzpupillen zogen sich anerkennend zusammen, als er seinen Sohn neben dem Fahrzeug stehen sah. Sein Blick schweifte von der durchtrainierten Figur des Jungen hinaus in die Ebene und verweilte an dem Rand eines Wäldchens, das man stehen gelassen hatte. Dann kehrte Shann in die Wirklichkeit zurück und ging zum Wagen. Sein Sohn schüttelte ihm die Hand und half ihm in den Nebensitz.

Shannson war für heute Nacht zum Schiffsführer ausersehen worden. Er brachte für dieses Amt einen untrüglichen Sinn für die Steuertechnik sämtlicher Fahrzeugarten dieses Planeten mit. Er bewegte sich mit einem Portalkran, der nichts anderes hob als tonnenschwere Turbinen, genauso souverän wie mit einem leichten Geländewagen und mit einem Riesenraumschiff voller Menschen und Maschinen.

»Was sagte Sardon?«, fragte Shannson seinen Vater.

»Wir sind frei!«, entgegnete der alte Mann.

Sie sahen in den Nachthimmel hinauf, in dem sich die bizarren Nebelbänke abgrenzten und von dahinterliegenden Sonnen beleuchtet wurden und an dem der grellweiße Mond sein Spiel trieb. Sie prägten sich das letzte Bild ihrer Heimat ein, denn nie wieder würden ihre Füße diese Welt betreten. Die Riesenstadt Erienna lag unter ihren Augen wie ein großes Tier mit hunderttausend Augen, die erloschen und aufgingen.

Hier unten, in der niedersten Stufe, war die Familie Shann geboren, und von hier hatten sie sich emporgearbeitet, Stufe um Stufe, bis einer ihrer Söhne endlich Bürgermeister wurde. Dann war er es, der die Pläne für das Verlassen dieses Planeten schrieb und errechnete und dessen Riesenvermögen den Kauf des Schiffes ermöglicht hatte. Heute Nacht ‒ das Schiff war fertig und wartete nur noch auf seinen Piloten und dessen Vater ‒ starteten sie. Shannson verstaute die Signalpistole unter dem Sitz und dachte daran, was sie getan hätten, wenn der Autarch den Abflug hätte verhindern wollen.

Das Schiff wäre gestartet, sobald es vor dem Palast den grellen Lichtblitz Shannsons gesehen hätte, und die Menschen wären abgeflogen und hätten auf deren ausdrücklichen Befehl die beiden Shanns geopfert. Sie waren alle wie ihr Oberhaupt ‒ sie betrachteten das engmaschige Netz, das die Technik um diesen Planeten gewoben hatte, als den Ausdruck der Dekadenz. Sie wussten, dass es von den aneinanderstoßenden Riesenstädten bis zum völligen Untergang der Kultur nicht mehr weit war, und die Idee des Autarchen, das ganze Volk auf einen erst zu erobernden Planeten umzusiedeln, stieß bei ihnen auf Misstrauen und Ablehnung.

Wie eine leuchtende Schnur verloren sich die weißen Randleuchten der Hochstraße zwischen der spärlichen Vegetation der Betonplatten. Es roch nach Öl, nach dem Arbeiten mächtiger Maschinen und nach Schlacke verbrannter Materialien. Shannson ließ die Turbine an und schlug die Tür zu. Langsam rollte der Wagen an und verlor sich in der Ferne. Der Sohn steuerte, und sein Vater lehnte sich aufatmend in die Polster zurück.

»Unsere letzten Minuten auf der Oberfläche unseres Heimatplaneten sollten wir auskosten. In hundert Tagen werden wir vermutlich landen. Dort wird die Umgebung etwas rauer sein …«

Shannson nickte. »Ich weiß. Alles ist fertig; sie warten nur auf uns. Die letzten Bindungen sind zerrissen. Hält uns hier noch etwas?«

»Kaum. Aber der Autarch machte heute einen Fehler, der uns sehr viel kosten kann.«

Der laue Fahrtwind schlug ihnen entgegen, und der Wagen raste leise sirrend über den glatten Belag.

»Einen Fehler, der uns Kummer machen wird?«

Shann antwortete: »Jawohl, indem er mich freiließ. Ich hatte es zwar erwartet, weil der Autarch auch nur ein Mann Sargayns ist, aber ein rascher Tod hätte mir ‒ und euch allen ‒ viel Nachdenken und lange Jahre nagender Furcht erspart.«

»Ich verstehe dich nicht ganz, Vater.«

»Pass auf, mein Sohn! Dieser Planet, den Sardon angreifen wird, hat sicher nicht vor, sich kampflos zu ergeben. Sie besitzen, und das ist sicher, eine gewaltige Schutzflotte, und diese wird Sardon vernichten. Er wird seine Schlacht führen, denn er kann nicht anders. Dann aber werden ihre Schiffe Sargayn suchen und finden und den Planeten zerstören, um diesen Gegner ein für alle Mal auszuschalten. Wenn sie weitersuchen, dann entdecken sie eines Tages auch unseren kleinen Planeten, und wenn dann noch die geringste Ähnlichkeit zwischen den Angreifern und uns, den Neusiedlern, besteht, dann ist unser Schicksal ebenfalls besiegelt. Daran werden wir alle denken, und wenn wir es richtig machen, wird die Furcht nicht allzu unerträglich werden. Ich habe einige Maschinen gekauft und Männer daran ausbilden lassen. Sie werden eingesetzt, sobald wir gelandet sind. Verstehst du mich jetzt besser?«

»Ja, natürlich. Ich hatte diese Gedanken noch nie ganz durchgearbeitet, weil mir diese Verbindung neu war. Aber du hast wahrscheinlich recht. Ich freute mich bisher, auf dem neuen Planeten als Pfadfinder zu leben und mich mit den wilden Tieren herumzuschlagen. Aber wir werden Wege finden, um nicht in Angst zu versinken.«

»Sicher, es war nur mein Gedankengang.«

Der Grund, warum Sardon diesem Planeten nicht gewogen war, resultierte aus der Überlegung, dass es relativ einfacher war, einen bereits erschlossenen Planeten zu verwüsten und dann über den Leichen der Bewohner einen neuen Staat aufzubauen, als einen unbekannten zu kolonisieren und mühsam bewohnbar zu machen. Keiner der hoch technisierten Städtemänner war mehr in der Lage, ein Feld zu bebauen oder einen Acker zu pflügen. Sie zogen lieber mit einer gigantischen Flotte aus und eroberten einen Planeten.

Weiter und weiter entfernte sich das rasende Gefährt von der Residenz des Autarchen. In der Ferne, auf einem vergessenen Flugplatz, der noch nicht für die Flotte des Autarchen entdeckt worden war, stand das Siedlerschiff. Eine Stunde nach der Entlassung Shanns brach aus dem Düsenring des Kugelschiffes eine Rauchwolke, die das silberne Schiff einhüllte, dann orgelten weiße Flammen mit orangeroten Kernen hervor und schoben den Koloss hoch, und die Menschen in der schlafenden Stadt sahen das Feuer seiner Düsen. Dann verschlang ihn die Finsternis.

Sardon, dem der gelungene Start des Schiffes sofort gemeldet wurde, saß auf der beheizten Terrasse und arbeitete an seinen Angriffsplänen. Er blickte auf, als könne er das Schiff noch sehen.

Es tat ihm leid, dass gerade Männer wie Shann und sein Sohn unter den Deserteuren waren. Sie würden gute Soldaten seiner Flotte abgegeben haben. Dann schloss er die Augen. In zwei Tagen würde der Moment seines Starts kommen und dann, nach vierzig Tagen, würde die Flotte den Universitätsplaneten erreichen, angreifen und die Bewohner vernichten. Die Sargayns waren gerettet. Ihm, Sardon, würde die Geschichte diese Großtat zuschreiben müssen. Irgendwo hinter ihm in den kahlen Räumen des Palastes fluchte eine Wache.

Sardon polierte den Stein seines Ringes, entblößte seine Zähne und lächelte. Er schlug den Kragen seines Mantels hoch.

*

Die SARDONY war das größte, am stärksten bewaffnete und das schnellste Schiff der Flotte. Seine Motoren waren die besten, die von den Werken hervorgebracht worden waren, und die Innenausstattung überstieg die der anderen Schiffe. Eine mit einer aufgesetzten Spitze versehene Kugel aus blendendem Silbermetall, dessen einzige Flosse, ein Riesendreieck mit den nötigen Stabilisierungsstrahlen, das gesamte Schiff auf dem Boden hielt. Die Steuerkabine lag an der Spitze, unter der Nadel der Bugantenne. Sie war mit einem Fenster ausgestattet, das nach allen Seiten ungehinderte Sicht erlaubte. Die Geräte, die Nachrichtenschirme und die Steuergeräte waren derart angeordnet, dass drei Mann den Koloss lenken und befehligen konnten. Die anderen Männer der Besatzung, insgesamt neunzig, waren nur zur Wartung, zur Bedienung der Geschütze und als Soldaten gedacht. Die Privaträume des Autarchen und seines einzigen Freundes lagen unterhalb dieses Raumes und waren leicht zugänglich. Sie enthielten alles an Komfort, alles aus massivem Metall und sorgfältigster Ausstattung, was der Autarch von den Zimmern des Planeten her gewohnt war.

 

Das, was hinter der SARDONY folgte, war eine Flotte von dreihundert schwerbewaffneten Schiffen, die vorwärtsgetrieben wurden von der Kraft der Düsen und Hypermotoren und der Sehnsucht eines Milliardenvolkes, das Bilder des Universitätsplaneten kannte, auf denen eine gelbe Sonne verschwenderische Strahlenfülle auf einen grünen Planeten schüttete. Sie wollten innerhalb der nächsten fünfzig Jahre dem Schein der trüben, rötlichgelben Sonne entfliehen, die dem Tode nahe war. Unter ihrem sterbenden Licht glänzten auf acht verschiedenen Plätzen die Leiber der Kampfschiffe, bemannt und vollgetankt.

Vor seinem Kreuzer, der auf dem kleinen Platz im Tal hinter seinem Palast stand, sah Sardon in die dunkle Öffnung der Luke neben dem Abschlussring der Hypermotoren. Vor ihm war die Schrägfläche ausgefahren worden, und oben öffnete sich eine Luke, hinter der sich das Rohr eines Raketenwerfers befand. Aber hier sollte nur der Startschuss fallen. Die Raketenwerfer waren imstande, ein tonnenschweres Geschoss hundert Kilometer weit zu feuern, das im Zielgebiet einen Mond pulverisieren konnte.

Sardon sah sich nicht um, als er die Fläche hinaufging. Hinter ihm wurde sie eingezogen. Fauchend schloss sich die Schleusentür, ein kleines Rechteck innerhalb der Schleuse mit dem Beiboot. Er fuhr mit dem Zentrallift in die Steuerkabine und fand dort seinen Freund mit den fähigsten Offizieren der Flotte vor. Sie saßen bereits vor ihren Geräten und erhoben die Linke zum Gruß. Sardon grüßte sie und nahm in seinem Sitz neben dem Tisch mit dem Logbuch Platz. Die Nachrichtenschirme erwärmten sich, unten erzeugte ein Motor die Energie, die das Schiff mit den Stützstrahlen im Gleichgewicht hielt. Dann senkte Sardon die Hand gerade in dem Moment, als die sterbende Sonne über die niedrigste Spitze des Palastberges klomm. Der Schuss löste sich, und einige Sekunden später explodierte in einem Kilometer Höhe eine schwarze Raumbombe. Das Schiff erbebte und hob sich in einem Flammenmeer ab, pfiff durch die Luft.

Alle anderen Schiffe ließen ihre Düsen anspringen.

Dreihundert Schiffe starteten, und sie machten sich auf einen Weg, der sie zum Sieg führen sollte. Sardon wartete, bis sein Offizier die restlichen Startmeldungen verzeichnet hatte ‒ alle Schiffe waren bereits außerhalb der Atmosphäre ‒ dann senkte er zum zweiten Male den Arm. Die SARDONY zündete ihre Hypermotoren und flog an die Spitze der Flotte. Hinter ihnen verformte sich die schwache Krümmung Sargayns zur Kugel, deren Gestalt immer mehr schrumpfte. Sardon war auf seinem Weg, von dem es kein Abweichen geben durfte.

Ein gewaltiger Keil von dreihundert Kriegsschiffen schob sich mit brüllenden Motoren durch die Nacht des Alls. An der Spitze dieses Metallblitzes zog die SARDONY ihre Bahn. Nach und nach sprangen die Schiffe in den Hyperraum. Sie verschwanden aus diesem Teil des Raumes und rematerialisierten wieder in einem anderen, der Tausende von Lichtjahren entfernt war. So kamen sie dem Universitätsplaneten immer näher. Ihr Opfer schien nichts von der Gefahr zu ahnen, die sich unaufhaltsam näherte. Sardon hatte nichts mehr zu tun. Seine Pläne waren fertig. Jeder einzelne seiner Männer kannte sie auswendig.

Sie wollten den Planeten überfallen. Die Sprengköpfe ihrer schweren Raketen trugen Bakterienbomben, die jeden Organismus vernichten würden. Später sollten die Geschosse mit den eingelagerten Gegenzüchtungen abgefeuert und die Wartezeit durch einzelne Vorstöße ausgenutzt werden.

Dann war der Weg frei, und die Kurierschiffe würden nach Sargayn hetzen, um die gewaltige Völkerwanderung auszulösen.

Sardon saß bequem in seinem Sessel. Vor ihm lag das elektronische Logbuch des Schiffes. Es enthielt lange Spulenbänder, die die Impulse seines Hirns speichern konnten. Er legte sich den Metallreifen um die Stirn und dachte an das, was ihn bis hierher geführt hatte. Es waren lange Jahre.

*

Damals …

Da war die Zeit, in der er noch ein junger Fähnrich an Bord des einzigen Vermessungsschiffes war, das sich durch die Gebiete um den Nebelkopf herum bewegte. Er hatte dort nichts anderes zu tun, als die schlechte Laune seiner wissenschaftlichen Chefs auszuhalten und ein freundliches Gesicht zu zeigen. Und sie alle hätten damals genügend Grund gehabt, mehr als nur schlechte Laune zu haben.

Sie flogen seit zwei Sargaynjahren durch den Nebel und suchten Planeten, die sie besiedeln konnten. Aber die Sterne dieses Gebietes hatten wenig Trabanten. Die acht Mann der Gruppe saßen verärgert in der Messe herum, kauten an dem harten Etwas, das ihre Schiffsration war und langweilten sich. Man hatte sie mit bewaffneten Schiffen von besiedelten Planeten vertrieben, man hatte sie beschossen, und nur die Tatsache, dass die Sargayns hohe Beschleunigungen leichter aushalten konnten als andere Rassen und dass der Kapitän mit den Schiffsmotoren nahe verwandt schien, hatte sie mehr als einmal gerettet.

Sie hatten Dutzende unbewohnbarer Planeten entdeckt, einige trostlose öde Riesenmonde und Systeme, deren Sonnen gleich der von Sargayn im Sterben lagen. Nur ein unbedeutender Planet hatte sich ihnen gezeigt, den zu kolonisieren es sich jedoch nicht lohnte. Sie hatten exakt und sorgfältig seine Daten gesammelt, die Fauna und Flora katalogisiert und die Raumkoordinaten festgestellt. Dann, mit einem verstärkten Gefühl der Hoffnungslosigkeit, waren sie wieder gestartet, um das dritte der Jahre zu beenden.

Es war einer der unglaublichen Zufälle, der während eines Sprunges auftrat. Im allerletzten Moment, als das Schiff sich schon fast im Hyperraum befand und nur noch den Bruchteil einer Sekunde im normalen All verweilte, durchschlug ein mittelgroßer Meteor das Schiff. Er schlug in die Wand der Steuerkabine neben dem Schiffstelefon ein, durchstanzte die Tischplatte mit der Raumkarte und fuhr in die Verbindungen des Rechengerätes hinein, das gerade die Daten der Maschinen durchratterte. Die Richtung wurde noch während des Sprungs verändert, und einige Sekunden später rematerialisierte das beschädigte Schiff in einem fremden System. Eine hellgoldene Sonne überschüttete die erschreckten Insassen mit einem verschwenderischen Schein, und in der Kabine wurden alle Geräte in gleißendes Licht und harte Schlagschatten getaucht. Sie starrten bewegungslos auf das wunderbare Zentralgestirn, da begannen ihre Ortungsgeräte auch schon die Position der nächsten Planeten durchzugeben. Sie flogen den nächsten an und hielten die Motoren eine Viertelmillion Kilometer vor der hellblauen Scheibe des Planeten an. Immer noch standen sie unter der Einwirkung dieses Schocks und wussten nicht, dass sie hier die Idealwelt gefunden hatten, nach der sie in den letzten zwei Jahren gesucht hatten. Jetzt war ihre Fahrt beendet, und sie reparierten zunächst flüchtig die Schäden, die der Meteor hinterlassen hatte.

Die elektronischen Bänder der Messgeräte wurden in der Abteilung des jungen Sardon entschlüsselt. Der Planet, so wussten sie nach bangen Stunden des Rechnens und Vergleichens, war die ideale neue Heimat ihrer Rasse ‒ sofern man sie nicht wieder mit Waffengewalt vertrieb. Sie sahen, wie der einzige Mond des Planeten hinter der Scheibe hervorstieg und sein helles Gesicht voller Krater und blitzender Antennen dem Schiff zuwandte und beschlossen, die Landung zu wagen.

Das Schiff beschleunigte wieder und kam immer näher. Sie flogen eine vollständige Bremsschleife innerhalb der Lufthülle. Ihre Fernrohre enthüllten ihnen eine Landschaft von ungewöhnlicher Schönheit. Die großen Städte lagen im Grünen verborgen, und nur weiße Fäden breiter Straßen zeigten, dass sich hier bereits intelligentes Leben ausgebreitet hatte. Sie stellten nirgends ausgedehnte Siedlungen fest, deren Grenzen sich ineinander verwischten, wie auf Sargayn, und die Wellen großer Meere warfen leichte Schiffe an den Strand. Dann kamen sie über einen gewaltigen Kontinent und gingen tiefer.