Kompetenzorientiert beurteilen (E-Book)

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4.3 Von den Kompetenzen zu den Lernzielen

Nach diesen Klärungen gilt es, aus den gewählten Kompetenzstufen konkrete Lernziele abzuleiten, die auf den ausgewählten Kompetenzdimensionen basieren und mit den ausgewählten Aufgaben(-sets) beziehungsweise der angestrebten Performanz korrespondieren. Die abzuleitenden Lernziele dienen der Steuerung des Unterrichts beziehungsweise des Lernens und als Referenz für die Beurteilung. Denn für eine glaubwürdige und transparente (summative) Beurteilung ist es zentral, dass bereits im Voraus differenzierte Lernziele vorliegen (Vögeli-Mantovani 1999, 48).

4.3.1 Kompetenzorientierte Lernziele

Die Kompetenzstufen des Lehrplans 21 sind zwar wichtige Orientierungshilfen; sie stellen aber in den meisten Fällen keine Lernziele dar, die direkt im Unterricht (z. B. für die Unterrichtsplanung oder die Beurteilung) eingesetzt werden können. Vielmehr legen die Kompetenzstufen im Lehrplan fest, was die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler am Ende eines Zyklus minimal wissen und können soll. Als Bezugspunkt für die Beurteilung der Schülerinnen und Schüler könnten die Kompetenzstufen des Lehrplans somit nur am Ende eines Zyklus dienen. Abgesehen davon sind viele Kompetenzstufen im Lehrplan für die Steuerung des Lernprozesses und die Beurteilung von Schülerinnen und Schülern nicht geeignet, weil sie teilweise sehr allgemein formuliert sind. Demnach können sich Lehrpersonen an den Kompetenzstufen des Lehrplans orientieren, um Lernziele für den konkreten Unterricht zu formulieren. Richten sich kompetenzorientierte Lernziele am Lehrplan aus, bedeutet dies nicht, dass jedes einzelne Ziel alle Kompetenzdimensionen zugleich umfassen muss. Die Gesamtheit der Zielsetzungen eines Lernangebots sollte aber so konzipiert sein, dass die angestrebte Kompetenz des Lehrplans (höchstwahrscheinlich) vorliegt, wenn alle entsprechenden Lernziele erreicht wurden. Ein einzelnes Lernziel kann sich somit auf eine einzelne Kompetenzdimension einer Kompetenzstufe beziehen, also beispielsweise nur auf deklaratives Wissen, während ein anderes Lernziel zur gleichen Kompetenzstufe eher auf prozedurales Wissen zielt. Daraus ergibt sich die Herausforderung, Lernziele so zu kombinieren und zu formulieren, dass sie das Erreichen einer bestimmten Kompetenzstufe unterstützen (Bachmann 2014, 45) sowie metakognitive, methodische und soziale Kompetenzentwicklung ermöglichen.

Bei der Auswahl und Formulierung realistischer Ziele für eine bestimmte Klassenstufe orientiert sich die Lehrperson am Lehrplan 21. Am Ende eines Zyklus sollten die allermeisten Schülerinnen und Schüler die Grundansprüche erreicht haben. Wenn gewisse Kompetenzbeschreibungen als Auftrag eines Zyklus deklariert sind, so sollten sie im entsprechenden Zyklus bearbeitet werden, zu Beginn des nächsten Zyklus jedoch erneut aufgegriffen und vertieft werden. In der Mitte eines Zyklus beziehen sich Lernziele (deren Erreichen jedoch nicht von allen Lernenden erwartet werden kann) auf die Orientierungspunkte. Kompetenzstufen, die im Lehrplan eher am Anfang eines Zyklus aufgeführt sind, eignen sich als Grundlage für Lernziele zu Beginn des Zyklus – umgekehrt verhält es sich mit Kompetenzstufen, die im Lehrplan gegen Ende eines Zyklus aufscheinen.

4.3.2 Taxonomie kognitiver Lernziele

Hilfreich bei der Erarbeitung von Lernzielen ist die Kenntnis der Taxonomie kognitiver Lernziele von Bloom, Engelhart, Furst, Hill und Krathwohl (1956) beziehungsweise deren Weiterentwicklung von Anderson und Krathwohl (2001). Um die kognitiven Prozesse zu betonen, verwenden sie für die Charakterisierung der Stufen jeweils ein Verb als Überschrift und führen zu den sechs Ebenen weitere Verben auf, welche mögliche kognitive Prozesse auf dieser Stufe beschreiben. Mit der Darstellung der Wissensformen auf der Vertikalen kann das entstandene Raster genutzt werden, um Aufgabenstellungen in Bezug auf diese beiden Dimensionen zu analysieren.

Abbildung 12

Taxonomie kognitiver Lernziele und Wissensformen (Krathwohl 2001)


Wissensformen
FaktenwissenKonzeptwissenProzedurales WissenMetakognitives Wissen
Ebenen der kognitiven Prozessekreieren entwickeln planen produzieren
evaluieren überprüfen kritisieren
analysieren differenzieren organisieren zuschreiben
anwenden durchführen realisieren
verstehen interpretieren erläutern klassifizieren zusammenfassen vergleichen erklären
erinnern erkennen nennen aufzählen

Lernziele, die auf den tieferen Ebenen (erinnern, verstehen) angesiedelt sind, können einfacher erreicht werden. Um den Anforderungen eines kompetenzorientierten Unterrichts zu genügen, dürfen die Lernziele einer Lektionsreihe aber nicht ausschließlich die beiden untersten Niveaus (erinnern und verstehen) abdecken. Kompetenzorientierung zeichnet sich dadurch aus, dass aufgebautes Wissen angewendet und für die Analyse und Evaluation von Problemen oder das Kreieren von Lösungen genutzt wird.

4.3.3 Klassenlernziele, individuelle Ziele und Lernzielanpassungen

Bei der Ausarbeitung und Differenzierung der Lernziele nutzt die Lehrperson die Erkenntnisse aus ihren Diagnosen. Auf der Basis der klassenbezogenen schülerglobalen und schülerspezifischen Diagnostik (siehe Abschnitt 2.6) lassen sich Lernziele formulieren, die für die Klasse insgesamt, für einzelne Gruppen, aber auch für die einzelnen Schülerinnen und Schüler passen.

Dies bedeutet, dass manche Lernziele von der Lehrperson aufgrund des Lehrplans 21 der ganzen Klasse vorgegeben werden. Lernziele für die Klasse gelten für alle Lernenden gleichermaßen. Somit sind sie gut geeignet, den gemeinsamen Lernprozess zu steuern und am Ende einer Unterrichtseinheit als Bezugsnorm für die Beurteilung des erreichten Lernstandes zu dienen.

Auch individuelle Lernziele für die einzelnen Schülerinnen und Schüler sind von hoher Bedeutung. Anspruchsvolle, herausfordernde Lernziele gelten in der Meta-Metastudie von Hattie als einer der Faktoren, die schulisches Lernen nachhaltig fördern (Hattie 2013, 195). Die Lehrperson sollte bei der Auswahl von Lernzielen also darauf achten, dass diese anspruchsvoll und herausfordernd sind. Da nicht alle Kinder in ihrem Lernprozess gleich weit fortgeschritten sind, ergibt sich unweigerlich die Forderung, individuelle Lernziele zu setzen.

Jürgens und Sacher bringen dazu ein Beispiel aus dem Sportunterricht. Wenn das Lernziel für die Klasse darin besteht, im Hochsprung 140 Zentimeter hoch zu springen, ergibt es für einen sportlich schwächeren Schüler, der bisher jeweils nur 90 Zentimeter hoch gesprungen ist, keinen Sinn, die Hochsprunglatte im Training auf 140 Zentimeter zu legen. Für einen solchen Schüler wäre es sinnvoller, zum Beispiel mit einem individuellen Lernziel von 95 Zentimetern zu starten und dieses gegebenenfalls später nach oben anzupassen. So kann er auf einer Höhe trainieren, die für ihn anspruchsvoll, aber bewältigbar ist, was in der Lernsituation (Training) positive motivationale Effekte haben dürfte. Dennoch bleibt auch für diesen Schüler das an die ganze Klasse gerichtete Lernziel, 140 Zentimeter zu überspringen, weiterhin bestehen (Jürgens u. Sacher 2008, 70).

Als Spezialform individueller Lernziele können Lernzielanpassungen betrachtet werden. Lernzielanpassungen werden von der Lehrperson für Schülerinnen und Schüler vorgenommen, welche die Grundansprüche des Lehrplans trotz allseitiger Bemühungen im Moment nicht erreichen können. Der Lehrplan 21 führt in diesem Zusammenhang aus:

Die Kompetenzen und Inhalte des Lehrplans 21 gelten im Grundsatz für alle Kinder. Es wird aber auch mit dem Lehrplan 21 so sein, dass trotz gutem Unterricht einzelne Schülerinnen und Schüler die Grundansprüche in einem oder mehreren Fachbereichen nicht erreichen. In diesem Fall ist es nötig, den Lernstand der einzelnen Schülerin oder des einzelnen Schülers zu beurteilen und Fortschritte und Probleme im individuellen Lernprozess zu beobachten, sodass Erfolg versprechende Fördermaßnahmen eingeleitet werden können. Hierfür sind die kantonalen und allenfalls kommunalen Regelungen maßgebend. Genügen diese Maßnahmen nicht, können die Grundansprüche der Schülerinnen und Schüler im Einzelfall angepasst werden (Lernzielanpassungen). (D-EDK 2016, 13)

Damit wird deutlich, dass die Grundansprüche zwar verbindlich sind, im Einzelfall aber dennoch unerreichbar bleiben können.

4.4 Lernziele beobachtbar formulieren

Die Verben in Abbildung 12 unterstützen die Lehrperson dabei, Lernziele so zu formulieren, dass sie beobachtbar werden. Allerdings ist eine klare und eindeutig messbare Formulierung nicht bei jedem Lernziel möglich und sinnvoll.

In der Fachliteratur finden sich zwei Ansätze, wie mit diesem Problem umgegangen wird. Im einen Ansatz wird versucht, die Ziele trotz aller Hindernisse so genau wie möglich zu operationalisieren, das heißt beobachtbar oder messbar zu machen, im anderen Ansatz werden die Grenzen einer exakten Messbarkeit anerkannt, und es wird deshalb auf eine begründete Einschätzung beziehungsweise ein Gutachten abgezielt:

 

• Der quantitative Zugang zielt auf Messungen. Er ist naturwissenschaftlich, behavioristisch, testpsychologisch, quantitativ (statistisch) ausgerichtet. Dieser Ansatz fordert, dass nur Ziele ausgewählt werden, die direkt messbar sind oder so formuliert werden können. Sollte dies gelingen, hätte es den Vorteil, dass zu den ausgewählten Zielen Daten erhoben werden könnten, die unmittelbare Aussagen über die Performanz einzelner Schülerinnen und Schüler ermöglichen.

• Der qualitative Zugang beruht auf begründeten Einschätzungen und zielt damit auf ein Gutachten. Er ist eher geisteswissenschaftlich, humanistisch, verstehend und qualitativ ausgerichtet. Denn manche (Bildungs-)Ziele lassen sich zum Beispiel nur erfassen, indem die Schülerinnen und Schüler befragt werden oder indem sie über eine längere Zeit begleitet werden. Die dabei angestellten Beobachtungen können analysiert und interpretiert werden. Gelingt dies, so liegt der Vorteil dieses Ansatzes darin, dass auch komplexe, ganzheitliche Leistungen beziehungsweise Ziele erfasst und beurteilt werden können und nicht nur Ausschnitte und Teilaspekte des Unterrichts.

Im Folgenden werden beide Ansätze erläutert, weil beide offensichtlich ihre Stärken und Schwächen haben. Während der erste Ansatz auf geschlossene Lernziele (konvergente Leistungen) setzt, basiert der zweite Ansatz auf offenen Lernzielen (divergente Leistungen):

• Geschlossene Lernziele beziehen sich zum Beispiel auf gewisse Aspekte der Grammatik, der Satzzeichensetzung oder auf mathematische Prozeduren, die nur richtig oder falsch sein können. Hier geht es darum, vorgegebene Regeln oder Schritte exakt zu befolgen.

• Offene Lernziele können zum Beispiel den Aufbau eines Texts, erzählendes Schreiben oder künstlerische Ausdrucksweisen betreffen. Hier gibt es sehr unterschiedliche – aber nicht beliebige – Möglichkeiten, um hohe Qualität zu erreichen. Es kann gewissermaßen aus einem Menü von Erfolgskriterien ausgewählt werden (Hattie u. Clarke 2019, 57).

4.4.1 Quantitativer Zugang

Beim ersten Ansatz mit dem Ideal einer Messung müssen die Lernziele so eindeutig wie möglich erfassbar gemacht, das heißt operationalisiert werden. Das ist besser bei konvergenten Leistungen beziehungsweise geschlossenen Lernzielen möglich. Operationalisierung bedeutet, die Lernziele so «kleinzuarbeiten», dass sichtbar gemacht wird, wie die Zielerreichung gemessen oder beobachtet werden kann. Das «Kleinarbeiten» ist immer mit Konkretisierungen, Auswahlprozessen, Akzentsetzungen und Gewichtungen verbunden. Dabei müssen zahlreiche Entscheidungen getroffen werden, die natürlich nicht unproblematisch sind (Terhart 2005, 35). Denn zu stark operationalisierte Lernziele können dazu führen, dass das Wesen oder der Sinn eines Ziels auf der Strecke bleibt.

Ein eindeutig beschriebenes Unterrichtsziel weist gemäß Mager (1983) drei Merkmale auf:

1. Tätigkeit: Was Schülerinnen und Schüler zu tun fähig sein sollen

2. Bedingungen: Bedingungen, unter denen die Tätigkeit ausgeführt werden soll

3. Kriterien: Wie gut die Tätigkeit ausgeführt werden muss (Kriterien, die aussagen, wie gut das Verhalten gezeigt werden muss)

Einschränkend führt Mager an: «Zwar ist es nicht immer notwendig, das zweite Merkmal einzubeziehen, und es ist nicht immer praktikabel, das dritte Merkmal zu berücksichtigen. Aber je mehr Sie über diese Merkmale sagen, desto besser wird Ihre Zielbeschreibung mitteilen, was sie mitteilen soll» (Mager 1983, 21). Damit wird deutlich, dass es darum geht, Lernziele hinreichend zu konkretisieren. Zu diesem Zweck gilt es, bezogen auf die drei Merkmale von Mager drei Fragen zu beantworten (siehe Abbildung 13).

Abbildung 13

Fragen zu den drei Aussagen operationalisierter Lernziel e


TätigkeitWas sollen die Schülerinnen und Schüler am Ende einer Unterrichtseinheit konkret (von außen beobachtbar) tun können?
BedingungenZu welchem Zeitpunkt müssen die Schülerinnen und Schüler in welcher (sozialen, räumlichen, materiellen) Anwendungssituation mit welchen Hilfsmitteln das erwartete Endverhalten zeigen?
KriterienWoran lässt sich ablesen, ob das Lernziel erreicht ist? Wie zeigt sich die Kompetenz in beobachtbarem Verhalten?

Bei den Kriterien, die auf erreichte Ziele hinweisen, handelt es sich im Rahmen des quantitativen Zugangs um möglichst eindeutig erfassbare Indikatoren (z. B. richtig übersetzte Vokabeln, sicheres Bedienen einer Maschine, korrekte Verwendung von Fragezeichen). Solche Erfolgskriterien betreffen häufig Faktenwissen oder Prozeduren und Grundfertigkeiten, die verstanden, automatisiert, konsolidiert und flexibilisiert werden müssen. Sie bilden die Basis, damit das Arbeitsgedächtnis für die Bearbeitung komplexerer Aufgaben entlastet werden kann. Solange alle hinter den Erfolgskriterien liegenden Regeln befolgt wurden, wird die Zielerreichung für alle Lernenden gleich sein. Wenn das Ziel beispielsweise in der korrekten Kommasetzung besteht, ist es in den meisten Fällen müßig, darüber zu diskutieren, wessen Kommas die besten sind (Hattie u. Clarke 2019, 58–59). Wichtig ist, dass das eindeutig (im Sinne von richtig oder falsch) Beobachtbare oder Messbare meist nur einen kleinen Ausschnitt oder eine Grundlage einer Kompetenz darstellt. Um es am obigen Beispiel zu zeigen: Eine korrekte Kommasetzung allein macht noch keinen adressatengerechten Brief aus.

4.4.2 Qualitativer Zugang

Mit Blick auf den zweiten Ansatz mit dem Ideal eines Gutachtens lässt sich festhalten, dass es gemäß Ingenkamp und Lissmann (2008) Leistungen gibt, die nicht gemessen werden können, zu denen aber eine begründete (über besprochene Erfolgskriterien nachvollziehbare) Stellungnahme beziehungsweise eine Beurteilung als frei formuliertes Gutachten möglich ist. Das ist dann der Fall, wenn es sich um divergente Leistungen handelt, also um solche, welche zahlreiche (und dennoch angemessene und korrekte) Lösungen ermöglichen.

Offene Lernziele werden formuliert, indem ein übergeordneter Auftrag erteilt (z. B. eine Schauergeschichte schreiben) und anschließend zusammen eine Reihe von möglichen Erfolgskriterien zur Auswahl herausgearbeitet wird (z. B. Rückblenden zu verwenden bzw. Geheimnisse oder Personen in angsteinflößenden Situationen darzustellen).

Die möglichen Erfolgskriterien bei offenen Lernzielen müssen aber nicht alle zwingend berücksichtigt werden – die Lernenden können sie selbst gewichten (Hattie u. Clarke 2019, 62).

Erfolgskriterien zu offenen Lernzielen umfassen oft ein Adjektiv wie zum Beispiel «angemessen», «gezielt» oder «adressatengerecht». Was dies im Einzelfall heißt, kann nicht immer oder gänzlich im Voraus festgelegt werden, weil noch nicht klar ist, welche Arbeiten und Lösungen die Schülerinnen und Schüler entwickeln werden. Das entbindet die Lehrperson jedoch nicht davon, Vorstellungen zu entwickeln und mit den Lernenden zu besprechen, was mit diesen Erfolgskriterien gemeint sein könnte. Die Konkretisierung wird in diesem Fall aber weniger über sprachliche Präzision erfolgen als vielmehr über Beispiele, die zusammen mit den Schülerinnen und Schülern analysiert und besprochen werden (Wiliam 2018, 74). Konkrete Anregungen dazu finden sich in Abschnitt 4.5.2.

Mit der kompetenzorientierten Beurteilung rückt der qualitative Zugang stark in den Vordergrund. Während beim quantitativen Zugang bereits im Vorfeld im Rahmen der Operationalisierung festgelegt werden muss, was gut ist, bleibt der qualitative Zugang offen für überraschende und kreative Lösungen der Schülerinnen und Schüler und kann diese angemessen honorieren. Da es im kompetenzorientierten Unterricht um das Agieren in konkreten Anwendungssituationen geht, ist mit solchen unerwarteten Lösungsansätzen immer zu rechnen.

4.5 Lernziele klären – Einbeziehen der Schülerinnen und Schüler

Die besten Lernziele bleiben wirkungslos, wenn sie den Schülerinnen und Schülern nicht bekannt sind beziehungsweise wenn sie von ihnen nicht akzeptiert werden. Es ist deshalb entscheidend, die Schülerinnen und Schüler altersgemäß an der Definition der Lernziele teilhaben zu lassen. Lehrpersonen und ihre Schülerinnen und Schüler sollten miteinander über Kompetenzansprüche, Zielsetzungen und Qualitätskriterien sprechen (Lötscher, Tanner Merlo u. Joller-Graf 2017, 19).

4.5.1 Lernzieltransparenz

Ein wesentliches Gütekriterium für die Arbeit mit Lernzielen besteht in der Lernzieltransparenz. Die Schülerinnen und Schüler sollen die zu erarbeitenden Lernziele kennen und intensiv damit arbeiten (Müllener-Malina u. Leonhardt 2008, 24). Kennen sie die Lernziele, ergeben sich mehrere Wege (und gegebenenfalls Inhalte), mit denen die Ziele erreicht werden können. Damit wird die Individualisierung des Unterrichts unterstützt (a. a. O., 18).

Allerdings reicht es nicht aus, die Lernziele einfach an die Wandtafel zu schreiben und vorlesen zu lassen, weil sich Lernziele so nicht verstehen und verinnerlichen lassen. Die Schülerinnen und Schüler müssen selbst ein Gefühl für Qualität entwickeln. Das ist mit abstrakt formulierten Lernzielen unmöglich. Selbst Expertinnen und Experten, die in ihrem Fachbereich hohe Qualität sehr wohl erkennen, sind oft nicht in der Lage, klare Regeln oder operationalisierte Indikatoren für ihr professionelles Handeln zu formulieren. Häufig können sie nur Grundsätze benennen, an denen sich Qualität festmachen lässt. Diese sind jedoch für Schülerinnen und Schüler oft zu fremd und deshalb unverständlich. Verständlich werden die Ziele und Kriterien erst, wenn sie an Beispielen selbst entdeckt, diskutiert und auf die eigene Arbeit angewandt werden können (Wiliam 2018, 61).

4.5.2 Umsetzungsbeispiele

Ziele und Erfolgskriterien zu klären, entspricht der ersten Strategie einer formativen Beurteilung (siehe Abschnitt 2.5.1). Diese Strategie geht davon aus, dass Lernende ihr Handeln selbst steuern können, wenn sie Ziele verstehen, diese gegebenenfalls selbst setzen und wenn sie erkennen können, ob sie auf dem richtigen Weg sind. Transparente Leistungserwartungen gelten als wesentliches Merkmal eines guten, kompetenzorientierten Unterrichts (Meyer 2011; Joller-Graf et al. 2014). Erkenntnisse aus der Forschung weisen nun darauf hin, dass es zu besseren Leistungen führt, wenn Ziele besprochen und gemeinsam gesetzt werden, als wenn die Lernziele bloß vorgelegt werden, weil solche Gespräche die Aufmerksamkeit lenken und das Verständnis für die Ziele erhöhen. Die Anstrengungsbereitschaft wird gestärkt, wenn die Ziele einen mittleren Schwierigkeitsgrad aufweisen und in näherer Zukunft erreichbar sind (Locke u. Latham 2002, zit. nach Woolfolk 2014, 395–400). Einige Möglichkeiten, wie Lernziele mit den Lernenden geklärt werden können, sind im Folgenden in Anlehnung an Wiliam und Leahy (2015) sowie Wiliam (2011) beschrieben.

a) Mit Beispielen eine Vorstellung über erfolgreiches Handeln oder qualitätsvolle Produkte entwickeln

Die Lehrperson regt die Sechstklässlerinnen und -klässler an, verschiedene Buchanfänge zu lesen oder eine Audioaufnahme davon zu hören. Mit der Analyse finden sie heraus, wie sie selbst spannende Anfänge von Geschichten schreiben können, und halten folgende Kriterien fest (Lötscher u. Vogel 2012):

• Ich bin direkt im Geschehen drin.

• Es ist geheimnisvoll, eine besondere Stimmung herrscht.

• Der Ort wird sehr spannend beschrieben.

• Es passiert etwas Außergewöhnliches.

Damit haben Lehrperson und Lernende Erfolgskriterien für eine spezifische Aufgabe entwickelt. Die angloamerikanische Literatur beschreibt Erfolgskriterien auch als Indikatoren für erfolgreiche Bewältigung von Anforderungssituationen. Im deutschsprachigen Raum wird von Beobachtungs- oder Beurteilungskriterien gesprochen.

b) Anhand von Zwischenergebnissen erfolgreiche Strategien entdecken

Neues Wissen und Können aufzubauen, braucht Zeit und häufig auch intensive Phasen des Durcharbeitens und Übens. Oft gelingt nicht alles von Anfang an, und es sind Schwierigkeiten zu überwinden. Die Prüfung von erfolgreichen und weniger erfolgreichen Lösungsversuchen und Zwischenergebnissen ermöglicht es, Hinweise für die Weiterarbeit abzuleiten. Probieren Lernende beispielsweise aus, wie sie Aquarellfarbtöne aufhellen können, um in Landschaftsbildern Tiefenwirkung zu erzielen, legen sie nach einer gewissen Zeit einen Zwischenhalt ein. In einer Kleingruppe bestimmen sie die besten Versuche und tauschen Tipps und Tricks (und damit Erfolgskriterien) aus, die zu den gelungenen Ergebnissen führen.

 

Für Lernende aller Stufen ist es einfacher, in der aktiven Auseinandersetzung mit konkreten Beispielen eine Zielvorstellung zu entwickeln, als dies mit differenzierten Kriterienrastern möglich ist. Die Beispiele müssen nicht «perfekt» sein, weil sie als Modell nicht eins zu eins übernommen werden sollen. Gerade in der Analyse von Stärken und Schwächen fremder Beispiele kann sich die eigene Vorstellung entwickeln.

c) Verständigung über Erfolgskriterien und Qualitäten mit Rastern

Beurteilungs- oder Kompetenzraster können ganz unterschiedlich dargestellt sein. Die Darstellung hängt vom Umfang (Niveaustufen und/oder Bereiche) der abgebildeten Kompetenzen, von der Komplexität einer Aufgabenstellung und vom Alter der Lernenden ab.

Beurteilungsraster sind lernzielorientierte Instrumente, die Kriterien, Indikatoren oder Checklisten umfassen, die auf den Lernprozess oder das Produkt von Lernenden angewandt werden können. Die Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz (D-EDK) konkretisiert die Idee von Beurteilungsrastern bei der Arbeit mit kompetenzorientierten Zielen wie folgt:

In der Praxis […] beziehen sich vor allem summativ ausgerichtete Beurteilungsanlässe in der Regel auf mehrere Kompetenzen und/oder Kompetenzstufen. Beispielsweise lernen die Schülerinnen und Schüler, einen Text einer spezifischen Textsorte zu schreiben. In die Beurteilung werden verschiedene Lernziele einbezogen: Sind die Strukturelemente der Textsorte vorhanden? Ist das Vorwissen des Adressaten angemessen berücksichtigt? Ist die Botschaft klar und verständlich formuliert? Entspricht der Text in sprachformaler Hinsicht den Erwartungen? Diese Kriterien können in einem Beurteilungsraster dargestellt werden und helfen, die Beurteilung in komplexen Beurteilungssituationen zu strukturieren. (D-EDK 2015, 10)

Für jüngere Schülerinnen und Schüler werden in Beurteilungsrastern Erfolgs- oder Beurteilungskriterien mit übersichtlichen Listen oder einzelnen Bildern dargestellt.

Komplexere Raster werden in Form von Tabellen dargestellt. Die Zeilen enthalten die inhaltlichen Bereiche, und in den Spalten werden die verschiedenen Qualitätsstufen mit Erfolgskriterien beschrieben (Winter 2015, 134–163). Bezieht sich das Instrument auf einen längeren Entwicklungszeitraum, so ist von einem Kompetenzraster die Rede. Wenn das Raster für eine einzelne Aufgabe oder eine bestimmte Lerneinheit gedacht ist, handelt es sich um ein rubric.

Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen ist ein bekanntes Beispiel für ein Kompetenzraster (längerer Zeithorizont). Dieses Kompetenzraster zeigt, wie ein Kompetenzaufbau als (lebens-)langer Lernprozess auf sechs globalen Niveaustufen beschrieben werden kann.

Für den Unterricht auf einem spezifischen Sprachniveau sind diese Kompetenzbeschreibungen aber zu umfassend. Das Lernen während einer Unterrichtseinheit könnte auf diesem Abstraktionsniveau kaum gesteuert werden – auch Fortschritte während einer Unterrichtseinheit könnten mit diesem grobmaschigen Instrument nicht aufgezeigt werden. Im Unterricht werden deshalb auf das Sprachniveau bezogene rubrics mit entsprechenden Erfolgskriterien genutzt (siehe Beitrag 4).

Bei rubrics handelt es sich um eine spezielle Form von Beurteilungsrastern. Rubrics definieren die Lernziele eines ausgewählten Bereichs in Form präziser Can-do-Statements («ich kann …»), die in einer Matrix abgebildet werden. In der Vertikalen sind einzelne Gesichtspunkte aufgeführt (was?), in der Horizontalen sind die Niveaustufen (wie gut?) abgebildet (Müller 2002, 85).

Mit rubrics können kompetenzorientierte Qualitätsbeschreibungen in hierarchisch aufbauender Form in den einzelnen Zellen dargestellt werden, um idealtypische Progressionen im Lernen zu veranschaulichen.

Um die rubrics für die Schülerinnen und Schüler verständlicher zu machen, können für die einzelnen Stufen Indikatoren festgehalten werden, die das Erreichen der entsprechenden Stufe bescheinigen. Außerdem kann auf Beispielaufgaben verwiesen werden, anhand deren die Schülerinnen und Schüler selbst prüfen können, ob sie eine bestimmte Stufe gemeistert haben.

Die Ergebnisse der Studie weisen darauf hin, dass die Arbeit mit rubrics nach Ansicht der Lehrpersonen deren diagnostische Fähigkeiten fördert und die Schülerinnen und Schüler bei ihren Lehrpersonen vermehrt formative Rückmeldungen und die Anleitung zur Selbstbeurteilung wahrnehmen (Smit et al. 2017).

Der Vorteil von rubrics, die einen ausgewählten Handlungsaspekt fokussieren, liegt darin, dass die Denkhandlungen beziehungsweise kognitiven Operationen unabhängig von einem spezifischen Thema deutlich werden. So ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass die Schülerinnen und Schüler das neu aufgebaute Wissen und Können von einer Situation auf eine andere übertragen können. Geht es beispielsweise darum, eine Anleitung so zu schreiben, dass andere diese verstehen und nutzen können, sollte dieses Können unabhängig davon wieder angewendet werden können, ob es sich um eine Back-, Bau- oder Bedienungsanleitung handelt (Wiliam 2011, 61–62).

Ein rubric kann sich auch auf eine einzelne, komplexere Aufgabe beziehen. Je spezifischer die Kriterien auf eine Aufgabe abgestimmt sind, desto besser können sich die Lernenden daran orientieren. Gleichzeitig besteht jedoch die Gefahr, dass sie sich nur noch auf die ausformulierten Aspekte konzentrieren, obwohl viele unterschiedliche Lösungen möglich wären (a. a. O., 62).

Bei der Arbeit mit rubrics darf nicht vergessen werden, dass sie nur eine idealtypische Entwicklung beschreiben. Beim Einsatz dieser Instrumente gilt es deshalb zu berücksichtigen, dass die realen Entwicklungsverläufe zumeist deutlich komplexer verlaufen.