Guy de Maupassant – Gesammelte Werke

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»Wir wer­den auf ihn war­ten, lie­be Freun­din!«

Als sie zu­rück­gin­gen, be­merk­ten sie eine Bäue­rin, die auf das Haus zu­kam und in den Hän­den zwei blan­ke Blechei­mer trug, in de­nen sich hin und wie­der ein Strei­fen des grel­len Son­nen­lichts mit plötz­li­chem Re­flex spie­gel­te.

Sie hin­k­te auf dem rech­ten Fus­se und sah in ih­rem dun­kel­brau­nen, ver­wa­sche­nen und von der Son­ne fuch­sig ge­wor­de­nen Brust­tuch wie eine Magd aus, elend und schmut­zig.


»Da ist die Mut­ter«, sag­te das Kind.

Nä­her­kom­mend sah die­se die Frem­den un­freund­lich und miss­trau­isch an, ging aber ru­hig ins Haus, als hät­te sie sie gar nicht be­merkt.

Sie schi­en alt, das Ge­sicht run­ze­lig, gelb und rau; eine Art Holz­ge­sicht, wie es die Bäue­rin­nen oft ha­ben.

»Sagt ’mal, gute Frau«, rief Herr d’A­gre­val sie zu­rück, »wür­den Sie uns nicht zwei Glas Milch ver­kau­fen?«

Sie er­schi­en wie­der un­ter der Tür, nach­dem sie die Ei­mer fort­ge­stellt hat­te und sag­te mür­risch:

»Ich ver­kau­fe kei­ne Milch.«

»Aber wir sind sehr durs­tig und die alte Dame hier ist sehr er­schöpft. Kann man denn nicht für Geld und gute Wor­te et­was zu trin­ken ha­ben?«

Die Bäue­rin sah sie miss­trau­isch und ver­dros­sen an.

»Da Sie nun ein­mal da sind«, ent­schied sie end­lich, »muss ich Ih­nen wohl was ge­ben«, und sie ver­schwand im Hau­se.

Hier­auf kam zu­nächst das Kind mit zwei Stüh­len her­aus, die es un­ter einen Ap­fel­baum setz­te; ihm folg­te die Mut­ter mit zwei Glä­sern schäu­men­der Milch, wel­che sie den Frem­den reich­te. Sie blieb bei ih­nen ste­hen, als woll­te sie sie über­wa­chen und ihre Ab­sich­ten er­grün­den.

»Ihr kommt von Fe­camp?« frag­te sie.

»Ja, wir sind für den Som­mer in Fe­camp«, ant­wor­te­te d’A­gre­val. Dann fuhr er nach ei­ner Pau­se fort: »Könn­tet Ihr uns nicht alle Wo­chen ei­ni­ge Hüh­ner ver­kau­fen?«

Die Bäue­rin zö­ger­te, dann sag­te sie end­lich:

»Nun, ja, wenn es sein muss; wollt Ihr jun­ge?«

»Ge­wiss, jun­ge.«

»Wie viel zahlt Ihr jetzt auf dem Mark­te da­für?«

d’A­gre­val wuss­te das nicht und wand­te sich an sei­ne Beglei­te­rin:

»Was kos­tet jetzt das Ge­flü­gel, ich mei­ne na­tür­lich jun­ges Ge­flü­gel?«

»Vier Fran­cs und vier Fran­cs fünf­zig«, stam­mel­te sie un­ter Trä­nen.

Die Bäue­rin warf ihr einen er­staun­ten Blick zu und frag­te dann:

»Ist die Dame krank, weil sie weint?«

Er wuss­te erst nicht, was er ant­wor­ten soll­te und stot­ter­te dann:

»Nein … nein … aber sie … sie hat un­ter­wegs ihre Uhr ver­lo­ren, eine wun­der­hüb­sche Uhr, und das macht sie ganz trau­rig. Wenn je­mand sie fin­den soll­te, so könnt Ihr uns Be­scheid schi­cken.«

Mut­ter Be­ne­dikt schwieg, sie fand al­les so son­der­bar.

»Da ist mein Mann!« rief sie plötz­lich.

Sie al­lein hat­te ihn kom­men se­hen, weil sie dem Schlag­baum ge­gen­über stand.

d’A­gre­val fuhr auf und Ma­da­me de Ca­dour wäre, als sie sich um­wand­te, vor Schreck bei­na­he vom Stuhl ge­sun­ken.

*

Ein Mann nä­her­te sich, noch zehn Schritt ent­fernt, der eine Kuh an dem um bei­de Hör­ner ge­wun­de­nen Stri­cke keu­chend hin­ter sich her zog.

»Teu­fel, so ein Schind­lu­der«, rief er, ohne die Frem­den zu be­mer­ken, und ging vor­über nach dem Stall zu, in dem er ver­schwand.


Die Trä­nen der al­ten Dame wa­ren plötz­lich ver­siegt und sie blieb starr, un­fä­hig zu den­ken oder zu spre­chen. – Ihr Sohn! das da war also ihr Sohn!

»Das ist si­cher Herr Be­ne­dikt«, sag­te d’A­gre­val mit zit­tern­der Stim­me, von der glei­chen Idee be­seelt.

»Wo­her wisst Ihr denn sei­nen Na­men?« frag­te die Bau­ers­frau miss­trau­isch.

»Der Schmied an der Ecke der großen Stras­se hat ihn uns ge­sagt«, ant­wor­te­te er.

Dann schwie­gen alle, die Au­gen auf die Stall­tü­re ge­hef­tet. Die­sel­be sah aus wie ein schwar­zes Loch in der wei­ßen Mau­er des Ge­bäu­des. Man sah von dem In­nern nichts; man hör­te nur ver­schie­de­nen Lärm, Be­we­gun­gen, Schrit­te, die auf dem stroh­be­deck­ten Bo­den wi­der­hall­ten.

Er er­schi­en wie­der am Ein­gang, wisch­te sich die Stirn mit der Hand und ging lang­sam auf das Haus zu, sich bei je­dem sei­ner großen Schrit­te in den Hüf­ten wie­gend.

Ohne die Frem­den zu be­mer­ken rief er im Vor­bei­ge­hen sei­ner Frau zu:

»Hol mir einen Krug Ap­fel­wein, ich bin durs­tig.« Dann trat er ins Haus. Die Bäue­rin lief zum Kel­ler und ließ die Pa­ri­ser al­lein.

»Ge­hen wir, Hen­ry, ge­hen wir!« rief Ma­da­me de Ca­dour ganz ent­setzt.

Sie rich­te­te sich an d’A­gre­val’s Arme auf, und sie sorg­fäl­tig stüt­zend, denn sie droh­te je­den Au­gen­blick um­zu­fal­len, führ­te die­ser sie fort, nach­dem er zu­vor fünf Fran­cs auf einen der Stüh­le ge­legt hat­te.

Als sie zum Tore hin­aus wa­ren, fing sie ganz aus­ser sich vor Schmerz wie­der bit­ter­lich zu wei­nen an und jam­mer­te:

»Was ha­ben Sie aus ihm ge­macht, o mein Gott!« Er war sehr bleich ge­wor­den und ant­wor­te­te ab­weh­rend:

»Ich habe ge­tan was ich nur konn­te. Sei­ne Farm ist zwan­zig­tau­send Fran­cs wert. Das ist eine Mit­gift, wie sie nicht alle Bür­gers­kin­der ha­ben.«

Sie gin­gen ganz lang­sam nach Hau­se, ohne ein Wort wei­ter dar­über zu ver­lie­ren. Die Trä­nen ran­nen ihr un­aus­ge­setzt über die Wan­gen.

So ka­men sie end­lich nach Fe­camp, wo Herr de Ca­dour be­reits mit dem Di­ner auf sie war­te­te. Als er sie sah, rief er laut la­chend:

»Aus­ge­zeich­net, mei­ne Frau hat ih­ren Son­nen­stich weg, das macht mir Spaß. Ich glau­be seit ei­ni­ger Zeit wirk­lich, dass sie den Kopf ver­liert.«

Bei­de ver­moch­ten nichts zu sa­gen, und als der Gat­te frag­te:

»Habt Ihr denn we­nigs­tens einen hüb­schen Spa­zier­gang ge­macht?« da ant­wor­te­te d’A­gre­val schnell:

»Ei­nen sehr hüb­schen, lie­ber Freund, wirk­lich einen aus­ser­or­dent­lich hüb­schen.«

*

Die Rückkehr

Das Meer peitsch­te die Küs­te mit sei­nem kur­z­en gleich­mäs­si­gen Wel­len­schla­ge. Klei­ne wei­ße Wölk­chen zo­gen has­tig am blau­em Him­mel vor­über, von dem scharf­bla­sen­den Win­de wie Sturm­vö­gel ge­trie­ben; das Dorf in dem Tal­grun­de, der sich nach der See hin­zog, briet in der Son­nenglut.

Gleich am Ein­gan­ge des­sel­ben, un­mit­tel­bar an der Stras­se lag, et­was ent­fernt vor den and­ren, das Haus der Mar­tin-Le­ve­s­que. Es war dies eine klei­ne Fi­scher­woh­nung mit Lehm­wän­den und ei­nem Stroh­dach, das ein Bü­schel blau­er Schwert­li­li­en zier­te. Vor der Tür be­fand sich ein Gärt­chen, nicht viel grös­ser wie ein Ta­schen­tuch, in wel­chem Zwie­beln, ei­ni­ge Kohl­köp­fe, Pe­ter­si­lie und Ker­bel wuch­sen, und wel­ches längs der Stras­se von ei­ner He­cke um­zäunt wur­de.

Der Mann weilt auf dem Fisch­fang, die Frau sitzt vor der Tür und flickt die Ma­schen ei­nes großen brau­nen Net­zes, wel­ches an der Mau­er wie ein rie­si­ges Spin­nen­ge­we­be auf­ge­hängt ist. Ein Mäd­chen von vier­zehn Jah­ren sitzt am Ein­gang des Gar­tens hin­ten­über ge­lehnt auf ei­nem Rohr­stuhl und flickt Lei­nen­zeug, zer­ris­sen und ver­schlis­sen, wie man es eben bei ar­men Leu­ten fin­det. Ein an­de­res, etwa um ein Jahr jün­ge­res Mäd­chen wiegt auf sei­nen Ar­men ein ganz klei­nes Kind, dem noch Spra­che und Be­we­gung feh­len, wäh­rend zwei Wür­mer von drei und zwei Jah­ren auf dem Bo­den kau­ernd mit ih­ren schmut­zi­gen Händ­chen im San­de wüh­len und sich zum Zeit­ver­treib mit klei­nen Erd­klümp­chen be­wer­fen.


Nie­mand spricht; nur das Jüngs­te spot­tet der Ver­su­che, es ein­zu­schlä­fern und weint fort­ge­setzt mit sei­nem dün­nen, ma­ge­ren Stimm­chen. Auf dem Fens­ter­brett schlum­mert eine Kat­ze; blü­hen­de Lev­koy­en bil­den am Fus­se der Mau­er eine wei­ße Ket­te, über der zahl­lo­se Bie­nen schwär­men.

Plötz­lich ruft das Mäd­chen am Ein­gan­ge:

»Mama!«

»Was hast Du?« fragt die Mut­ter.

»Er kommt wie­der her.«

Sie sind näm­lich schon den gan­zen Mor­gen be­un­ru­higt, weil ein Mann um das Haus her­um­streicht: ein al­ter, ärm­lich aus­se­hen­der Mann. Sie sa­hen ihn zu­erst, als sie den Va­ter zu sei­nem Boo­te be­glei­te­ten; er sass am Gra­ben­ran­de der Tür ge­gen­über. Als sie vom Stran­de zu­rück­kehr­ten, fan­den sie ihn noch dort, un­ver­wandt das Haus an­star­rend.

Er schi­en sehr krank und elend zu sein. Seit ei­ner Stun­de hat­te er sich nicht von der Stel­le ge­rührt, aber als er be­merk­te, dass sie ihn wie einen Übel­tä­ter be­ob­ach­te­ten, war er auf­ge­stan­den und schlep­pen­den Schrit­tes wei­ter ge­gan­gen.

Aber bald sa­hen sie ihn mit sei­nem lang­sa­men, mü­den Schritt wie­der­kom­men; dies­mal je­doch setz­te er sich et­was wei­ter fort, wie um ih­nen auf­zu­lau­ern.

Mut­ter und Kin­der ängs­tig­ten sich, na­ment­lich ers­te­re, weil sie, an sich schon furcht­sa­mer Na­tur, aus­ser­dem noch wuss­te, dass Le­ve­s­que vor Abend nicht vom Fisch­fan­ge heim­keh­ren wür­de.

Le­ve­s­que war der Name ih­res Man­nes, sie selbst hiess ei­gent­lich Mar­tin und so nann­te man sie im gan­zen Dor­fe die Mar­tin-Le­ve­s­que. Sie war näm­lich in ers­ter Ehe mit ei­nem Ma­tro­sen Na­mens Mar­tin ver­hei­ra­tet ge­we­sen, der alle Som­mer nach Neu­fund­land auf den Ka­bel­jau­fang hin­aus­fuhr.

 

Nach zwei­jäh­ri­ger Ehe schenk­te sie ihm ein klei­nes Mäd­chen und sie trug ein zwei­tes be­reits ein hal­b­es Jahr un­ter dem Her­zen, als die Bar­ke »Die zwei Schwes­tern«, auf der ihr Mann diente, ein stol­zer Drei­mas­ter aus Diep­pe, von ih­rer Fahrt nicht mehr zu­rück­kehr­te.

Man hör­te nie wie­der et­was von ihr; kei­ner von den See­leu­ten, die auf ihr ge­dient hat­ten, kam zu­rück; man hielt das Schiff mit Mann und Maus für ver­schol­len.

Die Mar­tin war­te­te zehn Jah­re auf ih­ren Mann, in­dem sie schlecht und recht ihre bei­den Kin­der und sich selbst durch­zu­brin­gen such­te. Dann hielt der Fi­scher Le­ve­s­que, Wit­wer mit ei­nem Kna­ben, um ihre Hand an, weil sie all­ge­mein für eine fleis­si­ge und bra­ve Frau galt. Sie hei­ra­te­ten und hat­ten in den ers­ten drei Jah­ren noch zwei Kin­der.

Sie leb­ten ar­beit­sam und fleis­sig, aber küm­mer­lich. Das Brot war teu­er und Fleisch kann­te man in der klei­nen Fi­scher­hüt­te kaum dem Na­men nach. Im Win­ter, zur­zeit der Stür­me, blieb nichts andres üb­rig, als beim Bä­cker Schul­den zu ma­chen. Die Kin­der ge­die­hen in­des­sen vor­treff­lich.

»Die Mar­tin-Le­ve­s­que sind bra­ve Leu­te«, hiess es all­ge­mein. »Die Mar­tin ist eine fleis­si­ge Frau und Le­ve­s­que sucht als Fi­scher sei­nes­glei­chen.«

*

»Man soll­te sa­gen, dass er uns kennt,« mein­te jetzt das Mäd­chen, wel­ches am Tore sass. »Vi­el­leicht ist es ir­gend ein Ar­mer aus Epre­ville oder Au­ze­bosce.«

Aber die Mut­ter woll­te das nicht zu­ge­ben. Nein, nein, das war kei­ner aus der Ge­gend hier, ganz ge­wiss nicht.

Als er nun im­mer noch nicht fort­ging und un­aus­ge­setzt auf das Haus der Mar­tin-Le­ve­s­que ge­hef­tet hielt, wur­de die Mar­tin end­lich un­ge­dul­dig, und da die Furcht ihr Mut ver­lieh, so griff sie zu ei­ner Ha­cke und be­gab sich vor das Tor.


»Was macht Ihr da?« schrie sie dem Land­strei­cher zu.

»Ich schöp­fe fri­sche Luft. Habt Ihr was da­ge­gen?« ant­wor­te­te er mit rau­er Keh­le.

»Was spio­niert Ihr denn so­zu­sa­gen im­mer ums Haus her­um?« be­gann sie wie­der.

»Ich füh­re nichts Bö­ses im Schil­de« sag­te der Mann. »Man darf sich doch an der Stras­se hin­set­zen?«

Sie wuss­te hier­auf nichts zu sa­gen und ging ins Haus zu­rück.

Die Zeit schritt lang­sam vor­an. Ge­gen Mit­tag ver­schwand der Mann, kam aber um fünf Uhr wie­der. Am Abend sah man ihn nicht mehr.

Le­ve­s­que kam erst bei Ein­bruch der Nacht zu­rück.

»Ir­gend ein Land­strei­cher oder gar was Schlim­me­res!« ent­schied er, als man ihm die Sa­che mit­teil­te. Dann be­gab er sich sorg­los zur Ruhe, wäh­rend sei­ne Ge­fähr­tin im­mer an den Land­strei­cher den­ken muss­te, der sie mit so ei­gen­tüm­li­chen Au­gen an­ge­se­hen hat­te.

Am nächs­ten Tage war es ziem­lich stür­misch, und da der Fi­scher sah, dass er heu­te nicht aus­fah­ren konn­te, so half er sei­ner Frau die Net­ze fli­cken.

Ge­gen neun Uhr kam das äl­tes­te Mäd­chen, eine Mar­tin, die man um Brot ge­schickt hat­te, zu­rück­ge­lau­fen und schrie schon von Wei­tem mit ängst­li­cher Mie­ne:

»Mut­ter, da kommt er wie­der.«

»Geh doch ’mal her­aus, Le­ve­s­que«, sag­te sie, bleich vor Schre­cken, »und sag ihm, er möge nicht hier so her­um­lau­ern, weil mich … das … noch ganz ver­rückt macht.«

Le­ve­s­que, ein star­ker Mann mit zie­gel­ro­ter Ge­sichts­far­be und star­kem ro­ten Bart, scharf­bli­cken­den blau­en Au­gen, den star­ken Hals zum Schut­ze ge­gen Wind und Wet­ter stets mit ei­nem Woll­tuch um­hüllt, ging ru­hig hin­aus auf den Frem­den zu.

Bald wa­ren sie in leb­haf­tem Ge­spräch mit­ein­an­der, wäh­rend Mut­ter und Kin­der neu­gie­rig und ängst­lich von Wei­tem zu­sa­hen.

Mit ei­nem Male stand der Frem­de auf und schritt mit Le­ve­s­que auf das Haus zu.

Er­schreckt wich die Mar­tin zu­rück.

»Gib ihm ein Stück Brot und ein Glas Ap­fel­wein; er hat seit vor­ges­tern nichts ge­ges­sen.«

Sie gin­gen ins Haus, ge­folgt von Mut­ter und Kin­dern; der Land­strei­cher setz­te sich und ass, das Auge un­ter all den neu­gie­ri­gen Bli­cken sen­kend.


Die Mut­ter stand vor ihm und sah ihn ge­nau an; die bei­den großen Mäd­chen, die Mar­tins, lehn­ten mit dem Rücken an der Türe. Die eine trug das Kleins­te auf dem Arm, und ihre neu­gie­ri­gen Au­gen folg­ten un­auf­hör­lich al­len Be­we­gun­gen des Frem­den, wäh­rend die zwei Klei­ne­ren, am Her­de hockend, auf­ge­hört hat­ten mit der Koh­le zu spie­len, als woll­ten auch sie den Un­be­kann­ten ge­nau be­trach­ten.

»Ihr kommt wohl weit her?« frag­te Le­ve­s­que, der sich auch einen Stuhl ge­nom­men hat­te.

»Ich kom­me von Cet­te.«

»Zu Fuss, wie geht das zu?«

»Ja, zu Fuss. Wenn man kein Geld hat, kann man nicht fah­ren.«

»Wo geht denn die Rei­se hin?«

»Hier­her.«

»Ihr kennt hier Je­man­den?«

»Ich däch­te wohl!«

Das Ge­spräch stock­te. Er ass lang­sam, ob­schon er sicht­lich hung­rig war, und nahm nach je­dem Bis­sen einen Schluck Ap­fel­wein. Sein Ge­sicht war alt, run­ze­lig, vol­ler Fal­ten, und er schi­en viel durch­ge­macht zu ha­ben.

»Wie heisst Ihr?« frag ihn Le­ve­s­que plötz­lich.

»Ich heis­se Mar­tin«, sag­te er, ohne den Kopf zu he­ben. Ein ei­gen­tüm­li­cher Schau­der über­lief die Mut­ter. Sie trat einen Schritt vor, als woll­te sie sich den Land­strei­cher aus nächs­ter Nähe an­se­hen und stand ihm nun, die Arme hän­gen las­send, mit of­fe­nem Mun­de ge­gen­über. Nie­mand sprach ein Wort.

»Seid Ihr von hier?« frag­te end­lich Le­ve­s­que.

»Ja­wohl, ich bin von hier.«

Und als er end­lich den Kopf hob, be­geg­ne­te sein Blick dem der Frau und bei­de sa­hen sich lan­ge an, als woll­ten sie sich ganz in­ein­an­der ver­sen­ken.

»Du bist’s, mein Mann«, sag­te sie dann plötz­lich mit ganz ver­än­der­ter, tiefer und zit­tern­der Stim­me.

»Ja, ich bin’s«, ent­geg­ne­te er zö­gernd.

Er rühr­te sich nicht und fuhr fort an dem Bro­te zu es­sen.

»Du bist’s wirk­lich, der Mar­tin?« stam­mel­te Le­ve­s­que, mehr über­rascht als er­grif­fen.

»Ja, ich bin’s«, sag­te noch­mals ru­hig der an­de­re.

»Aber wo­her kommst Du doch nur?« frag­te nun der zwei­te Gat­te.

»Von der afri­ka­ni­schen Küs­te«, er­zähl­te Je­ner. »Wir wa­ren auf ein Riff ge­ra­ten und nur drei von den Un­se­ren konn­ten sich ret­ten: Pi­card, Va­ti­nel und ich. Die Wil­den nah­men uns ge­fan­gen und hiel­ten uns zwölf Jah­re fest. Pi­card und Va­ti­nel star­ben. Ein eng­li­scher Rei­sen­der hat mich los­ge­kauft und nach Cet­te zu­rück­ge­bracht. Da bin ich nun.«

Die Mar­tin lag mit dem Ge­sicht auf dem Tisch und schluchz­te laut.

»Was sol­len wir nun an­fan­gen?« rief Le­ve­s­que.

»Ist das Dein Mann?« frag­te Mar­tin.

»Ja, das bin ich«, ant­wor­te­te Le­ve­s­que.

Sie sa­hen sich an und schwie­gen aber­mals.

Dann deu­te­te Mar­tin, nach­dem er die Kin­der rings­um län­ge­re Zeit be­trach­tet hat­te, mit ei­ner Kopf­be­we­gung auf die bei­den Mäd­chen und frag­te:

»Sind das mei­ne?«

»Ja, das sind Dei­ne«, sag­te Le­ve­s­que.

Er stand nicht auf, er um­arm­te sie nicht.

»Gu­ter Gott, wie groß sie ge­wor­den sind«, war das Ein­zi­ge, was er be­merk­te.

»Aber was sol­len wir nur an­fan­gen?« frag­te Le­ve­s­que aufs Neue.

An­fangs wuss­te Mar­tin in sei­ner Be­stür­zung auch nichts zu sa­gen. Sch­liess­lich mein­te er:

»Was mich an­be­trifft, so wer­de ich mich schon mit Dir ver­stän­di­gen; ich will Dir kein Un­recht tun. Das ver­steht sich ganz von selbst, auch we­gen des Hau­ses. Ich habe zwei Kin­der, Du hast drei, je­dem ge­hö­ren die sei­ni­gen. Aber die Mut­ter? Ge­hört sie Dir oder mir? Ich wer­de mich dar­in nach Dei­nem Wun­sche rich­ten; aber das Haus ge­hört mir, denn mein Va­ter hat es mir ver­macht, ich bin dar­in ge­bo­ren und die be­tref­fen­den Pa­pie­re lie­gen beim No­tar.«

Die Frau wein­te im­mer fort, ihre Trä­nen be­feuch­te­ten das blaue Tisch­tuch. Die bei­den Mäd­chen wa­ren nä­her ge­kom­men und sa­hen ih­ren Va­ter voll Un­ru­he an.

Er hat­te auf­ge­hört zu es­sen und sag­te nun sei­ner­seits:

»Was soll jetzt wer­den?«

Le­ve­s­que hat­te einen Ge­dan­ken:

»Wir müs­sen zum Pfar­rer ge­hen.«

Mar­tin er­hob sich, und als er auf sei­ne Frau zu­ging, warf sie sich an sei­ne Brust und rief schluch­zend:

»Mein Mann! Mar­tin, mein ar­mer Mar­tin! Da bist Du wie­der!«

Sie hielt ihn mit bei­den Ar­men um­schlun­gen; die alte Zärt­lich­keit von ehe­mals kehr­te wie­der, tau­send Erin­ne­run­gen aus der Ju­gend­zeit tauch­ten vor ihr auf.

Mar­tin, nicht min­der be­wegt, küss­te sie in­nig. Die bei­den Kin­der am Herd fin­gen an zu heu­len, als sie die Trä­nen der Mut­ter sa­hen, und das Jüngs­te auf dem Arm der zwei­ten Toch­ter Mar­tins schrie mit kläg­li­cher Stim­me wie eine ver­stimm­te Gei­ge.


Le­ve­s­que stand eine Wei­le war­tend da.

»Nun müs­sen wir aber doch die Sa­che in Ord­nung brin­gen.«

Mar­tin lös­te sich aus den Ar­men sei­ner Frau, und als er sei­ne bei­den Kin­der an­sah, rief die Mut­ter:

»So gebt doch Eu­rem Va­ter we­nigs­tens einen Kuss.«

Sie ka­men bei­de zu­gleich her­bei mit tro­ckenen Au­gen, mehr er­staunt als furcht­sam. Er küss­te ei­nes nach dem an­de­ren mit ei­nem vol­len saf­ti­gen Kuss nach Bau­ern­art. Als das Jüngs­te den Frem­den so nahe sah, stiess es ein durch­drin­gen­des Ge­schrei aus, so­dass man glau­ben konn­te, es fie­le in Krämp­fe.

Dann gin­gen die bei­den Män­ner zu­sam­men fort.

Als sie bei dem Kaf­fee­hau­se vor­bei­ka­men, mein­te Le­ve­s­que:

»Wie wär’s, wenn wir erst ’mal einen Trop­fen näh­men?

»Ich bin da­bei«, er­klär­te Mar­tin.


Sie tra­ten ein und nah­men in dem noch lee­ren Zim­mer Platz.

»Heh! Chi­cot, zwei Glä­ser aus der gu­ten Fla­sche. Hier ist Mar­tin, der wie­der­ge­kom­men ist, Mar­tin von mei­ner Frau, Du weißt schon, der mit den ›zwei Schwes­tern ‹ ver­schol­len war.«

Und der Wirt kam her­bei, in der einen Hand die Fla­sche, in der an­de­ren drei Glä­ser, ein di­cker, voll­blü­ti­ger, auf­ge­dun­se­ner Bur­sche.

»Sieh da! Mar­tin! Wie­der zu­rück?« frag­te er ru­hig.

»Ja, da bin ich wie­der«, sag­te Mar­tin.

*

Marroca

Du ba­test mich, lie­ber Freund, Dir die Ein­drücke zu schil­dern, die ich hier in Afri­ka emp­fan­gen, die Aben­teu­er, und vor al­lem die Lie­bes­ge­schich­ten, die ich in die­sem Lan­de er­lebt, nach wel­chem es mich schon seit so vie­len Jah­ren zog. Du wür­dest, schreibst Du, schon im Voraus herz­lich über mei­ne »schwar­zen Lieb­schaf­ten« la­chen und sä­hest mich im Geis­te schon in Beglei­tung ei­nes großen eben­holz­far­bi­gen Weibs­bil­des zu­rück­keh­ren, das, den Kopf mit ei­nem gel­ben Sei­den­tu­che um­wun­den, in den grells­ten Klei­dungs­stücken ein­her­wat­schelt.

Die Rei­he wird auch, das ist ge­wiss, noch an die schwar­zen Wei­ber kom­men; denn ich sah be­reits meh­re­re, die mir ei­ni­ge Lust ein­ge­flösst ha­ben, auch mal in die­ser Tin­te un­ter­zut­au­chen. In­des­sen habe ich zu­nächst et­was Bes­se­res und ganz Ori­gi­nel­les ge­fun­den.

In Dei­nem letz­ten Brie­fe schreibst Du mir:

»Wenn ich erst mal weiß, wie man in ei­nem Lan­de liebt, so ken­ne ich es ge­nü­gend, um es be­schrei­ben zu kön­nen, auch wenn ich es nie­mals ge­se­hen habe.«

Nun so wis­se denn, dass man hier mit ei­ner wah­ren Ra­se­rei zu lie­ben pflegt. Man ver­spürt hier vom ers­ten Tage an eine Art Sie­de­hit­ze, eine Auf­wal­lung, eine un­ge­stü­me An­span­nung der Be­gier­den, einen bis in die Fin­ger­spit­zen ge­hen­den Kit­zel, wo­durch un­se­re Lie­bes­brunst bis zur Er­schlaf­fung ent­facht und un­se­re gan­ze Sin­nen­lust, von der ein­fa­chen Berüh­rung der Hän­de bis zu je­nem un­nenn­ba­ren Be­dürf­nis, um des­sen wil­len wir so vie­le Dumm­hei­ten be­ge­hen, aufs Höchs­te ge­reizt wird.

 

Ver­steh’ mich, bit­te, recht. Ich weiß nicht, ob das, was Du wah­re Her­zens­lie­be, die Lie­be zwei­er See­len, nennst, ob die­ser Idea­lis­mus des Ge­mü­tes, mit ei­nem Wor­te die pla­to­ni­sche Lie­be, un­ter die­sem Him­melss­tri­che ge­dei­hen kön­ne. Aber jene an­de­re Lie­be, die der Sin­ne, die auch ihr Gu­tes, und zwar sehr viel Gu­tes hat, ist in die­sem Kli­ma ge­ra­de­zu schreck­lich. Die Hit­ze, die­se ewig ko­chen­de, fie­ber­schwan­ge­re Luft, die­se er­sti­cken­den süd­li­chen Win­de, die­se Feu­er­flut, wel­che aus der na­he­ge­le­ge­nen Wüs­te kommt und sen­gen­der, ver­zeh­ren­der wirkt wie eine wirk­li­che Flam­me; die­ser ewi­ge Brand ei­nes Land­stri­ches, den eine rie­si­ge lech­zen­de Son­nenglut bis auf die Stei­ne aus­dörrt, las­sen un­ser Blut ko­chen, be­täu­ben das Ge­hirn und ma­chen uns zum reis­sen­den Tie­re.

Doch nun zu mei­ner Ge­schich­te!

Ich über­ge­he die ers­te Zeit mei­nes Auf­ent­hal­tes in Al­gier. Nach­dem ich Bona, Con­stan­ti­ne, Bis­kra und Se­tif be­sucht hat­te, kam ich durch die Schluch­ten von Cha­bet nach Bou­gie. Wir hat­ten einen un­ver­gleich­lich schö­nen Weg mit­ten durch die Wäl­der der Ka­by­len zu­rück­ge­legt; der­sel­be zieht sich in ei­ner Höhe von zwei­hun­dert Me­tern dem Mee­re ent­lang und folgt den Win­dun­gen des Hoch­ge­bir­ges bis zum herr­li­chen Golf von Bou­gie, der eben­so schön wie der von Nea­pel, Ajac­cio und Douar­ne­nez ist. Al­ler­dings neh­me ich hier­bei die un­ver­gleich­li­che Bucht von Por­to an der West­küs­te Cor­si­kas aus, mit ih­rer Ein­fas­sung aus ro­tem Gra­nit, in­ner­halb de­ren man die blut­ro­ten Stein­rie­sen, im Volks­mun­de die »Calan­ches« von Pia­na ge­nannt, er­blickt.


Von wei­tem, ganz von wei­tem, be­vor man um die große Bucht kommt, in der die stil­len Was­ser schlum­mern, er­blickt man Bou­gie. Es ist an den stei­len Hän­gen ei­nes ho­hen, von Wäl­dern ge­krön­ten Ber­ges er­baut; ein wei­ßer Pieck auf die­sem grü­nen Han­ge, wie ein schäu­men­der Was­ser­fall, der sich ins Meer er­giesst.

So­bald ich den Fuss in die­ses be­zau­bern­de Städt­chen ge­setzt hat­te, wur­de es mir zur Ge­wiss­heit, dass ich hier lan­ge ver­wei­len wür­de. Über­all rings­um haf­tet das Auge auf eine Rei­he za­cki­ger wildro­man­ti­scher Hü­gel mit bi­zar­ren Spit­zen, die so dicht zu­sam­men­hän­gen, dass man kaum das of­fe­ne Meer er­bli­cken kann und den Golf für einen See hal­ten möch­te. Das blaue, milch­far­be­ne Was­ser ist von wun­der­ba­rer Durch­sich­tig­keit; und der azur­ne Him­mel, so azur­blau, als habe er einen dop­pel­ten Far­ben­an­strich er­hal­ten, lacht über dem Gan­zen in sei­ner er­grei­fen­den Pracht.

Bou­gie ist die Stadt der Rui­nen. Wenn man an­kommt, so er­blickt man am Quai einen so groß­ar­ti­gen Trüm­mer­hau­fen, dass man sich in eine Mär­chen­welt ver­setzt glaubt; das epheu­um­rank­te alte Sa­ra­ze­nen-Tor. Und in dem wal­di­gen Ge­bir­ge rings um die Stadt her­um fin­det man über­all Rui­nen, Res­te rö­mi­scher Mau­ern, Denk­mä­ler aus der Sa­ra­ze­nen-Zeit, Über­bleib­sel ara­bi­scher Bau­kunst.

Ich hat­te in der obe­ren Stadt ein mau­ri­sches Häu­schen ge­mie­tet. Du kennst ja die­se Woh­nun­gen der Be­schrei­bung nach. Sie ha­ben nach Aus­sen hin kei­ne Fens­ter, son­dern emp­fan­gen von oben bis un­ten ihr Licht von dem in­ne­ren Hofe her. Im ers­ten Stock be­fin­det sich ein großer Saal, in dem man sich tags­über auf­hält, und ganz oben eine Ter­ras­se, wo man die Näch­te zu­bringt.

Ich folg­te so­fort der Ge­wohn­heit je­ner heis­sen Län­der, d. h. ich hielt stets nach dem Früh­stück mei­ne Sies­ta. Es sind dies die drückends­ten Stun­den des Ta­ges, wo man vor Hit­ze kaum noch at­met, wo die Gas­sen, die Plät­ze, die blen­den­den Stras­sen ver­ödet sind, wo alle Welt schläft oder we­nigs­tens in mög­lichst un­be­klei­de­tem Zu­stan­de zu schla­fen ver­sucht.

In mei­nem mit Säu­len von ara­bi­scher Bau­art ge­schmück­ten Saa­le hat­te ich einen großen be­hag­li­chen, mit Tep­pi­chen von Dje­bel-Amur be­deck­ten Di­van auf­stel­len las­sen. So ziem­lich in Adams Ko­stüm streck­te ich mich auf dem­sel­ben aus; aber ein­sam wie ich war, konn­te ich kei­ne Ruhe fin­den.

Zwei Qua­len auf die­ser Welt gibt es, liebs­ter Freund, die ich nicht ger­ne ken­nen ler­nen möch­te; näm­lich der Durst nach Was­ser und die un­be­frie­dig­te Sehn­sucht nach ei­nem weib­li­chen We­sen. Wel­che von bei­den ist wohl die schlim­me­re? Ich weiß es selbst nicht. In der Wüs­te wür­de man man­ches­mal die schreck­lichs­ten Din­ge be­ge­hen, um nur ein Glas fri­schen kla­ren Was­sers zu er­lan­gen. Was gäbe man in ge­wis­sen Küs­ten­städ­ten nicht für ein hüb­sches fri­sches und ge­sun­des Mäd­chen? Es fehlt ja in Afri­ka nicht an Mäd­chen, es ist so­gar Über­fluss dar­an; aber, um bei mei­nem Ver­gleich ste­hen zu blei­ben, sie glei­chen in ih­rer Art dem übel­rie­chen­den fau­len und schlam­mi­gen Was­ser, das man in den Brun­nen der Sa­ha­ra fin­det.

So ver­such­te ich nun ei­nes schö­nen Ta­ges wie­der, als ich ab­ge­spann­ter wie ge­wöhn­lich war, ver­geb­lich die Au­gen zu schlies­sen. Mei­ne Glie­der zit­ter­ten, als brenn­ten Nes­seln dar­in; in ängst­li­cher Un­ru­he warf ich mich auf mei­nem Di­van hin und her, und schliess­lich hielt ich es nicht mehr aus. Ich sprang auf und be­gab mich ins Freie.

Es war ein schreck­lich heis­ser Juli-Nach­mit­tag. Das Stras­sen­pflas­ter strahl­te eine Hit­ze wie ein Back­ofen aus, das Hemd war im Au­gen­blick feucht und kleb­te ei­nem am Lei­be, und am gan­zen Ho­ri­zont schweb­te ein leich­ter weiß­li­cher Dunst, der ver­zeh­ren­de Hauch des Si­rok­ko, des­sen Hit­ze man grei­fen zu kön­nen glaubt.

Ich ging in der Rich­tung auf das Meer zu hin­un­ter und folg­te, beim Ha­fen an­ge­langt, dem Han­ge, wel­cher sich längs der lieb­li­chen Bucht hin­zieht, in der die Bä­der lie­gen. Das stei­le, mit Ge­büsch und stark duf­ten­den Pflan­zen be­wach­se­ne Ge­bir­ge um­ragt von al­len Sei­ten die­se Bucht, längs de­ren gan­zem Ufer sich mäch­ti­ge Fels­blö­cke in der stil­len Flut ba­den.

Hier draus­sen sah man kein mensch­li­ches We­sen; nichts rühr­te sich, kein Tier gab einen Laut, kein Vo­gel strich durch die Lüf­te. Je­des Geräusch war ver­stummt; selbst das Meer schi­en un­ter den bren­nen­den Strah­len der Son­ne er­starrt zu sein, so­dass man nicht ein­mal das Plät­schern des Was­sers ver­nahm. Da­ge­gen glaub­te ich in der ko­chen­den Luft ein Knis­tern wie von Feu­er zu hö­ren.

Plötz­lich schi­en es mir, als wenn ich hin­ter ei­nem der Fel­sen, die zur Hälf­te in der schwei­gen­den Was­ser­flä­che un­ter­ge­taucht wa­ren, eine leich­te Be­we­gung be­merk­te. Ich wand­te mich um und er­blick­te ein hoch­ge­wach­se­nes Mäd­chen, wel­ches hier, wo es sich in die­sen Stun­den der Hit­ze völ­lig un­ge­stört glau­ben moch­te, ohne jede Be­klei­dung sein Bad nahm. Bis zur Brust im Was­ser ste­hend, wand­te sie ih­ren Blick dem Mee­re zu und plät­scher­te leicht mit den Hän­den, ohne mich zu be­mer­ken.

Was konn­te es Be­zau­bern­de­res ge­ben, als die­ses Bild: das schö­ne Weib in dem Was­ser, so durch­sich­tig, wie ein Glas un­ter der Pracht die­ses süd­li­chen Him­mels! Und sie war schön, wun­der­bar schön so­gar, die­ses hoch­ge­wach­se­ne Weib mit dem Kör­per ei­ner Mar­mor­sta­tue.

In die­sem Au­gen­blick wand­te sie sich um; sie stiess einen Schrei aus und ver­barg sich, halb schwim­mend, halb ge­hend, so­fort hin­ter ih­rem Fel­sen.

Da sie doch wie­der ’mal zum Vor­schein kom­men muss­te, so setz­te ich mich am Han­ge hin und war­te­te ge­dul­dig. Da kroch sie ganz sach­te wie­der her­vor und zeig­te ih­ren mit schwar­zen wir­ren Haa­ren dicht­be­wach­se­nen Kopf. Sie hat­te einen brei­ten Mund, auf­ge­wor­fe­ne lüs­ter­ne Lip­pen, große be­gehr­li­che Au­gen, und ihre gan­ze durch das Kli­ma leicht ge­bräun­te Haut hat­te das Aus­se­hen von al­tem El­fen­bein, hart und weich zu­gleich, mit ei­nem Wor­te ein herr­li­cher Ty­pus der wei­ßen Ras­se, dem aber die Son­ne Afri­kas ihr ei­gen­ar­ti­ges Ko­lo­rit ver­lie­hen hat­te.

»Ge­hen Sie fort!« rief sie mir zu. Ihre vol­le Stim­me, die, wie ihre gan­ze Er­schei­nung, et­was Kräf­ti­ges an sich hat­te, kam tief aus der Keh­le.

»Es ist nicht hübsch von Ih­nen, dass Sie da­blei­ben, mein Herr!« Da­bei roll­te sie die »r« in ih­rem Mun­de wie Kie­sel­stei­ne her­um. Ich rühr­te mich in­des­sen nicht, und der Kopf ver­schwand wie­der.

Zehn wei­te­re Mi­nu­ten ver­gin­gen. Dann ka­men die Haa­re, hier­auf die Stirn und die Au­gen wie­der zum Vor­schein, lang­sam und vor­sich­tig, wie es Kin­der beim Ver­ste­cken­spiel zu ma­chen pfle­gen, wenn sie sich nach dem um­se­hen wol­len, der die and­ren su­chen muss.